31 vor Aurics Tod - bei Deors Hall auf
dem Berg Minor im Nordosten von Itaras...
Das Blöken der Ochsen und Schafe war weithin
zu hören und hallte von den Felswänden der Schlucht wider. Das
Scharren der Hufe und der menschlichen Füße auf dem steinigen
Weg und das leise Weinen der Kinder erklang fortwährend an diesem
Tag, während die Bauern der weiter östlich gelegenen Siedlungen
und Höfe schweigend durch Deors Hall, jener Schlucht, die den Berg
Minor teilte, schritten, auf der Flucht vor dem Feind.
Am Ostende von Deors Hall, wo ein kleiner
Bergweg sich schlängelnd nach oben wand, den Hang hinauf, standen
etwa hundert weißgekleidete Gestalten. Auf den weißen Überwürfen
und Schilden der Männer waren rote Kreuze und Xe zu sehen, die im
Kontrast zu dem Weiß in der grauen, toten Landschaft jedem auffielen.
Unter diesen Stoffen, aus welchen auch die beiden weißen Banner bestanden,
die im leichten Abendwind flatterten, trugen die Männer leuchtende
Rüstungen und in Gürteln hingen Schwerter und andere Waffen,
ein paar von ihnen hatten zwei Mann lange Lanzen, die aus dem Bild von
schneeweiß und blutrot hervorragten.
Am Ausgang der Schlucht stand ein einzelner
Mann, von den Schultern bis zu den Füßen in einen weißen
Mantel gehüllt und auf ein mächtiges Zweihandschwert gestützt,
die eine Hand auf den Knauf der Waffe, die mit der Spitze ihrer Hülle
auf dem steinernen Boden stand. Die andere Hand hing herunter und hielt
einen Helm, dessen großer Sehschlitz kreuzförmig war.
Den Kopf hatte er auf die Rechte, die Schwerthand
gelegt. Mit geschlossenen Augen betete er, die unauslöschlich in sein
Gedächtnis geprägten Worte kamen geflüstert zwischen seinen
Lippen hervor.
Turin der Fromme hob den Kopf und öffnete
seine dunkelgrünen Augen. Dann legten sich seine Finger um den Griff
des kunstvoll gemachten Schwertes, einer Waffe, die so viel mehr war als
das - Luendarn, Lichtbringer, in der Sprache der Menschen von Itaras. Diese
Klinge durfte nur der Ordensmeister der roten Templer tragen.
Die letzten gut hundert Templer hatten sich
heute hier versammelt um den Hunderten Bauern die Möglichkeit zu geben,
durch das große Tor vor den Horden aus Drakka zu flüchten. Turin
und die anderen würden den Feind so lange aufhalten, bis auch der
letzte Mensch aus der Ostmark geflohen war.
Turin schüttelte sich die kurzen Locken
aus dem Gesicht und machte sich auf den Weg zu seinen Männern.
"Licht!", begrüßte ihn Bardor,
der älteste noch lebende Templer. "Die Bogenschützen sind in
Position auf den oberen Hügeln, alle anderen stehen bereit um von
dir in die Schlacht geführt zu werden", fuhr er fort.
Turin dankte ihm mit einem Nicken. Schlacht.
Ja, Schlacht war der richtige Ausdruck. Dahingeschlachtet würden sie
werden. Es gab keinen Sieg, nur die Befriedigung möglichst lange gekämpft
und möglichst viele Feinde mit ins Grab genommen zu haben.
Wie um jede Hoffnung zu zerschlagen begann
es nun auch zu regnen.
Doch er wusste: keine Situation würde
seine Krieger entmutigen. Er hatte die Besten der Besten. Und trotzdem
war es seltsam auf Männer zu blicken, die wenig später sterben
würden. Grotesk war dieser Kampf, es ging nicht mehr um das eigene
Leben, sondern den Tod des anderen, nicht mehr darum den Sieg zu erringen,
sondern möglichst viel der Niederlage über den Feind zu bringen.
Er überlegte wie viel Zeit ihnen noch
blieb.
Inzwischen durchschritten die letzten Bauern
die Wache aus zwei Pikenieren und machten sich auf den steinigen Weg den
Berg hinauf.
Sich fragend, welche Schuld solche Bestrafung
verdiente, ließ er die Reihen hinter den Bauern schließen.
Von sich selbst dachte er gar nicht, auch
nicht von den Männern vor ihm. Wer ein roter Templer wurde erwartete
den Tod, er sehnte sich gar danach.
Die Träger des roten Kreuzes waren Mörder,
die ihr Leben verworfen hatten, aber wenigstens ihrem Tod einen Sinn geben
wollten. Alle diese Männer hatten in ihrem Leben einen schrecklichen
Fehler gemacht und suchten nun nach Erlösung. Der Tod war die Erlösung...
Und so waren sie die besten Krieger, denn
die besten Krieger sind immer diejenigen, die den Tod nicht fürchten.
Nun fragte er sich, warum die Bauern, die
nun den Berg emporstiegen, es verdient hatten, dies alles zu erleiden.
Jede Nacht konnte die letzte sein. Ja es konnte sein, dass sie erwachten
und ihren Hof brennend, ihre Kinder getötet und ihre Frauen verschleppt
vorfanden, nur um bald mit einem Pfeil im Rücken zu sterben.
Während er auf die weißen Umhänge
seiner Männer blickte, deren Säume inzwischen voller Schmutz
waren, weil der stärker werdende Regen die Erde in Schlamm verwandelt
hatte.
Eine eigenartige Stille kehrte ein, als der
letzte Klang eines Bauernwagens verhallte. Nichts war zu hören, nur
der Wind zwischen den Felsen.
Dann erscholl es. Das Klingen der Rüstungen
und Waffen, das Getrappel der orkischen Reittiere und Turin ergriff sein
Horn. Und laut und weithin war sein Schall zu hören. Zum letzten Mal.
Der Lärm der heranziehenden Horde schwoll
an, das dumpfe Dröhnen eines orkischen Horns war zu hören.
Die Horde näherte sich, dann kamen die
ersten Reiter über den Hügel. Sie ritten auf Garguns, riesigen
wildschweinartigen Wesen aus Drakka.
"So soll es sein...", sprach Turin und streifte
den Helm auf. Er hob die Hand und ließ sie ausgestreckt fallen.
Das schwirren der Pfeile in der Luft, das Rasseln
der Kettenhemden, die Stimmen der Männer, all das hörte Turin
nun viel deutlicher. Die ersten Orks fielen getroffen von ihren Reittieren.
Seine schlanken Finger, in gepanzerten Handschuhen
legten sich kraftvoll um den wunderbaren Griff des Schwertes.
Es erklang kein Laut, als er es zog, nur das
rötliche Abendlicht und der leichte Regen fielen auf die Klinge.
Die ersten Orks überschritten die gedachte
Linie zwischen den gewaltigen Felsen, die den Eingang der Schlucht markierten.
Wie in Trance durchschritt Turin die Reihen
seiner Krieger nach vorne.
Das Schwert hebend, begann er zu laufen.
Sich drehend und mit dem Schwert zuschlagend,
krachte er auf die ersten Angreifer.
"Auf dass uns unsere Schuld vergeben werde..."
.
Turin der Fromme fiel als letzter Templer,
getroffen von 17 Pfeilen in der Schlacht, mit seinem Tod endete die Geschichte
des Ordens.
Die Orks wurden durch seine und die Aufopferung
seiner Brüder lange genug aufgehalten, bis sie sich schließlich
zurückzogen.
Später vernichtete ein Heer unter König
Ismar dem Zweiten die Horde. Heute ragt ein Denkmal über Deors Hall
empor, welches steinern Turins Antlitz zeigt, die Schlucht ewig bewachend.
© Rumpel
Stilzchen
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