Ruodger schlich durch die engen Gassen des
berüchtigtsten Viertels der Stadt, was bei dieser Stadt allerdings
einiges heissen wollte. Im ganzen Land war Seestadt berüchtigt wegen
ihrer Vergnügungsviertel und ihrer Armut. In ganz Seestadt war das
dritte Viertel im zweiten Stadtring wegen seiner Bettler,
seinem Schmutz und der Armut berüchtigt. Kaum einer ging freiwillig
dorthin. Angewidert wich Ruodger einem alten Mann aus, der gestorben war,
ohne dass ihn jemand zu vermissen schien. Einige hundert Meter weiter war
er an seinem Ziel angelangt. Verstohlen klopfte er an eine niedrige Türe,
die sich darauf einen Spaltbreit öffnete.
Ein graublaues Auge blickte Ruodger an. Es
weitete sich überrascht. "Ihr?" fragte eine Stimme verwundert.
Die Türe öffnete sich gerade weit
genug, dass Ruodger hindurch treten konnte. Im Inneren war es überraschend
sauber. Ruodger atmete den Geruch nach Sommerblumen tief ein. Das junge
Mädchen, das ihm geöffnet hatte, stand schüchtern neben
der Tür und sah ihn an.
Er wandte sich ihr zu. "Samita! Es tut mir
leid, dass ich erst jetzt komme, aber ich wurde unterwegs aufgehalten und...
Stimmt etwas nicht?" Während er geredet hatte, war sie in Tränen
ausgebrochen. Zögernd ging er einen Schritt auf sie zu. "Was... Was
ist los?" fragte er verwirrt. Er hatte mit Überraschung und sogar
mit Ablehnung gerechnet, was nach seinem letzten Besuch kein Wunder gewesen
wäre. Aber diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Mit einem Mal fiel
ihm auf, dass das kleine Wohnzimmer irgendwie ruhiger war als bei seinen
früheren Besuchen. "Wo ist Tarok?"
Samita schüttelte weinend den Kopf.
Beruhigend schloss Ruodger sie in die Arme.
"Was ist mit ihm?" fragte er noch einmal.
"Er... er ist... tot... Ruodger... einfach
tot..." schluchzte sie.
Er wiegte sie in seinen Armen. Das hatte er
befürchtet. Schon das letzte Mal, dass er ihn gesehen hatte, hatte
Tarok nicht gut ausgesehen. Er hatte Keuchhusten
gehabt, aber dass er daran sterben würde, hatte Ruodger nicht erwartet.
Er schluckte, auf einmal befand sich ein dicker Kloss in seiner Kehle und
schnürte ihm die Luft ab. "Wann..." Ruodger räusperte sich. "Wann
ist er gestorben?" Erst dachte er, Samita würde nicht antworten, aber
dann riss sie sich zusammen.
"Vor... vor fünf Tagen." schniefte sie.
"Er war immer so... gesund... und dann... Aber ich habe euch noch gar nicht
begrüsst." Sie löste sich aus seinen Armen und fuhr sich mit
dem Ärmel ihres dunklen Trauergewandes übers Gesicht. "Welcher
Wind hat euch hierher geweht, Ruodger?" fragte sie mit höflichem Interesse.
"Nun ja, ich brauche deine Hilfe. Ich hoffe,
du bist immer noch so gut über die Geschehnisse in der Stadt informiert
wie früher?"
"Natürlich!" antwortete sie, in ihrer
Ehre gekränkt.
"Dann kannst du mir sicher viel über
einen bestimmten Gast des Bürgermeisters erzählen?"
"Ihr meint Graf von Feuerstein? Er ist seit
etwa einer Woche hier in der Stadt. Da er ein hoher Gast ist, wohnt er
beim Bürgermeister, es heisst sogar, dass der Bürgermeister ihm
für die Dauer seinen Aufenthaltes seinen eigenen Raum überlassen
hat. Eine seiner Töchter angeblich auch, aber auf dieses Gerücht
gebe ich persönlich nicht viel." sagte sie verächtlich.
"Und wieso nicht?" hakte Ruodger nach.
"Weil besagte Tochter nicht viel von Grafen
hält, sie würde ihn niemals an sich heran lassen. Es wird erzählt,
sie habe ein Auge auf einen der Stallburschen geworfen."
Ruodger knurrte unwillig. "Das interessiert
mich nicht, wenn ich diese Art von Informationen gewollt hätte, hätte
ich irgendeinen Tagedieb fragen können."
Samita lächelte wieder, sie war vollkommen
in ihrem Element. "Natürlich. Das Interessante hab‘ ich mir ja auch
für den Schluss aufgehoben." Mit wieder gewecktem Interesse schaute
Ruodger auf. Samita holte mit einer dramatischen Geste tief Luft. "Wusstet
ihr, dass der Bürgermeister... Geldsorgen hat? Der Graf hat Wind davon
bekommen und ist hierher geritten, angeblich, um den Bürgermeister
aus purer Freundschaft zu unterstützen. Aber aus einer verlässlichen
Quelle weiss ich, dass er dem Bürgermeister einen... Vorschlag gemacht
hat. Er kauft ihm ein Stück Land ausserhalb der Stadt ab, für
mehr Geld, als es eigentlich wert wäre..." Samita schwieg bedeutungsvoll.
Ruodger nickte. "Weiss deine Quelle auch,
wo dieses Stück Land liegt?" fragte er. Schon seit langer Zeit hatte
er es aufgegeben, nach Samitas geheimnisvollen Quellen zu fragen, obwohl
er da so eine Vermutung hatte...
"Nein. Aber vor einigen Tagen sind der Graf,
der Bürgermeister und einige von den Söldnern des Grafen aus
der Stadt geritten, in Richtung Westnordwest. Als sie zurückkamen,
will eine andere Quelle gesehen haben, dass die Hufe der Pferde mit schwärzlichem
Schlamm verschmutzt waren... Und das kann nur eines heissen: Sie waren
bei den Schwarzquell-Sümpfen. Ich habe mir gedacht, dass dieses Stück
Land wahrscheinlich dort liegt. Obwohl..." sinnierend blickte sie zu Boden.
"Obwohl das Land dort wirtschaftlich und strategisch
unbrauchbar ist." beendete Ruodger ihren Satz. "Danke, Samita. Deine Auskünfte
waren wieder einmal von unschätzbarem Wert für mich." Er warf
ihr ein Säckchen mit klimperndem Inhalt zu.
Samita bedankte sich. "Bleibt ihr über
Nacht hier? Dann kann ich euch schnell ein Bett in Taroks Kammer richten..."
Sie wandte sich ab, damit Ruodger die Träne, die ihr über ihre
Wange rann, nicht sah.
Dankend nahm Ruodger ihr Angebot an.
...geschrieben von
Alandra
***
Am nächsten Tag verabschiedete sich Ruodger
von Samita. Mit schnellen Schritten lief er durch die Strassen von Seestadt,
wobei er sorgsam darauf achtete, dass er nicht in den ersten Stadtring
kam, denn er wollte nicht unbedingt von vielen Leuten gesehen werden und
der erste Stadtring war sehr dicht bevölkert.
Endlich war Ruodger am Hafen angekommen und
setzte mit einem kleinen Boot irgendeines mehr oder weniger reichen Mannes
aufs Ufer über. Dort wandte er sich nach rechts und lief auf einen
Stall zu, der einem seiner Freunde gehörte. Als er in den Stall kam,
fiel ihm sofort die eigenartige Stille auf. Normalerweise wieherten und
stampften hier drinnen einige Dutzend Pferde und warteten darauf, geritten
zu werden, doch heute waren alle Boxen leer. "Menon?", rief Ruodger. Keine
Antwort. Mit gerunzelter Stirn lief Ruodger durch den Stall auf eine Tür
am anderen Ende zu. Sie führte in den Wohnraum Menons. Ruodger klopfte.
Nichts geschah. Besorgt drückte Ruodger ein Ohr an die Tür. Von
drinnen erklang ein leises Weinen. "Menon, bist du da?" Das Weinen verstummte.
Ruodger hörte Schritte, dann öffnete sich die Tür. Menon
sah ihm entgegen. Seine Haare schienen ungepflegt, er hatte schwarze Ringe
unter den Augen und sein sonst so schönes Gewand war zerrissen. "Was
ist denn mit dir passiert? Wo sind deine Pferde?", wollte Ruodger wissen.
Menon schüttelte den Kopf und sah sich gehetzt um. Dann winkte er
Ruodger, er solle rein kommen. Ruodger trat ein und schloss die Tür
hinter sich.
"Sie haben mir die Pferde weggenommen. Sie
wollen nicht, dass die Leute der Seestadt auf den Pferden weg reiten. Ich
weiß auch nicht, warum. Sie haben mich ruiniert!"
"Wo haben sie deine Pferde hingebracht?"
"Wahrscheinlich in den städtischen Stall,
nicht weit von hier."
Ruodger nickte versonnen. Hinter seiner unbewegten
Miene arbeitete sein messerscharfer Verstand auf Hochtouren. "Danke für
die Information, Menon." Er zog einen weiteren klimpernden Beutel aus seinem
Wams und gab es Menon, dann lief er aus dem Stall.
Der städtische Stall befand sich einige
Meter weiter nördlich von Menons Stall. Vorsichtig schlich sich Ruodger
näher, sobald der Stall in Sicht kam. Langsam spähte er um die
Ecke, wich aber sogleich wieder zurück, als er die Wache sah, die
vor dem großen Holztor stand. Einen Augenblick hielt Ruodger inne,
nahm dann all seinen Mut und seine Kraft zusammen und stürzte aus
seinem Versteck hervor. Er sprang den erschrockenen Wachmann von hinten
an und drückte ihm auf die Gurgel.
Der Mann japste nach Luft, wehrte sich und Ruodger musste seinen Griff
lockern. Diesen Moment der Schwäche nutzte die Wache aus und drehte
sich herum. Einen Augenblick lang gab es ein Gerangel,
dann sank der Wachmann bewusstlos zusammen. Ein kräftiger Hieb Ruodgers
auf seinen Hinterkopf hatte ihn ausgeschaltet. Einen Moment überlegte
Ruodger, ob er den Mann umbringen sollte; wenn er aufwachte, würde
er sicher gleich dem Bürgermeister Bericht erstatten, das wäre
das Aus für Ruodger. Er war dem Bürgermeister nicht unbekannt.
Doch dann siegte der Mensch in Ruodger und er schleppte den Bewusstlosen
in ein nahes Gebüsch, das einen Abhang verdeckte, fesselte und knebelte
die Wache und ließ sie dann den Abhang hinunter rollen. Die Hellebarde,
die der Wachmann bei dem Gerangel verloren hatte, warf Ruodger ihm hinterher.
Nach beendeter Arbeit wandte Ruodger nun seine Aufmerksamkeit auf das große
Scheunentor, das den Eingang zum städtischen Stall bewachte. Es war
unverschlossen, als Ruodger sanft dagegen drückte, und zu seiner Erleichterung
waren die Scharniere frisch geölt. Drinnen schlug ihm ein durchdringender
Pferdegestank entgegen. Der Stall war überfüllt. Es schien so,
als habe der Bürgermeister nicht nur Menons Pferde beschlagnahmt.
Schnell schlich Ruodger die Reihen der Pferde entlang, bis er zu einem
besonders kräftigen Pferd gelangte, das er losband und hinaus führte.
Draußen vor dem Stall war noch immer
alles ruhig. Ruodger bestieg das Pferd und jagte mit ihm zu den Schwarzquell-Sümpfen
davon.
Nach ungefähr einer Stunde permanenten
Reitens hatte Ruodger den Sumpf erreicht. Er stieg ab und schlich sich,
die spärlichen Gebüsche als Deckung nutzend, den Sumpf entlang.
Einmal bemerkte er eine weitere Wache, doch er versuchte nicht einmal,
sich mit ihr anzulegen. Leise schlich er weiter, bis er zu einem großen
Felsblock gelangte, der steil in den Sumpf hinein ragte. Rasch kletterte
er hinauf. Oben angekommen blickte er vorsichtig über den Rand des
Felsens in den Sumpf hinaus. Das modrige Wasser blubberte, als würde
es kochen und weit vorne, auf einem kleinen Hügel mitten im Sumpf
lag ein riesiges Nest. Ruodger musste nicht lange überlegen, bevor
er wusste, was es war. Ein Drachennest. Vor Aufregung wäre Ruodger
beinahe vom Felsen gestürzt. Krampfhaft klammerte er sich am Felsen
fest. Als er wieder Halt gefunden hatte, kletterte er hinab und machte
sich auf die Suche nach einem Pfad, der ihn in die Mitte des Sumpfes führen
würde. Er war schnell gefunden. Im feuchten Boden am Rande des Sumpfes
waren ganz deutlich die Spuren vieler Pferdehufe zu sehen, die in den Sumpf
hinein führten. Ohne zu überlegen ging Ruodger den Spuren nach,
den Blick fest auf den unsicheren Boden gerichtet, immer mit der Vorstellung,
er könnte in den Sumpf hinein fallen.
Ruodger merkte überhaupt nicht, wie weit
er bereits gekommen war, bis er vor dem Hügel stand, auf dem das Nest
lag. Er kletterte den schlüpfrigen
Hang hinauf bis er zu dem großen Nest kam. Als er es erreicht hatte,
wusste er sofort, warum der Graf von Feuerstein dieses Gebiet gekauft hatte.
Im Nest lag ein Ei, groß wie ein menschlicher Kopf und von brauner,
scheckiger Farbe, in Erwartung darauf, dass aus ihm ein kleiner Drache
schlüpfen würde...
...geschrieben von
Manharrah
***
"Verdammt!" murmelte Ruodger. Er hätte
es wissen müssen. Wenn es nicht das offensichtlich wertlose Sumpfgebiet
war, musste es etwas sein, was in diesem Sumpf war. "Aber ausgerechnet
ein Drache..." Am liebsten hätte er das Ei sofort zerstört, wenn
er damit nicht sein Todesurteil unterzeichnet hätte. Wo ein Nest war,
war die Drachin nicht weit. Und Drachen hatten einen ausgezeichneten Geruchssinn.
Sie würde den, der ihrem Ei etwas antat, so lange verfolgen, bis sie
ihn getötet hätte oder von ihm getötet wurde. Und obwohl
Ruodger schon ein oder zwei Drachen getötet hatte, hatte er keine
Lust darauf, gegen ein ausgewachsenes, wütendes Drachenweibchen zu
kämpfen. So schnell er konnte lief er an der Wache vorbei zurück
zu seinem Pferd. Er stieg auf und spornte sein Pferd zum Galopp an.
Als sie bei Menons Stall ankamen, stand dem
Pferd Schaum vor dem Maul. Hastig versorgte er das Tier und rannte in den
zweiten Stadtring, zu Samita. Für gewöhnlich vermied er es, sie
in seine Pläne einzuweihen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Aber
jetzt brauchte er Hilfe. Ungeduldig klopfte er an ihre Türe. Niemand
öffnete. Angst beschlich ihn. Er trat die Türe ein. Drinnen bot
sich ihm ein schrecklicher Anblick. Die wenigen Möbel lagen zerschmettert
und verstreut herum, die selbst gestickten Wandbehänge, mit denen
Samita die Wände ihrer Wohnung geschmückt hatte, waren zerfetzt
worden und die Wände dahinter, genau wie der Boden, stellenweise aufgerissen.
"Oh Nein! Samita!" rief Ruodger. Er erhielt keine Antwort. Zwei Stufen
auf einmal nehmend rannte er die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Er fand
sie im Zimmer, das sie für ihn vorbereitet hatte. Sie lag reglos am
Boden, ihr langes, fuchsrotes
Haar verklebt mit Blut. Mit einem Schrei stürzte er auf sie zu. Sie
atmete kaum, aber wenigstens lebte sie noch. Vorsichtig hob er sie hoch
und legte sie auf sein Bett. Sie stöhnte. "Götter, was haben
sie dir angetan?" flüsterte er heiser.
Den ganzen Tag lang wich er nicht von ihrer
Seite, bis sie am Abend aufwachte. "Ruodger, was macht ihr hier?" fragte
sie leise.
Er lächelte sie an. "Ich kümmere
mich um dich, was denn sonst?" Dann wurde er wieder ernst. "Was ist geschehen?"
fragte er Samita.
"Etwa eine Stunde nachdem ihr gegangen seid,
kamen Soldaten des Grafen und fragten nach Ruodger von Elfenquell. Ich
antwortete, dass ich diesen Namen noch nie gehört hatte. Da schlugen
sie mich. Ich fiel zu Boden und schlug mir den Kopf an. Mehr weiss ich
nicht. Aber wieso suchen euch Soldaten des Grafen?" Mit grossen Augen schaute
sie Ruodger an.
Dieser antwortete nicht sofort. Nachdem was
heute passiert war, wusste er nicht, ob er Samita wirklich ins Vertrauen
ziehen sollte. Andererseits brauchte er Hilfe. "Ich bin, wie du weisst,
Spion des Königs. Der König macht sich Sorgen über den Grafen
und hat mich geschickt, um herauszufinden, was unser lieber Graf vorhat.
Heute Morgen hab ich es herausgefunden. Das Land, das er gekauft hat, darauf
brütet eine Drachin."
Was das bedeutete, musste Ruodger Samita nicht
erklären. Eine Drachin legte in ihrem gesamten Leben nur ein Ei, und
das kurz vor ihrem Tod. Das Junge wächst alleine auf und ist Gebietsgebunden,
das heisst, es hat das selbe Revier wie seine Mutter. Und da nach den herrschenden
Gesetzen alle lebenden Wesen dem gehören, auf dessen Gebiet sie sich
befinden, gehörte dieser Drache nun dem Grafen. Und der, dem ein Drache
gehört, der darf ihn auch zu jeglichem Zweck erziehen.
"Das... das wäre das reinste Mordwerkzeug
in den Händen des Grafen!" rief Samita erschrocken.
"Und genau deshalb brauche ich deine Hilfe..."
begann Ruodger.
...geschrieben von
Alandra
***
Samita lief durch die Strassen von Seestadt.
Sie und Ruodger hatten abgemacht, den Grafen zu überwachen. Sie mussten
wissen, was er mit dem Drachenei im Sumpf vorhatte. Je schneller sie es
herausfinden würden, desto besser.
Sie zog den Umhang, den sie von Ruodger erhalten
hatte, fester um sich und zog die Kapuze noch tiefer übers Gesicht,
als sie an den Wachen vorbei kam, die den Eingang zum ersten Stadtring
überwachten. Es war nur eine Vorsichtsmassnahme, denn Ruodger wollte
nicht, dass man Samita erkannte. Sie konnte das verstehen, trotzdem war
ihr mulmig zu mute, als sie an den Wachen vorbei ging. Sie hatte das Gefühl,
dass sie in dieser Aufmachung nur noch verdächtiger wirkte.
Im ersten Stadtring angekommen wandte sie
sich nach links und lief eine Weile auf den sauber geputzten Strassen herum,
bis sie zu einem Wirtshaus kam, vor dem ein großer, grobschlächtiger
Mann stand. Sie ging auf ihn zu und sprach ihn an, wobei sie ihre Stimme
so tief wie möglich erklingen lassen wollte.
"Verzeihung, könnt ihr mir sagen, wo
der Bürgermeister wohnt?"
Der Riese konnte. Samita ging weiter, an der
nächsten Kreuzung wandte sie sich nach rechts und lief den sanft ansteigenden
Weg hinauf. Oben angekommen stand sie am Rande eines großen Markts,
am Fuße eines großen Hauses, das zweifellos dem Bürgermeister
gehören musste. Sie ging eine Weile zwischen den Ständen herum.
Auf einmal sah sie ihn. Zwei Stände weiter vorne stand der Bürgermeister
in Begleitung eines gut gekleideten Mannes und scherzte mit einer Händlerin.
Der Blick des Mannes, der ganz sicher der Graf war, wanderte über
die Menge. Schnell wandte sich Samita ab und tat so, als würde sie
sich eine Zwiebel
ansehen und auf ihre Qualität prüfen. Als sie wieder aufsah,
waren der Bürgermeister und der Graf verschwunden. Samita schalte
sich wegen ihrer Unfähigkeit und machte sich auf die Suche nach den
beiden. Sie musste sie finden, bevor Ruodger ihre Schicht übernehmen
würde.
...geschrieben von
Manharrah
***
Nach einer knappen Stunde hatte sie die beiden
endlich gefunden. Eigentlich wollte sie sich nur ausruhen und etwas essen,
doch im Wirtshaus belauschte sie zufällig eine Unterhaltung zwischen
einem hochgewachsenen, dunkel gekleideten Mann und einem kleineren Mann,
der sich eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Der grössere
der beiden zündete
sich eine Pfeife an
und betrachtete seinen Gefährten. "Nun, was wollt ihr?" fragte er.
Der Mann mit der Kapuze blickte sich erst
um, bevor er antwortete. "Ich habe gehört, du bist ein Drachenbändiger?
Kennst du dich mit Sumpfdrachen aus?" Dies war ganz eindeutig die Stimme
des Bürgermeisters, Samita hatte schon mehrere seiner Reden gehört.
"Kommt darauf an." antwortete der andere gelassen.
"Auf was?"
"Na, darauf, was ihr bereit seid, zu zahlen..."
er unterstrich seine Forderung mit einer unmissverständlichen Geste.
Nervös sah der Bürgermeister sich
im Wirtshaus um und senkte seine Stimme, so dass Samita ihn kaum noch hörte.
"Die genaue Summe kann ich dir nicht nennen, aber ich bin sicher, der Graf
wird dich... ausreichend entlohnen."
Falls der Drachenbändiger bei der Erwähnung
des Grafen erstaunt war, liess er sich das nicht anmerken. "Nun," sagte
er und lehnte sich etwas vor, "was will... mein Auftraggeber wissen?"
"Das erfährst du, wenn du morgen früh
am Rathaus, am Dienereingang bist."
Samita hatte genug gehört und ging raus
um Ruodger zu suchen.
Als sie am vereinbarten Treffpunkt ankam, wartete
er schon auf sie. "Und?" fragte er neugierig und umarmte sie kurz, denn
sie hatten entschieden, dass ein verliebtes Pärchen weniger auffiel.
"Der Graf heuert durch den Bürgermeister
einen Drachenbändiger an. Der Drachenbändiger soll sich morgen
beim Dienereingang des Rathaus einfinden." antwortete Samita und küsste
Ruodger leicht auf den Mund.
"Wo hast du das herausgefunden?" fragte Ruodger
während er Samitas Hand ergriff.
Sie schenkte ihm einen verliebten Blick und
antwortete: "In der Drachenhöhle,
das ist ein Wirtshaus im vierten Viertel des ersten Stadtrings. Der Bürgermeister
hatte sich verkleidet, aber seine Stimme habe ich erkannt."
Befriedigt nickte Ruodger. So etwas hatte
er erwartet. Der nächste Schritt war es, den Drachenbändiger
ausfindig zu machen. Den ganzen Tag verfolgte Ruodger ihn und am Abend,
als der Drachenbändiger schon reichlich betrunken war, schlug er zu.
Es tat ihm nicht gross leid um den Kerl, der das Gold über sein Gewissen
stellte. Am nächsten Morgen würde Ruodger am Dienereingang warten...
...geschrieben von
Alandra
***
Am nächsten Morgen machte sich Ruodger
auf den Weg zum Dienereingang. Er trug die Kleidung des Drachenbändigers,
die er ihm nach dem Überfall abgenommen hatte.
Am Diensteingang angekommen wartete der Bürgermeister
schon auf Ruodger, doch diesmal war auch der Graf dabei. Die drei Männer
machten sich auf den Weg. Ruodger wusste, dass es zum Sumpf gehen würde,
doch er tat so, als wüsste er es nicht.
Als sie beim Sumpf ankamen liefen sie eine
Weile dem Rand des Sumpfes entlang, bis sie zu der Stelle kamen, wo Ruodger
schon einmal in den Sumpf eingedrungen war. Es war ganz still während
die Männer durch den unheimlichen Sumpf stapften, und nur ihre eigenen
Schritte waren zu hören.
Bald schon erreichten sie den Hügel,
auf dem das Nest des Drachen lag. Die Drachenmutter war nirgends zu sehen.
Ruodger atmete innerlich auf. Wenigstens etwas, dachte er.
Der Graf baute sich nun vor dem Nest auf und
sah Ruodger an. "Ich will, dass du den Drachen zum schlüpfen bringst.",
forderte er.
Ruodger rührte sich nicht. Der Graf wiederholte
seine Forderung, diesmal lauter. Ruodger blickte ihn an. "Das kann ich
nicht.", sagte er und schob sich die Kapuze seines Umhangs in den Nacken.
"Verdammt, er ist kein Drachenbändiger!
Das ist ein Betrüger!" rief der Graf wutentbrannt und zog sein Schwert.
Der Bürgermeister tat es ihm nach. Gemeinsam drängten sie auf
Ruodger zu. Doch auch er hatte ein Schwert dabei. Und noch ehe die beiden
anderen zum ersten Streich ausholten, hatte Ruodger beide getötet.
Einen Augenblick hielt er inne. Doch auf einmal spürte er etwas. Es
wurde warm um ihn. Kräftige Böen warmen Windes wehten ihm in
den Nacken. Langsam drehte er sich um. Vor ihm in der Luft schwebte eine
riesenhafte Sumpfdrachin auf und ab. Ruodger fürchtete schon, dass
sie ihn für einen Nesträuber hielt, doch dem war nicht so. Sanft
landete sie auf der gegenüberliegenden Seite des Nestes. Demütig
senkte die Drachin den Kopf. In dem Moment wusste Ruodger, dass die Drachenmutter
ihm nichts tun würde. Kein Drache würde sich undankbar für
eine Rettungstat
zeigen. Und mit ihrem letzten Atemzug würde sie das ihrem Jungen mitgeben.
...geschrieben von
Manharrah
© Alandra
und Manharrah
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