"Ein was? Was ist denn ein Bäääääärtram?"
Webolo betonte mit sichtlichem Vergnügen
den Namen und zog ihn genießerisch in die Länge. "Moordrache,
was hast du denn? Der war doch so klein, der hätte dir bestimmt nichts
getan!"
"D-das verstehst du n-nicht, nicht richtig
jedenfalls." Webolo betrachtete sich das weiße Gesicht des Drachens,
der noch immer ziemlich erschrocken aussah. Crosideria warf ihm nur einen
missbilligenden Blick zu und ging dann beleidigt weiter. Die anderen schlossen
sich ihr an, schließlich hatte keiner von ihnen Lust, hier im Dunkeln
durch diese Gegend zu laufen, denn wer wußte schon, was dann erst
für Gestalten auftauchten.
Plötzlich raschelte es vor ihnen, Zweige
knickten und Äste brachen unter schweren, stampfenden Schritten, und
eine ziemlich helle Stimme rief:
"Huuuuuhu ... wer seid’s ihr denn?"
Die fröhliche Stimme, die diese Frage
völlig unbefangen stellte, thronte ziemlich hoch oben, sehr hoch oben,
nicht so hoch wie auf einem Drachen, aber dieses Ding, auf dem sie saß,
und all die anderen, die sich dahinter ansammelten, erschienen Webolo noch
unheimlicher als alles, was er je zuvor erblickt hatte. Sie waren ziemlich
grau, ziemlich groß ... und sie sahen sehr, sehr merkwürdig
aus, mit langen, dicken Schläuchen im Gesicht. Wahrscheinlich sind
das Atemmasken, dachte Webolo, bestimmt wegen der hohen Luftfeuchtigkeit.
Die junge Dame, die dort oben saß, zwinkerte Webolo freundlich zu
und winkte mit beiden Händen gleichzeitig der staunenden Truppe zu
Boden. Sie trug einen schicken Zweiteiler, eine Art abgewandelten Bikini,
der gemustert war wie ein Leopardenfell und Crosideria überlegte sofort,
wie das wohl an ihr aussehen würde. "Scharfes Teil", flüsterte
sie Sylveria zu, erntete aber nur einen leicht erstaunten Blick und ein
mildes Lächeln.
© by Sylvia
"Wer möchte das denn wissen?" klampfte
Moordrache grummelnd zurück und steckte neugierig seinen großen
Kopf aus dem Gestrüpp heraus, hinter dem er sich gerade aufhielt,
und blickte hinunter auf das blonde Geschöpf und ihre seltsame Herde.
Schlagartig wurde es still. Es folgte ein Blick des Tieres, auf dem der
Blondschopf saß, nach oben, ein lautes töröööööööööööööt
ertönte und plötzlich begann die Erde zu beben, als die graue
Truppe auseinander stob und wie wild begann, im Kreis zu laufen.
"Waaaaaah... Hiiiiiiilfe, ein Ungeheuer!"
schrie das zarte Wesen im Leopardenfell und krallte sich verzweifelt an
den merkwürdigen Hautlappen fest. die an den seltsamen grauen Tieren
hingen, und versuchte anscheinend, es damit zu lenken. Moordrache schaute
erstaunt auf den ausbrechenden Tumult zu seinen Füßen und winkte
abwehrend mit seinen krallenbesetzten Händen, doch das bewirkte genau
das Gegenteil von dem, was es bewirken sollte. Chirtine schrie erneut entsetzt
auf, ihr Reittier ebenfalls, und sofort begannen sie allesamt wieder im
Kreis herum zu rennen, wobei die Atemschläuche und Hautlappen munter
auf und ab wippten. Auch Ya Coo Sa, Canerio, Webolo und die beiden Hexen
nahmen jetzt allesamt ihre Beine in die Hand und rannten mit. Eigentlich
wußte niemand genau, wohin er laufen sollte, nur Laufen schien auf
irgendeine Art und Weise angebracht zu sein. Rosinante glotze derweil fasziniert
auf die kleinen Schwingeschwänzchen, die am Hinterteil der Trampeltiere
klebten, und versuchte zu ergründen, warum alles an diesen Tieren
so groß war, nur eben dieses Teil nicht.
"Das ist bei Elefanten nun mal so", klärte
Orhima sie auf, während sie genervt an ein paar Grashalmen knabberte,
die sie aus dem weichen, würzig duftenden Boden zog. "Nur der da...
der scheint mir ein Mischling oder so was zu sein, eigentlich haben die
gar keine so langen Haare." Orhima rappelte sich hoch und marschierte kurzentschlossen
auf die tosende Menge zu. Sie sah sich kurz um und sprach dann einen der
Grauhäuter an, jenen, der ihr vorhin schon aufgefallen war durch sein
langes, weiches Fell, und sagte mit der samtigsten Stimme, derer sie fähig
war: "Du... ich hab da ein Problem!"
"Hä? Wat is?" Er stoppte abrupt und sah
mißtrauisch auf das vor ihm stehende Kamel.
"Halt doch mal deine Jungs da an, ist ja nicht
zum aushalten, mir ist schon ganz schwindlig..." Ein seidiges Wimpernpaar
klimperte gekonnt und schon ertönte ein lautes töööörööö,
das die Blätter der riesigen Bäume um sie herum zum Rascheln
brachte.
"Ich danke dir, Süßer...„
Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen
und trottete gemütlich zurück zu Rosinante.
Rosinante staunte und Canerio ergriff verdattert
und völlig aus der Puste das Wort.
"Wer ...", keuchte er, "... wer und was seid
ihr denn?"
"Wir sind Fantis ... und ich bin Rastafari",
antwortete der Zottelige verständnislos. Seine Stimme erinnerte Webolo
an ein großes zotteliges Tier namens Sonson, seine Großmutter
hatte ihm immer Geschichten von ihm vorgelesen, ja genau, dachte
er, wie Sonson aus dem Kümmelweg!
"Und mich nennt man Chirtine, die Wirtin vom
Fantihof", flötete es plötzlich hinter Rastafari und schon stand
die blonde Herrin der Fantis neben Canerio und strahlte ihn an.
"Ohhhh, war das alles aber aufregend! So viel
Spaß hatte ich schon lange nicht mehr!" Sie strahlte übers ganze
Gesicht und machte den Eindruck eines rundum glücklichen Menschens.
Canerio gab sich große Mühe, den prallen Brustkorb außer
acht zu lassen, der da vor ihm auf und ab wogte, und konzentrierte sich
statt dessen lieber auf die schlanke Taille, die jede Wespe vor Neid hätte
erblassen lassen. Moordrache konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
"Ihr seid Chirtine? DIE Chirtine?" fragte
der alte Ritter fassungslos.
"Die? Welche denn?"
"Die von Morholt", piepste Webolo aufgeregt
dazwischen.
"Morholt? DER Morholt? Oh, meiiiiin Gooott,
das ist ja Wahnssiiiiiinn!"
Chirtine sprang vor Freude in die Luft und
klatschte dabei in die Hände. Noch während sie landete, pfiff
sie so laut, daß Moordrache sich erschrocken die Ohren zuhielt. Doch
die Fantis stellten sich sofort ganz brav in Reih und Glied hinter sie
und warteten anscheinend geduldig auf weitere Kommandos ihrer Herrin.
Plötzlich flatterte etwas durch die Büsche
und landete direkt zu Chirtines Füßen.
Hansevogel, der sich ein bißchen umgesehen
hatte, war zurückgekehrt, um seinen Freunden zu erzählen, daß
er einen großen Hof entdeckt hatte, wo sie möglicherweise alle
übernachten konnten.
"Na so was ... wer bist du denn?" Chirtine
bückte sich kurz und bestaunte mit großen Augen das Federtier
zu ihren Füßen.
"Hansevogel mein Name ... und wer seid Ihr?"
"Na, ich bin Chirtine, die Wirtin ...ach,
du bist ja ein soooo knuddeliges Federbällchen, hmm..."
Sie überlegte nur kurz, dann rief sie
vergnügt:
"Hey ... Morholts Freunde sind selbstverständlich
auch meine Freunde! Kommt mit, wir gehen erst mal ordentlich was futtern
bei mir." Sprachs, drehte sich ohne abzuwarten um und schwang sich mit
einem unglaublich geschmeidigen Satz auf den Rücken ihres Reitfantis.
"Na, was ist denn? Kommt ... das wird bestimmt
schööööön, na los ...„
Lachend ritt sie drauflos und ein Dutzend
Graufantis mit Schwingeschwänzchen trotteten ergeben hinterher.
"Na denn....", murmelte Canerio.
" Ja, na denn woll'n wir mal, oder?" Ya Coo
Sa pfiff vergnügt und setzte sich grinsend in Bewegung.
Als sie kurze Zeit später den Fantihof
erreichten, blieb ihnen allesamt die Spucke weg. Baumhäuser gab es
da und riesige Schwimmbottiche, in denen kleine Fantibabys planschten,
wunderschöne Pflanzen, die in großen Kokosnussschalen eingepflanzt
waren und vor allen Dingen roch es nach lauter verdammt leckeren Speisen.
Webolo flüsterte leise zu Canerio: "Meister,
sind wir jetzt im Paradies?"
Chirtine, die gerade mit einem großen,
beladenen Tablett aus einer Bambushütte trat und Webolos Frage mitgehört
hatte, lachte vergnügt vor sich hin.
"Uiiiiiii... du bist aber ein Lieber, gell?
Möchst' ein Schwampferl? Die schmecken sooooo süüüüüß,
probier mal!" Sie tätschelte Webolo übers Haar, kniff ihn einmal
in die Wange und drückte ihm umgehend einen Teigkringel in die Hand,
der tatsächlich unwahrscheinlich lecker roch. Mit kleinen geschmeidigen
Schritten tänzelte sie nun zu Ya Coo Sa und hielt ihm lächelnd
das Tablett unter die Nase. "Ihr seht sehr hungrig aus, bedient Euch doch,
es ist noch genug da. Oder möchtet Ihr lieber ein Hazelnubrot?"
"Hazelnubrot?" Irritiert sah der Schwarzmagier
sie an. Von so einem Hazelnubrot hatte er noch nie etwas gehört.
"Nun", antwortete er bedächtig, "wenn
das genauso lecker ist, wie all die anderen Sachen hier...?"
"Hihi... Ihr seid mir ja einer. Nicht weglaufen,
ich komme gleich wieder!" Verschwörerisch lächelte sie ihm zu
und eilte zurück zur Bambushütte.
Unterdes lief Webolo kauend, schmatzend und
alles genau betrachtend durch die Gegend. So viel gab es hier zu sehen,
was er noch nie gesehen hatte. Auch die anderen nebst Rosinante und Orhima
waren damit beschäftigt, alles genau zu betrachten und vor allen Dingen,
sich mit lauter kleinen Köstlichkeiten vollzustopfen, wobei die Schwampferl
sich zu ihrer aller Lieblingsspeise mauserten.
Nur eine Person interessierte dies alles überhaupt
nicht. Gleich nach dem alle damit beschäftigt waren, den Fantihof
zu erkunden, machte sich Crosideria sofort auf, zurück zu der Stelle,
wo sie das kleine Pelzknäuel, das den Moordrachen so in Angst und
Schrecken versetzt hatte, zum erstenmal entdeckt hatte.
"Hallo... Kleiner... komm doch wieder raus.
Ich tu dir ganz bestimmt nichts." Sie setzte sich auf den Waldboden und
seufzte. "So ein Mist, jetzt isser bestimmt weg."
Minuten vergingen, dann eine Stunde, doch
er ließ sich einfach nicht sehen.
Es wurde langsam dunkel und sie wurde traurig.
Enttäuscht rappelte sie sich wieder hoch und klopfte sich Laub von
ihren Kleidern, als sie plötzlich ein leises Rascheln vernahm.
Sofort verhielt sie sich ganz ruhig und traute
sich kaum zu atmen, so aufgeregt war sie. Langsam und ganz vorsichtig kam
ein kleines pelziges Wesen angehoppelt, das sich ständig, wie es ihr
vorkam, suchend umsah.
"Hallo Bääääärtram",
flüsterte sie leise.
Er kam nun etwas näher und sah sie aus
kleinen, runden Augen erwartungsvoll an.
"Ich bin Crosideria... komm ruhig her, es
wird dir nichts geschehen. Der große Drache ist weg, also trau dich
ruhig." Sie streckte ihm die Hand entgegen und nach kurzem Warten setzte
sich das Knäuel in Bewegung und kletterte erst etwas zögerlich,
dann aber doch recht mutig auf ihre Handfläche.
Es gluckste und schnurrte, als sie begann,
vorsichtig und ganz sanft seinen kleinen Hals zu kraulen. Es besaß
recht dünne Arme und Beine, dafür aber einen voluminösen
Bauch der mit seidenweichem Fell bedeckt war. Bäääääärtram
grinste verträumt und entblößte dabei zwei Reihen Nadelspitzer
Zähne.
© by Sylvia
"Huh... sieh sich das einer an, du bist wohl
ein ganz Gefährlicher, hm?" Lächelnd stupste sie ihn auf die
Nase. Er setzte sich in ihrer Handfläche auf und stupste sie nun ebenfalls
auf die Nase.
"Hallo, du lernst aber schnell!"
Erstaunt sah sie ihn an.
"Hallolo", sprach er mit seiner glucksenden,
leisen Stimme nach.
"Das müssen wir wohl noch ein bißchen
üben!„
Grinsend drückte sie ihm einen kleinen
Schmatzer auf den pelzigen Kopf, woraufhin Bäääärtram
sich sofort an den langen Kaninchenohren zog und sich wie ein Igel zusammenkugelte.
Crosideria lachte laut auf. Bääärtram
klappte ein Ohr nach oben, bewegte es in alle Richtungen, winkte damit
und entrollte sich wieder. Die kleinen Händchen ineinander verschränkt,
saß er nun da auf ihrer Handfläche als wolle er sagen: Und nu?
Was machen wir jetzt?
Und wie schon so oft in ihrem Leben tat Crosideria
wieder einmal etwas, dessen Ausmaße sie jetzt noch gar nicht erkennen
konnte. "Komm, kletter' in meine Tasche", flüsterte sie ihm zu, "du
hast ab jetzt ein neues Zuhause..."
"Wo warst du denn bloß?" Sylveria
musterte ihre Kollegin von oben bis unten und ein leiser Vorwurf klang
in ihrer Stimme mit. "Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Diese nette Chirtine
hat gerade eine Rüsselballett- Vorstellung mit diesen Grautieren gegeben
- aber das hast du natürlich wieder verpaßt. Und jetzt schlafen
schon alle." Sie deutete auf die Gefährten, die, wie sie selbst, alle
im Freien nächtigten. Während sie es sich bei Canerio und dem
Knappen gemütlich gemacht hatte, lümmelte Ya Coo Sa in einer
Hängematte, Hansevogel zu seinen Füßen. Der Drache lagerte
ein wenig abseits. Crosideria machte ein betrübtes Gesicht, ließ
sich neben Sylveria nieder und blickte enttäuscht auf die lange Reihe
Fantis, die aneinandergelehnt und die Rüssel miteinander verschlungen
friedlich schlummerten und vor sich hin träumten.
"Ooooch", flüsterte sie, "scheda!"
"Hmm? Was ist?"
"Ähh, ich mein' schade. Gibt's noch was
zu essen? Ekkse vielleicht?"
"Ekkse??"
Sylveria starrte ihre Freundin an, als wäre
sie nicht richtig bei Sinnen.
"Ähh, Kekse natürlich..."
Crosideria schüttelte verwundert den
Kopf, als wäre ihr selbst nicht ganz klar, was sie da von sich gab.
Und außerdem sah sie in Gedanken bereits Ärger in Form eines
Moordrachen auf sich zukommen. Falls der Drache spitzbekommen sollte, daß
sie das Pelzknäuel, das ihn so zum Schlottern gebracht hatte, aufgelesen
und mitgenommen hatte, würde er wahrscheinlich sehr, sehr aufbrausend
reagieren.
Man wußte ja inzwischen, wie das bei
einem Drachen aussah...
Die Hexe verstand ohnehin nicht, was an diesem
kleinen Tierchen angeblich so gefährlich sein sollte, daß sogar
ein so großer und furchtloser Kerl wie der Moordrache vor ihm bibberte.
Ihre Finger fuhren unbemerkt in die Tasche, tasteten nach weichem Fell
und kraulten das kleine Kerlchen, das sich noch enger zusammenrollte und
wohlig schnurrte. Wie konnte so etwas Niedliches eine Gefahr darstellen?
Auf keinen Fall würde sie diesen drolligen Bääärtram
wieder hergeben, da konnte der Moordrache wettern und toben, wie er wollte.
Crosideria war sicher, daß er nur irgend etwas verwechselt hatte.
Sie beschloß, Sylveria von dem haarigen Fund zu erzählen, der
zusammengeringelt in ihrer Tasche schnarchte - es war einfach besser, eine
Verbündete zu haben.
Sie stubste die Kollegin, die gerade wieder
ins Reich der Träume hinüberzugleiten drohte, in die Rippen.
"He, guck mal..."
"Was denn?" kam ein gedämpftes Grunzen
zurück. "Laß mich doch schlafen..."
Crosideria rüttelte die Freundin an der
Schulter.
"He, mal guck doch, matgebricht habe was ich
- süß nicht er ist? Nooo siedlich, vernicht ich steh, wamoor
der Rumdrache sich auf soregt..."
Sylverias Augen wurden groß und größer,
während sie sich aufrichtete. "Sag mal, geht's dir nicht gut??"
Verwundert bewegte Crosideria ihre Kiefer,
offensichtlich um zu testen, ob sie sie noch unter Kontrolle hatte. Sie
schüttelte resigniert den Kopf.
"Vielelicht schlafte ich einfach mal sollen",
seufzte sie, "tagen ist auch noch ein Morg."
"Aaaaaaaauufsteeeeeeheeeeen!"
Geradezu widerlich frisch und ausgeschlafen
tönte Chirtines fröhlicher Weckruf durch den gerade erwachenden
Dschungel, begleitet von dem tööörööööööö
eines ganzen Fanti-Chors, der sofort lautstark in das Geschrei mit einfiel.
Moordrache hielt sich entsetzt die Ohren zu.
Strahlend und gutgelaunt, in einer Hand einen
vollbepackten Korb mit Kaffeebechern, Schmalzkringeln und einem Stapel
Hazelnubroten, tänzelte die Gastgeberin aus ihrer Baumhütte,
schnappte sich eine Liane, die neben er Tür baumelte und ließ
sich elegant nach unten gleiten. Crosideria, die gerade verschlafen die
Augen aufschlug, mußte feststellen, daß Chirtine noch besser
aussah als am Vortag - sie trug statt des Leoparden-Zweiteilers einen modischen
Fummel aus etwas, das aussah wie gestreiftes Tigerfell und die Hexe mußte
neidvoll gestehen, daß dieses knappe Teil einfach fabelhaft an ihr
aussah. Sie kämpfte sich aus ihren Decken frei und weckte Sylveria
und Webolo, die zu ihren beiden Seiten schnarchten und nicht die geringsten
Anstalten machten, sich endlich zu erheben.
"Hallööööchen! Guten Moooorgen",
rief Chirtine und klatschte einem der Graufantis, der groß und breit
wie ein Gebirge mitten im Weg stand, auf das faltige Hinterteil, damit
er beiseite trat. "Husch, husch... raus aus den Federn! S'gibt Früüühstüüüück!"
Mit einem Ruck zog sie Ya Coo Sa, der in der
Hängematte vor sich hin döste, die Decke weg.
"Heute hab' ich auch viiiiel mehr Zeit für
meine lieben Gäste", verkündete sie, während sie den Korb
auspackte und die Kaffeebecher auf einen Tisch unterhalb ihrer Hütte
stellte. "Mein Personal hatte nämlich gestern seinen freien Tag, deswegen
mußte ich ja alles alleine machen und konnte mich euch gar nicht
richtig widmen. Aber heute wird das anders!"
"Ahh, Ihr habt auch Personal, Werteste?" Canerio
trat heftig knirschend und quietschend zu ihr und half beim Tischdecken.
"Ich hoffe, es ist gut ausgebildet - es gibt heutzutage nichts Schlimmeres
als unfähiges Personal - da kann ich ein Lied davon singen."
Der Ritter erntete von seinem Knappen einen
empörten Blick, doch er bemerkte es nicht einmal, seine Augen klebten
unentwegt nur an der feschen Chirtine.
"Hach, Ihr seid ja richtig zum knuuuuddeln",
lachte die Chefin, "natürlich habe ich Personal - ganz allein hier
im Dschungel zu leben ist nicht gerade sehr amüsant... soooo viel
Arbeit!
Sie werden sicher bald hier sein - setzt Euch doch so lange... hier habt
Ihr ein Schwampferl, eßt nur tüchtig!"
Sie drückte dem Ritter einen Schmalzkringel
in die Hand und tätschelte ihm die Backe. Währenddessen versammelte
sich auch der Rest der Truppe müde und verschlafen um den gedeckten
Tisch. Sogar der Moordrache schlurfte heran, aber sein ungewohnter Anblick
brachte sofort die ganze Fantiherde wieder zu nervösem Schwänzchen-
und Rüsselschwingen und dieser haarige Fleischklops namens Rastafari
wedelte so aufgeregt mit seinen riesigen Ohren, daß die ganze Tischdekoration
davonzufliegen drohte.
"Du machst sie nervös", stellte Webolo
vergnügt grinsend fest.
"Ach was", brummte Moordrache mißgelaunt,
"ich mach die nicht nervös! Die wedeln sich nur gegenseitig Frischluft
zu."
"Haaach, mein Kleiner", flötete Chirtine
und tätschelte beruhigend den riesigen, langhaarigen Fellberg, bei
dem man nur am baumelnden Rüssel und den langen Stoßzähnen
erkennen konnte, wo vorne war, "gell, der macht dich ganz narrisch, der
große Drache da... wart', wir spielen dein Lieblings- Spielchen,
das bringt dich ein bisserl auf andere Gedanken..."
Mit diesen Worten und einer Körperkraft,
die man dem Persönchen gar nicht zugetraut hätte, nahm sie einen
der Baumstämme, die unterhalb ihrer Stelzenhütte lagerten, hob
ihn mit einer Hand - was Canerio zum Lüpfen einer Augenbraue brachte,
als er fasziniert ihren Bizeps anstarrte - nahm ein paar Schritte Anlauf
und schleuderte den Baumstamm wie einen Speer in den Dschungel.
"Na los! Bring's Stöckchen!"
Rastafari schwang seinen Rüssel in die
Luft, trötete glücklich und donnerte in einer Staubwolke in den
Dschungel davon, wobei er vor lauer Aufregung beinahe Chirtines Hütte
niedergerissen hätte.
"Er hat halt Angst vor so unheimlichen Drachen,
der Kleine", meinte Chirtine mitleidig und besah sich den Moordrachen,
der an diesem Tag besonders übel gelaunt zu sein schien, von den Hörner
bis zu den Fußsohlen, "dabei ist er sooo liiiieb!" Moordrache popelte
mißmutig mit einem der dünnen, zugespitzten Baumstämme
zwischen seinen Zähnen und hatte sein bestes Morgenmuffel- Gesicht
aufgesetzt.
"Ich bin nicht unheimlich", grummelte er beleidigt,
"ich bin die Nettigkeit in Person!"
Webolo brachte sich gleich einige Schritt
weit in Sicherheit - mittlerweile wußte er ganz genau, daß
man den Drachen nicht einmal schief ansehen durfte, wenn er so gelaunt
war, ohne in Gefahr zu laufen, von ihm weggepustet zu werden.
Moordrache ignorierte Chirtine geflissentlich,
stocherte weiter in seinen Zähnen und tat so, als interessiere ihn
alles, was um ihn herum geschah, überhaupt nicht. Selbstverständlich
tat er nur so, denn mit einem Auge behielt er ständig die Szenerie
im Blick.
Und so bemerkte er auch, daß sich Crosideria
heimlich an ihm vorbei Richtung Wald verdrücken wollte.
"Und? Wohin des Wegs?" blaffte er die ahnungslose
Hexe an, so daß sie einen Satz zur Seite machte und vor Schreck beinahe
aus den Schuhen kippte.
"Hmm...", machte sie und winkte ab, so als
wolle sie sagen, daß es ihn nichts anginge - doch da hatte sie die
Rechnung ohne den Wirt gemacht - Moordrache streckte gelangweilt eine Klaue
aus und hielt sie am Kragen fest.
"Nee, nee... du wirst schön hierbleiben",
bestimmte er, "ich habe keine Lust, wegen dir am Ende noch einen Trupp
Such-Fantis losschicken zu müssen. So sehr sollten wir unsere Gastgeberin
auch nicht überstrapazieren. Wo warst du gestern überhaupt so
lange?"
Crosideria zuckte mit den Schultern und blickte
nervös zum Wald hinüber.
"Na los! Raus mit der Sprache!" forderte der
Drache und seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
"Ähhhh ...."
"Ich höre?"
"War nur im Wald", murmelte Croseria und sah
aus, als müsse sie sich gerade angestrengt auf etwas konzentrieren.
"Ja, das weiß ich", knurrte der Moordrache
ungehalten. "Was hast du denn da so lange gemacht?"
"Ich war spaz nurieren, du drachliger Dusse
- wieso mußt du dich eigentall übermisch einlichen und deise
Nane immer in Stinge decken, die dich üüüüberhauptgar
angehen nix??" sprudelte es aus ihr heraus. Dann herrschte Stille. Einen
Moment lang starrten sie sich verwirrt an.
"Was?" fragte der Drache verständnislos.
"Kannst du das noch mal wiederholen?"
"Nein!" Crosideria verschränkte beleidigt
die Arme vor der Brust. "Ruh' mich in Lasse!"
Doch er dachte gar nicht daran, denn ein schrecklicher
Verdacht keimte inzwischen in ihm auf...
"Was hast du im Wald gemacht?" wollte er wissen
und betonte dabei jede Silbe einzeln.
"Sag schon! Du wirst doch nichts angefaßt
haben? Oder gar mitgenommen??"
Die Hexe sah aus wie das schlechte Gewissen
in Person, und während sie noch heftig die Vorwürfe abzustreiten
versuchte, schwante dem Moordrache schon, was geschehen war.
"Ich hab mit nommgenixen", beteuerte Crosideria.
"Da war nur so ein tierliches Niedchen, harm ganzlos!"
"Von wegen harm ganzlos... ähhh, ganz
harmlos! Ich hab' dir doch gesagt, du sollst das nicht anfassen! Das ist
ein Bääärtram!"
"Na und? Ich wechsle, du verglaubst da was...
was stell der denn schon ansollen?"
"Wo ist er?"
"Tier in meiner Hasche", gestand die Hexe
nach kurzem Zögern und seufzte. "Ich glaube, ich zückbesser ihn
zubring, oder?"
"Ja, aber gaaanz schnell!" donnerte der Moordrache.
"Bring ihn sofort dorthin zurück, wo du ihn aufgelesen hast! Bleib
nicht stehen, schau dich nicht um, gehe nicht über Los und fass' vor
allen Dingen nichts mehr an, hast du gehört? Der infiziert hier sonst
noch alles... falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Bääärtram
sind schlimme Wortverdreher, manchmal stehlen sie sogar Wörter oder
sogar ganze Sätze. Soviel ich weiß ernähren die sich davon
- und sobald man sie anfaßt, befällt einen dieses Bääärtram-Syndrom.
Also, Abmarsch - und ich will dich hier erst wieder sehen, wenn das Vieh
ganz weit weg ist!"
"Knabei ist der so duddelig", murmelte Crosideria
kleinlaut. "aykoayko, ich wegs ja schon unterbin!"
Moordrache sah ihr nach, bis sie auf dem ausgelatschten
Fanti-Trampelpfad im Wald verschwunden war, doch gerade als sie aus seinem
Blickfeld verschwand, sah er zwei andere Gestalten auf sich zukommen. Ihm
blieb der Mund offen stehen, als er erkannte, was da angewackelt kam...
eine Drachendame!
Allerdings war er nicht so sehr über
ihre Schönheit verdutzt, eher das Gegenteil war der Fall. Es war eine
Laufdrachin, die da auf müden Knochen angeschlurft kam - eine von
der Sorte, die auf dem Rücken etwas trug, das der Moordrache verächtlich
Flügelstumpen nannte. Sie schien im wahrsten Sinn des Wortes schon
ein paar Jährchen auf dem - tatsächlich vorhandenen - Buckel
zu haben, ihre grünbraunen Schuppen waren vom Alter so glanzlos und
stumpf, daß sie wohl auch durch tagelanges Polieren nicht mehr auf
Hochglanz zu bringen gewesen wären.
Was den Moordrachen aber am allermeisten erstaunte,
war ihr Outfit und die Ausrüstung, die sie mit sich herumschleppte:
sie trug eine gräßlich geblümte Schürze und ein Kopftuch,
aus dem oben die kurzen Hörner herausschauten, in der einen Pranke
hielt sie einen riesigen knallroten Putzeimer, angefüllt mit allerhand
Lappen und Bürsten, in der anderen Besen und Schrubber.
Moordrache starrte sie an, als wäre sie
ein Wesen von einem anderen Planeten - und so übersah er beinahe die
spillerige, dürre Gestalt, die hinter der Drachin beinahe vollends
verschwand: ein kleines Männchen, vielleicht knapp viereinhalb Fuß
groß, mit leicht ungesunder, gelblicher Hautfarbe, Sehschlitzen anstatt
Augen und schwarzen Haaren, die aussahen, wie an den Schädel betoniert
und mit Glanzpomade bestrichen. Ein langer, fingerdicker Zopf baumelte
über seiner Schulter, und auch sein Schnurrbart war lang und dünn
und hing ihm bis auf die schmächtige Brust.
"Haaaaalloooo!" schrie Chirtine freudig, als
sie die beiden entdeckte. "Da seid ihr ja endlich, meine Lieben! Und zu
den Gefährten gewandt teilte sie freudestrahlend mit: "Das ist nun
endlich mein vielgepriesenes Personal, darf ich vorstellen: Mathilde, meine
Haushaltsperle und Souf Lee, mein chinesischer Koch!"
.
© by Sylvia
|