Wenn man im Universum herumfliegen könnte, würde man einen
wunderbaren Blick auf die Welt Lemminia haben, auf diese unendlich erscheinende,
kahle Fläche, in deren Herzen eine eigene, kleine Welt war.
Doch im Herzen von Lemminia wusste man nichts von der großen
Ebene, denn sie lag hinter den "Eisernen Bergen", einer Gebirgskette, die
den ganzen Mittelpunkt von Lemminia umringte.
Als Vogel würde man alles sehen, die grünen Kontinente
und Inseln, die blauen Ozeane, und leider auch die dunklen, von Dämonen
vollkommen besetzten Gebiete.
Doch am meisten würde einem die Insel der Mitte von Lemminia
auffallen, die Óga-Insel.
Denn dort steht der große, göttliche Baum, Óga-Lem.
Kein menschliches Wesen hatte es jemals geschafft, Óga-Lem
zu erreichen, außer einem, und zwar dem legendären Krieger Ky-Balus
Starduum.
Auf einem der Kontinente Lemminias, auf Lodah, in der Donnerstein-Wüste,
stand ein riesiger Palast, ein Palast der Dämonen.
"Lasst mich rein, Wachen. Ich muss mit Geothande sprechen...", keuchte
eine Monster, das blutend und schwerverletzt mit Mühe die Stufen des
Donnerstein-Palasts hinauftrottete, mit einem wütenden Blick in den
drei feuerroten Augen.
"L-Lord T-Ta-Taran...", stotterte einer der Granitkrieger und blickte
auf die Kreatur.
"S-Sie dürfen rein!" sagte er.
"Gut...", zischte der Dämon und betrat die Eingangshalle des
Palastes.
Die Wache rannte hinein, an ihm vorbei und in einen großen
Saal, in dem ein anderer Dämon auf einem Thron saß.
"Lord Geothande, Lord Tarantos wünscht, euch zu sprechen!!"
"Tarantos?" fragte der Dämon auf dem Thron.
"Was will er wohl hier?" dachte er sich.
"Bringt ihn zu mir!" rief er.
Tarantos betritt die Tür.
Da sah ihn der Dämon auf dem Thron, so lädiert, verletzt,
mit nur drei Augen.
"Tarantos!" rief er erschrocken aus.
"Ja, Geothande. Ich bin es... In alter Frische, wie du unfehlbar
erkennen kannst...", sagte er mit keuchender Stimme.
"Warum bist du so verletzt, mein Freund?" fragte ihn Geothande.
"Ein Menschenwurm hat es getan, Geothande. Ein Mensch!! Und ohne
ein Schwert, eine Axt oder einen Speer, sondern mit einer ordinären
Schwertscheide! Das ist das Demütigendste, das mir je passiert ist.
Ich habe Glück, dass ich mit dem Leben davon gekommen bin!" brüllte
Tarantos, mit Zorn und Haß auf Reno erfüllt.
"Ein Mensch? Das ist unglaublich. Wo befindet sich dieser Mensch,
Tarantos?! Sag es mir, dass ich ihn vernichten kann! Wir beide gehören
zu den drei schwarzen Meistern, und wenn ein anderer Meister auch nur einen
Kratzer von jemandem bekommt, muss dieser jemand getötet werden!"
meinte Geothande.
Während er das sagte, hob er seinen Finger, der, wie der Rest
seines dreimeter-großen Körpers, aussah, als würde er aus
Steinsplittern bestehen.
"Zuletzt war er bei mir im Turm. Also sollten wir in Pasus suchen,
dem kleinen Dorf, hinter dem Wald der silbernen Seelen."
"Gut. Meine Kristallgolems werden dich wieder in Ordnung bringen,
und dann mobilisiere ich die Donnerstein-Truppen, um das Dorf anzugreifen...",
sagte Geothande.
"Du sprichst mir aus der teuflischen Seele, Geothande..."
"Er wacht auf! Endlich ist er wach!" hörte Reno eine Mädchenstimme
rufen.
Er öffnete die Augen und richtete sich auf.
Reno befand sich in einem kleinen Holzhaus. Es schien sehr gemütlich
zu sein, wahrscheinlich stand es in einem Dorf.
Ein hübsches, junges Mädchen sah ihn an. Sie hatte grüne
Kleidung an und einen verzierten Kampfstab auf den Rücken geschnürt.
"Na, gut geschlafen, mein Herr?" fragte sie ihn mit einer Stimme,
die wie ein Kind klang, und trotzdem wunderschön.
"Umpf... Wo bin ich hier?" fragte Reno.
"In Pasus. Und zwar im Haus des Dorfchefs und seiner Tochter", sagte
das Mädchen.
"Wie... Wie komme ich hierher?" fragte Reno und drehte seinen Kopf
herum.
"Naja, du lagst bewußtlos in einem Busch, hinter dem großen
Turm beim Wald der silbernen Seelen. Mein Vater und ich haben dich dort
gefunden und hierher gebracht. Du warst für fünf Tage abwesend.
Ach ja, wie heißt du eigentlich?
"Ähm... Reno. Reno Starduum", sagte er.
"Willst du mich veräppeln? Dass du Reno heißt, glaub
ich dir, aber Starduum?! Nein, das ist unmöglich... oder?
"Doch, doch. Mein Name ist Reno Starduum, Sohn von Heybial Starduum
und Nachfahre von dem großen Ky-Balus Starduum. Ehrlich."
"Nein... Wirklich??? Das muss ich nachprüfen, lass mich mal
kurz deine Hand sehen..."
Das Mädchen starrte auf seine Handfläche und sah ein Zeichen
in Form von drei gekreuzten Strichen.
Sie sagte einige Sekunden lang nichts, dann sprang sie auf.
"Wow! Ich kann es nicht glauben! Ein Nachfahre des großen
Krieger Ky-Balus! Ein Starduum-Krieger!!"
"Ja-ja, beruhige dich...", meinte Reno.
"Wie ist eigentlich dein Name?"
"Lynn, Mister Starduum. Ich heiße Lynn. Freut mich sehr, ihre
Bekanntschaft zu machen."
"Ähm, nenn mich einfach Reno. Achja, und danke dafür,
dass du mich hierher gebracht hast."
"Ach, ist nicht der Rede wert...", meinte Lynn.
"Vater!! Komm bitte mal rauf!!" rief sie.
Ein Mann kam in den Raum.
"Oh, Lynn... Er ist aufgewacht...", sagte er.
"Ja, Vater. Dieser Mann, den wir hierher gebracht haben, ist Reno
Starduum!!" meinte Lynn.
"Reno Starduum? Unglaublich! Es freut mich ihre Bekanntschaft zu
machen!"
"Ja, mich auch....", sagte Reno und gab dem Mann die Hand.
"Reno, das ist mein Vater, Ghadel. Er ist das Oberhaupt des Dorfes."
"Hallo", sagte Reno.
"Aber ich muss bald weiterziehen..."
"Reno, bleib doch noch zum Mittagessen hier!" sagte Ghadel. "Dann
kannst du gehen!"
"Ähm, vielen Dank, aber ich... Ähm..."
Lynn sah ihn mit großen Augen an.
"Okay, ich bleibe noch. Vielen Dank..."
"Wenn wir uns beeilen, sind wir morgen da", sagte Geothande.
"Gut. Ich kann es kaum erwarten, diesen Wurm zu zerquetschen. Und
ein Dorf habe ich auch schon lange nicht mehr zerstört...", meinte
Tarantos.
"Hey! Ich will auch meinen Spaß haben!" sagte Geothande energisch.
"Ja-ja. Aber Hauptsache ist, dass ich Rache nehmen kann...", zischte
Tarantos.
"Rubox, sag denn Truppen, sie sollen schneller marschieren!" sagte
Geothande und wandte sich seinem General zu.
"Ja, Sir", antwortete Rubox.
"Nochmal danke für alles!" rief Reno, winkte Ghadel und Lynn
zu und wandte sich dem Wald hinter dem großen Holzzaun zu, der das
Dorf umgab.
"Warte, Reno!" rief Lynn.
Reno drehte sich um und sah sie auf sich zurennen.
"Ich... komme mit dir mit!"
"Du willst mit mir kommen?" fragte Reno.
"Ja...das ist doch okay, oder?"
"Ähm... ja, schon. Aber bist du dir sicher?"
"Sicher bin ich mir sicher!"
"Ich weiß nicht... Es wird sicherlich sehr gefährlich..."
"Keine Sorge. Ich beherrsche vier verschiedene Kampfkunstarten!"
"Hmm... Okay. Aber wir müssen sofort gehen..."
"Ja, ja, natürlich! Ciao, Vater!" rief Lynn und zerrte Reno
am Arm durch das Dorftor."
"Auf Wiedersehen...", sagte Reno, befreite sich aus Lynns Klammergriff
und ging nun neben ihr.
"Auf Wiedersehen, Reno. Auf Wiedersehen, Lynn! Passt auf euch auf!"
hörte Reno Ghadel noch hinter sich rufen.
Die Nacht brach herein, und im Wald war alles still, bis auf die
Rufe der Eulen und dem Heulen des kalten Windes.
Reno und Lynn blieben auf einer moosbedeckten Lichtung stehen, die
von mächtigen Eichen und Birken umringt war.
"Wie wär's, wenn wir hier für die Nacht ein Lager aufschlagen?"
fragte Reno.
"Gute Idee." antwortete Lynn und setzte sich auf einen mit Flechten
bewachsenen Stein.
"Okay. Ich suche nach Feuerholz, und du besorgst etwas zu Essen."
"Klar. Ich glaube, ich habe da drüben Pilze gesehen." sagte
Lynn.
"Ich muss nur noch ein paar genießbare finden...Von dem Anblick
dieser ganzen Satanspilze wird mir noch schlecht...", dachte sich Lynn
und pflückte einige Champignons.
Sie ging weiter in das dunkle Dickicht, stieß manchmal gegen
einige, kleine Steine und stolperte über verrottete Wurzeln.
"Das sind sicher schon genug. Dieser Wald widert mich an", sagte
Lynn zu sich selber und lenkte ihre Schritte zum Lager zurück.
"Diesen Waldteil erkenne ich gar nicht wieder", dachte sich Lynn.
"Ich hoffe, ich habe mich nicht verlaufen..."
Platsch!
Ein Wassertropfen fiel auf Lynn.
Einige weitere folgten darauf, und schnell brach ein kleiner Nieselregen
aus.
"Na wunderbar! Jetzt werde ich auch noch nass!"
Auf einmal hörte Lynn hinter sich ein Geräusch, das klang,
als würde jemand auf einen heruntergefallenen Ast treten.
Darauf folgte ein Knurren und viele, leise Schritte.
Lynn lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Sie drehte sich um und sah einen wütend aussehenden Wolf.
"Liebes Wölfchen... Braves Wölfchen...", stotterte Lynn
und ging langsam nach hinten.
Sie stolperte über irgendetwas aus Holz und fiel auf den Boden.
Lynn stützte sich mit den Händen auf den matschigen Boden, während
der Wolf immer näher kam.
Unerwartet sprang er auf sie zu und wollte sie zerfleischen, doch
Lynn konnte sich gerade noch zur Seite rollen. Dabei löste sich der
Holzstab von ihrem Rücken und fiel auf den Boden.
"Mein Stab!" rief Lynn und griff ihn sich.
"Aaahhhh-Oooouuuu!!!" heulte der Wolf und schoss zu Lynns erstaunen
einen eisblauen Strahl aus seinem Mund, der sie nur knapp verfehlte und
einen mächtigen Baum hinter ihr in Millionen kleiner Teilchen zersprengte.
"Das ist ja ein Dämonenwolf...", dachte Lynn, stand schnell
auf und hielt den Kampfstab vor sich.
"Hey, du dummer Wolf! Ich habe hier einen heiligen Kampfstab!" rief
Lynn dem Ungeheur zu. "Na, hast du jetzt Angst?"
"Grooaarrr!!!" knurrte der Wolf und feuerte erneut mit blauen Energiestrahlen
auf Lynn ein.
"Diesmal nicht, Freundchen", sagte Lynn und blockte mit ihrem Stab
die Strahlen ab.
"Banzai!" schrie das Mädchen und prügelte wie wild mit
dem Stab auf den Wolf ein.
Er heulte vor Schmerz und wurde wütend. Seine himmelblauen
Augen entflammten und ein besonders großer Strahl schoss auf Lynn
zu.
Ihr Stab leuchtete golden, und als der Strahl auf ihn traf, wurde
er reflektiert und erwischte statt Lynn den Dämonenwolf.
Dieser heulte herzzerreißend, ging in Flammen auf und verbrannte,
bis er nur noch ein Häufchen glühender Asche war.
"Puuh, das wäre geschafft, aber... Meine Pilze! Die Pilze sind
verbrannt! Verdammt!" rief Lynn erschrocken, erschüttert und zornig
zugleich.
Als Lynn den Weg zum Lager fand und etwas später dort ankam,
machte sie eine seltsame Entdeckung.
Alles war verlassen.
Kein Feuer, kein Tier, kein Mucks, kein Reno, kein garnichts.
Doch Lynn hörte einige Geräusche, die auf einen wilden
Kampf hindeuteten, der in der Nähe tobte.
Sie rannte in die Richtung des Geräuschs, und erblickte in
der Ferne Reno, der gerade einem muskulösen Golem mit einem schweren
Ast den Arm zerschlug.
Doch ihr Freund kämpfte nicht nur gegen einen Golem, sondern
gegen eine ganze Gruppe von den Steinkriegern. Im Hintergrund stand ein
besonders großer Golem, der aussah, als wäre er aus Kristallen
zusammengesetzt worden. Er trug einen karmesinroten Umhang, der ihn noch
bedrohlicher aussehen ließ. Der große Golem stand auf einem
Felsen, die Arme verschränkt und mit einem verächtlichen Blick
auf die Schlacht blickend.
"Ist das etwa der schreckliche Geothande, der Herr der Steine und
Befehlshaber der Donnerstein-Golems?" fragte sich Lynn in Gedanken und
schlich langsam auf den Ort des Geschehens zu.
"Argh!" hörte sie Reno schreien, als er von einem Golem geschlagen
wurde und auf den harten Waldboden fiel.
"Hey! Ihr blöden Steinköpfe! Hier bin ich!" rief Lynn,
sprang über einen Busch und landete genau vor Reno.
"Oh. Hallo, Lynn...", murmelte Reno, riss sich zusammen und stand
wieder auf, während Lynn einige Golems durch kräftige Tritte
unsanft auf den Böden beförderte.
"Warum wirst du angegriffen?" fragte Lynn.
"Ich weiß selbst nicht so genau, aber der große Golem,
der dort hinten steht... ich habe seinen Bruder gedemütigt und er
will dafür Rache", antwortete Reno.
"Seltsam. Aber ich denke, wir müssen fliehen. Das ist Geothande,
der Fürchterliche!" sagte Lynn, während sie mit ihrem Stab einen
Golem niederschlug.
"Was? Der Geothande. Okay, auf drei geht´s los."
Reno nahm einen Stein vom Boden und knallte ihn gegen den Kopf eines
Widersachers.
"1...", zischte er.
"2..."
"3...!!!"
Reno stieß noch schnell einen seiner Gegner gegen eine Eiche,
die darauf umfiel und noch zwei andere Golems, die ihren Kameraden zu Hilfe
kommen wollten, erdrückte.
Er und Lynn liefen schnell weg, sprangen über aus dem Boden
herausragende Wurzeln und Steine, durchbrachen Büsche und liefen weiter
in Richtung Gebirge hinter dem Wald.
Das bedeutet: In Richtung Donnerstein-Berge.
"Sie versuchen zu fliehen!" rief Geothande energisch. "Rubox, hol
dir hundert Männer und folge ihnen! Sie werden die Donnerstein-Berge
besteigen!"
Hinter einem Baum kam Geothandes General Rubox zum Vorschein, von
dem in dieser Geschichte schon einmal kurz die Rede war. Es war ein Golem
aus glitzernden, roten Steinen, der einen schwarzen Umhang mit Goldrändern
trug, und dessen Kopf angespitzt war wie ein Bleistift.
"Ja, Sir. Sie haben keine Chance zu entkommen. Sie laufen in Richtung
Gebirge, und auch genau zum Drachenberg, wo Xaugon, der Verbrenner, lebt.
Er ist ein äußerst grimmiger Drache. Wenn er die beiden nicht
vernichtet, sitzen sie in einer Sackgasse und wir werden sie erledigen",
antwortete Rubox.
"Sehr gut. Komm Rubox. Und komm, mein Bruder, wir gehen auf die
Jagd!"
Aus dem Dunkeln trat Tarantos, und seine Augen brannten wie nie
zuvor.
"Die Rache ist mein, Reno Starduum...", sagte Tarantos. "Du bist
des Todes!!!!!!!" brüllte Tarantos mit einer unglaublichen Lautstärke
und richtete seinen Kopf zum Himmel.
Sein Schrei schallte durch den ganzen Wald, erreichte schließlich
die Berge, tönte den Drachenberg hinauf und drang in die Ohren einer
Kreatur, die hoch oben in einer Höhle auf dem Berg gerade noch geschlafen
hatte.
Diese Kreatur, die übrigens ein gigantischer, roter Drache
war, riss die Augen auf, stampfte aus ihrer Höhle, breitete die Flügel
aus und überflog den Drachenberg.
Bedrohlich starrte er das anliegende Gebirge an und grummelte wütend...
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