.
Ein Stockwerk höher hatten die Gefährten
inzwischen Wirdnix erreicht, der auf eine Tür in einem Säulengang
zeigte.
"Da drin ist ein Troll und ein Mensch, der
das Wort Elfen erwähnte", brachte er, inzwischen wieder zu Atem gekommen,
hervor. Die Gefährten musterten skeptisch die Tür. Ein großer,
jetzt zurückgeschobener Riegel befand sich an der Außenseite.
"Sieht aus wie eine Gefängnistür", bemerkte Tom.
"Das würde erklären, warum sie bewacht
wurde", sinnierte Gart.
"Bekanntlich sind Verliese immer im Keller.
Vielleicht sollten wir nachsehen", schlug Meister Reno vi´Eren vor.
Die Gefährten nickten zustimmend. Tom wollte sofort losstürmen,
doch Myrana hielt ihn zurück.
"Moment, hast du nicht zugehört? Da unten
ist mindestens ein Troll. Willst du dem mit deinem Zahnstocher entgegentreten?"
Tom musterte zweifelnd sein Rapier, worauf Baumbatz ihm seine Keule hinhielt.
"Nimm lieber das."
Tom betrachtete die riesige Keule, die vor
seinem Gesicht schwebte.
"Okay, okay", gab er nach. "Wer soll dann
vorgehen? Baumbatz?"
"Nein, Gart und ich. Ich habe meinen Bogen
und Gart seine Wurfaxt. Das sind effizientere Waffen."
"Ich habe auch einen Bogen", meuterte Tom.
"Nur du kannst damit nicht umgehen", stellte
Gart nüchtern fest. Tom war beleidigt, doch Myrana ließ sich
nicht erweichen. Entschlossen begab sie sich zur Tür hinüber,
die sich zu ihrer Überraschung leicht und geräuschlos öffnen
ließ. Etwas Licht fiel nach draußen und warf tanzende Schatten
auf die Wände des Gangs. Vorsichtig schlüpften sie hinein. Ein
modriger Geruch lag in der Luft und von unten ertönte Stimmengemurmel
zu ihnen herauf.
"Da sind mehrere unten", flüsterte Gart,
der die Axt griffbereit hielt und die Treppe nicht aus den Augen ließ.
Das flackernde Licht spiegelte sich auf der blanken Klinge.
"Laß mich vorgehen. Ich kann mich leiser
bewegen", hauchte Myrana. Gart nickte nach kurzem Zögern. Es gefiel
ihm zwar nicht, in einem Kampfeinsatz einer Frau die Führung zu überlassen,
aber er beugte sich der Logik, die in den Worten Myranas lagen. Nach dem
das geklärt war, schlichen die Gefährten im Abstand von einem
Meter leise die gewundene Treppe hinab. Wirdnix, nun wieder die Nachhut,
zog die Tür hinter ihnen zu.
Der Streit zwischen Jim und Keule war in vollem
Gange. Der Troll wollte einfach nicht einsehen, wieso Jim die Elfin anstatt
eines Schlüssels brauchte, um an das Gold zu gelangen. Das kam den
Gefährten zugute; denn so konnten sie sich unbemerkt nähern.
Jim raufte sich gerade verzweifelt die Haare, als eine eiskalte Stimme
ihm dieselben zu Berge stehen ließ.
"Keine Bewegung! Der erste, der sich rührt,
wird Schnapperfutter!"
Mit diesen Worten traten Gart und Myrana in
den Lichtschein einer flackernden Fackel, die hier unten an der Wand hing.
"Myrana", riefen diverse Elfen begeistert, als sie durch die Gitterstäbe
der Zellentür erkannten, wer den Kellerraum betreten hatte. Jim keuchte
entsetzt. Das sah nach keiner positiven Entwicklung aus. Irgendwie hatten
sie eine Elfin übersehen, und die schien jetzt ausgesprochen schlechte
Laune zu haben. Der große Ebenholzbogen war bis zum Zerreißen
gespannt und der Pfeil mit der häßlichen Widerhakenspitze zeigte,
ohne im geringsten zu wackeln, auf Jims Magen. Nein, das sah gar nicht
gut aus. Auch Keule war vor Überraschung wie erstarrt. Er hatte
noch nie einen Zwerg gesehen, aber schon eine Menge über sie gehört.
Als er nun die erhobene Wurfaxt in der Hand des grimmigen Winzlings entdeckte,
erinnerte er sich mit Grausen daran, was man ihm über die Fähigkeiten
der Zwerge erzählt hatte. Da er nicht pensionsberechtigt war und schon
lange keinen Sold mehr gesehen hatte, stellte er vorsichtshalber sämtliche
überflüssigen Bewegungen ein. Zu Jims Entsetzen kamen noch mehr
Personen die Treppe hinunter, so dass es in dem feuchten Kellerloch allmählich
unangenehm eng wurde. "Baumbatz", erklang es begeistert, als der Troll
erschien. Jim war verzweifelt. Hier fand anscheinend ein Familientreffen
statt.
"Nimm die Pistole vorsichtig mit zwei Fingern
aus dem Gürtel und wirf sie auf den Boden!"
Jim zuckte zusammen, als habe man ihm einen
Schlag versetzt, so dass Myrana beinahe die Sehne losgelassen und ihn erschossen
hätte. Fassungslos starrte er den kräftigen jungen Mann an, der
das gesagt hatte. Das schien jemand aus seiner Heimat zu sein. Jim war
geschockt. In Gedanken betrachtete er die Welt schon wieder durch ein paar
solide Eisenstangen.
"Wie habt ihr mich gefunden?", brachte er
mühsam hervor.
"Dirty Harry hat geholfen", sagte Tom und
zeigte auf Wirdnix. Der warf sich stolz in die Brust, obwohl er mit Dirty
Harry wenig anfangen konnte.
"Wer ist das denn? Eine Spezialeinheit?" Jim
sah den kleinen Gnom fassungslos an. Der grinste unverschämt.
"So ähnlich", winkte Tom ab. "Deine Pistole,
oder soll Myrana dich durchlöchern?"
"Lange kann ich den Bogen nicht mehr spannen."
Der Pfeil zitterte plötzlich, und Jim wurde blaß. Er beeilte
sich, der Aufforderung nachzukommen. Mit einem Scheppern fiel die Waffe
auf den Boden. Jim kickte sie mit dem Fuß zu den Gefährten rüber.
Wirdnix hob sie auf und schaute neugierig in den Lauf.
"An deiner Stelle würde ich das lassen.
Das kann ins Auge gehen", sagte Tom und nahm dem Gnom die Waffe ab. Myrana
wurde ungeduldig.
"Den Schlüssel, schnell!", herrschte
sie den immer noch verblüfften Jim an.
"Den hat Keule." Der wedelte vorsichtig mit
dem Schlüssel.
"Aufschließen", befahl Gart. Der Troll
ging schnell zu der Zellentür hinüber, wobei er seine Keule schweren
Herzens zuvor auf den Boden gelegt hatte. Gart folgte ihm vorsichtig, die
Axt immer noch zum Wurf erhoben. Myrana hingegen entspannte den Bogen ein
wenig, nahm den Pfeil jedoch nicht von der Sehne. Doch Jim war viel zu
erschrocken, um irgendetwas zu unternehmen. Seine Augen glitten hastig
über die bunt zusammengewürfelte Truppe, die ihm gegenüberstand,
während die Gedanken hinter seiner Stirn hin und her rasten und verzweifelt
nach einem Ausweg suchten. Zumindest hatte er hier kein Spezialkommando
aus seiner Heimat vor sich. Ob ihm das allerdings etwas nützen würde,
bezweifelte er. Sein Blick blieb auf einem älteren Mann hängen,
der ihn frappant an einen alternden Hippy erinnerte. Die Hand des Hippys
legte sich schwer auf die Schulter des jungen Mannes, der offenbar aus
Jims Heimat kam.
"Jetzt habt ihr tatsächlich jemanden
aus eurer Welt gefunden", sagte Meister Reno vi´Eren beeindruckt.
"Hoffentlich kann er euch auch helfen, zurückzukehren."
"Ich soll ihm helfen?" Jim lachte hysterisch.
"Ich bin selbst hier gestrandet. Ich dachte, du wärst gekommen, um
mich zu verhaften und zurückzubringen. Ich fürchte, wenn
du Hilfe suchst, bist du bei mir an der falschen Adresse."
"Das werden wir ja noch sehen", sagte Tom
enttäuscht. Inzwischen hatte Keule die Zellentür aufgeschlossen,
und die Elfen drängten nach draußen. Freudig begrüßten
sie Baumbatz und Myrana, allerdings ohne ihre Schußposition zu beeinträchtigen.
Myrana stellte ihnen kurz die Gefährten vor. "Draußen wartet
noch einer. Also los jetzt, wir müssen hier weg, bevor wir entdeckt
werden", drängte Meister Reno vi´Eren.
"Wie ist euer Plan?", fragte die Tochter des
Waldfürsten, die von unglaublicher Anmut war. Ihr Blick streifte gelegentlich
Jim, und die Art, wie sie ihn dabei ansah, behagte diesem überhaupt
nicht. Selbst die Schatten an den Wänden schienen bei diesen
Gelegenheiten plötzlich zuckende, makabre Tänze aufzuführen,
die Jim unangenehm an das Zappeln von Gehenkten erinnerte. Auf der anderen
Seite fragte Jim sich zurecht, wie seine ehemaligen Gefangenen seiner Mannschaft
entkommen wollten. In der Bucht lagen zwei schnelle Segler, die sofort
die Verfolgung aufnehmen würden, vorausgesetzt, sie würden es
überhaupt schaffen, sich mit einem eigenen Schiff abzusetzen.
"Wir kapern ihre Schiffe", erklärte Tom
mit einem dreisten Grinsen, als hätte er Jims Gedanken erraten, worauf
das Gesicht des Piratenkapitäns einen Ausdruck annahm, als habe er
gerade auf eine besonders saure Zitrone gebissen.
"Aber wie kommen wir an Bord?", fragte einer
der männlichen Elfen zweifelnd. "Die Wache wird Alarm schlagen, lange,
bevor wir in die Nähe der Schiffe gekommen sind."
"Nicht, wenn wir die richtige Eintrittskarte
dabei haben", sagte Tom. Dann erklärte er ihnen, was ihm soeben in
den Sinn gekommen war. Ursprünglich hatten sie ja vorgehabt, nur ein
Schiff einzunehmen und damit möglichst schnell abzuhauen. Mit dem
Kapitän in ihrer Hand boten sich jedoch erheblich vielversprechendere
Möglichkeiten.
"Nicht schlecht", lobte Meister Reno vi´Eren.
"Und was wird mit dem hier?", fragte Gart
und sah Keule auf eine Weise an, die diesem gar nicht behagte.
"Sperrt ihn in die Zelle", befahl Meister
Reno vi´Eren. Baumbatz schob den Troll daraufhin unter den wachsamen
Augen Garts in die nun leere Zelle.
"Aber der wird doch Alarm schlagen, sobald
wir hier heraus sind", wandte die Tochter des Waldfürsten ein.
"Dong"
Alle fuhren erschrocken zusammen.
"Wird er nicht", sagte Gart lakonisch und
sah zu Baumbatz hinüber, der betrübt seine zerbrochene Keule
begutachtete.
"Kaputt", sagte er traurig. Vor ihm lag, alle
Viere von sich gestreckt, der Troll, der für die nächste Zeit
jedes Interesse an seiner Umwelt verloren hatte. Nachdem sich dieses Problem
auf so erfreuliche Weise erledigt hatte, waren alle bereit, den wenig gastlichen
Ort zu verlassen. Da die Gefährten den Weg kannten, gingen sie voran.
Die Spitze bildeten Gart, Tom, Myrana, Baumbatz und Kapitän Jim, der
als Eintrittskarte den Weg zu den Schiffen freimachen sollte. Myranas spitzes
Wurfmesser im Kreuz sorgte für die nötige Kooperationsbereitschaft.
"Du würdest einen guten Motivationstrainer
abgeben", sagte Tom, der amüsiert beobachtete, wie ängstlich
sein Landsmann sich bemühte, es der Elfin recht zu machen.
"Danke, ich gebe mir Mühe."
"Das testiere ich jederzeit", stöhnte
Jim, dem die Elfin gerade wieder einen kräftigen Stoß verpaßt
hatte, damit er sich schneller die Treppe hinauf bewegte. Baumbatz folgte
dicht auf. Er trug die Keule des Wachtrolls und hatte sich auch seine Wachuniform
übergeworfen, um eventuell auftauchende Piraten zu täuschen,
bevor diese Bekanntschaft mit seiner neuen Errungenschaft machen würden.
Gerne hätte er sie zuvor an Jim einem Belastungstest unterzogen, aber
die anderen hatten ihm erklärt, dass ein bewußtloser und verbeulter
Kapitän wenig überzeugend wirken würde, wenn sie auf das
Schiff gelangen wollten. Den Schluß bildeten Meister Reno vi´Eren
und Wirdnix, der wieder das Zauberbuch schleppen durfte, dann folgten die
befreiten Elfen. Oben angekommen, öffnete Gart vorsichtig die Tür.
Nichts geschah. Noch immer lag der Burghof verlassen im blassen Licht des
Mondes, der sich immer mehr durch die Wolkendecke kämpfte.
"Alles klar", informierte er die anderen.
"Wir gehen vor. Wenn ich kurz pfeife, führt ihr die Elfen zum Burgtor."
"Verstanden", antwortete Meister Reno vi´Eren.
"Und seid ja leise", ermahnte Baumbatz die
Freunde.
"Paß du lieber auf deine Füße
auf", knurrte Wirdnix, der sich noch gut an die anmutige Art erinnern konnte,
mit der der Troll durch den Wald auf der Klippe geschlichen war.
Das Ökosystem würde wahrscheinlich einige Jahre brauchen, um
sich davon zu erholen.
Die vier Gefährten, mit Jim im Schlepptau,
hasteten eilig zum Burgtor hinüber. Entgegen aller Erwartungen, wurden
sie nicht bemerkt. Jim überraschte das weniger. Er wußte, dass
sich seine wackeren Piraten abends regelmäßig den Kanal zuschütteten
und entsprechend wenig davon mitbekamen, was bis zum Morgen so um sie herum
passierte. Diese unfähigen Idioten würden nicht mal merken,
wenn die ganze verflixte Elfenbande eine Party in ihrem Schlafsaal abhalten
würde, fluchte er still vor sich hin. Nachdem sie also ohne Schwierigkeiten
das Tor erreicht hatten, pfiff der Zwerg einmal leise, und der Rest des
Flüchtlingskonvois setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit später
duckten sich alle im Schatten der Burgmauer und beobachteten die beiden
Schiffe, die weiter unten im Hafen vor sich hin dümpelten. Dean stieß
erleichtert zu ihnen. Während seines Wachgangs war nichts passiert.
Jetzt brannte er darauf zu erfahren, was die Freunde erlebt hatten. Neugierig
betrachtete er Jim. Tom erzählte ihm kurz, was er in Erfahrung gebracht
hatte. Auch Dean war enttäuscht, dass Jim angeblich den Weg zurück
nicht kannte. Doch sie hatten keine Zeit, sich mit diesem Problem näher
auseinandersetzen. Jetzt gab es vordringlichere Dinge zu erledigen. Dank
Myranas leidenschaftslosem Einsatz für die Sache, hatte Jim ihnen
gerne bestätigt, dass sich an Bord tatsächlich nur jeweils eine
Wache befand. Das Problem war nur, dass die Schiffe wegen des flachen Wassers
in dem natürlichen Hafenbecken nicht an dem behelfsmäßigen
Steg, sondern weiter draußen im tiefen Wasser ankerten. Ein einzelnes
Ruderboot, das mit einer langen Leine an einem Pfosten des Stegs befestigt
war, bot die einzige Möglichkeit, zu den Schiffen zu gelangen. Es
sei denn, man wollte schwimmen, was mit Waffen allerdings schwierig werden
dürfte. Tom erklärte ihnen den Plan.
- 6 -
Der Pirat an Bord des der Küste am nächsten
liegenden Schiffes war ausgesprochen schlechter Laune. Die halbe Nacht
hatte es schon geregnet, was die Wachrunden nicht eben zu einem Vergnügen
gemacht hatte. Wenn man ihn gefragt hätte, was er von der Notwendigkeit
des Wacheschiebens hielte, wäre die Antwort ziemlich drastisch ausgefallen.
Leider teilte der Kapitän seine Ansicht nicht, und dann gab es da
ja auch noch Keule, der Querulanten in der Wache gar nicht leiden konnte.
Es war schon ein Kreuz. Plötzlich bemerkte er etwas Ungewöhnliches.
Jemand hatte das Ruderboot losgebunden und nahm Kurs auf die Schiffe. Der
Pirat war irritiert. Soweit er erkennen konnte, stand Kapitän Jim
vorne im Bug. Dicht hinter ihm schien eine der Wachen zu stehen, und zu
seinem Entsetzen war auch Keule mit von der Partie. "Na das fehlt mir noch",
seufzte er und ließ die Strickleiter über Bord. Eine Inspektion
durch Keule war das Letzte, was er heute noch gebrauchen konnte.
Verzweifelt überlegte Jim inzwischen,
wie er aus dieser Situation wieder herauskommen könnte. Doch ihm fiel
beim besten Willen nichts ein. Dicht hinter ihm stand Tom und wurde nicht
müde, ihm Myranas Messer in den Rücken zu bohren. "Mach ja keinen
Unsinn", drohte er. "Baumbatz freut sich schon darauf, seine neue Keule
auszuprobieren."
Jim schwitzte. Er mußte jetzt dringend
etwas unternehmen. Aufmerksam beobachtete er das näher kommende Schiff
in der Hoffnung, der dortige Wächter möge die Farce erkennen
und Alarm schlagen. Doch der stand nur stramm an der Reling und schien
überhaupt nichts zu bemerken.
"Ahoi Kapitän", rief er, als das Schiff
auf Rufweite herangekommen war. "Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?"
Die Klinge bohrte sich unangenehm in Jims
Rücken.
"Routineinspektion", brachte er mühsam
hervor, während er sein Gesicht zu allerlei Grimassen verzog und mit
den Augen rollte, um der Wache zu signalisieren, dass etwas nicht stimmte.
Doch der Pirat kratzte sich beim Anblick dieses seltsamen Schauspiels nur
verwirrt am Kopf.
Voll wie eine Haubitze, dachte er.
Das kann ja heiter werden.
Auch der Wächter auf dem zweiten Schiff
hatte bemerkt, dass der Kapitän im Anmarsch war. Dankbar, dass er
sich nicht sein Schiff ausgesucht hatte, versuchte er, sich möglichst
unsichtbar zu machen. Bloß nicht auffallen lautete das Motto, vor
allem, wenn Keule in der Nähe war.
Das Boot hatte zwischenzeitlich an dem Schiff
festgemacht. Von ihrem Versteck aus beobachteten die Zurückgebliebenen
aufmerksam das Geschehen. Myrana hatte ihren Bogen abgenommen und einen
Pfeil eingelegt, obwohl sie wußte, dass sie auf diese Distanz niemals
treffen würde, aber es beruhigte ihre Nerven.
"Wenn sie ihm etwas antun, bringe ich diese
Ratten eigenhändig um", flüsterte sie leise. Gart, der sehr gute
Ohren besaß, hatte das gehört.
"Ihm?", fragte er neugierig. Myrana schaute
ihn abweisend an.
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst."
Dann drehte sie demonstrativ den Kopf weg, um dem Geschehen weiter folgen
zu können.
Interessant, dachte Gart. Wer wohl
"ihm" ist? Irgendwie glaubte er nicht, dass die Elfin sich um Baumbatz
sorgte. Da mußte man sich schon eher Sorgen um die armen Wächter
machen. Er schüttelte den Kopf. "Beim bartlosen Zwerg, als wenn das
alles nicht schon schwierig genug wäre", seufzte er leise.
An Bord des Schiffes registrierte die Wache
unangenehm berührt, dass der vermeintliche Keule als erster die Leiter
hochkletterte. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen.
"Scheint schlechte Laune zu haben", stellte
die Wache besorgt fest. Während Baumbatz in akrobatischer Bestleistung
die filigrane Strickleiter emporkletterte und der Schwerkraft trotzte,
brach Dean und Tom der Angstschweiß aus. Dies war der riskanteste
Moment des ganzen Manövers. Sollte die Wache die Täuschung bemerken,
würde ein lauter Ausruf genügen, und der Wächter des zweiten
Schiffes hätte alle Zeit der Welt, um seine Kameraden auf der Burg
aus dem Schlaf zu reißen.
Die an Land Wartenden beobachteten ebenfalls
gebannt das Schauspiel. Wirdnix dachte mit Entsetzen an die Ungeschicklichkeit
des Trolls. "Der fällt noch von der Leiter und versenkt das Boot und
dann gute Nacht du schöne Großmutter", flüsterte er, während
er ängstlich an seinen Fingernägeln knabberte. Auf diese Entfernung
sahen Baumbatz Kletterbemühungen in der Tat noch gewagter aus, als
aus der Bootsperspektive. Nervös schärfte Gart seine Axt. Auch
Meister Reno vi´Eren schien hinsichtlich des Erfolges des Unternehmens
seine Zweifel zu haben. Emsig las er in dem Kapitel "Wie werde ich unsichtbar".
Der Rest der Elfen hielt vor Aufregung die Luft an. Fast konnte man die
Spannung, die in der Luft lag, mit den Händen greifen.
Endlich war Baumbatz oben angekommen und kletterte
über die Reling. Zufrieden stellte er fest, dass sich auch diese Wache
im Troll irrte. Ich sollte Schauspieler werden, dachte er, während
er dem unglücklichen Wächter die Funktion seiner Keule näher
brachte. Ein dumpfes Dong signalisierte den im Boot Wartenden die
vorzeitige Wachablösung. Die Freunde atmeten auf, nur Jim fluchte
vor sich hin. Oben über der Reling erschien Baumbatzs Gesicht. Die
kleinen Augen strahlten vor Vergnügen.
"Sie ist besser als die alte", verkündete
er glücklich.
"Schön für dich", rief Dean zurück.
"Jetzt komm wieder runter, es gibt noch mehr zu tun."
Auch die Eroberung des zweiten Schiffes verlief
sehr zum Leidwesen von Jim ohne größere Schwierigkeiten. Während
Baumbatz die beiden Piraten und Jim liebevoll verschnürte und unter
Deck verstaute, ruderten Tom und Dean zurück, um die anderen zu holen.
An Land hatten die Elfen und die Gefährten ängstlich das Manöver
verfolgt. Als sie sahen, dass die Freunde wie besprochen zurückkamen,
atmeten sie erleichtert auf und begaben sich zum Steg hinunter. Meister
Reno vi´Eren hatte inzwischen ausgerechnet, dass sie insgesamt mindestens
vier mal hin und her fahren mußten, bis alle an Bord waren, da das
Ruderboot nur über eine begrenzte Kapazität verfügte. "Also
schön", sagte er, während er beobachtete, wie Tom und Dean gerade
an dem wackeligen Steg anlegten und von Myrana und Gart freudig begrüßt
wurden, "die Elfen gehen zuerst an Bord. Von uns versteht niemand etwas
vom Segeln und je eher die Schiffe startklar gemacht werden, desto sicherer
ist das." Wirdnix war entsetzt.
"Wir sollen als letzte gehen?", brachte er
ächzend hervor und sah Meister Reno vi´Eren mit seinen großen
Augen an.
"Ist ja wohl Ehrensache", sagte Tom, der zu
ihnen gestoßen war.
"Außerdem macht es wenig Sinn, wenn
es sich die einzigen Waffenträger als erste schon mal an Bord gemütlich
machen", ergänzte Gart.
"Aber Baumbatz...", entgegnete Wirdnix, wurde
aber von Myrana unterbrochen.
"...wird gebraucht, um das Schiff startklar
zu machen. Er ersetzt vier Elfen und da wir uns auf zwei Schiffe verteilen
müssen, brauchen wir ihn dringend dort."
"Das wäre also geklärt", sagte Meister
Reno vi´Eren. "Wir sind gemeinsam gekommen und gehen auch gemeinsam."
"Myrana sollte als Frau aber trotzdem schon
vorfahren", schlug Dean vor.
"Was?" Myrana war außer sich.
"Kommt gar nicht in Frage. Ich bin für die Piraten dreimal gefährlicher
als du. Sag mir also nicht, was ich tun soll", sagte sie aufgebracht und
drehte sich demonstrativ um. Dean war verwirrt.
"Versteh einer die Frauen", grummelte er.
Gart hätte ihm gerne etwas zu Myrana erzählt, unterließ
es aber. "Soll er es doch selbst herausfinden", murmelte er leise.
Inzwischen hatte das erste Ruderboot mit Elfen
an Bord abgelegt. Die anderen sahen dem sich entfernenden Boot sehnsüchtig
hinterher und warfen immer wieder ängstliche Blicke in Richtung Burg,
doch dort rührte sich nichts - noch nichts.
Die Evakuierung verlief weiterhin reibungslos.
Auch die zweite Bootsladung Elfen war an ihrem Bestimmungsort angelangt.
An Land befanden sich jetzt nur noch die Gefährten. Langsam wendete
das Boot und nahm wieder Kurs auf den Anleger. "Gleich sind wir von dieser
verfluchten Insel herunter." Dean atmete gerade erleichtert auf, als ein
lautes Geschrei plötzlich alle zusammenzucken ließ.
"Alaaarrrrmmm, alle Mann auf den Posten,
Alaaaaarrrrmmm."
Slide war außerplanmäßig
im Burggraben erwacht und hatte mit einem Blick erfaßt, was da unten
vor sich ging. Wie von wilden Furien gehetzt, rannte er in die Mannschaftsquartiere,
wobei er pausenlos brüllte.
"Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben."
Tom schaute abwechselnd zur Burg und zu dem immer noch weit entfernten
Ruderboot hinüber. Auch dort hatte man den Schrei gehört und
verdoppelte die Anstrengungen, doch die Zeit arbeitete gegen sie.
"Schätze, wir kriegen gleich lieben Besuch."
Dean sah nervös zur Burg hinüber.
"Und wir haben keine Kekse da", feixte Tom.
Myrana nahm routiniert Ihren Bogen ab und beobachtete den Burgeingang.
"Statt der Kekse", sagte sie böse lächelnd, als sie Toms fragenden
Blick registrierte. "Man weiß ja, was sich gehört."
Wirdnix sah die Sache weniger locker.
"Ich habe ja gewußt, dass das schief
geht", jammerte er. Vielleicht wäre jetzt der geeignete Zeitpunkt,
seine Berufung als Pirat preiszugeben. Er bezweifelte nur, dass die Piraten
ihm zuhören, geschweige denn glauben würden.
Inzwischen waren die ersten Piraten oben auf
der Zugbrücke erschienen. Unschwer war Keule zu erkennen, der die
Meute anführte. Irgendwie war ihm wohl der Ausbruch gelungen. Mit
einem greulichen Geheul rannten sie den Weg hinunter. Myrana legte einen
Pfeil ein und schoß, doch auf die Distanz ging er daneben, wenn auch
nur knapp. Erschrocken zog Keule den Kopf ein, als der Pfeil über
ihn hinweg zischte und blieb abrupt stehen, was auf dem schmalen Pfad zu
einer Massenkarambolage führte. Jetzt heulten die Piraten noch lauter,
allerdings aus anderen Gründen. "Vergiß es", sagte Gart. "Zum
Kämpfen sind wir zu wenige. Wir hauen besser ab."
Sehnsüchtig betrachtete Wirdnix das immer
noch weit entfernte Boot. Myrana stieß ihn unsanft an, so dass er
fast vom Steg gefallen wäre.
"Los jetzt, hör auf zu träumen.
Das Boot schafft es nicht mehr rechtzeitig. Wir ziehen Leine."
"Und wohin?", fragte Dean nervös. "Wenn
wir zu dem Boot wollen, mit dem wir hergekommen sind, kreuzen wir direkt
ihren Weg."
"Dann nehmen wir eben die andere Richtung.
Jetzt müssen wir erst einmal Distanz zwischen uns und diese Wilden
bringen. Ich glaube nicht, dass die uns zum Tee einladen wollen", drängte
Gart. Diese Vermutung wurde allseits geteilt. Eilig traten sie daher den
Rückzug an. Nur Wirdnix war vor Angst noch immer wie erstarrt, so
dass ihn Tom einfach am Kragen packte und hinter sich her zog, bis der
Gnom von selbst die Beine in die Hand nahm. Im Ruderboot hatte man die
unglückliche Wendung der Ereignisse verfolgt und Kurs zurück
auf das Schiff genommen. Baumbatz verfolgte hilflos die Flucht der Gefährten.
Diese rannten gerade einen Hang zu den Klippen unterhalb der Burg hinauf.
Dann verschwanden sie im Unterholz.
Myrana und Gart liefen vorweg, da sie über
die beste Nachtsicht verfügten. Ihnen folgten Tom und Dean. Das Schlußlicht
bildeten Meister Reno vi´Eren und Wirdnix, der wieder fluchend das
dicke Zauberbuch schleppte. Eine Weile rannten sie parallel zur Küste,
das Geheul der Piraten immer im Nacken. Dann bogen sie im rechten Winkel
zur Inselmitte ab, wo der Boden schnell anstieg.
"Ich kann mich nicht erinnern, eine Bergtour
gebucht zu haben", beschwerte sich Wirdnix, als der Weg immer steiler wurde.
Aus dem Dickicht unter ihnen erscholl noch immer das Piratengeheul.
"Hör auf zu jammern", fuhr ihn Tom an.
"Hier wird dir doch was geboten. Außerdem haben wir von hier oben
einen besseren Überblick und können unsere Möglichkeiten
besser einschätzen." Das ärgerliche Gebrüll der am Hafen
zurückgebliebenen Piraten schallte plötzlich bis zu ihnen hinauf.
Anscheinend hatten die Schiffe abgelegt. An Bord herrschte ebenfalls helle
Aufregung. Das einzige, was Baumbatz davon abhielt, über Bord zu springen,
war die Tatsache, dass er wahrscheinlich nur zwanzig bis dreißig
Meter zurücklegen würde, nämlich abwärts zum Meeresgrund.
Trolle zeichnen sich nicht gerade durch ihre Schwimmfähigkeit aus.
"Wir werden vor der Küste kreuzen und
bis zum Morgengrauen warten. Wenn wir nichts von ihnen hören oder
sehen, fahren wir zu dem Treffpunkt, den sie erwähnt haben. Vielleicht
schaffen sie es ja zurück an Bord dieses Handelsschiffes", entschied
die Tochter des Waldfürsten. Baumbatz nickte unglücklich. Bestimmt
brauchten die anderen ihn jetzt dringend.
"Wenn bloß dieser dicke Troll hier wäre",
fluchte Wirdnix in diesem Moment, während er sich mit hängender
Zunge den anderen hinterher den Berg hinauf quälte, "dann könnte
er das blöde Buch schleppen."
Da der Pfad stetig anstieg, erreichten sie
nach und nach eine respektable Höhe, doch die Piraten waren ihnen
weiterhin dicht auf den Fersen. Sie schienen sogar langsam aufzuholen.
Der Boden war nun felsig und nur noch spärlich bewachsen. Steil ragte
der Rest des Höhenzuges vor ihnen auf.
"Ich kann nicht mehr", keuchte Meister Reno
vi´Eren. "Wenn wir nicht bald ein Versteck finden, kann ich einpacken."
In der Tat erweckte er den Eindruck, als würde er Reklame für
Herzkreislaufpräparate machen, und zwar für die besonders schweren
Fälle. Die Gefährten sondierten also die Lage, doch die Gegend
war nicht vielversprechend.
"Hey Gart", stieß die Elfin erschöpft
aus, die auch von dem Aufstieg ein wenig außer Atem war, "du kennst
dich doch mit Höhlen aus. Siehst du hier irgendetwas, wo wir uns verstecken
können."
Gart sah sich sorgfältig um. Dann zeigte
er auf eine Felsnadel, die in einiger Entfernung in den Himmel ragte. "Dort
hinten vielleicht", sagte er zweifelnd. Die Freunde hatten zwar ihre Bedenken,
mangels Alternative machten sie sich aber auf den Weg dahin.
"Gib her", sagte Tom und nahm dem keuchenden
Wirdnix das Zauberbuch ab. Der war überrascht. "Danke", sagte er erfreut.
"Nicht der Rede wert," winkte Tom ab. "Hilf
lieber Meister Reno vi´Eren." Der stützte sich sofort mit seinem
ganzen Gewicht auf den armen Gnom, der daraufhin merklich in die Knie ging.
Irgendwie hatte er das Gefühl, vom Regen in die Traufe gekommen zu
sein. Das Geheul der Piraten klang jetzt lauter und die Freunde beeilten
sich, vorwärts zu kommen. Nach fünf Minuten war die Felsnadel
erreicht. Dunkel und schwarz schimmerte sie. Nichts wies auf ein Versteck
hin. "Prächtig", stöhnte Dean, der die hohe Felsnadel und die
glatte Wand dahinter musterte. "Jetzt wäre es mal wieder an der Zeit
für ein Wunder."
Gart, der ein paar Meter weitergegangen war,
winkte die Freunde aufgeregt heran. Triumphierend wies er auf die schwarze
Wand.
"Habe ich es euch nicht gesagt?"
Die anderen musterten erst die Wand und dann
besorgt den Zwerg.
"Die Höhenluft bekommt ihm nicht", stellte
Wirdnix fest. Gart war beleidigt.
"Ihr seid blind", sagte er und schritt schnurstracks
auf die Wand zu. Zur Verblüffung aller, verschwand er darin. Die Freunde
traten überrascht näher. Erst jetzt konnten sie schwach den Unterschied
erkennen. Die Felsnadel warf einen so dunkeln Schatten, dass der Höhleneingang
in der schwarzen Wand völlig unterging. "Nicht schlecht", lobte Myrana.
"Das kann selbst ich mit meinen guten Augen kaum erkennen." Dean und Tom
war weniger wohl zumute. Der Anblick der schwarzen Höhle rief unangenehme
Erinnerungen in ihnen wach. Wenn die Alternative allerdings lautete "Ein
Schwatz mit Keule", war man leicht geneigt, etwaige Bedenken zu ignorieren
und so fanden sich kurze Zeit später alle in der Höhle wieder.
Von unten klang das Brüllen der Piraten herauf.
"Dass die nicht heiser werden", wunderte sich
Dean.
"Hier werden sie uns jedenfalls nicht so schnell
finden", sagte Gart überzeugt. Die anderen schwiegen und hofften,
außer Meister Reno vi´Eren, dem alles egal war. Völlig
erschöpft saß er auf dem Boden an die Wand gelehnt und versuchte
wieder zu Atem zu kommen. Am Eingang standen Tom, Dean und Myrana dicht
beieinander und lauschten dem näherkommenden Brüllen der Piraten,
während Gart die Höhle nach alter Zwergenmanier erst einmal nach
Bodenschätzen untersuchte. Enttäuscht zuckte er die Achseln.
Die Höhle schien nichts herzugeben. Sie war lediglich ein zirka fünfzig
Quadratmeter großes Loch im Felsen, nicht mehr und nicht weniger.
"Was macht der bloß dahinten?", fragte
Dean und versuchte zu erkennen, was der Zwerg im hinteren Teil der Höhle
trieb.
"Keine Ahnung, vielleicht sucht er eine Ferienhöhle",
erwiderte Tom grinsend.
"Wenn ihr fertig seid mir eurem Blödsinn,
können wir uns vielleicht wieder auf die wichtigeren Dinge des Lebens
konzentrieren", zischte Myrana, als gerade das Brüllen der Piraten
in neuer Bestform erscholl.
"Gerne", antwortete Tom leutselig, "wie lautet
deine Telefonnummer?"
In diesem Moment ließ sich der gestreßte
Wirdnix seufzend auf einem runden Felsbrocken nieder.
"Nimm deinen Hintern aus meinem Gesicht!"
Wie von der Tarantel gestochen fuhr Wirdnix
hoch und die anderen herum. Nichts war zu sehen, außer dem schwarzen,
unförmigen Felsbrocken, auf dem der Gnom eben noch gesessen hatte.
Dann begann sich dieser zu bewegen. Mit Entsetzen sahen die Freunde, dass
es sich bei dem vermeintlichen Felsbrocken um ein zusammengerolltes Lebewesen
handelte, das nun aufstand und sich gähnend streckte. Dean registrierte
mit gesträubten Haaren, dass das einen Meter große, pechschwarze
Wesen über zwei kleine Hörner verfügte und einen Spieß
in der Hand hielt. Zu seiner Beruhigung endeten die Füße jedoch
nicht in Hufen sondern in etwas, was ihn an kleine Bärentatzen erinnerte,
und einen gegabelten Schwanz konnte er auch nicht ausmachen. Das schwarze
"Teufelchen" sah die Gefährten mit seinen gelben Augen unfreundlich
an. "Schon mal was von Hausfriedensbruch gehört?", fauchte es wütend.
Die Gefährten waren sprachlos. So was hatten sie nicht erwartet. Selbst
Wirdnix stand mit offenem Mund da und starrte das kleine Wesen an. Gart
fand als erster die Sprache wieder: "Man sollte eben doch lieber glauben,
was einem die Einheimischen erzählen."
Das Teufelchen sah ihn feindselig an. "Was
erzählt man denn so?"
"Nur das Beste", warf Tom hastig ein,
der befürchtete, dass eine entsprechend unsensible Äußerung
Garts über gräßliche Dämonen das offensichtlich empfindliche
Kerlchen verärgern könnte. Nicht jeder wurde gerne als Monster
bezeichnet. Vielleicht hatte das Teufelchen ja noch ein paar große
Brüder, und die wollte Tom nun wirklich nicht kennenlernen. Dann schon
lieber Keule. Beschwörend sah er den Zwerg an. Doch der hatte das
Interesse an dem Teufelchen schon wieder verloren und bewachte lieber den
Höhleneingang.
"Die Bewahrer des Steins", flüsterte
dafür Meister Reno vi´Eren ehrfürchtig, der wieder zu Atem
gekommen war und sich erhoben hatte. "Und ich dachte immer, sie seien ein
Mythos."
"Ihr kennt uns?", erklang überrascht
die Stimme eines neuen Teufelchens, das halb aus der Höhlenwand neben
ihnen heraussah, als würde es aus einem Fenster gucken. Den Freunden
standen die Haare zu Berge. Selbst Gart war zum ersten Mal beeindruckt.
Sogleich überlegte er, wie man die Teufelchen nutzbringend in Medara
einsetzen könnte. Meister Reno vi´Erens Blick irrte bewundernd
zwischen den zwei Teufelchen hin und her.
"Nein", antwortete er schließlich, "aber
ich habe über euch gelesen, über die Bewahrer und Steinformer,
die Hüter der Unterwelt." Das erste Teufelchen war ein wenig besänftigt.
Seine Hörner leuchteten grün auf. Wenn die rot werden, bin
ich weg, dachte Wirdnix, der der ganzen Sache nicht traute.
"Schön, ihr wißt also wer wir sind.
Trotzdem gibt das euch kein Recht, einfach hier einzudringen und mich als
Sitzgelegenheit zu mißbrauchen", meckerte es und zeigte mit dem Spieß
auf Wirdnix, "selbst, wenn man so aussieht, wie der da." Nach und nach
tauchten nun immer mehr Teufelchen auf und sahen die Gefährten neugierig
an. Inzwischen war das Geheul der Piraten sogar in der Höhle deutlich
zu hören. Myrana stieß Tom an.
"Ich glaube, der Tanz beginnt."
"Was ist denn da draußen eigentlich
los?", wollte ein Teufelchen wissen. Tom grinste. Hier bot sich eine ungeahnte
Möglichkeit, aus ihren Schwierigkeiten herauszukommen.
"Nuuunnn jaaa", sagte er gedehnt im
verschwörerischen Tonfall, "ich glaube, ich habe eine schlechte Nachricht
für Euch."
© Klaus-Peter
Behrens
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