Shira von Miriam Kriesl
Kapitel 1

Es knarzte. Shira eilte zwischen den dichten Bäumen hindurch. Der Waldboden gab bei jedem ihrer Schritte nach. Wurde sie verfolgt, oder war es nur Einbildung?

Ihre Eltern hatten ihr verboten in den Wald zu gehen, denn nachts trieben sich seltsame Gestalten im dichten Unterholz herum und auch am Tage war es Shira nicht erlaubt, zwischen den hohen Bäumen Kräuter zu sammeln. Ihre Eltern wollten viel lieber, dass sie in der Mühle half, als sich ständig im Wald herumzutreiben, doch Shira liebte die hohen Farne, die mächtigen Bäume und das weiche Moos, auf dem man auch ohne Schuhe gut laufen konnte.

Shira konnte deutlich Stimmen hinter sich hören, merkte aber, wie sie leiser wurden. Ihr wurde bewusst, dass sie nicht verfolgt wurde, da die Verfolger sonst bereits schneller geworden wären.

Sollte Shira sie beobachten?

Wie man unbemerkt blieb wusste das Mädchen, da sie schon oft genug durch den Wald geschlichen war und sich vor ihren Eltern versteckt hatte. So schlich sie lautlos wie eine Katze in die Sträucher, die ganz in ihrer Nähe wuchsen. Sie duckte sich hinter einen Busch und beobachtete die schemenhaften Umrisse zweier Gestalten im fahlen Mondlicht, die nicht weit von ihr entfernt stehen blieben und sich suchend umschauten.

Shira sah die beiden gespannt an. Die eine Gestalt, sie war zierlich und hochgewachsen, umfasste etwas, das um ihren Hals hing. "Bist du dir sicher, dass es dieses Dorf ist?" Der Schatten neben ihr nickte. "Der Pfeil zeigte genau auf dieses."

Reden sie etwa von meinem Dorf? Shiras Heimatdorf war das letzte der Menschen, vor dem Wald der Elben. Sie mussten ihr Dorf meinen.

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Sie rannte. Shira konnte nur die Schreie ihrer Eltern vernehmen und ahnte was die Fremden getan hatten. Drei Dörfer hatten in den letzten zwei Wochen gebrannt. Sie alle lagen in der Nähe ihres Dorfes und wurden alle niedergebrannt. Shira hoffte sich zu irren.

Sie waren auf einmal weg gewesen, Shira hatte sie nirgendwo zwischen den Bäumen mehr entdecken können. Es war, als hätten sie sich in Luft aufgelöst, oder wären nie da gewesen.

Lichter gingen hinter den Fenstern im Dorf an und gesellten sich zu einem orangenen Leuchten am Ende der Häuser-Ansammlung. Es stank nach verbranntem Holz.

Shira lief an den Hütten ihrer Nachbarn vorbei, die sie entsetzt anstarrten. Die Schreie hatten sie aufgeweckt. Die Straße war matschig, so dass Shira in ihrer Hast immer wieder ausrutschte. Der Weg zum Haus ihrer Eltern erschien ihr viel länger und sie kam sich vor, als könne sie sich nur in Zeitlupe bewegen.

Von weitem erkannte sie ihre Mutter, die das Gesicht in die Hände gelegt hatte und weinte.

Flammen leckten am Holz des Hauses.

Ihr Heim, es brannte! Shira rannte auf ihre Mutter zu und nahm sie an den Schultern "Wo ist Vater?" Thalaya zitterte am ganzen Körper. "Sie haben ihn-", sie brach unter einem Tränenanfall ab. Shira zog ihre Mutter in ihre Arme und starrte mit gläsernem Blick auf das lodernde Haus. Ihre Mutter schluchzte in ihre Schulter, während Shiras Gedanken vor Schock gelähmt waren.

Die anderen Dorfbewohner versuchten verzweifelt den Brand zu löschen, um ein Überspringen des Feuers auf die anderen Häuser zu verhindern. Rufe hallten durch die Nacht, die Menschen bildeten eine Kette vom Brunnen im Dorfzentrum zum brennenden Haus und gaben Wassereimer weiter.

Shira war wie versteinert. Sie konnte den Blick nicht von dem Haus abwenden. Ihr Zuhause. Dort war sie geboren, dort war sie groß geworden. Und mit einem Schlag hatte sie alles verloren.

Als das Feuer gelöscht war, suchten Shira und ihre Mutter in der Ruine ihres Hauses nach Dingen, die unversehrt geblieben waren. Es war kaum noch etwas da. Die Flammen hatten sich durch alles gefressen und nur Asche und Schutt zurückgelassen.

Einzig der Vorratskeller war weitgehend von dem Brand verschont geblieben. Shira und ihre Mutter fanden darin noch ein wenig Trockenfleisch und einen Laib Brot.

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Die Steine in ihrer Hand rieben aneinander. Es waren die Steine Shiras Großmutter. Sie konnte sich an die Worte ihres Vater erinnern. Bewahre sie! hatte er gesagt und sie eindringlich angeschaut. Es ist wichtig, dass kein anderer sie bekommt!

"Das werde ich, Vater! Das werde ich."
 

© Miriam Kriesl
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Und sicher schon bald geht es hier weiter zum 2. Kapitel...

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