Strähne für Strähne kämmte
ich mein Haar. Ich hatte es gerade frisch gewaschen.
Heute Abend würde ich endlich mitkommen
dürfen.
Holdmer und Yerum hatten mir noch ein paar
Sachen zum Anziehen gebracht.
Diesmal war es ein Rock... von innen dick
gefüttert, der mir fast bis zum Boden reichte und warme gefütterte
Lederstiefel. Das Oberteil, ebenfalls gefüttert, lag eng an.
Die Anderen hatten auch neue Sachen. Allesamt
dick, mit Fell versehen und fein verarbeitet. Ich machte ein paar Schritte
und drehte mich. Noch nie hatte ich so bequeme Sachen getragen und mich
so wohl gefühlt.
Jetzt musste ich nur noch die langen Haare
irgendwie bändigen. Vielleicht konnte ich etwas aus dem Stroh basteln?
Baldrick trat in diesem Moment neben mich
und hockte sich hin.
"Ich ....... ich habe etwas für dich
auf dem Markt gefunden. Es ist nichts besonderes... nur... ich dachte du
könntest es gebrauchen... wegen den Haaren... du weißt ja...."
Er hielt mir eine silbern blitzende Spange
hin. Sie war wundervoll gearbeitet und glänzte. Strahlend nahm ich
sie entgegen und flüsterte: "Das kann ich aber ...nicht annehmen..."
Baldrick lächelte: "Doch, bitte.... nimm sie. Es ist ein Geschenk..."
Ich legte die Spange auf das Heu und umarmte
Baldrick.
Anfangs versteifte er sich. Doch nach ein
paar Sekunden legte er seine riesigen Arme um mich und drückte mich
sanft an sich. Ich wunderte mich etwas. Vorher hatte er kaum mit mir gesprochen
und jetzt machte er mir ein so wundervolles Geschenk....
Wir lösten uns wieder. Baldrick stand
ohne Worte auf und ging hinaus. Ratlos blieb ich zurück. Und das sollte
jemand verstehen. Ich steckte meine Haare mit der Silberspange fest und
erhob mich.
Holodmer stand urplötzlich neben mir.
"Ich habe deinen ratlosen Gesichtsausdruck
gesehen, Yialah...."
Ich setzte mich wieder und betrachtete Holodmer
abwartend.
"Weißt du, für Baldrick bist du
wie eine Tochter... jedenfalls ein wenig. Er ist ein sehr herzlicher Mensch.
Dennoch hat er eine schreckliche Vergangenheit... die ganze Geschichte
zu erzählen, würde jetzt zu viel Zeit benötigen.....
Baldrick sieht in dir seine Tochter. Sie müsste
ungefähr in deinem Alter gewesen sein als sie starb. Seine ganze Familie
kam damals um. Nimm ihm seine seltsame Art nicht übel. Im Grunde will
er nur dein Bestes."
Still saß ich auf dem Strohballen und
biss mir auf meiner Unterlippe herum. Das hatte ich nicht gewusst. Ich
fühlte mich schlecht. Ich hatte die ganze Zeit gedacht er wolle mich
nur bevormunden....
"Nun mach nicht so ein Gesicht..." Holodmer
stubste mich an "Heute wollen wir Spaß haben!!! Bist du fertig?"
Ich nickte lächelnd. "Ja ich bin fertig.....oh
Moment noch..."
Ich schnappte mir meine Elfe und ließ
sie in meiner Tasche verschwinden.
"Jetzt bin ich fertig!"
Holodmer grinste. "Auf geht’s!"
.
Die Häuser waren einfach gebaut. Eine
dicke Schneeschicht bedeckte Straßen und Dächer und ließ
das Dorf in strahlendem weiß erleuchten..... Am Rande der kleinen
Straße, die sich quer durch das Dorf zog, hatte man riesige Fackeln
aufgestellt... so wurde unser Weg beleuchtet.
Die schneidende Kälte trieb mir die Tränen
in die Augen. Dennoch genoss ich den kalten Atem des Winters und das Geräusch,
das der Schnee unter meinen Stiefeln verursachte.
Ich freute mich schon riesig auf den Abend...
die Menschen... das Essen... die warme Gaststätte....
Ich hatte das Innere der Scheune schon nicht
mehr sehen können.... es war schrecklich gewesen die ganze Zeit allein
zu sein...
Ich kam mir vor wie ein Neugeborenes. Begeistert
sog ich alles in mich auf was ich sah und hörte.... Gutes wie Böses.
Mein Wissensdurst schien unendlich zu sein.......
Von weitem konnte man einen Hund bellen hören.
Sein heiseres Kläffen ließ vermuten, dass er einer dieser winzigen
Vierbeiner war, die als Schosstiere dienten und ein gemütliches Leben
führten... Wie die Leute hier wohl leben würden? Es waren bestimmt
sehr nette Menschen. Ein kleines Dorf in dem jeder jeden kannte. Und man
sich gegenseitig half.....
Ich war froh, dass wir schon so weit gekommen
waren. Immerhin schienen wir schon im Umland von Ta-Phas zu sein... da
konnte es ja nicht so weit sein...
Wir würden sicher bald unseren Weg fortsetzen.......
Wir waren erst wenige Schritte gelaufen, als
unsere Gruppe anfing unmerklich langsamer zu werden. Das Lächeln verschwand
Stück für Stück von unseren Gesichtern....
Aber warum?
Ich sah mich um...
Die Farben hatten sich verändert. Alles
hatte sich verändert.....
Das glotzende Weiß des Schnees tat in
den Augen weh... und meine Lungen brannten vor Kälte.....
Fröstelnd bahnten wir uns weiter unseren
Weg durch das Dorf..... vorbei an Fackeln und schweigenden Häusern.
Alles wirkte mit einem Male so unwirklich.
Obwohl die Luft klar und rein war, war kein
Laut zu hören... Kein Mensch war auf der Straße. Nicht einmal
aus den Häusern kam ein Laut.
Ein Dorf voller Geister? Wo waren alle?
Die langen Schatten, die die Fackeln warfen,
wirkten bedrohlich.
In tiefem schwarz schlängelten sie sich
durch den Schnee und versuchten nach uns zu greifen.
Aneinander gedrängt setzten wir unseren
Weg fort....
Es müsste nicht mehr weit sein. Die Anderen
schienen den Weg zu kennen.
Die Stille zerrte an meinen Nerven...
Ich blieb stehen und lauschte angestrengt.....
weinte da jemand?
Doch als ich genau hinhören wollte, war
es still. Die Anderen drängten zum weiterlaufen. Langsam setzte ich
mich wieder in Bewegung. Dennoch war ich mir sicher gewesen, ein Weinen
gehört zu haben......
Diese ganze Atmosphäre erinnerte mich
an den See.... dort war es genauso seltsam gewesen...
Alles wirkte bedrohlich und.... krank....
vergiftet...
Wir kamen an einem Graben vorbei, in dem ein
kleiner Hund saß. Als wir vorbei liefen machte er jedoch keinerlei
Anstalten, uns anzuspringen oder uns hinterher zu laufen.
Nach einigen Schritten dreht ich mich noch
einmal um.
Der kleine Hund saß immer noch dort.
In der selben Haltung... Es schien als würde er jemanden auf der Straße
anstarren.... doch dort stand niemand.
Oder nein.... er starrte niemanden an!! Kalt
lief es mir den Rücken hinunter.
Er war tot. Er war in der Kälte erfroren
und erstarrt, wie er dort gesessen hatte.
Ich schluckte und lief klopfenden Herzens
weiter.... Hatten wir nicht vor wenigen Minuten noch ein Bellen gehört?
Diese Leere machte mir Angst....
Zaghaft schob ich meine Hand in die Baldricks.
Auch er schien beunruhigt zu sein.....
Wenn die anderen doch bloß reden würden.
Doch sie schienen meine stillen Bitten nicht zu erhören. So schwiegen
wir....
Die Geräusche von Menschen drangen an
mein Ohr.... Sie lachten.... ja sogar Musik war zu hören. Ein Lächeln
huschte über meine Lippen... waren wir da?
"Hier ist es..." meinte Holodmer. Seine Stimme
wurde fast vollständig von der Luft erstickt. Dass ich ihn hören
konnte, war nur Glück.
Vor uns lag ein größeres Haus.
Es wirkte um vieles einlandender und wärmer. Als wir die Tür
aufmachten, kam uns ein Schwall köstlich duftender, warmer Luft entgegen.
Baldrick hielt mir dir Tür auf und ich trat ein.
Als ich den ersten Schritt in den Raum gemacht
hatte, war es, als ob man mir Watte von meinen Ohren genommen hatte....
Hier würde ich bestimmt meine Angst vergessen...
Wir setzten uns an einen großen Tisch
und wurden sofort herzlich empfangen.
Der rundliche schnaufende Wirt hatte einen
lustigen, gedrehten Bart. Lächelnd brachte er uns reichlich zu essen
und trinken.....
Der süße Wein wärmte mich
von innen auf und bald war die Kälte und Angst vergessen.
Das Wirtshaus war voller Leute, die lachten,
tranken und aßen.
Auf einer kleinen improvisierten Bühne
standen sogar ein paar Musikanten, die lauthals sangen und dabei ein paar
seltsam aussehende Instrumente spielten.
Lächelnd kuschelte ich mich in den breiten
Stuhl und schloss für kurze Zeit die Augen.
Ich genoss die Geräusche und Gerüche
der Menschen um mich herum...... die Wärme des Hauses... die Nähe
meiner einzigen Freunde....
Ich öffnete die Augen wieder. Ein kleines
Kind lief laut brabbelnd durch den Raum und setzte sich zu den Musikanten.
Seine Mutter kam Lachend hinterher gestürmt, um es wieder einzufangen.
Ich betrachtete sie nachdenklich....
Hatte ich auch so eine Mutter? .... Eine Familie?.....
Nein. Ich schüttelte den Kopf. Nein,
heute würde ich nicht daran denken. Heute würde ich glücklich
sein.
Das kleine Kind wehrte sich und lief wieder
zurück zu den Musikanten. Einer von ihnen nahm es lachend auf den
Schoss und sang weiter...
Die Anderen schienen den Abend auch zu genießen.
Lachend und sich laut unterhalten saßen sie um den Tisch herum, tranken,
aßen und waren ausgelassen.....
Von ihrer Stimmung angesteckt lachte ich mit
und aß etwas.
Der Abend versprach wunderschön zu werden.
.
Nach längerer Zeit standen nur noch leere
Teller auf den Tischen und alle waren satt.
Wir unterhielten uns noch über die Weiterreise
und die Pferde, die Tialk und Baldrick gekauft hatten. Die anderen mussten
wir wohl zurück lassen.
Sie waren schon zu alt für eine solche
Reise und würden wohl als Reitpferde einiger Bauerskinder hier dienen.
Die neuen Pferde waren wunderschön. Beide
von breiter Statur und riesigen Hufen. Ich hatte sie jetzt schon lieb gewonnen...
Sie würden uns nun um einiges schneller
an unser Ziel bringen.
Ich wollte endlich Antworten auf meine Fragen.....
endlich wissen was ich hier suchte... was meine Aufgabe war.
In der Schenke war es ein wenig leiser geworden...
die Musikanten spielten nun ein etwas ruhigeres Lied und die Leute unterhielten
sich weiterhin.
Im schummrigen Licht wurde ich langsam müde...
Ich streckte mich und gähnte .....
Konnten wir nicht einfach hier schlafen? Die
Scheune würde jetzt schrecklich kalt sein....
Ich führte gerade meinen Becher mit Wein
an den Mund, als ich draußen Geräusche hörte...
Ich dachte mir nichts dabei und trank.....
Die Musikanten spielten nun ein etwas lustigeres
Lied....
Ich stützte meinen Kopf auf meine Arme
und lauschte den Klängen ihrer Instrumente.
Draußen wurden währenddessen die
Geräusche immer lauter.
Zuerst waren es nur leichte Schritte.....
dann das Getrappel vieler Pferdehufe.
Die Musikanten unterbrachen verwirrt ihr Spiel.
Irritiert lauschten nun auch die anderen Gäste. Yerum schaute erschrocken
in die Runde. Das Gelächter an unserem Tisch verstummte mit einem
Male. Wir dachten alle das Gleiche.
Draußen wurde es immer unruhiger.....
Leute liefen in der Gegend herum. Frauen riefen etwas...
Einige der Gäste eilten nach draußen,
um zu sehen was dort vor sich ging.
"Ihr bleibt vorerst hier!" meinte Baldrick
und ging mit einigen der anderen Gäste nach draußen.
Mit klopfendem Herzen saß ich auf meinem
Platz..... Sollte der Clan uns gefunden haben? Sollte er uns so weit gefolgt
sein??
Draußen in der Kälte wurde es immer
lauter. Menschen liefen panisch umher und schrieen.
Was war bloß los??
Die Anderen hatten sich jetzt auch erhoben
und waren ein paar Schritte auf die Tür zugegangen. Durch ein offenstehendes
Fenster konnte ich erkennen wie Männer mit Fackeln umher liefen und
etwas riefen. Der panische Ausdruck auf ihren vor Kälte geschwollenen
Gesichtern ließ mich schaudern.
Ich konnte nicht verstehen was sie riefen.
Was war bloß geschehen? Ich wollte nach
draußen....
Urplötzlich stürzte einer der Männer
in das Wirtshaus.
Sein Gesicht war vor Anstrengung und Angst
verzerrt. Schweißgebadet schrie er:
"DIE FESTE FIEL!!!!!!! IRUN SERKIA IST TOT!!
DIE FESTE IST GEFALLEN!!!! FLIEHT! FLIEHT
SOLANGE IHR NOCH KÖNNT!!!!"
Mit offenem Mund und geweiteten Augen stand
ich da....
Die Leute um mich herum brachen in Panik aus.
Kinder schrieen, Mütter weinten....
Alles das erreichte meinen Kopf nicht.
Nein nein nein. Das durfte nicht sein. Meine
Antworten. Das konnte nicht sein......
Fassungslos starrte ich noch immer den Mann
an.
Baldrick kam hereingestürmt und überrannte
fast den armen Mann, der noch halb in der Tür stand.
"Wir haben keine Zeit zu verlieren!" keuchte
er. "Wir müssen hier weg.... sofort... zurück in die Scheune......"
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