"Drachen?!"
"Seid ihr verrückt?"
"Wir haben keine andere Wahl, als mit ihnen zusammenzuarbeiten!",
warf ein Einhorn ein.
"Und so, oder so - die Drachen sind auf dem Weg, um sich mit uns
zu treffen."
"Drachen kann man nicht trauen - das weiß jeder! Und ich setzte
mich nicht der Gefahr aus, gefressen zu werden!"
"Unsinn!", sagte Silver. "Drachen ernähren sich nicht von Menschenfleisch
- Verfluchter Aberglaube."
"Es gibt doch genug Geschichten über Drachenangriffe!", warf
ein Rebell ein. "Und niemand hat je von etwas anderem gehört!"
"Geschichten sind Geschichten! Hat irgend jemand von euch schon
einmal so einen Angriff miterlebt? Kann irgendjemand diesen Humbug bestätigen?!
Sicher, Drachen können Menschen nicht besonders gut leiden, aber sie
werden genauso bedroht wie wir!", schrie Silver in die heftigen Diskussionen
hinein.
Die Umstehenden verstummten. Niemand hätte, nach der Befreiung
des Prinzen, noch erwartet, dass sich Silver, eine Frau, einmischen würde.
Alle waren davon ausgegangen, dass nun Lizian das alleinige Kommando übernehmen
würde.
Noch bevor jemand reagieren konnte, fuhr Silver auch schon in einem
ruhigeren Tonfall fort.
"Wir werden mit den Drachen zusammenarbeiten - sie sind unsere einzige
Chance. Ohne sie können wir den König nicht befreien. Oder wollt
ihr euch ohne jegliche Hilfe an tausenden Feinden vorbeischleichen und
seine Hoheit da herausholen?" Sie stoppte und hielt kurz der geballten
Macht von hunderten gespannten Blicken stand, bevor sie fortfuhr.
"Und nun zum Plan – die Drachen werden mit einem Scheinangriff die
Feinde vom Tor weglocken und dafür sorgen, dass wir unbehelligt eindringen
können. Auch auf unserer Flucht werden sie uns helfen – denn ohne
sie können wir das schützende Drachengebirge nie erreichen. Aber
wenn wir erst mal in der Schule der Magie in Sicherheit sind, kann der
König sich ausruhen und von den besten Heilern der Welt betreut werden."
"Ein hervorragender Plan Silver. So müssten wir meinen Vater
befreien können - mit der Unterstützung der Drachen ist es ja
schon fast zu einfach, in das Schloss einzudringen", sagte Lizian und während
er sprach, sah er Silver nachdenklich, neugierig und auch verwundert an.
Aber außer Keiron bemerkte niemand diesen Blick.
Die Strahlen der Abendsonne tränkten den Himmel mit blutroten
Strahlen. Silver saß an einem der vielen Lagerfeuer des Rebellenlagers
und beobachtete den Horizont. Lizian verzehrte den Rest seiner kärglichen
Nahrungsration, ein Stück getrocknetes Fleisch, sah auf und folgte
ihrem Blick. In der Ferne entdeckte er drei dunkle Punkte, die sich rasch
näherten. "Sie kommen", sagte Silver.
Unruhe brach in dem Lager aus. Langsam zeichneten sich die Formen
dreier riesiger, fliegender Gestalten im Licht der untergehenden Sonne
ab. Drachen.
Ohne etwas zu sagen, standen Lizian und Silver auf und warteten
nebeneinander am Rand des Lagerfeuers. Alle anderen, sogar die geflügelten
Löwen und die Einhörner, wichen an den Rand des Lagers zurück,
aber die beiden rührten sich nicht von der Stelle.
Schnell kamen die drei Drachen näher und setzten zur Landung
an. Das rote Licht des Abends schillerte auf ihren glatten, am Ende spitz
zulaufenden Schuppen. Unzählige Zacken bedeckten den schlanken, stromlinienförmigen
Körper.
"Es ist immer wieder ein beeindruckendes Schauspiel einen Drachen
zu beobachten", sagte Lizian.
Silver lächelte. "Ich muss dir zustimmen – aber da gehörst
du zu einer Minderheit."
"Was soll’s!", erwiderte er und lachte leise.
Der erste der drei riesigen Echsen landete einige Meter von Silver
und Lizian entfernt, die anderen ließen sich ein Stück hinter
ihr nieder.
"Ira´Dosh, gwen elestiáll!" begrüßte Silver
den Anführer der Drachen, der es sich nun trotz seines riesenhaften
Körpers auf dem Waldboden bequem gemacht hatte.
"Gro´on, elthit marr!" murrte die Schuppenechse bitter, und
ihre Augen begannen grünlich zu funkeln, was die Färbung ihrer
rötlichen Schuppen in eine Art rostbraun verwandelte.
"Vil´xirr miny´a´as zet, khirion vaste gwen",
sprach Silver langsam, um sich an die schwierige Aussprache der Wörter
zu erinnern.
Verdutzt starrte Keiron Silver an und versuchte sich zu erinnern,
ob er diese Sprache schon jemals gehört hatte.
Lizian stand mit verzerrter Miene dahinter, als würde ihn etwas
verwirren.
"Vil´xirr mar´oó´keel, Silvrai! Midorynth
vaste, elthit, malarar!" brummte die geflügelte Riesenechse und stampfte
mit dem gigantischen Fuß auf.
Die Erde in seiner Nähe wurde leicht erschüttert, und
ein morscher, blätterloser Baum fiel in sich zusammen.
"Eranth, eranth! Mar´oó´keel zet, alanozz tharrrkel",
lächelte Silver und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Anhänger
und den Prinzen.
"Murr, miny´a´as, vaste gwen alanozz, zet tharrrkel?
Inthasch eleblitz´aziz, gwen marr Irillon?"
"Zhan´min, Vil´xxir des´u´kenth, intash´ith",
versicherte Silver.
"Nan´gorrm mar´oó´keel ithiay, quintus!"
nickte der Drache. Dann stieß er ein markerschütterndes Brüllen
aus, worauf sich er und seine beiden Begleiter erneut in die Lüfte
erhoben.
"Welche Sprache war das?" fragte Keiron neugierig.
"Dracolekt.", sagte Silver und lächelte.
"Dracolekt?" stieß das Einhorn ungläubig hervor, "Was
soll denn das sein?"
"Drachensprache, Keiron", murmelte sie leise, mit den Gedanken immer
noch bei dem Gespräch.
Im Morgenlicht schimmerten die weißen Türme des Schlosses
wie mit Schnee bedeckt. Silver hatte die Kapuze ihres Mantels dicht über
das Gesicht gezogen und ritt langsam dem Tor entgegen. Lizian und ein Großteil
der anderen Rebellen harrten im Schatten einer engen Gasse aus und warteten
auf das Geschehen.
Der kleine Rebellentrupp hielt vor dem Tor an und ein Wachposten
erschien auf der Mauer. "Was ist Euer Begehr?", fragte er mit schnarrender
Stimme. Silver machte eine knappe Verbeugung auf dem Pferderücken.
"Wir bringen Nachrichten für den General." Der Soldat grinste
herablassend. "Ich glaube kaum, dass seine Lordschaft solch ein Gesindel
wie Euch empfängt, ganz gleich, welche Nachrichten sie bringen." Silver
missachtete seinen beleidigenden Kommentar und fuhr fort: "Wir haben etwas
über den Plan der gaianischen Rebellen herausgefunden." Der Wachposten
riss die Augen auf.
"Na, das ist etwas anderes - seine Lordschaft wird Euch sicherlich
bald empfangen." Er winkte einem Mann hinter dem Tor eilig zu. Einige Sekunden
später öffneten sich die großen Türflügel knarrend.
Lizians Blick huschte über den Himmel und zu den weißen
Türmen des Schlosses. Die roten Flaggen der Feinde flatterten im Wind.
Der Prinz warf Silver einen nervösen Blick zu, die Kriegerin verlagerte
ihr Gewicht im Sattel und ließ ihr Pferd langsam auf das Tor zutraben.
Zögernd folgten die Rebellen ihr.
"Verdammt", flüsterte ein Einhorn neben Lizian. "Irgendwas
läuft hier schief."
In diesem Moment ertönte ein langgezogenes Brüllen über
den Türmen und zischende Laute erfüllten die Luft. Der leichte
Stoff der Flaggen bäumte sich auf wie eine angreifende Katze. Im nächsten
Moment fegte eine große, rot schimmernde Gestalt um den größten
Turm und schoss auf das Tor zu.
Lizian atmete erleichtert auf. Der Drache ließ ein weiteres
Brüllen vernehmen, fegte wenige Meter über den Rebellentrupp
hinweg und landete vor dem Tor.
Genau nach Plan warfen sich Silver und ihre Rebellen von den Pferden
und flohen in den Schutz des Tores und der angrenzenden Gebäude. Die
erschreckten Feinde auf der Mauer griffen zu ihren Bögen und Pfeile
hagelten auf den Panzer des Drachens nieder.
Als bereits Dutzende, allerdings für die Schuppenechse harmlose,
Geschosse aus ihrem Rücken ragten, wankte sie theatralisch und stieß
ein weiteres Brüllen aus.
Siegessicher stürmten die Feinde aus dem Tor und hackten mit
langen Speeren nach dem, sich schier vor Schmerzen windenden Drachen. Einige
Rebellen schlossen sich an und die Echse flüchtete langsam, immer
wieder das Fliegen versuchend, in die Stadt.
Silver, die bis jetzt mit ihrem Pferd unter dem Tor abgewartet hatte,
schwang sich wieder auf dessen Rücken und richtete den Daumen nach
oben.
Lizian gab seinen Rebellen das selbe Zeichen.
Lautlos verschwanden die vermeintlichen Informanten im Tor.
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