Trio Infernale von Sylvia und Cancelot
Die reale Drachental-Satire
Drachentennis

Webolo hatte schon ein ungutes Gefühl, als er sich dem Turm näherte und sein Herz sank ihm schnell in die Hosen. Wie weggewischt waren auf einmal all sein ganzer Mut und seine heldenhaften Vorsätze und er fragte sich allen Ernstes, wieso er sich immer und überall vordrängeln mußte.
Schon der steinerne Drache über der schlichten, hölzernen Eingangstür schien geradewegs auf ihn zu lauern, um sich heimtückisch auf ihn herabstürzen zu können, und brachte den Knappen zum Schlottern. Und unter diesem Untier mußte er zu allem Übel auch noch durch, um zur Tür zu gelangen. Er seufzte, holte tief Luft und machte sich so klein und unauffällig wie möglich, immer mit einem Auge angstvoll nach oben schielend. Wider Erwarten rührte sich der Steindrache jedoch nicht von der Stelle, und selbst als Webolo die Hand auf die Türklinke legte, bereit, sie jederzeit sofort wieder zurückzuziehen, machte er keine Anstalten, sich von seinem Platz über der Tür fortzubewegen. Das beruhigte sein aufgeregt pochendes Herz ein wenig und er drückte mutig die Klinke hinunter. Die Tür knarrte in den rostigen Angeln und Webolo mußte sich mit seinem ganzen Fliegengewicht dagegenlehnen, um sie auch nur einen Spalt weit aufzubekommen. Als er hineinschlüpfte, fand er sich in einer staubigen, spinnwebverhangenen und modrig riechenden Eingangshalle wieder. Es war duster und er konnte kaum die Hand vor Augen erkennen, und so schnappte er sich die einzige brennende Fackel, die in einer rostigen Halterung neben der Tür steckte, und leuchtete damit wild in der Halle umher.
Den richtigen Weg konnte er praktisch nicht verfehlen, denn es gab in dieser Halle nichts außer der Treppe, die nach oben führte, und diesen Weg wählte er dann auch: hunderte von ausgetretenen Steinstufen, die sich in endlosen Spiralen bis hinauf in die Spitze des Turms wanden ...

"Wo ist denn dieser verflixte Knappe schon wieder hin ... Webolo?"
Canerios mißmutige Stimme schrillte durch den Garten des Magiers, während der Moordrache nur seine schuppigen Schultern zuckte.
"Keine Ahnung, ich bin ja nicht sein Kindermädchen."
"Jaja, das kommt davon, wenn man sein Personal nicht richtig beaufsichtigt!" spottete es schadenfroh von der Spitze der Tanne. "Er ist in den Turm gegangen, Euer dämlicher Knappe – aber das wird er noch bitter bereuen!"
Canerio legte den Kopf in den Nacken und sah in die Baumkrone hinauf. Vor einem sternklaren Himmel konnte er die hagere Gestalt des Magiers in den Wipfeln hin- und herwanken sehen.
"Was redet Ihr nur wieder!" schrie er nach oben. "So etwas würde Webolo niemals eigenmächtig tun!"
"Ach, seid Ihr Euch dessen wirklich sicher?" stichelte der Drache von der Seite. "Mir war vorhin so, als hätte ich eine Tür quietschen hören ..."
"Seht Ihr’s? Ich hab’s ja gesagt! Das war sehr unvorsichtig von Eurem Knappen ... sehr, sehr unvorsichtig!"
"Ruhe da oben!"
"Ruhe?" keifte Reigami. "Auf meinem Grund und Boden kann ich so laut schreien, wie ich will!"
Der Drache warf aus den Augenwinkeln einen gelangweilten Blick hinauf.
"Naja, Grund und Boden halte ich in diesem Fall für leicht übertrieben ... in Anbetracht dessen, daß ihr gut und gerne hundert Fuß über dem Erdboden herumschaukelt ..."
"Ooooch ... Ihr ..." Reigami spuckte einen Schwall Schimpfwörter aus, die Canerio leicht erblassen ließen. "Ich habe vielleicht nicht mehr meine vollen Zauberkräfte – aber für Euch überdimensionale Suppenschildkröte wird’s wohl gerade noch reichen!" tobte er und schleuderte aus seinen ausgestreckten Fingern einen Feuerblitz auf den Drachen.
"Da! Nehmt das, Ihr Untier!"
Moordrache nahm mit einem süffisanten Lächeln zur Kenntnis, daß der Blitz etwa zwanzig Fuß weit neben ihm, also dem anvisierten Ziel, einschlug.
"Brille vergessen, hmm?"
Er legte den Kopf schräg und linste in die Tanne hinauf. 
"Kann ich übrigens auch, Verehrtester ..."
Moordrache konzentrierte einen Wimpernschlag lang sein Drachenfeuer, dann pustete er durch das rechte Nasenloch mal kurz zu dem Wipfel hoch, an den der Magier sich klammerte – und Sekunden später saß Reigami auf einer zischenden, knisternden, durch das Drachenfeuer sämtlicher Nadeln beraubten Tanne und zog eilig die die Knie unters Kinn, um den letzten kleinen Flämmchen auszuweichen, die den kahlen Stamm hochzüngelten.
"Noch Fragen?"
In der Baumkrone herrschte eisiges Schweigen.
Moordrache wandte sich wieder dem Ritter und dem verzauberten Fass zu und in seinen Mundwinkeln spielte ein leises Grinsen.
"Na, dann wollen wir mal Euren Knappen suchen gehen", schlug er fröhlich vor und erhob sich ächzend.

Der Knappe war mittlerweile in der Spitze des Turms angekommen – keuchend und mit schmerzenden Beinen stand er nun vor der schweren, eisenbeschlagenen Tür, die wohl zu Reigamis Laboratorium führte.
Webolo legte sein Ohr an das wurmstichige Holz und lauschte. Nichts zu hören. Irgendwo wie aus weiter Ferne konnte er ein leises, stetes Blubbern vernehmen - ansonsten herrschte Stille. Er schulterte seinen Rucksack, umklammerte mit einer Hand die Fackel, mit der anderen sein kleines Taschenmesser, das er todesmutig vor sich hielt, und stieß mit der Schulter die Tür auf.
Beißender Schwefelgestank schlug ihm entgegen und verschiedene undefinierbare andere Gerüche. Webolo ließ auf der Stelle das Messer fallen und hielt sich angewidert die Nase zu.
"Buuäähhh ... stinkt das hier!"
Er wedelte mit der Hand den bläulichen Qualm beiseite, der aus einer merkwürdigen, heftig vor sich hin brodelnden Apparatur aufstieg, betrat den Raum und sah sich neugierig um.
Das Gemach war rund wie der Turm und von ziemlichen Ausmaßen – und in diesem Labor herrschte ein einziges Chaos, wie Webolo mit Freuden feststellte. Er liebte Chaos und Unordnung einfach über alles.
Völlig fasziniert betrachtete er all die aufregenden, fremdartigen Dinge, die sich in dem Raum bis unter die Deckenbalken stapelten: seltsame gläserne Apparate, Flaschen und Tiegel, Kisten und Kästen unbekannten Inhalts, vollgestopfte Säcke, stapelweise dicke, in Leder gebundene Zauberbücher, Pergamentrollen, Tintenfässer, ein ausgestopfter Uhu, mit Runen beschriebene Schiefertafeln, bauchige Flaschen und merkwürdige Amulette, verkrustete Kerzen, seltsam geformte Wurzeln, Körbe voller Kräuterbüschel, in einer Nische von einem brüchigen Vorhang halb verborgen dutzende von kleinen, aufeinandergestapelten Fässern, Reagenzgläser, bunt schillernde Phiolen – sogar ein leibhaftiges Skelett, das an einem Seil von der Deckel baumelte ... Webolo glaubte sich im Paradies. Er drehte sich ein paarmal atemlos um die eigene Achse, und begann dann sofort aufgeregt damit, all diese interessanten Gegenstände zu betrachten. Die schwarze Phiole und die Schatulle, die er eigentlich suchen sollte, vergaß er völlig.
Er leuchtete mit der Fackel hierhin und dorthin, bestaunte mit glänzenden Augen die schweren goldenen Amulette, die verstreut auf dem Tisch lagen, steckte hier einen Ring ein, dort ein Fläschchen, da einen Stock, der ihm besonders gut gefiel – und nach und nach war sein Rucksack so schwer, daß er ihn kaum noch tragen konnte. Als er alles angesehen hatte, fiel ihm auch wieder ein, weswegen er hier war: der Zaubertrank. Die Fee hatte von einer kleinen, mit Eisenbändern beschlagenen Schatulle gesprochen – doch eine Schatulle war Webolo nirgends aufgefallen. Also begann er noch einmal gründlich zu suchen, durchstöberte sämtliche Winkel und Ecken, schaute hinter Säcke und Kisten, schlichtete den Inhalt der Regale hin und her ... er fand sie nicht. Zuletzt fielen ihm die Fässer in der Nische ein – dort hatte er noch nicht nachgesehen. Also schob er den alten Vorhang beiseite, steckte seine Fackel daneben in einen Eimer "was auch immer" – dem Geruch nach tippte Webolo schwer auf Pferdeäpfel – und begann hinter den Fässern herumzukramen. Und wirklich, als er einige der kleinen, hölzernen Behälter beiseite schob, tat sich dahinter in der Mauer ein kleines, offenes Gelass auf, und darin – er mochte es kaum glauben, stand eine unscheinbare Schatulle. Webolo lehnte sich über die Fässer und angelte seinen wertvollen Fund hervor. Die Schatulle war nicht verschlossen, und so öffnete er behutsam den Deckel und sah auf ausgeblichenem Samt eine kleine schwarzglänzende Phiole liegen, die von feingearbeiteten Goldornamenten umschlossen war und mit einem Korken dicht gehalten wurde. Vorsichtig nahm er das Fläschchen heraus und betrachtete es von allen Seiten – das also war das Heilmittel, um das Fass wieder in eine Fee zurückzuverwandeln ... naja. Webolo hatte es sich ein wenig spektakulärer vorgestellt. Aber nichtsdestotrotz stopfte er das kleine Gefäß auch noch in seinen Rucksack zu all den anderen Sachen, die er sich ausgeliehen hatte.

Webolo im Paradies ;-)
© by Sylvia

Nun gut, eigentlich hätte er wieder verschwinden können ... er hatte schließlich, was er suchte. Doch er konnte sich kaum trennen von all den herrlichen Dingen und ließ den Blick noch einmal sehnsüchtig über all die Kostbarkeiten schweifen. Gern wäre er noch ein Weilchen geblieben, um in den geheimnisvollen Zauberbüchern zu blättern, die ihn so faszinierten, aber der merkwürdige Geruch im Laboratorium wurde immer schlimmer, wie er feststellen mußte. 
In die bläulichen Wölkchen, die aus dem gläsernen Apparat aufstiegen, mischte sich nun auch noch beißender, grauer Qualm, der Webolo Tränen in die Augen trieb. Verwundert und aus zusammengekniffenen Augen angestrengt blinzelnd sah er sich nach dem Ursprung des plötzlich auftretenden Rauches um - und als er sich dann schließlich umdrehte, wußte er, woher der Qualm kam: der ganze Vorhang, der die Nische vor neugierigen Blicken abschirmen sollte, stand in Flammen.
Entsetzt starrte der Knappe auf das Feuer, das ihm entgegenschlug. Der trockene, brüchige Stoff brannte wie Zunder und schon züngelten die ersten Flammen bis zu den morschen Dachbalken empor.
Irgend etwas begann gerade offensichtlich mächtig schiefzulaufen ...
"Oh-oh", entfuhr es Webolo und er entdeckte auch sogleich, was den Brand ausgelöst hatte: die Fackel, die er unachtsam in den Eimer gesteckt hatte, war umgekippt und hatte den Vorhang wohl entzündet.
Sein Herz begann wie wild zu klopfen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! 
Bei allen Göttern, was sollte er nur tun? Wenn der Magier entdeckte, daß er unvorsichtigerweise sein Labor angekokelt hatte - nicht auszudenken, was der alles mit ihm anstellen würde! Dagegen würden seine blauen Feuerbälle wohl nur eine nette, kleine Belustigung gewesen sein.
Webolo schlotterten die Knie vor Angst. Aufgeregt hopste er von einem Fuß auf den anderen. Er mußte etwas unternehmen und zwar schnell!
Verzweifelt fing er zu pusten an, aber das half natürlich nichts. Er packte mit beiden Händen eines der schweren Zauberbücher, die er kaum hochheben konnte, und schlug damit auf die Flammen ein, die bereits über den Bretterfußboden leckten. Auch das nutzte nichts - das Feuer brannte munter weiter.
Einer Panik nahe sah er sich in Reigamis Labor um - es mußte doch etwas geben, was sich zum Löschen verwenden ließ! Sein Blick fiel auf einen Krug, der auf dem Arbeitstisch stand und mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war - Wasser! Nicht viel zwar, aber vielleicht besser als gar nichts! Hastig und mit schweißnassen Fingern schnappte er sich den Krug, holte aus und schüttete den ganzen Inhalt schwungvoll auf den brennenden Vorhang.
Eine weißglühende Stichflamme schoß zischend ins Dachgebälk hoch. Webolo ließ erschrocken den Krug fallen und schlug die Hände vor sein Gesicht, um sich vor der Hitze zu schützen.
Irgendwie drängte sich ihm die Vermutung auf, daß die Flüssigkeit offensichtlich doch kein Wasser gewesen war ...
Zwischen seinen Fingern hindurchblinzelnd starrte er auf das Feuer, das sich schneller und schneller im Labor ausbreitete. Die Flammen loderten jetzt nicht mehr nur gelb sondern in allen Regenbogenfarben und erinnerten ihn merkwürdigerweise an einen angeblich schwarzen Drachen, dem er noch vor kurzem begegnet war.
Aber Webolo mußte einsehen, daß es wohl viel zu spät war, den Brand noch zu löschen - die Hitze war kaum noch auszuhalten und der Qualm füllte beinahe schon das gesamte Labor und sammelte sich unter der Turmdecke in dicken schwarzen Wolken.
Ihm blieb nur noch die Wahl entweder zusammen mit dem ganzen Plunder des Magiers zu verbrennen oder sich tapfer dessen Zorn zu stellen.
Mit einem Blick auf die wild lodernden Flammen entschied sich Webolo für letzteres.
Raus hier, dachte er - nur raus hier! Halb blind und mit tränenden Augen tastete er nach seinem Rucksack, umklammerte die Lederriemen und kroch auf allen Vieren in die Richtung, in der er die Tür vermutete. Doch dabei stieß er völlig unabsichtlich an eines der Fässer, das umfiel und dessen Deckel aufsprang. Webolo bemerkte es zwar, aber er kümmerte sich nicht weiter darum. Schließlich war es nichts Gefährliches, nur so eine Art schwarzes Pulver ...

Reigami, hoch oben in der Spitze einer etwas verkohlten Tanne, bemerkte den Qualm als erster.
"Es brennt", stellte er schnüffelnd fest und hielt seine Nase in den Wind. Dann entdeckte er, daß aus dem Dachgeschoss seines Turmes dunkelgrauer Rauch quoll. "Aber ... aber ... das ist ja mein Turm, der brennt!"
Er warf einen verzweifelten Blick nach unten in seinen Garten, wo der Ritter, der Drache und das Fass nach dem abhanden gekommenen Knappen suchten.
"He - ihr da!" schrie er, so laut er konnte. "Ihr da unten! He!"
"Was ist? Wird dir schon langweilig da oben?" spottete der Drache und warf einen desinteressierten Blick in die Höhe.
"Langweilig?" Reigami platzte beinahe vor Wut. "Mir ist nicht langweilig - aber das Dach meines Turms brennt gerade ab, nur zu eurer Information!"
Der Moordrache machte den Hals lang und äugte zur Turmspitze hinauf. Nun sah auch er den dunklen Rauch.
"Stimmt. So ein Pech aber auch ..." grinste er und ließ sich nicht weiter stören. Aber der Magier hörte nicht auf zu Brüllen und zu Schreien.
"Das war Euer verflixter Knappe!" polterte er. "Ich hab euch ja gleich gesagt, passt besser auf euer Personal auf - aber nein, ihr wolltet ja nicht auf mich hören. Ihr mußtet ja alles besser wissen als der gute alte Reigami! Das habt ihr jetzt davon!"
Er stutzte einen Moment.
"Nein - das habe ich davon! Diese Ausgeburt will meinen Turm abfackeln - ein gemeiner, hinterhältiger Angriff ist das, jawohl! Holt mich hier runter, sage ich! Auf der Stelle! Mein Turm ... mein schöner Turm! Nicht genug, daß ihr mir meinen Hut gestohlen habt, jetzt müßt ihr auch noch meinen Turm anzünden!"
Er schaukelte wie wild auf der Spitze der Tanne hin und her.
"Ooooh, wartet nur, wenn ich jemals wieder hier herunterkomme ...!"
"Ja, wenn", grinste der Drache, aber Canerio sah mit nachdenklichem Blick zum Turm hoch.
"Was ist, wenn er recht hat?""
"Der ist Magier - Magier haben nie recht", klärte ihn der Moordrache auf.
"Nein", schüttelte der Ritter unsicher den Kopf, "ich meine, was ist, wenn Webolo wirklich in diesen Turm gegangen ist ...?"
"Das ist er bestimmt nicht!"
"Ist er doch!" brüllte Reigami von oben herunter. "Ich hab’s gesehen!"
"Ihr lügt!" blaffte der Drache zurück. "Gar nichts habt Ihr gesehen!"
"Aber wenn doch ..." warf der Ritter ein. "Ich muß sichergehen. Nicht auszudenken, wenn er wirklich im Turm wäre ..."
Nein, er durfte kein Risiko eingehen. Entschlossen stapfte er auf die Eingangstür zu und stieß sie schwungvoll auf.
"Webolo? Bist du da drinnen?"

Den Rucksack fest umklammert, mit tränenden Augen und Herzklopfen wie nach einem Tausendmeterlauf, hetzte Webolo die Wendeltreppe hinab, hopsend und schliddernd, stolpernd und rutschend, immer im Kreis herum nach unten. Nur raus hier - das war sein einziger Gedanke.
In seinem Kopf drehte sich schon alles, seine Lungen schmerzten von dem Qualm und seine Beine vom Laufen, aber er gab nicht auf - es konnte ja nicht mehr weit sein bis zum Ausgang. Halb blind hüpfte er die Treppe hinab - und rannte wenige Augenblicke später seinen Herrn und Meister über den Haufen, der sich gerade mühselig nach oben kämpfte.
Webolo schaffte es noch, entsetzt die Augen aufzureißen, doch seinen Schwung konnte er beim besten Willen nicht mehr rechtzeitig bremsen - Canerio wurde regelrecht von den Beinen gesäbelt und von seinem Knappen einfach mitgerissen und in einem Knäuel aus Blech und wild um sich schlagenden Armen und Beinen polterten sie rücklings die Treppe wieder hinab.
Moordrache, der zusammen mit Stibitzi draußen vor dem Turm wartete, hörte den Lärm und das Geklirre und lugte neugierig durch den Türspalt - und dann sah er zwei Gestalten in einem Gewirr von rostigen Rüstungsteilen die Treppe heruntersausen, an deren Fuß sie schließlich ächzend und scheppernd liegenblieben.
"Oh, mein Kreuz", stöhnte der Ritter und hielt sich den Allerwertesten. "Hast du wenigstens die Phiole?"
"Klar, hab’ ich - aber nun sollten wir endlich weg von hier!" keuchte Webolo völlig atemlos und befreite sich aus der im wahrsten Sinne des Wortes eisernen Umklammerung seines Meisters.
"Ja, das seh' ich inzwischen auch so", mußte der Drache zugestehen und hielt schon mal die Eingangstür auf. "Und zwar schnell!"

Reigami beobachtete von der Spitze der Tanne aus, wie die beiden den Turm verließen, und brach sofort wieder in sein ohrenbetäubendes Gezeter aus.
"Na - was hab ich gesagt?" schrie er triumphierend. "Glaubt ihr mir jetzt? Was hast du angestellt, du nichtsnutziger Wurm, du? Was qualmt da oben so? Raus mit der Sprache!"
Webolo warf einen verunsicherten Blick nach oben.
"Ich hab gar nichts getan", sprudelte es dann aus ihm hervor. "Diese dumme Fackel ist umgefallen und dann fing der Vorhang zu brennen an ... ich hab’ ja versucht zu löschen, aber das war kein Wasser in dem Krug und es brannte nur noch mehr und dann wollte ich raus und bin über eines dieser dummen Fässer gestolpert und hab mir’s Knie aufgeschlagen ..."
Das letzte schrie er wie einen Vorwurf nach oben, der andeuten sollte, der Magier solle sein Labor gefälligst besser aufräumen. Aber Reigami reagierte gar nicht, hörte schlagartig zu Brüllen auf und seine Augen weiteten sich in blankem Entsetzen.
"Die Fässer ..." stammelte er.
"Welche Fässer?" fragte der Moordrache interessiert.
"Ja, da waren so Fässer", erklärte Webolo, immer noch völlig außer Puste, "da war aber nix Besonderes drin, nur so schwarzes Pulver."
Canerios Augenbrauen schossen in die Höhe und sein Gesicht wurde so weiß wie ein Bettlaken.
"Schwarzes Pulver?"
"Ja, wieso?"
"Bei allen Göttern", entfuhr es dem leichenblassen Ritter. "Nehmt die Beine in die Hand und lauft - der ganze Turm wird vermutlich gleich in die Luft fliegen ..."

Im Schweinsgalopp rannten sie quer durch den Garten zurück in die Richtung, aus der sie bei Anbruch der Dunkelheit gekommen waren - allen voran der Drache, halb hüpfend, halb fliegend, dahinter der Ritter, sein völlig rußverschmierter Knappe und ein rumpelndes Fass - begleitet von wütenden Zurufen Reigamis.
"Da können wir nicht raus!" schrie Webolo und deutete nach vorne. "Da sind doch die Hecken!"
"Egal!" grunzte der Moordrache unbeeindruckt und galoppierte einfach weiter. "Die nehm’ ich mit links!"
Die Erde erzitterte unter seinen Klauen, aber er bremste nicht einmal seinen Lauf, sondern warf sich mit vollem Gewicht in die Büsche.
Äste brachen und Strauchwerk flog querdurch die Gegend, als er mit siegessicherem Grinsen die dichte, dornige Hecke durchbrach und so eine Schneise schlug, die breit genug war, eine ganze Armee durchzulassen.
Und genau das wurde zu einem Problem: 
die Armee kam nämlich just in diesem Augenblick den Hügel jenseits der Hecke herauf und geradewegs auf sie zu. 
Dem Drachen fiel schlagartig das Grinsen aus dem Gesicht - entsetzt schlug er mit den Schwingen, rammte die Klauen in den Boden und rutschte noch ein paar Fuß weit, bevor er endgültig zum Stehen kam. Canerio hinter ihm konnte gerade noch bremsen, bevor er in seine schuppenbewehrte Rückseite gerauscht wäre, und sogar Webolo schaffte es noch, anzuhalten - nur Stibitzi erkannte das plötzlich vor ihr auftauchende Hindernis nicht rechtzeitig und rumpelte von hinten in Webolos Beine.
"Wieso bleibt Ihr denn einfach stehen?" rief der Ritter und gab ob dieses ungewohnten Sprints besorgniserregende Keuch- und Pfeiftöne von sich. Webolo hüpfte um den Drachen herum, der ihm die Sicht nach vorne versperrte und riß überrascht die Augen auf.
"Was ist das denn??"
Wie gebannt starrten sie auf das, was da gerade lautstark anrückte: Dutzende von breitschultrigen Gestalten in schweren, rasselnden Plattenpanzern, die auf sie zustürmten – eigentlich hüpften sie mehr, als daß sie stürmten -, alle bis an die Zähne mit riesigen Schwertern, Äxten und Hellebarden bewaffnet. Webolo blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen.
"Die Plattladine!" entfuhr es dem Ritter, während sein Knappe sofort in Panik verfiel und in den höchsten Tönen zu Kreischen begann.
Der Moordrache legte eine Kehrtwendung ein und scheuchte seine Gefährten eilig vor sich her.
"Andere Richtung! Los, los!"
Nun galoppierte die ganze Karawane in die entgegengesetzte Richtung davon, jagte quer durch den Garten zur Rückseite des Turmes, dessen Dach bereits in hellen Flammen stand.
Auf der angekokelten Tanne kreischte der Magier wild durch die Gegend.
Die Armee der rasselnden Plattladine kam in unglaublicher Geschwindigkeit näher, während Webolo und der Ritter immer langsamer wurden. Die Anstrengung war beinahe zuviel für den alten Canerio, dessen Atem nur noch stoßweise und von lautem Gepfeife begleitet kam. Der Knappe warf abwechselnd besorgte Blicke zu seinem Meister hinüber und über seine Schulter zurück auf die anmarschierende Armee. Auch der Drache merkte, daß die beiden wohl nicht mehr lange durchhalten würden.
"He, Kleiner!"
Mit der Krallenspitze hielt er den Knappen am Wams fest.
"Zu viert haben wir wohl keine Chance - ich versuche mal, diese komischen Gestalten da ein bißchen aufzuhalten. Lauft ihr nur immer voran!"
Webolo blieb atemlos stehen, während der Ritter neben dem hüpfenden Fass weiterkeuchte.
"Wohin sollen wir denn laufen? Wir kennen uns doch hier überhaupt nicht aus!"
"Hinter dem Turm beginnt gleich der Wald", erklärte der Drache, der die Gegend recht gut kannte, eilig. "Folgt immer dem Pfad und wenn ihr an den Fluß kommt, wendet euch nach links und folgt seinem gebogenen Lauf. So werdet ihr wieder zurück in die Nähe von Morholts Hütte kommen - aber bis dahin hab’ ich euch längst wieder eingeholt."
"Willst du denn nicht mitkommen?" fragte Webolo mit großen Augen. "Was ist, wenn wir uns verlaufen? Oder wenn du den Weg verfehlst?"
Hinter der Hecke sah er bereits die erste Reihe silberner Plattenpanzer auftauchen.
"Ich werde euch schon wiederfinden - keine Sorge."
Webolo mußte auf einmal ganz fürchterlich blinzeln und schluckte schnell den Kloß hinunter, den er plötzlich im Hals stecken hatte.
"Werden die dir auch nichts tun?"
"Ganz bestimmt nicht."
Der Drache grinste zuversichtlich.
"Und jetzt ab mit dir!"
Während Webolo seinem Meister und dem hopsenden Fass nachrannte, und mit ohrenbetäubendem Knall das Dach des Turms in die Luft flog, wandte sich der Moordrache wieder der anrückenden Armee zu.
"So ... und jetzt zu euch, ihr armseligen Blechbüchsen ..."
Er rupfte in aller Seelenruhe eine halbwüchsige Eiche aus dem Erdboden, als würde er für seine Liebste Blümchen pflücken, stutzte die Krone ein bißchen zurecht, packte den Stamm anschließend fest mit beiden Vorderklauen und stellte sich in Schlag-Positur.
"Okay, Jungs - was haltet ihr von einer Runde Drachen-Tennis?"
 

© by Sylvia


Bereit zum Drachentennis-Turnier ;-)
© by Sylvia

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Und schon geht's zum 11. Kapitel: Ein Fass Flammentod
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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