Vor langer, langer Zeit, als die Wälder
noch richtige Wälder und die Nächte noch dunkel waren, als es
noch echte Ritter und Könige gab, das Bundesverdienstkreuz noch nicht
an jeden verliehen wurde und Elfen, Hexen, Trolle und Drachen noch keine
Sagengestalten waren, erstreckte sich südlich des kleinen Königreichs
von König Richard ein ausgedehnter Wald, der selbst für die damalige
Zeit so unheimlich, so groß und so dunkel war, dass man ihn den Finsterwald
nannte.
Das Reich König Richards nahm in dieser
Zeit eine sonderbare Stellung ein. Für die Menschen, die nördlich
von ihm lebten, war das Gebiet um den Drachenfels der Endpunkt der zivilisierten
Welt, denn hier begann die Welt, in der die Magie in ihrer ganzen Stärke
noch lebendig war. Man erzählte sich seltsame Geschichten von Drachen,
Magiern und anderen geheimnisvollen Wesen, die in Schloss Drachenburg ein-
und ausgingen. Ja, man sagte sogar, dass König Richard mit diesen
Wesen befreundet sei. Fragte man die Bewohner des Städtchens Königswinter,
das sich an den Fuß des Drachenfelsens schmiegte, ob denn etwas Wahres
an diesen Geschichten sei, so gaben diese schmunzelnd zurück, dass
selbstverständlich jedes Wort stimme. Aber gerade dieses Schmunzeln
war es, das die Geschichten noch geheimnisvoller machte. Konnte man den
Städtern glauben? Oder bestätigten sie die Gerüchte nur,
um Neugierige anzulocken? Denn geschäftstüchtig waren die Leute
von Königswinter allemal. Eines konnte man den großen und sauberen
Häusern nämlich ansehen: Not und Mangel herrschten hier nicht.
Auch die ausgedehnte Bauernschaft, die sich auf der anderen Seite des Rheins
befand, lebte in Wohlstand und Frieden: Die Äcker brachten reichlich
Ernte ein. Das Vieh war fett - und seine Besitzer auch. Pausbäckig
und rund schauten sie mit blitzenden Augen nach lohnenden Geschäften
aus, die nie lange auf sich warten ließen, denn die Waren der Bauern
waren begehrt und der Hafen von Königswinter ein stark frequentierter
Umschlagplatz von Gütern aller Art.
Auf der anderen Seite war für die Menschen,
die südlich des Königreichs lebten, das Gebiet König Richards
das Ende der magischen Welt; denn vermischten sich hier nicht die neue
und die alte Welt so miteinander, dass etwas Neues, völlig Andersartiges
entstand? Ein unerträglicher, unverständlicher Mischmasch aus
Magie, Technik und Geschäftemacherei? Nein, die Bewohner der Grafschaften,
Herzogtümer und Königreiche in Umbra, Urach, Holledau und wie
sie alle hießen, mieden den Kontakt mit König Richard und seinem
Reich wie es nur eben ging. Und da der Finsterwald sich wie eine natürliche,
undurchdringliche Barriere zwischen diese Welten drängte, war es kein
Problem, diese Isolation aufrechtzuerhalten.
Doch so riesig der Finsterwald auch sein mochte,
so war er doch nicht unüberwindlich. Immer wieder versuchten wagemutige
Händler und Abenteurer, durch ihn hindurch zu stoßen, um zu
den Reichen der alten Welt zu gelangen, von denen man sich unglaubliche
Geschichten erzählte. Die Abenteurer suchten nach dem sagenhaften
Reichtum des Großherzogtums Umbra, in dem das Gold an den Flussufern
liegen sollte, wie am Rhein die Kiesel. Oder sie suchten nur den Kampf
mit Trollen und Drachen, um des Kampfes und der Trophäen willen. Die
Händler dagegen suchten nach neuen Möglichkeiten, Geschäfte
zu machen. Geschäfte mit unbekannten Stoffen, Werkzeugen oder Kunstwerken.
Ideen gab es da viele. Deren Umsetzung aber war sehr schwierig, denn zunächst
galt es, den Finsterwald zu durchqueren - und das war alles andere als
ein Zuckerschlecken. War doch der Finsterwald Lebensraum vieler seltsamer
Wesen, die die Helligkeit des Tages und die Weite der freien Ebenen scheuten
und sich darum hier im Schutz der ewigen Dämmerung des Waldes angesiedelt
hatten.
In den Wipfeln der Bäume, deren Blätterdach
so gut wie kein Sonnenlicht hindurch ließ, webten große Spinnen
ihre klebrigen Fallen. Ihre Fangseile hingen bis auf den Boden hinab -
und wehe dem, der mit Ihnen in Berührung kam! Er klebte unwiderruflich
fest und wurde nach oben gezogen, wo ihn einer der rehgroßen Beutefänger
mit starrem Blick erwartete, um ihn mit seinen krallenbewehrten Fangbeinen
zu umarmen.
Dann waren da noch die Waldtrolle, die riesig
und zottig herumstreiften und alles und jeden, der ihnen begegnete, totschlugen
und auffraßen. So manche hoffnungsvoll begonnene Reise fand so unter
der Keule eines Trolls ein vorschnelles Ende. Selbst die abgenagten Knochen
der Unglücklichen fanden schnell ihre Liebhaber unter dem schleimigen
Gewürm, das sich knisternd und raschelnd, versteckt im modernden Laub
des Waldbodens fortbewegte. Immer auf der Suche nach Nahrung. Die Hexen
und Magier, die auch hier lebten, waren eine weniger große Gefahr,
denn diese hielten sich nur in den tiefsten Tiefen des Waldes auf, wo sie
ihren lichtscheuen Geschäften ungestört nachgehen konnten.
So kam es, dass sich alle, die durch den Finsterwald
reisen wollten, zu großen Reisegesellschaften zusammenschlossen;
denn große, schwer bewaffnete Gruppen boten Sicherheit. Doch oftmals
war es gerade ihre Größe, die eine andere Gefahr geradezu magisch
anzog: Trolle, Spinnen und Hexen waren nicht der einzige Verdruss, der
im Finsterwald lauerte. Die eigentlichen Herrscher des Waldes waren nämlich
die Finsterwaldkobolde, deren Anführer der unvergleichliche Schwertkämpfer
El Pitto Gnomo war. Die Kobolde bewachten den einzigen gangbaren Pfad,
der durch den Wald führte und verlangten von jedem Reisenden einen
Wegzoll, der auf der Stelle zu entrichten war. Selbst große Handelskarawanen
konnten sich dieser Aufforderung nicht entziehen, denn die Kobolde waren
zahlreich, gut bewaffnet und zähe Kämpfer, die vor keiner Gemeinheit
zurückschreckten. Doch selbst, wenn die Gebühr entrichtet war,
gab es keine Garantie für ein glückliches Durchkommen. Der Weg
durch den Wald war lang und so manche Reisegesellschaft verschwand spurlos,
ohne dass man je wieder von ihr hörte. Und selbst die, die es schafften,
bekamen nie den erhofften Reichtum zu sehen, denn es gab ihn gar nicht.
Die Menschen der alten Welt verweigerten den Fremden zwar nicht die Gastfreundschaft,
wichen ihnen aber ansonsten aus. Sie wollten nichts mit ihnen zu tun haben.
Alle Bemühungen, einen Handel aufzubauen blieben zwecklos. Man war
und blieb sich fremd. Den Neuweltlern blieb dadurch in der Regel nichts
anderes übrig, als sich unverrichteter Dinge wieder auf den Rückweg
zu machen. Doch war der Hinweg schon eine gefahrvolle Tortur, so war der
Rückweg noch viel riskanter; denn es gab keinen Sammelpunkt, an dem
man sich wieder zu einer größeren Gruppe zusammenfinden konnte.
So war jeder gezwungen, den Rückmarsch für sich allein anzutreten.
Ein hoffnungsloses Unterfangen, das nur den Mutigsten und Tollkühnsten,
also einer verschwindend geringen Zahl von Leuten, gelang. Die meisten
verschwanden in den Mägen der nimmersatten Trolle, kamen in den Netzen
der Spinnen um oder landeten in den Kochtöpfen der Kobolde. El Pitto
Gnomo hatte seinen Leuten zwar das Aufessen von Menschen strikt verboten,
aber manche Koboldsippe war den alten Sitten so verbunden, dass sie sich
über diese Anordnung hinwegsetzte. So mancher Reisende fand auf diese
Weise seinen Weg in einen Koboldkochtopf, in dem er bei lebendigem Leib
gesotten wurde. So kam es, dass die meisten Karawanen irgendwo verschwanden
oder versickerten, aber die Gerüchte und Erzählungen in immer
ausgeschmückteren Formen zahlreicher und zahlreicher wurden.
***
In dieser gnadenlosen Welt wuchs Lilly auf,
die Tochter El Pitto Gnomos und seiner Frau Lisa, die einst als Roggenmuhme
die Weiße Alraune bewacht hatte. Wie bereits erwähnt, war El
Pitto Gnomo ein vorzüglicher Schwertkämpfer, an dem, wie er selbst
zu sagen pflegte, "niemand vorbeikam". Das lag zum einen an seiner magischen
Begabung und zum anderen an seinem magischen Schwert "Drachentöter",
das ihm dereinst ein Ritter geschenkt hatte. Für El Pitto Gnomo war
es ein schwerer Schicksalsschlag gewesen, als ihm eröffnet wurde,
dass er Vater einer Tochter geworden war, denn er hatte sich nichts sehnlicher
gewünscht als einen Sohn, den er selbstverständlich zu einem
herausragenden Schwertkämpfer ausgebildet hätte. Er ließ
sich seine Enttäuschung Lilly gegenüber natürlich nicht
anmerken, denn er wollte ihr trotz allem ein guter Vater sein. Aber Lilly
war nicht dumm und spürte die Verstimmung ihres Vaters natürlich.
"Warum mag Pappi mich nicht?" hatte sie darum,
als sie noch klein war, ihre Mutter gefragt.
"Aber Lilly, natürlich mag dein Vater
dich! Wie kommst du nur darauf, dass das nicht so sein könnte?" hatte
ihr ihre Mutter zurückgegeben.
"Er spricht so gut wie nie mit mir, nimmt
mich nie in Arm und wenn er nach Hause kommt, geht er gleich wieder weg."
Doch bei ihrer Mutter konnte Lilly kaum auf
Unterstützung hoffen. Lisa war eine Fee und Feen sind nicht besonders
klug. Eine Tatsache, die El Pitto Gnomo übrigens erst im Laufe seiner
Ehe aufgefallen war, ihn aber weiter nicht sonderlich störte, denn
wenn er von seinen Streifzügen nach Hause kehrte, hatte er weniger
Interesse an einer geistvollen Unterhaltung, sondern suchte andere Zerstreuung.
Lisa war nämlich, wie alle Feen, sehr schön und alterte nicht.
Aus El Pitto Gnomos Sicht war dadurch ihr wenig ausgeprägter Verstand
kein besonderer Makel. Koboldmänner haben nämlich ein noch stärkeres
Bedürfnis nach Schönheit als Menschenmänner. Die Entwicklung
der Kobolde hatte diesem Geschmack auch Rechnung getragen. Da sich die
Koboldmänner immer nur die schönsten Koboldmädchen auswählten,
gab es inzwischen durch diese natürliche Auslese nur noch ausgesprochen
schöne Koboldinnen. Ihre Schönheit war selbst bei den Menschen
sprichwörtlich. Ein Mann konnte einer Frau kein größeres
Kompliment machen als ihr zu sagen, sie sei schön wie eine Koboldfrau.
Im Gegensatz dazu waren die Koboldmänner
ausgesprochen hässlich. Klein und knorrig von Gestalt mit scharfen,
faltigen Gesichtern und heimtückischen Augen sahen sie nur gemein
und nicht gut aus. Seltsamerweise hatten Koboldmänner, die besser
aussahen, keine Chance bei den Koboldmädchen. Im Laufe der Zeit war
es deshalb so weit gekommen, dass die Hässlichkeit der Koboldmänner
ebenso sprichwörtlich war, wie die Schönheit ihrer Frauen.
Da sich ihr Vater nicht so recht um sie kümmerte
und ihre Mutter sich lieber in der Betrachtung schöner Dinge vergaß,
blieb Lilly fast immer sich selbst überlassen. Weil sie ein sehr kluges
und aktives Kind war, aber von niemandem zu sinnvollem Tun angeleitet wurde,
tat sie das, was auch bei Menschenkindern in einer solchen Situation üblich
ist: Sie vertrieb sich die Zeit mit allerlei Unsinn, wobei sie Erwachsene
und Kinder gleichermaßen ärgerte. Dank ihrer Intelligenz fielen
ihr die tollsten Dinge ein und je älter sie wurde, umso ausgefallener
war ihr Schabernack.
Koboldkinder reifen sehr schnell heran. Viel
schneller als Menschenkinder. Als Lilly fünf Jahre alt war, entsprach
ihre geistige und körperliche Entwicklung der eines zehnjährigen
Menschenkindes. Gleichzeitig war sie aber auch zum Schrecken ihrer Umwelt
geworden. Jeder wich ihr aus, um nicht durch einen ihrer Streiche in Verlegenheit
gebracht zu werden. Ausgegrenzt und isoliert steigerte sich ihr Unternehmungsgeist
und ihre Streiche, die anfänglich aufgrund ihrer Originalität
beschmunzelt wurden, waren bald aufgrund ihrer Boshaftigkeit gefürchtet.
Als Lilly gerade fünf Jahre alt geworden
war, ging sie in ihrem Einfallsreichtum zu weit. Ihre Eltern hatten ihren
Geburtstag vergessen, so dass Lilly sich selbst ein Geburtstagsgeschenk
in Form eines besonderen Streiches machen wollte: Bei ihren einsamen Streifzügen
hatte sie tief im Wald die Hütte einer Knusperhexe entdeckt. Knusperhexen
sind extrem menschenscheu und darüber hinaus sehr eng mit ihrem Knusperhäuschen
verbunden. Nichts in der Welt ist ihnen wichtiger als das. Sie pflegen
und hegen es und erfinden immer neue Knabbereien, mit denen sie ihr Haus
verschönern. Rings um ihre Behausung legen sie einen Bann, der insbesondere
auf Menschenkinder wirkt und diese anlockt. Das Einzige, das Knusperhexen
noch lieber ist als ihre Knusperhäuschen, sind frisch gebackene Menschkinder,
ihre Lieblingsspeise. Nun verirren sich Menschenkinder sehr selten in den
Finsterwald. Genau genommen verirren sie sich gar nicht dahin. Darum sind
die Knusperhexen des Finsterwaldes die frustriertesten Knusperhexen der
Welt und immer missgelaunt. Wer wäre das nicht in ihrer Lage?
Lilly verkleidete sich als Menschenmädchen
und tat so, als würde sie durch den Bann der Hexe angezogen. Natürlich
wirkte der Bann bei ihr nicht wirklich, denn sie war ja ein Koboldmädchen
und kein Menschenmädchen. Sie war aber eine so gute Schauspielerin,
dass dies der Hexe nicht auffiel. Halb verrückt vor Vorfreude hockte
die Alte in ihrem Zuckerhäuschen und beobachtete das sich nähernde
Kind. Lilly trat starren Blicks durch das Lebkuchentürchen des Lebkuchenzauns,
der das Knusperhäuschen umgab. Anschließend ging sie schnurstracks
auf das Haus zu und brach sich ein gutes Stück von Zuckerwerk des
Daches ab.
"Knusper knusper knäuschen. Wer knuspert
an meinem Häuschen?" rief die Hexe.
Lilly wusste nicht so recht, wie sie auf diese
Frage antworten sollte. Sie war ja klar bei Verstand, so dass ihr die zaubergerechte
Antwort nicht in den Sinn kam.
"Ein Kind, ein Kind, das kam geschwind!" antwortete
sie darum auf gut Glück und brach sich noch ein Stück ab.
Die Hexe ihrerseits hatte schon so lange kein
Kind mehr gefangen, dass sie selbst die richtige Antwort nicht mehr genau
kannte. Außerdem war sie so blind vor Gier, dass ihr das sowieso
egal war. Sie öffnete die Tür und schwankte so schnell es ihre
alten Knochen zuließen heraus, um sich den leckeren Braten zu holen.
Doch Lilly bereitete ihr einen Empfang, mit dem die Alte nicht gerechnet
hatte. Kaum hatte sich die Hexe aus der Tür herausgeschoben, warf
sie ihr einen kleinen Lederbeutel ins Gesicht. Der Behälter explodierte
und versprühte dabei einen stinkenden, grünfarbenen Schleim,
der sich überall festsetzte. Das Häuschen erbebte und brach durch
die Wucht der Explosion stellenweise ein. Der ganze Stolz der Knusperhexe
war mit einem Schlag eine staubige, stinkende und verklebte Ruine.
Lilly brach in ein wieherndes Gelächter
aus.
"Nein!" lachte sie. "Hexe, dein Gesicht müsstest
du sehen! Wie kann man nur so dämlich aussehen! Allerdings siehst
du mit dem Schleim auf deiner Nase besser aus als ohne. Aber sei froh drum!
Diese Verschönerung kostet dich keinen roten Heller. Das hast du von
mir ganz umsonst bekommen!"
Lilly merkte in ihrem Vergnügen nicht,
dass sich die Hexe bereits von ihrem ersten Schrecken erholt hatte und
vor Wut blaurot anlief. Ihre wässrigen Augen bekamen einen merkwürdigen
Glanz. Erst als die Alte die Arme hob, kam Lilly zu sich und merkte, dass
sich nun Dinge anbahnten, mit denen sie nicht gerechnet hatte: Die Hexe
dachte nämlich gar nicht daran, Lillys Streich einfach so hinzunehmen.
Mit Hexen ist nicht gut Kirschen essen. Vor allem dann, wenn sie bis aufs
Blut gereizt worden sind. Knusperhexen machen in diesem Punkt keine Ausnahme.
Die kleine Koboldin nahm also die Beine in die Hand und flitzte, so schnell
sie konnte davon. Die Angst verlieh ihr Flügel, doch zum Ausgleich
verlieh die Wut der Hexe Kraft. Sie schleuderte Lilly einen gewaltigen
Fluch hinterher, der sie auch voll traf. Lilly fühlte einen heftigen
Schlag gegen den Kopf. Bevor sie das Bewusstsein verlor hörte sie
noch dumpf die keifende Stimme der Alten:
"Lass dir das eine Lehre sein, Göre!
Dieser Fluch wird dich Respekt vor anderen Wesen lehren! Mich wirst du
für den Rest deines Lebens nicht mehr vergessen. Das garantiere ich
dir!"
Als Lilly Stunden später ihr Bewusstsein
wiedererlangte, bemerkte sie, dass die Knusperhexe nicht zu viel versprochen
hatte: Lilly war blind. Der Fluch hatte ihr die Sehkraft genommen.
***
Wie sie den Rückweg nach Hause geschafft
hatte, konnte sie später nicht erzählen. Es grenzte an ein Wunder,
dass eine Fünfjährige blind und mutterseelenallein durch den
Finsterwald nach Hause fand, ohne irgendeinem Untier in die Arme zu laufen.
Zu allem Überfluss nahm ihr zunächst niemand ihre Verletzung
ab. Alle, auch ihre Eltern, glaubten, dass sie sich wieder einmal einen
ihrer berüchtigten Scherze erlaubte.
"Lilly, jetzt ist es aber gut!" sagte Lisa
vorwurfsvoll, als ihre Tochter nicht aufhören wollte, zu weinen. "Du
hast uns allen einen Schrecken eingejagt. Damit muss jetzt aber Schluss
sein!"
Nur El Pitto Gnomo, der sonst scheinbar so
wenig Verständnis für Lilly aufbrachte, sah sich die Bescherung
aus der Nähe an.
"Lisa, komm doch bitte mal her," bat er. "Sieh’
dir mal die Augen an. Sie sind von einem milchigen Überzug bedeckt.
Ich habe so etwas noch nie gesehen."
Lisa tat ihm den Gefallen. Zunächst unlustig,
doch dann, als auch sie die undurchsichtige Schicht entdeckte, sehr interessiert.
"Oh! Das kenne ich!" rief sie erschreckt.
"Das ist ein Blindfluch-Effekt. Jemand hat unsere Tochter verflucht."
Sie sah noch einmal genauer hin.
"Der Fluch hat unseren Schatz aber nicht von
vorne getroffen. Sonst wäre der Belag nicht milchig sondern weiß."
"Ich kann aber trotzdem nichts mehr sehen!"
schluchzte die sonst so freche Lilly verzweifelt. "Man muss doch was gegen
diesen doofen Fluch tun können. Ich kann doch nicht für immer
blind bleiben!"
Ihre Eltern versuchten daraufhin alles Mögliche,
um ihr zu helfen. Lisa verstand als Fee einiges über die unterschiedlichsten
Zauberkünste, konnte aber nur feststellen, dass sie gegen den Fluch
der Knusperhexe nichts ausrichten konnte. Selbst Merling war ratlos.
"Nach allem, was ich feststellen kann," sagte
er, als er um Rat gefragt wurde, "hat die Hexe die Verwünschung in
berechtigtem Zorn ausgestoßen. Ich kenne kein Mittel, diesen Fluch
aufzuheben. Das kann nur die Hexe selbst tun."
Natürlich machte sich El Pitto Gnomo
höchstpersönlich daran, die Hexe aufzusuchen, um sie um Gnade
für seine Tochter zu bitten. Doch er fand sie nicht. Die Alte hatte
ihre Zelte abgebrochen und war fortgezogen. Wohin, das konnte niemand sagen,
denn der Finsterwald war groß. So groß, dass El Pitto Gnomo
für den Rest seines Lebens hätte nach ihr suchen können,
ohne sie zu finden.
Schließlich gaben sie es auf. Lilly
würde für immer blind bleiben.
***
Die Jahre vergingen und Lilly wurde ein anderer
Mensch. Vorbei waren die Zeiten, in denen sie als Finsterwaldgöre
für Schrecken unter seinen Bewohnern gesorgt hatte. In der ersten
Zeit weinte sie tagaus tagein und litt furchtbar unter ihrer Blindheit.
Doch dann kehrte Ruhe ein und Lilly bemühte sich, mit ihrem Schicksal
zurecht zu kommen. Es zeigte sich aber auch, dass die Familienbande sich
in der Not verstärkten. El Pitto Gnomo wurde häuslicher und kümmerte
sich rührend um seine Tochter.
"Weißt du," sagte er ihr einmal, als
sie wieder zusammen saßen und sich unterhielten. "Ich kann gar nicht
mal sagen, dass ich damals wirklich enttäuscht war, als ich der Vater
einer Tochter und nicht der eines Sohnes wurde. Aber ich kannte Frauen
eigentlich immer nur als Frauen, wenn du weißt, was ich meine. Mit
Mädchen, insbesondere mit Töchtern, hatte ich bisher nichts zu
tun. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit dir umgehen sollte."
"Dafür weißt du es mit Frauen aber
umso besser!" warf Lisa kichernd ein.
Lilly schmunzelte auch, wurde dann aber wieder
ernst.
"Du hättest mich einfach normal behandeln
sollen. Von mir aus auch wie einen Jungen," gab sie zurück. "Wie gerne
hätte ich gelernt, wie man mit einem Schwert umgeht oder auf die Jagd
geht."
El Pitto Gnomo nickte.
"Ja! Jetzt weiß ich es besser. Aber
was hilft uns das?"
Es half nichts.
***
Als Lilly kurz vor Vollendung ihres zehnten
Lebensjahres stand, zeichnete sich eine Veränderung ihrer Blindheit
ab: Die vollständige Dunkelheit wich einem dicken Nebel, der ihr zumindest
die Fähigkeit gab, zwischen Helligkeit und Dunkelheit zu unterscheiden.
Als sie Zehn wurde, konnte sie in einem Umkreis von einem Meter alles klar
und deutlich, wenn auch ohne Farben erkennen. Die Freude aller war entsprechend
groß, denn auch die, die ihr ehemals nur das Schlechteste gewünscht
hatten, meinten, nun sei es gut mit der Strafe. Lilly habe genug gelitten
und sei inzwischen eine verständige junge Dame geworden. Lisa und
El Pitto Gnomo richteten ein großes Geburtstagsfest aus, zu dem auch
König Richard mit seiner Familie und viele andere Freunde geladen
waren.
Jannie, König Richards Tochter, hatte
Lilly früher nicht ausstehen können. Aber Dank der Wandlung Lillys
waren sie inzwischen gute Freundinnen geworden. Jannie war 21 Jahre alt
und stand kurz vor ihrer Verlobung mit Hieronto Hatamoto, einem ausnehmend
gut aussehenden Samurai, den sie vor zehn Jahren kennen gelernt hatte.
Lilly war zwar erst zehn, aber durch die schnelle Reife der Kobolde in
der körperlichen und geistigen Entwicklung auf der gleichen Stufe
wie Jannie. Die beiden verstanden sich gut.
"Ich beneide dich!" gestand Lilly, als sie
zusammen mit den anderen an einem großen Feuer saßen, über
dem sich an einem Spieß die Reste eines halb verspeisten Rindes drehten.
"Du bist schön und bekommst einen ganz tollen Mann. Aber mich will
keiner haben, weil ich blind bin."
"Es muss einen Weg geben, dir zu helfen,"
meinte Jannie, die schon immer ein gutes Herz gehabt hatte. "Du bist nicht
mehr mit dem unmöglichen Ding von vor fünf Jahren zu vergleichen.
Wenn der Fluch seinerzeit auch eine berechtigte Strafe gewesen sein mag,
so hat er sich doch inzwischen überlebt und müsste von dir genommen
werden."
"Das sagst du so, Jannie," seufzte Lilly traurig.
"Aber er wirkt noch immer."
"Er ist aber doch schon schwächer geworden!"
"Das stimmt, aber ich darf mir keine großen
Hoffnungen machen, meint Mama. Das Nachlassen der Wirkung ist darauf zurückzuführen,
dass mich der Fluch nicht ins Gesicht, sondern nur am Hinterkopf getroffen
hat. Eine weitere Abschwächung ist nicht zu erwarten."
Jannie dachte einen Moment nach.
"Was sagt denn die Weiße Alraune?" fragte
sie dann. "Ich wüsste nicht, dass du sie schon einmal befragt hast."
"Doch! Das habe ich. Sie sagte damals 'leiden
ist reifen‚ allein bringt Hilfe'. Seitdem bin ich nicht mehr da gewesen."
"Wie lange ist das her?"
Lilly überlegte kurz.
"Ich glaube, das war vor vier Jahren."
"Hmm," meinte Jannie. "Das macht Sinn!"
"Was macht Sinn?" wollte Lilly wissen.
"Die Weissagungen der Weißen Alraune
müssen richtig gedeutet werden. Ob wir einen Erwachsenen fragen sollen,
was diese Worte aus heutiger Sicht bedeuten sollen?"
Lilly schüttelte den Kopf.
"Nein. Papa, dein Vater und Quatzkotl sind
mit Sicherheit voll des guten Weines und unsere Mütter werden sich
über deine Hochzeitsvorbereitungen unterhalten. Die sind also gut
beschäftigt. Wir zwei sind erwachsen genug. Lass uns gemeinsam überlegen.
Was denkst du?"
Jannie stand auf und ging auf und ab. Wenn
sie auf und ab ging, konnte sie besser denken.
"Der erste Teil des Satzes lautet doch 'leiden
ist reifen'. Das kann heißen, dass die Alraune deinen Fluch nicht
als negativ ansieht."
"Was soll denn an Blindheit gut sein?" fragte
Lilly erbost. "Ich kann das doch wohl am besten beurteilen. Und ich sehe
nichts Gutes daran!"
Doch Jannie machte eine abwehrende Handbewegung.
"Nein, nein!" sagte sie. "Durch deine Blindheit
bist du ein ganz anderer Mensch geworden. Reifer und erwachsener. Es stimmt,
dass du sehr gelitten hast, aber deiner persönlichen Entwicklung hat
es nicht geschadet. Das musst du selbst zugeben!"
Lilly wurde aufmerksam.
"Worauf willst du hinaus, Jannie?"
Jannie hatte sich in Eifer geredet. Sie fühlte,
dass sie der Lösung des Problems ganz dicht auf der Spur war. Ihre
Wangen röteten sich.
"Weiter!" sagte sie. "Wie bist du seinerzeit
zur Alraune gekommen?"
"Mama und Papa haben mich gebracht. Wie sollte
ich sonst hingekommen sein?"
Jannie blieb abrupt stehen und schnippte mit
den Fingern.
"Das ist es!" rief sie so laut, dass Lilly
erschreckt zusammenzuckte. Die anderen Geburtstagsgäste wurden auch
aufmerksam. Urplötzlich verstummten die lauten Gespräche der
Anwesenden. Alle schauten Jannie an.
"Wass’n losss?" grunzte El Pitto Gnomo, der
am tiefsten ins Glas geschaut hatte.
"Ich habe die Lösung!" flüsterte
Jannie.
"Was hast du, Kind?" fragte ihre Mutter.
"Ich habe die Lösung für Lillys
Problem," antwortete Jannie so laut, dass es alle verstehen konnten. "'Leiden
ist reifen' hat die Weiße Alraune gesagt. Damit meinte sie, dass
Lilly erst eine gewisse Zeitlang leiden muss, um ihre Unarten abzulegen
und zu einem reifen, vernünftigen Menschen zu werden. Das ist inzwischen
geschehen. Lilly hat sich weiterentwickelt. Wir alle mögen sie, weil
sie jetzt so vernünftig und nett ist."
Die Anwesenden schauten Jannie gebannt an.
Das hörte sich gut an! Was würde sie als nächstes sagen?
Jannie fuhr fort.
"'Allein bringt Hilfe' hat die Weiße
Alraune gesagt. Damit meinte sie, dass Lilly selbstständig genug sein
muss, um alleine und ohne Begleitung ihrer Eltern zu ihr zu kommen, damit
sie ihr helfen kann. Lilly ist zehn Jahre alt. Damit ist sie für Kobold-Begriffe
heiratsfähig. Ihre Blindheit hat soweit nachgelassen, dass sie nicht
mehr vollkommen hilflos ist oder doch zumindest in der Lage, alleine zur
Weißen Alraune zu gehen, um sie um Rat zu fragen. Ich bin mir sicher,
dass die Alraune Lilly jetzt helfen wird, wenn sie zu ihr geht."
Ihren Ausführungen folgte ein langes
Schweigen. El Pitto Gnomo schaute sie mit offenem Mund an, als sei sie
ein Wesen aus einer anderen Welt. Dann stand er auf, umarmte sie, so gut
er konnte, was recht lustig aussah, da Jannie 1,70 m groß war und
der Kobold-Häuptling ihr nur bis zum Bauch reichte. Er rief:
"Jannie, wenn ich dich nicht bereits lieben
würde, wie mein eigenes Kind, dann würde ich es bestimmt jetzt
tun!"
Dabei schwankte er merklich hin und her. Das
lag nicht nur an seiner seelisch bedingten Rührung, sondern auch daran,
dass er einiges getankt hatte. Wie übrigens Jannies Vater auch. Jannies
Mutter und Lisa ihrerseits kümmerten sich um Lilly, der Tränen
über die Wangen liefen. Sie drückten sie und flüsterten
ihr aufmunternde Worte zu.
Für die Männer war das Thema damit
erledigt. König Richard und El Pitto Gnomo hatten nun einen Zustand
erreicht, in dem sie ihr Lieblingsspiel spielen konnten: Einer von ihnen
verließ den Tisch, um sich im Wald zu verstecken, und der andere
musste raten, wer von ihnen gegangen war.
***
Lilly ging mit Jannies Schlussfolgerungen mit
der für sie typischen schwungvollen Art und Weise um: Schon am nächsten
Tag packte sie ihre Sachen zusammen, um sich auf den Weg zur Alraune zu
machen. Lisa konnte sich mit Lillys Art, die Sache anzugehen, nicht anfreunden.
Feen haben eine eigene Dynamik, die man nicht mit der anderer Wesen vergleichen
kann.
"Kind, was hast du vor?" fragte sie, obwohl
sie es eigentlich schon wusste.
"Ich gehe zur Alraune, Mutti! Allein!" gab
Lilly mit gerunzelter Stirn zurück. Sie wusste, was jetzt kommen würde,
bemühte sich aber, ihrer Mutter mit Geduld zu begegnen.
"Aber, Kind, du kannst doch nicht ganz alleine
zur Alraune gehen! Der Weg ist viel zu lang und gefährlich für
dich!" stieß Lisa erschüttert hervor.
Lilly wandte den Blick von ihrem fast fertig
geschnürten Bündel ab und drehte sich zu ihrer Mutter um.
"Mutti, ich habe fünf Jahre lang unnütz
herumgesessen und mit dem Schicksal gehadert. Das passt nicht zu mir! Ich
bin es leid! Jannie hat mir wieder eine Perspektive gegeben. Ich werde
zur Alraune gehen. Allein, wie Jannie gesagt hat. Ich halte es nicht mehr
aus!"
"Aber Kind! Dir könnte etwas passieren!
Du bist mein einziges Kind. Wenn dir ein Unglück widerfahren würde,
könnte ich das nicht ertragen."
Lisa war den Tränen nahe.
Lilly sah ein, dass ihre Mutter wirklich mit
ihren Nerven am Ende war. Sie mochte lebensuntüchtig sein und wie
alle Feen mit den Erfordernissen des harten Lebensalltags nicht zurechtkommen.
Aber dennoch war sie ihre Mutter. Auch sie brauchte Hilfe. Da ihr Vater
wieder einmal auf einem Raubzug war, war es ihre Pflicht als Tochter, ihrer
Mutter helfen.
"Nun, so schlimm ist es nun auch wieder nicht,"
sagte sie besänftigend. "Der Weg führt zum überwiegenden
Teil durch das Königreich von Richard. Das Land ist befriedet. Mir
wird nichts geschehen."
Sie konnte sich aber nicht verkneifen, einen
kleinen Nachsatz anzufügen:
"Außerdem habt ihr euch jahrelang nicht
besonders intensiv um mich gekümmert."
Lisa horchte auf.
"Was meinst du damit?"
Lilly wunderte sich über die unbekannte
Schärfe in der Stimme ihrer Mutter und erwiderte:
"Ist doch wahr! Seit ich zurückdenken
kann, ist Papa unterwegs und hat sich kaum mit mir befasst. Du sitzt bei
deinen Damenkränzchen und schwatzt. Ich bin mir immer selbst überlassen
gewesen. Als ich fünf Jahre alt wurde, habt ihr sogar meinen Geburtstag
vergessen. Meinst du nicht, dass es jetzt ein bisschen spät ist, mit
der Elternliebe anzufangen?"
"Wenn ich dich richtig verstanden habe, Lilly,
dann bist du wirklich der Meinung, dass wir dich all die Jahre über
vernachlässigt haben?"
Lilly wunderte sich erneut über die Reaktion
Lisas. Ihre Stimme war von einer ungewohnten Festigkeit. Sie schaltete
einen Gang zurück.
"Meinst du etwa nicht?" fragte sie zurück.
"Warum meinst du, habe ich früher den Leuten so gerne Streiche gespielt?
Doch wohl nur, weil sich niemand um mich gekümmert hat. Ich hatte
Langeweile!"
Lisas Blick wurde lauernd.
"Und jetzt bist du erwachsen, meinst du?"
Lillys Unsicherheit wuchs. So kannte sie ihre
Mutter nicht. Trotzdem sagte sie fest:
"Ja. Ich bin jetzt zehn Jahre alt und im heiratsfähigen
Alter. Ich bin erwachsen und bereit, mein Schicksal selbst in die Hand
zu nehmen!"
Lisa gebot ihrer Tochter, sich zu setzen und
nahm neben ihr Platz.
"Mein Kind," sagte sie sanft. "Das Erreichen
eines bestimmten Lebensalters ist kein hinreichender Grund, sich 'erwachsen'
zu nennen. Das Erwachsenwerden ist in der Regel ein langer und steiniger
Weg, den viele Kobolde nie zu Ende bringen."
Sie schmunzelte.
"Bei den Menschen ist das übrigens ebenso.
Erwachsen sein bedeutet, Toleranz anders Denkenden gegenüber zu zeigen,
Mitgefühl für die Probleme anderer zu entwickeln, verantwortungsvoll
zu handeln und vieles mehr. Das Allerwichtigste ist allerdings, sich selbst
nicht als das Maß aller Dinge anzusehen. Wenn du erkennst, dass du
selbst für diese Welt völlig unwichtig bist, hast du bereits
einen wichtigen Meilenstein erreicht. Bei dir kann ich diese Entwicklung
aber bis heute nicht erkennen."
Lilly konnte dies natürlich nicht auf
sich sitzen lassen.
"Warum habt ihr mich nicht entsprechend angeleitet?
Wenn Papa nicht immer unterwegs gewesen wäre und ich kein Mädchen,
sondern ein Junge, dann hätte er sich bestimmt mehr um mich gekümmert."
Lisa seufzte.
"Ach ja! Jetzt sind wieder einmal die Eltern
Schuld! Weißt du, Lilly, Eltern machen selbstverständlich auch
nicht immer alles richtig. Das können sie auch gar nicht. Schließlich
sind sie auch nur Kobolde, Feen, Menschen oder was auch immer. Sie haben
Fehler und machen Fehler. Wie jeder andere auch. Meinst du etwa, dein Vater
könnte sich nichts Schöneres vorstellen, als Trecks zu überfallen
und Leute zu töten, die sich weigern, die Passage durch den Finsterwald
zu bezahlen? Was soll er denn sonst machen? Bauer werden? Hier im Finsterwald
wächst nichts, das sich lohnen würde, anzubauen. Der Boden ist
karg und das Licht schwach. Nutzpflanzen wachsen hier nicht. Kaufmann?
Womit und mit wem soll er handeln? Nein! Die Kobolde können nur von
dem leben, was sie anderen wegnehmen. Das geht nicht ohne Kampf ab und
ich bin immer wieder froh, wenn dein Vater gesund zurückkehrt."
"Papa ist der beste Schwertkämpfer der
Welt," gab Lilly mit Stolz zurück. "Was soll ihm schon passieren?"
Lisa schüttelte den Kopf.
"Und ich dachte immer, nur wir Feen seien
naiv! Was kann ein Schwertkämpfer gegen Pfeile, Wurfäxte oder
Speere tun? Ein Pfeil aus dem Hinterhalt abgeschossen tötet auch den
besten Schwertkämpfer. Dein Vater ist nicht unverwundbar. Seine Arbeit
ist lebensgefährlich. Außerdem ist er der Häuptling aller
Finsterwaldkobolde und damit so eine Art Übervater für alle.
Er muss sich auch um sie kümmern. Da bleibt nicht mehr viele Zeit
für seine unmittelbare Familie. Leider!"
"Aber du hättest dich doch wenigstens
mehr mit mir befassen können." Lilly war schon merklich kleinlauter
geworden.
"Ich gebe zu, dass ich meine Mutterpflichten
vielleicht vernachlässigt habe. Ich bin eine Fee und mehr den schönen
Dingen des Lebens zugetan als dem harten Alltag in einem Koboldhaushalt.
Vielleicht hätte ich mehr mit dir sprechen sollen. Vielleicht hättest
du dich aber auch mehr an mich wenden und nicht passiv darauf warten sollen,
dass ich etwas tue. Du bist aktiver und realistischer als ich. Siehst du:
Es gibt so viele 'Vielleichts' und 'man hätte' und 'man könnte'
auf der Welt. Aber wenn man nichts tut, nicht miteinander spricht und nur
wartet und beleidigt ist, dann passiert gar nichts. Man hebt nur Gräben
aus und schichtet Mauern auf. Und wenn man dann zurückblickt, erkennt
man, dass all diese Gräben und Mauern unnötig sind und nur die
Sicht auf das Wesentlich im Leben behindern."
"Und was ist das Wesentliche?" fragte Lilly
leise.
"Das Wesentliche ist, dass wir trotz allem
eine Familie sind und zusammenhalten müssen. Wenn wir das nicht tun,
sind wir verloren, denn als Einzelpersonen sind wir nur deshalb wichtig,
weil wir füreinander wichtig sind!"
Mutter und Tochter schauten sich lange in
die Augen.
"Aber meinen Geburtstag habt ihr damals vergessen!"
flüsterte Lilly.
Lisa blickte Lilly ernst an, wobei die den
Arm um sie legte.
"Ach ja, dein Geburtstag! Da muss ich dir
etwas zeigen," sagte sie. "Komm doch bitte mal mit vor die Tür!"
Mutter und Tochter erhoben sich. Sie verließen
die Hütte. Die bescheidenen Lebensumstände der Kobolde des Finsterwaldes
drückten sich auch in der Bauweise ihrer Hütten aus: Die Unterkünfte
der Kobolde bestanden in erster Linie aus entlaubten Ästen, die gegen
Bäume gelegt wurden. Da sich die Kobolde dabei auf lange und stabile
Äste konzentrierten und sich darüber hinaus auch möglichst
starke Bäume als Stütze aussuchten, entstanden auf diese Weise
recht geräumige Behausungen, die zwar nur aus einem Raum bestanden,
aber ihren Bewohnern ausreichenden Platz boten. Trotz der herausgehobenen
Stellung, die El Pitto Gnomo und seine Familie in der Hierarchie der Finsterwaldkobolde
innehatten, unterschied sich ihr Haus in keiner Weise von einer Standardhütte.
Lilly folgte Lisa. Da sie aufgrund ihrer Sehbehinderung
nur einen sehr eingeschränkten Gesichtskreis hatte, bewegte sie sich
vorsichtig. Trotzdem prallte sie überrascht zurück, als sie plötzlich
ein großes, haariges Etwas vor sich stehen sah.
"Ein Pferd!" rief sie überrascht. Sie
hätte nie daran gedacht, ausgerechnet hier und jetzt auf ein Pferd
zu stoßen, denn diese Tiere waren im Finsterwald nicht anzutreffen.
Pferde sind Tiere der freien Ebenen und nicht des Waldes. Sie brauchen
Licht und Weite und beides war im Finsterwald nicht zu finden. Die durchziehenden
Trecks der Glücksucher mussten wohl einen Teil ihrer Reittiere als
Passiergeld bei den Kobolden abliefern, aber nicht, weil die Kobolde Pferde
züchten wollten. Für die Kobolde waren Pferde zum Essen da. Nicht
zum Reiten.
"Ja, in der Tat, ein Pferd," bestätige
Lisa. "Es ist zwar nach menschlichen Wertmaßstäben eher ein
Pony, aber für deine Größe genau richtig. Es heißt
Palo."
"Ist das wirklich für mich?" fragte Lilly
eifrig.
"Ja. Du solltest es eigentlich schon vor fünf
Jahren bekommen. Aber dein Vater und ich wussten nicht, ob es richtig gewesen
wäre, dir das Tier zu geben. Du warst ja vollkommen blind. Wir wollten
dich in diesem Zustand nicht so gerne reiten lassen."
"Vor fünf Jahren?" murmelte Lilly nachdenklich.
"Ja, mein Kind! Palo sollte vor fünf
Jahren dein Geburtstagsgeschenk werden. Dein Vater hatte es kurze Zeit
vor deinem Geburtstag einem Durchreisenden abgenommen und für einige
Wochen bei Richard untergestellt. Er hatte es für deinen Geburtstag
wieder abgeholt, sich aber unterwegs verspätet. Er kehrte nicht, wie
geplant, schon im Laufe des Morgens zurück, sondern erst am Nachmittag.
Leider war das Unglück da schon geschehen."
***
Im Laufe ihres Ritts zur Alraune stellte sich
heraus, dass Palo ein sanftes, trittsicheres Tier war, mit dem auch ein
unerfahrener Reiter gut zurechtkommen konnte. Lilly war in ihrer Kindheit
häufig auf König Richards Schloss gewesen und war da regelmäßig
mit Pferden in Kontakt gekommen. Sie konnte sich also recht gut in einem
Sattel halten, wenn sie auch etwas aus der Übung gekommen war. Leider
war das Wetter umgeschlagen und der vordem so angenehme Frühsommer
hatte zwischenzeitlich einem finsteren Tief Platz gemacht, das wie ein
graues Ungeheuer mit Kälte und Regen über das Land herfiel.
Lilly war es gewohnt, den Launen der Natur
ausgeliefert zu sein. Sie ließ sich daher durch das nasskalte Nieseln
nicht beirren, sondern zog lediglich den Kragen ihres Reitmantels hoch.
Das half nicht viel, denn das stetige Tröpfeln durchnässte ihr
langes, schwarzes Haar völlig und schließlich lief das Wasser
ihren Nacken hinunter. So durchdrang es die Kleidung von innen, bis sie
schließlich durch und durch nass war. Palo trottete unverdrossen
durch die Kälte. Ihm machte das gar nichts. Lilly hing unterdessen
ihren Gedanken nach, denn die Eröffnung ihrer Mutter machte ihr doch
sehr zu schaffen. Dass Eltern, ebenso wie Kinder, ihre eigenen Bedürfnisse
hatten, hatte sie noch nie bedacht. Sie und ihre eigenen persönlichen
Probleme hatten bisher immer im Vordergrund gestanden. Nie war es ihr in
den Sinn gekommen, ihre Eltern als ganz normale Menschen und nicht als
nur "ihre Eltern" zu sehen. Bei Licht betrachtet hätte sie sich viel
Kummer und Leid ersparen können, wenn sie, statt beleidigt zu sein,
mehr mit ihnen geredet hätte. Aber letztendlich war sie nur ein Kind,
das ein Recht darauf hatte, von seinen Eltern auch Elternliebe und Aufmerksamkeit
abzufordern. Niemand konnte von ihr verlangen, dass sie Probleme mit dem
Verstand einer Erwachsenen anging. Lillys Gedankengang stockte. Sie wollte
doch so gerne erwachsen oder doch zumindest wie eine Erwachsene behandelt
sein. War sie nun Kind oder Erwachsene? Sie seufzte so laut, dass Palo
die Ohren nach hinten drehte, um festzustellen, ob seine Reiterin mit ihm
sprach oder nicht. Als aber nichts mehr kam, richtete er seine Aufmerksamkeit
wieder auf den Weg nach vorne und trottete weiter.
Wer vom Finsterwald zur Alraune wollte, musste
sich auf eine Reise von zwölf Tagen einrichten, wenn er denn beritten
war. Als man seinerzeit einen Ableger der Alraune umgesiedelt hatte, hatte
man diesen in einer Höhle in König Richards Reich untergebracht.
Auf diese Weise war die Alraune sicher - und nicht so weit von Schloss
Drachenburg entfernt. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn
die weisen Ratschläge der Pflanze hatten König Richard und seinen
Freunden schon oft geholfen. Die Höhle lag gut versteckt und war bewacht,
damit sie vor Schaden sicher war. Aufgrund ihrer Fastblindheit war es für
Lilly natürlich sehr schwierig, ihr Ziel zu finden. Doch Lisa hatte
Kraft ihrer Fähigkeiten geholfen: Als Fee konnte sie zaubern und hatte
Lilly einen Feenkompass mit auf die Reise gegeben. Der Feenkompass war
ein Gänseblümchen, das sich frisch hielt, solange Lilly die richtige
Richtung beibehielt, aber sofort welkte, wenn sie vom rechten Weg abkam.
Lilly hatte die kleine Blume nicht aus den Augen gelassen, wurde nach Ablauf
der erwähnte zwölf Tage aber doch unsicher, weil sie schon befürchtete,
ihr Ziel trotz allem verfehlt zu haben.
"Halt! Wer da? Freund oder Feind!" dröhnte
plötzlich eine tiefe Stimme aus dem Nebel, der Lilly ständig
umgab.
Lilly war erleichtert. Diese Stimme kannte
sie! Sie gehörte Knurps, dem Troll, der die Alraune bewachte und sowohl
Freund als auch Feind anzuhalten pflegte. Feind, um diesem den Zutritt
zur Alraunenhöhle zu verwehren und Freund, um ihm zu demonstrieren,
dass er seinen Job ernst nahm.
"Freund, natürlich!" antwortete Lilly.
Knurps kannte die kleine Koboldin selbstverständlich
und winkte ihr mit einer seiner behaarten Bratpfannenhände zu, um
ihr zu zeigen, dass sie eintreten könne. Knurps war erheblich größer
als ein großer Menschenmann und noch viel stärker, als er größer
war. Neben der kleinen Lilly wirkte er wie ein klobiger Fleischberg, der
sie mit einem Haps aufessen konnte. In der Tat fraßen Trolle für
ihr Leben gerne Menschen - vor allem kleine Mädchen, wie Lilly von
den Trollen des Finsterwaldes wusste. Aber Knurps war bei Merling, dem
Zauberer, aufgewachsen, daher halb zahm und richtete sich nach den Benimmregeln
der menschlichen Zivilisation, die besagten, dass Menschen im Allgemeinen
und kleine Mädchen im Besonderen nicht zum Aufessen da waren. Trotzdem
konnte man sich bei Knurps trotz seiner guten Erziehung und allgemein anerkannter
Gutmütigkeit nie wirklich sicher sein, denn Knurps war, wie alle Trolle,
unvorstellbar dumm. Wer wollte garantieren, dass er wider seine gute Erziehung
doch auf einmal begann, Menschen zu fressen? Ganz einfach aus Versehen?
Lilly bemühte sich, nicht an diese Gefahr
zu denken. Sie grüßte den ungeschlachte Riesen freundlich, band
Palo an und huschte schnell in die Höhle.
"Es freut mich, Lilly, Tochter El Pitto Gnomos
und Lisas, dass du nach all den Jahren zu mir gekommen bist. Ich erwarte
dich schon seit geraumer Zeit," wurde sie von der Alraune empfangen.
"Ich habe erst durch Jannie erfahren, wie
deine Weissagung interpretiert werden muss. Du weißt, dass deine
Worte für deine Besucher nicht immer leicht zu verstehen sind," entschuldigte
Lilly sich.
Die Antwort der Alraune klang amüsiert.
"Ich werde versuchen, diesmal klarer zu antworten.
Ich möchte nicht, dass du wieder Jahre warten musst, bis dir geholfen
wird."
Lilly horchte auf.
"Du meinst, mir kann geholfen werden? Du meinst,
ich werde wieder sehen können?"
"Stelle deine Frage!" forderte die Alraune
sie auf, ohne weiter auf ihre Worte einzugehen. "Stelle sie präzise.
Du hast nur diese eine Frage!"
Lilly atmete tief ein. Jetzt kam es drauf
an!
"Ich möchte nicht länger blind sein
und wieder sehen können. Was muss ich tun?"
Die Antwort der Alraune kam schnell und fast
eindeutig.
"Gehe nach Umbra. Allein. Vorsicht! Sie sind
hohl!"
"Wer ist hohl?" fragte Lilly.
"Das ist eine zweite Frage und diese werde
ich dir nicht beantworten," gab die Alraune zurück. "Ich beantworte
immer nur eine! Eine Hilfestellung gebe ich dir aber noch. Ich habe den
Zauber deines Elfenkompasses umgewandelt. Die Blume wird dich nun wieder
nach Hause führen."
Lilly zögerte.
"Geht es vielleicht noch, dass sie mir zuerst
den Weg zu Schloss Drachenburg zeigt?" Ich möchte noch einmal mit
Jannie sprechen."
"Diese Bitte erfülle ich dir," gab die
Alraune großzügig zurück.
Bevor Lilly ging, bedankte sie sich noch artig,
wie es sich gehörte, denn sie war gut bedient worden. Vor dem Höhleneingang
wechselte sie noch ein paar freundschaftliche Worte mit Knurps, der, seinem
Intelligenzquotienten gemäß, knapp gegrunzte Antworten gab.
Als den Umgangsformen Genüge getan worden war, bestieg die Koboldin
wieder ihr Pferdchen und machte sich auf den Weg nach Hause, wobei sie
noch den beabsichtigten Schlenker zum Schloss König Richards machte.
***
Im Hof von Schloss Drachenburg herrschte ein
wüstes Durcheinander. Tische und Bänke wurden herangeschleppt,
hin und her geschoben und wieder verrückt. Jannies Mutter stand mit
hochrotem Kopf inmitten des Getümmels und dirigierte die Dienstboten,
dass es eine Art hatte. Lilly sah das alles natürlich nicht, konnte
sich aber aufgrund der Lärmglocke, die über allem hing, ein gutes
Bild von dem Gewusel machen.
Jannie, die Lilly gleich bei ihrer Ankunft
in Empfang genommen hatte, kicherte:
"So geht das schon den ganzen Tag. Ich weiß
im Moment nicht, wer verzweifelter ist: Meine Mutter, die die Organisation
nicht in den Griff bekommt, oder das Gesinde, das die ganzen Sachen schleppen
muss."
"Worum geht es eigentlich?" fragte Lilly.
Dieses Schloss ist doch sonst immer ein Hort der Sauberkeit und Ordnung.
Und jetzt dieses Chaos?"
"Wir feiern doch bald meine Verlobung mit
Hieronto. Jetzt muss erst einmal alles geprobt werden. Ich glaube, meine
Eltern sind nervöser als ich."
"Warum seid ihr denn nervös? Ihr beiden
kennt euch doch schon seit zehn Jahren und seit drei Jahren steht fest,
dass ihr heiraten werdet."
"Ach was! Warte erst einmal ab, wenn du dich
mit dem Mann deines Lebens verloben wirst. Dann wirst auch du aufgeregt
sein. Und deine Eltern auch."
"Sag bloß, dein Vater dreht auch so
durch, wie deine Mutter!"
Jannie schüttelte lachend die blonde
Mähne.
"Das will ich nicht sagen. Ich habe aber festgestellt,
dass er heute den Weinkrug öfter zum Munde führt als sonst. Wenn
er so weitermacht, wird unser Weinkeller nach der Feier leer sein. Wie
gut, dass auch Hüppes kommen wird. Du weißt, das ist der Kapitän,
der Quetzi und mich nach Atlantis gebracht hat. Hüppes versorgt uns
mit den besten Weinen der neuen Welt."
Jannie wechselte nun das Thema.
"Was führt dich her, Lilly? Es ist Jahre
her, dass du mich zuletzt besucht hast."
"Ich war bei der Alraune, ganz so, wie du
es mir geraten hast."
"Erzähl!" forderte Jannie ihre Freundin
auf. "Ich bin ganz gespannt. Hat sie dir geholfen?"
Lilly nickte.
"Sie hat. Sie sagte, ich solle nach Umbra
gehen. Allein. Außerdem sagte sie: 'Vorsicht, sie sind hohl!'"
Jannies Mund klappte auf.
"Wer ist hohl?"
"Das verstehe ich auch nicht," gab Lilly zu.
"Die Alraune wollte mir dazu nichts sagen. Es scheint aber wichtig zu sein.
Sonst hätte sie das nicht gesagt."
Die beiden Mädchen überlegten noch
lange, was diese Worte wohl für eine Bedeutung haben konnten, kamen
aber zu keinem Ergebnis. Schließlich brach Lilly wieder auf. Sie
wünschte Jannie viel Glück für ihre Verlobungsfeier.
"Bitte verstehe, dass ich nicht dabei sein
kann," sagte sie, als sie sich auf Palo schwang. "Ich bin des Blindseins
müde. Ich will diesen Fluch von mir haben. Wenn ich wieder heil zurückkommen
sollte, werden wir uns ja wieder sehen."
"Warum solltest du nicht heil zurückkommen?"
sprach Jannie ihr Mut zu. "Du bist im Finsterwald aufgewachsen, der gefährlichsten
Gegend der Welt. Da sollst du wohl nach Umbra kommen können. Pass
aber bitte trotzdem gut auf dich auf. In Königswinter hat sich eine
große Gruppe von Reisenden zusammengefunden, die in die alte Welt
wollen. Wie ich gehört habe, sind sehr viele Bewaffnete dabei. Gib
also bitte Acht, dass du ihnen nicht über den Weg läufst!"
Sie überlegte kurz.
"Möchtest du nicht über mein Haar
streichen? Du weißt: Schaden kann es nicht."
Lilly folgte dieser Aufforderung nur zu gern,
denn Jannies Haar brachte dem, der es streichelte Glück - und eine
Portion Glück konnte sie jetzt gut gebrauchen.
Lilly dankte Jannie herzlich und trieb dann
Palo an. Sie verließ das Schloss, wobei sie sich, wie vorher auch,
auf ihren Feenkompass konzentrierte, damit sie den Weg nach Hause fand.
Während ihres Rittes dachte sie oft an Jannie und Hieronto. Ein seltsames
Paar, die beiden. Jannie war zweifellos ein schönes Mädchen.
Selbst für Koboldbegriffe. Aber Hieronto? Lilly sah in vor sich: Einen
schlanken, hoch gewachsenen Mann mit schmalem Gesicht, hohen Wangenknochen
und schwarzen Mandelaugen. Trotz seiner breiten Schultern war er kein Muskelprotz,
sondern sehnig und geschmeidig wie eine Katze. Dazu war er freundlich und
klug. Er war somit die Freude aller menschlichen Schwiegermütter und
Mädchen. Lilly schüttelte den Kopf. Wie konnte Jannie nur einen
derart unansehnlichen Mann lieben? Sie als Koboldin stellt da schon höhere
Ansprüche!
***
Ganz in Gedanken versunken ritt Lilly dahin.
Es gingen ihr so viele Dinge durch den Kopf, dass sie gar nicht bemerkte,
dass sie sich einer breiten Spur näherte, die genau auf ihr eigenes
Ziel zulief: Den Finsterwald. Erst als sie die Ausläufer des Waldes
erreicht hatte, die sich ihr wie eine massive Wand aus dicht belaubten
Baumriesen entgegenstellte, nahm sie die Spuren wahr. Es brauchte einige
Minuten, bis sie akzeptierte, was sie da sah. Schließlich saß
sie auf dem Rücken eines Pferdes. Normalerweise durfte sie den Weg
unter sich gar nicht sehen können. Ihr Blickfeld besaß ja nur
einen Umfang von einem Meter. Trotz Palos geringer Größe befand
sie sich aber höher als einen Meter über dem Boden. Die Spuren
sah sie aber trotzdem! Ihr Blickfeld musste sich mindestens verdoppelt
haben! Sollte allein die Tatsache, dass sie ihren Weg nach Umbra angetreten
hatte, schon ausreichen, ihr Sehen zu verbessern? Das war kaum vorstellbar!
Lilly schüttelte diese Gedanken ab. Sie lenkten sie nur unnötig
ab. Letztendlich waren die Gründe für die Erweiterung ihres Blickfeldes
unwichtig. Allein die Tatsache, dass es so war, zählte. Was weiter
zählte, das waren die Spuren. Sie musste sie unbedingt untersuchen,
denn es war immer wichtig, zu wissen, wen man vor sich hatte, wenn man
allein unterwegs war. Ihr Leben konnte davon abhängen. Lilly stieg
also ab und machte sich daran, die Spuren so gewissenhaft zu lesen, wie
sie es von ihrem Vater gelernt hatte.
Hier war eine große Schar von Reitern
vorbeigekommen. Der Boden war aufgewühlt, als hätte die Gruppe
hier Halt gemacht, um sich vor dem Eindringen in den Finsterwald zu beraten.
Hier konnte sie nicht viel erkennen. Die Spuren waren unklar und verwischt.
Lilly bestieg ihr Pferd wieder, um einige hundert Meter auf der Spur zurück
zu reiten. Bald fand sie eine Stelle, an der der Tross noch geordnet daher
gezogen war. Wiederum stieg sie ab. Jetzt konnte sie die Spur lesen. Sie
zählte 105 Pferde, die vor etwa einer Stunde hier vorüber gezogen
waren. 20 von diesen waren schwer beladene Packpferde gewesen, die mit
ruhigem, gleichmäßigem Schritt gegangen waren. Fünf ledige
Ersatztiere waren auch dabei. Auf den restlichen 80 Tieren hatten Reiter
gesessen. Jannie hatte von einer großen Truppe gesprochen, die sich
in Königswinter gesammelt hatte. Offenbar war sie bereits aufgebrochen.
Sie hatte Glück gehabt, dass sie nicht mit diesen Reitern zusammengetroffen
war. Gehandicapt durch ihre Sehschwäche hätte sie kaum eine Chance
gehabt, dieser Meute zu entkommen. Wer weiß, was man ihr angetan
hätte! Kobolde waren bei den Menschen nicht sonderlich beliebt. Erst
recht keine Kobolde, die man in der Nähe des Finsterwaldes traf. Wusste
man doch um den zum Teil unverschämt hohen Wegzoll, den sie für
die Passage durch den Wald forderten. Entweder hätte man sie gleich
umgebracht oder zunächst als Geisel mitgenommen, um freien Durchzug
zu erpressen.
Die Reiter hatten einen Vorsprung von einer
Stunde. Das war gemessen an der Größe der Gruppe und des schwierigen,
unbekannten Weges nicht viel. Sie würden nicht schnell vorankommen.
Lilly dagegen war im Finsterwald zu Hause und kannte sich ausgezeichnet
aus. Sie würde keine Probleme haben, abseits des sich umständlich
windenden Weges ein schnelleres Tempo vorzulegen und so ihre Eltern rechtzeitig
zu warnen. Sie stieg wieder auf und presste Palo die Fersen in die Weichen.
Sehschwäche oder nicht: Jetzt kam es drauf an! Ross und Reiterin jagten
im gestreckten Galopp auf den Wald zu und tauchten dort unter. Der Wettlauf
mit der Zeit hatte begonnen.
***
Schon kurz nach dem Eindringen in den Wald
musste Lilly einsehen, dass sie trotz der drohenden Gefahr mit Umsicht
an die Sache herangehen musste. Sie nahm Palo ein wenig zurück, so
dass dieser in Schritt verfiel. Es brachte überhaupt nichts, wenn
sie ihrem inneren Drängen nachgab und mit Volldampf zum Dorf der Kobolde
ritt. Die Gefahr, dass sie selbst oder ihr Pferd sich verletzten, war einfach
zu groß, der Wald zu dicht. Außerdem musste sie auf Spinnen,
Trolle und sonstiges Ungetier achten, das sich hier herumtrieb. Nein! Sie
zwang sich zur Vernunft und legte nun eine den Umständen nach noch
gerade zulässige Eile an den Tag. Aufmerksam beobachtete sie mit all
ihren Sinnen die Umgebung. Nur so konnte sie sicher sein, auch wirklich
zu Hause anzukommen und nicht im Magen eines Ungeheuers zu landen. Trotz
ihrer Eile brauchte sie zwei Tage, um in ihr Dorf zu kommen, das etwas
abseits des Weges lag, der durch den Wald führte. Voller Triumph und
freudiger Erwartung ritt sie auf die Ansiedlung zu. Hier kam Lilly, die
Retterin ihrer Koboldsippe. Sie, der ehemalige Schrecken der Gemeinschaft,
war jetzt, kaum, dass sie sich entschlossen hatte, sich wie ein erwachsener
Mensch zu benehmen, sogleich zur Retterin ihrer Art geworden! Oh, wie würde
man sie feiern! Sie würde eine Heldin sein! Eine Heldin, die ihr Volk
vor einem gewaltigen Heer von Feinden gerettet hatte. Ihr Vater würde
ein Fest für sie geben und sie in die Reihen der Krieger aufnehmen.
Man stelle sich vor: Sie als erstes Mädchen der Kobolde in den Reihen
der Krieger. Man würde ihr erlauben müssen, ein Langschwert zu
tragen. – Und ihr Vater würde sie im Schwertkampf unterrichten! Lilly
platzte fast vor Stolz! Sie gab Palo die Sporen und trieb ihn zwischen
die Hütten.
"Alarm!" rief sie. "Alarm! Hundert Reiter
durchqueren den Wald! Alarm!"
Eine sanfte Hand fasste sie am Arm.
"Ruhig Blut, mein Kind!" sagte eine freundliche
Stimme. "Wir wissen, dass die hundert Reiter kommen. Du brauchst also nicht
den ganzen Wald in Aufruhr zu bringen."
Lilly war wie vor den Kopf geschlagen.
"Aber Mutter! Diese Leute sind eine große
Gefahr für uns alle. Wir müssen uns doch verteidigen!" Sie sah
sich besorgt um. "Wo sind denn alle unsere Männer hin? Ich sehe niemanden.
Wer soll denn nun kämpfen?"
"Nun beruhige dich erst einmal, Lilly, und
komme mit in die Hütte. Da können wir alles in Ruhe besprechen.
Steige bitte ab!"
Betäubt und völlig durcheinander
tat Lilly, wie ihr ihre Mutter geheißen. Eine herbeieilende alte
Koboldin nahm sich des Ponys an. Für Palo war also gesorgt.
In der Hütte bot Lisa ihrer Tochter etwas
zu essen und zu trinken an. Mit der für Erwachsene typischen Überlegenheit
erklärte sie ihr, dass ihre ganze Aufregung umsonst gewesen war.
"Wir wissen schon seit einigen Wochen davon,
dass sich in Königswinter eine große Gruppe von Reisenden sammelt,
die geschlossen durch den Finsterwald brechen will, um ohne Wegzoll zu
zahlen in die alte Welt zu kommen."
"Woher wisst ihr das? Königswinter ist
doch viele Tagesreisen weit entfernt!" rief Lilly aus.
"Ach Kind," antwortete Lisa. "So etwas zu
wissen gehört doch zum Geschäft. Dein Vater unterhält Spione
in Königwinter, die ihn über alle wichtigen Ereignisse auf dem
Laufenden halten. Die jetzige Reisegesellschaft besteht aus 80 schwer bewaffneten
heimatlosen Rittern, 20 Packpferden und fünf ledigen Ersatztieren.
Insgesamt also aus 80 Menschen und 105 Tieren. Dein Vater wird sie abfangen
und den üblichen Tribut verlangen."
"Aber das ist doch gefährlich!" rief
Lilly aus. "Was ist, wenn sie nicht zahlen wollen und sich wehren? 80 bewaffnete
Ritter sind doch kein Pappenstiel!"
"Wie ich schon sagte, meine Tochter," erwiderte
Lisa ungerührt. "Das ist business as usual. So etwas erlebt dein Vater
Tag für Tag. Es hat schon größere Gruppen gegeben, die
nicht zahlen wollten. Daran, dass dein Vater noch lebt, kannst du sehen,
wie die Geschichten bis jetzt immer ausgegangen sind."
Lilly wusste nicht, ob sie über diese
Informationen glücklich oder enttäuscht sein sollte. Auf der
einen Seite war sie natürlich erleichtert darüber, dass El Pitto
Gnomo gut vorbereitet war und die Sache wie eine reine Routineangelegenheit
abwickeln würde. Auf der anderen Seite fühlte sie sich auch um
ihren verdienten Lohn geprellt. Ruhm, Lob und Ehre waren ihr nicht gegönnt.
Im Gegenteil! Sie stand da wie eine dumme Gans, über deren Naivität
die Erwachsenen nur schmunzeln konnten. So ein Ärger! Erwachsene waren
schrecklich.
Für Lisa war das Gespräch aber noch
nicht beendet.
"Wie war es denn nun bei der Alraune. Erzähle
mal!" bat sie ihre Tochter.
Lilly berichtet lustlos, was sich bei der
Alraune zugetragen hatte und verschwieg auch nicht, dass sich ihre Sehweite
deutlich verbessert und sie innerhalb der Hütte völlig freie
Sicht hatte.
"Das ist schön!" freute sich Lisa. "Mir
ist nur nicht klar, warum du ausgerechnet nach Umbra gehen sollst. Erzherzog
Gerold von Umbra gilt als strenger aber gerechter Herrscher, der seine
Untertanen nicht schlecht behandelt. Sein Reich bietet nichts Besonderes.
Auch in medizinischer oder magischer Hinsicht ist an diesem Land nichts
Bemerkenswertes."
Sie schüttelte nachdenklich den Kopf
und seufzte.
"Na ja! Die Alraune wird schon wissen, was
sie tut! Immerhin hat sie dafür gesorgt, dass sich der Fluch weiter
abgeschwächt hat. Unsere Hütte ist recht groß. Wenn du
sie völlig überblicken kannst, kannst du dir schon ganz gut helfen.
Wann willst du aufbrechen?"
"So schnell wie möglich. Ich möchte
noch mitbekommen, wie Papa mit den Rittern fertig wird."
Lisa konnte die Neugier ihrer Tochter gut
verstehen, wenn sie auch Bedenken hatte. Sie wusste nur zu gut, wie grausam
die Kämpfe zwischen den Kobolden und den Durchreisenden verlaufen
konnten. Sie machte sich selbst große Sorgen, denn die 80 Ritter
waren eine beachtliche Streitmacht. Vielleicht zahlten sie aber auch den
Wegzoll.
Lillys Gepäck war schnell zusammengesucht
und auf dem Rücken Palos verstaut. Trotz der bevorstehenden langen
Reise brauchte sie nicht viel: Ein kleines Lederzelt, das ihr bei schlechtem
Wetter Schutz bieten würde, eine warme Decke, in die sie sich zur
Not einmummeln konnte, Kleidung aus widerstandsfähigem Troll-Leder,
eine ausreichende Menge an Dörrfleisch und Dörrobst als Wegzehrung
und, nicht zu vergessen, ein Kurzschwert sowie einen Dolch zur Verteidigung
und als Werkzeug. Ein paar Schlingen für die Kaninchenjagd, sowie
ein paar Münzen, die in der alten Welt als Zahlungsmittel akzeptiert
wurden, wanderten auch noch ins Gepäck.
Zum Schluss übergab Lisa Lilly noch einen
neu kalibrierten Elfenkompass.
"Er wird dir sicher den Weg nach Umbra weisen,"
erläuterte sie. "Ich hoffe, dass sich deine Sehkraft während
deiner Reise weiter verstärkt. Die Alraune würde dich nicht losschicken,
wenn du keine Aussicht auf Erfolg hättest. Niemand kennt sie besser
als ich."
Lilly nickte, wobei sie hoffte, dass diese
Worte nicht der Auftakt zu einer längeren Erzählung waren. In
der Regel konnte ihre Mutter sich nicht mehr zurückhalten, wenn sie
erst einmal damit begonnen hatte, von der Alraune zu erzählen. Schließlich
hatte sie die Mutterpflanze viele Jahre lang auf Geheiß Xusias in
der Pergotzkatl-Höhle bewacht, bis sie endlich El Pitto Gnomo kennen
gelernt und sich in ihn verliebt hatte. Zum Glück aber hatte Lisa
heute Verständnis für die Ungeduld ihrer Tochter. Beide verabschiedeten
sich herzlich voneinander. Kurze Zeit später saß Lilly wieder
auf Palo und machte sich auf den Weg nach Umbra. Zwangsläufig würde
sie so auf ihren Vater stoßen, der den Tross der Reisenden aufhalten
würde.
***
Selbst für die Kobolde, die im Finsterwald
zu Hause waren, war dieser voller Gefahren. Auch sie mussten ihren Weg
mit aller Sorgfalt und Aufmerksamkeit wählen, wenn sie nicht umkommen
wollten. Um wie viel schwieriger und langwieriger musste da erst der Ritt
für die unerfahrenen Ritter sein, die sich ihren Weg durch den Forst
bahnten. Der allgemein benutzte Pfad, der sich durch den Wald wand, wuchs
immer wieder zu, so dass er wohl ganz gut zu erkennen war, aber doch auch
immer wieder frei geschlagen werden musste, wenn man mit Sack und Pack
durchkommen wollte. Für die 80 Ritter war das eine mühselige,
kraft- und zeitraubende Tätigkeit, die sie nur langsam vorankommen
ließ.
Lilly hatte somit keine Schwierigkeiten, den
Trupp rechtzeitig einzuholen, wenn sie auch immer wieder sorgsam ihre Umgegend
beobachten musste, um den allseits vorhandenen Fangseilen und Netzen der
Riesenspinnen auszuweichen. Inmitten des Dickichts konnte kein Mensch weiter
als wenige Meter sehen, so dass ihre Sehschwäche hier nicht ins Gewicht
fiel. Sie kam gut zurecht. Immer aber legte sie äußersten Wert
darauf, möglichst lautlos voranzukommen. Die umherstreifenden Trolle
sahen zwar nicht besser als sie selbst, besaßen aber ein unglaublich
feines Gehör. Was sie nicht sahen oder witterten, das hörten
sie bestimmt. Die Gefahr, von ihnen schon jetzt, inmitten des Herrschaftsbereichs
der Kobolde angegriffen zu werden, war aber relativ gering. Doch je weiter
sie sich von zu Hause entfernen würde, umso größer würde
die Gefahr werden und umso vorsichtiger würde sie selbst sein müssen.
Im Moment aber musste sie in erster Linie Obacht geben, dass sie nicht
zufällig einem Ritter in die Arme lief, der sich vielleicht von der
Hauptgruppe getrennt hatte, um die Umgebung zu erkunden. Doch selbst wenn
das passieren würde, würde sie sich zu helfen wissen. Sie würde
ihn einfach in die Nähe eines Spinnenhorstes bringen. In seiner Unerfahrenheit
würde er gewiss an einem der klebrigen Fangseile hängen bleiben.
Den Rest würde die Spinne erledigen.
Obwohl Lilly wusste, dass sie sich der Abfangstelle
der Kobolde bereits sehr genähert hatte und in jedem Moment auf die
Truppe ihres Vaters treffen musste, war sie mächtig erschreckt, als
eine knochige Hand aus dem Gestrüpp fuhr, sie am Arm packte und in
die Büsche zog. Im Nu lag sie auf dem Boden. Auf ihr hockte ein Koboldmann
und grinste sie unverschämt an.
"Ach! Schau an, Lilly, der Schrecken der Landstraße
ist da! Was führt dich den her, mein Täubchen?"
Statt einer Antwort bekam der Kerl eine satte
Ohrfeige, die ihn auf den Boden warf. Koboldfrauen wissen sich zu wehren.
Lilly machte da keine Ausnahme.
Dem Kobold machte dies nichts aus. Koboldsche
Umgangsformen waren ihm bekannt. Er rappelte sich schnell wieder auf.
"Psst!" flüsterte er. "Die Ritter sind
schon ganz nah. Ich muss wieder auf meinen Platz."
Lilly war nahe daran, zu bedauern, dass er
schon wieder verschwand, denn mit seinem kantigen, übergroßen
Schädel, den gewaltigen Segelohren und kleinen Schielaugen war er
ein wirklich schicker Bursche. Neugierig kroch sie ihm nach. Dabei stellte
sie fest, dass der Wald um sie herum voller Kobolde steckte. Jedes Gestrüpp,
jeder Busch beherbergte ein ganzes Knäuel der kleinen Kerle. Die Ritter
würden sich wundern! Es dauerte einige Zeit, bis sie "ihren" Kobold
wieder erreicht hatte. Seine spitze, mehrfach gebrochene Nase richtete
sich auf sie.
"Ach, willst du mal sehen, wie wir die Kerle
fertig machen werden?" zischte er, wobei er seinen langen Dolch fest umklammerte.
Lilly konnte den Weg gut erkennen. Das Gebüsch
befand sich in unmittelbarer Nähe ihres Vaters, der, auf sein Langeschwert
gestützt, den Pfad versperrte. Klirrend näherte sich der Trupp
der Ritter. Er wurde von einem breitschultrigen, großen und brutal
aussehenden Reiter angeführt.
"Halt!" rief da die unverkennbare Stimme El
Pitto Gnomos. "Von hier an geht’s nicht mehr weiter. Erst ist der Wegzoll
zu entrichten."
"Was für ein Wegzoll?" erwiderte der
Anführer. "Nimm deine krummen Beine in die Hand und scher dich weg,
du hässlicher Wicht, oder ich werde dir den Kopf von den Schultern
holen!"
El Pitto Gnomo nahm sowohl das Kompliment
als auch die Drohung mit Würde hin.
"Der Wegzoll beträgt für euch 20
Pferde 20 Schwerter und 20 Säcke Mehl!" erläuterte er ruhig.
"Und mach dir keine falschen Hoffnungen. An mir kommt keiner vorbei!"
Die Ritter hatten natürlich von den Kobolden
gehört und wussten, dass die Entrichtung des Wegzolls im Prinzip unvermeidlich
war, wenn sie unbehelligt weiterreisen wollten. Zudem verfehlte El Pitto
Gnomos selbstsichere Ruhe ihre Wirkung nicht. Dennoch waren sie über
die Höhe der Forderung überrascht. Allein die 20 Pferde waren
ein Vermögen wert.
"Was wollt ihr Kobolde hier im Finsterwald
mit so vielen Pferden?" rief der Brutale höhnisch. "Ihr Kobolde seit
viel zu klein, um sie zu reiten!"
"Wer spricht von reiten?" gab El Pitto Gnomo
zurück. "Wir werden sie essen!"
Diese Antwort war für die Ritter ein
Schlag ins Gesicht. Ihre wertvollen Schlachtrösser sollten geschlachtet
und gebraten werden wie gemeine Ochsen? Unruhe entstand unter ihnen. Nach
kurzer Beratung wandte sich der Anführer der Gruppe wieder an El Pitto
Gnomo.
"Ich mache dir einen Vorschlag. Wir beide
kämpfen miteinander. Mann gegen Mann. Wenn du gewinnst, dann gehen
wir auf deine Forderung ein. Verlierst du, haben wir freien Abzug. Was
hältst du davon?"
"Wir können gerne gegeneinander antreten,"
kam die Antwort. "Ich schlage nur eine Änderung vor: Wenn du verlierst,
gehört uns die Hälfte all dessen, das ihr mit euch führt.
Ihr könnt jetzt schon anfangen auszupacken!"
Der Sprecher der Ritter grinste überlegen.
Offensichtlich hatte er noch nie von El Pitto Gnomo gehört, denn sonst
hätte er dankend auf einen Zweikampf verzichtet. Er stieg von seinem
Pferd, vertrat sich kurz die Beine, um locker zu werden und trat dann mit
gezogenem Schwert auf den Kobold zu.
"Damit du es weißt, ich bin Graf Ottfried
von Neuffen und bisher noch nie im Schwertkampf bezwungen worden. Wir kämpfen
bis zum Tod. Genieße die letzten Atemzüge deines Lebens!"
Obwohl Lilly wusste, dass ihr Vater ein unvergleichlicher
Schwertkämpfer war, bekam sie es doch ein wenig mit der Angst zu tun.
Der Graf war mehr als doppelt so groß wie sein Gegner und sehr stark.
Hoffentlich ging alles gut!
"Und ich bin El Pitto Gnomo, der Häuptling
der Finsterwaldkobolde!" kam die Entgegnung.
Der Graf wollte die Sache wohl schnell hinter
sich bringen und drang ungestüm auf seinen kleinen Gegner ein. Er
hob sein Schwert und ließ es mit Wucht hinuntersausen. Der Schlag
hätte den Kobold mit Sicherheit in zwei Hälften geteilt, wenn
er sein Ziel erreicht hätte. Doch der Zweihänder El Pitto Gnomos
fing den Hieb ab. Lilly hatte ihren Vater schon oft im Zweikampf gesehen
und erwartet, dass dieser sich wie üblich zunächst nur spielerisch
wehren würde, um erst dann seine ganzen Fähigkeiten einzusetzen.
Doch sie hatte sich getäuscht. Dies hier war kein Schaukampf, sondern
bitterer Ernst. Die Einforderung des Wegzolls war unmittelbarer Bestandteil
des Überlebenskampfes der Kobolde. Nachgiebigkeit konnten sie sich
nicht leisten. Noch im Abfangen des Angriffs des Ritters drehte El Pitto
Gnomo sein Schwert leicht nach rechts, stieß es vor, zog die Klinge
nach oben und trennte mit dieser unnachahmlich geschmeidig ausgeführten
Bewegungsfolge den Schwertarm seines Gegners von dessen Körper ab.
Graf Ottfried starrte ungläubig auf seinen am Boden liegen Arm. Dann
folgte ein dumpfer Blick auf den blutenden Stumpf, an dem eben noch sein
Arm gewesen war. Im nächsten Moment stieß El Pitto Gnomo ihm
das Schwert tief in die Brust. Der Kampf war beendet, kaum dass er begonnen
hatte.
Die Ritter stießen ein lautes Wutgeheul
aus. Alle griffen zu den Waffen. Es war klar, dass sie sich nicht an die
Abmachung halten wollten.
"Nieder mit dem Kobold. Erschlagt ihn!" riefen
sie und machten sich daran, ihn anzugreifen.
Doch wiederum hatten Sie die Rechnung ohne
den Wirt gemacht. Der entsetzliche Schlachtruf der Kobolde des Finsterwaldes
brandete auf. Mit ohrenbetäubendem Brüllen sprangen die Kämpfer
El Pitto Gnomos wie wahnsinnige Teufel aus dem Dickicht. 200 hässliche
Gestalten stachen, hackten und schlugen von allen Seiten zugleich auf die
Ritter ein. Und das mit einer Kraft und Verbissenheit, die niemand den
kleinen Kerlen zugetraut hätte. Kobolde kennen keine Regeln. Sie sind
klein und gemein. Die Ritter hatten keine Chance. Sie hatten ihre Gelegenheit
bekommen, die Passage zu erkaufen. Sie wollten nicht? Nun gut. Innerhalb
weniger Augenblicke hatten die Kobolde alle ihre Gegner bis auf einen,
den sie entkommen ließen, erschlagen. Die Toten und Schwerverletzten
schleppte man in die Büsche, wo sie später vom Gewürm und
den Ungeheuern des Finsterwaldes gefressen wurden. Das Leben im Finsterwald
war hart - und das Sterben auch.
***
Die Beute wurde gerecht unter den beteiligten
Sippen verteilt. Selbst El Pitto Gnomo, der doch der unumstrittene Anführer
der Kobolde war, nahm sich nicht mehr als alle anderen, denn die Gemeinschaft
konnte nur dann überleben, wenn sich alle einig waren. Es durfte keinen
Grund für Eifersüchteleien geben.
Lilly fand nun endlich Zeit, mit ihrem Vater
über ihre Reise zu sprechen.
"Fast hätte ich Angst um dich gehabt,
als der Ritter auf dich zustürmte," bekannte sie leise, um ihren Vater
vor seiner Truppe nicht in Verlegenheit zu bringen.
Doch der lachte nur amüsiert auf.
"Ach der!" meinte er. "Graf Ottfried war ein
recht bekannter Haudegen, der mit dem Schwert aber nicht so gut umgehen
konnte, wie man es von einem Mann seines Standes eigentlich hätte
erwarten sollen. Mir wäre es trotz allem lieber gewesen, wenn er auf
unsere Forderung eingegangen wäre. Es macht keinen Spaß, Menschen
zu töten."
"Aber ihr habt es getan!" entgegnete Lilly
mit leichtem Vorwurf in der Stimme. "Du hättest die Leute einfach
ziehen lassen können."
"Nein! Das ging eben nicht!" widersprach ihr
Vater. "Es ist unser gutes Recht, unseren Wegzoll zu verlangen. Wenn sich
herumspricht, dass wir mal von ihm Gebrauch machen und mal wieder nicht,
dann verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit. Die Kämpfe würden
zunehmen und letztendlich mehr Menschen ihr Leben verlieren, als wenn wir
konsequent auf unserem Recht beharren. Da habe ich auch gar kein schlechtes
Gewissen. Wir lassen in der Regel immer ein Mitglied der Gruppe entkommen.
Wie auch heute. So wird sich dieser Vorfall herumsprechen und anderen eine
Lehre sein."
Lilly zuckte aufgrund dieser haarsträubenden
Logik mit den Schultern. Sie konnte sowieso nichts an den Sitten der Kobolde
ändern. Außerdem hatte sie andere Sorgen. Sie erklärte
El Pitto Gnomo kurz, dass sie bei der Alraune gewesen war und was diese
ihr aufgetragen hatte. Ihr Vater runzelte nachdenklich die Stirn.
"Hmm!" meinte er und runzelte unwillig die
Stirn. "Das höre ich nicht gerne. Der Weg nach Umbra ist weit. Selbst
wenn du heil aus dem Finsterwald herauskommst, woran ich nicht zweifle,
denn du kennst dich hier gut aus, sind die Gebiete, die du anschließend
durchreiten musst, nicht ohne Gefahr. Mir wäre es lieber, wenn ich
dich begleiten könnte."
"Die Alraune hat mir aber unmissverständlich
gesagt, dass ich allein reisen muss!" beharrte Lilly, besorgt, dass ihr
Vater ihr die Reise unter diesen Umständen verbieten würde. Zum
ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass El Pitto Gnomo vielleicht doch ein
fürsorglicherer Vater war, als sie angenommen hatte. Ausgerechnet
jetzt! Sie kam ins Schwitzen.
"Na gut! Meinen Segen hast du," entschied
er zu ihrer Erleichterung, wobei er seinen Zweihänder in die Scheide
schob. "Aber eins sage ich dir: Wenn dir die Alraune einen schlechten Rat
gegeben hat und du nicht heil wieder zurückkommst, dann werde ich
sie in Stücke hacken. Höchstpersönlich!"
Lilly hatte ihren Vater noch vor wenigen Minuten
als kompromisslosen Kämpfer gesehen. Sie zweifelte keine Sekunde daran,
dass er seine Drohung wahr machen würde. Sie sah ihn vor sich, wie
er sein Schwert schwang, um die Alraune zu zerschlagen. Es war erschreckend,
aber auf eine erwärmende Art beruhigend zugleich.
Bevor sie sich abwandte, flüsterte er
ihr aber noch schnell zu:
"Vor vier Tagen ist eine Gruppe von drei Kaufleuten
durchgezogen, die auch nach Umbra wollen. Wenn du sie unterwegs zufällig
triffst, kann die Alraune ja nichts dagegen haben, oder?"
***
Lillys nun folgender Marsch durch den Finsterwald
war ein Kräfte zehrendes Martyrium. Der Pfad, der sich quer durch
den Forst zog, war dadurch, dass er nur selten benutzt wurde, häufig
wieder zugewachsen und deshalb schwer zu erkennen. Es gab Strecken, die
sie bequem auf dem Rücken Palos zurücklegen konnte. Manchmal
sogar im leichten Trab. Oft stand sie aber auch vor einer dichten Wand
aus in sich verschlungenen Ästen und Schlingpflanzen und wusste nicht,
in welcher Richtung sie sich hindurch schlagen sollte. Hin und wieder kam
es vor, dass sie, nachdem sie sich hindurchgekämpft hatte, feststellen
musste, dass ihre Mühe umsonst gewesen war und sie den Durchbruch
an einer anderen Stelle erneut versuchen musste. Das kostete Kraft und
Nerven. Zum Glück war sie als Koboldin hart im Nehmen und ließ
sich ihren Mut nicht nehmen. Für Reisegesellschaften war dies alles
auch unangenehm, aber da sie ihre Kräfte wechselweise einsetzen konnten,
kamen sie schneller und kräfteschonender an als die einsame Lilly,
die sich ihre Reserven klug einteilen musste, wenn sie nicht letztendlich
scheitern wollte. Sie hatte aber Glück, dass die Dreiergruppe erst
vor vier Tagen denselben Weg genommen hatte. Auf diese Weise war der Verhau
nicht überall so dick, wie er es sonst gewesen wäre. Aber das,
was sich inzwischen wieder an Bewuchs angesammelte hatte, reichte vollkommen
aus, sie nachhaltig zu beschäftigen.
Aber der Weg war nicht das Problem allein.
Sie musste ständig auf der Hut vor den Fallen der Spinnen und anderen
Räubern, wie Trollen und Wölfen sein. Die Spinnen waren zum Glück
nicht so zahlreich, dass man ihnen alle Nasen lang begegnete. Wäre
das so gewesen, wäre der Finsterwald schon längst entvölkert
gewesen, denn wenn man einem dieser Raubtiere in die Falle ging, gab es
keine Rettung mehr. Die großen Achtbeiner gehörten nicht alle
zu der Sorte, die kunstvolle Netze baute. Die meisten Spinnen des Finsterwaldes
hatten sich darauf spezialisiert, ausgeklügelte Fallen mit Frühwarnsystemen
aufzustellen: Sie suchten sich hoch oben in den Bäumen eine ihnen
genehme Stelle, an der sie sich einen Unterstand bauten. Um diesen Kokon
herum spannten sie ein ausgedehntes System von Alarmfäden, die so
fein gewebt waren, dass sie praktisch unsichtbar waren. Selbst die gewitzten
Kobolde hatten bisher nicht herausfinden können, wie die großen
Spinnen so feine Fäden weben konnten. Alle Alarmfäden endeten
im Zentrum des Kokons, in dem die Spinne saß und wartete. Ob eine
potentielle Beute, die durch den Wald zog, die Fäden nun entweder
zerriss oder nur berührte: Der Jäger konnte sie nicht nur sofort
lokalisieren, sondern auch ihren Weg weiter verfolgen. Kam das Opfer auf
sie zu, blieb die Spinne wo sie war und wartete einfach ab. Entfernte es
sich, eilte sie schnellstmöglich herbei. Sobald die Beute in Reichweite
war, bewarf sie diese mit einem feinen Schauer aus Spinnseidetröpfchen.
Wenn das Opfer sich nun gegen diesen Beschuss wehrte, zog es durch seine
heftigen Bewegungen die Tropfen zu Fäden aus, die sich schnell verhärteten
und es so nachhaltig fesselten. Die Spinne brauchte nur abzuwarten, bis
ihr Braten bewegungsunfähig war und konnte sich dann mit Genuss über
ihn hermachen. Selbst schwer bewaffnete Ritter hatten keine Chance gegen
die Angreifer. Wie wollte man sich wehren, wenn man zu einem handlichen
Paket verschnürt war? Wer nun aber zu der Überzeugung kam, dass
der Zusammenschluss zu einer größeren Reisegruppe ausreichenden
Schutz bieten müsse, der saß einer Fehleinschätzung auf.
Die Spinnen des Finsterwaldes pflegten den Reisegruppen auf ihrem Weg durch
ihr Jagdrevier zu folgen. Dabei benutzten sie ein Straßennetz aus
Seide, das es ihnen erlaubte, über kurze Strecken selbst das Tempo
eines Pferdes mitzuhalten, solange es nicht gerade in Galopp verfiel. Groß,
schnell und stark wie sie waren, fingen sie dann einen Reisenden nach dem
anderen mit einem klebrigen Lasso aus Spinnseide aus der Gruppe heraus.
Ganz wie ein Hirte Kälber aus einer Rinderherde. Das alles geschah
in der Regel so schnell, dass die Unglücklichen vielleicht noch einen
kurzen Schrei ausstoßen konnten und schon irgendwo hoch oben in den
Wipfeln hingen, wo die Spinne sie dann nach und nach einsammelte, um sie
in ihre Vorratskammer zu hängen, bis sie als Mahlzeit an der Reihe
waren, was einige Zeit dauern konnte. Denn die Lassoschwinger konnten zur
Not monatelang ohne Nahrung auskommen. Doch das machte nichts. Die Beute
war gelähmt und gut konserviert. Sie hielt sich lange frisch. Es war
nicht bekannt, was die Opfer von ihrer Lage mitbekamen. Waren sie bei Bewusstsein?
Hatten sie Schmerzen? Niemand wusste es, denn bisher war noch nie jemandem
die Flucht gelungen.
Lilly machte sich aber keine allzu großen
Sorgen. Im Laufe seines Lebens entwickelte jeder Kobold einen natürlichen
Instinkt in Bezug auf die Spinnen. Nur kleinere Kinder mussten noch beschützt
werden. Aber mit der Zeit bemerkte jeder Kobold intuitiv, wenn er sich
einem Fallensystem näherte. Bisher war es noch keiner Spinne gelungen,
einen Kobold zu fangen. Und die Kobolde ließen ihrerseits die Spinnen
in Ruhe. Zwischen den beiden Parteien herrschte ein unausgesprochener Waffenstillstand.
Unangenehmer war dagegen schon jetzt das lichtscheue
Gesindel, das den Boden des Waldes belebte. Gerade Asseln, Tausendfüßler
und Schlangen, die ständig auf Nahrungssuche waren, fielen zu gerne
über unachtsame Wanderer her. Hier war besondere Vorsicht angebracht.
Doch Lilly wusste genau, wie sie sich verhalten musste, um verschont zu
bleiben.
Noch schlimmer waren die Abende. Wenn die
kurze Dämmerung, der schnell eine absolut schwarze Nacht zu folgen
pflegte, anbrach, wäre Lilly am liebsten sofort auf den Boden gesunken,
um zu schlafen. So müde war sie. Doch gerade jetzt durfte ihre Aufmerksamkeit
nicht erlahmen! Nachts erwachten Krabbeltiere, die selbst das dürftige
Tageslicht des Finsterwaldes scheuten, zu hungrigem Leben. Raschelnd und
knisternd durcheilten sie das Gehölz, um nach Essbarem zu suchen.
Schlafende, die sich auf dem Boden ausgestreckt hatten, waren dann schnell
von einer wimmelnden Masse bedeckt, die sich an ihrem Fleisch gütlich
tat.
Lilly kannte die Stellen, die sie meiden musste
und solche, die relativ sicher waren. Besonders trügerisch war die
"Bleib-hier-Pflanze", die mit ihrem wohltuenden Grün den ansonsten
grauschwarzen Boden bedeckte und eine traumhaft gemütliche Unterlage
bot. Wer immer sich aber auf sie legte, konnte nach einigen Stunden nicht
mehr aufstehen, da sich die Ausläufer der Pflanze in der Zwischenzeit
in seine Haut gebohrt und mit dem Fleisch des Unglücklichen fest verbunden
hatten. So gefesselt wurde das Opfer langsam aber sicher verdaut, wobei
die oben erwähnten Krabbeltiere und andere Bewohner des Waldes nach
Kräften mithalfen.
Als sie das Zentrum des Waldes erreichte,
wurde es so dunkel, dass der Pflanzenbewuchs stark zurückging und
riesigen Pilzkolonien Platz machte. Die Pilze gediehen unter den für
andere Lebensformen so ungünstigen Lebensverhältnissen so prächtig,
dass sie oft zwei bis drei Meter hoch wurden. Die Pilze an sich waren aber
völlig harmlos. Schlimmer waren die armdicken, weißen Ranken
der Schlingpflanzenarten, die sich dieser Umgebung angepasst hatten. Sie
bildeten schleimige, übel riechende Blüten aus, auf denen Myriaden
von kleinen Fliegen lebten. Ritt Lilly an ihnen vorbei, stiegen sie auf,
umschwirrten sie und krabbelten in Nase und Ohren. Zum Glück waren
sie nur lästig und nicht gefährlich, denn sie stachen oder bissen
nicht. Die Fruchtstände der Schlinggewächse dagegen waren extrem
gefährlich. So mancher arglose Reisende hatte sie im Vorbeireiten
gestreift und sich mit ihrem Samen infiziert, der auf der Haut Wurzeln
schlug und sich langsam ausbreitete bis er den Körper vollständig
bedeckte und seinen Wirt langsam tötete. Es gab kein Mittel gegen
die Ausbreitung des Samens. Er wirkte immer tödlich.
So kämpfte sich Lilly Tag um Tag langsam
aber sicher voran. Vorbei ging es an Sümpfen, die von den zahlreichen
trüben Rinnsalen gespeist wurden, die kreuz und quer durch den Wald
flossen. In Tümpeln hockten seltsame Lurche, die die vorbeiziehende
Reiterin dumpfen Blickes anglotzten.
Dank ihrer Konstitution und ihrer Erfahrung
kam Lilly dennoch gut vorwärts und schaffte es sogar, den Abstand
zu der vor ihr herziehenden Händlergruppe zu verringern. Das Pony
seinerseits war auch zäh und genügsam, fand überall etwas
zu knabbern und döste immer nur dann, wenn Lilly ihm eine Pause gönnte.
Nach acht Tagen aber, als das Tageslicht sich wieder langsam stärker
als bisher bemerkbar machte und so anzeigte, dass sie die graue Welt des
Zentrums des Waldes verließen, waren beide am Ende ihrer Kräfte.
Den drei Händlern hatten sie sich inzwischen bis auf einen Abstand
von drei Stunden genähert und der Pfad war praktisch frei. Dennoch
stolperte Palo nur in einem mühsamen Schritt dahin. Pferd und Reiterin
waren zum Umfallen müde.
Lillys Instinkt war so abgestumpft, dass sie
das Gefühl einer unmittelbar drohenden Gefahr fast zu spät spürte.
Mit letzter Kraft riss sie Palo zurück, als sie unmittelbar nach einer
Biegung das dichte Gespinst eines Spinnennetzes erblickte. Die sich weit
verzweigenden Alarmfäden waren deutlich zu erkennen. Zu deutlich!
Hier stimmte etwas nicht! In der Regel verstanden es die Spinnen meisterhaft,
ihre Kunstwerke vor den Augen ihrer Beutetiere zu verbergen. Diese Spinne
aber hatte ganz eindeutig geschludert. Niemand, der auch nur halbwegs bei
Verstand war, konnte diesen Unterstand übersehen. Lilly war er nur
deshalb fast entgangen, weil sie vor lauter Müdigkeit kaum noch aus
den Augen sehen konnte. Sie sah sich um. Schlecht hatte die Spinne ihre
Stellung nicht platziert! Links und rechts des Weges standen noch hohe
Bäume. Ein Dickicht kräftiger Giftdornbüsche hatte den Raum
zwischen ihren Stämmen überwuchert. Hier gab es kein Durchkommen!
Es sei denn, sie machte sich die Mühe, sich durch die Dornen zu schlagen.
Aber jetzt? Entkräftet, hungrig und müde? Wer würde das
auf sich nehmen wollen? Die Händler hatte das jedenfalls nicht getan,
wie ihre Spuren bewiesen, die schnurstracks in das Gewebe hineinführten.
Lilly schüttelte nachdenklich den Kopf. Was mochte das nur für
eine Spinne sein, die sich dermaßen unprofessionell verhielt? Und
die Händler? Glaubten sie wirklich, es zu dritt mit einer Finsterwaldspinne
aufnehmen zu können?
Lilly stieg ab und trat näher an das
Netz heran. Täuschte sie sich oder war da eine Bewegung unmittelbar
vor ihr? Lilly rieb sich die Augen und schaute noch einmal genau hin. Tatsächlich!
Ein Schatten. Jetzt bewegte er sich wieder. Ganz kurz nur! Aber das war
eindeutig eine Bewegung! Sie überlegte. Die Besitzerin dieses Netzes
verhielt sich absolut ungewöhnlich. Mit ihr stimmte etwas nicht. Sollte
sie verletzt oder krank sein? Der Weg zum Rand des Finsterwaldes führte
durch dieses Netz. Sie war ganz einfach zu fertig, um sich durch die Dornbüsche
zu schlagen. Zurück konnte sie aus dem gleichen Grunde nicht mehr.
Es gab nur eins: Sie musste auf ihr Glück vertrauen. Entschlossen
trat sie durch die einzige Öffnung des Netzes in das Reich der Spinne.
***
Sogleich stand sie dem gefährlichsten
Raubtier des Finsterwaldes unmittelbar gegenüber. Die Bewegungen,
die sie wahrgenommen hatte, kamen von der Spinne selbst. Lilly hatte sie
beim Fressen gestört. Das Tier unterbrach seine Mahlzeit, ruckte hoch
und streckte ihr ihre zwei längsten Beine entgegen. Wie Speere zielten
sie auf ihren Kopf. Die zahlreichen Punktaugen glitzerten. Lilly war wie
gelähmt. Noch nie hatte ein Mensch die direkte Begegnung mit einer
Finsterwaldspinne überlebt. Jeden Moment musste sie zum Sprung ansetzen
und sich auf sie stürzen. Wie würde es sich anfühlen, wenn
die nervös gegeneinander schlagenden Giftklauen sich in ihren Körper
bohren würden? Würde sie Schmerzen verspüren? Käme
die einsetzende Lähmung schnell und vollständig? Die Sekundenbruchteile
vergingen wie kleine Ewigkeiten. Sie sprang nicht! Und Lilly erkannte,
warum die Spinne sich so ungewöhnlich verhalten hatte.
Der Achtbeiner war noch sehr jung und hatte
seine volle Größe noch nicht erreicht. Außerdem war er
halb verhungert. Der normalerweise schwarz behaarte Körper war bernsteinfarben
und durchsichtig wie Glas, die Haare kaum zu erkennen. Ebenso wirkten die
Beine dünn und zerbrechlich. Der Hinterleib hing schlaff und winzig,
halb verkümmert herab. Der Jagderfolg der Spinne musste seit Monaten
ausgeblieben sein. Dieses Netz war ein letzter, verzweifelter Versuch,
den Hungertod abzuwenden. Die Spinne musste es mit dem letzten Funken ihrer
ehemals so starken Lebensenergie zusammengebaut haben. Deshalb war es auch
so schlampig konstruiert. Zum Glück hatte sie den Ort gut gewählt,
denn wer immer hier vorbeikommen würde, würde sich angesichts
des Endes seiner Reise durch den Wald immer für den geraden Weg durch
das Netz entscheiden. Gerade so, wie es die drei Kaufleute auch getan hatten.
Ein anderes Raubtier hätte nach Aas gesucht, um sich eine Zeit lang
wenigstens so über Wasser zu halten. Spinnen aber essen grundsätzlich
nur lebende Nahrung. Sie verhungern lieber, als dass sie Totes zu sich
nehmen. Spinnen sind auch in der Nahrungsaufnahme spezialisierter als andere
Lebewesen. Sie haben keine Zähne und ihre Mundöffnung ist so
lächerlich klein, dass sie nur Flüssiges zu sich nehmen können.
Aus diesem Grunde findet der Verdauungsvorgang vor der Mundöffnung
statt. Spinnen erbrechen ein Verdauungssekret über ihre noch lebende
Beute, das deren Körper auflöst. Diesen flüssigen Brei saugt
die Spinne auf. Das Opfer verendet im Verlauf dieses Vorgangs, lebt aber
noch lange genug, um mitzubekommen, dass es gefressen wird.
Lillys Blick fiel auf einen länglichen
Körper, den die Spinne mit ihren restlichen Beinen umklammerte. Es
war der Körper eines Menschen, der gefesselt und durchnässt vom
Verdauungssaft der Spinne vor ihr lag. Die Koboldin wagte nicht, sich zu
rühren, sah sich aber im Netz um. Nicht weit von ihr, noch in ihrem
Sichtradius, baumelten zwei andere eingesponnene Klumpen an der Decke des
Gespinstes. Sie bewegten sich krampfhaft, als wollten sie die sie umgebende
Seidenhülle sprengen. Lilly wusste, dass alle Anstrengungen der Gefangenen
vergebens sein würden. Es waren zweifellos die drei Kaufleute, die
nur wenige Stunden vor ihr hier gewesen waren. Die Spinne hatte die Reisenden
wohl nur mit letzter Kraft überwältigen können und es nicht
mehr geschafft, sie in die Höhe des Netzes zu transportieren. Vielmehr
hatte sie sich gleich hier an Ort und Stelle über sie her gemacht.
Zwei hingen an der Decke, der Dritte wurde gerade gefressen. Der gepeinigte
Körper zuckte. Augenblicklich richtete die Spinne ihre Aufmerksamkeit
wieder auf ihre Mahlzeit. Die langen Beine senkten sich aus der Drohgebärde,
um den Menschen wieder zu umarmen. Sie beugte ihren Oberkörper wieder
über ihr Opfer und setzte gierig ihre Mahlzeit fort. Mit leichtem
Pumpen des jetzt noch kleinen Hinterleibes, saugte sie die verflüssigte
Nahrung ein. Bald würde er wieder prall und die Spinne kräftig
sein. Und dann durfte sich auch eine Koboldin nicht mehr in ihr Netz wagen.
Doch noch standen die Zeichen für Lilly
günstig. Sie wandte sich ab und zog Palo hinter sich her. Weiter ging
der Weg durch das Netz. Jetzt, wo sie den Finsterwald fast hinter sich
hatte, brachen die Strahlen der Sonne mehr und mehr durch das Blätterdach
der Bäume und tauchten die Behausung der Spinne in ein traumhaftes
Licht. Jeder Strahl wurde hundertfach gebrochen und widergespiegelt. Lilly
wanderte durch eine Märchenwelt aus Licht und Seide, wie sie sie sich
nicht schöner hätte vorstellen können. Säulen aus Licht,
seidene Verstrebungen, Bögen, Brücken und Erker. Je nach Lichteinfall
samten schimmernd oder strahlend leuchtend. Noch nie hatte ein Mensch die
unvorstellbare Schönheit eines Spinnenhorstes von innen gesehen, ohne
sterben zu müssen. Lilly wusste, dass ihr nichts geschehen konnte
und nahm das Bild dieser phantastischen Welt beinah gierig in sich auf.
Ihr wurde unvergleichliches geboten und sie wusste es zu schätzen.
***
Das Netz war nicht sonderlich groß, so
dass Lilly nach einem Marsch von 15 Minuten den Ausgang erreichte. Hier
konnte sie erkennen, dass sich der Finsterwald weiter gelichtet hatte.
Nach zwei Stunden, die sie bequem auf dem Rücken Palos verbrachte,
war der Waldrand erreicht. Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Sie atmete
tief durch. Palo schnaubte dankbar. Sie hatten es geschafft!
Lilly hatte keine Lust mehr, noch weiter zu
reiten. Sie und das Tier brauchten unbedingt Ruhe und Erholung. Hier, in
unmittelbarer Nähe des Finsterwaldes, wollte sie allerdings auch nicht
ruhen. Sie ritt noch ein Stückchen weiter, wobei sie beruhigend auf
Palo einredete, weil dieser ihr trotz seiner Gutmütigkeit nicht mehr
recht folgen wollte. Auch er fand, dass es an der Zeit war, eine Pause
einzulegen. Schon nach kurzer Zeit fand sie, was sie suchte: Einen klaren
Bach, der in einen kleinen Hain führte, welcher sich als Rastplatz
nahezu aufdrängte. Sie ritt in das Wäldchen hinein, schirrte
Palo ab und ließ sich erst einmal ächzend in das frische Grün
des Grases fallen. Nach einigen Minuten ließ ihr Gewissen sie nicht
mehr in Ruhe. Sie musste unbedingt ihre unmittelbare Umgebung erkunden,
um festzustellen, ob sie hier wirklich sicher war. Sie nahm ihr Kurzschwert
zur Hand und suchte vor allem den Boden des Geländes nach unliebsamen
Zeitgenossen ab. Auch außerhalb des Finsterwaldes gab es Tiere, von
denen sie sich am besten fernhielt. Wie zum Beispiel Schlangen, Skorpione
und giftige Lurche, die sich gerade in Feuchtgebieten gerne aufhielten.
Doch hier schien nichts dergleichen zu sein.
Lilly stocherte gerade in einer Ansammlung
von Laub und Ästen herum, als sie plötzlich einen scharfen Schmerz
in ihrer linken Wade verspürte. Sie fuhr herum und sah gerade noch,
wie sich eine große, bunt gefärbte Schlange davonmachen wollte.
Sie schlug zu und trennte mit sicherem Schnitt den Kopf vom Rest des Körpers.
Die war erst einmal unschädlich! Dann krempelte sie ihr linkes Hosenbein
hoch und untersuchte ihr Bein. Zwei dicht nebeneinander liegende blutende
Punkte bewiesen, dass die Schlange es erstaunlicherweise tatsächlich
geschafft hatte, das Trollleder der Hose mit ihren Zähnen zu durchdringen.
Lilly hatte eine Schlange dieser Art noch nicht gesehen, machte sich aber
trotzdem keine großen Sorgen, denn sie war, wie alle Kobolde, gegen
Gifte so gut wie immun. Wie sollte sie sonst auch im Finsterwald mit seinem
ganzen Gekreuche überleben können? Dennoch beschloss sie, möglichst
vorsichtig zu sein. Sie biss die Zähne zusammen und schnitt sich mit
der scharfen Klinge ihres Schwertes tief in die Wade hinein. Es tat höllisch
weh! Aber als das Blut dick aus der Wunde hervorquoll, nickte sie doch
befriedigt. Der rote Strom würde eventuell vorhandenes Gift aus ihren
Körper herausspülen.
Sie schaute sich die Schlange noch einmal
genauer an. Sie war ungefähr zwei Meter lang, also schon recht groß.
Die Farbe des Tieres schwankte von gelbbraun bis rötlich. Auf der
Oberseite befanden sich lackschwarze rhombische Flecken, welche einen hellgelben
Rand und mittig einen gelben Tupfen aufwiesen. Der Körper war untersetzt,
also eher kräftig als schlank. Die Körpermitte war von vielen
stark höckerigen und gekielten Schuppenreihen umgeben. Der Schwanz
endete in einem hornigen Stachel, vor dem sich abstehende Schilde befanden.
Die Bauchseite war glänzend gelbweiß. Der breite und stark vom
Hals abgesetzte Kopf wies auf der Oberseite schwarze Tupfen auf. Ein dunkles
Schläfenband verband das Auge mit dem Mundwinkel. Eigentlich war die
Schlange sehr schön. Vermutlich hatte sie nur ihr Revier verteidigen
wollen. Fast bedauerte Lilly, das Tier getötet zu haben.
Sie schloss ihre Betrachtungen ab und machte
sich daran, ihr Nachtlager aufzuschlagen. Eine Decke als Unterlage, die
sie in die Nähe des Baches legte, reichte ihr dafür. Eine Zudecke
brauchte sie nicht. Ihre Kleidung war warm genug. Ein kurzer Blick auf
Palo genügte, um festzustellen, dass auch er zufrieden war. Wie ein
Feinschmecker schnoberte er im saftigen Gras, als könne er sein Glück
kaum fassen. Lilly lächelte. Wenn sie auf dem Rest des Weges nach
Umbra weiterhin so gutes Futter fanden, würde sein struppiges Fell
bald wieder glatt und glänzend sein.
Lilly kramte gerade in ihrem Vorratssack,
als ihr schwindlig wurde. Die Erde drehte sich und der Boden schwankte.
Als sie wieder klar denken konnte, war ihr speiübel. Erschreckt warf
sie einen Blick auf ihr Bein: Die Wunde war stark geschwollen und puckerte
schmerzhaft. Eine heiße Welle der Furcht stieg in ihr hoch. Bloß
jetzt nicht ernsthaft krank werden! Ihr Kopf dröhnte. Nur nicht dran
denken! Doch jetzt ging alles sehr schnell: Der Schwindel kehrte zurück.
Stärker als vorher. Sie musste sich legen. Gleichzeitig begannen ihre
Gelenke unerträglich zu schmerzen. Ihre Körpertemperatur stieg.
Sie stöhnte und rollte sich zusammen. Gleich darauf verlor sie das
Bewusstsein und versank in einer Welt aus glühendem Schmerz und unvorstellbarer
Hitze. Sie verlor jedes Gefühl für Raum und Zeit, vergaß,
wo und wer sie war. Ihr Körper glühte im Fieber, die Schmerzen
raubten ihr fast den Verstand. Sie merkte nicht, dass sie phantasierte,
stöhnend ihre Eltern um Hilfe anflehte. Wahn und Realität vermischten
sich zu einer qualvollen Hölle aus Glut und Pein.
...
© W. H.
Asmek
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