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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Fantasy-Story 2003 im Drachental gewählt!

Blauer Drache von Trishol

Die Sonne kroch über den Rand des Horizontes und gab dem Auge den Blick auf das Weideland und die Burg frei. Wachposten patrouillierten über die zinnenbewehrten Mauern. Hauptmann Gaynen und einer seiner Soldaten blickten besorgt, die Hand schützend gegen das Sonnenlicht erhoben, nach Osten.
Noch schien der Scharchawald ruhig, doch bald würde er wieder dem Hexenkessel des Vortages gleichen. Gaynen griff unwillkürlich an den Knauf seines Schwertes, als er an die Feinde, Ritter, Schwertkämpfer und Rammböcke, dachte, die wie Spinnen aus dem Wald gekrochen waren. Zwar hatten die Laufboten der Tricheller die Kriegserklärung schon vor Wochen gebracht, doch der König hatte es nicht für nötig gehalten, genügend Vorkehrungen für einen Krieg oder eine Belagerung der Scharchaburg zu treffen. Verächtlich verzog Gaynen den Mund. Er hielt den König für unfähig, und machte in der Öffentlichkeit auch keinen Hehl daraus. Allein der Herrscher selbst drückte beide Augen zu. Ob er zu feige war, Gaynen die Stirn zu bieten? Der Hauptmann wischte den Gedanken weg, befahl dem Soldaten, die Stellung zu halten und machte sich an den beschwerlichen Abstieg von der Schildmauer.
Müde und verletzte Soldaten lagerten auf dem Vorhof der Burg. Sie warteten auf den nächsten Angriff der Tricheller, einige versorgten noch ihre Wunden der letzten Schlacht. Gaynen überquerte den Hof, passierte ein paar Häuserreihen und betrat den steinernen Bergfried. Er schritt an den, mit Bildern behängten, Ahnengalerien vorbei und öffnete die Tür des Thronsaals. Ein Banner flatterte leicht, als er die Pforte wieder schloss und aus dem Schatten trat. Der König stand von seinem Thron auf, als er Gaynen bemerkte.
"Wie sieht es aus, mein Freund?" sagte er mit seiner sanftmütigen, warmen Stimme. Sein dunkelbraunes Haar war ungekämmt und er schien kaum geschlafen zu haben.
Er ist wirklich nicht für einen Krieg geeignet, dachte Gaynen und verbeugte sich vor dem Herrscher. "Nicht so gut, mein König. Die Schildmauer ist beschädigt und ein Viertel unserer Streitmacht liegt verwundet auf dem Hof. Außerdem ist Euer Vetter Hrem in der Nacht gefallen."
Der König wurde eine Spur blasser, als er ohnehin schon war.
"Des weiteren haben wir den Verlust des Häuptlings der Skrosken zu beklagen. Seine Truppen sind demoralisiert. Sie spielen mit dem Gedanken, die Burg verlassen."
Im Gesicht des Herrschers breitete sich eindeutig Panik aus. "Wann wollen sie gehen?" fragte er mit deutlich zitternder Stimme.
Gaynen zuckte mit den Schultern. "Ohne ihren Häuptling sind sie unentschlossen, sie werden einen neuen wählen, der diese Entscheidung treffen wird."
"Wurden schon neue Feinde gesichtet?"
"Nein, im Moment ist noch alles ruhig." Warum geht er nicht selber nachschauen, dachte der Hauptmann.
In diesem Moment öffnete sich die Tür erneut und ein Skrosk trat ein. In seiner kräftigen Hand hielt er einen langen Speer. Er spielte mit seinen Armmuskeln, als er mit, typisch für einen Skrosk, finsterem Blick vor den König trat. "Ich bin der neue Häuptling der Skrosken, Mitradh. Wir bleiben und unterstützen Euch, König Philes."
Der Herrscher atmete erleichtert auf.
"Jedoch", setzte Mitradh hinzu, "pro Verwundeten oder Toten unserer Krieger möchten wir eine Entschädigungssumme von 20 Prior. Überlegt es Euch gut, in einer Stunde erwarten wir Eure Antwort." Der Skrosk nickte leicht mit dem Kopf, ein Zeichen der Anerkennung, und verließ den Thronsaal.
König Philes wendete sich hilflos an Gaynen: "Können wir die Skrosken entbehren?"
"Nein, Herr. Ich rate Euch, die Summe bereit zu halten und einzustimmen." Danach verließ auch Gaynen den Saal und ließ den König mit seinen Problemen allein.
Ein Soldat kam ihm entgegen gehetzt. "Sie kommen Herr. Und, sie bauen Triboke auf!" schnaufte er.
Gaynen rannte auf den Hof. "Aufsitzen!" brüllte er. "Denen zeigen wir’s." Dann schwang er sich auf seinen schwarzen Hengst Gerlen und donnerte, begleitet von den noch kampffähigen Rittern, aus dem Tor. "Zerstört um jeden Preis die Triboke, Männer!" rief er, bevor er mit seiner Lanze einen Tricheller aus dem Sattel hob. Dann galoppierte er auf einen der Triboke zu, wich einem Fußsoldat aus, und zerschnitt mit einem Schwerthieb, das Spannseil des Belagerungsgerätes. Das wird eine Weile dauern, bis sie das wieder hingekriegt haben, dachte er und wandte sich dem nächsten Tribok zu. Aber inzwischen waren die restlichen Ritter der Tricheller auf die Pferde gesprungen und hetzten den deutlich in der Unterzahl liegenden Verteidigern entgegen. Gaynen prallte mit einem schwer gepanzerten Reiter zusammen und verfluchte den König, der seine Residenz unbedingt auf die Scharchaburg, die erste Burg nach der Grenze zu Trichell, legen musste. Mit seinem leichter gepanzerten Gerlen, konnte er dem Ritter entkommen und deckte nun den Rücken seines besten Kämpfers, dem Alten Paule, wie er in der Burg hieß.
"Wie viele noch, Gaynen?" rief er und schlug einem Reiter das Schwert aus der Hand. 
"Einen hab ich zerstört, einer geht auf Gergelys Kappe, dich hab  ich auch an einem gesehen..." Der Hauptmann ließ den Blick kurz über das Kampffeld streifen. "...da hinten steht noch einer, los komm!"
Gaynen löste sich von einem anderen Feind und ließ Gerlen im gestreckten Galopp zu dem letzten Tribok rennen. Der Alte Paul kam hinterher. Die beiden Ritter zerschnitten die Stricke und versuchten wieder aus der Soldatentraube, die sie umgab, zu fliehen. Gaynen brüllte nochmals über das Schlachtfeld: "Rückzug!" Dann ritt er einen Fußsoldaten nieder und ermöglichte ihm und dem Alten Paul die Flucht. Die Feinde, die ihnen in die Reichweite der Burgschützen folgten, wurden mit einem Pfeilhagel begrüßt.
Im sicheren Burghof stieg Gaynen von seinem mit Schweiß überströmten Pferd. Acht weitere Ritter hatten sie verloren, doch die Triboke waren zerstört worden. Gaynen stieg auf die Schildmauer, um einen besseren Überblick auf das Schlachtfeld zu haben. Doch jetzt kam der zweite Angriff. Mindestens zehn Katapulte schoben sich langsam aus dem Wald. Der Hauptmann schien beruhigt. Zwar hatten die Katapulte aus Trichell eine furchtbare Reichweite, aber sie konnten von der Burg aus in Beschuss genommen werden. Vielleicht könnten sie den Angriff der Tricheller zurückschlagen und sie wieder hinter ihre Grenze treiben.

Eine Woche verging, eine furchtbare Woche voller Blut und Toten. Und das alles nur wegen des Todes des alten Tricheller Königs, dachte Gaynen. Der alte König  wurde auf einer freundschaftlichen Jagt mit König Philes von unbekannten Banditen erschossen. Zufällig wurde einer geschnappt, der sich als ein Diener des Königreiches Scharcha bekannt gab. Nur eine Lüge, um seine Haut zu retten, hatte Philes gesagt, aber der Sohn, jetzt König Garthed von Trichell, erklärte ihm den Krieg. Gaynen schüttelte die Erinnerungen fort und wandte sich wieder der Wirklichkeit zu.
Die Tricheller hatten einen Tribok repariert und nahmen damit die Burg in Beschuss. König Philes war schon lange in Sicherheit gebracht, in die stärkste Festung Scharchas, die Trollburg. Gaynen, seine Männer und freiwillige Mitkämpfer aus der Umgebung versuchten, die Scharchaburg zu halten, doch es sah schlecht aus. Auf dem Schlachtfeld konnten sie kaum noch Siege erringen, denn Garthed ritt selbst in den Kampf. Er war ein furchtbarer Kämpfer, der es mit jedem aufnahm.
Gaynen schauderte bei dem Gedanken an seine Begegnung mit ihm. Er war gerade noch mit einem gebrochenen Arm davon gekommen. Nun war er dazu verdammt, in der Burg zu bleiben und die Bogenschützen und Katapulte zu befehligen. Die Schildmauer war so brüchig, dass es keiner mehr wagen konnte, von ihr zu schießen. Gaynen, der jetzt Herr der Scharchaburg war, spielte mit dem Gedanken aufzugeben.
Wir haben eh keine andere Chance, dachte er, als er am späten Abend auf der Mauer entlang wanderte.
"Haben wir nicht?" fragte eine Frauenstimme.
Gaynen drehte sich um und blickte in das Gesicht der Herrin von Salion, Lady Charyss, seine Schwester. Ihr blaues Kleid flatterte leicht im Wind, die blonden, langen Haare fielen über ihre Schultern.
"Charyss, was machst du hier?" Sein Gesicht hellte sich auf. Wie lange hatte er sie nicht mehr gesehen.
Die Lady lächelte. "Philes schickt mich - er sagt, du brauchst Hilfe."
"Du willst hier noch etwas ausrichten? Da hilft alle Magie der Welt nicht", antwortete er, sofort über seinen offenen Empfang verärgert.
Charyss presste die Lippen aufeinander und zischte: "Hast du jemals meine Magie zu sehen bekommen? Nein, nie richtig. Aber wenn du meine Hilfe nicht willst..."
Gaynen blickte sie zweifelnd an. "Und was kannst du mit deiner Magie ausrichten?"
"Jedenfalls mehr, als du mit deinem Arm." Sie stieg ohne ein weiteres Wort von der Mauer.
Der Hauptmann schaute ihr hilflos hinterher. Manchmal bekam er Furcht vor der Direktheit seiner, fast zehn Jahren jüngeren, Schwester. Er seufzte und begab sich zu seinem Zimmer. Wir werden sehen, was sie vorhat, war sein letzter Gedanke, bevor er einschlief.
Der Morgen begann wie jeder andere, ruhig bis nach dem Frühstück und danach der Angriff von Garthed. Gaynen kletterte, wie jeden Morgen, auf die Mauer und überblickte den Wald, an dessen Rand das Lager der Gegner war. Heute aber schienen die Feinde zahlreicher geworden zu sein. Garthed hatte sich Verstärkung geholt.
Wenn Charyss nichts ausrichten kann, dann werden wir bald geschlagen sein, rief sich der Hauptmann ins Gedächtnis.
"Wenn kein Wunder geschieht, werde ich Garthed zumindest für eine Weile zurückschlagen können, Bruderherz." Charyss stand neben ihm an der Mauer.
"Ich kann es nicht leiden, wenn du meine Gedanken liest." Gaynens Gesicht verdüsterte sich.
Sie antwortete nicht, sondern fragte stattdessen: "Wann greifen sie an?"
"Jetzt sofort", erwiderte der Hauptmann, im gleichen Moment schlug ein vom Tribok geschleuderter Felsbrocken im schon arg ramponierten Burgtor ein. Die Mauer bebte. Gaynen eilte zu seinen Leuten. Das Tor war fast zerstört. Noch ein paar gezielte Treffer und sie waren den Feinden hilflos ausgeliefert.
Charyss konzentrierte sich. Im Gedanken griff sie tief in sich hinein und öffnete die Pforte zu ihrer Zauberkraft. Der Blick der Soldaten wanderte zur Burgmauer. Sie fühlten die ungeheure Macht, die die junge Frau ausstrahlte. Gaynen sah den tiefblauen Schimmer, der Charyss umgab. Plötzlich veränderte sich die Luft. Kaum merklich wechselte der Wind seine Richtung. Wolken verdeckten die Sonne. Aus Charyss’ Rücken sprossen zwei riesige Flügel, ihre Gestalt veränderte sich. Atemlos starrte Gaynen sie an. Sie benutzte den Drachenzauber! Er entschuldigte sich gedanklich bei ihr, dass er sie nicht ernst genommen hatte. 
Auf einmal wurde alles wieder normal. Die Wolken gaben die Sonne wieder frei, der Wind drehte die Richtung. Auf der Burgmauer saß ein riesiger, tiefblauer Drache. Er, oder besser sie, breitete die Flügel aus und flog den entsetzten Feinden entgegen. Aus ihren Nüstern stieß eine gewaltige blaue Flamme, die den Tribok in Flammen setzte und ihn explodieren ließ. Pfeile schwirrten auf die riesige Echse zu, doch sie prallten an ihrem Schuppenpanzer ab.
Ein Soldat stürmte in das Zelt des Königs. "Herr, kommt mit! Seht Euch das an!"
Garthed trat aus seinem Zelt und schnappte nach Luft. Unwillkürlich duckte er sich, als Charyss über die Zelte hinwegschoss.
"Hol Herzog Hrantal!" rief der König dem Soldaten zu, der sofort losrannte und in einem Zelt verschwand. Ein paar Sekunden später trat ein Mann mit einem schwarzen Gewand aus dem Zelt. Er eilte zum König. "Sie dir das an, Bruder!" sagte Garthed. Soeben hatte Charyss die Runde über das Lager beendet und kam zurück. Sie stieß eine weitere Flamme aus, die ein Zelt in blauen Flammen aufgehen ließ. Wie der Tribok explodierte es.
Dann fasste sie den König ins Auge. Hrantal entdeckte ihr Vorhaben und schuf eine gleißend weiße Schutzwand, an der ihre Flammen abprallten und zurück auf den Drachen zuschossen. Die Echse wich geschickt aus und schoss direkt auf die Wand zu. Sie tauchte einfach hindurch und das weiße Glimmen in der Luft löste sich auf. Hrantal zog seinen Bruder beiseite und schoss eine weiße Flamme auf Charyss ab. Sie prallte wie ein Pfeil an ihren Schuppen ab und verschwand. Charyss spürte nur einen kleinen Stich auf ihrem Rücken. Sie formte eine Kugel geballter Energie und ließ sie auf Hrantal fallen. Diese hätte ihn in einem Schlag vernichtet, wenn nicht Garthed selbst seinen Bruder aus der Bahn geschubst hätte. Stattdessen prallte die Kugel auf die Erde und hinterließ einen drei Meter breiten Krater. Charyss tauchte in die Wolkendecke, um sich eine Pause zu gönnen.
Garthed richtete sich wieder auf. "Wirst du irgendwie mit diesem Monstrum fertig?"
Hrantal schüttelte den Kopf. "Von hier unten nicht. Den Drachenzauber kann man nur mit einem Spruch bekämpfen, dem selben."
Garthed nickte seinem Bruder zu, formte in der Hand einen Ballen seiner Magie und gab ihn Hrantal. Er nahm ihn dankbar auf und griff, wie Charyss in sich hinein. Seine Zauberkraft, von weißer Farbe, ballte sich um ihn und ließ Blitze über den Himmel zucken. Sie verschwanden, und ein schneeweißer Drache stand vor dem König
 "Viel Glück!"
Der Drache nickte mit dem Kopf, bevor er in den Himmel hinauf schoss.

Charyss flog im Pfeiltempo durch die Luft, bereit, den nächsten Angriff zu starten. Wer war bloß dieser Magier? fragte sie sich. Ohne Zweifel hatte er genauso viel Zauberkraft, wie sie. Vielleicht sogar ein wenig mehr.
In einem weiten Bogen drehte sie sich und flog wieder dem Lager entgegen. Plötzlich tauchte ein weißer Kopf aus der Wolkendecke auf. Hrantal spie ihr eine schneeweiße Flamme entgegen. Sie schwor einen Schutzschild herauf und taumelte ein Stück zurück. Die helle Flamme hatte das Schild fast durchbrochen und einen Teil ihrer Zauberkraft zerstört. Hrantal ging in den Angriff über und schoss eine Flamme nach der anderen. Charyss wich aus und tauchte in die Wolkendecke ein. Hrantal folgte ihr, doch er konnte sie nicht mehr entdecken. Sie flog durch die nebligen Wolken wieder nach oben und wartete auf ihn. Als er den Kopf wieder empor streckte, schickte sie ihm einen blau leuchtenden Blitz entgegen. Er entdeckte ihn zu spät und konnte seine Schutzwand nicht ganz aufbauen. Der Blitz durchschlug sie und warf ihn wieder unter die Wolken. Hrantal fing sich wieder und raste erneut nach oben. Er kam hinter ihr zum Vorschein und griff sie mit weiteren Flammenstößen an. Charyss drehte sich um und wendete einen Verwirrungszauber an. Sie erschaffte eine Illusion.
Hrantal blinzelte und überlegte, welcher der vier Drachen, die auf ihn zuschossen, der echte war. Er spie eine Flamme auf den einen, der sich in Luft auflöste. In diesem Moment rammte ihn Charyss. Er wurde durch den Aufprall wieder unter die Wolkendecke gedrückt. Charyss beging nicht wieder den selben Fehler und flog ihm hinterher.
Gaynen beobachtete den weißen Drachen, der in diesem Moment aus der Wolkendecke auftauchte. Bis jetzt war der Kampf für ihn und die anderen Menschen am Boden unsichtbar gewesen. Kurz danach tauchte Charyss auf. Hrantal spie ihr, noch im Fallen, eine Doppelflamme entgegen. Sie konnte nicht mehr ausweichen und verlor einen weiteren Teil ihrer Magie, als sie im letzten Moment eine Schutzwand hervorrief, die kurz danach wieder zerstört wurde. Sie taumelte und versuchte, sich wieder zu fangen, aber Hrantal nutzte die Chance und schleuderte ihr den letzten Rest seiner Magie entgegen. Der blaue Drache schlug brutal auf dem Vorhof der Scharchaburg auf. Hrantal verschnaufte kurz, bevor er zurück zum Zeltlager seines Bruders flog.

Eine Stunde später erreichte Gaynen das Zeltlager der Feinde. Er verlangte vor den König geführt zu werden. Er stieg von Gerlen, seinem treuen Hengst, und wartete auf Garthed. Als er kam, nahm Gaynen die weiße Flagge von Gerlens Rücken und rammte sie vor dem König in den Boden. "Wir ergeben uns." Er zog sein Schwert und gab es, den Knauf zuerst, dem Herrscher von Trichell.
Garthed lächelte misstrauisch. "Wer versichert mir, dass das keine Falle ist?"
"Wenn ihr an meinen Worten zweifelt, könnt ihr mich gerne als Geisel nehmen." Gaynen verzog das Gesicht vor Schmerz, als er dem König seinen gebrochenen Arm entgegen streckte.
Garthed nahm vorsichtig seine Hand und schüttelte sie. "Ich vertraue Euch, Hauptmann Gaynen von Salion. Los Männer."
Er stieg auf sein Pferd, das ihm ein Soldat brachte und wartete, bis seine Männer auch saßen. Hrantal lenkte sein Pferd neben das seines Bruders. Gaynen starrte ihn an.
Garthed entging der Blick nicht und er sagte: "Darf ich vorstellen, dies ist mein Bruder, Herzog Hrantal von Trichell."
Hrantal nickte dem Hauptmann zu und zwang sich zu einem Lächeln. Gaynen erwiderte es, ebenfalls gezwungen. Dann stieg er auf Gerlen und ritt der Scharchaburg entgegen.
Er lenkte sein Pferd durch eine Lücke in der ziemlich angeschlagenen Mauer, denn das Burgtor war durch den letzten Steinwurf des Triboks unpassierbar geworden.
"Ich weiß nicht, ob ihr da so eine tolle Eroberung gemacht habt...", sagte Gaynen. Der Vorhof war komplett zerstört, Charyss hatte bei ihrem Sturz mehrere Gebäude eingerissen. Gräber waren hier errichtet, da man die Toten nicht dem Feind preisgeben wollte. Das Tor zur Hauptburg war noch intakt. Im Hof stapelten sich die Verletzten fast. "Das Lazarett ist überbelegt, Eure Hoheit." Gaynen stieg  von seinem Pferd und gab Gerlens Zügel einem Soldaten.
Garthed nickte. "Unsere Ärzte werden helfen."
In diesem Moment trat ein Heiler aus dem Lazarett und flüsterte dem Hauptmann etwas zu.
Gaynen wurde blass und wandte sich an Garthed: "Entschuldigt mich kurz, Eure Majestät."
Dann eilte er in das Lazarett. Nach kurzem Zögern folgte ihm der tricheller König, sein Bruder ebenfalls.
Das Lazarett war tatsächlich überbelegt. Helfende hatten zusätzliche Betten aufgestellt, selbst durch diese Maßnahme war nicht für alle Verletzten Platz. Der Heiler wies sie an das Ende des Raumes, dort war eine Tür, durch die Gaynen gerade verschwand.
Der Hauptmann kniete vor einem Bett in der Zimmerecke. Weitere Betten füllten das Zimmer. Hrantal bemerkte, hier waren die Schwerverletzten untergebracht. Er wandte sich Gaynen zu. Eine blasse Frau lag auf dem Bett.
"Wer ist das?" fragte Garthed.
Der Hauptmann flüsterte fast, als er antwortete: "Lady Charyss von Salion, meine Schwester."
Der Heiler fügte hinzu: "Sie stirbt."
Gaynen wurde noch ein wenig blasser.
Garthed war verwirrt. "Wir haben nie eine Frau angegriffen, was..."
Er wurde von Gaynen unterbrochen. "Auf dem Schlachtfeld nicht, ja. Aber weiter oben." Er blickte Hrantal misstrauisch ins Gesicht. "Ihr wart es doch, oder?" Er sprang auf, beherrschte sich aber wieder, entschuldigte sich und verließ den Raum.
Hrantal besah sich Charyss. Ihr Atmen war sehr flach, aber sie lebte noch. Ihr Gesicht war leicht verzerrt und er überlegte, wie alt sie wohl war: 22, 23?
"Kannst du sie retten?" fragte sein Bruder.
Der Herzog nickte. "Sie stirbt an einem von mir gesprochenen Zauberspruch." Er öffnete die Hand und kreiste mit ihr über ihr Gesicht. Dann sprach er leise einige Worte. Die Zauberkraft, den er für diesen Spruch angewandt hatte, floss zurück in seine Hand. 

In der Scharchaburg sammelten sich die Streitkräfte des Königs von Trichell. Er bereitete den Angriff auf die nächste Burg König Philes’, die Krekalfestung, vor. Die besiegten Verteidiger der Burg waren Gefangene, die Garthed so schnell wie möglich nach Trichell bringen wollte. Die Verletzten waren, so gut es ging, kuriert. Charyss und ihr Bruder standen auf der Mauer.
"Das war’s dann wohl."
Sie nickte mit dem Kopf. "Oh Gott, wieso hab ich nicht gewusst, wer er war. Das hätte die Sache wesentlich einfacher gemacht."
Er drehte den Kopf. "Einfacher?"
"Natürlich, dann hätte ich gleich aufgegeben."
Sie lächelte. Er grinste zurück.
"So schlecht hast du dich doch nicht gemacht. Na gut, jedenfalls bei dem, was ich gesehen hab."
Sie verzog den Mund. "Dass ich den Vorhof plattgemacht habe, ja, das fand ich auch toll."
Beide lächelten erleichtert. Gaynen ließ seinen Blick über den Scharchawald schweifen.
"Eigentlich könntest du doch einfach abhauen, dich wieder verwandeln und weg."
"Ja, und dann? Weißt du, wie schnell die hinter mir her sind?" Sie nickte mit dem Kopf Richtung Wald, aus dem gerade Garthed, sein Bruder und eine Schar Soldaten auftauchte. "Außerdem hat der Herzog mich mit einem Bann belegt, ich kann mit meiner Magie nicht mal eine Kerze anzünden, ohne, dass er es weiß."
Er blickte sie ungläubig an. "Woher weißt du das, ich denke, du hast noch nicht mit ihm gesprochen?"
"Ich spüre es. Soll ich’s dir zeigen?" Sie suchte sich einen handlichen Stein. "Schau hin."
Mittels einer Handbewegung hing der Stein in der Luft. Gaynen sah auf Hrantal. Dieser hob sofort den Kopf und beobachtete die beiden kurz, als er erkannte, dass es nichts Ernstes war, wandte er sie wieder ab.
Der Hauptmann lehnte sich nervös zurück. "Ich mag ihn nicht, ehrlich gesagt, hab ich Angst vor ihm. Wenn er mich anschaut, glaube ich, er weiß was ich denke."
Charyss grinste. "Er weiß es ja auch." Sie machte wieder ein ernstes Gesicht. "So wie es aussieht, werde ich dich in nächster Zeit wohl nicht wieder sehen."
Er nickte mit dem Kopf. "Ich glaube auch, viel Glück."
"Dir ebenso."
Einige Sekunden blickten sie sich schweigend an.
Ich hab sie so lange nicht mehr gesehen, dachte Gaynen. Und jetzt verliere ich sie wieder. Er nickte ihr kurz zu, dann verließ er die Burgmauer. Charyss beobachtete ihn, bis er im Bergfried verschwunden war.
Sie seufzte. Dann wandte sie sich dem Sonnenuntergang zu. Durch den Bann wusste sie genau, wo der Herzog war. Und er, wo sie ist. Das Gefühl machte sie nervös. Charyss atmete tief durch und versuchte, wieder einmal, den Zauberspruch abzuschütteln. Aber er war einfach zu stark. Oder ich zu schwach, dachte sie verbittert. Dann stieg auch sie hinab zum Bergfried. 

Am nächsten Morgen verabschiedete sich Charyss von ihrem Bruder. Er ritt mit der einen Hälfte seiner Leute und unter der Bewachung der Tricheller nach Trichell.
Charyss stand auf seinem Lieblingsplatz, auf der Burgmauer. Sie spürte, dass Hrantal auf sie zukam. Er lehnte sich neben ihr auf die Mauer.
"Wie lange wollt Ihr noch dagegen ankämpfen?" fragte er offen heraus.
Sie versuchte das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. "Solange, bis ich gewonnen habe."
Er seufzte. "Ihr scheint überhaupt nicht zu wissen, was ich durch diesen Zauberspruch mit Euch anstellen könnte."
Charyss presste die Lippen aufeinander. "Nein." Ich möchte es auch gar nicht wissen, dachte sie.
"Das zum Beispiel."
Tief in ihrem Innersten erwachte der Befehl, sich umzudrehen, und den Herzog anzusehen. Charyss versuchte dagegen anzukämpfen, doch gegen ihren Willen musste sie den Befehl befolgen. Der Herzog war fast einen Kopf größer als sie und Charyss musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein sonnengebräuntes Gesicht zu blicken. Ausdruckslos erwiderte sie Hrantals prüfenden Blick.
Er hat schöne Augen, dachte sie. In der nächsten Sekunde schallte sie sich dafür. Was rede ich hier nur, er hat mich fast umgebracht. Und wieder gerettet, sagte eine Stimme in ihr. Sie war froh, als er ihren Blick endlich losließ. Charyss drehte sich wieder um und fragte: "Und, was bringt Euch das?"
Er lächelte. "Eine Menge, wenn ich will." 
"Wollt ihr?" Wenn ich hier schon festsitze, bringe ich ihn wenigstens zur Weißglut, dachte sie.
"Im Moment nicht." Er schien ihre Taktik durchschaut zu haben. Sie beschloss, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
"Wieso konnte ich Eure Mauer nicht durchbrechen?"
"Drachenfeuerabwehr, so ganz hilfreich. Aber ihr habt ja einen anderen Weg gefunden..." Er verzog das Gesicht. "Wollt Ihr mich immer noch in die Luft jagen?"
Nein, wieso auch, dachte sie, sagte aber: "Wenn ich die Mittel dazu hätte."
Er lächelte sauersüß. "Soll ich sie Euch geben?"
"Liebend gern, aber dann würde ich sie erst mal zu wichtigeren Sachen benutzen, zum Beispiel von hier verschwinden", fauchte sie, mit unterdrückter Wut in der Stimme.
"Soweit werde ich es nicht kommen lassen", antwortete er leise und entfernte sich.
Sie atmete erleichtert auf. Wenn er in der Nähe war, machte der Herzog sie nervöser, als wenn er weg war.

Mehrere Tage vergingen, ohne, dass Charyss mit Hrantal sprach. Zum Glück, sagte sie sich.
Garthed wuselte durch die Burg, ohne Ruhe. Soldaten, Belagerungswaffen und Pferde trafen tagtäglich ein und brachen wieder auf. Die fast zerstörte Burg glich einem Ameisenhaufen. Der Herzog unterstützte seinem Bruder. Er scheint überhaupt keinen Stress zu haben, dachte Charyss. Sie kämpfte fast jede Minute gegen seine Magie an. Die Burgmauer war zu ihrem Stammplatz geworden, hier war es ruhig, nur ab und zu patrouillierten einige Soldaten vorbei. An einem kühlen Morgen brach das Heer auf. Von ihrem Platz an der Mauer konnte sie die riesige Schar überblicken. Die Krekalfestung wird es schwer haben. Und ich kann sie nicht mal warnen. Sie seufzte und wandte sich ab.
Der König redete indessen mit Hrantal. "Ich hoffe, es gibt nicht noch einen Magier, der so viel Macht hat, dass er den Drachenzauber ausführen kann."
Der Herzog lächelte. "Ich halte die restlichen Zauberer von Scharcha für nicht mal halb so stark. Mach dir keine Sorgen."
Garthed wirkte erleichtert. "Gut, ich hab keine Lust, noch mal fast gegrillt zu werden."
Hrantal, der seinen älteren Bruder um fast einen Kopf überragte, nickte und antwortete: "Falls es doch Probleme gibt, du weißt, wie du mich rufen kannst?"
Der König grinste und sagte: "Viel Spaß mit der Verwaltung Trichells, ich glaube nicht, dass das Regieren dir sonderlich liegt..." Dann stieg er auf sein Pferd und galoppierte seinem Heer hinterher. 

Herzog Hrantal übertrug die Führung der Scharchaburg einem der Hauptmänner, die mit dem Heer gekommen waren. Dann brach er, mit einer größeren Truppe Soldaten und den restlichen Gefangenen, nach Trichell auf. Da die Herrin von Salion ihre Versuche, seinen Zauber zu brechen, nicht aufgegeben hatte, war er gestresst, weil er einen großen Teil seiner Zeit und Zauberkraft auf das Abwehren ihrer Magie verwenden musste. Charyss quittierte das mit einer grimmigen Genugtuung. Ihr Pferd Sarah ritt ein Stückchen von der Spitze entfernt, flankiert von zwei Trichellern. Bis über die Grenze nach Trichell waren es drei Tagesritte, Hrantal ließ dem Trupp nur eine größere Pause.
Seine Laune erreichte ihren Tiefpunkt, als Charyss einen Teil des Spruches zerstören konnte. Als sie in Dalewynn, einer der stärksten Festungen Trichells, angelangt waren, konnte er nur noch ausmachen, wo sie sich befand.
"Ich habe Euch unterschätzt", sagte er, als er nach Sarahs Zügeln griff, um sie einem Soldaten zu geben, der die Pferde in den Stall führte.
"Das wäre nicht das erste Mal." Sie dachte an den Drachenkampf und ihre Illusion.
"Noch mal passiert mir das nicht", versicherte er, bevor er sich von ihr abwandte, um McGavay, den Burgherren, zu begrüßen, der gerade aus dem Bergfried getreten war.
"War das Unternehmen erfolgreich, Euer Gnaden?" fragte der etwas stämmigere Herr.
Hrantal nickte. "Die Scharchaburg wurde eingenommen. Mein Bruder startet bereits den nächsten Angriff."
"Hattet Ihr irgendwelche Probleme?"
Der Herzog verzog den Mund. "Wir haben alle Triboke verloren und ein Drache hätte den König fast gegrillt." 
"Ein Drache? Woher bekommen die Scharchaer einen Drachen?"
"Magie. Es gab tatsächlich einen Magier in Scharcha, der den Drachenzauber beherrschte."
"Und?"
"Nichts und. Es hat ganz schön lange gedauert, bis ich sie vom Himmel bekommen habe."
McGavay schaute ihn zweifelnd an. "Sie, Euer Gnaden?"
Über Hrantals Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. Er deutete auf Charyss. "Lady Charyss von Salion. Und jetzt entschuldigt mich bitte, könnt Ihr mir sagen, wo ich Chorus von Kimris finde?"
Der Burgherr beantwortete seine Frage, worauf Hrantal verschwand. Der Mann brauchte ein paar Sekunden, um seine Gedanken neu zu ordnen, dann erteilte er seinen Männern den Befehl, die Gefangenen in der Burg unterzubringen.

Chorus von Kimris befand sich in seinem Turmzimmer, als der Herzog von Trichell eintrat. Hrantal war einst sein Lehrling gewesen, heute übertraf die Zauberkraft seines Schülers Chorus' eigene um das Dreifache. Hrantal begrüßte den alten Mann freudig und erzählte auch ihm den erfolgreichen Ausgang des Unternehmens.
"Ich glaube, meine Magie reicht nicht aus, um den Bannspruch zu Lady Charyss zu halten. Deshalb bitte ich um deinen Rat."
Chorus lächelte. In der Öffentlichkeit würde Hrantal niemals zugeben, dass eine Magierin, schon gar nicht eine aus Scharcha, seinen Zauber brechen konnte. "Sie versucht, deinen Spruch mit ihrer Magie zu brechen. Nimm ihr die Magie."
Der Herzog schmunzelte. "Das ich darauf nicht selber gekommen bin... Ich danke dir." Er schüttelte nochmals die Hand des alten Mannes, bevor er das Turmzimmer verließ.
Charyss untersuchte ihre "Zelle", ein kleines Zimmer im Wohntrakt der Burg. Für ein Gefängnis gar nicht so schlecht, stellte sie fest und setzte sich auf das weiche Bett. Auf einem Stuhl befand sich ein frisches Schlafgewand und auf einem Tisch ein kleines Abendbrot. Nachdem sie gegessen hatte, war die Sonne schon fast hinter dem Horizont verschwunden, also zog sie sich um und versuchte ein wenig zu ruhen.
Als, tief in der Nacht, der Herzog von Trichell eintrat, war sie eingeschlafen. Hrantal trat an das Bett, hob seine Hand und sprach eine Zauberformel. Er betrachtete kurz ihr entspanntes Gesicht, dann verschwand er wieder aus dem Zimmer und drehte den Schlüssel um.

Als Charyss wieder erwachte, fühlte sie sich erschöpft, trotz des Schlafes. Sie stand auf und musste sich im ersten Moment an dem Tisch abstützen, damit sie nicht fiel. Sie zog sich um und  griff in sich nach ihrer Zauberkraft, um den Bann, der nur noch schwach in ihr aufleuchtete, entgültig zu zerstören. Als sie den Spruch murmelte, zuckt plötzlich ein höllischer Schmerz durch ihren Kopf. Heftig atmend versuchte sie, ihre Zauberkraft aufzugreifen, doch ein weißer Schleier umschloss sie und machte sie für Charyss ungreifbar. Wütend sank sie zurück auf das Bett. Wie konnte ich auch nur so blöd sein, dachte sie. Ohne ihre schützende Zauberkraft konnte der Herzog ihre Gedanken lesen. Wie soll ich gar nichts denken, wenn er mich ansieht. Zusätzlich verlor sie das Wissen um seinen Aufenthaltsort, ihren einzigen Vorteil aus dem Bann. Sie atmete einige Male tief durch und begann damit, die weiße Wand zu attackieren. Bei jedem Versuch durchlief sie eine weitere Schmerzenswelle. 
Nach einiger Zeit gab sie auf. Sie fühlte sich, als ob ihr Kopf gleich explodieren würde. Jemand näherte sich der Tür und drehte den Schlüssel herum. Charyss setzte sich schnell auf. Ein Diener trat ein und stellte einen Teller auf den Tisch, ihr Frühstück. Als er verschwunden war, legte sich Charyss wieder auf das Bett. Sie hatte keinen Appetit. 
Hrantal lief über den Burghof. Er passierte die Ställe und betrat den Bergfried. Ein Diener kam ihm entgegen.
"Ihr wünscht, Euer Gnaden?" fragte er.
"Den Aufenthaltsort von Sir McGavay, bitte."
"Der Burgherr befindet sich im Augenblick im Speisesaal, Euer Gnaden."
Hrantal bedankte sich und steuerte auf den Speisesaal zu.

McGavay saß allein an dem langen, hölzernen Tisch des Saales. Er beendete gerade sein Frühstück. "Was treibt Euch so früh hier herum, Euer Gnaden?" fragte er und stand auf.
"Eine Bitte. Würdet ihr auf die Gefangenen aus Scharcha aufpassen? Ich muss auf Geheiß meines Bruders schleunigst nach Xanthaka und möchte mich nicht mit ihnen aufhalten."
Der Burgherr nickte. "Aber natürlich. In Dalewynn ist reichlich Platz. Noch irgend etwas?"
Der Herzog schüttelte den Kopf. "Ach, doch. Bringt mir bitte Lady Charyss", sagte er.
McGavay zog die Augenbrauen hoch. "Ihr nehmt sie mit?"
"Was bleibt mir anderes übrig. Ich glaube nicht, dass Ihr oder Chorus von Kimris mit ihrer Magie fertig werdet. Ehrlich gesagt, schaffe ich es selbst kaum."
Der Burgherr nickte. "Gut, soll ich Euer Pferd und die Eurer Begleiter satteln lassen?"
"Ich wäre Euch dankbar. In einer halben Stunde brechen wir auf."

Hrantal saß auf seinem braunen Hengst Cortés und beobachtete die Herrin von Salion, die neben ihrer weißen Stute stand und sich elegant in den Sattel schwang. Charyss wendete Sarah und lenkte sie neben Cortés.
"Ich nehme an, ich muss gar nichts mehr sagen", sagte sie matt.
Der Herzog lächelte und sah sie von der Seite an. Das lange Kleid bedeckte die Kruppe des Pferdes. Ihre ungekämmten, blonden Haare hingen ihr ins Gesicht, man sah ihr an, dass sie erschöpft war. Sie dachte: und auch nichts mehr denken. Oder nur noch auf Scharcheldûn.
Er las ihre Gedanken und antwortete: "Ich kann Scharcheldûn."
Dann eben auf Salionar! Sie strich sich die Strähnen aus dem Gesicht.
"Ich bezweifle, dass Ihr in einer anderen Sprache denken könnt."
Salionar ist meine Muttersprache, natürlich kann ich. Wieso sollte ich in Eurer Sprache denken?
Der Herzog antwortete nicht, sondern gab seinen Männern den Befehl zum Aufbruch. Er warf Charyss einen misstrauischen Blick zu.
Keine Sorge, ich bin nicht so dämlich und haue ohne meine Zauberkraft ab, Euer Gnaden.
Ihre Augen funkelten wütend, als sie seinen Blick erwiderte. Hrantal ließ Cortés antraben und ritt aus dem Tor. Charyss und seine Ritter folgten ihm.
Die Straßen von Trichell sind besser, als das, was Philes je in Scharcha zustande gebracht hat, dachte Charyss. Sie ritten nun schon seit einigen Stunden Richtung Xanthaka. Der Herzog schlug ein flottes Tempo an, aber seine Begleiter konnten ihm ohne Mühe folgen. Charyss ließ Sarah absichtlich ein wenig langsamer laufen.
Nach einer Weile ließ Hrantal Cortés zurückfallen und bemerkte: "Ich glaube, wir sollten Euch ein schnelleres Pferd zulegen, Eures scheint ein wenig lahm zu sein."
Charyss sah ihn an. "Meint ihr?" fragte sie und trieb Sarah ein wenig an. Sofort überholte sie Cortés und stellte sich an die Spitze der Gruppe.
Nach ein paar Sekunden war der Herzog wieder neben ihr. "Na ja, ein paar Kraftreserven hat es ja noch."
"Wollt ihr die Pferdezucht von Salion beleidigen, Euer Gnaden?" fragte sie spitz.
Hrantal verzog verächtlich den Mund. "Die Scharchaer Pferde haben ihren Reitern in den Schlachten mehr geschadet als genützt."
"Das waren Scharchaer Pferde, keine aus Salion."
"Worin liegt der Unterschied?" fragte er spöttisch. "Salion ist ein Teil Scharchas."
"Erst seit ein paar Jahren. Wusstet ihr das nicht? Wir haben unsere eigene Kultur, unsere eigene Sprache, sogar unsere eigene Politik. Und glaubt ihr, Scharcha hat jemals auch nur halb so gute Zauberer hervorgebracht?" Sie unterbrach kurz, um ihn abschätzend anzusehen. "Wir haben keine starke Burg, aber mehrere Magier, die den Drachenzauber ausführen können. Vielleicht solltet ihr euren Bruder warnen, bevor er die Salioner Grenze überschreitet."
"Und wieso konnte Scharcha Euer Land dann erobern?" hakte er nach.
"Verrat, politische Intrigen. Die zusätzliche Bedrohung der Skaffaer." Ihr Gesicht verdüsterte sich. Mein Gott, wieso erzähle ich Euch das eigentlich, dachte sie.
Aber Hrantal hatte sich abgewandt und beobachtete eine Gruppe zwielichtiger Gestalten, die auf der Straße herumlungerten. "Die sehen mir ganz nach Räubern aus. Seit vorsichtig, Männer", bemerkte er und zog sein Schwert. Die offensichtlichen Räuber waren nun aufgesprungen und versperrten die Straße. Der Herzog ließ Cortés anhalten und fragte: "Was wollt ihr?"
Ein großer Kerl, wahrscheinlich der Anführer, trat vor Hrantal und antwortete: "Geld oder Leben."
Hrantal zog sein Langschwert. "Weder noch."
Der Räuber stieß einen Kampfschrei aus und warf sich auf den Herzog. Weitere Banditen strömten aus einem kleinen Wäldchen in der Nähe. Charyss trieb Sarah an und überritt einen Schwertkämpfer. Sie beugte sich nach unten und nahm seine Waffe. Dann drehte sie ihr Pferd und schlug einem Räuber, der seinen Morgenstern auf Hrantal niedergehen lassen wollte, die Waffe aus der Hand. Ein anderer Ritter war von vier oder fünf Räubern umgeben, sie drehte Sarah abermals und eilte ihm zu Hilfe.

Verbissen kämpfte Charyss sich aus einem Haufen Räuber frei, die sie wie Ameisen umgeben hatten. Sie überritt einen und prallte plötzlich mit dem Herzog zusammen. 
"Sind Räuber in Trichell immer so zahlreich?" rief sie ihm zu und deckte seinen Rücken vor einem der Banditen.
"Nein, nicht immer. Nur im Krieg." Er hielt mit seinem Schild einen Speer ab, der sie durchbohren wollte. "Seit wann könnt ihr mit dem Schwert umgehen?"
"Seit ich fünf war. Salion liegt an einer umstrittenen Stelle. Die Kinder bekommen die Waffen fast mit in die Wiege gelegt."
Hrantal wehrte einen weiteren Speer ab. Charyss tötete einen Räuber, der sie mit seiner Pike aus dem Sattel holen wollte.
"Ihr kämpft gut. Wieso seit ihr nicht in die Schlacht geritten?"
"Weil ich besseres zu tun hatte, als in Euren Schutzring zu tappen. Ich bin vielleicht eine Frau, aber nicht dämlich."
Er verzog das Gesicht und tötete den dritten Speerwerfer, der es auf sie abgesehen hatte. "Das hat keiner behauptet."
Dann stürmte er auf den Anführer der Banditen zu und durchbohrte ihn mit seinem Schwert. Die restlichen Räuber gaben auf und flohen.
Hrantal richtete sich auf und fragte: "Alles in Ordnung?" Seine Ritter nickten. Er warf noch mal einen Blick auf Charyss, die das Schwert ins Gebüsch schleuderte. "Na, dann weiter."
Mit einem Zauberspruch häufte der Herzog die toten Räuber auf einen Haufen am Straßenrand. "Wenn sie wenigstens halbwegs ehrbar sind, kommen sie zurück und begraben ihre Toten", sagte er und trieb Cortés an.

Xanthaka war größer, als Charyss es sich vorgestellt hatte. Riesige Türme ragten in die Höhe, die Stadt war von einem breiten Burggraben umgeben.
"Philes muss verrückt sein, wenn er Trichell angreifen wollte", bemerkte Charyss, als sie die Zugbrücke überquerten. 
In der Stadt wimmelte es von Menschen. Viele blieben stehen, um die Rückkehrenden zu begrüßen, ein Ritter stieg ab und umarmte seine Frau. Hrantal entließ die restlichen aus ihrem Dienst. Dann ritt er mit Charyss die steile Straße zum Palast hinauf. Eng gedrängte Häuser säumten den breiten, gepflasterten Weg, auf dem geschäftige Händler Stände aufgebaut hatten. 
Das Palasttor wurde von zwei schwer gepanzerten Soldaten bewacht, die sich ehrfürchtig verbeugten, als der Herzog das Tor passierte. Ein Soldat nahm ihnen die Pferde ab. Hrantal redete leise mit einer Frau, die gerade aus dem Palast getreten war. Dann nickte er ihr zu und verschwand in dem Gebäude.
Die Frau trat auf Charyss zu und nahm ihre Hand. "Mein Name ist Josiana von Trichell. Mein Bruder bittet mich darum, mich um Euch zu kümmern."
Charyss lächelte schief und antwortete: "Richtet ihm meinen Dank aus. Charyss von Salion." Sie schüttelte Josianas Hand.

Charyss sah von Josianas Buch auf, als sie das Geräusch des Schlüssel, der sich im Schloss umdrehte, wahrnahm. Die Prinzessin, die wahrscheinlich fünf oder sechs Jahre älter als Charyss war, und eine Dienerin, die ein Tablett trug, traten ein. Die Dienerin stellte das Tablett auf dem Tisch ab und zog sich leise zurück.
"Ich nehme an, Ihr wolltet nicht unbedingt alleine essen, Lady Charyss?"
Charyss lächelte und nahm an dem Tisch Platz. Seit zwei Wochen befand sie sich nun im Palast und Josiana kümmerte sich um sie. Den Herzog hatte sie nicht wieder gesehen, aber ihre Angriffe auf seinen Zauber hatte sie noch nicht aufgegeben. Es gab Nächte, die sie mit Kopfschmerzen wachlag. Hin und wieder befiel sie das Heimweh nach der unwirtlichen Landschaft von Salion und Sorge um ihren Bruder. Doch die Prinzessin verscheuchte es schnell wieder, indem sie Charyss mit allerlei Beschäftigungen auf Trab hielt.
"Wenn mir die Frage gestattet ist, Eure Hoheit, wie sieht es mit dem Krieg aus?" fragte Charyss und trank einen Schluck Tee.
Josiana sah auf und blickte in das Gesicht der Frau, die sie mühelos als ihre Schwester anerkennen könnte. Es war geprägt von Sorgen, von denen Josiana nichts wusste. Die Prinzessin lächelte.
"Die Krekalfestung ist gefallen, mit ihr auch Dylysûn, König Garthed belagert Eure Hauptstadt Swevelta."
Charyss stellte die Teetasse ab und ihr Gesicht verdüsterte sich. "Swevelta ist nicht meine Hauptstadt." Josiana bemerkte den leisen Klang der Hoffnungslosigkeit, der in ihren Worten widerhallte, als sie fortfuhr: "Und auch Xanthaka wird es nie sein."
Die Prinzessin sah die Gefangene an und schätzte ihr Alter. Sie muss gerade mal zwölf Jahre alt gewesen sein, als die Scharchaer ihre Heimat eroberten, dachte sie.
Damals war der ganze Osten über die Eroberung, des halb von Trichell und Vergalla abhängigen, kleinen Staates erschrocken gewesen, da die meisten schon selbst die Einnahme des metall- und silberreichen Salions geplant hatten. Aber die Scharchaer hatten vorgesorgt und die Grenzen gesichert. Seit zehn Jahren hat es keiner mehr gewagt, Salion für sich zu beanspruchen. Nun streckten Trichell und Skaffa ihre Hände gleichzeitig nach dem kleinen Land aus und Josiana verstand die Sorge, die die junge Frau ihr gegenüber wegen ihrer Heimat hatte. 
Charyss lehnte sich zurück und beobachtete die Prinzessin, die den Raum durchquerte und das Zimmer verließ. Die Herrin von Salion hatte sie gebeten ihren Bruder um die Erlaubnis zu einem Ausritt zu fragen. Als sich der Schlüssel im Schloss umdrehte, seufzte Charyss und wandte sich wieder ihrem Buch zu.

Sarah galoppierte über die weiten Weiden vor Xanthaka, hinter ihr folgte ihr die ebenfalls schneeweiße Stute Zrabrielle, Josianas Pferd. Charyss ließ Sarah anhalten und wartete, bis Zrabrielle wieder mit ihrem Pferd auf gleicher Höhe war.
Josiana verschnaufte kurz und bemerkte: "Wenn mein Bruder in Salion angelangt ist, werde ich ihn bitten, mir ein Pferd mitzubringen." Im selben Moment bereute sie ihren egoistischen Kommentar gegenüber Charyss. Doch die Lady winkte abfällig ab.
"Glaubt ja nicht, dass meine Stute etwas besonderes ist, echt nicht. Die besten Pferde beansprucht Philes für sich und seine Ritter."
Ein verächtlicher Zug um ihren Mund brachte Josiane auf einen Gedanken. Vielleicht ist sie ja sogar froh über Philes Vertreibung? Sie trieb Zrabrielle an und versuchte Sarah zu folgen, die jetzt weiter über die Wiesen galoppierte.

Charyss war tief in Gedanken versunken, als sie auf dem Heimweg nach Xanthaka waren. Ohne recht Notiz von ihm zu nehmen, starrte sie auf einen alten Baum, der am Wegesrand stand. Zu spät bemerkte sie den Bogenschützen, der einen Pfeil auf Josiane abschoss. Die Prinzessin griff sich an die durchbohrte Schulter, bevor sie von Zrabrielle fiel. Eine Gruppe Banditen rannte ihnen entgegen. Sie wollte dem Schützen einen Zauberspruch entgegenschleudern, doch der höllische Schmerz, der ihren Kopf durchzuckte, rief sie in die Wirklichkeit zurück. Sie duckte sich blitzschnell vor einem Pfeil und entwendete einem Banditen sein Schwert, indem sie ihn, wie vor einigen Wochen, überritt. Dann versuchte sie verbissen, die verletzte Prinzessin vor den Räubern zu verteidigen. Der Bogenschütze hatte seine Pfeile verschossen und griff nun zu einer Axt, dann gesellte er sich zu den anderen Kämpfern, die Charyss attackierten.
Als sie sich einen halbwegs freien Raum verschafft hatte, versuchte sie, entschlossener denn je, den Zauberwall des Herzogs zu zerstören. Aber, wie immer, wurde jeder Versuch mit einem höllischen Schmerz in ihrem Kopf bestraft. Nach einer Viertelstunde gab sie auf und wandte sich stattdessen wieder mehr den Banditen zu. Einer vergrub seine Waffe in ihrem ungebrauchten Arm. Er schmerzte und Blut rann ihr Gewand herunter.
Verdammt, schrie sie der inneren Wand zu, die sie von ihrer und Josianas einziger Rettungsmöglichkeit trennte. Wenn Ihr nicht bald etwas unternehmt, stirbt Eure Schwester! Leise fügte sie für sich hinzu: Und ich auch.
Dieser Moment Unachtsamkeit kostete sie das Schwert. Charyss versuchte, mit Sarah die Banditen abzuhalten, doch die Stute wurde von einem Schwert durchbohrt. Charyss sprang ab und griff nach dem Schwert eines toten Räubers.
Wenigsten nehme ich ein paar von diesen Kerlen mit, schoss ihr durch den Kopf, als sie in Angriffshaltung überging und den nächsten Banditen erwartete.
Plötzlich stand ein anderer Schwertkämpfer neben ihr. Sie erkannte das Wappen von Trichell an seinem Brustpanzer. Weitere Ritter tauchten auf und drängten die Räuber von der verletzten Prinzessin ab. Charyss entdeckte den Herzog, der sich durch die Menge kämpfte, um zu seiner Schwester zu gelangen. Er sprang von Cortés und kniete neben Josiana nieder. Die Prinzessin hatte viel Blut verloren und atmete sehr flach. Der Herzog sprach einen Heilzauber, entfernte den Pfeil und riss sich ein Stück seines Umhangs ab, um ihre Schulter zu verbinden. Josiana schlug die Augen auf und lächelte schwach. Charyss wendete sich wieder einem Räuber zu, der mit erhobenem Schwert auf sie zu rannte. Ihre Klingen kreuzten sich, Charyss vernahm das irre Funkeln in seinen Augen, bevor sich der Bandit wieder von ihrem Schwert löste. Sie griff ihn an und suchte nach einer Blöße in seiner Deckung. Im entscheidenden Moment schlug sie im das Schwert aus der Hand.
"Ihr hättet ihn töten können", sagte der Herzog, der jetzt neben ihr stand.
"Ich töte nicht gerne." Sie wehrte einen Axthieb ab und taumelte ein Stück zurück. Der Axtkämpfer wollte zum entscheidenden Schlag auf sie ausholen, doch der Herzog war schneller. Es krachte grausam und der Axtstiel brach, als sein Langschwert auf den Räuber niederging. Der Bandit ließ die Axt fallen und floh.
"Verfluchte Räuberbanden. Danke", sagte Charyss. Das Blut floss in einem warmen Strom ihren Arm herunter. Sie nahm noch wahr, dass der Herzog nach ihr griff und sie vor dem Fallen bewahrte, dann wurde sie ohnmächtig. 

Charyss erwachte in einem hellen Raum in Xanthaka. Sie richtete sich auf und bemerkte die Prinzessin, die in einem Bett neben ihr schlief. Die Herrin von Salion betrachtete ihren verletzten Arm. Er war verbunden worden. Gerade wuselte eine Heilerin in das Zimmer.
"Ihr seid wach?" fragte sie und ging zu Charyss. Sie verband ihren Arm neu und wandte sich dann der Prinzessin zu, die sich beim Eintreten der alten Frau ebenfalls aufgesetzt hatte. Ihre Schulter wurde ebenfalls neu verbunden, dann verschwand die Heilerin wieder. Charyss lächelte der Prinzessin zu. Josiana erwiderte ihren Blick und lächelte ebenso.
"Oh Gott, ich hasse es, hilflos im Bett zu liegen", sagte sie und stand auf. Charyss trat an das weite Fenster. Der Burggarten erstreckte sich vor dem Gebäude. Es war schon spät und die Sonne ging unter. Charyss nickte der Prinzessin fragend zu und verschwand in dem Garten.
Sie lehnte sich an eine große Eiche und versuchte ihre Gedanken neu zu ordnen.
Plötzlich stand Hrantal neben ihr.
"Danke. Für die Rettung meiner Schwester."
"Was hätte ich sonst tun sollen?"
Seine Stimme wurde leise, als er antwortete: "Ihr hättet wegreiten und sie da liegen lassen können."
"Was hätte das gebracht?" Ohne, dass sie es wollte, hatte ihre Stimme einen trotzigen Ton angenommen. Charyss blickte ihn entschuldigend an und wollte fortfahren, doch sein intensiver Blick ließ sie stocken. Unsicher wandte sie sich ab und verschwand mit einem "Entschuldigt mich" im Schloss.

Garthed blickte besorgt nach Süden. Er erkannte die Michindor-Festung, die nördlichste der drei Burgen, welche die Grenze von Salion verteidigten. Im Volksmund nannte man sie die "Celtam-Festungen". Garthed verzog den Mund. Dieser Feigling Philes hatte sich hinter die Grenze zurückgezogen, nachdem Trichell’s Armee seine Trollburg fast erdrückt hatte. Nur noch ein Teil von Slamung und das kleine Salion befand sich in Scharchaer Gewalt. Der Herzog trat neben seinen Bruder.
"Wann willst du angreifen?"
"Morgen wieder. Diese Drachen machen einem ganz schön zu schaffen." Er deutete auf die Festung. Ein großer roter Drache umkreiste, in weiten Schwüngen, den höchsten Turm der Burg.
"Glaubst du, dass du es mit vieren von diesen Bestien aufnehmen kannst?"
"Unter gewissen Umständen schon. Das heißt, wenn sie wirklich so schwach sind, wie sie sich geben." Er dachte an den heutigen Angriff.
Garthed schnappte nach Luft. "Schwach? Ich möchte echt mal die Vorstellung eines Zauberers von stark wissen."
Der Herzog grinste. "Ich denke, ich kann mich ohne Angeberei für stark halten. Die Herrin von Salion ebenso. Glaub mir, wenn wir sie nicht gefangengenommen hätten, wäre die Eroberung Scharchas wesentlich schwieriger ausgefallen." Er verzog das Gesicht. Obwohl Xanthaka ganze Wochenritte entfernt war, griff sie seinen Zauber immer wieder an. Nicht auszudenken, wenn sie es tatsächlich schafft.
Der Morgen brach an. Der rote Drache hatte sich mit einem pechschwarzen abgewechselt.
"Bald geht es wieder los, pass bloß auf. Wenn wir diese Viecher nicht bald von Himmel holen, können wir die eigentlichen Feinde nie angreifen" Garthed nickte seinem Bruder zu, der erst jetzt den Blick von der feindlichen Festung löste.
Eine Reihe mit Drachenpfeilen ausgestatteter Bogenschützen nahmen bereits Aufstellung. Hrantal wendete den Blick wieder zur Burg. Vier Drachen, ein roter, ein schwarzer, ein dunkelgrüner und ein gelber segelten langsam auf das Heerlager zu. 
"Anlegen!" brüllte der Befehlshaber der Bogenschützen. Die Drachen hatten in eine beängstigend schnelle Geschwindigkeit gewechselt, um ein schlechtes Ziel bieten. Ein grellroter Blitz schoss auf das Lager und verfehlte einen Soldaten um Haaresbreite. Der rote Drache schoss über das Lager hinweg, um einen zweiten Angriff zu starten. Die pechschwarze Echse brüllte auf, als ein Drachenpfeil sich durch ihren Schuppenpanzer bohrte. Die restlichen Echsen hielten eine Gruppe Bogenschützen in Schach. Hrantal nickte seinem Bruder zu.
Der rote Drache ist der stärkste, dachte er und griff in sich hinein, um den Drachenzauber zu sprechen. Kurz darauf schwang er sich in die Lüfte. Er versetzte dem hilflos durch de Luft trudelndem, schwarzen Feind den Rest und wandte sich dem roten zu, der wie ein Pfeil auf ihn zuschoss. Hrantal schickte ihm eine weiß glänzende Stichflamme entgegen und tauchte ab, um ihn von hinten anzugreifen.

Hrantal tauchte in die Wolken hinauf. Er erkannte den Roten Drachen kurz vor sich, folgte ihm und bewarf ihn mit weiteren Feuerstößen. Plötzlich spürte er einen schmerzenden Stich in seinem Rücken. Er wendete kurz den Kopf und sah die zwei anderen Echsen, die ihn nun aufs Korn nahmen. Als er den Blick wieder nach vorn schweifen ließ, war der rote Drache verschwunden. Kurz zögerte er. Aber als Hrantal eine weiter Flamme vernahm, die von oben kam, wusste er, wo sich der Salioner versteckt hatte. Die drei Feinde hatten ihn umzingelt. Der Rote formte eine Kugel geballter Energie, während die restlichen ihm den Fluchweg versperrten – er saß in der Falle.
Kurz bevor der Rote seine Energiekugel fallen ließ, schwor Hrantal seinen stärksten Zauber herauf. Weißer Nebel schoss aus seinem Maul auf die Drachen zu. Rote, gelbe und grüne Magie verließ ihre Besitzer und vereinte sich mit seiner eigenen Zauberkraft. Verwirrt taumelten die Feinde zurück und ergriffen die Flucht. Hrantal schnappte erschrocken nach Luft. Für einen winzigen Moment war seine Zauberkraft verschwindend gering gewesen. Aber dieser kleine Moment ließ den Zauberspruch zu Charyss förmlich platzen. Der Herzog hatte sich, um drei schwache Feinde in die Flucht zu schlagen, einen doppelt, wenn nicht dreifach so starken Feind geschaffen. 

Charyss erwachte. Die Vögel zwitscherten aus dem Garten und leise Geräusche aus der Stadt waren zu hören. Alles war wie am ersten Morgen, den sie in Xanthaka verbracht hatte. Dennoch war etwas anders. Als sie sich aufrichtete, war sie verwundert, dass sich keine Kopfschmerzen einstellten. Erstaunt griff sie nach ihrer Zauberkraft und entdeckte, dass der weiße Schutzwall verschwunden war. Rasch zog Charyss sich an und trat auf den steinernen Balkon, der sich an ihr Zimmer anschloss. Plötzlich vernahm sie das klirrende Geräusch des Schlüssels, der sich im Schloss umdrehte. Josiana trat ein. Erschrocken wandte sich ihr Blick auf Charyss, die sich noch einmal umgedreht hatte.
"Es tut mir leid", sagte die Lady, bevor sie sich in einen tiefblauen Schwan verwandelte, die weiten Schwingen ausstreckte und nach Süden segelte.

"Verdammt!" Hrantal schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. "Wie konnte ich nur so dämlich sein?"
Garthed klopfte seinem jüngeren Bruder auf die Schulter. "Zumindest haben wir einen Drachen aus dem Weg geräumt und drei andere für ein paar Tage außer Gefecht gesetzt. Wann wird sie hier sein können?"
Hrantal richtete sich wieder auf. "Wenn sie will, schon in einem Tag."
Der König runzelte die Stirn. 
"Sie ist Magierin. Glaubst du, dass ich einen langsameren Weg benutzt habe, als du nach mir geschickt hast?"
Garthed schüttelte den Kopf. "Nein, ich meine, wissen wir genau, dass sie wirklich hierher kommen will?"
Hrantal schnaubte. "Es ist ihr Land, das wir angreifen."
Garthed hob beschwichtigend die Hände. "Gut, hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Wir müssen abwarten."
Der König verließ das Zelt. Die Soldaten blickten kurz von ihren Beschäftigungen auf und verbeugten sich vor ihm. Garthed nickte und vertiefte sich in ein Gespräch mit seinem Hauptmann, der sich um einige Katapulte kümmerte. Der Herzog beobachtete seinen Bruder aus dem Zelteingang heraus.
Wenn er sich bloß beeilt, dachte er. Falls wir jetzt nicht angreifen, dauert dieser Krieg noch Jahre.
Aber sein Bruder hatte den selben Gedanken gehegt und lief, Befehle brüllend, durch das Lager. "Triboke verlagern! Wir bauen sie auf der Ebene auf!" Garthed stieg auf sein Pferd. Seine Ritter und vier Karren, gezogen von schweren Zugpferden, folgten ihm den Hügel hinab, auf die weite Ebene vor der Burg. Die Karren wurden abgeladen und der Aufbau der Triboke begann. 
Eine halbe Stunde später begann der Beschuss der Michindor-Festung. Die schweren Felsbrocken trafen, geleitet von den Zaubersprüchen eines Magiers, ihr Ziel, das Burgtor. Schon entdeckte der Späher eine große Truppe Reiter, die sich aus dem Schatten der Burgmauer löste und den Trichellern entgegengaloppierte. Hrantal, der Cortés neben seinen Bruder gelenkt hatte, zog sein Schwert.
"Die haben irgendwie immer die selben Taktiken, oder täusche ich mich da."
"Nicht ganz. In der Schlacht um die Trollburg haben sie mit Triboken zurückgeschossen." Garthed zog ebenfalls sein Schwert. "Bogenschützen... Feuer!" 
Pfeile hagelten auf die Verteidiger nieder. Dann stürmten die Ritter los. Hrantal prallte mit einem jungen Reiter zusammen, etwa in seinem Alter, der ihm mit erhobenen Schwert entgegengaloppierte.
"Endlich treffe ich den Mörder meiner Schwester!"
Hrantal stutzte kurz, dann löste er sein Schwert von der Waffe seines Gegners. "Wie viele Brüder hat diese Frau bloß?" stöhnte er und holte zum erneuten Angriff aus. "Im übrigen, Eure Schwester lebt."
Der Ritter schnaufte und riss sein Schwert nach oben. Der Herzog parierte den Hieb mit seinem Schild.
Charyss’ Bruder fügte spöttisch hinzu: "Wieso solltet Ihr sie nicht töten. Sie ist vielleicht der einzige Mensch, der Eure Zauberkraft brechen kann. War doch eine gute Gelegenheit, sie aus dem Weg zu räumen." 
"Ich habe meine Gründe", sagte Hrantal, schlug mit seinem Schwert zu und entwaffnete den Salioner. "Ergebt Ihr Euch?"
Der Salioner warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Was bleibt mir anderes übrig."
Hrantal ließ den Blick über das Kampffeld schweifen. Ein Tribok war zerstört, aber alle Angreifer wurden getötet oder hatten sich ergeben.
Er wandte sich wieder seinem Gefangenen zu. "Mit wem habe ich überhaupt die Ehre?"
"Maximilian von Salion." Maximilians mürrisches Gesicht verfinsterte sich noch mehr.

Die Triboke begannen erneut die Festung unter Beschuss zu nehmen. Aber jetzt erst begann die richtige Verteidigung. Tausende, so schien es, Soldaten strömten aus dem Tor. Bogenschützen beschossen die Tricheller, schwer gepanzerte Ritter schützten sie vor den Angreifern. Hrantal deckte den Rücken seines Bruders, wurde aber bald von ihm getrennt. 
Garthed entwaffnete einen Kämpfer und riss den Schild hoch. Nach einer Weile hatte er jegliche Orientierung verloren. Sein Bruder kämpfte sich inzwischen durch die Feinde, um zu einem Moment Ruhe zu gelangen. Er lenkte Cortés auf einen Hügel und beobachtete das Kampffeld.
Es war schrecklich. Er konnte kaum noch zwischen den eigenen Männern und den Feinden unterscheiden, so dicht gedrängt und schnell bewegten sich die Kämpfer. Die ein wenig zahlreicheren Salioner und Scharchaer verteidigten ihre Freiheit wie Löwen.
Diese Menschen kämpfen, weil sie von der Unschuld ihres Königs überzeugt sind, dachte der Herzog. Aber er wusste es besser. Er hatte den Schurken mit einem Zauber gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Und diese war erschreckend glaubhaft und detailreich gewesen.
Einige Tropfen vielen herab. Hrantal drehte den Kopf nach oben und beobachtete den dunkler werdenden Himmel. Und er erschrak. Ein kleiner blauer Fleck schoss in Pfeilgeschwindigkeit über den Himmel.

Der Herzog und der König traten aus dem Zelt. Ein Späher deutete auf die Burg. Ein einzelner Reiter hatte sich aus dem Schatten gelöst und ritt auf das Lager zu. Er trug die blauweiß-gestreifte Botschafterflagge. Das mächtige pechschwarze Pferd, auf dem er ritt, hielt den Kopf weit erhoben, als es über die Ebene trabte. Garthed war an den Lagerrand getreten, um dem Botschafter zu zeigen, dass er ihn nicht bedrohen wollte. Frelltan von Dalewynn, der Pfeil- und Tribokzauberer sowie Drachenmagier, war ihm gefolgt. Hrantal trat nun ebenfalls neben seinen Bruder. Der Reiter war nun näher gekommen und die drei Männer konnten seine schlanke Gestalt erkennen, die ein wenig zu klein für die Handhabung eines so riesigen Streitrosses zu sein schien. Blonde Strähnen fielen über sein Gesicht.
Es war Charyss.
Sie lenkte ihr Pferd Morshôn, was dem Salionarischen Wort Todespferd entsprach, vor den König und seine zwei Begleiter.
"Ich bringe eine Nachricht von König Philes."
"Was will er sagen, dass er sich nicht selber hierher traut?" konterte Garthed verächtlich.
Ohne seinen anklagenden Kommentar zu beachten fuhr Charyss fort. "Er sagt, er will dem Tricheller König seine Verachtung kundtun, der wegen der Aussage eines ehrlosen Mörders sein Nachbarland überfiel. Er ist weder bereit zu verhandeln, noch sich zu ergeben."
Der Herzog bemerkte die minimal andere Betonung, die sie auf das Wörtchen er legte.
"Außerdem schlägt Philes einen Gefangenenaustausch vor", sagte sie. "Lord Kyrukh zu Woval und Sir Ledûn gegen Maximilian von Salion und Lord Shayal. Überlegt es Euch."
Garthed nickte mit dem Kopf. "Sagt ihm, dass wir ihm in einer Stunde eine Antwort schicken." Sie wollte Morshôn schon wenden, als Frelltan von Dalewynn der Kragen platzte.
"Und sagt ihm, dass er das nächste Mal eine ernstzunehmende Person schicken soll, und nicht ein unmündiges Weib."
Mit einem Blick, der Frelltan einen Schritt zurückweichen ließ, drehte sie sich im Sattel um und fauchte: "Es ist mein Land, das ihr erobern wollt, meine Festungen, die ihr zerstört und mein Volk, das ihr bekämpft. Erzählt mir nichts von Verantwortung oder Macht." Ohne Frelltan eines weiteren Blickes zu würdigen, nickte sie Garthed kalt zu und sagte: "Ich hatte gehofft, dass ihr intelligentere Magier beschäftigen würdet, die ihresgleichen ein wenig mehr Achtung zollen." Endgültig wendete sie sich ab und trabte zurück zur Burg. 
Eisig wendete sich Hrantal an den Zauberer aus Dalewynn: "Das war gerade der größte Fehler Eures Lebens. Glaubt ja nicht, dass sie Euch in der nächsten Schlacht verschonen wird" 

Die nächste Schlacht sollte kommen. Der Gefangenenaustausch war erfolgreich und Charyss begrüßte ihren um vier Jahre älteren Bruder auf das Herzlichste. Philes rief zu einer Versammlung, an der Charyss als Herrin Salions und als Magierin teilnahm. Die Besprechung dauerte bis tief in die Nacht. Das Ergebnis war eindeutig. Morgen sollte eine entscheidende Schlacht um die Grenze Salions ausgefochten werden.

Der Morgen war kühl und trocken. Verstärkung aus den anderen zwei Celtam-Festungen war eingetroffen. Charyss beobachtete das kriegerische Treiben von der Burgmauer aus. Lord Shayal, der Rote Drache, stand neben ihr. Er war der einzige, der sich von Hrantals Zauber schnell genug erholen konnte. Sie dachte an den Herzog. Jedes Mal, wenn ihr der erste Kampf mit ihm in den Sinn kam, überkam sie ein zweifelndes Gefühl. Sie schüttelte die Gedanken fort und hörte Max zu, der von Philes zum Hauptmann ernannt worden war. Ihr Bruder sprang auf sein Pferd und rief: 
"Aufsitzen, los!" Er steuerte sein Ross aus der Burg und wartete auf sein Heer, das ihm folgte. Hunderte oder mehr berittene Kämpfer reihten sich auf, vierzig schwer gepanzerte Ritter folgten. Dahinter kamen tausende Fußsoldaten.
Charyss blickte nach Norden. Ritter tauchten auf dem Hügel auf. Sie wusste, dass die Feinde ebenso zahlreich waren, wie die eigene Streitmacht. Sie glaubte, König Garthed an der Spitze seiner Männer zu erkennen. Doch ihr Blick schweifte nach oben und erkannte zwei Drachen.
"Wollen wir?" Lord Shayal war ihrem Blick gefolgt.
Sie nickte und verwandelte sich in den Blauen Drachen. Dann breitete sie die gewaltigen Schwingen aus und erhob sie majestätisch in die Lüfte.
Lord Shayal folgte ihr. Sie beobachtete, wie Max das Schwert hob und mit einem Ruck gegen die Feinde schwenkte. Dann setzte sich das gewaltige Heer in Bewegung. 
Charyss schoss dem Lager entgegen. Sie spie eine riesige Flamme auf die Feinde nieder, bevor sie nach oben zog und nach dem Weißen Drachen Ausschau hielt. Lord Shayal hatte sich mit Frelltan angelegt. Rote und graue Feuerstöße schossen durch die Luft. Sie verfolgte die Auseinandersetzung eine Weile und entdeckte dann den Herzog, der weiter oben flog und Blitze auf das Scharchaer Heer niedergehen ließ. Sie flog unter ihm vorbei und erschaffte ein Schutzschild, das seinen Blitz zurückwarf und ihn knapp verfehlte. Dann schwang sie sich wieder nach oben. 
Einige Sekunden hingen die beiden Drachen reglos in der Höhe, nur das scharfe Zischen der Luft, wenn sie von den riesigen Flügeln geteilt wurde, und der Kampflärm von unten unterbrach die Stille, welche sie umgab.
Dann begann der Kampf. Hrantal spuckte eine gewaltige Flamme auf Charyss, die blitzschnell abtauchte und ihn von hinten mit Stromschlägen attackierte. Der Herzog erschuf einen Schutzschild und verschwand in den Wolken. Charyss folgte ihm. Er erwartete sie und warf ihr einen Kometenblitz entgegen, der sie knapp verfehlt, dann aber die Richtung änderte und erneut auf sie zuraste. Sie wich dem Blitz ein weiteres Mal aus und zerstörte ihn schließlich mit einem eigenen. Dann stand sie dem Herzog ein weiteres Mal gegenüber. Seine Stimme hörte sich blechern und fremd an, als er sagte: "Das Niveau des letzten Kampfes war weitaus niedriger."
"Vielleicht. Aber ich hoffe, dies wird der letzte Kampf sein." Sie stieg blitzschnell nach oben, als er ihr einen Feuerstoß entgegenschickte. 

Der Kampf dauerte lange. Immer wieder griffen sie sich an und immer wieder wichen sie den feindlichen Angriffen aus. Charyss tauchte nach unten. Sie waren weit von der Burg und dem eigentlichen Kampf abgekommen. Sie drehte und schickte dem Herzog, der ihr gefolgt war, einen Feuerstoß entgegen. Er erschuf eine Schutzwand und schoss ihr wieder entgegen. Hrantal benutzte eine Illusion, auf die sie mit dem gleichen Spruch antwortete. Für eine kurze Zeit schossen acht Drachen aneinander vorbei. Plötzlich prallte sie gegen ihn. Er war genauso überrascht und einige Sekunden trudelten beide durch die Luft.
Er fing sich eher.
Oh nein, nicht schon wieder, dachte sie und schickte ihm eine Flamme entgegen. Die beiden Feuerstöße trafen sich in der Mitte und verrauchten. Charyss landete unsanft auf dem Boden. Sie stieß sich erneut ab und schoss durch die Luft, der Michindor-Festung entgegen.
Der Kampf wütete in seiner Hauptphase. Charyss zog in weiter Schleife über die Ebene und entdeckte Lord Shayal, der Frelltan besiegt hatte und nun zu ihr flog. 
"Und, wie steht’s?" fragte er.
"Wie vorher. Kein Erfolg, wir verbrauchen nur unsere Magie." Sie ließ sich nach unten sinken und wich einem weißen Strahl aus. Hrantal war ihr gefolgt und der Kampf entbrannte erneut. Lord Shayal schwor einen Schutzschild herauf, um einen Blitz, der auf ihn zuschoss, abzuwehren. Dann tauchte der Herzog wieder in die Wolken, um Charyss zu folgen.
Das wird noch ewig so weiter gehen, dachte sie. Bis einer von uns keine Zauberkraft mehr hat.
Sie wartete auf den Herzog, der kurz nach ihr die Wolkendecke durchbrach und ihr entgegenflog. Er bremste kurz vor ihr ab und ein drittes Mal hingen sie reglos in der Luft. 
Er lächelte.
Charyss runzelte die Stirn. "Ich habe noch nie einen Feind lächeln sehen, wenn er sich nicht siegesgewiss war."
"Ich bin mir nicht siegesgewiss. Fragt mich mal in ein paar Stunden wieder."
Sie griff wieder an und der Kampf setzte sich fort.

"Ich kann hier nicht weg, Euer Gnaden." Charyss funkelte Philes wütend an.
"Ohne mich wäre die Burg schon lange gefallen! Oder glaubt ihr, dass Lord Shayal mit einem weitaus mächtigeren Magier fertig wird?"
Philes nickte und sagte spitz: "Ich schätze diesen Mann sehr. Er wird das hinkriegen."
Charyss schüttelte den Kopf. "Dann schickt ihn doch nach Tintokal, ich glaube nämlich nicht, dass er nur einen Kampf durchhält, geschweige denn überhaupt zum kämpfen kommt."
Wütend richtete sich Philes auf. "Das ist immer noch meine Entscheidung. Ihr seid die Herrin von Salion, aber nicht der König. Ihr werdet die Tintokaler unterstützen und Lord Shayal wird mit dem Herzog abrechnen." 
"Wie Ihr wünscht, Hoheit." Ihre Augen funkelten. Dann wandte sie sich ab.
Philes blickte ihr hinterher, bis sie durch die Tür verschwand.
Sie ist gefährlicher, als ich annahm. Gut, dass die Skaffaer sie bald aus dem Weg räumen, dachte er. 

Hrantal beobachtete den Himmel. Er stieg in die Höhe und ließ ab und zu ein paar Blitze auf das feindliche Heer herunterzucken. Dann entdeckte er den Roten Drachen, der ihm entgegenschoss und kurz vor dem Herzog in der Luft hängen blieb.
"Na nu, heute mal alleine?" fragte Hrantal und grinste belustigt.
Shayals Augen blitzten feindselig auf. "Die Lady wird an der Südgrenze gebraucht, wir müssen uns zusätzlich noch um die Skaffaer kümmern." 
"Ein bedeutender Fehler von Philes, wenn Ihr mich fragt", sagte Hrantal kalt und schleuderte dem Lord einen Feuerball entgegen. Er drang mühelos durch das von Shayal erschaffene Schutzschild und warf ihn einige Meter zurück.
"Für mich sehr zuvorkommend, auf diese Weise werden wir die Celtam-Festungen in weniger als einer Woche eingenommen haben." Der Herzog schickte dem Lord einen Blitz entgegen, worauf Shayal irgendwo auf dem Kampffeld aufprallte.

Charyss lenkte Morshôn aus dem Stadttor von Tintokal und folgte Lord Albrecht den staubigen Weg entlang zum Hochplateau. Er war der Hofzauberer von Tintokal und wollte ihr auf eine eilige Nachricht von Philes etwas zeigen. Gedankenversunken schlug sie hinter ihm den steilen Pfad ein. Wütend dachte sie an den letzten Bericht über den Stand des Krieges. Lord Shayal war schwer verwundet, ohne Hrantal auch nur einen Kratzer zugefügt zu haben, und die Michindor-Festung war so gut wie verloren. Sie blickte zum Himmel und entdeckte das Sternbild des Adlers. Etwas weiter nach Norden leuchtete die Gruppe, die man den Drachen nannte. Warum rief Philes sie nicht zur Hilfe? Die Skaffaer waren seit Tagen ruhig, ehrlich gesagt, hatte Charyss noch keinen einzigen Feind gesehen. Irgendwie kam ihr das seltsam vor.
Plötzlich war Albrecht verschwunden. Eine gähnende Leere erfüllte sie, als sie versuchte ihm eine magische Nachricht zu schicken. Der Grund war ein verkrüppelter Baum, der neben ihr am Wegesrand stand. Es war ein Grofbaum, der im Volksmund nur Antimagie-Baum hieß. Tatsächlich sonderte seine Rinde ein eigenartiges Sekret aus, das alle Magie im Umkreis von mehreren Kilometern aufsaugte.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Mehrere dunkle Gestalten sprangen aus dem Gebüsch, das den kleinen Pfad umrandete. Sie wollte nach ihrem Schwert greifen, aber es war verschwunden. Hinter dem Ring, den die Männer immer enger um sie zogen, entdeckte sie den Lord, der triumphierend ihre Waffe in die Höhe hielt.
"Verräter!" zischte sie.
Albrecht zuckte mit den Schultern. "Befehl des Königs."
Sie versuchte Morshôn aus dem Ring zu manövrieren, doch einer der Skaffaer zog ihr mit seiner Keule eins über den Kopf. Das letzte, was sie sah, bevor sie ohnmächtig wurde, war das hämische Grinsen des Lords. 

"Jetzt wird mir die Geschichte so allmählich klar", sagte Garthed und schritt über den Vorhof der Michindor-Festung. "Philes hat von Anfang an ein falsches Spiel gespielt. Den ersten Strich hast du ihm durch die Rechnung gezogen, als du mittels Magie den von ihm eingestellten Mörder zur Rede gezwungen hast."
Er und Hrantal betraten den Bergfried der gefallenen Burg.
"Danach hat er Angst gehabt, dass Charyss von Salion auf eben diese Weise die Wahrheit herausfinden kann und hat sie aus dem Weg geräumt. Bloß daran, dass sie die einzige ist, welche die Grenze noch halten konnte, hatte er nicht gedacht."
Der Herzog nickte.
Gestern hatten die Tricheller die Michindor-Festung eingenommen und durch einen gefangenen Diener von Philes war ihnen von der Entführung Charyss’ durch die Skaffaer zu Ohren gekommen. 
"Hoffentlich lebt sie noch", sagte Hrantal. "Wenn wir sie von der Wahrheit überzeugen könnten, hätten wir ein wirksames Mittel gegen Philes in der Hand." 
Falls wir sie da rausholen können, dachte der Herzog.
"Aber wie sollen wir sie befreien? Ganz Skaffa ist von Grofbäumen verseucht."
"Ich weiß es nicht. Diese Sache überlass ich dir. Ich muss mich um Philes, dieses feige Schwein, kümmern." Der König verschwand im Beratungssaal, um mit seinen Hauptmännern einen neuen Plan zu entwerfen.
Hrantal seufzte und wanderte eine Weile ziellos durch die Festung. Er schlug unwillkürlich verschiedene Gänge ein und fand sich plötzlich vor der Tür der Bibliothek wieder. Er betrat den Raum, eine der größten Büchereien des ganzen Ostens. Gedankenversunken zog er ein Buch aus einem Regal. Vielleicht würde er etwas finden, was ihm hilfreich sein könnte.

Charyss fand sich in einem dunklen Gefängnis in Krashnach wieder. Sie war mit eisernen Ketten an eine schleimige Wand gefesselt. Einige runde Holzschilder hingen an der Wand, Grofbaum-Holz. Schwer atmend lehnte sie sich an die Wand. Das war’s nun endgültig, dachte sie. Nun begriff auch sie den Plan, dem Philes nachgegangen war. Warum hatte sie ihn nicht schon früher verdächtigt? Sie hätte nur seine Gedanken lesen müssen, dann wäre es nicht soweit gekommen. Jetzt bezahlte er den Skaffaern garantiert einen dicken Batzen Geld für mich, dachte sie. Aber nicht etwa für meine Freilassung. Sie lehnte sich zurück und überlegte, wie weit die Tricheller mit der Eroberung der Celtam-Festungen sein konnten. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss um und ein Diener stellte eine Schüssel Haferbrei, oder etwas ähnlich aussehendes, auf den Boden. Er blickte Charyss mit angsterfüllten Augen an, bevor er den Kerker eilig wieder verließ. Charyss fühlte sich zu schwach, um aufzustehen und nach der Schüssel zu greifen. Sie lehnte sich zurück und war fast augenblicklich eingeschlafen.

Mehrere Tage vergingen, ohne dass Hrantal etwas hilfreiches fand. Garthed hatte den Angriff auf die zweite Celtam-Festung, die Feenburg, gestartet und der Herzog kam nur nach den Schlachten dazu, seine Forschungen fortzusetzen. An diesem Abend hatte er ein altes Magier-Buch aus dem hinteren Teil der Bibliothek gefunden und blätterte darin. Eine Seite hatte sich gelöst und Hrantal hob sie auf. Er warf einen kurzen Blick darauf und stockte. Er entzifferte die alte Handschrift und fand das, was er brauchte. Eine Möglichkeit, seine Zauberkraft vor den Grofbäumen zu schützen. Hastig stopfte er die Seite in seinen Umhang und verließ die Bibliothek. 

Charyss schien es, als ob Jahre seit ihrer Gefangennahme vergangen waren. Sie fühlte sich mit jedem Tag schwächer und hilfloser. Ich bin sowieso erledigt, dachte sie, als sie einer Schüssel mit Haferbrei einen Tritt versetzte und der schleimige Inhalt sich über den Steinboden ergoss. Wieso sollte ich dann diesen eklige Abfall in mich reinstopfen. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Seit Tagen brachte ein Diener um die selbe Zeit eine Schüssel. Plötzlich vernahm sie das Drehen des Schlüssels. Nicht schon wieder dieses stinkende Zeug, dachte sie und warf einen Blick auf ihr Abendessen, das einen üblen Geruch verströmte.
Die Tür öffnete sich und ein schwarzer Kater huschte herein. Charyss setzte sich wieder auf und beobachtete das Tier, das angewidert an dem Haferbrei schnüffelte und dann auf sie zulief.
Plötzlich blinzelte Charyss. Hrantal stand vor ihr. Der Herzog griff nach ihren Händen und löste die Fesseln. Eine Weile verharrte er reglos.
Ihre Blicke trafen sich, er zog sie an sich und küsste sie.
"Wie...?" fragte Charyss.
Er zog die zerknitterte Seite des Buches aus seinem Umhang und gab sie ihr. Charyss überflog die Zeilen.
Dann lächelte sie. "Ich dachte, du kannst kein Salionar?"
"Ich muss einer Feindin ja nicht alles verraten." Er sprach die Formel über Charyss und sie genoss den Augenblick, in dem ihre Magie zurückkehrte. 
"Philes hat dich an Skaffa verkauft."
Sie nickte. "Ich weiß. In den Tagen hier wurde mir das klar. Wenn ich zurück in Salion bin, werde ich ihm zeigen, wer hier Herrscher ist. Er wird den Tag verfluchen, an dem sein Vater beschloss, mein Land zu erobern."
"Aber erst mal musst du hier raus." Hrantal verwandelte sich wieder in den schwarzen Kater.
Sie tat es ihm gleich und beide huschten als schwarze Schatten aus dem Gefängnis. Mit einem Zauberspruch schloss der Herzog die Tür und beförderte den Schlüssel zurück an einen Haken an der Wand. Dann lief er weiter und führte Charyss durch ein Gewirr von abzweigenden Gängen nach draußen.
Der dunkle Himmel war von Wolken bedeckt, nur einige Sterne schimmerten hindurch. Hrantal schlich über den Hof und zu den Pferdeställen. Morshôn stand, mit schweren Ketten angebunden, in einer Ecke des Gebäudes. Niemand hatte sich getraut, ihn anzufassen. Charyss verwandelte sich zurück in einen Menschen und brachte die Ketten zum Zerbersten. Dann führte sie ihr Pferd, das immer noch den Sattel und das Zaumzeug trug, aus dem Stall.
Der Herzog hatte sich für ein großes, ebenfalls schwarzes Streitross entschieden und schwang sich in den Sattel. Er lenkte das Tier neben Morshôn.
"Woher hast du bloß dieses Monstrum?" flüsterte er.
Sie lächelte. "Ein Salioner, irgendein Tier musste mir Philes bereitstellen. Er hat geglaubt, ich würde nicht mit Morshôn fertig werden."
Leise führten sie die Pferde zum Tor. Die Wachposten schliefen und lautlos öffnete Charyss das Tor. Sie deutete auf die schlafenden Torhüter. "Dein Werk, nehme ich an?"
Er nickte. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte in die Dunkelheit hinein. Charyss folgte ihm.
Nach einigen Stunden stiegen sie ab und befreiten die Pferde von Sattel und Zaumzeug. Charyss belegte sie mit einem Zauber, der sie auf direktesten Weg zur Michindor-Festung reisen lassen sollte. Hrantal hatte sich in seinen weißen Drachen verwandelt und beobachtete sie, wie sie Morshôn verabschiedete. Dann versetzte sie ihm einen Klaps und er trabte davon. Sie verwandelte sich ebenfalls in einen Drachen und beide flogen dem Norden entgegen.

Einige Stunden später erreichten sie die Feenburg. Hrantal umarmte Charyss und küsste sie noch einmal. Dann drehte er sich um, verwandelte sich in den schwarzen Kater und verschwand in der Dunkelheit. Charyss sah ihm hinterher, bis ihn die Nacht verschlang, dann betrat sie, ebenfalls als Katze, die Feenburg. 
Sie huschte durch die Gänge der Burg und hielt vor dem Beratungszimmer an. Unbemerkt schlich sie sich hinein und verfolgte das Gespräch, das Philes mit seinen Hauptmännern führte.
"Ich bedaure die Entführung Eurer Schwester zutiefst, Maximilian, aber wir haben nicht genügend Streitkräfte, um Krashnach anzugreifen, das wäre der pure Selbstmord!"
Max sprang auf und antwortete hitzig: "Sie ist die einzige, die uns noch gegen die Tricheller helfen kann, Eurer Hoheit. Wenn wir sie nicht befreien, ist Salion verloren!"
Der König verzog den Mund und sagte: "Das ist es sowieso. Ich hoffe, dass wir noch rechtzeitig nach Slamung fliehen können. Und selbst wenn Eure Schwester hier wäre, ihr vergesst den Herzog von Trichell."
"Ihr wollt Salion also aufgeben?"
Der König verzog keine Miene. "Salion ist schlecht befestigt. Der einzige Schutz, Eure Schwester, ging uns verloren. Ich fordere keinen auf, dieses Land mehr als nötig zu verteidigen."
Charyss sprang auf die lange Tafel. Mit gefährlich aufblitzenden Augen starrte sie Philes an. Einer der Hauptmänner wollte sie wegscheuchen, doch sie wich seiner Hand aus, sprang wieder herunter und verwandelte sich in einen Menschen. Erschrocken wich Philes zurück. Die Lady versetzte ihm einen vernichtenden Blick.
"Welch eine Freude, Euch wieder zu sehen, Euer Hoheit. Mit mir habt ihr wohl nicht mehr gerechnet? Zu dumm, dass ihr in Eurem Plan keine Magie berücksichtigt habt."
"Welchen Plan?"
"Leugnet nicht. Es gibt mehr als genug Sprüche, um jemanden zum Reden zu zwingen - ihr habt den König von Trichell ermorden lassen! Und ihr habt mich an die Skaffaer verkauft. Ich breche den Treueid, den ich Euch nie geben musste, ich bin nicht länger eine Eurer Untertanen. Als Königin von Salion, befehle ich Euch, mein Land sofort zu verlassen."
Mehrere Scharchaer waren aufgesprungen, doch die Überzahl der Hauptmänner hatte sich schützend vor Charyss gestellt.
"Das wird Euch noch leid tun", fauchte Philes und griff zu seinem Schwert.
Max wollte es ihm entreißen, doch Charyss winkte ab. Sie nahm das Schwert ihres Bruders und wartete auf Philes’ Angriff. "Wehrlose wollt ihr töten, mal sehen, ob ihr auch Bewaffnete angreift."
Philes griff an und holte gegen sie aus. Charyss fing den Schlag geschickt ab, drückte dagegen und, mit einem weiten Schwung, ließ sie ihre Waffe auf seinen Schwertarm niedersausen. Philes schrie kurz auf und ließ sein Schwert fallen. 
"Verschwindet, bevor ich Euch die Wachen auf den Hals hetze", zischte Charyss und hob sein Schwert auf. "Das hier könnt ihr behalten."
Philes griff mit finsterem Gesicht nach seiner Waffe, gab seinen scharchaer Hauptmännern einen Wink und verließ mit ihnen das Zimmer. Er lief auf den Hof, sprang auf sein Pferd und verließ mit seinen Rittern eilig die Burg. Der Morgen hatte gerade angebrochen und durch die goldenen Strahlen der Sonne konnte Charyss einen versteckten Trupp Tricheller am Wegesrand entdecken.
Philes würde direkt in die Falle tappen. Max lehnte sich neben seine Schwester an die Burgmauer und beobachtete das Gefecht, das mit der Gefangennahme Philes endete. 

"Ein Tricheller Bote?" Charyss blickte ihren Bruder ungläubig an. "Was wollen die? Mich mit Philes erpressen?"
Max zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, du bist die Königin, glaubst du, er wollte mit einem einfachen Hauptmann sprechen?"
"Schick ihn rein."
Max verbeugte sich und bemerkte, mit unterdrückter Belustigung in der Stimme: "Ja, Eure Hoheit." Grinsend verließ er den Saal und einige Minuten später kehrte er, mit einem jungen Krieger im Schlepptau, zurück.
Der Krieger verbeugte sich und drückte Charyss einen versiegelten Brief in die Hand. Die Königin öffnete ihn und eine Weile herrschte Totenstille.
"Ein Friedensvertrag. Und Zusicherung einer militärischen Unterstützung gegen Skaffa. Will Garthed sich mein Vertrauen kaufen?"
Der Krieger schüttelte den Kopf. "Nein, keinesfalls, Eure Hoheit. In einem Tag erwartet er eine Antwort."
"Er braucht nicht einen Tag zu warten. Ich nehme an." Charyss griff nach einer Feder, schrieb einige Worte auf den Vertrag, steckte ihn in den Umschlag zurück und gab ihn dem Krieger. "Richtet ihm meinen Gruß aus."
Der Krieger verbeugte sich nochmals und verließ den Saal. Max atmete tief durch.
"Für einen Moment dachte ich, dass du ablehnst."
Sie grinste. "Ich bin doch nicht lebensmüde. Wenn der Herzog irgendwo noch einen anderen Drachenmagier seiner Stärke auftreiben kann, wäre Salion verloren gewesen." Allerdings zweifle ich daran, ob er mich noch angreift, dachte sie.

Einige Wochen später erreichte Charyss die Nachricht, dass Gaynen auf dem Weg nach Salion war. Auch Garthed wollte ihr einen Besuch abstatten. Aber sie würden erst in ein bis zwei Wochen eintreffen.
Sie lenkte Morshôn durch die dicht befahrene Straße von Tintokal nach der Michindor-Festung. Nachdem sie die Straßenkreuzung nach der Kreuzburg passiert hatte, ließ der Verkehr nach. Auf einer Brücke kam ihr eine riesige Schafherde entgegen, die von einem alten Schäfer und acht Hunden vorangetrieben wurde. Geschickt bahnte sie sich einen Weg durch die Herde, nickte dem Schäfer freundlich zu, der sich vor ihr verbeugte, sprang über das letzte Schaf und prallte mit einem anderen Pferd zusammen. Sie konnte sich gerade noch auf Morshôn halten. Der Reiter lenkte sein Pferd neben sie und bewahrte sie vor einem Sturz.
"Man guckt nach vorne im Straßenverkehr", knurrte er.
Es war Hrantal.
"Und man reitet nicht ohne Genehmigung durch fremde Territorien, das nennt man Spionage."
Er verzog das Gesicht. "Ich hab eine Genehmigung." Mit einem Lächeln auf den Lippen reichte er ihr einen Brief. Gaynen hatte ihn unterschrieben. Sie seufzte.
"Wie soll ich ihnen klar machen, das nur ich solche Genehmigungen erteilen darf."
Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie. "Gar nicht. Denn dann würde ich immer noch an der Grenze stehen und auf eine Erlaubnis warten."

"Euer Bruder. Ja, er ist bereits hier." Charyss nickte Garthed zu. "Ich muss meinem Bruder noch eine Predigt halten, dass er, verflucht noch mal, meine Genehmigung braucht, um eine Genehmigung zu schreiben."
Garthed grinste. "Seid Euch nicht so sicher, dass es wirklich Gaynens Unterschrift war. Wo hat er Euch erwischt?"
Sie verdrehte die Augen. "In einer Schafherde, mitten auf einer Brücke. Wie sieht es aus, mit Philes?"
Garthed zuckte mit den Schultern. "Er schmort lebenslänglich in einem Gefängnis in Xanthaka." Er bemerkte seinen Bruder, der lautlos die Treppe zur Burgmauer erklomm.
"Und mit der Verwaltung Scharchas?" fragte sie.
"Slamung wurde vollständig eingenommen. Ein Großteil der Bevölkerung schien froh, Philes los zu sein." Der Herzog legte seine Hände auf Charyss’ Taille und drückte einen Kuss auf ihren Nacken. "Du doch auch", bemerkte er.
Zu Garthed gewandt fügte er hinzu: "Mach den Mund zu."
Garthed klappte den Kiefer wieder zu und grinste. "Erst bringst du sie fast um und jetzt küsst du sie."
"Was dagegen?" fragte Hrantal mit fast unhörbarer Drohung in der Stimme.
Gaynen hatte ebenfalls die Mauer erklommen und stand nun neben dem Herzog. Auch er konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: "Es geht doch nichts über den alten Leitsatz Du sollst deine Feinde lieben."
Charyss warf ihrem Bruder einen vernichtenden Blick entgegen. "Du solltest mal wieder nach Xanthaka, Bruderherz. Jemand würde dich gerne wieder sehen."
Gaynens Gesicht verfärbte sich leicht rosa. "Ich hasse es, wenn du meine Gedanken liest."
Der Herzog musterte Gaynen jetzt ebenfalls. "Der Meinung bin ich auch. Du solltest mitgehen, Garthed, vielleicht findest du jemanden, dem du einen Teil der Regierung überlassen kannst."
Garthed, der froh war, dass er durch seine Magie, die freilich nicht mit der seines Bruders mithalten kann, von Gedankenübergriffen geschützt war, verzog verwirrt das Gesicht. Seine Zauberkraft war bei weiten nicht so stark, dass er Gedanken lesen könnte. Nach ein paar Sekunden hellte sich sein Antlitz auf, er griff Gaynen am Arm und sagte: "Ich glaube, darüber müssen wir uns mal unterhalten."
Dann verließen er und Gaynen die Burgmauer.
"Ich glaube, er hat echt Regierungshilfe nötig", sagte der Herzog.
Sie lehnte sich an ihn und fragte: "Warum hilfst du ihm nicht?"
"Weil ich es hasse, ein riesiges Land zu regieren. Außerdem habe ich in Trichell mehrere Magier, die mir liebend gern an die Gurgel springen wollen. Die warten nur auf einen Fehler und dann fallen sie wie Aasgeier über ihr Opfer her." Hrantal verzog das Gesicht. "Aber allmählich habe ich die Nase voll, Garthed’s Botschafter zu spielen. Demnächst will er mich zu einer wirtschaftlichen Verhandlung nach Beriwan schicken." Seine Stimme wurde leise, als er sie an sich drückte und sagte: "Aber vorher hätte ich noch eine Frage." Er hielt kurz inne, um ihren Blick festzunageln. "Willst du mich heiraten?"
Charyss blickte ihm überrascht in die Augen. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn. "Warum sollte ich ablehnen?"
Er lächelte.

"Die Skaffaer wollen verhandeln? Einen Friedensvertrag?" Hrantal griff nach dem Brief, den ihm Max überreichte, riss ihn auf und las ihn. Nach einer Weile grinste er zufrieden, reichte den Brief an Max weiter und sagte: "Sie wollen sich den Frieden erkaufen. Mit Tributzahlungen."
Max hatte die Zeilen überflogen, gähnte einmal kurz, und bemerkte: "Wenn du mich fragst, ist da was faul. Pass auf, dass sie dir nicht Grofbäume andrehen wollen."
"Mit Grofbäumen hab ich kein Problem. Sag dem Boten, dass ich mich morgen entscheide, das muss ich erst mal der Königin unterbreiten."
Hrantal legte den Brief auf den Tisch, wünschte Max eine gute Nacht und verließ den Thronsaal. Max schüttelte verwirrt mit dem Kopf. Die eigentliche Geschichte von Charyss’ Rettung hatte er noch nie gehört. Dann gähnte er nochmals und machte sich ebenfalls auf den Weg zu seinen Gemächern.
Der Himmel war von Sternen übersäht und Hrantal schätzte die Uhrzeit auf etwa Mitternacht. Geräuschlos betrat er einen anderen Teil des Palastes und öffnete die Tür zu den Gemächern des Königs und der Königin.
Sein erster Blick fiel auf das Bett und Charyss’ schlanke Gestalt, die sich in der Dunkelheit zu verflüchtigen schien. Hrantal hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor er sich auf die Bettkante setzte und ihren Schlaf beobachtete. Dieser Anblick erinnerte ihn an etwas: Genauso sah sie aus, als er sie das erste Mal gesehen hatte.
 

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