Der im Projekt vorgegebene Schauplatz "Straßen und Plätze einer Stadt" wurde von der Autorin zwar nur am Rande mitverwendet, da aber die restlichen Vorgaben im Rahmen der Story optimale Verwendung fanden, habe ich keinen Grund gesehen, eine Korrektur oder ähnliches zu fordern; das gilt auch für die teilweise aktiven "Statisten", da sie die Story in ihrem Verlauf nicht nennenswert beeinflussen, sondern der Atmosphäre und der Darstellung des Geschehens dienlich sind. |
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Moordrache |
Die Botschaft
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Die Reise näherte sich nun langsam ihrem Ende und das große Aufatmen setzte auf der Seewoge ein. Der Wind war nun wieder stark und brachte das Schiff gut voran und trotz Kapitän Arans Anweisungen, ein paar der Segel einzuholen, machten sie schnelle Fahrt. Für gewöhnlich saß ein Mann am Bug und meldete in singendem Ton die Tiefen nach hinten, denn obwohl man im Alaas keine Riffe befürchten musste, gab es doch genug Untiefen und Sandbänke, auf die man achten musste. Die Mannschaft hatte sich aber dafür entschieden, dass es unter Deck sehr viel schöner war, wenn die Passagiere nach oben gingen, und so bauschte der Wind nicht nur das Hauptsegel, sondern fegte auch über ein nahezu leeres Deck. Trotzdem schimpften die Seemänner aber nur leise, falls überhaupt, und schauten gegebenenfalls aus den Augenwinkeln, ob Kapitän Aran nahe genug war, um sie zu hören. Er war ein rauer Mann und er trieb Schiff und Mannschaft pausenlos an. Er beschimpfte sie als faule Landgänger und zog ihnen auch mal mit einem Tauende eins über, aber dass sie sich hier unten verkrochen, dafür rügte er sie nicht wirklich und das verunsicherte sie zusehends. Seine harte Stimme malte ihnen die riesigen Krieger aus, die an Deck gekommen waren und ihnen die Kehlen noch immer durchschneiden konnten. Das genügte, um jeden Mann dazu zu bringen, still der kommenden Dinge zu harren und vor allem nicht über ihre seltsame Fracht zu sprechen. Irgendwann hatte der Kapitän sogar den großen Zweihänder und die Axt mit den furchterregenden Haken in den Mannschaftsquartieren aufhängen lassen und die Verwundeten tasteten nach ihren Bandagen und niemand sagte mehr ein Wort. Sie waren nicht an Land gegangen danach, weder bei Tag noch bei Nacht, und etwa nach der Hälfte der Strecke hatten sie damit begonnen, die verkaufbaren Waren über Bord zu werfen, um noch schneller an ihr Ziel zu kommen. Und die ganze Zeit über hatte sie dort oben gestanden, sich an die Reling gelehnt und das Ufer beobachtet. Es hatte nicht den Eindruck gemacht, als sehe sie dort etwas bestimmtes, nur das, was alle anderen auch sahen und trotzdem hatte niemand, noch nicht einmal Kapitän Aran es gewagt, sich ihr zu nähern. Niemand außer ihren zwei Begleitern hieß das. Anfangs, als sie noch nicht wussten, wer sie war, was sie war, hatte die Mannschaft noch Witze darüber gemacht, mit welchem der beiden Männer sie nun ins Bett stieg, aber jetzt wagten sie sie alle noch nicht einmal mehr anzusehen. Doch ein Elb und ein Priester der Göttin der Unterwelt waren einfach zwei zu unwahrscheinliche Gefährten, um nicht aufzufallen. Der eine hoch gewachsen, schlank und voller Stolz und Würde in jeder seiner Bewegungen, strich ihr schulterlanges Haar unentwegt gerade, wenn der Wind es verwirrte. Der andere, der von Anfang an schwer einzuschätzen gewesen war in seinem alles verhüllendem Priestergewand, berührte hin und wieder ihre Fingerspitzen. Sie entzog sich beiden nicht, doch schien es so, als nehme sie sie auch gar nicht richtig zur Kenntnis. Und sie sprachen nie. Sie sprachen seit Wochen nicht ein Wort, weder miteinander noch mit der Mannschaft. Noch nicht einmal mit dem Kapitän. Stumm hatten sie ihm ein Papier unter die Nase gehalten, woher auch immer wissend, dass er lesen konnte, und ohne abzuwarten, was er von der Sache halten mochte, waren sie auf das Schiff gekommen. Pok, der Schiffsjunge, war wichtigtuerisch eine Woche nach dem Auslaufen zu ihrer Kammer geschlichen, um sein Ohr an ihre Tür zu pressen. Was immer auch danach geschehen war, niemand hatte es bisher herausfinden können und Pok war in der Nacht verschwunden. Kreidebleich war er zurückgekehrt, ließ sich von niemandem ansprechen und verkroch sich zitternd unter seine Decken. Und am nächsten Morgen war er nicht mehr da gewesen. Kapitän Aran machte sich seine eigenen Gedanken darüber und er hütete sich davor, auch nur ein bisschen davon an seine Besatzung weiterzuleiten. Trotzdem schien sich seine Nervosität auf die Männer unter ihm zu übertragen, aber er erkannte auch schließlich das Siegel seines Königs, wenn er es sah. Jeder loyale Untertan solle den Träger dieses Papiers nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen. Jemand anderer hatte ganz tief darunter mit krakeligen Buchstaben das Wort Ansata geschrieben. Aran fragte sich beiläufig, wieso die Drei ausgerechnet in Feindesland wollten, denn Ansata war die letzte neutrale Stadt vor der Grenze, doch er hätte für nichts in der Welt gefragt. Wer weiß, vielleicht hätte er gar eine Antwort erhalten. Außerdem war er so loyal wie ein Mann nur sein konnte und das nicht nur, weil sein König ihn selbst zum Kapitän ernannt hatte. Aber ein Elb, der an sich schon ein seltenes Kuriosum darstellte, mit seiner überschwänglichen Liebe zum Leben und ein Totenwächter, der gegensätzlich dazu den Tod anbetete. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken und es war nicht der Wind, der ihn hervorrief. Vom Ausguck hatte er eine hervorragende Sicht auf das Trio, sah er deutlich, wie sie sich zärtlich berührten, so als würden sie sich gegenseitig beruhigen. Einmal hatte sie nach oben geblickt, direkt in seine Augen und er war in die Knie gegangen und hatte sich stöhnend auf den schaukelnden Boden des Ausgucks gesetzt, um diesem Blick zu entgehen. Dabei war sie so ein hübsches kleines Mädchen gewesen. Aran war sich sicher, dass sie es gewesen war, auch wenn er nicht verstand, wieso der König seine eigene Tochter zum Monstrum verkommen ließ, aber es war nie gut, sich in die Angelegenheiten der Mächtigen einzumischen oder sich auch nur dafür zu interessieren. Alles was er wollte, war sein Schiff von Hafen zu Hafen zu bringen und eine Waren mit Gewinn zu verkaufen. Dabei war er sich nicht einmal mehr sicher, ob die Seewoge noch ihm gehörte oder ob er den Wert der Waren, die er verloren hatte, je würde ersetzen können. Aber besser so als... In diesem Moment meldete der Mann neben ihm: "Ansata! Ansata voraus!" Kapitän Aran schreckte auf und kletterte sofort nach unten, wo die Mannschaft schon alles nötige für das Anlegemanöver vorbereitete. Ihre bloßen Füße klatschten auf dem Deck und trotz ihrer großen Eile schafften sie es irgendwie, einen großen Ring um die Passagiere vollkommen frei zu lassen, obwohl diese sich von der Reling hinunter in die Quartiere bewegten. Der Kapitän stampfte wild auf dem Deck herum, schrie Befehle und verfluchte diejenigen, die sich seiner Meinung nach nicht schnell genug bewegten, und ließ die Frau nicht einen Wimpernschlag aus den Augen, bis sie nicht mehr zu sehen war. Nun war es endlich vorbei. Der Alaas war plötzlich von kleinen Booten übersät, Fischer holten ihre Netze ein und auf den hölzernen Landestegen warteten die ersten Dockarbeiter geduldig auf ihre Ankunft. Die Seewoge drehte elegant am zweiten Landesteg bei und trotz des aufschäumenden Wassers, warfen sich die Männer die Haltetaue zu. Als die Laufplanke in Position gebracht war, kam die Frau in einen dunkelgrünen Umhang gehüllt hervor und schickte sich an, das Schiff zu verlassen. Kapitän Aran schaute ihr entgegen und sein Blick ging zurück, ob ihre Begleiter nicht bald folgten. Aber es kam niemand. Direkt neben ihm blieb sie stehen und blickte ihn wieder mit diesen dunklen Augen an, die zur Pupille hin immer heller wurden. "Ihr wartet hier!", sprach sie mit befehlsgewohnter Stimme und Aran erbleichte. "Was?", rief er verzweifelt und in seinem Glauben gebrochen, er werde das Trio niemals wiedersehen. Sie sah ihn an ohne jegliche Regung in ihrem Gesicht, viel wacher als die Wochen zuvor, und zog ein paar schwarzer lederner Handschuhe hinter ihrem Gürtel hervor, um sie ungerührt überzustreifen. "Ihr wartet hier! Ich muss nur eine Botschaft überbringen, also dürfte es nicht allzu lange dauern." Als die Handschuhe an ihrem Platz waren, verzog sie die Mundwinkel für einen Augenblick und Aran sah deutlich den goldenen Dolch mit dem Wappen ihrer Familie und er wusste, dieser würde auch noch an ihrem Gürtel hängen, wenn sie zurückkehrte. Dabei war er Teil der Botschaft. Ihr Umhang flatterte im Wind, als sie auf die Laufplanke stieg und wenig später in den verwinkelten Straßen Ansatas verschwand. Kapitän Aran zeigte mit dem Finger wahllos auf einen seiner Männer und brüllte ihm plötzlich ins Gesicht: "Du!" und deutete ihm zu folgen. Es war nie klug, sich in die Angelegenheiten der Mächtigen einzumischen, aber er hatte sich auch nie für besonders klug gehalten. Und er wusste ganz genau, was ihn in ihrem Quartier erwartete. Er ließ den kräftigen Seemann mehrmals gegen die schwere hölzerne Tür rennen, bevor diese endlich nachgab, und trat dann in ein Bild des Grauens. Der Elb und der Priester waren tot und der Boden um sie herum schwamm förmlich im Blut der beiden Männer, die selbst im Tod das seltsamste Paar bildeten, das er je gesehen hatte. Der Mann neben ihm übergab sich geräuschevoll und wischte sich dann den Mund ab. "Geh nach oben und sag den anderen, sie sollen verschwinden und nur das mitnehmen, was sie am Leibe tragen", er war selbst erstaunt darüber, wie ruhig er klang. Als der andere zögerte, blickte er ihn scharf an und sagte streng: "Na los!" Er folgte dem rennenden Mann nur zögernd. Das war also das Ende. Irgendwie hatte er es sich immer anders vorgestellt, wie genau, das wusste er eigentlich nicht, aber so ganz sicher nie. Oben an Deck standen noch einige wenige Männer seiner Besatzung, jene, welche schon seit Jahren unter ihm ihren Dienst verrichteten und zögerten noch. "Geht!", war alles, was er zu ihnen sagte, und er brauchte auch nur auf die blutigen Fußabdrücke zu deuten, die ihr Kamerad bei seiner überstürzten Flucht hinterlassen hatte, und sie rannten davon. Er seufzte und setzte sich auf eine der großen Kisten gegenüber der Laufplanke und hielt jeden, den er sah, davon ab, sein Deck zu betreten. Der Elb musste derjenige gewesen sein, der ihren Geist vernebelt hatte, so dass das Monster in ihr nicht erwachen konnte und er war auch als erster gestorben. Der Priester hatte es schließlich wieder erweckt und war zum zweiten Opfer geworden. Sie hatten sich die Mühe gemacht, wochenlang zu unterdrücken, wer sie war, nur damit sie ihr Ziel auch wirklich erreichten und alles, was danach kam, war offensichtlich ganz unwichtig. Sogar sie. Aran wusste, es ging ihn nichts an, aber der Friede, für den noch der letzte Bettler so inständig betete, würde nun nicht mehr kommen. Er wünschte sich plötzlich, er hätte die Krieger sein Schiff zerstören und sie alle töten lassen. Die Dockarbeiter starrten auf die besatzungslose Seewoge, die blutigen Fußspuren und den ganz offensichtlich verrückt gewordenen Kapitän. Sie lösten unmerklich die Haltetaue und schoben die Laufplanke zurück, mit dem innigen Wunsch, sich das Unglück von den Händen zu waschen. Aran sah ihnen reglos dabei zu, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen und er sah dabei zu, wie ihn die Strömung des Alaas immer weiter von Ansata davontrug. Sie hatten den Tod gefangen und ihren eigenen besiegelt und er wusste, dass es diesen Preis nicht wert war. Was war ihr Preis? fragte er sich, während sich die hohen Wellen an der Reling brachen. Was war der Preis einer Königstochter? . © Soleil
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