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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Projekt-Story 2006 im Drachental gewählt!

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Das Drachenei von Alandra und Manharrah

Ruodger schlich durch die engen Gassen des berüchtigtsten Viertels der Stadt, was bei dieser Stadt allerdings einiges heissen wollte. Im ganzen Land war Seestadt berüchtigt wegen ihrer Vergnügungsviertel und ihrer Armut. In ganz Seestadt war das dritte Viertel im zweiten Stadtring wegen seiner Bettler, seinem Schmutz und der Armut berüchtigt. Kaum einer ging freiwillig dorthin. Angewidert wich Ruodger einem alten Mann aus, der gestorben war, ohne dass ihn jemand zu vermissen schien. Einige hundert Meter weiter war er an seinem Ziel angelangt. Verstohlen klopfte er an eine niedrige Türe, die sich darauf einen Spaltbreit öffnete.
Ein graublaues Auge blickte Ruodger an. Es weitete sich überrascht. "Ihr?" fragte eine Stimme verwundert.
Die Türe öffnete sich gerade weit genug, dass Ruodger hindurch treten konnte. Im Inneren war es überraschend sauber. Ruodger atmete den Geruch nach Sommerblumen tief ein. Das junge Mädchen, das ihm geöffnet hatte, stand schüchtern neben der Tür und sah ihn an.
Er wandte sich ihr zu. "Samita! Es tut mir leid, dass ich erst jetzt komme, aber ich wurde unterwegs aufgehalten und... Stimmt etwas nicht?" Während er geredet hatte, war sie in Tränen ausgebrochen. Zögernd ging er einen Schritt auf sie zu. "Was... Was ist los?" fragte er verwirrt. Er hatte mit Überraschung und sogar mit Ablehnung gerechnet, was nach seinem letzten Besuch kein Wunder gewesen wäre. Aber diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Mit einem Mal fiel ihm auf, dass das kleine Wohnzimmer irgendwie ruhiger war als bei seinen früheren Besuchen. "Wo ist Tarok?"
Samita schüttelte weinend den Kopf.
Beruhigend schloss Ruodger sie in die Arme. "Was ist mit ihm?" fragte er noch einmal.
"Er... er ist... tot... Ruodger... einfach tot..." schluchzte sie.
Er wiegte sie in seinen Armen. Das hatte er befürchtet. Schon das letzte Mal, dass er ihn gesehen hatte, hatte Tarok nicht gut ausgesehen. Er hatte Keuchhusten gehabt, aber dass er daran sterben würde, hatte Ruodger nicht erwartet. Er schluckte, auf einmal befand sich ein dicker Kloss in seiner Kehle und schnürte ihm die Luft ab. "Wann..." Ruodger räusperte sich. "Wann ist er gestorben?" Erst dachte er, Samita würde nicht antworten, aber dann riss sie sich zusammen.
"Vor... vor fünf Tagen." schniefte sie. "Er war immer so... gesund... und dann... Aber ich habe euch noch gar nicht begrüsst." Sie löste sich aus seinen Armen und fuhr sich mit dem Ärmel ihres dunklen Trauergewandes übers Gesicht. "Welcher Wind hat euch hierher geweht, Ruodger?" fragte sie mit höflichem Interesse.
"Nun ja, ich brauche deine Hilfe. Ich hoffe, du bist immer noch so gut über die Geschehnisse in der Stadt informiert wie früher?"
"Natürlich!" antwortete sie, in ihrer Ehre gekränkt.
"Dann kannst du mir sicher viel über einen bestimmten Gast des Bürgermeisters erzählen?"
"Ihr meint Graf von Feuerstein? Er ist seit etwa einer Woche hier in der Stadt. Da er ein hoher Gast ist, wohnt er beim Bürgermeister, es heisst sogar, dass der Bürgermeister ihm für die Dauer seinen Aufenthaltes seinen eigenen Raum überlassen hat. Eine seiner Töchter angeblich auch, aber auf dieses Gerücht gebe ich persönlich nicht viel." sagte sie verächtlich.
"Und wieso nicht?" hakte Ruodger nach.
"Weil besagte Tochter nicht viel von Grafen hält, sie würde ihn niemals an sich heran lassen. Es wird erzählt, sie habe ein Auge auf einen der Stallburschen geworfen."
Ruodger knurrte unwillig. "Das interessiert mich nicht, wenn ich diese Art von Informationen gewollt hätte, hätte ich irgendeinen Tagedieb fragen können."
Samita lächelte wieder, sie war vollkommen in ihrem Element. "Natürlich. Das Interessante hab‘ ich mir ja auch für den Schluss aufgehoben." Mit wieder gewecktem Interesse schaute Ruodger auf. Samita holte mit einer dramatischen Geste tief Luft. "Wusstet ihr, dass der Bürgermeister... Geldsorgen hat? Der Graf hat Wind davon bekommen und ist hierher geritten, angeblich, um den Bürgermeister aus purer Freundschaft zu unterstützen. Aber aus einer verlässlichen Quelle weiss ich, dass er dem Bürgermeister einen... Vorschlag gemacht hat. Er kauft ihm ein Stück Land ausserhalb der Stadt ab, für mehr Geld, als es eigentlich wert wäre..." Samita schwieg bedeutungsvoll.
Ruodger nickte. "Weiss deine Quelle auch, wo dieses Stück Land liegt?" fragte er. Schon seit langer Zeit hatte er es aufgegeben, nach Samitas geheimnisvollen Quellen zu fragen, obwohl er da so eine Vermutung hatte...
"Nein. Aber vor einigen Tagen sind der Graf, der Bürgermeister und einige von den Söldnern des Grafen aus der Stadt geritten, in Richtung Westnordwest. Als sie zurückkamen, will eine andere Quelle gesehen haben, dass die Hufe der Pferde mit schwärzlichem Schlamm verschmutzt waren... Und das kann nur eines heissen: Sie waren bei den Schwarzquell-Sümpfen. Ich habe mir gedacht, dass dieses Stück Land wahrscheinlich dort liegt. Obwohl..." sinnierend blickte sie zu Boden.
"Obwohl das Land dort wirtschaftlich und strategisch unbrauchbar ist." beendete Ruodger ihren Satz. "Danke, Samita. Deine Auskünfte waren wieder einmal von unschätzbarem Wert für mich." Er warf ihr ein Säckchen mit klimperndem Inhalt zu.
Samita bedankte sich. "Bleibt ihr über Nacht hier? Dann kann ich euch schnell ein Bett in Taroks Kammer richten..." Sie wandte sich ab, damit Ruodger die Träne, die ihr über ihre Wange rann, nicht sah.
Dankend nahm Ruodger ihr Angebot an.
...geschrieben von Alandra
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Am nächsten Tag verabschiedete sich Ruodger von Samita. Mit schnellen Schritten lief er durch die Strassen von Seestadt, wobei er sorgsam darauf achtete, dass er nicht in den ersten Stadtring kam, denn er wollte nicht unbedingt von vielen Leuten gesehen werden und der erste Stadtring war sehr dicht bevölkert. 
Endlich war Ruodger am Hafen angekommen und setzte mit einem kleinen Boot irgendeines mehr oder weniger reichen Mannes aufs Ufer über. Dort wandte er sich nach rechts und lief auf einen Stall zu, der einem seiner Freunde gehörte. Als er in den Stall kam, fiel ihm sofort die eigenartige Stille auf. Normalerweise wieherten und stampften hier drinnen einige Dutzend Pferde und warteten darauf, geritten zu werden, doch heute waren alle Boxen leer. "Menon?", rief Ruodger. Keine Antwort. Mit gerunzelter Stirn lief Ruodger durch den Stall auf eine Tür am anderen Ende zu. Sie führte in den Wohnraum Menons. Ruodger klopfte. Nichts geschah. Besorgt drückte Ruodger ein Ohr an die Tür. Von drinnen erklang ein leises Weinen. "Menon, bist du da?" Das Weinen verstummte. Ruodger hörte Schritte, dann öffnete sich die Tür. Menon sah ihm entgegen. Seine Haare schienen ungepflegt, er hatte schwarze Ringe unter den Augen und sein sonst so schönes Gewand war zerrissen. "Was ist denn mit dir passiert? Wo sind deine Pferde?", wollte Ruodger wissen. Menon schüttelte den Kopf und sah sich gehetzt um. Dann winkte er Ruodger, er solle rein kommen. Ruodger trat ein und schloss die Tür hinter sich.
"Sie haben mir die Pferde weggenommen. Sie wollen nicht, dass die Leute der Seestadt auf den Pferden weg reiten. Ich weiß auch nicht, warum. Sie haben mich ruiniert!"
"Wo haben sie deine Pferde hingebracht?"
"Wahrscheinlich in den städtischen Stall, nicht weit von hier."
Ruodger nickte versonnen. Hinter seiner unbewegten Miene arbeitete sein messerscharfer Verstand auf Hochtouren. "Danke für die Information, Menon." Er zog einen weiteren klimpernden Beutel aus seinem Wams und gab es Menon, dann lief er aus dem Stall.
Der städtische Stall befand sich einige Meter weiter nördlich von Menons Stall. Vorsichtig schlich sich Ruodger näher, sobald der Stall in Sicht kam. Langsam spähte er um die Ecke, wich aber sogleich wieder zurück, als er die Wache sah, die vor dem großen Holztor stand. Einen Augenblick hielt Ruodger inne, nahm dann all seinen Mut und seine Kraft zusammen und stürzte aus seinem Versteck hervor. Er sprang den erschrockenen Wachmann von hinten an und drückte ihm auf die Gurgel. Der Mann japste nach Luft, wehrte sich und Ruodger musste seinen Griff lockern. Diesen Moment der Schwäche nutzte die Wache aus und drehte sich herum. Einen Augenblick lang gab es ein Gerangel, dann sank der Wachmann bewusstlos zusammen. Ein kräftiger Hieb Ruodgers auf seinen Hinterkopf hatte ihn ausgeschaltet. Einen Moment überlegte Ruodger, ob er den Mann umbringen sollte; wenn er aufwachte, würde er sicher gleich dem Bürgermeister Bericht erstatten, das wäre das Aus für Ruodger. Er war dem Bürgermeister nicht unbekannt. Doch dann siegte der Mensch in Ruodger und er schleppte den Bewusstlosen in ein nahes Gebüsch, das einen Abhang verdeckte, fesselte und knebelte die Wache und ließ sie dann den Abhang hinunter rollen. Die Hellebarde, die der Wachmann bei dem Gerangel verloren hatte, warf Ruodger ihm hinterher. Nach beendeter Arbeit wandte Ruodger nun seine Aufmerksamkeit auf das große Scheunentor, das den Eingang zum städtischen Stall bewachte. Es war unverschlossen, als Ruodger sanft dagegen drückte, und zu seiner Erleichterung waren die Scharniere frisch geölt. Drinnen schlug ihm ein durchdringender Pferdegestank entgegen. Der Stall war überfüllt. Es schien so, als habe der Bürgermeister nicht nur Menons Pferde beschlagnahmt. Schnell schlich Ruodger die Reihen der Pferde entlang, bis er zu einem besonders kräftigen Pferd gelangte, das er losband und hinaus führte. 
Draußen vor dem Stall war noch immer alles ruhig. Ruodger bestieg das Pferd und jagte mit ihm zu den Schwarzquell-Sümpfen davon.
Nach ungefähr einer Stunde permanenten Reitens hatte Ruodger den Sumpf erreicht. Er stieg ab und schlich sich, die spärlichen Gebüsche als Deckung nutzend, den Sumpf entlang. Einmal bemerkte er eine weitere Wache, doch er versuchte nicht einmal, sich mit ihr anzulegen. Leise schlich er weiter, bis er zu einem großen Felsblock gelangte, der steil in den Sumpf hinein ragte. Rasch kletterte er hinauf. Oben angekommen blickte er vorsichtig über den Rand des Felsens in den Sumpf hinaus. Das modrige Wasser blubberte, als würde es kochen und weit vorne, auf einem kleinen Hügel mitten im Sumpf lag ein riesiges Nest. Ruodger musste nicht lange überlegen, bevor er wusste, was es war. Ein Drachennest. Vor Aufregung wäre Ruodger beinahe vom Felsen gestürzt. Krampfhaft klammerte er sich am Felsen fest. Als er wieder Halt gefunden hatte, kletterte er hinab und machte sich auf die Suche nach einem Pfad, der ihn in die Mitte des Sumpfes führen würde. Er war schnell gefunden. Im feuchten Boden am Rande des Sumpfes waren ganz deutlich die Spuren vieler Pferdehufe zu sehen, die in den Sumpf hinein führten. Ohne zu überlegen ging Ruodger den Spuren nach, den Blick fest auf den unsicheren Boden gerichtet, immer mit der Vorstellung, er könnte in den Sumpf hinein fallen.
Ruodger merkte überhaupt nicht, wie weit er bereits gekommen war, bis er vor dem Hügel stand, auf dem das Nest lag. Er kletterte den schlüpfrigen Hang hinauf bis er zu dem großen Nest kam. Als er es erreicht hatte, wusste er sofort, warum der Graf von Feuerstein dieses Gebiet gekauft hatte. Im Nest lag ein Ei, groß wie ein menschlicher Kopf und von brauner, scheckiger Farbe, in Erwartung darauf, dass aus ihm ein kleiner Drache schlüpfen würde...

...geschrieben von Manharrah
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"Verdammt!" murmelte Ruodger. Er hätte es wissen müssen. Wenn es nicht das offensichtlich wertlose Sumpfgebiet war, musste es etwas sein, was in diesem Sumpf war. "Aber ausgerechnet ein Drache..." Am liebsten hätte er das Ei sofort zerstört, wenn er damit nicht sein Todesurteil unterzeichnet hätte. Wo ein Nest war, war die Drachin nicht weit. Und Drachen hatten einen ausgezeichneten Geruchssinn. Sie würde den, der ihrem Ei etwas antat, so lange verfolgen, bis sie ihn getötet hätte oder von ihm getötet wurde. Und obwohl Ruodger schon ein oder zwei Drachen getötet hatte, hatte er keine Lust darauf, gegen ein ausgewachsenes, wütendes Drachenweibchen zu kämpfen. So schnell er konnte lief er an der Wache vorbei zurück zu seinem Pferd. Er stieg auf und spornte sein Pferd zum Galopp an.

Als sie bei Menons Stall ankamen, stand dem Pferd Schaum vor dem Maul. Hastig versorgte er das Tier und rannte in den zweiten Stadtring, zu Samita. Für gewöhnlich vermied er es, sie in seine Pläne einzuweihen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Aber jetzt brauchte er Hilfe. Ungeduldig klopfte er an ihre Türe. Niemand öffnete. Angst beschlich ihn. Er trat die Türe ein. Drinnen bot sich ihm ein schrecklicher Anblick. Die wenigen Möbel lagen zerschmettert und verstreut herum, die selbst gestickten Wandbehänge, mit denen Samita die Wände ihrer Wohnung geschmückt hatte, waren zerfetzt worden und die Wände dahinter, genau wie der Boden, stellenweise aufgerissen. "Oh Nein! Samita!" rief Ruodger. Er erhielt keine Antwort. Zwei Stufen auf einmal nehmend rannte er die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Er fand sie im Zimmer, das sie für ihn vorbereitet hatte. Sie lag reglos am Boden, ihr langes, fuchsrotes Haar verklebt mit Blut. Mit einem Schrei stürzte er auf sie zu. Sie atmete kaum, aber wenigstens lebte sie noch. Vorsichtig hob er sie hoch und legte sie auf sein Bett. Sie stöhnte. "Götter, was haben sie dir angetan?" flüsterte er heiser.

Den ganzen Tag lang wich er nicht von ihrer Seite, bis sie am Abend aufwachte. "Ruodger, was macht ihr hier?" fragte sie leise.
Er lächelte sie an. "Ich kümmere mich um dich, was denn sonst?" Dann wurde er wieder ernst. "Was ist geschehen?" fragte er Samita.
"Etwa eine Stunde nachdem ihr gegangen seid, kamen Soldaten des Grafen und fragten nach Ruodger von Elfenquell. Ich antwortete, dass ich diesen Namen noch nie gehört hatte. Da schlugen sie mich. Ich fiel zu Boden und schlug mir den Kopf an. Mehr weiss ich nicht. Aber wieso suchen euch Soldaten des Grafen?" Mit grossen Augen schaute sie Ruodger an.
Dieser antwortete nicht sofort. Nachdem was heute passiert war, wusste er nicht, ob er Samita wirklich ins Vertrauen ziehen sollte. Andererseits brauchte er Hilfe. "Ich bin, wie du weisst, Spion des Königs. Der König macht sich Sorgen über den Grafen und hat mich geschickt, um herauszufinden, was unser lieber Graf vorhat. Heute Morgen hab ich es herausgefunden. Das Land, das er gekauft hat, darauf brütet eine Drachin."
Was das bedeutete, musste Ruodger Samita nicht erklären. Eine Drachin legte in ihrem gesamten Leben nur ein Ei, und das kurz vor ihrem Tod. Das Junge wächst alleine auf und ist Gebietsgebunden, das heisst, es hat das selbe Revier wie seine Mutter. Und da nach den herrschenden Gesetzen alle lebenden Wesen dem gehören, auf dessen Gebiet sie sich befinden, gehörte dieser Drache nun dem Grafen. Und der, dem ein Drache gehört, der darf ihn auch zu jeglichem Zweck erziehen.
"Das... das wäre das reinste Mordwerkzeug in den Händen des Grafen!" rief Samita erschrocken.
"Und genau deshalb brauche ich deine Hilfe..." begann Ruodger.

...geschrieben von Alandra
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Samita lief durch die Strassen von Seestadt. Sie und Ruodger hatten abgemacht, den Grafen zu überwachen. Sie mussten wissen, was er mit dem Drachenei im Sumpf vorhatte. Je schneller sie es herausfinden würden, desto besser.
Sie zog den Umhang, den sie von Ruodger erhalten hatte, fester um sich und zog die Kapuze noch tiefer übers Gesicht, als sie an den Wachen vorbei kam, die den Eingang zum ersten Stadtring überwachten. Es war nur eine Vorsichtsmassnahme, denn Ruodger wollte nicht, dass man Samita erkannte. Sie konnte das verstehen, trotzdem war ihr mulmig zu mute, als sie an den Wachen vorbei ging. Sie hatte das Gefühl, dass sie in dieser Aufmachung nur noch verdächtiger wirkte.
Im ersten Stadtring angekommen wandte sie sich nach links und lief eine Weile auf den sauber geputzten Strassen herum, bis sie zu einem Wirtshaus kam, vor dem ein großer, grobschlächtiger Mann stand. Sie ging auf ihn zu und sprach ihn an, wobei sie ihre Stimme so tief wie möglich erklingen lassen wollte.
"Verzeihung, könnt ihr mir sagen, wo der Bürgermeister wohnt?"
Der Riese konnte. Samita ging weiter, an der nächsten Kreuzung wandte sie sich nach rechts und lief den sanft ansteigenden Weg hinauf. Oben angekommen stand sie am Rande eines großen Markts, am Fuße eines großen Hauses, das zweifellos dem Bürgermeister gehören musste. Sie ging eine Weile zwischen den Ständen herum. Auf einmal sah sie ihn. Zwei Stände weiter vorne stand der Bürgermeister in Begleitung eines gut gekleideten Mannes und scherzte mit einer Händlerin. Der Blick des Mannes, der ganz sicher der Graf war, wanderte über die Menge. Schnell wandte sich Samita ab und tat so, als würde sie sich eine Zwiebel ansehen und auf ihre Qualität prüfen. Als sie wieder aufsah, waren der Bürgermeister und der Graf verschwunden. Samita schalte sich wegen ihrer Unfähigkeit und machte sich auf die Suche nach den beiden. Sie musste sie finden, bevor Ruodger ihre Schicht übernehmen würde.

...geschrieben von Manharrah
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Nach einer knappen Stunde hatte sie die beiden endlich gefunden. Eigentlich wollte sie sich nur ausruhen und etwas essen, doch im Wirtshaus belauschte sie zufällig eine Unterhaltung zwischen einem hochgewachsenen, dunkel gekleideten Mann und einem kleineren Mann, der sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Der grössere der beiden zündete sich eine Pfeife an und betrachtete seinen Gefährten. "Nun, was wollt ihr?" fragte er.
Der Mann mit der Kapuze blickte sich erst um, bevor er antwortete. "Ich habe gehört, du bist ein Drachenbändiger? Kennst du dich mit Sumpfdrachen aus?" Dies war ganz eindeutig die Stimme des Bürgermeisters, Samita hatte schon mehrere seiner Reden gehört.
"Kommt darauf an." antwortete der andere gelassen.
"Auf was?"
"Na, darauf, was ihr bereit seid, zu zahlen..." er unterstrich seine Forderung mit einer unmissverständlichen Geste.
Nervös sah der Bürgermeister sich im Wirtshaus um und senkte seine Stimme, so dass Samita ihn kaum noch hörte. "Die genaue Summe kann ich dir nicht nennen, aber ich bin sicher, der Graf wird dich... ausreichend entlohnen."
Falls der Drachenbändiger bei der Erwähnung des Grafen erstaunt war, liess er sich das nicht anmerken. "Nun," sagte er und lehnte sich etwas vor, "was will... mein Auftraggeber wissen?"
"Das erfährst du, wenn du morgen früh am Rathaus, am Dienereingang bist."
Samita hatte genug gehört und ging raus um Ruodger zu suchen.

Als sie am vereinbarten Treffpunkt ankam, wartete er schon auf sie. "Und?" fragte er neugierig und umarmte sie kurz, denn sie hatten entschieden, dass ein verliebtes Pärchen weniger auffiel.
"Der Graf heuert durch den Bürgermeister einen Drachenbändiger an. Der Drachenbändiger soll sich morgen beim Dienereingang des Rathaus einfinden." antwortete Samita und küsste Ruodger leicht auf den Mund.
"Wo hast du das herausgefunden?" fragte Ruodger während er Samitas Hand ergriff.
Sie schenkte ihm einen verliebten Blick und antwortete: "In der Drachenhöhle, das ist ein Wirtshaus im vierten Viertel des ersten Stadtrings. Der Bürgermeister hatte sich verkleidet, aber seine Stimme habe ich erkannt."
Befriedigt nickte Ruodger. So etwas hatte er erwartet. Der nächste Schritt war es, den Drachenbändiger ausfindig zu machen. Den ganzen Tag verfolgte Ruodger ihn und am Abend, als der Drachenbändiger schon reichlich betrunken war, schlug er zu. Es tat ihm nicht gross leid um den Kerl, der das Gold über sein Gewissen stellte. Am nächsten Morgen würde Ruodger am Dienereingang warten...

...geschrieben von Alandra
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Am nächsten Morgen machte sich Ruodger auf den Weg zum Dienereingang. Er trug die Kleidung des Drachenbändigers, die er ihm nach dem Überfall abgenommen hatte.
Am Diensteingang angekommen wartete der Bürgermeister schon auf Ruodger, doch diesmal war auch der Graf dabei. Die drei Männer machten sich auf den Weg. Ruodger wusste, dass es zum Sumpf gehen würde, doch er tat so, als wüsste er es nicht.

Als sie beim Sumpf ankamen liefen sie eine Weile dem Rand des Sumpfes entlang, bis sie zu der Stelle kamen, wo Ruodger schon einmal in den Sumpf eingedrungen war. Es war ganz still während die Männer durch den unheimlichen Sumpf stapften, und nur ihre eigenen Schritte waren zu hören.
Bald schon erreichten sie den Hügel, auf dem das Nest des Drachen lag. Die Drachenmutter war nirgends zu sehen. Ruodger atmete innerlich auf. Wenigstens etwas, dachte er.
Der Graf baute sich nun vor dem Nest auf und sah Ruodger an. "Ich will, dass du den Drachen zum schlüpfen bringst.", forderte er.
Ruodger rührte sich nicht. Der Graf wiederholte seine Forderung, diesmal lauter. Ruodger blickte ihn an. "Das kann ich nicht.", sagte er und schob sich die Kapuze seines Umhangs in den Nacken.
"Verdammt, er ist kein Drachenbändiger! Das ist ein Betrüger!" rief der Graf wutentbrannt und zog sein Schwert. Der Bürgermeister tat es ihm nach. Gemeinsam drängten sie auf Ruodger zu. Doch auch er hatte ein Schwert dabei. Und noch ehe die beiden anderen zum ersten Streich ausholten, hatte Ruodger beide getötet. Einen Augenblick hielt er inne. Doch auf einmal spürte er etwas. Es wurde warm um ihn. Kräftige Böen warmen Windes wehten ihm in den Nacken. Langsam drehte er sich um. Vor ihm in der Luft schwebte eine riesenhafte Sumpfdrachin auf und ab. Ruodger fürchtete schon, dass sie ihn für einen Nesträuber hielt, doch dem war nicht so. Sanft landete sie auf der gegenüberliegenden Seite des Nestes. Demütig senkte die Drachin den Kopf. In dem Moment wusste Ruodger, dass die Drachenmutter ihm nichts tun würde. Kein Drache würde sich undankbar für eine Rettungstat zeigen. Und mit ihrem letzten Atemzug würde sie das ihrem Jungen mitgeben.

...geschrieben von Manharrah
© Alandra und Manharrah
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