Sebrina A'Leve von Knuddeldrache
Kapitel 3: Mit Orken unterwegs

Der Abschied vom Dorf der Orks erstreckte sich nach ihrem mehrwöchigen Aufenthalt über einen etwas längeren Zeitraum. Durch ihre Verletzungen und vor allem durch das gebrochene Bein Esmonds waren sie zu einer längeren Erholungspause gezwungen gewesen. Sie alle hatten die Zeit irgendwie sinnvoll genutzt. Die Mädchen hatten bei den Frauen mit Händen und Füßen Kochunterricht genommen und Kräuterkunde studiert. Warn war mit den orkischen Jägern unterwegs und hatte viel über Spurenlesen gelernt. Karim hatte sich mit orkischer Kampfkunst auseinandergesetzt. Esmond hatte versucht den Orkischen Glauben zu erforschen und erstaunt nach Abbau einiger Sprachbarrieren festgestellt, dass sie genauso an Herina glaubten, wie auch die Menschen. Sebrina schließlich hatte ihre Sprachbegabung entdeckt und von dem jungen Ork relativ viel seiner Sprache gelernt und ihm viel der ihren beigebracht.
So war der Höhepunkt des Sommers inzwischen vorbei, als die kleine Gesellschaft um Sebrina wieder aufbrach, um das sagenhafte Schloss der so genannten Lady zu finden.
Großes Glück hatten sie gehabt als sie der Fluss fast geholt hatte und so war es zwar schmerzlich alle Pack- und Reittiere verloren zu haben, doch alle Menschen und auch Baja hatten sich von diesem Desaster zwischenzeitlich erholt. Das Meiste, was sie an Ausrüstung verloren hatten, wurde ihnen von den Orks als Geschenke überlassen. Nur Sebrinas Harfe war nicht zu ersetzen und sie musste auf eine kleine Flöte zurückgreifen. Das komplette Kochgeschirr, das die Schwestern krampfhaft in den Fluten umklammert gehalten hatten, war ihnen erhalten geblieben, ebenso wie fast all ihre Waffen, von denen die Orks die meisten bei den Kadavern der Pferde gefunden hatten. Einige waren auch auf dem fast zerstörten Floß gewesen, das Esmond ans Ufer gerettet hatte.
Die Orken hielten ihr Versprechen und ein ganzer Trupp begleitete sie von nun an. Archanat, der junge Ork, den sie gefangen hatten, sollte nach dem Willen des Schamanen im Schloss der Lady bleiben und dort Geheimnisse der Magie erlernen, um ebenfalls ein Schamane zu werden. Der Vater des Jungen, der das Oberhaupt des Kriegerklans war, begleitete sie mit einem seiner besten Kämpfer. Außerdem waren noch zwei junge Orks mit dabei, die ebenfalls im Schloss bleiben und der Herrin dienen sollten.
Orks waren hervorragende und gefürchtete Krieger und der Clan hatte beschlossen die hohe Lady günstig zu stimmen, indem er ihr zwei gute, junge Krieger überantwortete. Sebrina hatte bei den Orks erfahren, dass deren Lebenszyklus kürzer war als der ihrer Rasse. Orks waren schon im Alter von 15 voll ausgereift. Die jungen Orks der Gruppe waren 12 und 13 Jahre alt, also fast erwachsen. Sie würden, wenn sie Kämpfe und Krankheiten überlebten, etwa 50 Jahre alt werden. Alt genug, um ihre Urenkel auf den Knien zu schaukeln. Einzig die Schamanen der Orks erreichten manchmal ein Alter von 80 Jahren, dies war aber sehr außergewöhnlich.
Die jungen Orks waren mit zweischneidigen Äxten und ledernen Schilden bewaffnet. Archanat hatte einen langen Dolch im Gürtel und einen starken Bogen geschultert. Seine Rüstung bestand nur aus weichem Leder, bei den beiden anderen war dieses mit Ringen und Nieten besetzt. Die beiden Krieger jedoch trugen Brustharnische aus Messing, flache Helme und Schienbeinschützer. Der eine hatte als Waffe eine beidhändige Axt mit gewaltigem Blatt. Der Häuptling selbst trug eine ungewöhnliche Waffe. Einen Stab mit Lederfutteralen an beiden Enden. Während des Marsches konnte er ihn als Wanderstab verwenden, im Kampf jedoch wurde daraus mit zwei Handgriffen ein Kampfstab, an dessen Enden zwei gebogene Schwertklingen befestigt waren. Eine Waffe, die enorme Geschicklichkeit erforderte.
So waren es ohne Baja jetzt elf, die durch die Wildnis wanderten. Sie folgten dem Verlauf eines schmalen Flusses und der Weg war oftmals abenteuerlich und ab und an sehr gefährlich. Gerade waren sie kletternd und hangelnd durch eine schmale Schlucht gelangt. Der Fluss überbrückte hier einige Höhenmeter auf sehr kurze Distanz und war entsprechend seinem Gefälle mehr weiß als grün. Große, oft glitschige Felsen säumten das senkrechte Ufer und machten Mensch, Ork und Tier das vorankommen zur Mutprobe.
Nass und erschöpft erreichten sie das Ende der Schlucht. Das Tal weitete sich hier stark und der Wasserlauf lag über Kilometer scheinbar völlig still vor ihnen. Die Ufer waren flach und morastig und auf dem torfigen Boden wuchsen außer Moose und Binsen nur noch verkrüppelte Birken und Erlen, keine höher als zwei Schritt. Ihrer aller Stiefel waren von der Schlucht schon durchweicht und keiner kümmerte sich mehr um den feuchten, nachgebenden Boden. Warn schritt ein gutes Stück voraus und erkundete den Weg, während der Krieger sich zurückfallen ließ und ihren Rücken deckte.
Archanat und Sebrina unterhielten sich, wenn der Weg es zuließ, und sie versuchte soviel seines Orkdialektes zu erlernen wie er versuchte sein Gruna zu üben. Karim und Esmond bemühten sich darum sich mit dem Klanchef zu unterhalten, jedoch war weder ihr Orkisch, noch sein Gruna wirklich ausreichend. Sie hätten gerne mehr über das phantastische Schloss erfahren, wurden jedoch nicht recht schlau aus den paar Worten, die sie verstanden.
Tagelang wanderten sie den Fluss entlang und folgten immer dem Hauptstrom, auch wenn er sich oftmals in andere Täler verzweigte. Bemerkenswerte Ereignisse blieben in diesen Tagen aus und auch das Wetter spielte zur Abwechslung einmal mit, doch dann änderte sich die Idylle. Sie durchquerten wieder eine flache Talmulde, in der in diesem Fall ein lichter Auwald dominierte, auf dessen Boden Seegras und kleine Holunderbüsche wuchsen. Die Gruppe kam gut voran und ihr Führer hatte die Hoffnung geäußert, heute noch einen wichtigen Pass in ein Seitental überqueren zu können, als wie aus dem Nichts plötzlich einige Orks vor ihnen aus dem Boden wuchsen.
Die Gruppe hielt abrupt und starrte die Fremden überrascht an. Der fremde Anführer brüllte den ihren an, und dieser brüllte ebenso zurück. Als er den fragenden Blick Sebrinas bemerkte, versuchte Archanat ihr so gut wie möglich zu übersetzten, was da geschah. Scheinbar verlangte der Fremde alle Waffen und den Proviant und Archanats Vater war nicht gewillt ihm dies zu überlassen. Scheinbar konnten sie sich aber auch beide nicht mit einem offenen Kampf anfreunden, da die Gruppen etwa gleich groß waren. Ihr Führer schlug einen Zweikampf der Stärksten vor und der Fremde machte beim Anblick des großen Karim einen anderen Vorschlag. Der Stärkste gegen den Stärksten, der Häuptling gegen den Häuptling und der Schwächste gegen den Schwächsten. Wer zweimal gewann sollte die Beute bekommen. Sie berieten sich und Archanats Vater machte den Menschen begreiflich, dass ihnen keine andere Wahl blieb, wollten nicht alle kämpfen.
Karim zog sein schweres Schwert aus der Scheide und glitt beiläufig mit dem Daumen über die Schneide, während er auf den freien Fleck Wiese schritt, die als Kampfplatz dienen sollte. Der massige Ork, der sein Gegner sein würde, wartete schon auf ihn, mit einer gewaltigen Kriegsaxt bewaffnet. Die kleineren Orks entzündeten ein Feuer und Lura und Pillipa brühten Membar für alle. Während sich die Kämpfer noch umschlichen, unterhielten sich die gegnerischen Orks schon bei Membar und etwas Trockenfleisch.
Die Kämpfer musterten sich einige Minuten, dann riss der fremde seine Axt hoch und schwang sie nach Karim. Dieser wich leichfüßig aus und ließ den Hieb in die Leere laufen. Geschickt wich er immer wieder aus und schwächte seinen Gegner. Seine eigenen Angriffe waren aber scheinbar unkoordiniert. Immer wieder traf sein Schwert nur den Griff der Axt. Sebrina wusste nicht warum, aber er schien regelrecht auf den Griff zu zielen, allerdings hatte sie ihn bislang auch noch nie kämpfen gesehen, außer bei ihren Übungskämpfen, wo er allerdings einen fähigeren Eindruck gemacht hatte. Eine gute halbe Stunde tänzelten sie umeinander, ohne dass einer der Beiden einen brauchbaren Treffer landen konnte. Karim starrte die Axt an, als wollte er sie hypnotisieren, dann riss er seine Waffe mit beiden Händen herum und traf den Griff ein letztes Mal dicht unterhalb des Axtkopfes.
Mit einem scharfen Knacken brach das Holz und der Axtkopf fiel ins Gras. Die Schrecksekunde des verdutzten Orks ausnutzend brachte er sein Schwert mit einer fließenden Bewegung herum und hielt die Spitze dicht an die Kehle des Gegners. Dieser ließ den Axtstiel sinken und hob eine Hand. Archanat sagte: "Er sagen, er Verlierer, können tun was wollen."
Karim senkte das Schwert und streckte dem Ork die Hand hin. Dieser sah verdutzt hin, griff dann aber zögerlich danach.
Karim ließ sein Schwert fallen und klopfte dem verdutzten Ork auf den Rücken, dann rief er: "Archanat, sag ihm, er sei ein großer Kämpfer und ich möchte sein Freund sein, nicht sein Feind."
Der junge Ork übersetzte das und die Orks beider Stämme flüsterten erst und jubelten dann. Archanat flüsterte Sebrina zu: "Mensch ehrenvoll, Orks ehrenvoll, Orks glücklich. Krieger will Freund sein."
Als nächstes kämpften die Häuptlinge miteinander. Beide besaßen die gleiche Waffe, einen Stab mit zwei Schwertern an den Enden. Dieser Kampf war wesentlich länger und wurde härter ausgetragen als der Karims. Die Klingen wirbelten nur so herum. Kleinere und auch tiefere Schnittwunden klafften bald an beiden Kämpfern. Die Orks schienen mit ihren Waffen einen Tanz aufzuführen. Einen blutigen Tanz, als ob sie einer genau einstudierten Choreographie folgten.
Plötzlich, inmitten der fließenden Bewegungen schien der fremde Ork eine Lücke in der Deckung ihres Führers gefunden zu haben. Er schlug mit der Waffe nach den Beinen und hebelte ihn aus. Ihr Anführer stürzte nach hinten und sah sich der Klinge des Gegners gegenüber bevor er aufstehen konnte. Der Fremde rief etwas und nahm dann seine Klinge wieder weg.
Archanat flüsterte: "Er nicht matsch Vater, weil Karim nicht matsch Ork. Jetzt Schwächsten kommen."
Aus dem Haufen der Orks löste sich eine kleinere Gestalt. Sebrina sah genauer hin und erkannte ein Orkmädchen, jünger noch als Archanat.
Sebrina fragte den Jungen leise: "Wer ist unser schwächster Kämpfer?"
Dieser sah sie seltsam an, dann sagte er: "Ich von Ork, aber sie wollen du..."
Sebrina starrte ihn an. "Aber... ich bin doch keine Kämpferin..."
Bedauernd sagte er: "Du tragens Waffen. Klein Schwestern nix Waffen, deshalb nix Krieger. Du Waffen..."
Die Orkin kam direkt auf sie zu und grunzte sie in ihrem Orkdialekt an. Sebrina sah verzweifelt zu Warn, der nur mit den Schultern zuckte. Karim raunte ihr zu: "Nutz deine Geschwindigkeit..."
Sebrina folgte der Orkin auf das Stück Wiese, das noch immer rot gesprenkelt war vom Blut der Orks. Die Orkin zog eine kleine Streitaxt, die traditionelle Waffe der Orks neben dem Säbel. Sebrinas beide Klingen glitten aus den Scheiden. Sie hielt sie anders herum, die Klingen nach unten, denn so konnte sie die Angriffe mit den Unterarmen abwehren und diese dabei durch die Klingen schützen. Allerdings hatte sie nicht vor überhaupt getroffen zu werden.
Die Orkin johlte einen hohen Kampfschrei und stürmte auf Sebrina ein. Diese wich zur Seite und ließ ihre Gegnerin vorbeilaufen. Die drehte sich wütend um und hieb wieder mit ihrer Axt nach Sebrina, welche sich zurückbog und den Hieb vorbeigleiten ließ. Wieder und wieder schlug die Orkin nach Sebrina, diese wich immer nur aus, denn zu viel mehr war sie beim Unterricht mit Warn und Karim noch nicht gekommen, vor allem wie man mit dem Rapier und dem langen Dolch eine Axt abwehren konnte, hatte sie noch nicht gelernt. Sie musste sich auf ihre Fähigkeit auszuweichen verlassen.
Als Diebin und auch Gelegenheitstänzerin glaubte sie durchaus in der Lage zu sein dieses Spiel zu spielen. Die lange Wanderung hatte ihre Kondition verstärkt und so hoffte sie dies noch sehr lange durchhalten zu können. Das Problem war nur, dass die in der Wildnis aufgewachsene Orkin wahrscheinlich über eine viel bessere Ausdauer verfügte. Sebrina sparte ihre Kräfte und bewegte sich nicht mehr als nötig. Es kam den Zuschauern so vor, als wäre sie der Orkin weit überlegen und spiele nur mit ihr. Sabrina aber kämpfte um ihr Leben. Jedenfalls bewegte sie sich um ihr Leben. Sie war schneller als die Orkin, aber sie hatte keine Erfahrungen im Kampf. Sie schwor sich, wenn sie dies überstehen sollte, mehr Energie in ihren Unterricht zu stecken.
Die Gegnerin begann zu schwitzen, aber das bedeutete nichts, denn sie selbst schwitzte auch und für die Andere konnte es auch den Tod bedeuten, zumindest mochte sie das denken, wenn sie verlor. Sebrina wechselte ihre Waffen in die jeweils andere Hand, weil sie sich an etwas erinnerte, womit sie immer recht gut gewesen war. Sie brachte Abstand zwischen sich und die Orkin, wirbelte ihren Dolch herum, dass sie ihn an der Klinge zu fassen bekam, und warf ihn nach deren Axthand. Der Dolch streifte den Arm und verursachte eine tiefe Schnittwunde, aber er verschaffte ihr ansonsten keinen Vorteil und sie besaß nun nur noch den Rapier. Sie wusste aber genau, selbst wenn sie die Deckung der Gegnerin durchbrechen konnte, war sie niemals stark genug, die Lederrüstung zu durchdringen.
Die Orkin wurde auch einfach nicht müde oder wenigstens ein bisschen langsamer. Hätte sie etwas mehr Selbstvertrauen besessen und Sebrina stärker attackiert, wäre der Kampf schon längst beendet. Die Bardin jedoch flößte ihr zuviel Respekt ein mit ihren fließenden Bewegungen. Sie umkreisten sich schon sehr lange und die Zuschauer wurden es langsam müde. Sie zogen sich, außer zwei Schiedsrichtern, weiter zurück und unterhielten sich scheinbar gelangweilt am Feuer.
Zwei Stunden kämpften sie jetzt und keine der Beiden konnte einen Vorteil erringen, Sebrina wurde langsam müde und begann bei ihren Ausweichbewegungen langsamer und unsicherer zu werden. Aber auch die Orkin hieb ihre Axt nicht mehr so gezielt wie zu Anfang und stand nach manchem heftigen erfolglosen Schlag nun immer wieder da und verschnaufte. Archanats Vater war schon lange verbunden worden, ebenso wie sein Gegner und sie saßen am Feuer und prosteten sich zu. Nach drei Stunden Kampf standen sie beide auf und kamen zu den Kämpferinnen herüber. Sie schüttelten die Köpfe und tuschelten miteinander.
Sebrina nutzte eine der Verschnaufpausen ihrer Gegnerin und zielte mit einem Hieb nach einem der Verschlussschnallen an der harten Lederrüstung ihrer Gegnerin. Sie traf und die Rüstung öffnete sich an der linken Seite. Nun hing sie die Orkin behindernd nur noch an der rechten Schulter. Dies schränkte die Bewegungen derart ein, dass Sebrina kurz darauf den anderen Verschluss ebenfalls zerschneiden konnte. Die Rüstung rutschte herab und der Orkin über die Beine. Diese hatte mit raschen Schritten versucht außer Reichweite der Bardin zu gelangen und stolperte nun über ihre Rüstung. Sebrina jedoch war zu müde, um hinter ihr her zu hechten, deshalb war die Orkin wieder auf den Beinen, bevor sie ihren Vorteil nutzen konnte. Nun war die Orkin endlich verletzlich, was Sebrina auch nicht passte, da sie die andere gar nicht verletzen wollte. Sie wollte jetzt sowieso nicht mehr, es wurde ihr einfach zu blöd, dieses ewige Herumgehopse ohne Aussicht auf einen Sieg.
Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis das Mädchen sie mit ihrer Axt treffen würde, vor allem, da sie ihr die Last der Rüstung genommen hatte und das Orkmädchen sich nun viel schneller bewegen konnte als zuvor. Sebrina seufzte und setzte sich auf den Boden, nachdem sie demonstrativ ihren Rapier in den Boden gerammt hatte. Sollte die andere doch machen, was sie wollte. Diese kam heran und holte mit ihrer Axt aus. Vielleicht war das Hinsetzen doch keine so gute Idee gewesen.
Die Axt sauste herab, noch bevor sich die Bardin ihren Fehler genauer überlegen konnte. Das Blatt der Axt senkte sich tief in eine Wurzel zu Sebrinas Füßen und die Orkin setzte sich im Schneidersitz ihr gegenüber. Dann streckte sie zögerlich die Hand aus. Sebrina griff danach und die andere strahlte sie an. Die Häuptlinge begannen laut zu zetern und Sebrina sah, wie die Orkin vor Scham rot wurde.
Sebrina verstand fast kein Wort, was da gesprochen wurde, außer garamun, was unmöglich bedeutete. Ihr war aber egal, was die Orks redeten. Sie riss ein Stück von ihrem völlig zerfetzten Rock und griff sich den verletzten Arm der Orkin, um ihn zu verbinden. Diese staunte zwar, ließ sie aber gewähren und auch die Anführer verstummten. Dann standen sie auf und gingen zum Feuer, um zu palavern. Karim kam zu ihr und auch Warn. Esmond kümmerte sich nochmals um den Arm und legte ein paar Kräuter auf, die ihm die Orks gegeben hatten. Dann setzte sich Archanat zu ihnen und erklärte Sebrina, dass ein Unentschieden in den Regeln der Orkkämpfe nicht vorkomme und sich die Häuptlinge stritten, ob sie aufgegeben habe, als sie sich setzte oder die andere als sie ihre Axt in das Holz trieb. Er sah die Fremde bewundernd an, sie ignorierte ihn jedoch völlig.
Die fremden Orks hatten bald mitbekommen, wohin die Truppe unterwegs war. Irgendwann einigte man sich in der Orkrunde darauf, dass Sebrinas Setzen so etwas wie eine Aufgabe gewesen sei. Jedoch wurde sie nicht offiziell zum Verlierer erklärt. Dafür, dass man keine Ansprüche auf irgendwelche Wertgegenstände erhob, wollte der fremde Häuptling aber, dass sie drei seiner Orkkrieger mit zum Schloss nahmen. Er wollte auch Kontakte knüpfen zu der Lady, der das Schloss gehörte, und war eigentlich froh, eine Gruppe getroffen zu haben, die den Weg kannte. So sollte das Mädchen, das seine Tochter war, und der große Kämpfer, gegen den Karim gewonnen hatte, und noch ein Krieger mit ihnen ziehen.
Archanats Vater tat zuerst recht mürrisch, jedoch war der Weg noch weit und die Gefahren nicht zu unterschätzen. Also sagte er bald ja zu dem Vorschlag der Fremden. Heute jedoch war durch die lange Kämpferei und die Verletzungen an eine Weiterreise nicht zu denken und die beiden Gruppen lagerten gemeinsam auf der Lichtung.
Sie unterhielten sich bis lange in die Nacht und Sebrina testete ihre neu erworbenen Orkkenntnisse an dem Mädchen, mit dem sie gekämpft hatte. Sie hieß Guacha und war erst elfeinhalb Jahre alt. Sie hatte ihren Vater so lange beschwatzt, bis sie mit gedurft hatte. Nun war sie eine Schande für ihr Volk, weil sie nicht gewonnen hatte und deshalb sollte sie mit ins Schloss. Allerdings hatte Sebrina kurz zuvor von Archanat erfahren, dass es eigentlich eine Auszeichnung war in das Schloss gehen zu dürfen. Guacha ließ dies aber nicht gelten. Allerdings schien sie auch nicht allzu traurig zu sein.
Am darauf folgenden Morgen verabschiedeten sich die nun nicht mehr so fremden Orks, um ihrer eigentlichen Beschäftigung, der Jagd, nachzugehen. Der Abschied war kurz und zu Sebrinas Befremden sprachen Guacha und ihr Vater kein Wort des Abschieds miteinander.
Nach dieser Begegnung verlief die Wanderung tagelang relativ ereignislos. Das Wetter war merklich kühler geworden, aber es blieb trocken. Die klaren Nächte jedoch wurden schon empfindlich kalt. Als sie einem engen Flusstal folgten und um eine Windung herum kamen, lag vor ihnen eine gewaltige Felswand. Der Fluss stürzte von etwa fünfhundert Schritt in der Mitte herab und zerstäubte zeitweise völlig zu Nebel und Gischt, die sich erst weiter unten wieder in fließendes Wasser verwandelte.
Archanats Vater sagte zu Sebrina: "Frau, hier wir!" Er deutete auf die Felswand und sagte: "Da rauf!"
Sein Gruna war mit dem seines Vaters und selbst dem seines Sohnes nicht zu vergleichen, aber immerhin sprach er einige Worte. Als Sebrina noch überlegte, wie man diese Wand hinauf kommen sollte, führte er sie auf einen kaum zu entdeckenden Pfad, der sich hinauf schlängelte bis an den höchsten Punkt des Walles.
Am Beginn des Pfades angelangt allerdings sagte er: "Bleiben!" und deutete auf den Boden, dann hob er einen Finger. "Aufstieg Tag." Dann ließ er seinen Rucksack herabgleiten. "Hier Rast."
Sebrina erklärte es sich so, dass der Aufstieg so lange dauerte, dass man besser früh am Morgen damit begann. Es war gar nicht einfach hier in der Feuchte und im Lärm des herabstürzenden Wasserfalles zu schlafen oder sich zu unterhalten. So waren alle recht müde und die Ausrüstung klamm, als sie die Reise den Pass hinauf am Morgen fortsetzten.
Die fünfhundert Schritt erreichten sie schon nach drei Stunden trotz ihres vielen Gepäcks, aber Sebrina hatte schon vorher erkannt, dass dies noch lange nicht der ganze Aufstieg gewesen war. Als sie endlich oben ankamen, blickten sie auf ein fast ebenes Hochtal, das von Bergen umrahmt war. Dann, nachdem sie aus dem Schatten der weiterführenden Felswand hervor getreten waren, hatte sie das Schloss zum ersten mal erblickt. Eine Felsnadel inmitten des Tales und darauf ein weißes Schloss, das im Licht der tief stehenden Sonne ein wenig rosa schimmerte.
Sebrina traute ihren Augen nicht, aber ihren nicht orkischen Begleitern ging es genau so. Sie konnten gerade noch so weit gehen, dass der Lärm des Falles etwas gemildert war, dann jedoch mussten sie das nächste Nachtlager errichten. Sebrina setzte sich auf einen Felsblock und starrte hinüber zu dem Bauwerk. Sie fröstelte in ihren noch klammen Kleidern, verspürte aber ein sehr zwiespältiges Gefühl. Einerseits euphorisch, weil sie das Schloss vor sich sah, andererseits bedrückt, da ihr Ziel erreicht und die Zukunft nun wieder völlig offen und verschleiert war. Eigentlich kaum zu glauben, dass sie es geschafft haben sollten.
Vage erkannte sie einen schwach ausgetretenen Weg, der auf die Felsnadel zu lief. Irgend etwas oder jemand kam auf diesem Weg auf ihre Gruppe zu. Warn stand schon geraume Zeit neben ihr, ohne dass sie ihn wahrgenommen hätte. Nun beschattete er seine Augen. "Zwei Menschen, ein Esel."
Sebrina blieb sitzen, da ihrer Truppe von zwei Leuten kaum Gefahr drohte. Als sie näher kamen, erkannte auch sie, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelte, beide eher klein gewachsen. Sie hatte eine rotblonde Mähne, die in alle Richtungen abstand, und große, strahlend blaue und sehr unschuldig wirkende Augen. Er trug einen grauen Schlapphut mit schwarzen Haaren darunter und seine dunklen Augen wirkten nicht zuletzt durch die vielen kleinen Fältchen frech.
Als sie ihren Rastplatz erreichten, hob er eine Hand zum Gruß und sagte: "Einen wundervollen guten Abend meine Damen und Herren. Mein Name ist Taran und ich wollte fragen, ob ihr für zwei müde Wanderer ein Nachtlager anbieten könntet."
Dann wiederholte er das ganze in einer orkischen Gemeinsprache und scheinbar konnte er es gut, da die Orks alle sehr erstaunt aufsahen. Gerne lud die Gruppe beide ans Feuer ein und sie unterhielten sich eine ganze Weile. Vor allem wurden sie nach dem Schloss ausgefragt, darüber erzählten sie in blumigen Reden und tollen Beschreibungen, sagten aber eigentlich nicht viel. Sebrina hatte zwar eine Weile interessiert zugehört, aber ihren Platz auf dem Felsen nicht aufgegeben. Bald schon hatte sie aber erkannt, dass beide keine brauchbaren Informationen preisgaben und war wieder in sich versunken und starrte in die Dunkelheit, dorthin, wo das Schloss zu sehen gewesen war, als hoffte sie so zu neuen Einsichten zu gelangen.
Irgendwann fühlte sie auf ihrem Fels, wie sich jemand neben sie setzte. Zuerst dachte sie Warn wäre zu ihr gekommen, aber es war der Fremde.
Dieser sprach sie an: "Nun, schöne Frau. Seid ihr auf der Suche nach Erkenntnis oder einfach gerne allein?"
Sie sah ihn neugierig an, was er wohl von ihr wollte, dann sagte sie: "Keins von beidem, ich denke ein wenig über die Zukunft nach..."
"Das müsst ihr mir näher erklären!"
Sebrina wusste nicht warum, aber sie erklärte es näher. Sogar sehr nah, sie berichtete dem Fremden ihre ganze Reise. Dieser hörte geduldig zu und nickte ab und an bedächtig, ohne sie zu unterbrechen.
Als sie fertig war lächelte er und sagte: "Na, da habt ihr eine wilde Fahrt hinter euch und wer weiß, noch wildere vor euch? Gebt acht, wenn ihr in die Burg gelangt, dann sagt zu den Wächtern am Tor Grüße von Taran dem Waldgeist. Sie werden euch dann weiterhelfen."
Er nestelte an einem Band um seinen Hals und reichte ihr einen dünnen Lederriemen mit Anhänger. "Fragt mich nicht, warum ich dies mache, ich weiß es selbst nicht genau, aber zeigt diesen Anhänger und ihr werdet offene Türen finden."
Sebrina sah den Silberanhänger erstaunt an. Es war eine halbe Sonne, die auf- oder unterging.
Sie betrachtete die feine Arbeit ehrfürchtig und fragte dann erstaunt: "Ihr beschämt mich, ich habe nichts vergleichbares für euch... Sagt, was bedeutet es?"
Taran lächelte und sagte: "Ich will nichts von euch, ihr seid interessant und ich möchte euch gerne helfen, habe aber keine Zeit zum Schloss zurückzukehren. Dies ist das Zeichen der Lady Lih, der das Schloss gehört. Solche Zeichen sind wie ein Schlüssel..."
Er tat recht geheimnisvoll und Sebrina, die Bardin genug war, um misstrauisch zu sein, glaubte ihm nicht so recht. Warum sollte er einer völlig Fremden solch ein Artefakt anvertrauen. Sie sagte aber nichts von ihren Zweifeln und bedankte sich artig. Es war ein sehr schönes Schmuckstück, wenn auch wahrscheinlich nur versilbert. Der Fremde aber lächelte sie entwaffnend an und schien ihre Zweifel zu sehen, sagte aber nichts außer: "Probiert es und seht."
Dann rutschte er vom Fels und trat zu seiner Partnerin. Diese wurde von den Orks mehr gemieden als er und Sebrina erkannte im Schein des Feuers auch warum. Als sich die Fremde mit den Händen durch die gewaltige Haarmähne fuhr, wurden kurz die beiden überlangen und sehr spitzigen Ohren sichtbar, Sebrina hatte noch nie eine Elfe gesehen und blickte nun eifersüchtig zu Warn, der sich angeregt mit ihr unterhielt. Jedoch, hatte sie sich nicht eben selbst mit dem anderen Fremden unterhalten? Vielleicht sollte sie nicht voreilig urteilen. Warn war wohl einfach auch nur neugierig... Wenn er sie doch nur nicht so anstarren würde... und sie ihn. Nun, die Fremde würde morgen verschwunden und keine Gefahr mehr sein... Aber heute war sie ihr trotzdem ein Dorn im Auge.
Sebrina starrte demonstrativ in die Nacht in der anderen Richtung, bis sie neben sich wieder eine Bewegung fühlte. Warn saß neben ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter. "Na, Anführerin? So schweigsam? Isim, die Elfe, hat uns ausgequetscht, ohne allzu viel von sich zu erzähln."
"Interessiert mich nicht", sagte Sebrina schnippisch.
Warn lachte und sagte: "Eifersüchtig?"
Sie sah ihn empört an, wie konnte er es wagen sie so zu fragen. "Bild dir bloß nichts ein... Auf einen zu kurz geratenen Wischmop bin ich nicht eifersüchtig."
Warn grinste und sie hätte ihm dafür am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Aber konnte sie überhaupt Ansprüche auf Warn erheben? Nur weil sie nun eine Weile durch die Wildnis gewandert waren? Warn zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. Er flüsterte: "Oh meine schönste Bardin, keine Elfe kann dir das Wasser reichen. Wenn ich mich verlieben kann, dann in dich."
Sebrina wusste mit einer solchen Auskunft nun gar nichts anzufangen, was sollte das jetzt wieder heißen. Sie beschloss vorsichtshalber beleidigt zu sein und schmollte. Warn blieb aber neben ihr und hielt sie weiterhin im Arm und sie wehrte sich auch nicht sehr dagegen. Nach einer Stunde aber stand der Jäger auf und zog sich in seinen Schlafsack zurück.
Das Lager war still geworden und nur die Wachen machten auf ihren Runden leise Geräusche und das Feuer knackte ab und zu. Lediglich das laute Schnarchen Esmonds störte die Kulisse etwas, aber an das hatte sich Sebrina schon länger gewöhnt. Nach noch einer halben Stunde, in der sie die Sterne betrachtete und über das Schloss und ihre Rolle darin nachdachte, krabbelte auch sie in ihren Schlafsack und war gleich darauf eingeschlummert.
 
© Knuddeldrache
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