.
Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur besten Projekt-Story 2006 im Drachental gewählt!

. 
Diebesbeute von Talea

"Nein!"
Lineera schüttelte den Kopf und ihre dunklen Locken flogen wild um ihr Gesicht.
"Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich das nicht mache! Es..."
"Nun sei still und setzt dich wieder!", zischte ihr Gegenüber.
Verwirrt sah Lineera sich um und erkannte, dass alle Leute im Raum des Gasthauses sie anstarrten. Leise setzte sie sich, während sie der Wirtin winkte, ihr noch einen Becher Met zu bringen.
"Nun stell dich nicht so an! Es wäre doch ein Kinderspiel für dich..."
"Es gefällt mir nicht und ich glaube auch nicht, dass es funktioniert."
Unbarmherzig starrten ihre leuchtend grünen Augen in die schwarzen ihres Gefährten. Seufzend lehnte sich der Halbling in seinem Stuhl zurück. 
"Aber er wird ganz sicher zahlen. Dieser Kunde stinkt vor Geld, das rieche ich. Glaub mir..." Die Stimme der kleinen Gestalt nahm einen schmeichelnden Ton an.
"Forx, das wiederspricht sich mit meinen Grundsätzen. Ich werde nicht..."
"Bei Orlem! Das ist ein Auftrag wie jeder andere auch."
Lineera stöhnte gequält auf.
"Du wirst doch immer beschissen. Alle deine Kunden zahlen entweder weniger als vereinbart oder gar nicht."
"Na und? Immerhin kriegst du `nen bisschen Geld. Meinst du, du kannst immer nur das in den Häusern mitnehmen, was du gerade findest? Du brauchst Auftraggeber, sag ich dir!"
Forx trank aus einem Krug, der für seine flinken, kleinen Finger viel zu groß schien. Er setzte eine mitleidserregende Miene auf, und zeigte auf sein verkürztes linkes Bein, das er immer leicht nachzog.
"Ich würd´s ja selber machen, aber..."
Lineera verdrehte die Augen und wollte gehen. Darauf fiel sie schon lange nicht mehr rein.
"Aber Lineera, ich habe dir alles beigebracht, was ich wusste, nachdem ich dich halbverhungert in dem Dreck dieser Stadt gefunden hatte."
Lineera beugte sich über den Tisch und sprach leise, jedes einzelne Wort betonend: "Zum letzten Mal, Forx: Ich stehle keine Reliquien aus dem Tempel."
"Aber... Das Risiko hat dich doch noch nie gestört!"
"Aber das ist Gotteslästerung!"
Forx tat, als gebe er auf und wandte den Kopf zur Seite.
"Schade. Allein mit der Hälfte des Gewinns könntest du dich aus der Diebesgilde freikaufen... Tja, da kann man nichts machen..."
Lineera wankte. Jeder Dieb der Stadt war verpflichtet, der Gilde beizutreten und von jedem größeren Diebstahl, der der Gilde immer irgendwie zu Ohren kam, einen Teil abzutreten. Als Gegenleistung ließ sich die Gilde manchmal dazu herab, gefangene Diebe zu befreien. Wenn diese immer ihren Betrag gezahlt hatten und es sich lohnte, sie weiter stehlen zu lassen...
Um sich freizukaufen, musste ein Dieb 500 Goldstücke zahlen; mehr als die meisten Zeit ihres Lebens stehlen konnten. Lineera selbst hatte in sieben Jahren harter Arbeit gerade mal 58 Goldstücke gezahlt.
Nachdenklich wickelte sie sich eine Locke um ihren Finger.
"Nur mal so aus Interesse: Welchen Gott sollte ich denn worum erleichtern?"
Der Halbling verkniff sich das Grinsen und erklärte ihr seinen Plan.
Er wusste, dass er gewonnen hatte.
 

"Wie konnte ich mich nur von dir überreden lassen? Wie schaffst du das nur immer wieder?"
Forx zuckte nichtssagend die Schultern und hob den Kopf, um die junge Frau anzublicken. Sie war in der Schwärze der Nacht kaum noch zu erkennen. Nur ihre Augen blitzten gelentlich auf. 
Sie trug eine schwarze Hose, die eng genug war, dass sie damit beim Klettern nirgends hängen blieb, doch ihre Bewegungsfreiheit nicht einschränkte. Ihre Tunika hatte dieselbe Farbe und war aus dem gleichen Material. Schwarze Stiefel und Handschuhe krönten ihr Aussehen, und ein langer schwarzer Umhang verhüllte ihre Konturen. Ihre langen Haare waren im Nacken zum Knoten geschlungen und ein Tuch verdeckte den unteren Teil ihres Gesichts.
Der Halbling und die Menschenfrau bemerkten eine Veränderung in ihrer Umgebung. Die engen, schmalen Gassen gingen langsam in breitere, saubere Straßen über.
Die beiden bewegten sich geräuschlos auf ihrem Weg. Sie näherten sich der Tempelanlage von hinten her, denn auf dem Vorplatz waren um jede Uhrzeit Wachen postiert.
Schweigend standen die Gefährten vor dem zwei Meter hohen Zaun.
"Na dann", murmelte Forx. Er blickte zum Himmel und besah eine Weile die Sterne.
"Es ist jetzt ungefähr drei. In drei halben Stunden geht die Sonne auf. Dann beginnt hier das Leben. Beeil dich also lieber."
"Keine Sorge. Ich wäre am liebsten schon wieder zurück..."
Lineera lachte leise und warf dem Halbling ihren langen Umhang zu. Er war zu klein, um ihn richtig zu fangen und so verfing sich das Stoffstück vor seinem Gesicht. Als er sich leise fluchend wieder die Sicht erkämpft hatte, sah er nur noch eine schwarze Gestalt durch den Garten des Tempels huschen. Mit einem Segensspruch wandte er sich ab und kehrte in eine Gasse zurück, wo er sich auf ein altes Fass setzte und seine Pfeife entzündete.

Beinahe geräuschlos lief Lineera über die Grasfläche, während die prachtvollen Bäume und Büsche ihr Deckung gaben. Der Zaun war keine Herausforderung gewesen, doch sie wusste, dass sie ungesehen bis in das Herzstück des Tempels vordringen musste.
Forx war, gleich nachdem er den Auftrag erhalten hatte, in den Tempel gegangen um zu beten. Und um sich umzusehen.
Er hatte ihr den Grundriss erklärt, bedauerte jedoch, dass er die Reliquie nicht gesehen hatte.
Endlich hatte sie das Gebäude erreicht. Zwei Stockwerke hoch, aus weißem Stein und stellenweise mit Marmor verkleidet, ragte es in den Nachthimmel. Die Rückseite war nicht wie die vordere mit Säulen geschmückt, doch schmale Fenster begannen zwei Meter oberhalb des Bodens und zogen sich bis zum Dach hoch.
Lineera ging in die Hocke, sprang und zog sich nach oben. Sicher stand sie auf dem kaum handbreiten Sims und schaute ins Innere. Da es das ganze Jahr über warm war, gab es keine Glasscheiben und Gitter waren unnötig, weil kein Ungeweihter unerlaubt die heilige Stätte betreten würde.
Bis jetzt jedenfalls.
Sie holte tief Luft und schwang sich auf ein Regal links neben dem Fenster und von dort aus auf den Boden. Lineera stellte sich in den Schatten und blickte sich um. Sie befand sich in einem Saal, und überall standen riesige Regale voll mit Büchern, die bis unters Dach reichten. Nur unterhalb der Fenster befanden sich Schreibtische, auf denen einzelne Seiten oder Bücher lagen. Überwältigt starrte sie auf die unzähligen Schriftstücke und es war ihr unmöglich, sich vorzustellen, wie viel Wissen hier lagerte. Dann besann die Frau sich und durchschritt leise aber bestimmt die Halle. Sie sah schon die Tür, doch als sie neben einem Regal stand, konnte sie nicht widerstehen. Wahllos zog sie ein dünnes Buch hervor. In rotes Leder geschlagen, und mit einer prachtvollen Blume bemalt lag es in ihrer Hand, während sie die vergilbten Seiten durchblätterte. Lineera seufzte und wünschte sich für einen Moment, lesen zu können. Vorsichtig steckte sie das Buch in ihre Tasche.
Dann trat sie durch die Tür auf einen düsteren Gang. Forx hatte ihr gesagt, dass der Tempel aus fünf großen Quadraten bestand, die  kreuzförmig angeordnet waren. Hinten die Bibliothek, vorn der Besucherraum, links die Schlaf- und Aufenthaltsräume der Priester und Mönche, rechts die Küche und Vorratsräume und in der Mitte der eigentliche Tempel. Geduckt schlich sie durch den langen Gang, bis sie vor einer weiteren, reich verzierten großen Tür stand. Sie zögerte nur einen Moment, ehe sie sie aufstieß und eintrat.
Dieser Raum war sogar noch beeindruckender als der vorherige. Riesige Säulen trugen das Dach und Kohlepfannen tauchten die Halle in rotes Licht.
Sie ging auf den Altar zu, hinter dem Abbildungen des Göttervaters Il`Ranai und seiner Frau Im´sehla standen. Die Statuen überragten Lineera um einen guten Meter, und sie bildete sich ein, dass sie sie vorwurfsvoll anstarrten. Sie schluckte und umquerte den Altar, bis sie sich schließlich auf den Sockel stellte, auf dem die Götterstatue ruhte. Gerade als sie die Hand ausstreckte, hörte sie Schritte und sprang hinter die Figur der Göttertochter Ara´schin.
Die Tür öffnete sich und zwei Männer traten ein. Sie wagte einen schnellen Blick. Ein alter kahlköpfiger Mann, dessen Gewand ihn als Obersten des Tempels auswies, stützte sich auf einen jungen Priester, dessen braune Haare wild nach allen Seiten abstanden. Beide knieten vor dem Altar nieder.
"Merinon, ich spüre eine Veränderung. Bald..." Der alte Mann unterbrach sich selbst. "Ach, ich weiß auch nicht. Seit mein Augenlicht erloschen ist, verfolgen mich diese Visionen. Und ich kann sie mit nichts vergleichen..."
Merinon starrte ihn mitleidig an. "Es wird alles seinen Grund haben..."
Doch der Mann senkte nur schweigend den Kopf. Kaum hörbar murmelte er: "Die schwarze Gestalt... sie ist nicht das, was du zu sehen glaubst..."
Während die zwei Priester beteten, wurde Lineera immer nervöser. Sie hatte nicht viel Zeit und je länger sie sich hier aufhielt, umso wahrscheinlicher war es, dass sie entdeckt wurde.
Eine halbe Stunde später erhoben sich die Männer und verließen die Halle.
Erleichtert trat sie hervor. Wieder stand sie hinter Il´Ranais Statue. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nahm dann langsam die Krone vom Haupt der Götterstatue. Bewundernd hielt sie das goldene Stück in den Händen. Allein die kleineren Edelsteine wären zusammen hundert Goldstücke wert. Das wunderlichste war jedoch ein schwarzer Stein in der Mitte der Krone, der von innen leicht golden schimmerte. Selbst durch die Handschuhe meinte sie eine angenehme Wärme zu spüren. Vorsichtig schlug sie das wertvolle Stück in ein Tuch ein und steckte es in ihre Tasche. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie lange sie so dagestanden hatte und schüttelte verwirrt den Kopf.
Flink schlich sie zur Tür und schlüpfte hindurch. Doch sie war durch ihren Erfolg unaufmerksam geworden, und krachend schlug die riesige Tür zu. Erschreckt sprang Lineera zur Seite und stieß dabei eine Kohlepfanne um, die laut scheppernd zu Boden fiel. Der Lärm drang durch die gesamte Tempelanlage. Leise stieß sie sämtliche Flüche, die sie in ihrem Leben auf der Strasse gelernt hatte, durch die Zähne, und rannte in Richtung Bibliothek davon.
Als sie die Tür erreicht hatte, hörte sie schon das Fußgetrappel der Priester und Mönche aus ihren Schlafgemächern. Hastig stieß sie die Tür auf und ließ sie diesmal vorsichtig ins Schloss fallen. Lineera rannte so leichtfüßig wie ihr eigener Schatten an den Regalreihen entlang auf die Fenster zu.
Sie glaubte, an der anderen Seite des Raums flackerndes Kerzenlicht zu sehen, war sich aber nicht sicher. Geschmeidig zog sie sich an einem Regal hoch und sprang dann zum Fenster, wo sie hindurchschlüpfte und in den Garten sprang.
Die Frau sah nicht mehr, wie ein junger Priester von seinen Büchern aufsah, weil er ein Schatten zu sehen glaubte, und auch nicht, wie wenige Augenblicke später ein Mönch die Tür aufriss, um Merinon und seinem Lehrer die Mitteilung vom Verschwinden der Krone des Göttervaters zu überbringen.

Befreit rannte Lineera durch die Strasse.
"Du kommst spät!"
Sie hatte Forx nicht gesehen, aber viele Menschen neigten dazu, ihn zu übersehen, was sich in seinem Handwerk nicht unbedingt als Nachteil erwies.
Er sprang von seinem Fass und reichte ihr den Umhang. Sie hüllte sich darin ein, um ihre Kleidung zu verbergen. Dann steckte sie sich die Handschuhe in die Tasche, band sich das Tuch von ihrem Gesicht um das Handgelenk und löste ihre Haare.
Dann ging die Sonne auf und die ersten Türen und Fenster öffneten sich.
Gemächlich schlenderten sie in Richtung Marktplatz.
"Und was nun? Wo treffen wir deinen Auftraggeber?"
"Oh, das wirst du schon sehen..."
Lineera blickte ihn streng an und steckte, nachdem sie dicht an einem Stand vorbeigegangen war, wie beiläufig die Hand in die Manteltasche. Wenige Schritte später holte sie eine rotglänzende Frucht aus der Tasche und reichte sie dem Halbling.
"Apfel?"
Forx  streckte gierig die Hand aus und antwortete: "Klar. Man sollte meinen, denen seien ihre Waren nicht so wichtig, wenn sie sowenig darauf aufpassen..."
Er kaute genüsslich, bevor er weitersprach. "Du wirst langsam unvorsichtig. Wir werden verfolgt. So´n junger Typ mit braunen Haaren..."
"Merinon?"
Lineera unterdrückte das Bedürfnis, sich umzudrehen. Forx schüttelte den Kopf.
"Immer wieder erstaunlich, wie schnell du Bekanntschaften schließt..."
Lineera ließ sich nicht ablenken. "Sag schon, wo soll`s denn jetzt hingehen.?"
Ein erwatungsvolles Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Halblings aus.
"Zum Hafen."
Die Diebin verzog das Gesicht. Im Hafen tummelten sich die unangenehmsten Gestalten der ganzen Stadt. Und wie sie Forx kannte, ging es bestimmt nicht in den überwachten Teil, wo sich die legalen Geschäfte abwickelten.

"Na, Süßer, wie wär´s?"
"Ähhm..."
Lineera zog den Halbling von der grell geschminkten Frau fort. "Komm schon, du hast weder Zeit noch Geld!"
"Aber... Nach all der Aufregung brauch ich den Trost und..."
"Ja, ja..."
"Na, dann komm ich halt später wieder... Von meinem Anteil..."
Er winkte der Frau nach, die sich jedoch schon einem Mann im fleckigen Mantel zugewandt hatte.
"Dein Anteil? Ich hör wohl nicht richtig?! Wer hat denn hier die ganze Arbeit gemacht?!"
Forx starrte sie beleidigt an.
"Weißt schon, wir dritteln. Ein Teil für die Gilde, dann bist du die Kerle endlich los. Ein Teil für dich und deine Ausgaben, und ein Teil für mich, weil ich den Auftrag geholt habe."
"Dritteln? Ich zahl dir ´ne Woche Essen und Schlafstatt, du geldgieriger, zu kurz gewachsener..."
"Ach, welch Zufall, wir sind da!"
Geschickt wandte Forx sich aus Lineeras Griff. Der Halbling rannte über den Steg auf ein riesiges Schiff mit schwarz-rot gestreiften Segeln zu. Forx wandte sich dann an einen Matrosen während er Lineera aufmunternd zunickte. "He, da! Hol mir Kapitän Gol! Sag, das von ihm bestellte Schmuckstück ist da!"
Der Matrose nickte wissend, warf einen mitleidigen Blick auf die Frau und verschwand im Inneren des Schiffes.
Lineera seufzte. "Musst du dich immer so verdammt zweideutig ausdrücken?! Nun gibt es auf dieser Welt wieder einen mehr, der mich für..."
Sie unterbrach sich selbst, als der Kapitän auf sie zu trat. Es war ein massiger Mann mit unangenehmer Ausstrahlung, langem verfilztem Haar und dichtem schwarzen Bart.
"Oh, der kleine Mann ist wieder da."
Er beachtete Lineera nicht und streckte dann auffordernd die Hand aus.
"Wo ist sie?"
Forx setzte sein unschuldigstes Lächeln auf und faltete Gols Hand zusammen.
"Nicht so schnell, Großer. Das gute Stück liegt wohl verwahrt bei mir unterm Bett. Ganz unter uns: Meine Besucher interessieren sich mehr dafür, was auf dem Bett geschieht!"
Lineera wandte sich ab und beobachtete das zwielichtige Treiben, während Gol nur die Augenbraue hob.
"Amüsant. Willst du dein Geld?"
Forx beugte sich vor.
"Genau. 1500 Goldstücke, wie vereinbart."
"1000. Und auch erst gegen die Ware."
"Aber..."
Gol wandte sich um.
"Wie kann ich sicher sein, dass du...", höhnisch musterte er Forx in seiner bescheidenen Größe, "so etwas Wertvolles überhaupt erlangt hast? Und 1000 aufgrund deiner Verspätung."
"Pirat! Ich werde schon jemand anderen finden, der..."
"Klar. In der Stadt wirst du sicher genügend ehrliche Leute finden, die dir solch kostbares Stück abkaufen. Wahrscheinlicher ist, dass sie dich an die Priester verpfeifen, um die Belohnung zu kassieren. Bis heute Abend dann, Kleiner." Damit war er verschwunden.
Wütend drehte Forx sich um und stürmte davon, während Lineera ihm schweigend folgte.

Entmutigt warf Forx sich ins Gras. Lineera setzte sich neben ihn und schaute auf den Fluss, der sich ruhig durchs Tal schlängelte. Der Lärm der Stadt war hier kaum noch zu hören.
"Irgendwie hab ich dich ja schon mal dran erinnert, dass du dauernd be...trogen wirst..."
Der Halbling unternahm einen halbherzigen Versuch, sie mit einem Grasbüschel zu bewerfen.
Ihm fiel noch nicht einmal eine Erwiderung ein. "Und was schlägst du nun vor?"
Lineera grinste. "Die Krone zurückbringen."
Sofort war Forx wieder bei sich.
"WAS?!"
"Naja, wir brauchen sie ja eh nicht. Und sie diesem Gol geben..."
"Weißt du eigentlich, was du da redest? Wie du gearbeitet hast..."
"Auf einmal..."
Forx sah sie an. "Noch mehr so tolle Vorschläge..."
"Naja, wir könnten nächstes Mal gleich aufschreiben, wer was bekommt. Einen Vertrag aufsetzten oder so. Dann gibt`s keinen Streit mehr."
"Oh, klar doch. Wir schreiben auf, wen wir worum erleichtern. Und wenn jemand den Zettel findet... Da fällt mir ein: Kannst du überhaupt schreiben?"
"Nein, wieder eine Sache, die du mir nicht beibringen konntest..."
Beleidigt wandte sich der Halbling ab.
Lineera seufzte. Sie wusste selbst nicht, woher sie diese Ideen hatte. Aber die Krone war zu schön, um sie so jemandem wie diesem Piratenkapitän zu geben. Vorsichtig nahm sie sie aus der Tasche und reichte sie Forx.
"Hier. Du wolltest sie doch noch mal sehen."
Er nahm sie vorsichtig. "Ja. Danke..."
Er war ganz begeistert und drehte sie so, dass das Licht immer wieder anders auf die Juwelen fiel.
Welch ein Glück, dass außer uns niemand hier ist, dachte Lineera und beobachtete ihn schmunzelnd.
Sie sah wieder zum Fluss und stellte fest, um wie viel schöner dieses natürliche Glitzern doch war. Lineera seufzte und überlegte, wie ihre Zukunft nun aussehen würde. Weit kam sie mit ihren Überlegungen jedoch nicht.
Lineera spürte, wie sie von etwas Schwerem in den Rücken getroffen wurde.
Lass den Gegner nie über dich kommen! hörte sie Forx´ Stimme von früheren Lektionen im Kopf.
Sie ließ sich vorfallen und ihr Angreifer wurde vom eigenen Schwung überrascht. Er taumelte, sie fasste nach hinten, griff in festen Stoff und zog nach vorne. Gleichzeitig duckte sie sich tief, sodass ihr Gegner nun über sie fiel und hart auf dem Rücken landete. Sofort saß sie auf seiner Brust, hatte das kleine Messer aus seiner Hand gewunden und hielt es ihm an die Kehle.
Irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Natürlich! Der junge Priester aus dem Tempel. Er war ihnen gefolgt, Forx hatte ihn gesehen und über den Ärger mit Gol hatten sie ihn wieder vergessen.
Sie ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken, doch dem Priester stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Er riss die Augen auf und keuchte: "Eine Frau!"
Forx kniete schon neben ihm und konnte sich seine Bemerkung nicht verkneifen: "Ja, genau. Und sie ist schrecklich begabt und dabei noch so hübsch anzusehen..."
Lineera ignorierte ihn und starrte auf Merinon hinunter.
"Was willst du?" Doch sie unterbrach sich gleich darauf wieder. "Welch eine Frage. Der Priester sucht seine Krone. Mit dem lächerlichen Käsemesser..."
Sie nahm Maß und warf es in einen nahen Baum, wo es zitternd stecken blieb.
"Eine Diebin! Wieso..."
"Na wieso wohl... wir brauchen Geld und da hat dieser überaus kluger Halbling mir einen sehr gut bezahlten Auftrag besorgt."
Nur Forx erkannte den leicht sarkastischen Unterton.
Der junge Priester betrachtete die Diebin, die auf seiner Brust saß, genau. Während seines stümperhaftem Angriffs war ihre Kapuze nach hinten gerutscht und ihr Gesicht wurde nun von langen dunklen Locken umrahmt. Die grünen Augen funkelten ihn weder bedrohlich noch wütend an, eher ein wenig belustigt. Das gab ihm Mut für seine nächsten Fragen.
"Was hast du nun vor?"
Er beachtete den Halbling, der die Krone nun sorgfältig einsteckte, nicht mehr und wandte sich nur an die Frau. Irgendwie hatte er es nicht eilig, sie zu bitten, sich zu erheben.
Lineera runzelte die Stirn und bemühte sich um einen ernsten Gesichtsaudruck.
"Entweder bringe ich dich gleich hier um, oder verrate der Gilde, dass jemand einem Dieb in die Quere gekommen ist."
Sie bluffte und wusste, dass die Gilde sich kein bisschen darum kümmerte, ob es einen Dieb mehr oder weniger gab, solange ihre engsten Mitglieder verschont blieben.
Merinon wurde ein wenig blass, denn trotz allem hing er an seinem Leben. Jetzt kommt´s auch nicht mehr drauf an, dachte er.
"Gilde...?"
"Junge, du weißt aber auch gar nichts über die Stadt, in der du lebst... Du lebst bestimmt zurückgezogen wie ein... Priester eben."
Sehr zu Merinons Ärger mischte sich der Halbling wieder ins Gespräch ein. Eine klare Antwort erhielt er trotzdem nicht. Der junge Mann wandte den Kopf und erkannte die Krone als Ausbuchtung unter dem Mantel mit den auffällig vielen Taschen besetzten Mantel.
"Ach, Lineera, vielleicht solltest du langsam mal wieder aufstehen, bevor unser junger Freund hier..."
Forx machte eine vielsagende Geste mit dem Zeigefinger. Trotz seines Lebens im Tempel wusste Merinon sie zu deuten und lief rot an.
Lineera unterdrückte ein Grinsen und erhob sich aufreizend langsam. Der Priester setzte sich auf und strich über seinen alten Umhang. Forx ließ sich ihm gegenüber nieder und starrte ihm in die Augen.
"Also, jetzt stelle ich mal die Fragen, und du antwortest."
Der Priester wollte widersprechen, dass er doch überhaupt keine vernünftigen Antworten erhalten hatte, schwieg aber. Zu gern hätte er sich der Diebin zugewandt, die hinter ihm das Messer aus dem Baum zog. Doch er vermochte seinen Blick nicht von den schwarzen Augen des Halblings loszureißen.
"Wie hast du uns gefunden? Und warum bist du uns allein gefolgt?"
Die Augen der kleinen Gestalt brannten sich förmlich in Merinons Kopf. Er suchte nach einer Notlüge, doch ihm fiel nichts ein. In seinem Schädel schien nur die wahre Geschichte herumzuschwirren.
Lineera setzte sich neben Forx und beobachtete den Priester aufmerksam. Dieser drehte kurz den Kopf zu ihr, wandte sich sofort wieder ab und begann zu erzählen.
"Ich... ich war in der Bibliothek, als ich vom Diebstahl erfuhr. Sofort wollte ich zum Haupteingang, um den Dieb zu fassen, wenn möglich. Der Oberste Priester unseres Tempels brachte mich zum Überlegen. Der Dieb werde wohl kaum an den Wachen vorbei gekommen sein und so verließ ich den Tempel durch die Küche. Im Vorbeigehen schnappte ich mir den alten Mantel und das Messer. Draußen sah ich eine schwarzgekleidete Gestalt in eine Gasse laufen. Ich bin ihr gefolgt, bis sie auf eine weitere stieß. Dann bin ich euch über den Markt bis zum Hafen gefolgt, und habe hier schließlich mein Glück versucht. Wenn ich die Krone hier nicht bekommen hätte, wär´s mir woanders auch nicht gelungen.
Aber...", wieder sah er für einen Moment zu Lineera, "nie habe ich geglaubt, dass dieser geschickte Dieb eine Frau ist. Mich interessiert noch: Ich habe in der Bibliothek einen Schatten durch das Fenster huschen sehen. Warst du das?"
Lineera zuckte erst mit den Schultern und nickte dann. "Ja. Du hast Glück gehabt, dass du mich überhaupt noch gesehen hast. So etwas passiert mir sonst nicht."
Forx lehnte sich an einen großen Stein und dachte nach. "Ist ja alles schön und gut. Aber was machen wir jetzt mit der Krone?"
Verzweifelt lehnte Merinon sich vor. "Gebt sie mir zurück. Lineera hat doch gesagt, dass ihr sie nicht verwenden könnt."
Lineera zuckte beim Klang ihres Namen aus dem Mund des Priesters zusammen. Woher...? Natürlich... Forx hatte seine Klappe ja nicht halten können.
Sie ließ sich nichts anmerken und sagte: "Und was haben wir davon?"
"Ich würde niemandem etwas von euch erzählen..."
Forx unterbrach ihn interessiert. "Ihr Diener der Götter dürft lügen?"
Merinon schüttelte den Kopf. "Das geht schon in Ordnung, wenn ich den Göttern ihre Krone zurückbringe."
"Das Problem hätten wir nicht, wenn wir dich gleich umbringen würden... Und die Krone bringen wir Kapitän Gol."
"Forx!" Lineera schlug die Hand vor den Mund. Aus Gewohnheit hatte sie ihn mit seinem Namen zurechtgewiesen, weil er zuviel über ihre Pläne verrate hatte. Und nun kannte der Priester die Namen von allen Beteiligten.
Aber sie hatte nicht vor, ihn umzubringen.
Also mussten sie auf den Handel eingehen. Ein gewisses Risiko war schließlich immer dabei. Lineera wandte sich an den jungen Priester.
"Ich habe eine bessere Idee. Dein Tempel kauft uns die Krone wieder ab."
"Aber..."
Forx beachtete Merinon nicht und nickte anerkennend in Lineeras Richtung.
"Das ist gut. Wir verlangen 2000 Goldstücke."
"WAS?! Seid ihr denn..."
"Na, na, ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, zu verhandeln."
Merinon sackte ein wenig zusammen.
"Ich kann darüber nicht bestimmen. Da müsste ich erst zum Tempel zurückkehren und..."
"Ja, klar. Und wir warten hier auf unsere Verhaftung..."
"Ähm, Forx, irgendwie muss er doch die Nachricht überbringen", erinnerte Lineera ihn sanft.
"Oh, stimmt." Der Halbling überlegte einen Augenblick angestrengt.
"Na gut, folgendes: Du holst das Gold, wir verstecken die Krone, sodass es gar keinen Sinn macht, uns zu verraten und wenn wir es haben, geben wir dir die Krone zurück, alles klar?" 
Merinon nickte langsam.
"Ja. Und wo...?"
"Komm einfach heute nacht in die Schalk-Gasse. Da treibt sich um die Zeit niemand mehr herum. Wir finden dich dann schon. Und jetzt geh."
Merinon erhob sich und lief mit einen letzten Blick auf die Diebin zum Tempel zurück.
Lineera stand auf und zog dann den Halbling auf die Beine.
"Und wo willst du die Krone jetzt verstecken?"
"Unter meinem Bett natürlich."
Dann lachte Forx laut los.
"Ne, ich behalt sie einfach. Das Priesterchen wird dich doch niemals verraten. Hast du seine Blicke bemerkt..."
Schweigend zog Lineera den vor sich hin prustenden Halbling hinter sich her zu seinem Zimmer in der Schalk-Gasse.

Die Schatten der Nacht verhüllten beinahe auch die schlanke Gestalt in der engen Gasse. Forx deutete auf sie und murmelte: "Immerhin ist er pünktlich... und allein, wie ich dir gesagt habe.  Gehen wir."
Merinon schrak fast unmerklich zusammen, als die schwarzgekleidete Diebin und der Halbling aus dem Schatten hervortraten. Forx grinste breit.
"Sieh an. Wenn´s um Reliquien geht, hat auch der Tempel wieder Geld."
Der Priester überging diese Anspielung und fragte: "Wo ist die Krone?"
"Keine Panik, Kleiner."
Sowohl Lineera wie auch Merinon sahen den Halbling seltsam an. Ihn schien das nicht zu stören.
"Erst gibst du mir das Geld, und dann kriegst du dein Schmuckstück."
Fordernd streckte er die Hand aus. Seufzend ließ der Priester zwei prall gefüllte Säcke in seine Hand fallen.
"Gut so. Wird wohl ´ne Weile dauern, bis ich’s nachgezählt habe. Bis dann!"
"Was soll das? Gib mir die Krone, du... Ich..."
Aber der Halbling war schon im Dunkeln verschwunden. Plötzlich legte Lineera ihm ihre Hand auf den Arm.
"Keine Sorge. Ich bleibe solange bei dir. Wir gehen zusammen zum Flussufer, wo wir heute morgen waren, und da bekommst du die Krone."
Er nickte und sie gingen langsam durch die Straßen. Schließlich stellte Merinon die Frage, die ihn schon seit heute morgen keine Ruhe ließ.
"Warum stiehlst du, Lineera?"
"Was soll ich denn sonst machen?", fragte sie zurück. "Vielleicht arbeiten? Welche Arbeit für eine Frau würde so gut bezahlt werden, dass ich davon leben könnte?"
Sie lachte leise. "Nein, Diebstahl ist das einzige Handwerk, das ich beherrsche. Und dank dir bin ich heute dadurch reich geworden."
Sie schwiegen eine Weile und noch immer lag ihre Hand auf Merinons Arm.
"Dieser Halbling – Forx – nervt er dich nicht manchmal?"
"Manchmal? Schon, aber ich habe mich daran gewöhnt. Weißt du, er..."
Sie hielt inne, weil sie sich nicht sicher war, ob sie ihm das erzählen wollte. Aber seine Anwesenheit beruhigte sie auf seltsame Weise.
"Er hat mich gefunden, nachdem meine Mutter mich ausgesetzt hatte. Ich war so klein, ich kann mich nicht an sie erinnern... Also nahm er mich auf, obwohl er nicht der erfolgreichste Dieb war. Und er nahm sich viel Zeit für meine... Ausbildung. Und seit einiger Zeit stehle ich für uns beide. Das habe ich jetzt wohl nicht mehr nötig. Du siehst aber, es wäre ungerecht, ihn allein zu lassen.
Und was ist mit dir? Wie bist du Priester geworden?"
Merinon war dankbar, dass sie an seiner Vergangenheit – und somit an ihm – Interesse zeigte. 
"Meine Geschichte ist auch nicht erfreulicher. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und so erzogen mich Vater und mein älterer Bruder. Mehr Verwandte habe ich – glaube ich – nicht. Als ich neun war, wurden beide auf dem Rückweg vom Bäcker überfallen und getötet – wegen einem Laib Brot und zwei Kupferlingen...."
Er ließ nicht zu, dass seine Augen sich mit Tränen füllten, wegen einer Geschichte, die über zehn Jahre in der Vergangenheit lag. Doch Lineera spürte seinen Kummer und drückte ihm mitfühlend die Hand.
"Ich bettelte ohne Erfolg, auch vor dem Tempel. Sie nahmen mich auf. Zuerst dachte ich, es geschah aus Mitleid, doch heute weiß ich, dass es geschah, weil der Tempel im Ruf stand, sich nicht genügend um Bedürftige zu kümmern. Ich wurde zum Vorzeigeobjekt der Priester. Doch ich nahm die Gelegenheit wahr und lernte lesen, schreiben und andere wichtige Sachen. Irgendwann..."
Merinon brach ab, weil er nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Lineera zögerte, doch sie beschloss dann, dass ihre Bitte nicht unpassend war.
"Bringst du es mir bei?"
"Was soll ich dir beibringen?"
"Lesen und schreiben. Ich habe sogar..." Sie kramte kurz in ihren Taschen und gab ihm dann einen kleinen Gegenstand. "...ein Buch!"
Er nahm es und erkannte es sogar im Dunkeln, was ihn zum Lachen brachte.
"Die Kleine Kräuterkunde! Da hast du dir ja so ziemlich das wertloseste aus unserer ganzen Bibliothek ausgesucht! Was für eine Diebin!"
Sie war dankbar für die Dunkelheit in der er nicht sehen konnte, wie sie rot wurde.
"Und?"
Er nickte schließlich.
"Aber gerne bringe ich dir das Lesen bei."
"Danke!"
Beide gingen schweigend weiter und verarbeiteten das Gehörte. Schließlich erreichten sie das Flussufer und starrten auf das Wasser. Wie sich am morgen noch die Sonne darin gespiegelt hatte, so schimmerte nun sanft der Vollmond auf den Wellen. Der Priester und die Diebin setzten sich ins Gras und Merinon legte vorsichtig den Arm und ihre Schultern. Lineera lehnte sich an ihn, bis sie ein Rascheln vernahm. Einen Moment später stand der Halbling vor den beiden und räusperte sich. Zögernd erhob Merinon sich und nahm die Krone entgegen. Leise sagte er: "Ich werde jetzt gehen, bevor die im Tempel mich suchen... Werde ich dich wieder sehen?"
Flehend richteten sich seine goldenen Augen auf Lineera. Sie nickte.
"Spätestens wenn es im Tempel das nächste Heiligtum zu stehlen gibt." Sie grinste schief
"Ich werde hier auf dich warten."
Er nickte und verschwand dann leise in der Dunkelheit.
Eine Weile ließ Forx Lineera noch am Ufer sitzen, dann hielt er es nicht mehr aus.
"Komm schon, unser Geld liegt zuhause. Wir sind jetzt reich und das geschah schneller als bei vielen anderen zuvor. Wir haben`s nicht mehr nötig, hier im Kalten zu hocken."
Mit diesen Worten marschierte er voraus in Richtung Stadt. Seufzend folgte Lineera ihm.

Zwei Tage später lief Lineera mit einer für sie ungewohnten Eile aus der Stadt und ließ sich ins Gras fallen. Schweigend starrte sie auf den Fluss und rupfte gedankenverloren Grashalme aus dem Boden. Plötzlich fühlte sie eine Hand auf der Schulter und erschreckt sprang sie auf.
"Warum so schreckhaft?"
Merinon sah müde aus. Beruhigt setzte sie sich wieder und er nahm neben ihr Platz.
"Geld allein macht nicht glücklich, habe ich festgestellt."
Lineera seufzte und mitfühlend nahm er sie in den Arm.
"Was machst du eigentlich hier?"
"Ich habe mich freiwillig gemeldet, in der Küche zu helfen, damit ich mal rauskomme. Aber was ist denn passiert?"
Sie holte tief Luft, bevor sie zu erzählen anfing.
"Nachdem ich das Geld erhalten hatte, ging ich mit Forx am nächsten Tag zur Gilde und bezahlte meinen... Beitrag. Das war alles kein Problem, aber sie wurden neugierig, woher wir soviel Gold hatten. Und am nächsten Abend mussten wir feststellen, das Kapitän Gol seine Niederlage doch nicht so gut verkraftet hatte, wie wir dachten. Er hat überall in der Stadt verkündet, dass derjenige, der ihm die Diebe der Krone bringt, eine Belohnung erhält. Das Geld, mit dem er uns vorher bezahlen wollte...
Und so erhielten wir gestern Abend Besuch von zwei Kerlen, aber wir waren schneller... Doch Forx ist sich sicher, dass noch mehr kommen werden."
Mitfühlend drückte Merinon ihre Hand und schwieg eine Weile, bevor er zu sprechen begann.
"Lineera, es ist irgendwie seltsam. Obwohl du die Krone des Göttervaters gestohlen hast und ich dich ohne zu wissen, wer du bist, verfolgt habe mit dem Ziel, dich zu bestrafen, kam alles ganz anders. In den letzten Tagen habe ich immer wieder nach dir Ausschau gehalten, um dir zu sagen, was mir klar geworden ist. Ich liebe dich."
Lineera sah ihn an und fühlte sich für einen Moment rundum glücklich. Dann lächelte sie und fragte: "Dürfen Priester das überhaupt?"
"Ähh... Nein... Aber ich wurde ja auch nicht gefragt, ob ich Priester werden will."
"Ich muss dir auch etwas sagen."
Seine Augen blitzten erwartungsvoll.
"Was denn?"
Sie blickte ihn an und Tränen schimmerten in ihren Augen.
"Es tut mir Leid, Merinon, aber ich werde die Stadt verlassen."
Sie erhoben sich und er starrte sie sprachlos an.
"Nein... "
Lineera unterbrach ihn, indem sie in sanft auf den Mund küsste.
Dann lief sie zurück zur Stadt, ohne sich noch mal umzudrehen. Sie hatte ihm nicht sagen können, wie sehr sie ihn liebte. Obwohl sie ihn erst so kurz kannte, weckte er mehr als sonst jemand den Wunsch nach Halt, Sicherheit und Ruhe. Sie hatte ihn kennen gelernt und seine Ausstrahlung hatte sie verzaubert. Und nun hatte er ihr noch seine Liebe gestanden, und trotzdem konnte sie nicht bleiben. Lineera redete sich ein, dass es ihren Abschied nur noch schwerer gemacht hätte. Rasch schlüpfte sie durch mehrere Gassen, bis sie vor einem kleinen Haus stand. Das Haus in der Schalk-Gasse war zu unsicher geworden und so wohnten sie und Forx nun seit kurzem bei einer alten Frau. Entschlossen rannte sie ins obere Geschoss, wo sie mit Forx wohnte. Der Halbling lag auf einer kleinen Matratze und fragte mitfühlend: "Und? Hast du nun Abschied genommen?"
Sie nickte leicht und Forx sprang auf.
"Gut. Dann nimm deine Sachen, wir gehen."
Sie nahm ihren schwarzen Umhang, hängte sich eine kleine Tasche um und schulterte einen schweren Rucksack. Bevor sie gingen, legte der Halbling noch drei Kupferlinge auf den Tisch der alten Frau, um sie zu bezahlen.
Schweigend gingen sie durch die Straßen, immer wachsam. Lineera wandte sich an Forx.
"Wo werden wir hingehen?"
Er zuckte unbekümmert die Schultern.
"Keine Ahnung. Erst mal raus aus der Stadt, dann südwärts und in der nächsten größeren Stadt, wo uns keiner kennt, kaufen wir uns ein Haus. Oder jeder eins, wie du willst. Und dann kannst du auch dein Priesterchen vergessen..."
Doch hiermit hatte er das Falsche gesagt. Lineeras Gesicht, das sich während seines Vortrags ein wenig aufgeheitert hatte, verschloss sich bei seinen letzten Worten wieder.
Ohne auch nur noch ein weiteres Wort zu wechseln, gingen sie weiter und gegen Mittag verließen ein Halbling mit leicht nachziehendem Bein und eine Frau mit unglaublich traurigen grünen Augen die Stadt der Diebe in Richtung Westen.

Drei Tage lang saß ein Priester seine Strafe im Keller ab, weil er als Küchendienst zwei Stunden auf dem Markt gewesen war ohne auch nur die Kartoffeln mitzubringen. Doch am dritten Tag wurden seine Bitten erhört und er wurde zum Obersten des Tempels gebracht. Er kniete vor seinem Lehrer nieder und sprach:
"Oberster unseres Tempels, nach gründlichsten Überlegungen in den letzten Tagen bin ich zu dem Schluss gekommen, Euch um etwas zu bitten. Ich möchte dem Tempel weiterhin dienen, nur will ich dies fortan als Wanderprediger tun. Ich bitte darum, die Stadt verlassen zu dürfen, um überall im Land die Worte der Götter zu verbreiten. Und um der Bevölkerung das Lesen und Schreiben beizubringen."
 

© Talea
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
www.drachental.de