Ich glaube, ich träume... von Talea

Ich renne. Wieso? Wo will ich hin? Ein ungutes Gefühl.
Ein niedrighängender Ast . Ich ducke mich instinktiv. Ich bin im Wald, soviel habe ich erkannt. Ich will stehen bleiben, aber irgendetwas warnt mich davor. Ein surrendes Geräusch; es kommt mir seltsam bekannt vor. Was ist das? Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag: Pfeile! Geduckt laufe ich weiter. Warum habe ich keine Waffen bei mir?
Ich muss mich verstecken... aber wo...? Schmerz durchzuckt meinen Oberschenkel. Ich schaue an mir herunter. Blut. Dunkel rinnt es aus einer Wunde; ein Pfeil hat mich gestreift. Erschöpft renne ich weiter.
Ich weiß nicht, woher ich komme, was ich getan habe und wohin ich will.
Deshalb renne ich.
Ich kann nicht mehr. Ein Versteck - das brauche ich jetzt. Aber wo? Mein rechtes Bein wird langsam taub. Ich werde langsamer und betrachte meine Umgebung. Ich sehe nichts, wo ich mich verstechen könnte. Ich glaube, ich fürchte mich. Furcht? Ja, Furcht. Angst. Noch nie habe ich mich gefürchtet. Ich kann nicht mehr so schnell laufen, doch wenn ich nicht langsamer geworden wäre, wäre ich genau in den Mann gelaufen, der von links aus dem Gebüsch auf meinen Weg gesprungen war. Er grinst dreckig und holt mit seinem Schwert aus. Blitzschnell schlage ich einen Haken nach rechts und stöhne auf. Mein Bein! Ich hatte es zu sehr belastet. Ich stolpere, knicke ein und fange mich wieder. Am Ende meiner Kräfte haste ich weiter. Ich höre, wie der Mann mich verfolgt und eine weitere Person hinter mir aus dem Gebüsch hervorspringt. Ich werde langsamer, stolpere erneut und dann spüre ich einen harten Schlag auf Kopf und Nacken.
"Wenn ich wenigstens gewusst hätte, warum..." ist mein letzter Gedanke. Dann wird es dunkel.

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Araschna erwachte quietschend. Sie unterdrückte einen erschreckten Aufschrei. Sie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Als sie sich umblickte, sah sie im Licht des glühenden Lagerfeuers ihre Gefährten auf der Lichtung verteilt schlafen. Ein Wachposten strich durch das stellenweise bis zu zwei Meter hohe Gras. Man konnte ihn nicht sehen oder hören, aber sie wusste, dass er da war. Sie sah zum Lagerfeuer. Dort saß Murax, der Anführer der Truppe, und stocherte mit einem Stock in der Glut herum. 
Leise stand sie auf, schlich hinüber und setzte sich zu ihm. Er blickte auf; sein Gesicht ließ nicht erkennen, was er dachte. Er starrte sie an und fragte schließlich heiser: "Was is´?!"
"Ich bin aufgewacht."
"Einfach so? Du hast heut keine Wache."
"Ich weiß! Bin ja nicht blöd."
Murax grunzte.
Schweigen.
Dann begann Araschna wieder: "Ich mache mir... Sorgen."
Murax lachte leise auf. "So schwer is´ unsre Mission auch wieder nich. Oder zweifelst du an meinen Fähigkeiten?"
Araschna überging die Herausforderung. "Darum geht es nicht. Ich... ich weiß nicht, ob ich es dir sagen kann."
"Warum nich. Bin ja nich so blutrünstig."
"Du sagst es niemanden?"
Murax starrte sie an. "Was soll´n das?!"
Dann: "Ich wüsste nich, wem ich etwas über dich erzählen sollte. Ich könnte dir auch befehlen, es mir zu sagen."
"Ja, Hauptmann Murax. Aber ich würde es dir dann erst recht nicht mehr erzählen."
Murax grinste. "Ich vergaß: Dir kann man ja nichts befehlen, was nichts mit `ner Mission zusammenhängt. Trotzdem. Befehlsverweigerung wird bestraft. Ich würd mir schon was einfallen lassen."
Araschna zuckte ungerührt die Schultern. "Ich würde in den Wäldern verschwinden, bevor du mich überhaupt vermissen würdest."
"Das bezweifle ich", entgegnete Murax und dachte: Ich würde dich vorher schon vermissen... Aber so schnell der Gedanke kam, verdrängte er ihn wieder.
Araschna beschloss, nicht noch mehr Zeit  mit solchen Gezänk zu verschwenden. Trotz allem mochte sie Murax und vertraute ihm.
Schweigen.
"Ich versprech´s."
"Gut." Araschna seufzte. "Ich habe geträumt."
Murax stutzte. Er grunzte. Schließlich: "Nein. Orks träumen nicht."
"Ich weiß. Aber es war so."
Murax schwieg. Araschna redete weiter. "Es war keine Erinnerung; es war noch nicht geschehen. Ich sah alles klar und deutlich. Wie der Zauberer Ilm´Renai einmal eine Vision beschrieben hat, weißt du."
Araschna sah an seinem Gesichtsausdruck, dass er sich das nicht vorstellen konnte; er hatte es einfach nicht erlebt. Die Erinnerung an ihren Traum ließ sie sich unwillkürlich an den Oberschenkel fassen.
"Worum ging es denn in... deinem Traum?"
"Ich lief durch einen mir unbekannten Wald - ohne Waffen..."
Murax unterbrach sie grunzend. "Kann ja gar nicht sein!"
Sie funkelte ihn an und zischte: "Willst du mir jetzt zuhören oder was?!"
Murax verkniff sich die Antwort.
"Dann streifte mich ein Pfeil am rechten Oberschenkel..."
Wie von selbst fasste Murax an ihr Bein. Sie betrachtete ihn mit einem seltsamen Blick. Er zog die Hand zurück und murmelte: "Keine Wunde - ein Traum?"
"Ähm... also: Ich lief weiter, schon... erschöpft. Dann trat mir ein Mensch in den Weg und wollte mir den Kopf vom Hals trennen."
Sie grinste. Orks passierte so etwas öfter - und einige konnten auf ihren Kopf nicht so gut aufpassen.
"Dann stolperte ich und bekam von einem Zweiten einen Schlag auf den Kopf und wurde ohnmächtig - wenn man das im Traum werden kann. Davon wachte ich auf."
Murax nickte nachdenklich. "War das alles?"
"Nein." Araschna atmete tief ein. "Ich glaube, ich habe mich gefürchtet."
"Gefürchtet? Aber Angst..."
"Ja, ich weiß: Angst bekommt man nur, wenn man darüber nachdenkt, was alles passieren könnte. Trotzdem..."
Murax schnaubte. "`nen Ork, der träumt, ist ja schon schlimm genug, aber einer, der sich fürchtet... wir haben einen Ruf zu verlieren, Araschna. Wir sind gute Kämpfer, weil wir uns nich fürchten."
Araschna unterbrach ihn mit einer Handbewegung. "Trotz allem war es ein Traum. Ich habe mich noch nie gefürchtet und werde es auch später nicht tun."
"Aber du hast gesagt, dein Traum war `ne Art Vision..."
"Wenn es wirklich eine war, kann ich es auch verhindern. Hatte Ilm´Renai nicht so etwas erzählt?"
Murax wiegte nachdenklich den Kopf. "Kann sein, ich hör ihm nich so oft zu..."
Er schaute sie eine Weile an und blickte dann nachdenklich in die Glut. "Leg dich wieder hin, ich werd noch `ne Weile darüber nachdenken. Morgen müssen wir früh los."
Araschna stand auf, senkte leicht den Kopf als Verbeugung und ging lautlos zu ihrem Schlafplatz zurück.
Murax schaute ihr hinterher und bewunderte, wie leise und schnell sie sich bewegte. Vor ihm waren viele ältere Orks dagegen gewesen, Orkfrauen als Krieger aufzunehmen, aber er war sich sicher, dass Araschna zu den besten Fährtenlesern gehörte, die er kannte. Er und sein Trupp waren als Verstärkung unterwegs, deshalb waren ihm mehr Orks als gewöhnlich zugeordnet. Vierzig Orks - davon siebzehn Orkfrauen, die genauso gut wie ihre festen Gefährten kämpften -, Araschna als Fährtenleserin und er selbst als Hauptmann. Morgen würden sie einen Wald durchqueren und eine Anhöhe hinauflaufen. Dort würden sie sich im Gebüsch verstecken, er würde den Ork aufsuchen, der den Befehl über die anderen versammelten Truppen führte, sich beratschlagen und dann würden sie alle die menschliche Siedlung angreifen. Eine Siedlung, die einfach so im Orkterritorium gegründet worden war. Sicher, es war fruchtbares Land, aber das war keine Entschuldigung. Sie würde überrascht werden - schließlich trafen die Orks eben aus diesem Grund in kleinen Truppen ein.
Danach (dass es für Murax vielleicht gar kein danach geben könnte, darüber dachte er nicht nach) würden er und sein Trupp (oder was davon übrig war) entweder sofort neue Befehle entgegen nehmen oder zum Hauptquartier zurückkehren.
Vielleicht... der Gedanke ließ Murax zögern. Wenn sie genügend Beute machten, könnten sie ihre eigene Siedlung gründen, weitab von den Menschen. Er legte sich hin und beobachtete die Sterne. Immerhin, er lächelte, haben wir Orkfrauen in der Truppe. Nicht alle würden seinem Aufruf folge leisten, aber je mehr er darüber nachdachte, umso mehr gefiel ihm der Gedanke. Er plante nun schon genau und ohne dass er es verhindern konnte - oder wollte - tauchte in seinen Plänen immer wieder eine gewisse Fährtenleserin auf, bis er schließlich einschlief.

Araschna wurde von der Sonne geweckt. Sie wollte die Decke über den Kopf ziehen und sich von der Sonne wegdrehen, doch dann fiel ihr ein, wo sie sich befand. Sie stand auf und bemerkte die Orks, die an einer Stelle nahe dem Lagerfeuer im Kreis standen. Wäre es nicht Murax´ Aufgabe gewesen, für Ordnung zu sorgen? Wo war er eigentlich? Araschna schüttelte den Kopf und ging hinüber.
"Was ist hier...?"
Sie unterbrach sich, als sie Murax am Boden sehen lag. Er schlief, drehte sich aber wild von einer Seite auf die andere und grunzte immer wieder.
Araschna wurde wütend.
"Was glotzt ihr so? Warum ...?"
"Wir wollten ihn ja aufwecken." Ein kleiner Ork namens Krelaf sprach sie an. "Wir haben alles versucht; er ist nicht wach zukriegen. Vielleicht liegt er im Fieberwahn..."
Araschna betrachtete Murax erneut. Sein Grunzen klang keineswegs ungesund.
"Nein. Habt ihr es schon mit einem Eimer kaltem Wasser versucht?"
Krelaf verzog das Gesicht. Mittlerweile hatten alle den Zwischenfall bemerkt. Araschna machte eine Geste.
"Nun, Krelaf, hol Wasser, wir werden sehen, ob er nicht wieder aufwacht..."
Araschna grinste und Krelaf warf ihr einen wütenden Blick zu. Ihm passte es nicht, Befehle von jemandem anderen als seinem Hauptmann entgegen zu nehmen. Doch dann verließ er den Kreis, wobei er unablässig murmelte: "Wie barbarisch! Wasser! Wie menschlich!"
Araschna ignorierte ihn und kniete sich neben Murax. Sie packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. Er grunzte, wachte aber nicht auf. Gerade als sie aufstehen wollte, murmelte er: "Araschna."
Sie blickte in sein Gesicht; er hatte die Augen geschlossen und konnte sie also unmöglich erkannt haben. 
Krelaf kehrte mit dem Wasser zurück. Die übrigen Orks grinsten oder scharrten mit den Füssen. Murax streckte die Arme aus und murmelte unverständliches Zeug. Araschna winkte Krelaf heran, doch in dem Moment schlug Murax die Augen auf. Eine Weile starrte er leer umher, dann erkannte er Krelaf und den Eimer, den dieser noch immer in den Händen hielt. Murax setzte sich auf und deutete mit dem Kopf auf den Eimer.
"Was hastn damit vor?"
Krelaf wandte sich ab. "Die Jarifs tränken."
Murax nickte verloren und erkannte plötzlich die Menge, die um seinen Schlafplatz stand.
"Was macht ihr faulenden Würmer denn hier? Ich hab euch doch gesagt, dass wir früh weiter müssen! Is alles fertig? Und wehe, wenn nich..."
Die Menge zerstreute sich eilig. Araschna ging zu ihren Sachen während Murax fluchend die seinigen in die Gepäcktaschen stopfte. Araschna band ihren Umhang fest und hängte sich Köcher und Bogen auf den Rücken. Dann ging sie zu den Jarifs und band zwei Tiere - Murax´ und ihr eigenes - los und ging zum verloschenen Lagerfeuer zurück. Die Jarifs - große gestreifte Raubkatzen - waren noch müde. Wie gewöhnlich schlichen sie geräuschlos über das Gras, die Augen zu Schlitzen verengt und fauchten leise.
Murax war nun vollständig bekleidet: eine dunkle Lederrüstung, an den Schultern mit Metall verziert; einen Gürtel, an dem Krummsäbel und Dolch hingen, sowie ein schwarzer Umhang. Wortlos nahm er Araschna die Zügel aus der Hand und saß auf. Sein Jarif bockte, doch leise beruhigte er ihn. Araschna wartete, bis er saß, dann schwang auch sie sich auf ihr Reittier. Die anderen Orks folgten ihrem Beispiel.
Er ritt voran, Araschna neben sich und blickte sich nicht um. Das war auch nicht nötig - er hatte einen Befehl gegeben, wer ihm jetzt nicht folgte, brauche es nie wieder zu tun.
Als sie eine Weile schweigend geritten waren fragte Murax: "Wie lange, bis wir den Wald erreichen?"
Araschna wiegte den Kopf. "Bei diesem Tempo... zwei Stunden, würde ich sagen. Wir haben heute Morgen Zeit verloren."
Murax nickte. Dann trieb er sein Jarif an. Nach einer Weile fing er wieder an zu sprechen.
"Was war eigentlich los?"
Araschna verkniff sich eine bissige Antwort. Stattdessen: "Du wolltest nicht aufwachen. Dann hab ich Krelaf nach Wasser geschickt."
"Du wolltest doch nicht etwa...?" Er grinste.
"Mir wäre ja gar nichts anderes übriggeblieben. Alle wollte wissen, was los war."
"Ja, ich kam mir vor wie Pussani I., wie alle um mich herum standen. Nur ohne Dolche..."
Er starrte auf den Wald und dann wieder zu Araschna. "Habe ich irgendetwas gesagt? Als ich schlief..."
"Nein, nichts deutliches."
Er wirkte erleichtert.
"Kennst du diesen Wald?"
"Nein. Aber das muss ich auch nicht. Auf die eine oder andere Art sind sie alle gleich."
Er blickte nach vorne.
"Kannst du sagen, wie lange wir brauchen, bis wir ihn durchquert haben?"
"Das kann ich von hier aus nicht sehen. Vielleicht ein paar Stunden, vielleicht aber auch zwei Tage."
Murax schnaubte. "Du bist ja ne Fährtenleserin; auf nichts weißt du eine Antwort."
Sie sparte sich eine Antwort und er ritt noch mal schneller.
Sie grübelte. Dass sie den Weg nicht finden würde, war unwahrscheinlich. Aber vielleicht wären sie nicht schnell genug. Dann dachte sie daran, dass dies nicht ihr Problem wäre - sie war nur als Fährtenleserin hier und wenn Murax seine Frist nicht einhalten konnte, würde er bestraft. Dieser Gedanke bereitete ihr allerdings noch mehr Unbehagen.
Sie zog eines der kostbarsten Stücke ihrer Ausrüstung hervor. Sie hielt das ellipsenförmige Glasgefäß auf der flachen Hand. Eine sanft schlängelnde, in allen Farben irisierende Lichtlinie zeigte nach Norden. Die menschliche Siedlung lag nordöstlich, ihr Sammelpunkt ein wenig östlicher. Sie trieb ihr Jarif mit den Füßen an, bis sie wieder neben Murax ritt.
"Wir müssen ein wenig mehr nördlich reiten. Sonst verpassen wir den Sammelpunkt."
Sie wies mit ihrem Arm die Richtung und er korrigierte die Route seines Jarifs.
"Was hastn da in der Hand?"
"Oh, das? Das ist mein Nordweiser." Sie hielt das kostbare Stück hoch.
"Dann verrenkte ich mir nicht den Nacken, wenn ich nach der Sonne oder den Sternen schaue."
Sie grinste und er schaute sie fragend an. "Wie gehtn das?"
"Das Licht dort drin ist ein Stück vom Nordlicht. Es sucht den Norden, um sich dem Leuchten anzuschließen. Wie es darein kommt - ich hab keine Ahnung"
Murax nickte anerkennend. "War sicher teuer."
Araschna grinste. "Nun, für mich jedenfalls nicht..."
Murax lachte.
Sie ritten schweigend weiter, bis sie kurz vor dem Wald einen kleinen Fluss überqueren mussten. Für die Orks kein Problem, aber die Jarifs erinnerten sich ihrer wasserscheuen Vorfahren und wenn einer streikt, weigern sich alle. Flüche, Schläge und Tritte waren die Reaktion der Orks, bis Murax` Jarif nachgab und den Fluss durchquerte. Die anderen folgten.
"Mistviecher! Die könnten einen `nen ganzen Angriff versauen, wenn unsere Feinde davon wissen würden!" 
Weiteren Beschimpfungen gingen im Platschen der Jarifpfoten unter.
Sie erreichten den Waldrand und Araschna sog prüfend die Luft ein, während sie sich umblickte.
"Und?"
Murax blickte sie erwartungsvoll an.
"Uuund ich denke, dass wir hier alleine sind. Niemand wird unsere Ankunft bemerken. Das Unterholz ist nicht zu dicht, also werden die Jarifs leicht vorankommen. Die Blätter schützen uns vor Blicken aus der Luft und die Vögel singen weiter, als wären wir nicht hier. Wir werden keine Probleme haben."
Araschna lachte selbstsicher, ein etwas schriller Laut, aber Murax empfand ihn als angenehm. Nach einem kurzen Blick auf ihren Nordweiser zeigte sie Murax den Weg und er trieb sein Jarif an.
Nach einer Weile fingen die Orks zu schwatzen an, bis Murax sie leise anfauchte: "Wollt ihr alles verderben? Meint ihr etwa, wir seien noch nich auffällig genug?! Still jetzt, oder euer Essen fällt die nächste Woche aus!"
Sie schwiegen. Araschna übernahm jetzt die Führung, weil der Pfad zu schmal für zwei Reiter nebeneinander wurde. Murax nahm es ihr nicht übel, denn deswegen war sie mitgekommen. Stattdessen nutzte er die Zeit und beobachtete sie von hinten, wie sie selbstsicher ihren Jarif durch das Gebüsch lenkte, um den sichersten und leisesten Weg für alle auszuwählen.
Gegen Nachmittag wurde der Wald immer dichter, bis der Trupp schließlich eine Lichtung erreichte. Murax befahl zu halten.
"Wir ruhen ein letztes Mal aus, dann reiten wir durch. Nutzt die Zeit - ihr habt zwei Stunden. Aber seid leise. Kein Feuer und kein unerlaubtes Entfernen. Krelaf, Schiraak, Nuron - ihr nehmt die Jarifs. Los jetzt!"
Die meisten Orks wickelten sich in ihre Decken oder aßen leise schwatzend ihre Streifen Trockenfleisch. Murax reichte Schiraak die Zügel und schlenderte zu Araschna hinüber.
"Durchstreifst du die Gegend? Eine halbe Stunde, klar? Nimm mit, wen du brauchst."
Araschna schüttelte den Kopf. "Ich gehe alleine. Keine Sorge, Wälder kenne ich gut."
Sie lächelte aufmunternd, zog die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und verschwand im dichten Gehölz.

Sie genoss es, mal wieder alleine zu sein. Dann betrat sie eine kleine Lichtung, durch die ein Bach floss.
Ach nein, wie wunderschön, dachte sie schief grinsend und spuckte auf den Boden. Sie hatte - wie alle Orks - nichts für die Herrlichkeit des Waldes über. Araschna konnte in ihm überleben, aber bewundern würde sie ihn nie.
Sie warf einen Blick auf ihren Nordweiser. Sie war zehn Minuten in nordöstliche Richtung gegangen und wollte nun in Kreisform das Lager umrunden.
Ein Rascheln in einem nahen Strauch ließ sie auffahren. Sie ging einen Schritt darauf zu, doch im gleichen Moment sprang eine große Wildkatze auf sie zu, erblickte sie und schlug einen Haken. Araschna legte einen Pfeil ein, murmelte noch: "Hallo, Pelzkugel..." und schon durchbohrte ihr Pfeil den Hals der Katze. Sie fiel mitten im Sprung auf die Erde und war sofort tot. Ohne Eile ging Araschna zu ihr, zog den Pfeil aus dem Hals, reinigte ihn und verstaute ihn wieder im Köcher.
Sie nahm das Tier und dachte daran, dass Katzen nicht von alleine aus dem Gebüsch springen. Ob Menschen in der Nähe waren? Sie dachte, es wäre wohl besser, zurückzukehren und Murax Bericht zu erstatten. Aber nur wegen einer aufgeschreckten Wildkatze...? Sie wollte sich lieber selbst überzeugen, als blinden Alarm zu schlagen.
Ihre Neugier siegte und sie befestigte das tote Tier am Gürtel. Sie lief um einen Busch herum und schrak zurück. Sie versuchte sich leise zurückzuziehen. Kein Wunder, dass die Wildkatze geflohen war.
Knacks!
Araschna verfluchte sich während der riesige Waldbär sich schwerfällig umdrehte. Ein einzelner Ork würde hier nicht viel ausrichten können. Selbst ein ganzer Jagdtrupp würde Probleme mit dem drei Meter fünfzig großen Bär haben.
Sie grinste trocken. Immerhin würden keine Menschen in der Nähe sein, soviel war sicher...
Araschna hoffte, dass der Bär sein Interesse allein den Beerenbüschen schenken würde, aber schon hatte er den Blutgeruch der toten Wildkatze bemerkt und hielt auf sie zu. Sie lief wieder über die Lichtung zurück und sprang über den Bach, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Den Waldbären ins Lager führen konnte sie nicht - die Orks ruhten sich aus und wären vollkommen überrascht. Um Hilfe rufen konnte sie auch nicht, denn nicht nur die anderen Orks könnten sie hören. Sie sah auch keinen Baum, auf den sie schnell genug hinaufklettern konnte und der ausreichend stark war, dem Bären standzuhalten.
An die Katze dachte Araschna gar nicht mehr, aber die wäre ihm sowieso nicht genug. Vielleicht würde er ja noch umkehren...
Doch schon überquerte der Bär den Fluss. Araschna sah nur eine Möglichkeit: Sie ging weiter rückwärts und spannte ihren Bogen. Wenn sie ihn in den dichten Wald locken könnte, würde er sich nicht aufrichten können. Sie schoss und - verfehlte ihr Ziel.
Nein! Noch näher hätte er gar nicht kommen können!
Noch einmal - und diesmal traf sie. Der Pfeil bohrte sich tief in die Schulter, aber den Bären schien es kaum zu stören, so dicht war sein Pelz. Schnell schoss sie zwei weitere Pfeile ab. Das riesige Tier stöhnte nun auf vor Schmerz und beschleunigte seine Schritte. Noch ein Pfeil. Jetzt wandte sie sich um und rannte in den Wald. Hinter sich hörte die Orkfrau den gewaltigen Bären durch das Unterholz brechen. Immer schneller lief sie, obwohl sie nicht glaubte, ihn abhängen zu können. Araschna sprang auf eine Anhöhe und ein weiterer Pfeil streifte die Pfote des Tieres. Dann rannte sie weiter, während das Gehölz immer dichter wurde.
Araschna sprang über einen niedrigen Busch, doch ihr Bogen war zu lang und verfing sich im Gestrüpp. Sie wollte ihn  nicht loslassen, doch er wurde ihr aus der Hand gerissen, so dass sie stolperte und sich überschlug.
Sie sprang wieder auf  und suchte ihren Bogen, doch der Waldbär war unmittelbar hinter ihr. Sie warf sich zur Seite, riss ein Wurfmesser aus dem Gürtel, nahm Maß und warf. Bis zum Heft drang das Messer in seine Seite ein. Ein verzweifelter Schrei. Der Bär wurde langsamer, torkelte, schüttelte sich und ging dann wieder auf sie zu. Schnell drehte sie sich um und rannte noch tiefer in den Wald. Im Laufen dachte sie darüber nach, welche Waffen ihr noch blieben. Es waren erschreckend wenig - ihr Krummsäbel und ein weiteres Wurfmesser am Gürtel, ein kleiner Dolch in ihrem Stiefel und ihre Pfeile im Köcher, die sie beim Rennen eher behinderten.
Die Verfolgungsjagd begann sie und den Bären gleichermaßen zu erschöpfen. Araschna blickte durch die Bäume und sah, dass sie sich einer Lichtung näherte. Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen, um einen Vorsprung zu gewinnen und lief schließlich auf die Lichtung. Sie lief langsamer und blickte sich um. Sie war ungefähr so groß wie die letzte, doch in der Mitte befand sich ein zwanzig Meter hoher Fels- und Steinhaufen.
Erleichtert begann sie hinaufzuklettern. Der Bär würde wahrscheinlich aufgrund seiner Verletzung und seiner enormen Größe nicht hinaufkommen. Als sie den Fels bis zur Hälfte erklettert hatte, brach das Tier aus dem Wald hervor. Wütend und beinah blind vor Schmerz brüllte es lautstark, bis es Araschna erblickte. Hastig stieg es auf die ersten Steine. Araschna erreichte den Gipfel und wartete, bis der Bär hoch genug gekommen war. Einige Schritte ging sie auf der anderen Seite wieder hinunter und begann, die Felsbrocken hinunterzuschieben. Als sie sich ihren Weg abwärts bahnten, sprang der Bär erschreckt zur Seite, doch er stolperte und die Ausläufer der kleinen Lawine rissen ihn mit hinab.
Araschna schlitterte den Steinhaufen wieder hinunter und gelangte schwer atmend unten an. Erschöpft setzte sie sich ins Gras. Auf der anderen Seite kullerten die Brocken noch immer. Sie glaubte ein Schnaufen und leises Brüllen zu hören, doch sicher war es nicht. Sie ging um den Fels herum und glaubte nicht recht zu sehen.
Der Waldbär richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er blutete stark aus einer Wunde über dem kleinen Auge und seine linke Vorderpfote war gebrochen und gequetscht. Mit irrem Blick suchte er sein Opfer und erblickte es vollkommen erstarrt nur wenige Meter entfernt. Araschna war verzweifelt. Nichts schien diesem Biest ernsthaften Schaden zuzufügen. Sie beruhigte ihre zitternde Hand und zog ihren Säbel. Mit einem leisen Kampfschrei rannte sie auf den Bären zu und holte weit aus.
Jetzt oder nie!
Doch das Raubtier richtete sich zu voller Größe auf und Araschnas Säbel streifte nur seinen Bauch, als er sie mit seiner gewaltigen Pranke erwischte und meterweit durch die Luft schleuderte. Hart schlug sie auf den Boden auf und verlor den Säbel. Stöhnend richtete sie sich wieder auf. Alles schmerzte und sie sah nur noch verschwommen. Sie schüttelte den Kopf, was zur Folge hatte, dass ein schrecklicher Schmerz durch ihren Kopf fuhr, doch ihr Blick wurde klarer. Die Schmerzen im linken Arm ignorierte sie. Der Bär stand immer noch auf den Hinterpfoten; er konnte sich nicht auf seine verletzte Vorderpfote stellen. Ein letztes Mal zog sie ihren Wurfdolch und zielte. Mit noch verbleibender Kraft schleuderte sie ihn kräftig und traf den Bären mitten ins Herz. Er stoppte seinen Angriff und torkelte. Araschna nutze die Zeit und sah sich nach ihrem Krummsäbel um. Sie erblickte ihn wenige Meter entfernt und wankte darauf zu. Als sie ihn aufhob, stellte sie sich einem erneuten Angriff entgegen. Langsam schritt der Waldbär auf sie zu und hob die rechte Tatze. Araschna rannte ihm entgegen, wich seiner Pfote aus, sprang und schlug zu. Tief schnitt die Klinge in den Hals des Tieres und sein letzter Schrei erstickte im Blutstrom.
Kraftlos ließ sie ihr Schwert fallen, als der Bär auf dem Boden aufschlug. Araschna hatte soeben eins der mächtigsten Tiere des Waldes allein besiegt. Doch kein Triumphgefühl durchfloss sie, sondern nur Müdigkeit. Und so wankte sie auf den Wald zu, weil sie nicht wusste, welche Tiere vom Kadaver angelockt wurden. Araschna schlug die Richtung ein, von der sie meinte, sie führe zum Lager zurück. Eine Viertelstunde später holte die Erschöpfung sie ein und sie sank ihn eine gnädige, alles vergessende Ohnmacht.
Sie war zu weit nach Norden gegangen.

"Hauptmann, Araschna ist immer noch nicht zurückgekehrt." Nuron verbeugte sich.
"Wo kann sie nur sein? Sie is bereits seit einer Stunde fort. Ich hatte ihr doch befohlen..." Aufgeregt lief Murax im Kreis.
"Wir werden sie suchen. Schiraak, Krelaf, ihr kommt mit mir. Holte eure Jarifs, meins und Araschnas. Nuron, du übernimmst den Trupp, bis ich wiederkomme. Sollten wir nicht innerhalb einer Stund zurück sein, führst du den Trupp nordöstlich weiter, bis du den Sammelpunkt erreichtst. Entweder kommen wir nach oder wir kommen gar nicht mehr. Du musst pünktlich sein. Alles klar?!"
Nuron nickte und zog sich zurück. Krelaf kehrte mit den Jarifs zurück und meinte: "Ähh, Hauptmann... ich glaube nicht, dass es sich lohnt, nach ihr zu suchen. Sicher ist sie verschwunden und in den Wäldern finden wir sie eh nicht. Es kostet nur Zeit."
Murax wirkte trügerisch ruhig.
"Und was is, wenn sie Hilfe braucht?"
"Hilfe...?" Krelaf spuckte auf den Boden. "Wer weiß, was sie vorhat... Die verarscht uns bestimmt schon lange. Außer ihr weiß doch keiner, wo wir sind... das ist mir nicht geheuer."
Murax ohrfeigte ihn hart und flüsterte heiser: "Entweder du kommst mit, oder du kehrst um, klar?!"
Dann schwang er sich auf sein Jarif und ritt gefolgt von Schiraak in den Wald. Krelaf sprang auf seinen zotteligen Jarif und folgte in einigem Abstand.
"Und dich hat sie schon lange in ihrer Gewalt, Murax", flüsterte er wütend.

Araschna erwachte. Ihr war schlecht, doch taumelnd stand sie auf.
"Wo bin ich?", krächzte sie leise. Sie blickte sich um, als ein Rascheln aus dem Gebüsch sie erschreckte. Wieder dieses seltsame Gefühl... Sie warf sich herum und rannte tiefer in den Wald. Araschnas Kopf war leer, doch der gleichmäßige Rhythmus ihrer Schritte beruhigte sie.

"Hauptmann!" Schiraak sprang von seinem Reittier und deutete auf den Erdboden.
"Hier ist Blut! Nicht viel, aber..."
Murax betrachtete das zertrampelte Gras der Lichtung.
"Wisst ihr, welches Tier solche Spuren hinterlässt?" Verwirrt starrten sie auf die Pfotenabdrucke. Plötzlich rochen die Jarifs etwas und wurden nervös.
"Da! Etwas steckt im Boden!" Murax lenkte sein Tier darauf zu.
"Es ist ein Pfeil. Wir müssen da lang!"

Araschna lief immer weiter. Sie hatte das Gefühl, dass etwas sie verfolgte. Oder nicht mehr?
Sie versuchte sich zu konzentrieren, doch dann musste sie einem niedrighängenden Ast ausweichen.
Oh nein!
Plötzlich war ihr alles klar - Ein seltsames Gefühl, allein im Wald, der niedrige Ast. Sie wusste, dass der Waldbär tot war, aber ihre Vision hatte ihr gezeigt, wovon sie nun verfolgt wurde. Sie dachte an den Pfeil. Wenn wirklich alles so war, wie sie es vorrausgesehen hatte, dürfte sie erstrecht nicht anhalten...
Schon flog der erste Pfeil knapp an ihr vorbei. Araschna überlegte, was sie nun machen könnte, dass der nächste nicht traf. Im Traum war ihr rechtes Bein getroffen worden, also sprang sie nach links.
Verdammt!!
Ich hätte wissen müssen, dass man dem nicht entgehen kann, dachte sie verzweifelt. Araschna war direkt in die Flugbahn des Pfeils gesprungen und ihre Wunde zwang sie, langsamer zu werden. Verzweifelt suchte sie nach einer Waffe. Kein großer Stock lag frei am Boden, den sie als Keule hätte benutzen können.
Ich werde den Haken nach links schlagen, um mein Bein zu schonen, beschloss sie.
Araschna erinnerte sich plötzlich an ihr Messer im Stiefel. Im Laufen bückte sie sich und zog, doch als sie sich wieder aufrichtete, stand der Mann aus dem Gebüsch schräg vor ihr. Er stand links vor ihr! Verzweifelt sprang sie auf ihn zu, das kleine Messer in der Hand, während er sein Schwert vor sich hielt. Der Mensch grinste genau so dreckig wie in ihrem Traum und richtete die Augen auf einen Punkt hinter ihr. Bevor Araschna ahnte, was das bedeutete, erhielt sie einen Schlag auf den Kopf und fiel. Ihr wurde schwarz vor Augen, und das letzte was sie hörte war: "Grässliche Orkbrut!"

Murax beugte sich vor und hob einen Gegenstand aus dem Gebüsch. Er erkannte Araschnas Bogen an der braunroten Musterung.
"Sie hat ihren Bogen verloren. Glaubst du immer noch, sie hat uns verlassen?", stieß Murax Krelaf entgegen. Dieser wandte sich ab und sein Blick glitt über eine weitere Waffe am Boden.
"Ein Wurfmesser!"
Im Vorbeireiten zog Krelaf die Waffe aus der Erde und folgte dem Gang, den ein großes Tier durch abgebrochene Äste gebildet hatte.

Araschna erwachte von bohrendem Kopfschmerz. Sie wollte aufstehen, doch etwas hinderte sie daran. Verwirrt blickte sie sich um. Araschna befand sich auf einer kleinen Lichtung, auf der zwei windschiefe Blockhütten standen. Sie war immer noch im gleichen Wald, das roch sie. Ihre Hände waren auf ihren Rücken gefesselt und ein festes Seil schnürte sie an einen schlanken Baum. Ihr linker Arm schmerzte noch vom Kampf mit dem Bären, aber ihr Bein hatte aufgehört zu bluten.
"Hast ´nen ganz schönen Dickschädel."
Araschna drehte den Kopf und blickte nach oben, was sie sofort wieder bereute, als der Schmerz durch ihren Kopf schoss. Trotzdem hatte sie den Mann erkannt. Er grinste und seine Zähne leuchteten hell im dunklen Bart.
"Was wollt ihr von mir?"
"Verhindern, dass du zu deinem Trupp zurückkehrst und ihn durch den Wald führst. Würde aber eh nicht viel bringen, weil wir alle Orks vor der Siedlung entweder erschlagen oder vertrieben haben."
Araschnas Gesicht zeigte nicht, was sie dachte, aber im Stillen verwünschte sie alle Menschen. Sie stellte ihre nächste Frage: "Und warum lasst ihr mich dann am Leben?"
Der Mensch lehnte lässig am Baum und blickte auf sie herab.
"Wir hatten keinen Grund, dich umzubringen und unsere Siedlung haben wir nur verteidigt. Wir sind keine Mörder..."
Araschna unterbrach den Mann mit einem abfälligen Schnauben. "Sicher nicht. Diebe seid ihr ja auch nicht..."
Der Mann überging ihre Beleidigung.
"Da kommt der Mann, der dir deine Fragen beantworten wird."
Neugierig blickte sie auf. Ein alter Mann kam aus einer der Hütten und überquerte die Lichtung, bis er vor Araschna stand. Er war klein und sein weißes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Sie musste zu ihm aufblicken und schaute in klare graue Augen. Sein Mantel war weit und von tiefem Blau.
"Ah, ich danke dir, Yeman. Du kannst sie jetzt losmachen."
Yeman durchtrennte die Fesseln und als Araschna sich aufrichtete und sich die Handgelenke rieb, stützte er sich wie beiläufig auf sein glänzendes Schwert.
"Mein Name ist Ilm´Morsim."
Araschna schüttelte verwundert den Kopf. "Ein Zauberer..."
Die Silbe Ilm bezeichnete seither die Beherrscher der Geheimen Mächte.
"Araschna, Yeman, lasst uns in meine Hütte gehen."
"Woher..."
Doch der Zauberer ging voran und Yemans Blick veranlasste sie zu gehen. Vielleicht könnte sie jetzt fliehen, aber sie war einfach neugierig, was Ilm´Morsim von ihr wollte.
Sie betraten die kleinere Hütte und der Zauberer entzündete mit einer Handbewegung zwei Kerzen. Er wies Araschna einen Platz an der Längsseite der Hütte zu und setzte sich ihr gegenüber. Yeman ließ sich auf einen Stuhl nahe der Tür nieder.

"Murax! Krelaf!" Schiraak lenkte seinen Jarif auf die Lichtung. "Seht euch diesen Bären an! Der ist bestimmt vier Meter groß!"
Murax wurde unruhig und trieb sein Jarif an. Die drei Orks sprangen von ihren Reittieren und bestaunten den Waldbären. Vorsichtig näherten sie sich ihm und drehten ihn mit vereinten Kräften auf den Rücken. Murax zog das Wurfmesser aus der Brust des Bären.
"Saubere Arbeit, Araschna", murmelte er.
Krelaf blickte sich um. Er hob einen Gegenstand aus der Nähe auf und brachte ihn Murax.
"Hier. Ich glaube, das ist ihr Säbel."
Murax nickte ihm dankbar zu und steckte die Waffe an seinen Gürtel. Mit den Augen verfolgte er eine Spur, die über niedergedrücktes Gras führte und mit abgebrochenen Ästen im Wald fortgesetzt wurde. Er dachte an Araschna und die Waffen, die ihr so allein im Wald noch blieben. Eigentlich keine, von denen er wusste...
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: In ihrem Traum war dasselbe geschehen - allein, ohne Waffen im Wald. Und wenn sie jetzt schon weiter war, könnte sie auch schon auf die Menschen gestoßen sein.
Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, als er daran dachte, was ihr passieren könnte.
Er sprang auf sein Jarif und trieb es wieder in den Wald.
"Schnell!"
Zum ersten Mal in seinen Leben fürchtete Murax sich.

"Ich will endlich wissen, warum ich hier bin!"
Araschna starrte Ilm´Morsim herausfordernd an. Er tat, als bemerke er ihre Wut nicht und sprach ruhig.
"Wenn du deiner Vision gefolgt bist, musst du dich nicht wundern, wenn du an einem völlig unerwarteten Ort wieder auftauchst. Das musst du einfach noch üben..."
Verwirrt unterbrach Araschna ihn. "Was... Wie hast du davon erfahren? Das kann nicht... Ich..."
Sprachlos sackte sie auf ihrem Stuhl zusammen.
"Immer mit der Ruhe. Ich werde dir alles erklären."
Der Zauberer lehnte sich leicht vor und Araschna blickte erwartungsvoll auf.
"Vor sechs Monden fand ein geheimes Treffen statt. Nur die Beherrscher der Geheimen Mächte waren anwesend. Wir besprachen weitreichende Probleme, die euch noch nicht zu interessieren haben."
Yeman beugte sich vor; auch er schien die Geschichte noch nicht zu kennen.
"Wir kamen auf nur eine mögliche Lösung. Also schlug Ilm´Renai vor, Träume auszuschicken."
Die Orkfrau hatte aufgehört, sich zu wundern. Schweigend nahm sie den Namen des ihr bekannten Zauberers auf, ohne zu zeigen, dass sie ihn kannte. Sie glaubte sowieso nicht, dass Ilm´Morsim es nicht wusste.
"Die Beschwörungen von Träumen - oder auch Visionen - erfordert viel Zeit und Kraft. Erst vor zwei Tagen gelang es mir, einen loszuschicken. Er enthielt eine Beschreibung, wie der Träumer zu mir gelangen kann. Allerdings sind Träume sehr eigenwillig; sie suchen sich ihre Schläfer selbst aus und stimmen sich auf ihn ein. Das war auch unser Plan. Die Zauberer und Hexen hofften, dass viele unterschiedliche Wesen erreicht werden würden.
Nun, bei dir ist der Anfang gemacht worden, Araschna. Es ist nun bewiesen, dass in allen Völkern Wesen mit zumindest begrenzten magischen Fähigkeiten auftreten. Eine wichtige Gemeinsamkeit. Es ist ein so überwältigender Gedanke, dass es sich vielleicht nicht nur aufs Träumen beschränkt. Ich..."
Araschna unterbrach ihn: "Ja, aber warum das alles? Ich erkenne keinen Sinn dahinter."
Ilm´Morsim schüttelte den Kopf. "Aber ist das denn nicht offensichtlich, Araschna?
Wir verfolgen das Ziel, die Kriege zu beenden und die Völker zu einen.
Und mit dir und wenigen Auserwählten wird es beginnen."

Besorgt blickte Murax auf die abgeknickten Zweige. Araschna war vorsichtig. Niemals hätte sie solche Spuren hinterlassen. Ein Busch war total zertrampelt, der Boden war aufgewühlt und dann wusste er plötzlich nicht mehr weiter. Die Spur wurde undeutlicher. Sein Jarif bleckte die Zähne und fauchte leise. Er schnupperte und sprang dann vorwärts.
Murax überlegte. Jarifs verhielten sich sonst nur so, wenn sie Menschen witterten. Sein Tier lief auf einem Pfad, den der Ork alleine nie gesehen hätte.
Leise zog er seinen Säbel und trieb seine Gefährten zur Eile.

"Aber du musst uns helfen! Erkennst du denn nicht, was für eine Gelegenheit das ist?"
Yeman war aufgesprungen. Er war überwältigt von dem Plan. Der Krieg hätte ein Ende, und er könnte endlich heimkehren.
"Nein!" Araschna war aufgesprungen und hatte ihren Stuhl umgeworfen. "Ich kann und will euch nicht helfen! Wenn wir nicht mehr kämpfen dürfen, wer verhindert dann, dass die Menschen sich auf unserem Land verbreiten?!"
"Araschna, dahin ist es ein weiter Weg. Man wird Verträge aufsetzen, alles regeln, ein gemeinsamer Rat aus allen Völkern würde..."
Ilm´Morsims Augen leuchteten bei den Gedanken an seine neue Welt.
"Das würde nicht funktionieren! Nie! Wir sind alle zu verschieden! Es..."
"Araschna, beruhige dich!" Ilm´Morsim setzte sich gerade auf seinen Stuhl. Das Leuchten in seinen Augen erlosch, doch er sah, dass er sie nicht zwingen konnte. Er musste einen anderen Weg finden. Langsam sprach er: "Ich habe dich um einen Gefallen gebeten, und wenn du mir nicht helfen möchtest, darfst du gehen. Vielleicht hätte ich dich damit nicht so überraschen dürfen..."
Araschna wandte sich vom Blick der stechend grauen Augen ab.
In der ganzen Hütte war es still. So still, dass sie deutlich die Geräusche von außerhalb hören konnten.
Eine raue Stimme rief: "Nein! Lasst uns! Wir wissen, dass sie hier is! Was..."
Araschna rannte zur Tür und lief hinaus auf die Lichtung, bevor der entsetzete Yeman sie aufhalten konnte.
"Murax!"
"Araschna!"
Er wandte sich um und wollte zu ihr gehen, wurde jedoch von einer Gruppe bewaffneter Menschen aufgehalten, die einen Kreis um die drei Orks bildeten.
Araschna erblickte Murax, Schiraak und Krelaf und war zutiefst dankbar.
Yeman stellte sich neben sie und brüllte mit befehlsgewohnter Stimme zu den Orks hinüber: "Was wollt ihr hier?"
Murax starrte ihn an. Langsam ließ er sich zu einer Antwort herab.
"Wir woll´n unsere Fährtenleserin zurück."
"Schade. Sie ist nämlich unsere Gefangene."
Wütend starrte Murax den Menschen an, doch Araschna schüttelte wild den Kopf und hieb zur Bekräftigung Yeman den Ellenbogen in den Magen. Er krümmte sich und seine Männer zielten mit ihren Bögen auf die Orks, die kampfbereit einen Schritt vorwärts gemacht hatte, nun aber wütend stehen blieben.
"Ihr könnt nicht gewinnen", keuchte Yeman, "genau wie die anderen, die sich um unsere Siedlung versammelt hatten." Er grinste siegesgewiss.
Araschna drehte sich um und rief Ilm´Morsim zu: "Gib den Menschen den Befehl, sie freizulassen. Sie wollen mich mitnehmen und ich werde ihnen folgen, weil ich euch nicht helfen werde."
Der Zauberer sah die anderen Orks lange an und sein Blick ruhte länger auf Murax und auf Krelaf. Der kleine Ork war irgendwie - er konnte es nicht genau sagen. Dann nickte er langsam und sprach nachdenklich: "Nun gut, aber du musst ihnen erklären, warum du hier bist. Das ist meine Bedingung."
Ausdruckslos stütze er sich auf einen großen Stock, von dem Araschna schwören könnte, er hatte ihn vorher nicht gehabt. Sie überlegte schnell, aber sie sah keinen Haken an seiner Forderung. Allerdings wollte sie nicht ohne weiteres nachgeben und knurrte: "Zuerst lass sie frei!"
Der Zauberer nickte Yeman zu, der wiederum seinen Männern einen Wink gab. Die Menschen zogen sich zurück, blieben aber in der Nähe und hielten ihre Waffen bereit.
Die Orks sahen keinen Grund, anders zu verfahren und Murax trat auf Araschna zu. Er blickte sie eine kurze Weile an und fragte dann: "Also, was war?"
Sie zögerte nicht und sprach mit lauter Stimme.
"Die Zauberer hatten beschlossen, aus allen Völkern Magiebegabte zu finden. Sie wollten die Völker einen und die Kriege beenden. Mein Traum hat mir den Weg gewiesen, und ich sollte sie unterstützen. Ich habe abgelehnt."
Murax sah sie nachdenklich an. "Lasst uns gehen."
Er nickte den Menschen spöttisch zu. "Habt Dank für eure Gastfreundschaft..."
Schiraak reichte Araschna die Zügel ihres Jarifs und die vier Orks ritten in den Wald.
"Und nun?" Yeman senkte den Kopf. "Wenn schon die erste uns die Hilfe verweigert, wie soll es dann weitergehen? Orks!" Er verzog das Gesicht. Ilm´Morsim lächelte.
"Keine Sorge, Yeman. Sie reitet nicht alleine und bis zu ihrem Lager ist es ein weiter Weg. Lass uns ihnen leise folgen."

Die vier Orks ritten leise und schnell. Murax führte, Araschna folgte und Krelaf bildete den Schluss. Er war in seine Gedanken versunken und beobachtete Araschna immer wieder verstohlen.
Schließlich sprach Murax seine Gedanken aus.
"Meinst du, sein Plan wär aufgegangen?"
"Nicht innerhalb weniger Jahre. Der Zorn ist unter den Völkern zu weit verbreitet."
Murax nickte gedankenverloren.
"Vielleicht wär Frieden gar nicht so schlecht. Für unsre Kinder..."
"Was hast du gesagt?"
"Ähh, nichts..." Murax schwieg wieder.
Krelaf aber hatte ihn verstanden. Frieden? Ein Ork musste kämpfen! Seine Wut auf Murax wurde immer stärker und er umklammerte die Zügel seines Jarifs. Was hatten sie gesagt? Araschna hat magische Fähigkeiten? Sie war nicht so, wie ein Ork sein musste!
Er biss die Zähne zusammen, starrte nach vorne.
Es herrschte Schweigen, bis sie die Lichtung ereichten, auf der der Waldbär lag. Kein Tier war mutig genug gewesen, sich selbst nach seinem Tod ein Stück Fleisch vom mächtigen Waldbewohner zu holen.
Die Orks stiegen ab und Araschna betrachtete das Tier nun mit Stolz.
"Ich hab auf den Moment gewartet. Du solltest jetzt deine Waffen wiederbekommen."
Murax grinste, doch Araschna dachte überrascht daran, dass sie sie gar nicht vermisst hatte.
Schiraak beugte sich über den Bären und wollte die Eckzähne aus dem Kiefer brechen, um sie später Araschna zu übergeben. Krelaf stand seltsam teilnahmslos daneben und suchte etwas an seinem Gürtel.
Murax gab der Orkfrau erst ihren Bogen und dann ihren Säbel zurück. Sie dankte ihm mit einer leichten Verbeugung.
"Ich hab ´nen bisschen nachgedacht..."
Araschna konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wurde jedoch sofort wieder ernst, als sie den prachtvollen Dolch sah, den er aus seinem Gürtel zog. Er nahm ihn in die rechte Hand und schlitzte sich blitzschnell in die linke Handfläche. Dann hielt er ihr den Dolch entgegen und die Luft an. Wenn sie ihn jetzt nahm... Sie schaute ihm noch einmal in die Augen und war sich sicher. Sie nahm den Dolch und machte ihm das uralte Ritual nach. Dann nahm er ihre linke Hand in seine und ihr Blut vermischte sich.
Araschna und Murax waren nun Gefährten fürs Leben.

"Nein!" Krelaf jaulte auf. "Diese Hexe wird unsere alte Ordnung zerstören! Von Anfang an habe ich es gewusst! Sie hat sich mit dem Zauberer verbündet und dich verzaubert! Du warst schwach, Murax, aber ich werde dir helfen! Ich werde..."
Der kleine Ork rollte wild mit den Augen. Dann blitzte etwas in seiner Hand auf und er holte aus. Schiraak sah es und sprang, doch er war zu weit entfernt. Murax und Araschna waren wie erstarrt, als Krelaf ein Messer warf. Einen Augenblick später bohrte es sich durch Araschnas Hemd in ihren Bauch. Voller Schrecken erkannte sie ihr eigenes Wurfmesser, das Krelaf neben dem Bären gefunden haben musste. Dann ging sie zu Boden. Murax schrie vor Wut auf und zog seinen Säbel. Er brüllte Schiraak zu: "Hilf ihr!", und rannte auf Krelaf zu. Schiraak besah sich die Situation, fasste einen Entschluss und verschwand im Wald.
Murax stand vor Krelaf und fand keine Worte. Der kleine Ork schrie: "Erkennst du denn nicht, dass ich dir geholfen habe?! Sie war nicht wie wir! Sie wollte sich mit einem Zauberer verbünden! Sie musste beseitigt werden, wie der Abfall, der sie ist!" Er lachte irr.
Murax zögerte nicht länger und schlug ihm mit einem Hieb den Kopf ab. Er schrie seine Wut und Trauer heraus und warf dann angeekelt das Schwert fort. Sofort war er wieder an der Seite seiner Gefährtin.
"Wo is Schiraak, dieser dreckige, kleine Wurm?"
Araschna verzog ihr schweißnasses Gesicht zu einen schiefen Grinsen. "Keine Ahnung..."
"Still!"
Aber sie hörte nicht auf ihn. "Wäre ja auch zu... schön... gewesen, wenn... wir einmal unsere Ruhe gehabt hätten... Schade für unsere... Kinder..."
"Nein, nein..."
"Murax..."
Er hörte nicht mehr hin. Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er wollte allein sein und knurrte warnend, blickte jedoch auf und erkannte Schiraak.
"Du! Wär wohl besser gewesen, wenn du nich wieder gekommen wärst..."
Doch dann stutze er, als er hinter dem Ork Ilm´Morsim und Yeman stehen sah.
"Was...?"
Schweigend kniete sich der Zauberer neben die Orkfrau, die mittlerweile die Augen geschlossen hatte.
"Noch ist Zeit...", murmelte er.
Er zog ein weißes Tuch aus seinem Ärmel. Vorsichtig nahm er das Wurfmesser und zog es heraus. Araschna wandte sich und schrie leise. Der Zauberer presste das Tuch auf die Wunde und schloss die Augen. Er konzentrierte sich und Schweiß trat auf seine Stirn. Ilm´Morsim bewegte stumm die Lippen und Murax konnte nun ein sanftes rotes Leuchten erkennen, das von der schmalen Hand des Zauberers ausging.
Die Zeit zog dahin. Schließlich stand Ilm´Morsim torkelnd auf und stützte sich auf Yeman. Araschna schlief nun ruhig.
Yeman baute ein kleines Zelt auf, das er immer bei sich trug, dann entzündete er ein Lagerfeuer. Murax schickte Schiraak zurück zum Lager und zu Nuron, um ihn über die veränderte Lage aufzuklären. Er selber setzte sich zu Araschna.
Mitten in der Nacht wachte sie auf vom Geruch eines gebratenen Waldbären. Hungrig richtete sie sich auf, fuhr dann aber wieder zurück, als der Schmerz sie an ihre Verletzung erinnerte.
Erleichtert betrachtete Ilm´Morsim sie.
"Ich bin kein ausgebildeter Heiler, aber du wirst es überleben."
Er lächelte und schaute sie erwartungsvoll an. Murax stütze sie und sie blickte Ilm´Morsim tief in die Augen.
"Verflucht sollst du sein, Zauberer."
Murax starrte sie entsetzt an, doch der Zauberer lächelte immer noch. Die Orkfrau schüttelte ungläubig den Kopf.
"Jetzt hast du es also doch noch geschafft..."
Erwartungsvoll blickte er sie an und sie seufzte.
"Ja, ich verdanke dir mein Leben, Ilm´Morsim. Und... ich werde dir helfen, deinen schwachsinnigen Plan durchzusetzten. Ich hoffe, du bist nun glücklich."
Erleichtert lehnte sie sich an Murax. Vorsichtig legte er ihr eine Kette um, an der ein Zahn hing.
"Ein Geschenk von Schiraak anlässlich zu unserem Gefährtensein."
Sie lächelte und schwor sich, die Mission so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um mit erfreulicheren Dingen zu beginnen.
Und ihr Gefährte dachte das gleiche.
 

© Talea
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