Mondnacht von Lord Sephyr |
Langsam schob sich die blasse Scheibe Luniels über den nachtschwarzen Himmel und tauchte die Welt unter ihr in sanftes, fliederfarbenes Licht. Es war eine der seltenen, zauberhaften und unvergesslichen Nächte, in denen beide Monde, Luniel und Kalima, voll am Himmel standen. Kalima, orange leuchtend, schien auf seinen Freund zu warten, der mühsam zu ihm hinaufstieg, wie um ihn auf seinem weiteren Weg über das Firmament zu begleiten, der noch die ganze Nacht hindurch andauern würde. Leichte Nebelschleier bedeckten den warmen Boden und ein gelber Luftdrache zog seine Bahnen über den Himmel um zu seiner Höhle zurückzukehren. Der Wind streichelte sanft seine Flügel, erzählte ihm Geschichten vom Beginn der Welt, während die zwei Monde ihm den Weg wiesen. Wie ein dunkler Schatten glitt die schlafende Landschaft unter ihm vorbei, doch er blickte sich nicht um, damit er sie näher betrachten konnte. Die ersten Ausläufer eines Gebirges kamen in Sicht, und der Wind erzählte seine Geschichte weiter, dieselbe Geschichte, die er schon den Drachen der vorausgegangenen Generationen erzählt hatte, die Geschichte, die mit jedem Mal länger wurde. Da hatte der Drache seine Höhle entdeckt, sie führte, gut versteckt vor den Augen der Menschen, tief in das Herz der Berge hinein, und vom schillernden Licht der Monde umwoben glitt der Drache geschmeidig hinunter, nach Hause. Einen Blick zum Himmel hinauf werfend, als ob er dem Wind gute Nacht wünschen wollte, verharrten seine Augen kurz auf der orangefarbenen Mondscheibe, dann drehte der Drache sich um und betrat die Höhle. Es war kalt dort und der Drache fror, doch er schüttelte nur den Kopf und legte sich auf den feuchten Höhlenboden. Nach einer Weile öffnete er die Augen, da er nicht schlafen konnte, und ging auf den Höhleneingang zu; der Wind hatte aufgefrischt und sein Säuseln war zu einem Rauschen geworden. Der Himmel war wolkenlos und ließ die beruhigenden Strahlen der Monde bis zum Boden gelangen, der sie begierig aufnahm. Den Kopf auf die verschränkten Pfoten gelegt, betrachtete der Drache sie eingehend und blickte sehnsüchtig hinauf, die Kälte vergessend und ein Zittern unterdrückend. Komm..., flüsterte der Wind. Komm zu uns... Alle Müdigkeit flog von dem Drachen ab, er breitete die Schwingen aus und stieß sich vom Boden ab, obwohl er wusste, dass der Wind zu stark war. Luniel und Kalima hatten schon drei Viertel ihres Weges zurückgelegt und schon färbten erste rote Sonnenstrahlen den Horizont. Der Wind riss an den Flügeln des Drachen, der seine Flugrichtung nur schwerlich beibehalten konnte. Er flog immer höher und höher, obgleich es zunehmend kälter wurde. Die Welt unter ihm sauste vorbei und sah nun etwas bedrohlich aus. Bald konnte der Drache seine Flügel nur noch mühsam bewegen, denn es bildeten sich Eiskristalle an ihnen und sie nahmen beträchtlich an Gewicht zu. Kalte Luft fuhr ihm in die Lungen und jeder Atemzug beförderte ein wenig von der Körperwärme des Drachen nach außen, doch er flog weiter, ohne Rast und ohne Unterbrechung. Das Eis an seinen Flügeln knirschte schon, als er sie bewegte. Die Lockungen des Windes und der Monde brachten ihn dazu, immer höher zu fliegen, doch das Eis hatte seine Flügel bereits umhüllt. Den sehnsüchtigen Blick zu den Monden und gleichzeitig hinüber in ein anderes Leben gewandt, stürzte der sterbende Körper des Drachen der schäumenden Brandung entgegen. © Lord
Sephyr
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