Drachenfeuer von Salyan Silberklinge
Kapitel 4: Angarin

Langsam gelang es Narian die Augen zu öffnen. Wenn auch nur eins. Das andere behielt er zu. Schon stach das Sonnenlicht ihm in das Rechte und er schloss es wieder. Nach einiger Zeit öffnete er diesmal langsam beide Augen, und wartete bis sie sich ans Licht gewöhnt hatten. Schließlich konnte er seine Umgebung erkennen: Links von ihm lag das Meer, das ruhig da lag und Wellen an den Strand schwappen ließ. An der Küste vor ihm und weiter im Osten gab es keine Fjorde und Steilhänge, nur Steinstrände, rechts von ihm in einiger Entfernung, die er nicht richtig abschätzen konnte, das Ende der östlichen Grenzberge Ghaidhads. Zwischen dem Meer und den Bergen lag eine kleine Ebene, die von einem Fluss aus Angarin durchzogen wurde. Denn schließlich blickte er nun auf dieses Land, auf das Ziel seiner kurzen Reise. Genau in der Mitte der Ebene lag eine kleine Stadt mit Steinmauern, von der eine Straße nach Ghaidhad und in den Süden hinter dem Gebirge führte. Narian bemerkte erst jetzt, warum er so weit sehen konnte: Er saß auf einer Erhebung, direkt am Saum des Waldes, aus dem sie gekommen waren.
Da kam es ihm wieder. Die Alben! Er sprang auf, fiel aber sofort wieder zu Boden, als ihn ein stechender Schmerz ins linke Bein schoss. Er fiel aufs Kinn und konnte sich nicht bewegen. Seine Arme und Beine waren vom Schmerz gelähmt. Er konnte den Fluss sehen und nun sah er etwas, das er vorhin nicht bemerkt hatte: Einen schwebenden, dunklen und glitzernden Punkt knapp über dem Wasser in einiger Entfernung. Als der Punkt näher geflogen kam, erkannte Narian in ihm Mardic, der im Fluss fischte. Als er einen dicken Fisch mit dem Maul herausschnappte, drehte er vom Fluss ab und hielt auf Narian zu. Mit großem Getöse landete er direkt vor Narian. Den Fisch hatte er schon verschluckt.
»Guten Morgen, Langschläfer«, begrüßte er ihn.
»Was heißt hier Langschläfer?« murmelte Narian in das Gras, auf dem er immer noch lag.
»Weil du 24 Stunden am Stück geschlafen hast«, meinte Mardic.
Narian versuchte aufzustehen, was ihm teilweise gelang: Er lag jetzt auf dem Rücken.
»24 Stunden? Und warum tut mir dann alles weh?« wollte er wissen.
»Die Schmerzen werden schnell verschwinden«, sagte Mardic.
Kurz und knapp aber natürlich sehr ausgeschmückt erklärte Mardic, was vorgefallen war.
»... und so habe ich dich durch meinen Einsatz gerettet.«
Die Erzählung hatte wohl die Schmerzen eingeschläfert, denn Narian konnte sich jetzt endlich, aber mit Mühe aufrichten.
»Ist ein Wort davon wahr?« fragte er.
»Die Hälfte«, sagte Mardic. »Zugegeben etwas ausgeschmückt, aber ist doch egal.«
Mardic hatte ihm allerdings den Teil mit dem Bluttransfer vorerst verschwiegen. Wozu sollte Narian das wissen...
»Na schön. Andere Frage: Was machen wir jetzt?« fragte Mardic.
Narian schaute auf die kleine Stadt hinter dem Fluss.
»Ich hab Hunger und kauf mir erstmal was zu essen.« Er schaute sich um. »Wo ist mein Rucksack?«
»Den hab ich im Wald vergessen, glaub ich«, gestand Mardic.
»Super, und womit soll ich mir was zu essen kaufen?« fragte Narian.
»Hast du die Karte noch?« wollte Mardic wissen?
»Mein Rucksack ist ja leider weg!« sagte Narian.
»Hosentasche?« sagte Mardic nur.
Narian kramte in den kleinen Taschen. »Warum sollte ich sie dort haben, wo ich doch...«
Er zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus.
»Upps«, sagte Narian nur. »Ich hab sie wohl doch nicht in den Rucksack getan. Und was willst du jetzt damit machen?«
»Ich nichts«, sagte Mardic. »Aber du. Verkauf sie, dann hast du Geld zum Essen. Die Karte ist sicher etwas wert, so wie die gezeichnet ist.«
»Verkaufen? Das ist nicht dein Ernst!«
»Dann klau halt«, meine Mardic und legte sich hin.
Narian überlegte.
»Schön, meinetwegen, Herr Schlauberger, ich versuch es mal.«
Mardic brummte und Narian verstand es so, dass Mardic es gehört hatte.
Also stand der Jung auf und leider musste er Mardic recht geben: Die Schmerzen waren schon fast verschwunden.
Narian erreichte nach einer Weile den Fluss und ging südlich, in Richtung der Straße. Diese führte über eine Holzbrücke über das Wasser. Die Straße war nicht gepflastert und würde bei starkem Regen fast unbenutzbar sein.
Als er die Stadt erreichte, war es schon Abend. Die dicken Steinmauern waren aus riesigen grauen Granitblöcken gebaut worden. Im Abstand von 100 Metern waren Wachtürme eingebaut worden. Hinter den Zinnen auf der Mauer patrouillierten Wachen mit großen Langbögen. Der Torbogen war extra noch verstärkt worden, um möglichen Angreifern die schwächste Stelle in der Mauer zu nehmen. Die Tore waren aus massivem Holz und mit Stahlschlössern versehen. Allerdings standen die Tore noch offen, was Narian auch einen Blick ins Innere dieser Stadtfestung ermöglichte: Die Straße lief vom Tor aus schnurgerade ins Innere der Stadt, wo sie sich mit anderen Straßen kreuzte. Sie wurden beleuchtet durch Lampen, die an den Wänden der Gebäude angebracht waren. Obwohl es jetzt etwa 6 Uhr abends war, gab es noch viel Verkehr, denn kleinere Wägen, die von Ochsen oder anderen Tieren gezogen wurden, durchquerten noch die Stadt. Jedoch fuhr keiner von ihnen in Narians Richtung. Sie kamen aus Seitenstraßen und verschwanden auch wieder. Auch die Leute waren noch auf den Beinen. Manche davon konnten sich allerdings schon nicht mehr so richtig auf ihnen halten. Die Häuser der Stadt waren zum Teil aus Stein und Holz, die meisten allerdings aus beidem. Alle hatten zwei Stockwerke und vor vielen hingen Schilder, die wohl zum Trinken und Essen einladen sollten. Sie hatten spitz zulaufende Dächer und wurden dennoch von den Mauern und dem größten Gebäude der Stadt überragt, welches sich im Mittelpunkt der Stadt erhob. Es hatte fünf Stockwerke und sah eher aus wie ein Turm, obwohl es den gleichen Bau wie die andere Gebäude besaß*1. Die Straßen hielten genau auf das Gebäude zu, woraus Narian schloss, dass es sich um das Rathaus, den Sitz des Stadtherrn, handelte.
Vor dem Tor standen links und rechts noch kleine Ein-Mann-Häuschen, vor denen jeweils eine Wache stand. Als sie ihn erblickten, schritt einer der beiden Männer auf ihn zu und hielt ihn auf.
»Na, kleiner Mann«, sagte er. »Wohin soll’s gehen und woher kommst du?«
Narian musterte den Mann. Er trug eine leichte Rüstung, darunter einen Lederwams. Eigentlich wurden nur die wichtigsten Stellen geschützt. Am Ledergürtel hing ein Schwert, in der einen Hand hielt er einen Speer. Einen Helm trug er nicht, welcher sein Gesicht verdeckten würde.
Es war ein kantiges Gesicht, von einigen Narben am Kinn und der Nase überzogen. Sein Drei-Tage-Bart stand ihm nicht wirklich. Es war ein Gesicht eines Soldaten, der schon viel erlebt haben musste. Sein dunkles Haar wurde zudem schon etwas grau und licht. Ghaidhads Soldaten, die Narian schon gesehen hatte, waren jünger und frischer gewesen, was sicher an der Tatsache lag, dass die Jungen mit 18 eingezogen wurden. Doch der Mann, der vor ihm stand, war sicherlich ein Kriegsveteran. Der Wachdienst am Tor gefiel ihm sicher nicht.
»Ich will in die Stadt mir essen kaufen. Woher ich komme behalte ich für mich«, sagte Narian frech.
»Tut mir ja Leid, aber ich muss fragen«, meinte der Wächter. »Wenn du aus Ghaidhad bist, solltest du uns besser zum Bürgermeister begleiten, denn Besucher aus Ghaidhad sehen wir hier nicht oft.«
»Wer sagt ihnen. dass ich aus Ghaidhad bin?« fragte Narian.
»Mein Gefühl. Und die drei Tatsachen, dass du Kleidung aus Ghaidhad trägst, wie jemand redest, der aus Nord-Ghaidhad stammt, und aus der Richtung dieses Landes kommst.«
»Ich bin ein 16-jähriger Junge und hätte gerne etwas zu essen«, meinte Narian. »Wollen sie mich deswegen ernsthaft zum Bürgermeister bringen?«
»Adokras, lass den Jungen gehen, er ist ja nicht mal bewaffnet. Was soll er anrichten?« rief der zweite Wächter. Dann kam er hergelaufen. Viel anders als der erste Wächter sah er nicht aus.
Dann kramte er in seiner Tasche und holte drei Silbermünzen heraus.
»Sicherlich hast du noch nicht mal Geld, so wie du aussiehst«, meinte er und drückte Narian die Münzen in die Hand. »Verschwinde und mach dir um den Brummbär hier keine Sorgen. Oder Adokras?«
»Hmmmm...«, meinte der erste Wächter.
»Vielen Dank«, sagte Narian durchaus verlegen und ging durch das Tor.
Hinter sich hörte Narian die Wachen noch diskutieren, aber das interessierte ihn  jetzt nicht. Er konnte seine Karte behalten und hatte dazu noch drei Silbermünzen bekommen. In Ghaidhad waren drei Silbermünzen viel Geld, zumindest für ein armes Landei wie Narian.

Die Stadt war wie gesagt noch ziemlich lebhaft am frühen Abend und Narian ließ sich den Weg zu einem Obst- und Gemüsehändler zeigen. Der Laden lag am Rande eines großen freien Platzes, welcher direkt an diesem turmartigen Gebäude lag.
»Ein Schilling.*2«, sagte der Verkäufer und reichte Narian die zwei Äpfel und wies ihm den Weg zur nächsten Bäckerei, die glücklicherweise gleich um die Ecke war.
Narian fiel auf, wie sauber die Stadt war. Nirgendwo fanden sich Abfälle wie in den Städten Ghaidhads, in denen er gewesen war, um Besorgungen für den Dorfmagier zu machen.
In der Bäckerei kaufte er sich für den nächsten Schilling einen Laib Brot und verpackte alles in einer Stofftasche, die er dazu bekam.
Obwohl er erst eine Stunde in dieser Stadt war, gefiel sie ihm irgendwie viel mehr als Ghaidhads Städte.
Schließlich lehnte er sich an ein Haus am Rand des großen Platzes und beobachtete das große Gebäude, welches von den vielen Lampen, die an den Seitenwänden des Gebäudes befestigt waren, erleuchte wurde. Es bestand zum Großteil aus Steinen, nur einige Querstreben in den Wänden bestanden aus Holz. Das Gebäude hatte die Form eines Quadrates und stand in der Mitte des Platzes wie ein Wachturm. Es gab in jedem Stockwerk viele Fenster, die beleuchtet waren, einige wiederum nicht. Das Gebäude besaß sogar einen kleinen Vorgarten rund herum. 
Langsam bekam Narian Durst und Mardic konnte ruhig noch etwas warten. Er hatte nur insgeheim die Befürchtung, dass die Tore der Stadt in der Nacht geschlossen wurden.

Also suchte er sich eines der Gasthäuser aus und nahm das mit dem lustigsten Schild. Nach reiflichem Überlegen entschied er sich für den 'lachenden Hasen'.*3
Er öffnete die Vordertüre und betrat das volle Gasthaus. Es gab hier viele kleinere Tische, an denen mindestens fünf Leute saßen. Die wenigsten Plätze waren leer und nur eine Hand voll hockte alleine an den Holztischen. Das Zimmer war an sich eigentlich ziemlich groß und Narian vermutete, dass es noch eine Gaststube zum Übernachten und weitere Gastzimmer im zweiten Stockwerk gab, denn aus dem Zimmer hier führten sowohl eine Treppe nach oben, als auch zwei Türen. Als die Vordertür zuschnappte, sahen einige Leute zu ihm herüber und Narian ging schnell an die Bar. Einige Hocker waren noch frei und so setzte er sich so nah wie möglich an die Türe, denn er fühlte sich hier nicht ganz wohl. Und wie bestellt kam auch schon der Wirt. Ein netter älterer Mann mit einem Schnauzer fragte: »Na, was darf’s denn sein, Kleiner?«
»Haben sie vielleicht eine Limonade oder so was?« fragte Narian.
»Sicher, was für eine?«
»Mir egal, solange ich sie mit einem Schilling bezahlen kann.«
Der Wirt schmunzelte. »In Ordnung.«
Kure Zeit später stand der Wirt mit einem Glas Zitronenlimonade da.
»Bist du zum ersten Mal hier in Aënna? Ich hab dich hier noch nie gesehen und ich darf wohl von mir behaupten, dass ich fast jeden in dieser Stadt kenne«, fragte der Wirt.
»Ja«, meinte Narian dann nur und trank.
»Verstehe, du willst nicht mehr sagen. Gut«, meinte der Wirt dann nach einer stillen Minute.
»Ich nehme an, du willst dann auch nicht sagen, was du hier willst.«
»Nein«, sagte Narian und trank mit schnellen Zügen das kleine Glas aus.
»Gut, verstehe ich. Möchtest du noch was?« fragte der Wirt.
»Tut mir Leid, aber ich habe kein Geld mehr«, meinte Narian.
»Macht nix, er nimmt trotzdem noch mal dasselbe«, ertönte eine Stimme hinter Narian.
Auf den Hocker neben ihm setzte sich ein junger Mann, nicht älter als 24. Er hatte volles schwarzes und kurzes Haar, etwa so wie Narians, nur noch zerzauster, ein volles Gesicht und dunkle Augen. Er machte den Eindruck eines sportlichen jungen Adligen, so hatte Narian das Gefühl. Der Mann strahlte Selbstsicherheit aus und trug ein Hemd aus einem Narian unbekanntem Stoff sowie eine Hose wie Narian sie besaß. Über dem Hemd allerdings trug er, ebenso wie Narian, eine Weste, deren Stoff er auch nicht kannte und dünner und fester zu sein schien als der Stoff von seiner Weste. Die des Mannes war leicht blau, bestickt und mit einem Reißverschluss geschlossen.
»Wollt ihr es ihm bezahlen, werter Herr?« wollte der Wirt wissen.
»Gewiss, werter Herr Wirt«, sagte der Mann. Er hatte eine weiche Stimme, aus der Narian die Ruhe und Lässigkeit hörte, die der Mann ausstrahlte.
Der Wirt nickte und holte ein neues Glas Limonade.
»Darion, freut mich«, sagte der Mann und reichte Narian die Hand.
»Narian«, sagte er und schüttelte die Hand des Gegenübers. »Und wenn ihr mir die Frage erlaubt: Warum zahlt ihr mit bitte etwas zu trinken und was wollt ihr von mir?«
»Ich will gleich ehrlich zu dir sein«, meinte Darion. »Du siehst sehr, wie soll ich sagen, interessant aus. Deine Kleidung verrät dich: Du kommst aus Ghaidhad, nicht?«
»Ja«, sagte Narian nur. »Und?«
»Leute aus Ghaidhad kommen, wie du dir vielleicht denken kannst, nicht sehr oft hierher«, sagte Darion. »Und vor allem keine kleinen Jungen.«
»He, so wie du aussiehst bist du keine fünf Jahre älter als ich«, konterte Narian.
»Ich bin vierundzwanzig, und du?«
»Sechzehn.«
»Dann bin ich’s doch«, meinte Darion. »Nun ja, was ich von dir wollte: Dich fragen, was du hier machst und wie du über die Grenze gekommen bist.«
»Geht dich nichts an«, entgegnete Narian.
»Tja, schade«, sagte Darion gespielt enttäuscht. »Kannst du mir dann vielleicht erklären, woher dieser Drache kommt, der heute Mittag im Fluss vor der Stadt gefischt hat?«
Narian war wie vor den Kopf gestoßen. Der Mann wusste von Mardic!? Narian versuchte sich dumm zu stellen.
»Drache? Welcher Drache?« fragte er.
»Der goldschwarze Drache, der so etwa zehnmal über den Fluss geflogen ist. Das letzte mal kurz bevor du die Stadttore passiert hast«, sagte Darion.
»Woher willst du wissen, wann ich die Stadttore passiert habe?« wollte Narian wissen und klang verunsichert.
»Ich hab dich gesehen. Ganz einfach«, sagte Darion.
»Hier ist die Limonade! Tut mir Leid, ich musste erst noch welche suchen, die letzte Flasche war leer«, sagte der Wirt und stellte das Glas vor Narian ab.
Darion gab ihm das Geld. »Ich würde gerne weiterreden, Junge, aber ich hab zu viel zu tun«, sagte der Wirt und eilte davon.
Darion blickte wieder zu Narian.
»Nun?« fragte Darion. »Willst du mir nun sagen, was du weißt? Es ist nicht leicht mich anzulügen.«
Narian überlegte. Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte, wenn er Darion von Mardic erzählte? Ihm fiel nichts ein.
»Was ist wenn nicht?« wollte Narian wissen.
»Weißt du«, meinte Darion. »Du kannst ruhig alles für dich behalten, aber da ich ja weiß, dass du nicht aus Angarin kommst und jetzt kein Geld mehr hast, wirst du diese Stadt irgendwann wieder verlassen müssen und dann werde ich dir folgen. Dann werden wir ja sehen.«
»Das wäre nicht fair«, sagte Narian.
»Mir egal. Also erzählst du mir jetzt endlich, was du über den Drachen weißt und was du hier willst?«
Narian sah für sich keinen Ausweg mehr. Darion ließ sich wirklich nicht anlügen; er hatte gesehen, dass Narian mehr wusste als er vorgab.
»Ja, ich weiß was von dem Drachen, aber was, das musst du selber herausfinden«, sagte Narian.
»Und wie bitteschön?« fragte Darion.
»Ich stell ihn dir vor.«
»Und was wollt ihr hier?« fragte Darion hinterher. Er ließ einfach nicht locker.
»Das erzähl ich dir später«, gab Narian zurück.
Er trank sein Glas leer, stand auf und ging zur Tür.
Was mach ich da bloß? dachte sich Narian. Warum hatte er sich so schnell geschlagen gegeben? Er hätte Darion noch hinhalten können oder versuchen können ihn weiter zu belügen. Er stellte sich auch noch eine andere Frage: Was wollten er und Mardic hier?
Darion hatte ihn das schon gefragt, doch er hatte keine Antwort darauf gefunden. Eigentlich hatte er noch gar nicht darüber nachgedacht, was sie machen sollten, wenn sie in Angarin waren. Darüber musste er mit dem Drachen noch reden. Wenn er ihn nicht sitzen ließe, wie er es zu Anfang im Alfing-Wald vorhatte.

Aënna schloss seine Tore nachts nicht, dafür standen jetzt vier Wächter vor dem Tor und auf den Mauern patrouillierten noch mehr Wachen. Sie wurden weder aufgehalten noch befragt, was Narian komisch vorkam. Zwar war es nicht leicht in der Dunkelheit den Weg zurück zu finden, aber als er lange genug am Fluss entlang lief, hörte er das Brummen von Mardic. Der Drache schlief anscheinend. Er folgte dem Geräusch und merkte, dass das Gelände anstieg. Hier waren sie richtig.
Schließlich erreichten sie den schlafenden Drachen und Narian schlich sich an ihn heran und warf sich mit seinem Körper gegen die Seite des Drachen. Mardic schreckte auf und spie einen kleinen Feuerstrahl in die Nacht.
»HE!« rief er und schaute sich um. Dann sah er Narian. »Hättest du mich nicht sanfter wecken können!?«
»Hab ich doch«, meinte Narian mit sarkastischem Unterton in der Stimme. »So sanft wie ich konnte.«
»Haha, wie witzig«, gab Mardic zurück. »Und das ist wer noch mal?« Er zeigte auf Darion.
»Darion«, sagte Narian. »Er hat mir was zu trinken spendiert und mich ausgefragt. Leider war ja jemand so schlau direkt vor den Augen der Stadtwachen und der ganzen Stadt zu fischen.«
»Hey, Moment mal!« sagte Mardic verärgert. »Ich kann nicht der einzige sein, der Fehler gemacht hat. Schließlich muss der Kerl da irgendeinen Grund gehabt haben dich auszufragen, oder nicht?« Er sah Darion genauer an. »Wer bist du überhaupt?«
»Narian hat ja schon meinen Namen erwähnt, aber wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Darion. Ich stehe im Dienst der Armee des Königs und bin nun mal ziemlich neugierig, weshalb ich auch gerne wüsste, wer ihr seid und was hier macht.«
Narian und Mardic sahen sich an.
»Wie ich sehe, seid ihr durchaus überrascht«, sagte Darion. »Als Mitglied der Armee habe ich das Recht euch zu befragen wer ihr seid und was ihr wollt, und ihr habt als Einreisende die Pflicht mir zu antworten. Ansonsten kann ich euch verhaften oder, falls ihr fliehen solltet, verfolgen lassen.«
Die beiden waren wirklich überrascht. So hatten sich die beiden ihre Ankunft in Angarin nicht vorgestellt. Aber wenn Darion die Wahrheit sagte, hatten sie keine andere Wahl als zu antworten. Allerdings leuchtete Narian mit dieser Erklärung auch ein, warum die Wachen sie nicht aufgehalten hatten. Sie kannten Darion.
»Na schön«, sagte Narian. »Ich bin Narian, Gehilfe des Dorfmagiers aus Handringen in Ghaidhad, und das ist Mardic, ein Drache.«
»Wenn man sich vorstellt, dann schon richtig«, meinte Mardic gekränkt.
»Ich bin Mardic, der letzte der Drachen Ghaidhads.«
»Ist auch nicht viel mehr als ich gesagt habe«, sagte Narian.
»Es hört sich aber besser an«, sagte Mardic.
»Die Antwort auf die zweite Frage wäre: Wir haben keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen«, sagte Narian und überging Mardics Äußerung.
»Wieso das?« fragte Darion.
»Wir sind aus Ghaidhad geflohen«, erzählte Mardic, »und haben uns noch nicht überlegt, was wir jetzt tun sollen.«
»Zwei Flüchtlinge ohne Plan«, lachte Darion. »Wie wär’s, wenn ihr mit mir kommt?«
»Wohin?« fragte Mardic. »Und überhaupt: Warum sollten wir?«
»Was wollt ihr sonst machen? Dahin, wohin ich gehe, habt ihr viel mehr Möglichkeiten und es wird euch sicher was einfallen. Außerdem wird es hier bald nicht mehr so ruhig sein.«
»Was meinst du damit?« wollte Narian wissen.
»Tut mir Leid, streng geheim.«
»Wohin?« fragte Mardic noch mal.
»Nach Méarlice.«
Narians Augen leuchteten plötzlich. Jahrelang hatte er von Méarlice, der großartigen Stadt der Zauberer, gehört. Die größte bekannte Stadt überhaupt mit mehr als 100.000 Einwohnern und die prächtigste Stadt, die es gibt. Hunderte Geschichten gab es in Ghaidhad über Méarlice. Angeblich stammen die Stoffe, die heute fast jedes Kind am Leib trägt, aus Méarlice, auch Narians Stoffe, ebenso wie die Armbanduhr an seinem Handgelenk in Méarlice ersonnen wurde. Narians Gedanken wirbelten umher.
»Ich komme mit!« sagte er sofort.
»Und was ist mit mir?« wollte Mardic wissen.
»Du kommst mit! Dort wird es bestimmt auch sicherer sein als hier am Rand des Albenwaldes oder?«, meinte Narian.
»Da hat er allerdings Recht«, sagte Darion. »Kommt morgen zum Südtor Aënnas, da treffen wir uns. Und als Soldat der Armee sage ich euch offiziell: Willkommen in Angarin.«
Darion verschwand in der Nacht.
»Hoffentlich hält der Kerl, was er verspricht. Ich will endlich meine Ruhe haben, wenn wir dort sind«, sagte Mardic, ließ sich auf den Boden fallen und versuchte weiterzuschlafen.
Narian allerdings lag die ganze Nacht wach. Er konnte kaum den Morgen abwarten.
Er war so aufgeregt, dass er gar nicht bemerkte, dass kein Alb aus dem Wald kam, der ihn suchen könnte. Der Wald hinter ihm verhielt sich totenstill..

Ende des vierten Kapitels

Das erste Kapitel, welches nicht aus der Sicht Mardics geschrieben wurde, widme ich einem Freund, der mich dem Buch "Eragon" näher brachte.
(Wie gesagt, Name erst am Ende in einer externen Liste der Widmungen, und nein, Mardic ist keine männliche Saphira und Narian kein Abbild Eragons!!)


Fußnoten:
(Der kleine blaue Pfeil () führt jeweils in die Zeile zurück, von wo aus auf die jeweilige Fußnote verwiesen wurde.)
1: Ja, auch hier gibt es Fußnoten! Ich will ja nicht außen vorgelassen werden! Aaaaaaaaaalso: Eigentlich wollte ich nur sagen, zur kleinen Hilfe für euch zum Vorstellen wie die Stadt aussieht, obwohl ich euch nicht den Spaß an der Fantasie nehmen will blahblabalbalblah blablabla... Die Stadt ist mittelalterlich und hat halt auch so mittelalterliche Gebäude aus Holz und Stein mit diesen komischen Querstreben in der Wand usw. Ok, mehr wollt ich nicht sagen^^ Obwohl ich noch mehr zu sagen hätte...
2: 1 Pfennig = 1 Bronzemünze
10 Pfennige = 1 Schilling
1 Schilling = 1 Silbermünze
50 Schilling = 1 Taler
1 Taler = 1 Goldmünze
Natürlich waren die Preise nicht alle festgelegt wie die Währung, denn es konnte auch getauscht werden und gehandelt. Jede Ware hat dennoch einen bestimmten Wert, der in der oben genannten Währung angegeben wird.
3: Das ist noch einer der normalsten Namen in dieser Stadt...
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© Salyan Silberklinge
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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Und schon geht es weiter zum 5. Kapitel: "Méarlice"...

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