Webolo fühlte sich, als würde er
durch einen riesigen Fleischwolf gequetscht. Er war sich nicht klar darüber,
ob der Rachen um ihn herum und mit ihm der Dämon ins schier Unermessliche
zu wachsen schien oder ob er dagegen selbst zusammenschrumpfte - jedenfalls
sahen die gelblichen Zahnreihen des Dämons auf einmal aus wie turmhohe
Palisaden und die Zunge wie ein unüberwindbarer Berg, an dessen Ende
zwei riesige Portale nur darauf warteten, sie in unheimliche Tiefen zu
reißen.
Zwischen den grässlich spitzen Zähnen
hindurch sah er den Moordrachen wütend herangaloppieren, doch ehe
dieser den Dämon erreichen konnte, zerrte plötzlich ein gewaltiger
Sog an Webolos Armen und riss ihn nach hinten, vorbei an einem Paar überdimensionaler
dämonischer Rachenmandeln in eine endlos erscheinende, hellrote Röhre.
Wie eine Schlenkerpuppe wurde er umhergewirbelt, flog von einer der glitschigen
Wände zur nächsten, prallte mit dem wild um sich tretenden Canerio
zusammen - und das alles, während er verzweifelt versuchte, sich an
Rosinante Schweif festzuhalten, um nicht abgetrieben zu werden und am Schluß
vielleicht irgendwo zu landen, wo er gar nicht hinwollte.
"Hilfe!" kreischte er und wirbelte um die eigene
Achse, "hilfe ... was ist das? Meister? Meeeeeeiiiiister!"
Waren sie vielleicht doch wieder in eines
dieser unberechenbaren Dimensionstore geraten?
Webolo flog umher wie ein Gummiball, sah den
Ritter armrudernd und mit weit aufgerissenen Augen an sich vorbeirasen,
dann wurden sie abrupt um eine Kurve geschleudert. Von da an ging es steil
nach unten, wie in einer Rutschbahn sauste der Knappe auf dem Hosenboden
unaufhaltsam in die Tiefe, gefolgt von seinem röchelnde Hilfeschreie
ausstoßenden Meister. Als Rosinante sie mit angelegten Ohren und
gefletschten Zähnen überholte, stellte Webolo entsetzt fest,
daß seine Hand nur noch ein paar ausgerissene Schweifhaare umklammerte.
"Rosinante - warte!" brüllte er, stopfte
sich das Haarbüschel in die Taschen und beeilte sich, der Stute hinterherzukommen.
Trotz aller Gefahren - so langsam begann die Sache ihm richtig Spaß
zu machen und er wäre nicht seines Meisters Knappe gewesen, hätte
er nicht noch etwas Gutes an ihrer misslichen Situation gefunden. Eigentlich
war es nicht mal so schlecht, von einem Dämon verspeist zu werden
...
Verzückt legte er sich in die Kurven,
um Rosinante wieder einzuholen, während alle drei in rasender Geschwindigkeit
die sich windende und biegende Röhre abwärts rutschten. Er stellte
fest, daß er sogar ein wenig steuern konnte, indem er das Gewicht
von einer Seite zur anderen verlagerte und mit den Absätzen arbeitete
- eigentlich war es ähnlich wie beim Schlittenfahren. Voller Begeisterung
drehte er sich nach seinem Ritter um, den er direkt hinter sich scheppern
und fluchen hörte.
"Hey, das ist cool!" gröhlte er, "seht
mal, Meister, so müßt Ihr das machen!"
Canerio aber hatte gar keine Zeit, irgendwohin
zu gucken, denn er versuchte krampfhaft, seine letzte Mahlzeit bei sich
zu behalten. Schweißtropfen glänzten vor Anstrengung auf seiner
Stirn und er konnte nur ein gepresstes "Knappe, so nehmt Euch doch zusammen!"
von sich geben. Webolo kümmerte sich nicht weiter darum, ließ
seinen bleichen Meister schimpfen und setzte mit einem freudigen Jauchzer
Rosinante nach, die gerade versuchte, ihre Hufe in die vorbeisausenden
Wände zu stemmen.
"Jipppppiiiieee! Aus dem Weg!" johlte er.
"Jetzt komme iiiiiiiiich! Platz da! Hier kommt der größte Rutschbahnrutscher
aller Zeiten, hier kommt Webolooooooooo....."
Canerio blickte ihm seufzend nach, sah ihn
ihr Streitross überholen und dann registrierte er nur noch, wie Webolo
mit einem irrwitzigen Geschwindigkeitsüberschuß hinaus in eine
riesige Höhle segelte, die sich auf einmal am Ende der Röhre
vor ihnen auftat.
Es mache "Wuuuuuusch" und einen Augenblick
später war der Knappe auch schon verschwunden. Sein Kreischen verklang
hallend in der Tiefe.
"Oh nein! Oh nein, nein, nein!" Canerio sah
das Ende des Tunnels und dahinter ein bodenloses Nichts auf sich zurasen
und versuchte verzweifelt, seine irrwitzige Fahrt zu stoppen, er grabschte
nach den schmierigen Wänden, versuchte, die Absätze in den Boden
zu rammen, schwitzte und kämpfte, doch vergeblich - einen Wimpernschlag
später schossen auch er und Rosinante hinaus in die Leere der gigantischen
Höhle. Für eine Sekunde schwebten sie geradeaus weiter - dann
stürzten sie dem tief unter sich liegenden Boden entgegen.
Canerio kniff die Augen zusammen und betete
zu sämtlichen Göttern, die ihm gerade in den Sinn kamen - doch
der Aufprall, den er erwartete, blieb aus.
Stattdessen fiel er auf weichen, federnden
Untergrund, der ihn mit einem schmatzenden Geräusch zu verschlucken
drohte. Mühsam kämpfte er sich frei, schob einige seltsame Gebilde
zur Seite, die beinahe wie Tentakel aussahen und schaute sich nach seinen
Leidensgenossen um. Rosinante saß mit tellergroßen Augen und
völlig verwirrtem Gesichtsausdruck neben ihm und schien die Welt nicht
mehr zu verstehen. Bräunlicher Matsch hing in ihrer Mähne und
tropfte von ihrer Stirn. Sie schüttelte sich ein paarmal und blähte
die Nüstern, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, doch die merkwürdige
Umgebung, in der sie sich befanden, schien kein aberwitziger Traum, sondern
Realität zu sein.
Canerios Blicke schweiften durch die riesige
Höhle, während er versuchte, sich aus dem wabbeligen Boden zu
befreien. Die Wände und die weit entfernte Decke sahen irgendwie glitschig
und klebrig aus, ähnlich wie diese lange Röhre, durch die sie
hier hereingepurzelt waren, und sie hatte seltsame Auswüchse, die
wie Fetzen von ihrer Oberfläche hingen. Das Ganze leuchtete in einem
unheilvollen roten Licht. Der weiche Untergrund war knöchelhoch mit
einer undefinierbaren Flüssigkeit bedeckt, die brodelte und große
Blasen schlug, an manchen Stellen kroch eine Art Nebel über den Boden
und hüllte alles in ätzende Dampfschwaden. Und es stank bestialisch.
Canerio kam sich vor, als würde er in einem überdimensionalen
Kochtopf sitzen.
Aus den Augenwinkeln erfasste er Webolos Gestalt,
der auf dem federnden Boden herumhopste wie auf einem Trampolin und übers
ganze Gesicht strahlte, was Canerio zu einem unwilligen Stirnrunzeln veranlasste.
"Meister ...."
"Was ist?" fragte er genervt und versuchte,
diesen ekligen Schleim von seiner Rüstung zu entfernen.
"Euer hinteres Ende glüht!"
"Mein was??"
"Na, Euer Hinterteil", feixte Webolo und deutete
auf Canerios Rüstung, die eine ziemlich heftige Reaktion auf die ätzenden
Flüssigkeit zeigte, die den Boden bedeckte und bereits begann, das
Eisen der Rüstung in rotglühendes Wohlgefallen aufzulösen.
Mit einem Blick über die Schulter auf
seine Kehrseite fuhr der Ritter hoch wie von der Tarantel gestochen.
"Ohjeohjeohje!" entfuhr es ihm und er begann
wie wild mit der Hand herumzuwedeln, um die rauchende Rüstung zu löschen.
"Knappe! Hierher, schnell... zu Hilfe!"
Webolo kam irritiert angehopst und besah sich
den Schaden.
"Was soll ich denn tun?"
"Weiß ich doch nicht!" brüllte
sein Herr und Meister. "Tu einfach was - und zwar schnell!"
Canerio fühlte sich, als würde er
in der eigenen Rüstung gegrillt, aufgeregt lief er hin und her, sprang
und hüpfte ... denn auch seine eisernen Stiefel begannen nun zu glühen
und sich in der Flüssigkeit aufzulösen. Die Säure fraß
sich bereits durch seine Stiefelsohlen.
"Bleibt doch mal stehen!" schimpfte Webolo
und versuchte eifrig, mit Pusten den Brand zu löschen, während
sein Meister von einem Bein aufs andere sprang.
© by Sylvia
Den Schuhen des Knappen und auch Rosinantes
Hufen schien dieses brodelnde Zeug hingegen nichts anhaben zu können
- Webolos Füße wurden nicht einmal nennenswert warm - und so
entschied er sich, den Meister auf Rosinantes Rücken zu verfrachten,
wo er und seine eiserne Bekleidung wohl vor dem Säurebad vorübergehend
in Sicherheit waren.
Er versuchte, Canerio in den Sattel zu hieven,
doch der stöhnte nur gequält auf, als sein inzwischen nur noch
leicht bekleidetes, dafür heftig qualmendes Hinterteil auf das harte
Leder traf. Stattdessen drehte er sich herum und legte sich bäuchlings
quer über Rosinantes Rücken.
"Aahja, so ist das schon viel besser", ächzte
er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ein wenig verlegen ob der heiklen Situation
flüsterte er:
"In den Satteltaschen ist Heilsalbe... könntest
du wohl...?"
Webolo pulte grinsend die Eisensplitter aus
dem Allerwertesten seines Meisters.
"Wo sind wir denn hier eigentlich gelandet?"
fragte er, während er die Salbe auftrug und sah sich in der rotleuchtenden
Höhle um.
"In seinem Magen, vermute ich mal", nölte
Rosinante. "Er hat uns gefressen, falls du's noch nicht mitgekriegt haben
solltest!"
"Hmm", überlegte der Knappe, "das wird
eine ganz neue Erfahrung werden, ich bin nämlich noch nie verdaut
worden."
"Ich schon", grunzte der Ritter von Rosinantes
Rücken herunter, "naja, zumindest beinahe."
"Eigentlich habe ich aber gar keine Lust,
als Abendessen für einen wildgewordenen Dämonen zu dienen", grübelte
Webolo. "Wir sollten den Ausgang suchen und verschwinden."
"Und wo soll der sein?" mischte sich die Stute
ein. "Auf dem Weg, auf dem wir hergekommen sind, können wir nicht
zurück - da müssten wir schon fliegen können!" Mit einem
Kopfnicken deutete sie nach oben an die Höhlendecke, wo sie weit entfernt
das Ende der dämonischen Speiseröhre erkennen konnten.
"Nö, da hast du wohl recht", gab Webolo
kleinlaut zu. "Na, dann suchen wir eben das andere Ende."
Canerio verzog angeekelt das Gesicht.
"Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben..."
Der Knappe verpflasterte seinen Meister mit
allem, was er in den Satteltaschen fand und für brauchbar hielt, so
daß er wenigstens wieder aufrecht auf Rosinantes breitem Rücken
sitzen konnte, dann stapften sie los ins Ungewisse. Webolo mußte
einen Augenblick an seine Freunde denken, die sich irgendwo in Quons Weltenburg
aufhielten, und eine heftige Sehnsucht überkam ihn - ob er sie jemals
wiedersehen würde? Den mutigen Moordrachen, den Schwarzmagier, seine
Freundin Orhima und nicht zu guter letzt die freundliche Eule... tapfer
schluckte er den dicken Kloß hinunter, den er plötzlich im Hals
hatte und starrte geradeaus. Wenn er sie wiedersehen wollte, dann durfte
er jetzt nicht den Kopf hängen lassen, sondern mußte diesen
verflixten Ausgang finden!
Sie kamen nur sehr langsam voran, denn der
weiche, schmatzende Untergrund erwies sich als äußerst schwierig
und schien beinahe ein Eigenleben zu führen. Bei jedem Schritt glaubte
Webolo, es würde ihm die Schuhe ausziehen und immer wieder mußten
sie stehenbleiben und Rosinante die Schleimbatzen aus den Hufen popeln,
die ihre Beine wie Bleigewichte nach unten zogen, so daß sie kaum
voran kam.
Die Höhle war so gigantisch groß,
daß sie ihre Ausmaße immer noch nicht richtig hatten erfassen
können. Während sie durch den graubraunen Schlamm stapften, kamen
sie an halbverdauten Überresten undefinierbarer Wesen vorbei, hier
und da ragten abgebrochene Speere und vergammelte Schilde aus dem Boden,
und Webolo hatte nichts besseres zu tun, als sich mit diesen halbverrotteten
Waffen einzudecken - er steckte alles ein, was er als nützlich erachtete
und was noch nicht völlig auseinandergefallen war.
Canerio sah ihm eine Weile angewidert zu,
dann meinte er kopfschüttelnd:
"Bei allen Göttern, was willst du nur
mit diesem alten Zeugs? Das ist doch zu nichts mehr nütze!"
"Ooch, das können wir bestimmt gebrauchen",
erklärte sein Knappe, "wir haben ja keine Waffen dabei und wer weiß,
was uns hier noch alles begegnet!"
"Was soll uns denn hier schon begegnen?" entgegnete
der Ritter. "Wir sind hier im Magen eines ausgebrochenen Dämons und
nicht auf einem Schlachtfeld!"
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, flatterte
etwas Dunkles mit einem lauten quiekenden Geräusch an seinem edlen
Haupt vorbei.
Canerio zog schnell den Kopf zwischen die
Schultern und sah sich irritiert um.
"Was war denn das?"
"Fledermäuse vielleicht?" mutmaßte
Webolo.
"Seit wann gibt es in Dämonenmägen
Fledermäuse?" knurrte der alte Ritter verächtlich und ging flugs
in Deckung, als ein weiteres dieser seltsamen Geschöpfe haarscharf
an seinem Helm vorbeizischte.
Webolo grummelte etwas Unverständliches
von "alter Besserwisser" und "Stammgast in Dämonenmägen" und
versuchte, in der roten Düsternis der Höhle etwas zu erkennen,
doch diese merkwürdigen Flugkreaturen schienen geradewegs aus dem
Nichts zu kommen - immer mehr von ihnen tauchten unvermittelt aus den beißenden
Nebelschwaden vor ihnen auf. Sie konnten nicht viel ausmachen, außer
daß sie lederne fledermausähnliche Flügel und etwa die
Größe von ausgewachsenen Adlern oder kleinen Greifen hatten.
"Achtung!" schrie Webolo, als wieder ein ganzes
Geschwader dieser Biester pfeifend und kreischend auf sie zudonnerte. Schnell
hopste er hinter Rosinante in Deckung und zog eines der zahllosen abgebrochenen
Schwerter aus seinem Gürtel, das er kampfbereit auf die Flugtiere
richtete.
Canerio, der von dem Ansturm beinahe von Rosinantes
Rücken gerissen wurde, versuchte, die Kreaturen mit bloßen Händen
abzuwehren und brüllte seinem Knappen zu:
"Gib mir auch ein Schwert! Schnell!"
"Ach, auf einmal?" kicherte Webolo triumphierend,
"ich denke, wir brauchen das Gerümpel nicht?"
Aber er reichte seinem Herrn und Meister trotzdem
eilig eines der gammeligen Schwerter, damit er sich wenigstens halbwegs
verteidigen konnte.
Gemeinsam und mit Hilfe von Rosinante schlugen
sie die nächste Attacke nieder, Webolo drosch mit allem, was er in
die Finger bekam, auf die anfliegenden Kreaturen ein, daß ihnen Hören
und Sehen verging und sein Meister hoch oben auf Rosinante tat es ihm gleich
- doch die verflixten Biester waren nicht abzuschütteln.
Canerio keuchte schon ganz asthmatisch vor
Anstrengung und auch sein Knappe war fast am Ende seiner Kraft. Webolo
hatte das Gefühl, an der Klinge würden Bleigewichte hängen,
so schwer wog das Schwert auf einmal. Doch als er schon daran dachte, erschöpft
aufzugeben, zogen sich die Flugkreaturen plötzlich aufgeregt quietschend
und jaulend zurück, sammelten sich in der Mitte der Höhle und
verschwanden dann eilig in den Dampfschwaden.
"Was ist denn jetzt los?" fragte Canerio verwirrt
und drehte wild den Kopf hin und her auf der Suche nach den potentiellen
Angreifern. "Haben wir sie in die Flucht geschlagen?"
"Hahaaa!" Webolo warf sich in die Brust, obwohl
er kaum noch das Schwert in Händen halten konnte. "Die hatten doch
sowieso keine Chance!"
Völlig ausgepumpt lehnte er sich an Rosinantes
Flanken und verschnaufte einen Moment. In das Brodeln der Säure und
das weit entfernten Quieken und Pfeifen der Flugkreaturen mischte sich
auf einmal ein anderes Geräusch. Erst war es kaum wahrzunehmen.
Webolo lauschte angestrengt. Es klang wie
ein Rauschen.
"Meister, hört Ihr das?"
Canerio legte den Kopf schief, aber er brauchte
sich nicht einmal besonders anzustrengen, denn das Rauschen war nun nicht
mehr zu überhören und wurde schnell lauter und lauter.
"Was ist das?" flüsterte sein Knappe
mit angstvoll geweiteten Augen. "Es kommt von oben..."
Sie starrten an die Höhlendecke hoch
über ihnen. Das Rauschen wurde zu einem Tosen und klang, als wäre
ein gewaltiger Orkan im Anzug. Und dann sahen sie, was das Geräusch
verursachte ...
Aus der Öffnung in der Decke, durch die
sie in die Höhle gefallen waren, stürzte plötzlich eine
wahre Sturmflut, ganze Sturzbäche einer dunkelroten Flüssigkeit
ergossen sich durch die Speiseröhre und rauschten wie eine massive
Wasserwand in die Tiefe und direkt auf sie zu.
"Waaaaaaaaaaah!!" kreischte Webolo entsetzt.
"Lauft... laaaaaauuuuuft!"
Er rannte, was seine Beine hergaben, gefolgt
von der augenrollenden Rosinante, auf deren Rücken der Ritter auf
und ab hopste. Canerio seufzte und klammerte sich an die zauselige Mähne.
Warum mußten ausgerechnet sie auch noch so ein Pech haben und von
einem Dämonen gefressen werden, der sich scheinbar gerade in diesem
Augenblick einer Rotweinorgie hingab?
Webolo keuchte und kämpfte sich hektisch
durch den zähen, blubbernden Schlamm vorwärts, während er
die Stute am Zügel hinter sich her zerrte - doch er war nicht schnell
genug. Mit einem gewaltigen Schwapp erfasste ihn eine Rotweinwelle und
riss ihn von den Füßen. Er wurde zu Boden geschleudert und verlor
die Zügel. Hektisch paddelnd versuchte er, den Kopf über Wasser
zu halten, wurde ein Stück weit abgetrieben, dann versank er in den
Fluten.
"Knappe! Was tut ihr denn da?" brüllte
der alte Ritter. "Kommt da sofort wieder raus!"
Webolos Kopf tauchte kurz auf, prustend, spuckend...
dann versank er wieder, tauchte wieder auf... er kreischte und wedelte
mit den Armen, dann bekam er endlich einen Tentakel zu fassen, der aus
der Magenwand des Dämons herausragte.
Dort hing er erschöpft und klammerte
sich fest, bis die Flutwelle sich beruhigt und die Oberfläche sich
wieder geglättet hatte.
Canerio hätte ihm ja gerne geholfen,
aber er wagte es nicht, von Rosinantes Rücken zu klettern, aus Angst,
daß sich seine geliebte Rüstung im Säurebad noch vollends
auflösen würde, und so brüllte er nur von oben Kommandos
auf seinen Knappen herunter.
Völlig benommen richtete sich Webolo
wieder auf, spuckte Rotwein und blickte seinen Meister aus glasigen Augen
an.
"W... w...wieso ist Rosinante d... denn auf
einmal zu zweit??"
Der Boden unter ihren Füßen, der
bis jetzt immer relativ eben gewesen war, wurde allmählich abschüssig
und sie hatten das Gefühl, einen langen, steilen Hügel hinunterzulaufen.
Webolo hatte große Schwierigkeiten, auf dem glitschigen Untergrund
nicht zu straucheln - zum einen weil er so rutschig war und zum anderen,
weil ihn der unfreiwillige Rotweingenuss doch sehr zum Torkeln brachte,
und auch Rosinante mußte sich gewaltig anstrengen, sich auf allen
Vieren zu halten und ihren Reiter nicht versehentlich abzuwerfen. Der Abhang
wurde immer steiler und sie schlidderten eine Weile weiter hügelabwärts,
bis sie begriffen, daß sie geradewegs auf eine Art Krater im Höhlenboden
zusteuerten.
"Mir ist schlecht", jammerte Webolo. "Ist
das endlich der Ausgang?"
Canerio schüttelte resigniert den Kopf.
"Ich glaube nicht", gab er zur Antwort. "Ich vermute eher, daß uns
nun ein ziemlich ausgedehntes Labyrinth bevorsteht. So gut müßtest
du dich in Anatomie eigentlich auskennen, Knappe!" schalt er. Webolo beschloß,
seinen Meister einfach zu ignorieren. Er war viel zu sehr mit seinem Magen
beschäftigt, als Widerworte zu geben und sich in eine Diskussion über
dämonische Verdauungsorgane einzulassen.
Sie gelangten nun auf den Grund des Kraters,
wo sich eine Art Pforte befand - er fand zwar eher, daß es aussah,
wie eine überdimensionale lebendige Falltür, aber er hüpfte
tapfer voraus und stocherte mit dem längsten Schwertüberrest,
den er bei sich trug, in der Öffnung herum. Kaum, daß er sie
berührt hatte, tat sich die Pforte wie von selbst auf und gab den
Blick auf eine etwas kleinere Höhle frei.
© by Sylvia
"Siehst du was?" bohrte Canerio, aber Webolo
schüttelte den Kopf. Er spähte angestrengt hinein, konnte aber
nichts entdecken, was irgendwie gefährlich wirkte. Die Höhle
sah etwa genauso aus wie die Magenhöhle des Dämons, nur kleiner.
In den seitlichen Wänden befanden sich Öffnungen, die sich zu
bewegen schienen und ab und zu tropfte zähe, grünliche Flüssigkeit
in kleinen Rinnsalen heraus, aber weiter konnte er nichts bedrohliches
entdecken.
"Die Luft ist rein, glaub ich", verkündete
der Knappe hoffnungsfroh, steckte das Schwert wieder ein und fasste Rosinante
am Zügel. "Gehen wir!"
Als sie sich durch die Pforte gequetscht hatten,
schloß sich der Zugang hinter ihnen wieder. In der kleineren Höhle
war es viel dunkler als in der großen Haupthöhle und Webolo
wünschte sich sehnlichst eine Fackel oder etwas ähnliches herbei
- doch ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihren Weg im Dämmerlicht
fortzusetzen.
Eine Weile marschierten sie nebeneinander
her und beobachteten mißtrauisch die Öffnungen in den Wänden,
die, seitdem sie die Höhle betreten hatten, begannen, diese komische
grüne Flüssigkeit in ganzen Schwallen auf sie abzuschießen.
"Iiiiih, wie das stinkt!" murrte Webolo und
zog die Nase kraus.
Plötzlich blieb er abrupt stehen und
brachte auch Rosinante zum Halten. Angespannt starrte er in die blubbernde
Finsternis vor sich.
"Was ist?" wollte Canerio wissen.
"Da bewegt sich was!"
"Ja und? Hier bewegt sich doch dauernd etwas..."
Der Ritter verstand nicht, was seinem Knappe solche Sorge machte. Er selbst
konnte nicht viel erkennen - sein Sehvermögen war dem Alter entsprechend
natürlich längst nicht mehr so gut wie das des jungen Spunds
neben ihm. Doch auch die treue Rosinante stellte aufmerksam die Ohren und
schien auf etwas zu lauschen.
Und nun bemerkte auch Canerio etwas riesenhaftes,
helles, das sich langsam auf sie zubewegte.
"Lieber Himmel - was IST das?"
Ein gewaltiges, weißes Wesen wälzte
sich auf die Gruppe zu - es sah aus wie eine riesige Schlange mit einem
abgeflachten, platten Schädel, als wäre es gegen einen Felsbrocken
gerannt. Das Ding schien blind zu sein, denn sie konnten nirgends Augen
entdecken - dafür aber ein riesenhaftes, rundes Maul mit nadelscharfen
Zähnen und darüber zwei sich aufblähende Riechöffnungen.
Es hatte alle möglichen komischen Auswüchse
auf dem Rücken und an den Seiten, die fast wie riesige Schwingen wirkten.
Webolo stand da wie versteinert und gaffte
das gigantische Wesen an, das da geradewegs auf sie zukam und just in diesem
Moment ihre Witterung aufzunehmen schien.
"Ein... ein... ein...", stotterte er völlig
perplex, denn ihm fiel so schnell gar kein passendes Wort ein, "ein...
ein... Magendrache!"
Canerio rückte seinen Helm zurecht und
fasste den Griff seines Schwertes fester.
"Ich würde sagen, das ist ein Bandwurm",
seufzte er.
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