Don Draghone kam sich verloren vor in dieser fremden Stadt. Zwar
wollte ihn sein engster Mitarbeiter Ryandhol, ein schwarzer Pferdedämon,
begleiten, doch der Silberdrache brauchte einen fähigen Stellvertreter.
Schließlich musste das Unternehmen auch in seiner Abwesenheit ordentlich
geführt werden. Abgesehen davon würde es schwierig genug sein,
auf sein eigenes Leben aufzupassen, da waren Begleiter eher hinderlich
als nützlich. Aus diesem Grund hatte er auch keine Einwände gehabt,
als Kiseki kategorisch abgelehnt hatte, ihn zu begleiten.
Das war nur allzu verständlich, denn abgesehen davon, dass
er gerade hier in Hong Kong in allergrößter Lebensgefahr schweben
würde, hatte das Kirin noch einen anderen triftigen Grund: Kiseki
befürchtete, im entscheidenden Augenblick nicht stark genug zu sein,
wenn es darum ging, Nero zu eliminieren. Doch genau diese Skrupel würden
die gesamte Mission zum Scheitern verurteilen.
Der Silberdrache stand schon eine gute Stunde vor dem Spiegel in
dem kleinen, schäbigen Hotelzimmer und kämpfte mit seiner Krawatte.
Allmählich wuchs sein Groll auf Nero ins Unermessliche. Nicht genug,
dass dieser verbrecherische Spaghettidrache ihm immer wieder bei seinen
Geschäften in die Quere kam oder wegen ihm nun in seinem Körper
sich das Drachenbanngift befand, nein, dieser Drache hatte die Stirn, für
sein Casino einen strengen Dresscode zu haben: Einlass nur in Abendgarderobe.
Da Don Draghone noch nie einen Sinn für solche Äußerlichkeiten
hatte, musste er sich nun extra einen Smoking und eine Krawatte besorgen.
Für einen Drachen seiner Statur kein leichtes und vor allem auch kein
kostengünstiges Unterfangen. In diesem Outfit fühlte er sich
absolut lächerlich, wie ein Pinguin sah er aus und der Schlips trieb
ihn in den Wahnsinn. Er machte sich eine Gedankennotiz, nach erfolgreicher
Rückkehr Professor Ragnarok um eine entsprechende Erfindung zu ersuchen,
die ihm das Krawattenbinden erleichtern sollte.
"Der Rest ist für Sie", knurrte Don Draghone und gab dem hünenhaften
Chauffeur das vereinbarte Entgelt. In dieser Stadt war es alles andere
als einfach, ein Taxi aufzutreiben. Anscheinend war der Beruf des Taxifahrers
hier ausschließlich den Menschen vorbehalten und diese waren alles
andere als erpicht darauf, einen Drachen zu befördern. Dazu kam, dass
nur wenige Fahrzeuge geeignet waren, einen Drachen als Fahrgast aufzunehmen.
Nach einer knappen Stunde vor dem Hotel im strömenden Regen hatte
er jedoch Glück und ein Van hielt an, dessen Fahrer sich nicht vor
Don Draghone zu fürchten schien. Im Gegenteil, der Taxifahrer war
ein wahrer Riese und der Silberdrache hatte das Gefühl, dass dieser
zudringlich werden wollte. Zumindest wollte er dem Drachen immer wieder
in die Kehle beißen und das mitten unter der Fahrt. Warum, konnte
Don Draghone nicht sagen, er kannte diesen Mann ja nicht einmal und er
glaubte nicht, dass er im Dienste Neros stand. Schließlich würde
kein Drache einen solchen Menschen in seine Dienste nehmen, obwohl so ein
Metallgebiss natürlich schon seine Reize hatte, wenn es darum ging,
jemanden zu liquidieren.
Der Silberdrache zuckte die Schultern, wahrscheinlich war das hier
einfach nur so ein dummer Brauch, dass man Touristen in den Hals beißt,
wenn sie Taxi fahren. Er nahm sich vor, auf dem Rückweg auf der Rückbank
Platz zu nehmen.
Es regnete immer noch und die Luft war drückend warm. Er blickte
sich um. Schon am Vortag hatte er das vage Gefühl gehabt, dass ihn
jemand verfolgen oder beobachten würde. Allerdings sahen in diesem
Teil der Welt alle Geschöpfe irgendwie gleich aus mit ihren geschlitzten
Augen. Daher konnte es recht gut sein, dass er sich das nur einbildete.
In einer großen Wasserlache spiegelte sich der grell blinkende
Schriftzug der marmornen Gebäudefront vor ihm: Imperial Casino.
Der Schriftzug war in eine stilisierte Perle geschrieben, die ein schlangenartiger
Drache zwischen seinen Vordertatzen hielt.
Don Draghone blickte auf seine Uhr. Eigentlich müsste um diese
Zeit sein Zielobjekt bereits anwesend sein, um seine Gäste persönlich
auszunehmen - natürlich nur die sogenannten Highgambler, versteht
sich, also Spieler, die um sehr hohe Einsätze zockten.
Er sah sich noch einmal um und betrat dann voller Erwartung das
Casino.
Sofort fühlte er sich heimisch: Der Ruch von Illegalität
und Sittenverfall gab ihm seine Selbstsicherheit zurück, die ihm in
dieser Stadt abhanden gekommen zu sein schien.
Die vermummte Gestalt auf der anderen Straßenseite nickte zufrieden
und winkte dem Taxifahrer, der eben Don Draghone befördert und gerade
gewendet hatte. Er nannte dem Hünen das Ziel und tippte, kaum dass
das Taxi losgefahren war, eine Nummer in sein Handy.
"Er ist unterwegs und ich mache mich nun auch auf den Weg", sagte
er kurz angebunden in den Hörer und trennte ohne auf eine Antwort
zu warten die Verbindung.
Die Gerüche von Tabak und Drogen vermischten sich mit den Düften
exotischer Speisen und den Ausdünstungen der Leiber der zahlreichen
Anwesenden. Alle Spezies waren vertreten, anthropomorphe Equide und Canide,
Drachen und Füchse, sogar einige Menschen waren da. Kurz, das Publikum
war bunt gemischt, nur eines hatten sie gemeinsam: Sie schienen alle aus
den höheren sozialen Schichten zu stammen. Die Croupiers und auch
die übrigen Casinoangestellten waren jedoch ausnahmslos alles Drachen
und Tiger. Offensichtlich umgab sich Nero nur mit erstklassigem Personal.
"Häppchen gefällig?" schnurrte ein katzenhafter Kellner
und hielt ein Silbertablett Don Draghone unter die Nüstern.
"Was ist denn das ekliges?" erkundigte sich der Drache, als er einen
Blick auf die wabbligen, zuckenden Dinger auf dem Tablett warf.
Vermutlich hatte er einen schrecklichen Fauxpas begangen, denn der
Angestellte zischte wütend: "Das sind ganz frisch gefangene, rohe
Oktopusse." Dann machte er auf seinen Absätzen kehrt und verschwand
zwischen den Gästen, wobei es Don Draghone so war, als ob noch Worte
wie "barbarisches Ausländergesindel" oder so ähnlich fielen.
Der Silberdrache beschloss, sich davon nicht seine Laune verderben zu lassen
und blickte sich munter in dem Casino um.
Auf einer Bühne tanzten unbekleidete, aber dafür vollständig
mit Gold überzogene Gogogirls, auf einer anderen Bühne versuchten
sich mehr oder hauptsächlich weniger talentierte Gäste beim Karaokesingen.
Zornig zischte Don Draghone auf, als ihn drei Blinde ohne sich zu
entschuldigen anrempelten und mit ihren Blindenstöcken auf seine Schweifspitze
schlugen. Zielstrebig durchquerten diese Blinden den Raum und schienen
dann gar nicht mehr so sehbehindert zu sein, als sie von einem eigenartig
aussehenden Menschen einen schwarzen kleinen Kasten mit Haltegriff entgegennahmen.
Der Silberdrache lächelte. Er selbst hatte so etwas bei sich in seinem
Büro stehen, aus Sentimentalitätsgründen; ein altes Familienerbstück,
eine sogenannte Dechiffriermaschine, von der aber niemand so genau wusste,
wozu man sie überhaupt brauchte.
Diese Angelegenheit interessierte ihn nicht weiter und er sah sich
weiter um. An einer Bar hatte er sich ein gut gekühltes, nicht geschütteltes
Weißbier-Cola servieren lassen, nur die Cocktailkirschen, die man
ihm gegeben hatte, schmeckten widerlich.
Neben den üblichen Glücksspielen wie Black Jack, Roulette
oder Poker gab es noch zahlreiche andere Spiele, die seine Aufmerksamkeit
erregten.
An einem Spieltisch spielte ein Einhorn gegen einen Pegasus, es
ging um einige hunderttausend Dollar. Das Spiel selbst war eine 3D-Projektion
auf dem Tisch und man musste mit Laserstrahlen Spaceshuttles des jeweiligen
Gegners abschießen. Der Pegasus stieß einen schmerzerfüllten
Laut aus, als sein Shuttle getroffen wurde. Kein Wunder, denn damit wechselte
gerade das Geld seinen Besitzer. Der damit verbundene Stromschlag war hingegen
gerade noch so zu verschmerzen.
Don Draghone fiel auf, dass man bei nahezu allen Spielen irgendetwas
mit Laserstrahlen treffen musste, waren es nun virtuelle Ölplattformen,
Unterseeboote oder irgendwelche Kontinente. Obwohl der Silberdrache gerne
selbst einmal seine Geschicklichkeit getestet hätte, besann er sich
seines eigentlichen Anliegens und suchte den Raum auf, in dem die besonders
potenten Spieler ausgenommen wurden. Denn schließlich galt in diesem
Casino die gleiche Regel wie in seinen eigenen: Es ist stets die Bank,
die gewinnt.
Bei dem dritten Geldschein, den er dem rotgeschuppten Drachen unter
einem warnenden Knurren in die Tatze drückte, verbeugte sich dieser
und sagte höflich: "Vielen Dank, Sir. Ich wünsche Ihnen einen
erfolgreichen Abend, Sir."
Auf einem Messingschild stand dezent vermerkt, dass in diesem Saal
der Mindesteinsatz bei jedem Spiel bei zehntausend Dollar liegen würde.
In einer Ecke des Raums hatten sich viele Gäste um einen der
Spieltische versammelt. Don Draghone bahnte sich seinen Weg durch die Menge
und wählte seinen Platz so, dass er das Spielgeschehen genau beobachten
konnte, ohne dabei selbst gesehen zu werden.
Auf dem Spieltisch lag ein groß dimensioniertes Backgammonspielbrett.
Es war aus Mahagoni und hatte edle Einlegearbeiten aus Perlmutt. Die Spielsteine
schienen aus Elfenbein zu sein.
Der Silberdrache war enttäuscht - er hatte gehofft, Nero höchstpersönlich
am Tisch sitzen zu sehen, doch hier spielte nur ein weißfelliger,
sehr großer Wolf gegen einen goldgeschuppten Drachen, der von Statur
und Größe her Don Draghone recht ähnlich war. Offensichtlich
war der Drache gerade am Gewinnen, denn mit einem souveränen Lächeln
deutete er auf den Sechser-Pasch, den er gerade gewürfelt hatte. Der
Wolf stieß ein unterdrücktes Winseln aus. "Wie machen Sie das
nur immer?" fragte er, als er mit frustriertem Blick den letzten beiden
schwarzen Spielsteinen nachsah, die der Goldene vom Spielfeld nahm.
"Der arme Kerl", flüsterte ein schwarzes Einhorn Don Draghone
zu. "Das geht schon seit Stunden so, Sir Rone zieht ihm schon seit Stunden
das Fell über die Ohren. Fast Dreißigtausend hat der Wolf nun
schon an den Drachen verloren."
"Tatsächlich? Kennen Sie die beiden Spieler?" fragte Don Draghone.
"Wer der Wolf ist, weiß ich nicht, aber Sir Rone ist der Inhaber
des Cas..."
"Wie bitte?!"
Offensichtlich verlieh der Silberdrache etwas zu lautstark seiner
Verwunderung Ausdruck, denn augenblicklich wandten sich die anderen Gäste
ihm zu, schüttelten die Köpfe oder legten einen Finger an den
Mund. "Pssst." "Unerhört."
"Verzeihung", murmelte Don Draghone und versuchte, möglichst
beschämt dreinzublicken. Seine Gedanken überschlugen sich. Weshalb
hatte Kiseki ihm gesagt, dass dieser Laden Nero gehören würde?
"Sind Sie sicher?" vergewisserte er sich.
"Womit?" gab das Einhorn zurück.
"Na, dass dieser goldene Drache hier der Boss ist."
Das Einhorn bedachte den Silberdrachen mit einem abfälligen
Blick. "Wenn ich es Ihnen sage, aber Sie können gerne einfach hier
einen der Angestellten fragen, wenn Sie mir, einem Einhorn, schon nicht
glauben. Sir Rone ist der Inhaber dieses Casinos. Überhaupt gehören
ihm zahlreiche Spielcasinos im ganzen Land, er ist einer der angesehensten
Bürger dieser Stadt, nicht zuletzt, da er sozial sehr engagiert ist.
Haben Sie beim Eingang nicht das Schild gesehen? Alle Erlöse, die
heute Abend hier an den Slotmaschinen erzielt werden, gehen zugunsten eines
Waisenhauses."
"So, wirklich?" schnaubte Don Draghone. "Nun gut, dann werde ich
beim Hinausgehen noch ein wenig Kleingeld zu Gunsten der Kinder verspielen.
Man kann ja für die lieben Kleinen nicht genug tun."
Damit wandte sich der Silberdrache ab und ging zur Bar hinüber.
Er musste erst einmal diese neu gewonnene Information verdauen. Bei einem
weiteren Weißbier-Cola würde ihm vielleicht eine Idee kommen.
"Na, so ganz alleine hier?" Ein kehliges Schnurren riss Don Draghone
aus seinen Gedanken. Er blickte direkt in ein Paar smaragdgrüne Augen.
"Na, hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Ich bin Sweet Kitty."
"Natürlich bist Du das", erwiderte der Drache und ihm war klar,
dass er sich gerade nicht von seiner charmantesten Seite zeigte. Er musterte
sein Gegenüber und dem einen oder anderen hätte sich der Eindruck
aufgedrängt, er würde eine Zuchtstute auf einem Viehmarkt begutachten.
Sweet Kitty war überaus attraktiv, ihr goldenes Leopardenfell
glänzte seidig und ihr Körper war schlank aber dennoch durchtrainiert.
Eine dämonische und tödliche Schönheit. Ihren Silberfuchs
hatte sie lässig um die Schultern gelegt und sie trug trotz der stickigen
Luft in dem Casino einen wertvollen Pelzmantel aus Hermelin. Don Draghone
durchschaute sie sofort: Sie mochte Männer, aber mehr noch deren Kreditkarten.
So verwunderte es ihn nicht weiter, als sie fortfuhr: "Ich bin ein Glückskätzchen,
beim Spiel und bei der Liebe. Sie können mich gerne prüfen,
Mister, Mister..."
"Draghone. Don Draghone", lächelte der Silberdrache. Normalerweise
hätte er sich auf ihr Spiel eingelassen, doch heute war er nicht auf
Raub aus. Er hatte hier eine Mission zu erfüllen und diese Leopardin
konnte er dazu gar nicht gebrauchen. Andererseits, eine kurze Auszeit,
ein harmloser Flirt, das konnte nicht schaden. "Darf ich Ihnen einen Drink
bestellen?" fragte er höflich.
"Sie scheinen fasziniert vom Backgammon zu sein", hauchte sie ihm
nach einigen Minuten des fast schon peinlichen Schweigens ins Ohr. Don
Draghone war noch nie ein großer Charmeur gewesen.
"Wie? Ja, oh ja. Backgammon ist meine Leidenschaft. Sagen sie, kennen
Sie die Spieler?"
Mittlerweile hatten der Wolf und der Golddrache eine neue Partie
begonnen und tatsächlich sah es nun so aus, als ob sich diesmal das
Blatt zugunsten für den Caniden gewendet hatte. Zumindest konnte er
gerade einen entscheidenden Spielstein seines Gegners nehmen.
"Wenn Sie den Wolf meinen, den mein Vormund gerade ausnimmt, nein!"
Klirrend fiel das Glas zu Boden und sofort war eine Casinoangestellte
da, die Scherben aufzuräumen und das Weißbier-Cola aufzuwischen.
"Was sagen Sie da? Dieser Golddrache ist Ihr Vormund?"
"Onkel Ronny? Ich meine, Sir Rone? Ja, er hat mich vor ein paar
Jahren adoptiert, als meine Eltern bei einem Großbrand ums Leben
gekommen sind."
"Was ist passiert?" Don Draghones Interesse war geweckt. "Das heißt,
falls Sie darüber sprechen wollen."
Die Leopardin lächelte und zeigte auf ihr leeres Glas. Der
Silberdrache errötete leicht und bestellte ihr umgehend einen neuen
Drink.
"Ich war damals noch ein ganz kleines Kitty. Ich war damals so enttäuscht,
weil meine Brüder und ich das Haus nicht verlassen durften. Die halbe
Stadt war damals Sperrgebiet. Ich glaube, es ging um irgendeinen Superverbrecher,
der zum Tode verurteilt werden sollte. Danach erinnere ich mich nur noch
an einen grellen Blitz und eine große Feuerwand. Was dann passiert
ist, weiß ich nicht, ein totales Blackout. Ich erinnere mich erst
wieder an den Zeitpunkt, wie mich starke Arme aus den Trümmern zogen
und mich der große goldene Drache aufhob und mit zu sich nach Hause
nahm. Seitdem ist er mein Vormund und..."
"Und was?" platzte Don Draghone heraus. Doch er verstummte sofort,
als er ihren leicht rötlichen Teint bemerkte. "Verzeihen Sie", murmelte
er verlegen.
Welch merkwürdige Zufälle. Sie hatte ihm ihr Alter nicht
verraten, doch seiner Schätzung nach konnte es zeitmäßig
hinkommen. Angenommen, Nero hatte damals die unglaubliche Frechheit besessen,
in dem Inferno auszuharren - mit Hilfe von mächtiger Magie, es musste
nicht einmal schwarze sein, wäre dies sicherlich zu bewerkstelligen
gewesen - und wäre dann seelenruhig durch die zerstörte Stadt
marschiert. Kiseki hatte er für tot gehalten, darum hatte er sich
nach Ersatz umgesehen. In einer Ruine entdeckte er Kitty...
Es würde passen, aber es war zu einfach. Vor allem: Nero war
ein silber-schwarzer Spaghettidrache, während Sir Rone ein westlicher
Golddrache war. Es sei denn...
"Entschuldigen Sie mich, Kitty!"
Ihm war eine Idee gekommen. Weshalb hatte er nicht früher daran
gedacht?
"Ich habe gerade, das Gefühl, dass ich kurz vor einer Glückssträhne
stehe. Wie sieht's aus, Kitty, darf ich Sie beim Wort nehmen? Wollen doch
mal sehen, ob Sie wirklich so ein Glückskätzchen sind."
"Das gibt's doch nicht", meinte der Wolf resigniert. "Dabei hat's
doch so gut noch für mich ausgeschaut."
"Nun, ich war schon immer ein Glückskind", lächelte der
Golddrache, als er zwei seiner Steine herausnahm. "Aber gar so schlecht
sieht es ja immer noch nicht für Sie aus." Sir Rone deutete auf die
drei weißen Spielsteine seines Gegners. "Würfeln Sie einfach
einen Vierer-Pasch und Sie haben gewonnen."
Der Wolf winselte leise auf: "Vierer-Pasch! Das sagen Sie so leicht.
Andererseits, bei dieser Runde scheint wirklich Madame Fortuna an meiner
Seite zu stehen."
"Dann, mein Guter, haben Sie doch bestimmt nichts dagegen...", der
goldene Drache lehnte sich mit einem entwaffnenden Lächeln nach vorne
und griff nach dem sogenannten Verdoppelungswürfel, "das ganze für
uns beide noch ein wenig interessanter zu machen."
Langsam stellte der Canide den Würfelbecher ab und holte tief
Luft: "Das wären dann Hunderttausend. Tut mir leid, da muss ich passen.
Bei Ihrem Glück."
Er erhob sich wortlos und verließ den Saal. Wieder hatte sich
jemand um Haus und Hof gespielt.
"Wenn Sie gestatten, ich würde gerne den Platz meines Vorgängers
einnehmen."
Die dunkle Stimme ließ Sir Rone überrascht aufblicken.
Er verengte seine Pupillen zu engen Schlitzen, als sich Don Draghone nonchalant
auf dem freien Platz niederließ.
"Und, ich habe die Ehre mit... mit...?" fragte der Goldene steif.
"Mein Name ist Draghone. Don Draghone." Jetzt erst bedachte der
Silberdrache sein Gegenüber mit einem direkten und konzentrierten
Blick. Sofort verschwamm die Silhouette des Goldenen und vor seinen Augen
erschien die Gestalt eines silber-schwarzen Ostdrachens. Wie Don Draghone
es vermutet hatte, verwendete Nero einen sehr einfachen, kaum wahrnehmbaren
Tarnzauber. Stark genug, um die Casinogäste zu täuschen, jedoch
gerade noch so schwach, um nicht aufzufallen. Neben dem Spielfeld hatte
er seine weiße Perle liegen. Der Silberdrache fragte sich, weshalb
sich der Spaghettidrache nie von ihr trennte.
Natürlich hatte Nero bemerkt, dass er jetzt einem Spieler gegenüber
saß, der ihn durchschaut hatte. Was ihn noch mehr irritierte, war,
dass Don Draghone seinerseits einen leichten Schutzzauber anwandte, um
seine Gedanken vor Nero zumindest zu verschleiern. Der Ostdrache hätte
natürlich ohne weiteres diesen Schutzschild durchdringen können,
aber dazu müsste er ein wenig mehr Magie anwenden und er befürchtete,
dass dies von den übrigen Casinogästen bemerkt werden würde.
So beschränkte er sich auf die Bemerkung: "Nun gut, Don Draghone.
Ich nehme an, dass Sie wissen, dass Sie nur mit einem Vierer-Pasch gewinnen
können? Wollen Sie bar bezahlen? Es geht um hunderttausend Silberdollar."
"Mit Bargeld kann ich leider nicht dienen." Der Silberdrache griff
in eine große Reisetasche, die er mitgebracht hatte, und die umstehenden
Gäste murmelten, als er langsam eine neuartige Waffe neben das Spielfeld
legte. Was sie freilich nicht sehen konnten, war, dass Don Draghone sie
justament so postierte, dass ihr Lauf auf die weiße Perle gerichtet
war. Keiner der Zuschauer bemerkte den Rauch, der sich aus Neros Nüstern
kräuselte. Am liebsten hätte er diesen Eindringling an Ort und
Stelle in eine Steinstatue verwandelt. Stattdessen warf er einen tadelnden
Blick auf sein Mündel, das sich neben Don Draghone gestellt hatte.
"Kitty hatte schon immer einen erlesenen Geschmack, was meine männlichen
Gäste anbelangt. Nun, wollen Sie also diese Waffe einsetzen? Eine
Werner QQL. Selbstverständlich ist mir Ihr Name ein Begriff.
Aber Sie sind doch nicht gekommen, nur um an mich dieses herrliche Instrument
zu verlieren?"
"Nein", erwiderte Don Draghone und griff nach dem Würfelbecher.
"Ich bin hier, um zu gewinnen, und weil ich mich für Ihr neu entwickeltes
Waffensystem interessiere. Sozusagen als Kunde."
"Nun denn, dann lassen Sie uns diese Partie zu Ende bringen." Nero
entspannte sich wieder ein wenig, obgleich es ihn natürlich wurmte,
dass man ihn durchschaut hatte. Aber er konnte sich hier keinen Skandal
leisten. Dessen war sich auch Don Draghone bewusst, als er seinen Würfelbecher
gemessen absetzte und freundlich sagte: "Hunderttausend und ein Vierer-Pasch.
Wenn Sie gestatten, dann mache ich von meinem Gastrecht Gebrauch und verwende
Ihre Würfel. Sie gestatten?"
Noch bevor Nero irgendetwas einwenden konnte, griff der Silberdrache
nach dem Würfelbecher seines Gegners und schüttelte diesen besonders
auffällig. Selbstverständlich spürte er durch das elegante
Leder des Bechers hindurch den Zauber, der über diesen Würfeln
lag. Es war der gleiche Illusionszauber, der den Casinogästen einen
goldenen Westdrachen vorgaukelte.
"Ich glaube, Ihre Kitty ist tatsächlich ein Glückskätzchen!
Sehen Sie?" Lässig lüftete Don Draghone den Würfelbecher.
"Vierer-Pasch."
Ein Raunen ging durch die Gäste und Nero erhob sich würdevoll.
Er winkte einen Casinoangestellten heran und reichte ihm einen blaugoldenen
Jeton. "Lassen Sie sich bitte dafür am Paydesk Bargeld geben für
Sir Don Draghone."
Er griff nach seiner Perle und warf dem Silberdrachen einen langen
Blick zu. "Ich pflege nicht, in meinem Casino Geschäftliches zu besprechen.
Das Backgammonspiel dient mir zur Erholung. Kommen Sie doch morgen Mittag
zu mir zum Lunch, da kann ich Ihnen dann gerne unser Sortiment vorführen.
Und nun wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Abend. Genießen
Sie Ihren Gewinn. Kommst Du, Kitty?"
Mit einem zufriedenen Brummen nahm Don Draghone sein Geld entgegen.
Alles klappte wie am Schnürchen. Morgen würde er seinen Plan
verwirklichen können. Als er die Waffe aus der Reisetasche genommen
hatte, war ihm sehr daran gelegen, dass Nero auch den übrigen Tascheninhalt
zu sehen bekam, das von Ragnarok präparierte Geld. Offenbar war der
eingearbeitete Drachenbann tatsächlich unwahrnehmbar, nicht einmal
für diesen mächtigen Magierdrachen. Zumindest gab es keinerlei
Anzeichen dafür, dass dieser Verdacht geschöpft hätte.
Nun gab es nichts weiter zu tun, als in das Hotel zurückzukehren
und abzuwarten.
.
Nero bebte vor Zorn. "Was bildet sich der Kerl eigentlich ein?"
Wie aus dem Nichts manifestierte sich zwischen seinen Vordertatzen ein
blauer Feuerball und er schleuderte diesen zornig auf einen seiner Butler.
Dieser hatte nicht die geringste Chance auszuweichen und so traf ihn der
Zorn Neros mit voller Wucht: Unter einem schmerzerfüllten Aufschrei
verbrannte er augenblicklich zu einem Häufchen Asche. Angewidert brüllte
er den anderen Tiger an, der entsetzt daneben stand. "Was gaffst Du so
blöd? Räume die Überreste Deines Bruders weg und dann bring
mir meinen Zögling. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht rausbekomme,
was Don Draghone von mir will."
Die Türen zu Neros Büro waren aus schwerer Bronze gegossen
und sie waren geschlossen. Dennoch ließen die schrillen Schmerzensschrei,
die immer wieder nach draußen drangen, den Angestellten des silber-schwarzen
Drachens das Blut in den Adern gefrieren.
Nach gut drei Stunden schien das Martyrium des unglücklichen
Opfers endlich beendet zu sein, denn Nero schoss wie eine Furie aus seinem
Büro.
"Kümmert Euch um ihn und macht drinnen wieder sauber. Und dann
bereitet alles vor, es gibt eine kleine Planänderung aufgrund der
momentanen... Unpässlichkeit meines Zöglings."
.
Don Draghone wartete vor seinem Hotel, die Reisetasche stand neben
ihm. Sein Instinkt mahnte ihn, besonders vorsichtig zu sein sein, denn
es roch geradezu nach einer Falle: Gerade als er sich gestern auf dem Weg
zu Neros Büro machen wollte, um der Einladung zum Lunch nachzugehen,
hatte man ihm an der Rezeption ein an ihn adressiertes Telegramm gegeben.
Darin wurde ihm mitgeteilt, dass Nero einen wichtigen Termin hätte
und dass er das Treffen um vierundzwanzig Stunden verschoben hatte. Er
würde Don Draghone vom Hotel von einem seiner Chauffeure abholen lassen.
Der Silberdrache schnaubte ungeduldig. Pünktlichkeit schien
keine Stärke von dem Fahrer zu sein, jedenfalls wartete er nun schon
eine geschlagene Stunde. Don Draghones Hand tastete nach seiner Werner
QQL, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte. Besonders gab ihm zu
denken, woher Nero wusste, in welchem Hotel er abgestiegen war.
Er hatte das Hotelzimmer noch vor seiner Abreise im Internet gebucht
und da war eigentlich niemand dabei gewesen, zumindest konnte er sich nicht
mehr daran erinnern, ob er wirklich ganz alleine gewesen war.
Ein Hupen ließ ihn aufblicken. Eine große, dunkelblaue
Limousine kam an der Hotelauffahrt zum Stehen. Ihre Scheiben waren getönt.
"Sir Don Draghone?" Eine in einem Kapuzenmantel eingehüllte
Gestalt war ausgestiegen und öffnete die Tür zur Rückbank.
Das Fahrzeug war geräumig genug für einen ausgewachsenen Drachen.
Der Silberne versuchte, seinen Blick auf den Chauffeur zu heften, doch
offensichtlich wirkte auch hier eine Art Zauber, denn er konnte sich nicht
auf die Person vor ihm konzentrieren. Die Kapuze ließ das Gesicht
in einem undurchdringlichen Schatten verschwinden. "Wollen Sie bitte einsteigen?
Sir Nero wartet nicht sehr gerne", drängte der Fahrer ein wenig zur
Eile.
Etwas ließ Don Draghone zögern, doch er war sich nicht
in Klaren darüber, was es war. Irgendwie lag in der Stimme des Chauffeurs
etwas Vertrautes. Doch auch Angst schwang darin mit und unsäglicher
Schmerz. Wer immer dieser Fahrer war, er musste erst vor kurzem unendliches
Leid erfahren haben.
Der Silberne nickte schließlich und nahm auf der geräumigen
Rückbank Platz. Die Reisetasche wurde von dem vermummten Chauffeur
sorgfältig im Kofferraum verstaut.
Das Fahrzeug nahm an Fahrt auf und fädelte in den fließenden
Verkehr ein.
Ein ganz leises, unterschwelliges Zischen drang an Don Draghones
empfindliches Gehör. Im ersten Augenblick tat er das als Geräusch
der Klimaanlage ab, doch als er den beißenden Geruch wahrnahm, wusste
er, um was es sich handelte. In diesem Augenblick verlor er sein Bewusstsein.
"Schön, dass Sie wieder bei uns sind." Die metallisch klingende
Stimme drang von der Ferne an seine Ohren. Als er seine Augen öffnete,
blendete ihn ein greller Lichtstrahl und er konnte nur undeutlich vor dem
schwarzen Hintergrund des bis auf die eine Lichtquelle vollständig
abgedunkelten Raumes eine Gestalt erkennen. Sie schien eine Maske zu tragen
und die Stimme war offensichtlich elektronisch verzerrt.
Ketten klirrten und zu seinem Entsetzen bemerkte Don Draghone, dass
man ihn kopfüber an seinen Vorder- und Hinterfüssen etwa einen
Meter über den Fußboden an die Decke gehängt hatte.
"Sir Rone ist Ihr auffallendes Interesse an seiner Person nicht
entgangen. Leider ist er heute aus geschäftlichen Gründen verhindert,
aber er hat uns gebeten, sich angemessen um Sie zu kümmern und Sie
vor allem danach zu fragen, womit er Ihre geschätzte Aufmerksamkeit
verdient hat?"
Die Wucht des Schlages in seinen durch die Fesselung freiliegenden
Bauch ließ ihn Sternchen sehen. Eine vermummte Gestalt mit einem
Baseballschläger in der Hand trat wieder ein paar Schritte zurück,
während der Silberdrache hilflos an den Ketten schaukelte.
Ein weiterer Schlag, diesmal direkt auf seine Schnauzenspitze, ließ
ihn sein eigenes Blut schmecken.
"Das ist nichts gegen Sie persönlich", höhnte die Metallstimme,
"Sie sollen nur wissen, dass wir es ernst meinen. Ich denke, dass wir uns
nun vernünftig unterhalten können. Also, was wollen Sie von Sir
Rone?"
"Ich verstehe nicht, was Sie meinen", keuchte Don Draghone. "Ich
bin als Kaufinteressent..."
Der Silberdrache fühlte seine Vorderzähne splittern, als
ein erneuter Baseballschlägerhieb seine Schnauze traf. Er spuckte
Blut.
"Don Draghone. Ich bitte Sie. Überdenken Sie Ihre Situation.
Reden ist doch für uns alle viel einfacher und vor allem für
Sie weniger schmerzhaft. Dieser Raum hier ist übrigens schalldicht.
Niemand wird Sie brüllen hören können."
Drei weitere Schläge trafen ihn an Brust, Bauch und Rücken.
"Ich bin Don Draghone und wollte von Ne... Sir Rone das neue Waffensystem..."
"Das bringt so nichts", sagte die Metallstimme und wandte sich an
die Person mit dem Baseballschläger. "Wir müssen zu subtileren
Mitteln greifen. Ich bin sicher, dass unser Gast das Ganze gleich als sehr
schockierend empfinden wird."
Der Silberdrache fühlte, wie man an seinem entblößten
Hals, an seinem Bauch und in dem empfindlichen Bereich zwischen seinen
Hinterbeinen etwas Kühles, Feuchtes anbrachte. Es waren kleine Schwämme
mit einem Metallkern, von denen Drähte zu einer Konsole führten,
an der sich nun die vermummte Gestalt zu schaffen machte. Sein schmerzerfüllter
Schrei hallte durch den Raum, als durch seinen Körper Strom floss.
"Sie glauben gar nicht, welch erstaunliche Resultate man erzielt
bei der kombinierten Anwendung der guten, alten Elektrizität und den
neuesten Erkenntnissen im Bereich der Chemie." Die maskierte Gestalt trat
an den hängenden Drachen heran und er spürte den Einstich einer
Nadel. "Sind Sie auch schon gespannt, wie das Gift der Tollkirsche in einem
Drachenkörper wirkt?"
Ein weiterer Stromstoss durchzuckte den Silberdrachen, gefolgt von
ein paar weiteren Hieben mit dem Schläger. Don Draghone schien in
einen Strudel wilder Farben und Formen zu fallen und seine Sinne ließen
ihn die zugefügten Schmerzen in einer nie gekannten Intensität
spüren. Übelkeit überkam ihn und er verlor sich in einem
Meer aus Qualen und Albträumen.
.
Der Schädel Don Draghones drohte zu zerspringen. Jeder einzelne
seiner Knochen schmerzte, er fühlte, wie getrocknetes Blut, Erbrochenes
und Urin an seinen Schuppen klebte. Man hatte, wie es ihm schien, stundenlang
mit dem Baseballschläger auf ihn eingeschlagen und ihn mit Elektroschocks
gefoltert. Er war ihnen hilflos ausgeliefert gewesen.
Er roch frisch geschnittenes Holz. Offensichtlich hatten man ihn
nun an einen Ort gebracht, an dem man sich seiner endgültig entledigen
wollte, irgendwo in dieser fremden Stadt, in diesem fremden Land. Die Schmerzen
in seinen Flügeln waren unerträglich, sie brannten, als ob er
stundenlang gegen den Wind geflogen war. Mit Entsetzen erkannte er, weshalb
sie so schmerzten: Bis zu ihrer Überdehnung waren sie gespreizt und
befestigt worden. Auch seine übrigen Gliedmaßen waren überdehnt,
man hatte ihn rücklings auf eine große Holzplatte gefesselt,
schwere Eisenbänder hielten ihn in dieser unbequemen Position. Nur
seinen Kopf konnte er ein wenig heben und bewegen. Aus den Augenwinkeln
heraus sah er eine in einem Kapuzenmantel verhüllte Gestalt. Sie kam
ihm seltsam vertraut vor, als sie an ihn herantrat. Leichter Pferdegeruch
drang in seine Nüstern, überlagerte den allgegenwärtigen
Duft des Holzes. Langsam glitt der Mantel zu Boden...
"Kiseki!" entfuhr es ihm. "Schnell, mach mich hier los, ich glaube,
wir haben nicht viel Zeit. Ich weiß zwar nicht, wie Du hierher gekommen
bist, aber Dich schickt der Himmel. Ich..."
Das Drachenpferd schüttelte den Kopf und legte einen Finger
an seine Lippen. Dann trat das Kirin an ein Kontrollpaneel und augenblicklich
setzte Motorenlärm ein. Don Draghone schrie auf, als er einige Meter
von sich entfernt das gewaltige Sägeblatt erblickte, das in Rotation
gesetzt wurde. Ein Ruck lief durch das Brett, als sich das Förderband
in Bewegung setzte - in Richtung Verderben, mit seinen Hinterläufen
voran. Holzbalken, Platten und Baumstämme unterschiedlicher Größen
und Stärken bewegten sich in stetem Tempo auf das Sägeblatt zu,
das bereits in das erste Stück Holz schnitt.
"Tut mir leid. Ich kann nicht anders. Ich muss meinem Ziehvater
gehorchen und dienen, selbst wenn es meinen eigenen Tod bedeutet."
"Bist Du übergeschnappt? Kiseki, Du verdammter Verräter,
Du Bastard, Du Ar..."
"Aber! Aber!" Die donnernde Stimme übertönte sogar den
Lärm der Kreissäge. "Doch nicht solche Kraftausdrücke. Was
sollen denn meine Mitarbeiter in diesem Sägewerk denken? Etwa, dass
wir Drachen unkultivierte Barbaren sind?"
Der schlangenhafte Drache war buchstäblich aus dem Nichts erschienen
und er blickte aus spöttisch gelben Reptilienaugen auf den Silberdrachen
herab. In seiner linken Vordertatze hielt er die große weiße
Perle, die er mit seiner rechten Pranke zärtlich liebkoste. Die langen,
antennenartigen Schnurrhaare, die so charakteristisch für diese östliche
Drachenart sind, zitterten.
"Schade um einen solchen brillanten Backgammonspieler, Don Draghone.
Auch wenn ja unsere Partie gestern eher etwas kurz geraten ist. Aber ich
habe von Ihren Talenten auf diesem Gebiet gehört. Warum sind Sie mir
in die Quere gekommen? Ich habe Ihnen nie etwas getan, Sie leben in einem
ganz anderen Teil der Welt. Gut, vielleicht habe ich Ihnen ein wenig Konkurrenz
gemacht, aber wir sind schließlich beide erfolgreiche Geschäftsleute
und wir wissen, dass das nun einmal zum Leben eines Unternehmens gehört.
Ich habe viel von Ihnen gehört, Don Draghone. Auch Ihr geruchsneutrales
Rauschgift ist mir ein Begriff. Wir hätten zusammenarbeiten können.
Aber nein, Sie kommen in mein Land und wollen mich töten, obwohl ich
ihnen niemals ein Leid angetan habe. Warum? Ich frage Sie, warum?"
Don Draghone schwieg.
"War es etwa wegen ihm?" Der schwarze Drache blickte verächtlich
in Richtung des Kirins. "Wegen einem dummen Drachenpferd riskieren Sie
ihr Imperium, Ihr Leben? Nur, weil Sie mein Schüler aufgehetzt hat?
Sie glauben gar nicht, wie bereitwillig er sein Gewissen erleichtert hat,
nachdem ich ihn zur Beichte ermuntert habe."
Nero schüttelte den Kopf: "Sie enttäuschen mich, Don Draghone.
Ihnen hätte ich wirklich mehr Intelligenz zugetraut. Nun ja, es war
Ihre Entscheidung."
Der Ostdrache wandte sich dem Kirin zu: "Kiseki, komm her!"
"Ja, mein Lehrer?"
"War diese Tasche alles, was er bei sich hatte?" Nero zeigte mit
einer Krallenspitze auf die Sporttasche, die man in einiger Entfernung
auf einem Stuhl abgestellt hatte. "Bring sie her."
Kiseki gehorchte und der schwarze Drache schnurrte erfreut auf,
als zahlreiche Geldbündel herausfielen, nachdem er mit einer lässigen
Krallenbewegung die Tasche kurzerhand in Stücke gerissen hatte. Behutsam
legte Nero seine Perle zur Seite und griff mit beiden Pranken in die Notenbündel.
"Das ist ja mal was Erfreuliches. Ich denke, davon kann ich unserem verehrten
Don Draghone eine ordentliche Trauerfeier spendieren."
Übermütig wühlte Nero in dem Geld herum und ließ
lachend die Banknoten auf sich herabregnen. "Sterben Sie wohl, Don Draghone!"
"Einen Moment noch." Die Stimme des Silberdrachens war ruhig und
gefasst, obwohl er, der Geschwindigkeit, mit der sich der Tisch vorwärts
bewegte, nach zu urteilen, vielleicht nur noch zehn Minuten zu leben hatte.
"Weshalb dieser Aufwand, mich auf diese Weise zu töten? Ihr Schüler
hat mich doch bereits vergiftet mit dem Drachenbann, das er mir gespritzt
hat. Ich bin ohnehin dem Tod geweiht."
"So, hat er das tatsächlich?" Nero lachte dröhnend. "Davon
weiß ich ja gar nichts. Aber ich bin immer schon der Meinung gewesen,
dass Sterben nicht genug ist. Ein uraltes Gildenmotto bei uns Schwarzmagiern.
Glauben Sie mir, es hat für mich einen größeren Unterhaltungswert,
wenn sie fein säuberlich zerteilt werden. Das Sägeblatt wurde
übrigens gerade erst geschliffen. Sie sehen, auch in Sachen Sterben
bin ich stets bemüht, meinen Kunden nur das Beste zu liefern. Leider
habe ich nun aber zu tun. Ich werde also Ihr Ende nicht live erleben können,
doch ich bekomme die Bilder und auch Ihre Schmerzensschreie direkt in mein
Büro übertragen. Ach ja, vielleicht interessiert Sie das ja:
Dieser dämliche Fuchs, der meinen Dealern in die Quere gekommen ist,
der hat beinahe zehn Minuten durchgehalten. War doch einer Ihrer Leute,
oder? Dann sollten Sie als Chef mit gutem Beispiel vorangehen und die Zehn-Minuten-Marke
durchbrechen. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe noch zu tun! Obwohl,
hierbei möchte ich jetzt doch noch rasch dabei sein."
Er legte eine schwere Pranke auf das Kirin: "Sag ihm die Wahrheit,
mein Schüler. Das bist Du ihm schuldig, bevor er stirbt."
Kiseki schluckte schwer und er blickte auf den Boden.
"Schau ihm gefälligst dabei in die Augen!" herrschte Nero das
Kirin an. "Denn diese Tat ist wahrlich eines Schwarzmagiers würdig."
"Es war kein Drachenbann", sagte Kiseki leise. "Ich habe Dir nur
ein harmloses Vitaminpräparat gespritzt."
"Aber..." setzte Don Draghone an, verstummte jedoch. Was sollte
er noch sagen? Ein Gefühl tiefster Enttäuschung machte sich in
ihm breit. Doch in wenigen Augenblicken würde ihm das gleichgültig
sein.
"Siehst Du, war doch gar nicht so schwer, Deine letzte Beichte."
Neros Augen verengten sich zu Schlitzen. "Zu dumm nur, dass ich schon Ersatz
für Dich gefunden habe. Aber Du kannst ja Deinem neuen Freund Gesellschaft
leisten."
Kiseki schrie entsetzt auf, als er von einer unsichtbaren Hand hochgehoben
und unmittelbar vor Don Draghone rücklings auf das Förderband
gelegt wurde. Ein Lähmungszauber lag über dem Kirin.
Ungeachtet der angsterfüllten Schreie seines Schülers
und Vertrauten verließ Nero die Werkhalle, nachdem er das Geld achtlos
in eine große Kiste umgefüllt hatte. Beim Herausgehen stieß
er seine Schnauze in die Geldscheine und nahm einen tiefen Atemzug. "Nichts
besseres als der Geruch von Geld, dessen früherer Besitzer gerade
am Sterben ist", murmelte er zufrieden vor sich hin.
Don Draghone schloss die Augen. Er versuchte, die Hilfeschreie Kisekis
und das Dröhnen der Säge aus seinem Bewusstsein zu verbannen.
Er konzentrierte sich auf sich selbst, zog sich immer tiefer in sich zurück.
Auf diese Weise würde er den Todesschmerz nicht fühlen. Doch
schlimmer war der andere Schmerz, der Schmerz des Verrates. Ihm wurde bewusst,
dass ihm in der ganzen Zeit der Planung dieses Kirin immer mehr ans Herz
gewachsen war. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass Kiseki ein
Judas sein könnte.
Langsam konnte er auch diesen Dorn aus seinem Bewusstsein verbannen;
es war alles unwichtig geworden, in Kürze würde er mehr wissen,
als alle Wissenschaftler der Welt zusammen. Seine Muskeln entspannten sich.
.
Nero stand vor seinem Büro. "Alles in Ordnung, Sir?" fragte
ein Butler besorgt, als er ihm die Tür öffnete. Der Drache schnaubte
ungeduldig und schob seinen Leib in das Zimmer. Ihm war schwindlig, außerdem
überkam ihm ein übermächtiges Verlangen nach frischer Luft.
Doch so sehr er auch an der Klimaanlagenregulierung hantierte, in seinen
Nüstern hatte er stets einen eigenartigen Geruch.
Sein Blick trübte sich.
.
Der Silberdrache hatte sich soweit in sich zurückgezogen, dass
er den vorbeihuschenden Schatten nicht bemerkte und auch nicht, dass mit
einem plötzlichen Ruck das Transportband und die Säge zum Stehen
gekommen waren. Das Sägeblatt befand sich keine fünf Zentimeter
mehr entfernt von Kisekis Beinen.
Er wimmerte und zitterte am ganzen Leib.
"Es ist vorbei", sagte Higure und versuchte, seinem Freund aufzuhelfen.
Doch immer noch stand das Kirin unter dem Lähmungszauber. "Ich kann
mich nicht bewegen. Higure... Oh, Higure, was habe ich nur getan, ich..."
Er begann hemmungslos zu schluchzen und der Kitsune tätschelte beruhigend
die Kirinschnauze.
"Schhhh.... Alles wird gut", flüsterte Higure und richtete
sich auf. Er warf einen Blick auf den gefesselten Silberdrachen, der sich
immer noch nicht regte. "Und was ist mit dem?"
"Ich habe ihn verraten", schluchzte Kiseki. "Es tut mir so unendlich
leid. Mach ihn los."
Higure mühte sich mit den schweren Eisenfesseln ab, doch bevor
er Don Draghone befreien konnte, schreckte ihn ein gequältes Stöhnen
auf. Alarmiert eilte er zu seinem Freund und prallte entsetzt zurück.
Die Augen des Kirins waren in die Ferne gerichtet, man konnte nicht sagen,
ob er noch etwas wahrnahm oder nicht. Higure legte seinen Kopf auf die
Brust des Drachenpferdes, doch konnte er den Herzschlag kaum noch spüren.
Auch Kisekis Atmung schien zum Erliegen gekommen zu sein.
"Um Himmels Willen!" rief Higure entsetzt auf. Ihm war es in diesem
Augenblick völlig gleichgültig, ob ihn jemand hören konnte
oder nicht. Sein bester Freund lag im Sterben.
Als er zufällig den reglos daliegenden Drachenpferdkörper
berührte, bewegte sich dieser leicht.
Higure stutzte. Eben noch war das Kirin unter dem Lähmungszauber
gestanden und auch der Fuchsgeist hatte seinen Freund nicht bewegen können.
Doch aus irgendeinem Grund war dieser Zauber nun gebrochen.
.
"Drachenbann!" röchelte Nero entsetzt, als sein Körper
von Krämpfen gemartert wurde. "Aber wie?" Sein Blick fiel auf die
Banknoten, die vor ihm lagen und langsam dämmerte es ihm. Er versuchte,
seine Kräfte zu sammeln und sich auf einen starken Gegenzauber zu
konzentrieren. Doch mit jedem Atemzug schwanden seine Kräfte und er
sank nieder. Über seinen Pupillen lag ein milchiger Schleier.
.
Don Draghone zuckte zusammen. Etwas hatte seine Konzentration gebrochen
und war an sein Bewusstsein gelangt.
"Wach endlich auf, Du verdammter Drache!" schrie jemand und der
Silberdrache öffnete langsam seine Augen. Allmählich wurde ihm
klar, dass das Förderband gestoppt worden war.
"Bin ich schon im Himmel?" fragte er. Eigentlich wollte er einen
kleinen Scherz machen, dennoch schwang Unsicherheit mit in seiner Stimme.
Kurz darauf erblickte er Higure, der sich über ihn gebeugt hatte,
um die letzte Kette zu lösen.
"Du elender Bastard, Du Verräter, Du und Dein verdammter Freund!"
Obwohl sich Don Draghone mit seinem geschundenen Körper kaum
bewegen konnte, verlieh ihm sein Zorn ungeahnte Kräfte. Er hatte nur
den Wunsch, diesem Fuchsgeist den Kragen umzudrehen und das Drachenpferd
in Stücke zu reißen.
"Halt! Warte!" rief Higure und wich der etwas plumpen Attacke geschickt
aus. "So hör doch mal zu. Es ist nicht so wie Du denkst!"
Don Draghone war in seiner Wut nicht zu bremsen. "Du kannst mir
alles erklären, nachdem ich Dir den Hals umgedreht habe!" brüllte
er und stürzte sich erneut auf den Kitsune. "Und dann werde ich das
Pferd erledigen!"
"Aber, Kiseki ist doch schon tot! Zumindest hat es den Anschein!"
Die Verzweiflung und der Schmerz in der Stimme des Kitsunes ließ
Don Draghone mitten im Sprung innehalten.
"Was sagst Du da?" fragte der Drache und folgte Higures Blick zum
Förderband. "Was ist passiert?"
"Nero hat ihn umgebracht, glaube ich, zumindest atmet er kaum noch",
schluchzte Higure.
Langsam beruhigte sich Don Draghone und trat zu Kiseki. Er legte
eine Tatze auf die Schnauze des Drachenpferdes und brummte: "Noch atmet
er. Wir müssen ihn hier rausbringen. Was ist mit Nero?"
"Das weiß ich nicht", wimmerte der Kitsune. "Ich hatte mich
hier versteckt gehalten und beobachtet. Ich hatte solche Angst um meinen
Freund. Nero hat ihn ganz furchtbar gefoltert. Dann wollte er Euch beide
zersägen, aber als er das Geld genommen hat und dann gegangen..."
"Hör auf, so unzusammenhängendes Zeugs zu faseln", grollte
Don Draghone. "Erzähl der Reihe nach, was passiert ist." Er hielt
inne. "Warte mal, sagtest Du eben, Nero hat das Geld an sich genommen?"
"Ja."
"Das Geld aus meiner Reisetasche?"
"Ich glaube, ja."
"Das reicht nicht. Ich muss es genau wissen! War es das Geld aus
meiner Reisetasche, die ich auch im Casino bei mir hatte?"
"Das weiß ich doch nicht! Ich war nicht mit im Casino. Ich
habe hier auf euch gewartet, nachdem ich gehört habe, was Nero zu
Kiseki gesagt hatte, nachdem er ihn gefoltert hatte. Nero hat mich in seinem
Zorn überhaupt nicht bemerkt, aber ich konnte meinem Freund nicht
helfen!"
Don Draghone blickte sich um. Sein Gesichtsausdruck hellte sich
deutlich auf, als er sich nach etwas bückte. Unter einer Werkbank
zog er umsichtig mit einer Krallenspitze ein Notenbündel hervor, das
Nero offensichtlich übersehen hatte. "Es war das Geld!" rief er erfreut
aus. "Ich erkenne es an der Nummerierung der Scheine. Und er hat es ganz
sicher angerührt?"
"Naja, ich habe halt nur gesehen, wie Nero die Tasche aufgerissen
hat und in dem Geld herumgewühlt hat. Er hat die Scheine auch auf
sich herabregnen lassen."
"Phantastisch. Das heißt, Nero sollte demnächst verenden.
Die in den Scheinen eingearbeitete Dosis Drachenbann sollte ihn mittlerweile
getötet haben!"
Don Draghone war froh darüber, dass er vor seiner Abreise nicht
allzu viel von seinen Plänen an Kiseki preisgegeben hatte. Das war
eine Lektion, die er schon als Jungdrache gelernt hatte: Nie jemanden
vollständig ins Vertrauen ziehen, nur gerade so viele Informationen,
wie gerade nötig. Die Richtigkeit dieser Vorgehensweise hat sich
gerade betätigt: Unter der Folter hätte das Kirin auch die Sache
mit den präparierten Scheinen gestanden.
"Nero ist tot? Das erklärt einiges."
"Was genau?"
"Mein Gefährte stand unter einem Lähmungszauber, als ich
ihn gefunden habe. Ich konnte ihn auch nicht von der Stelle bewegen. Plötzlich
aber war es möglich - genauso plötzlich, wie er in diesen Zustand
geraten ist. Der Grund dafür ist wohl der Tod Neros."
"Ich verstehe nicht ganz", brummte Don Draghone, als er sich anschickte,
den schlaffen Körper Kisekis aufzuheben. "Wir sollten ihn in Sicherheit
bringen. Und dann muss ich mich vergewissern, dass Nero wirklich erledigt
ist. Er war schon einmal tot, wenn Du Dich erinnerst. Sterben ist nicht
genug, ich glaube, bei keinem passt dieses Motto besser als bei ihm."
"Bitte?"
"Oh", lächelte Don Draghone, "das ist angeblich das Gildemotto
der Schwarzmagier. Zumindest hat mir das der Spaghettidrache so gesagt.
Ob’s stimmt, weiß ich nicht. Ich werde Kiseki fragen, wenn er wieder
zu sich kommt."
.
"Langgesuchter Terrorist bei Schießerei mit Sonderkommando
ums Leben gekommen."
Es gab kein Entkommen von dieser Schlagzeile. Internet, Presse,
Radio und Fernsehen, alle Medien überschlugen sich mit Eilmeldungen
zum Ableben Neros.
"Jetzt hör Dir das an", knurrte Don Draghone und ließ
die Zeitung sinken. "Die schreiben, dass sie aufgrund eines anonymen Hinweises
die Wohnung des Spaghettis gestürmt und ihn mit einer Überdosis
Drachenbann zur Strecke gebracht haben. Naja, immerhin haben sie dafür
gesorgt, dass Nero nun wirklich erledigt ist."
"Wie haben sie das gemacht?" fragte Higure leise. Er war, schon
seitdem sie in den Flieger nach Europa eingestiegen waren, sehr schweigsam
gewesen.
"Sie haben sofort aus seinem Leichnam sein Herz herausgeschnitten
und verbrannt, vor Zeugen. Danach hat man den restlichen Körper feinsäuberlich
zerlegt. Kein schwarzer Zauber kann Nero wieder zum Leben erwecken."
"Oh!"
"Was mich nur so ankotzt ist, dass ich mein Leben riskiert
habe! Ich habe die ganze Arbeit gemacht, aber von mir schreiben
die kein einziges Wort. Die heimsen den ganzen Ruhm für sich selber
ein. Ich...", Don Draghone hielt inne und verstummte, als er Higure verstohlen
sich eine Träne von seinem Gesicht wischen sah.
Der Kitsune hatte ihm alles erzählt: Von dem Treueeid eines
Kirins, der bis zur Selbstopferung führen kann, von den Gewissensbissen,
die Kiseki befallen hatten, sowohl in Bezug auf Nero, den er im Begriff
war zu verraten, als auch bezüglich des Silberdrachens, den er benutzt
hatte.
Kiseki hatte zunächst bewusst darauf verzichtet, Don Draghone
nach Hong Kong zu begleiten, denn er hatte Angst, seinem Meister und Mentor
zu begegnen. Davon abgesehen hätte er es niemals übers Herz gebracht,
sich aktiv an der Ermordung Neros zu beteiligen.
Als dann Don Draghone schließlich unterwegs war, plagten das
Kirin massive Zweifel und aufgrund der daraus resultierenden Aufgewühltheit
konnte sich Nero sogar über die große Entfernung hinweg mental
mit Kiseki in Verbindung setzen. Er beherrschte dessen Gedanken und beorderte
ihn selbst nach Hong Kong, damit er dort den Silberdrachen observierte.
Als das Kirin schließlich gezwungenermaßen Nero gegenübertrat,
folterte dieser ihn auf besonders brutale Weise, um ihn für seinen
Mordversuch zu bestrafen. Er hatte ihn gezwungen, den Silberdrachen in
die Falle zu locken.
Don Draghone empfand tiefes Mitgefühl für den Kitsune:
Sein Gefährte lag im Koma im hinteren Teil des Flugzeuges und niemand
konnte sagen, ob Kiseki jemals wieder daraus erwachen würde. Die Verbundenheit
des Kirins zu seinem Meister bestand sogar noch nach dessen Tod.
Der Silberdrache stand seufzend auf, nahm sein gut gekühltes
Weißbier-Cola, in dem drei Cocktailkirschen schwammen, und begab
sich damit in das Flugzeugheck, das man in ein provisorisches Krankenlager
umfunktioniert hatte. Das Kirin lag festgeschnallt auf einer Bahre, Schläuche
und Kabel verbanden ihn mit verschiedenen lebenserhaltenden Maschinen.
Don Draghone bückte sich und zog unter der Bahre einen Gegenstand
hervor, platzierte ihn zärtlich auf Kisekis Brust und verschränkte
dessen Hände darüber. Dann prostete er dem Kirin zu.
"Auf Dein Wohl! Ich verzeihe Dir, mein Freund", flüsterte er.
"Ich verzeihe Dir auch den gemeinen Trick, mich glauben zu machen, ich
hätte Drachenbann in mir. Ich verspreche Dir, dafür bekommst
Du noch eine Abreibung - sobald Du wieder aus dem Koma erwacht bist. Und
mach Dir keine Sorge um Deinen kleinen Fuchsgeist, ich werde mich um ihn
kümmern, vielleicht habe ich in meinem Konzern einen Posten für
ihn frei."
Er hätte noch einiges loswerden wollen, was ihm auf der Seele
lag, doch eine Stewardess forderte ihn auf, an seinem Platz zurückzukehren,
da man bereits mit dem Landeanflug begonnen hatte.
Die Perle in Kisekis Händen schillerte in munteren Regenbogenfarben,
als ein Sonnenstrahl durch eines der Kabinenfenster drang und das Kirin
beleuchtete.
© Peter
Lässig
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