Sieben gegen Sieben von Itariss
Kapitel 8: Kouwah

Die Sonne tauchte am Horizont auf. Der Morgen war frisch und klar.
Wai war als Einziger schon wach. Den Streit mit Imogen vom Vortag hatte er schon fast vergessen. Still streichelte er seinen Revolaner Hengst. Ninelives fraß genüsslich das vom Tau feuchte Gras am Straßenrand.
Plötzlich raschelte etwas im Gebüsch ein Stück weit im Wald drinnen. Wai sah einige riesige Spinnenbeine und die vier Schlanken Fesseln eines weißen Pferdes durch das Bodengestrüpp hindurchschimmern.
Taron, schoss es ihm durch den Kopf. Hatte der uralte Mutant selbst Ragnarök überlebt, oder hatte der skrupellose Führer der Gilde die Stadt gewissenlos im Stich gelassen, als er von der Gefahr erfahren hatte? Wai spähte nochmals nach den Spinnenbeinen, aber es war nichts mehr zu sehen und er begann sich zu fragen, ob seine Augen ihm nicht einfach einen Streich gespielt hatten.
Endlich erwachten auch Imogen und Riyonn aus ihrem Schlaf. Mit verzerrtem Gesicht stöhnte Riyonn beim Versuch sich aufzusetzen auf.
"Ich bin das Schlafen im Freien nicht gewöhnt. Ich fühle mich, als hätte ich auf Steinen geschlafen."
"Du hast auf Steinen geschlafen.", verbesserte Wai lächelnd. "Wir sollten sofort weiter. Je früher wir nach Kouwah kommen, desto besser. Es werden nicht die einzigen Orcs gewesen sein, gestern, die hier herumstreifen.", meinte er und bot Imogen freundlich Ninelives Rücken an. Imogen lehnte kopfschüttelnd ab und verlor an Wai keinen einzigen Blick.
"Hey, was soll das ihr beiden? Ihr könnt doch nicht immer noch verstritten sein.", wunderte sich Riyonn und sah von einem zum anderen.
"Sie will es nicht einsehen, ich habe nichts damit zu tun.", äußerte sich Wai nur knapp und schwang sich auf Ninelives Rücken. Riyonn stemmte die Arme in die Hüfte.
"Moment, das kann nicht dein Ernst sein, Wai. Vielleicht lebt Crazen wirklich noch. Auch wenn es unwahrscheinlich ist. Doch selbst wenn er das tut, er hat uns gesagt, wir sollten abhauen und das haben wir getan. Ihr könnt eure Meinungen gern beide stehen lassen, aber bitte versöhnt euch wieder."
"Nein, ist schon gut, Riyonn. Ich war letzte Nacht zu aufgebracht um klar zu denken. Du hast Recht Riyonn. Es tut mir leid."
Imogen starrte betrübt zu Boden. Wai sah erbost zu ihr.
"Was tut dir leid? Dass du mich angeschrieen, mich geschlagen oder mich beschimpft hast? Oder war es nicht einmal das, sondern allein, dass du anders denkst als ich, nicht so realitätsnah."
Imogen schluckte die Wut schnell, die in ihr hochsteigen wollte.
"Alles das tut mir leid. Ich weiß, dass ich dumm war. Aber ich war so wütend auf dich, weil du so gefühllos und herzlos dahergeredet hast. Du kannst gern eingeschnappt sein, ich würde es verstehen."
"Seine Gefühle und Empfindungen zu zeigen ist reine Schwäche.", entgegnete Wai scharf. 
Imogen sah Hilfe suchend zu Riyonn. Dieser zuckte mit den Schultern. Doch Wai stieg von Ninelives herunter und trat vor Imogen.
"Es tut mir auch leid.", murmelte er leise.
Imogen fiel ihm um den Hals. Riyonn stand grinsend daneben und beobachtete Wais überraschtes und leicht gerötetes Gesicht.
Als sich der General schließlich aus Imogens herzhafter Umarmung befreien konnte, lächelte er froh.
"Ich war auch etwas aufgewühlt.", gab er flüsternd zu.

So kam es, dass sich die Gruppe bald, wieder miteinander im Reinen, weitermachte, Ninelives dabei schonend, da er sich von der Orcnacht etwas Erholung verdient hatte, so meinte Riyonn, bei Wais Angebot, er solle den Hengst doch reiten. Dabei war es Riyonn eigentlich  wohl mehr daran gelegen, dass ihm das wilde Tier nicht ganz geheuer war.

Die Mittagssonne schien heiß und erbarmungslos auf den trockenen Steinboden. Die Luft flimmerte stark. An einer kühlen Felsquelle, die aus einem kleinen Vorläufer des Kmihon-Gebirges, dem Fiadril, heraussprang, rastete die Gruppe. Die Hitze machte ihnen zu schaffen und ließ sie nur langsam vorankommen.
"Wenn sich der Sommer nicht bald zum Ende neigt, wird aus Randuin noch eine Wüste.", stöhnte Riyonn und nahm einen Schluck Wasser aus der Quelle.
"Nicht mehr lange, Riyonn, und wir erreichen Kouwah. Es müssten nur noch wenige Meilen zu gehen sein.", beruhigte ihn Wai grinsend. Imogen säuberte ihm Gras sitzend die mit Orcblut beschmutzte Klinge ihres Lyk-tai.
Bald rappelten sie sich zum Weitermarsch auf. Allen vorangehend Wai mit Ninelives an den Zügeln, da er den Weg besser kannte, dann Imogen und zuletzt Riyonn, gingen sie den Weg entlang, bis der Abend dämmerte.

Am frühen Morgen des nächsten Tages konnten sie an einer Wegbiegung schon hinab ins Tal auf die Millionenstadt Kouwah sehen. In der Mitte der gewaltigen Stadt erhob sich ein mächtiges Castell, die Burg des Herrschers von Randuin,  Lord Deus IV. Rund um die Stadt waren Felder und dahinter lag der Wald von Hahmo, ein Ort, der nach einer alten Opferstätte vor der Zeit des Eisigen Schlafs benannt worden war, die in diesem Wald gelegen hatte.
Riyonn, Wai und Imogen blickten staunend auf die Stadt hinunter. Bald führte die Straße ins Tal hinab und wurde breiter. Mehrere Straßen kreuzten die ihrige nun und einige Pferde und Ochsengespanne von Händlern und Bauern teilten den Weg nach Kouwah. Schließlich gelangten sie an das große und stark bewachte Stadttor Kouwahs. Die Wachen trugen eiserne Harnische und versperrten den Einlass in die Stadt mit gekreuzten Hellebarden. Ein Mann in einer schwarzroten Robe und einem Mantel aus grauem Wolfsfell kassierte von den Leuten den Zoll. Wai, Imogen und Riyonn stellten sich in die Schlange der Leute, Reiter und Gespanne die alle nach Kouwah wollten.
Endlich waren sie an der Reihe.
"Name, woher und was wollt ihr in Kouwah?", fragte der Zöllner mit musterndem Blick. 
"Lonn und Katapura, Herr. Wir sind aus der Gegend um Teras Andum  und sind einfache Wanderer, die die Händler auf dem Markt um ihre Ware erleichtern wollen.", antwortete Wai für die Gruppe. Der Zöllner starrte ihn misstrauisch an.
"Das sollte man jetzt besser nicht missverstehen, mein Herr. Dreißig Golodrin, bitte."
Wai gab dem Mann das Geld ohne Widerspruch und die Torwache ließ die drei passieren.
"Wie viel Geld haben wir noch?", wollte Riyonn von Wai wissen.
"1350 Golodrin.", seufzte dieser und hielt den Lederbeutel des Zöllners empor. "Und 25 Diodrin.", fügte er mit einem Blick zu seinem eigenen Beutel hinzu.
"Es hat seinen Vorteil Dieb zu sein.", meinte Imogen lachend. "Wohin gehen wir nun?" 
"Zum Markt.", entschied Riyonn.
Die drei, mit Ninelives an den Zügeln, gingen die belebte Straße des Handwerker-Viertels entlang, bis sie schließlich am großen Marktplatz Kouwahs angelangt waren. Hier priesen Händler aus sämtlichen Teilen des Landes und sogar aus dem Ausland ihre Waren an. Wai steuerte die Gruppe durch das Marktgewühl direkt zu den Viehhändlern. Außer den herkömmlichen Tieren, wie Schweinen, Rindern, Pferden und Kleinvieh, boten die Händler in Kouwah auch noch fremdländisches exotisches Getier an. Große, grauhäutige Wesen mit langen weißen Hörnern, die neben dem Maul und der langen Schweineähnlichen Nase hervortraten, stachen darunter zum Beispiel hervor. Es gab auch bunte Vögel, die zum Verkauf angeboten wurden. Doch Wai, Imogen und Riyonn benötigten lediglich zwei weitere Pferde.
Bei einem dickbäuchigen freundlich aussehenden Händler hielten sie und begutachteten seine Pferde.
"Das sind reinrassige wilde Ganakari aus den Schluchten bei Wegon. Ich habe sie selbst gefangen und gezähmt... so gut ich konnte zumindest.", klärte sie der Händler über seine Ware auf.
Riyonn beäugte interessiert einen schwarzen Hengst, der wie alle anderen Pferde dieses Händlers einen andersfarbigen, in diesem Fall weißen, Fleck auf der Brust besaß.
"Dieser Fleck ist bei den Ganakari typisch.", erklärte der Händler.
"Er ist schön.", meinte Riyonn.
Der Händler nickte lebhaft.
"Er war der Herdenführer. Sein Name ist Thunderblade, wegen seiner klingenförmigen Blesse. Er ist ausdauernd, schnell, kräftig und unberechenbar wild, mein Freund. Aber er wird Euch gefallen. Sein Bruder wurde erst vor einer Stunde von Lord Deus IV., möge er lange leben, gekauft."
Wai grinste Riyonn an.
"Nichts für dich, wo du doch schon so Respekt vor meinem braven Ninelives hast."
Er klopfte den Hals seines Rappen. Riyonn lächelte ironisch, wandte sich dann aber wieder dem schwarzen Ganakari zu.
Imogen hatte derweil einen grauen Ganakari im Blick.
"Von welcher Rasse ist denn dieses Prachtpferd?", wunderte sich der Händler über Ninelives.
"Revolaner.", antwortete Wai knapp. 
Schließlich hatten Wai, Riyonn und Imogen sich für den schwarzen Ganakari und den grauen, der Cloudy hieß, entschieden und bezahlten den Händler mit 650 Golodrin dafür. 
"Ihr werdet diesen Kauf nicht bereuen!", versicherte der Händler nochmals.
Als die Gruppe mit den Pferden etwas weiter von ihm entfernt war fügte Wai noch hinzu: 
"Dafür werdet Ihr ihn bald bereuen."
Grinsend ließ er die gewonnenen 4200 Golodrin in seinem Beutel verschwinden.
"Man könnte hier als Dieb direkt reich werden.", meinte Riyonn und schwang sich auf den Rücken Thunderblades.
"Bist du dir sicher, dass du ihn ohne Sattel reiten willst, Riyonn? Bei Ninelives ist das etwas anderes, der ist wirklich gezähmt und berechenbar.", warnte Wai mit einem misstrauischen Blick auf die dunklen wilden Augen des schwarzen Ganakarihengstes.
Doch die Warnung kam zu spät. Schon stieg Thunderblade und schlug ungestüm nach hinten aus. Riyonn konnte sich zwar noch an der Mähne seines Hengstes festkrallen, aber steuern konnte er ihn beim besten Willen nicht. Imogen folgte dem Geschehen besorgt mit ihren Augen. Wai erfasste die umherschlenkernden Zügel Thunderblades und brachte den Hengst zum Stehen. Mit ruhiger Stimme redete er auf ihn ein, doch Thunderblade legte widerspruchsvoll die Ohren an. Erst als Riyonn begann dem Tier über den Hals zu streichen und ebenfalls auf ihn einredete, beruhigte sich der Ganakari wieder. Wai gab Riyonn die Zügel.
"Er scheint dich so langsam doch als seinen Herrn anerkennen zu wollen.", bemerkte Wai mit einem ermutigenden Lächeln.
Im Gegensatz zu Thunderblade, bäumte Cloudy sich nicht auf und ließ Imogen gehorsam aufsteigen. Als schließlich auch Wai auf Ninelives Rücken saß, ritten sie durch das Marktgewühl weiter.
"Was brauchen wir eigentlich noch?", fragte Imogen.
"Wir können nicht darauf vertrauen, dass uns immer Wasserquellen auf dem Weg liegen. Deshalb sollten wir vielleicht etwas vorrätig mitnehmen, das man auch wiederauffüllen kann.", überlegte Wai laut.
"Ein, zwei Schläuche möglicherweise?", grinste Riyonn und wies auf einen Marktstand, an dem solche, zusammen mit verschiedenen Getränken in Flaschen angeboten wurden. Wai stimmte Riyonn stumm zu und steuerte Ninelives an diesen Stand heran.
"Wacholder, Grog, Wein, Bier, Honigwein, Wasser, was darfs sein, die Herren und Damen?", grüßte der Händler mit einer vornehmen Verbeugung. "Vielleicht wollt Ihr auch Tabak? Ich verkaufe auch Krauttabak, Apfeltabak, Honigtabak und Pilztabak. Frisch von den Inseln im fernen Süden. Oder wollt Ihr gar etwas völlig außergewöhnliches? Ich biete Euch diese orientalischen Wasserpfeifen aus dem Morgenland Kathalos zum Spottpreis von je 450 Golodrin an. So etwas kriegt Ihr hierzulande selten so billig."
Imogen starrte verwirrt auf die Wasserpfeifen.
"Und es gibt wirklich Leute, die rauchen das freiwillig?", flüsterte sie Riyonn leise zu.
Dieser zuckte mit den Schultern.
"Drei Wasserschläuche, bitte.", wandte sich Wai an den Händler.
Der Händler lächelte freundlich und griff nach drei Wasserschläuchen aus seiner Ware.
"Das macht lächerliche 200 Golodrin, mein Herr."
"200 Golodrin? Das ist purer Wucher!", erregte sich Wai.
"Na gut, sagen wir 150.", gab der Händler nach.
"20 Diodrin, mehr ist Wasser nicht wert!"
"100 Golodrin."
"50 Diodrin."
"50 Golodrin."
"75 Diodrin."
"25 Golodrin."
"100 Diodrin oder 1 Golodrin."
"10 Golodrin."
"5, und keine mehr!"
"Schön, 5 Golodrin und eine Nacht mit dem Mädchen, das ist mein letztes Angebot, tiefer geh ich nicht!", meinte der Händler entschieden.
Wai sah zu Imogen.
"Niemals. Ihr bekommt die 10 und die Nacht bleibt aus."
Der Händler zuckte mit den Schultern.
"Wir sind im Geschäft, mein Herr!"
Wai bezahlte den Händler und nahm die Wasserschläuche.
"Die sind ja nicht einmal halb voll!", beschwerte er sich sofort.
"Na und? Es hieß auch nie, dass sie voll wären. Wichtig ist nur, dass Wasser drin ist, und das könnt Ihr jederzeit nachprüfen.", redete der Händler sich hastig heraus und wandte sich anderen Kunden zu.
"Widerlicher, elender Halunke! Gauner, Betrüger!", schnaubte Wai wütend und warf Imogen und Riyonn die Schläuche zu.
"Warum regst du dich so auf? Wir haben genug Geld und du wirst ihm doch sowieso seine Golodrin abgeluchst haben, oder?", wunderte sich Imogen über Wais Verhalten.
"Vom Pferd aus? Das mach mir vor!"
"Ach so, deshalb hast du den Preis auch so heruntergehandelt.", wurde Imogen sich klar. "Aber wir haben immer noch genug Geld."
"Wer den Diodrin nicht ehrt, ist des Golodrin nicht wert.", entgegnete Wai.
Die Gruppe ritt aus der großen Menge heraus. Auf einmal brach unter dem Volk eine Unruhe aus; Männer in Rüstungen, die den Torwachen sehr ähnelten, drängten die Leute beiseite, um einem Reiter auf einer Fuchsstute Platz zu machen. Der Reiter trug ein Gewand aus Samt und Seide mit vielen Goldstickereien, eine weiße Hose, Lederstiefel und außerdem noch einen großen roten Hut, an dem ein großer Federbusch den Blick ins Gesicht des Reiters versperrte. Aber man konnte noch taillenlange schwarz-rot-bräunliche Haare erkennen, die mit einem Band zusammengehalten wurden.
"Wer ist denn das?", wandte sich Riyonn an eine Bauernfrau, die hier ihre Gänse anbot und nächst zu ihnen stand.
"Das ist der Neffe Lord Deus des Vierten, möge er lange leben. Sein Name ist Rot Deus. Er wird von seinem Onkel behandelt, als wäre er dessen Sohn, weil dieser nun mal keine eigenen Kinder und somit Thronfolger hat. Rot hat noch kaum einem des gemeinen Volks sein Gesicht gezeigt, aber Leute aus der Burg, die ihn gesehen haben, meinen, er sehe umwerfend gut aus und wäre auch sehr freundlich gegenüber den Bauern."
Wai und Imogen hatten der Bäuerin auch zugehört und beobachteten nun zusammen mit Riyonn und allen anderen Umstehenden, wie Rot Deus von seiner Fuchsstute herunterstieg und an den Stand des Tabak- und Getränkehändlers ging.
"Man hat mir berichtet Ihr würdet Eure Ware aus den königlichen Vorratshäusern entwenden und für teures Geld verkaufen.", sprach Rot ihn an.
"Da müssen sich Eure Leute getäuscht haben, Herr. Ich beziehe meine Ware ausschließlich von den Hafenstädten im Nordosten.", versicherte der Händler demütig auf dem Boden kniend.
Doch Rot schien von dieser Geste sichtlich unbeeindruckt und fasste den Händler beim Kragen.
"Wem meint Ihr, glaube ich mehr, den Worten meiner Vertrauten oder einem dahergelaufenen Händler?"
Dann wandte Rot Deus sich an seine Wachen.
"Werft ihn in den Kerker. Er hat sich dazu entschlossen die nächsten drei Monde zu fasten."
Die Wachen gehorchten und legten den Händler in Ketten. Wai blickte zu Riyonn und Imogen.
"Wir waren nicht die einzigen, die er ausnehmen wollte."
Rot Deus besah die Waren des Händlers kurz, stieg dann auf sein Pferd und rief: 
"Das Zeug gehört euch!"
Darauf machten er und die Wachen samt dem gefangen genommenen Händler kehrt Richtung Burg. Die Leute ließen sich das natürlich nicht zweimal sagen und schnappten sich was sie kriegen konnten.
"Er ist so gütig, der Herr Rot.", seufzte die Bauerin neben Wai, Riyonn und Imogen. Imogen grinste. Wie leicht die Leute hier mit ein paar Flaschen Alkohol, Tabak und einigen Wasserpfeifen für jemanden gewonnen waren.
Schließlich waren Wai, Riyonn und Imogen aus dem Marktplatz heraus geritten und hielten vor einem Wirtshaus mit dem Namen "Zum vollen Krug". Ninelives, Thunderblade und Cloudy banden sie an einen Pfahl. Aus der Wirtstube schlug der Gruppe ein mächtiger Qualm entgegen, vermischt mit Alkoholgestank und Musik. Imogen rümpfte angeekelt die Nase. Die Gestalten, die hier um die Tische kauerten wirkten unheimlich. Wai steuerte den Wirt an, ein bitter blickender, bierbäuchiger Mann mit kleinen finsteren Augen.
"Entschuldigt, habt Ihr noch ein oder zwei Zimmer frei?"
"Wer will das wissen?", der Wirt musterte Wai von oben bis unten. "Ihr seid mir nicht geheuer. Man erzählt sich von einer größeren Räuberbande aus der Gegend um Teras Andum und Euch hab ich in Kouwah noch nie gesehen."
"Wir sind aus... Wegon. Unsere beiden Ganakari sind ein Beweis dafür."
Der Wirt nickte.
"Dann will ich Euch mal fürs Erste glauben. Aber ich warne Euch. Sobald ich irgendetwas, sei es Geld oder etwas anderes, vermisse, dann fliegt auf der Stelle raus. Haben wir uns verstanden, mein Freund?"
"Haben wir. Wie viel?"
Der Wirt runzelte die Stirn.
"Für eine Übernachtung... 10 Golodrin."
Wai gab dem Wirt das Geld und zwinkerte Riyonn und Imogen vielsagend zu: bloß nichts klauen!
"Zimmer 3 ist frei."
Der Wirt streckte Wai einen rostigen Schlüssel entgegen, wandte sich danach seinen anderen Gästen zu.
"Wieso bleiben wir über Nacht hier, Wai?", wunderte sich Imogen.
"Aus Prinzip. Der Zöllner wird sofort misstrauisch, wenn du am gleichen Tag an dem du gekommen bist auch wieder gehst. Er meint dann, du hättest irgendwo etwas ausgefressen."
Imogen und Wai gingen hinaus, um die Pferde in den Stall zu bringen und zu versorgen, während Riyonn an der Theke lehnend einen Becher Wasser trank. Plötzlich entdeckte Riyonn unweit von sich eine hübsche Frau mit hellblonden Haaren, dunkelbraunen großen Augen, weichen Gesichtszügen und leicht hervorstehenden Wangenknochen. Sie lächelte ihn an. Riyonn wurde ganz heiß. Sie kam zu ihm her.
"Ich bin Jin, Jin Cruise. Und mit wem habe ich die Ehre, mein Hübscher?"
"Riyonn... Katapura."
Jin lächelte wieder.
"Bist du alleine unterwegs?"
"Nein, meine Schwester und unser... Freund sind auch noch dabei."
Erst wollte Riyonn "Vormund" sagen, aber dann würde ihn Jin noch für ein Kind halten. Völlig von ihrem Aussehen bezaubert starrte er sie an. Jin lehnte sich an Riyonns Schulter und spielte mit seinen Haaren.
"Ich frage mich, ob so ein süßer junger Mann wie du schon etwas vorhat, heute Abend."
Riyonn schüttelte hastig den Kopf. Irgendwie genoss er ihre Nähe, aber es war ihm auch auf irgendeine Weise unangenehm.
"Wie wäre es denn, wenn du, deine Schwester und euer Freund dann zu mir kämt?", fragte Jin und schmiegte ihre Wange an Riyonns.
Misstrauisch blickte Riyonn in ihre dunklen schönen Augen. Sie lächelte nochmals.
"Schüchtern?"
"Nein, wieso?"
Riyonn versuchte entspannt und lässig zu wirken. In diesem Augenblick kamen Imogen und Wai wieder herein.
"Sind sie das?", flüsterte Jin in Riyonns Ohr.
Riyonn bejahte.
Darauf ging sie Imogen und Wai entgegen.
"Tag, ich bin Jin Cruise."
Wai starrte sie irritiert an, doch Imogen legte einen abwehrenden Blick auf.
"Schön für Euch, was wollt Ihr?"
Jin lachte freundlich.
"Ich lud Euren Bruder zu mir ein, heute Abend. Die Einladung gilt auch für Euch, meine Liebe und den schönen Mann neben Euch.
"Wai Lonn.", verbesserte Wai.
Jin winkte Riyonn mit einem süßen Lächeln zu und wandte sich dann dem Ausgang zu.
"Also, bei mir, Handwerkergasse 13, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet." 
Imogen sah ihr misstrauisch hinterher. Riyonn trat zu den beiden.
"Ich werde hin gehen."
Imogen sah in kopfschüttelnd an.
"Wieso nicht?", meinte Wai Schultern zuckend. "Aber lasst uns hoch ins Zimmer gehen." 
Riyonn und Imogen folgten ihm die Treppe ins Obergeschoss hinauf und ins Zimmer 3 hinein. Drinnen ließ sich Riyonn sofort auf eines der Betten fallen.
"Endlich einmal wieder ein ordentliches Bett.", seufzte er glücklich. Auch Wai setzte sich gleich auf ein Bett. Nur Imogen blickte fragend von einem zum anderen.
"Ich weiß nicht was diese Kuh von uns will, aber sie hat euch ja richtig umgarnt!"
"Wieso umgarnt? Meines Wissens nach nicht, und weshalb sollte dich das schon stören.", entgegnete Wai.
"Warum mich das stören sollte? Ist doch logisch, für das allgemeine Wohl unserer Gruppe. Bin ich denn die einzige, die merkt, dass diese Frau etwas Böses im Schilde führen muss?"
Riyonn zog die Augenbrauen herunter.
"Nur weil einmal jemand ein hübscheres Äußeres hat als du, führt sie noch lange nichts im Schilde."
Imogen schnaubte wütend.
"Schön, gehen wir heute Abend zu diesem Flittchen, aber sagt nicht, dass ich euch nicht gewarnt hätte."
Wai stand auf und legte einen Arm um Imogens Schulter.
"Hör zu, Imogen. Mag sein, dass du Jin nicht ausstehen kannst, aber deshalb braucht sie weder ein Flittchen zu sein, noch braucht sie irgendetwas mit uns vor zu haben. Selbst wenn, es ist doch nichts Schlimmes und unbedingt Gefährliches in eine Ungewissheit hineinzulaufen. Sei unbesorgt, was uns angeht. Wir sind ausgezeichnete Kämpfer und unsere Waffen nehmen wir auf jeden Fall mit."
Wai lächelte in Imogens rotbraune Augen. Imogen aber wusste nicht ganz, was sie von der Situation halten sollte.
 

© Itariss
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Und schon geht es weiter zum 9. Kapitel: Apokalypse

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