Ma´zachur landete am Fuße des
beschriebenen Berges. Ein Friedhof lag vor einem großen schwarzen
Steintor. Dünner Nebel strich über den Boden.
"Ich hab mich schon mal wohler gefühlt!"
bemerkte Sukita schaudernd.
Syn steckte den rostigen Schlüssel ins
Tor, doch es wollte nicht so leicht aufgehen.
Mit aller Kraft drückte Ma´zachur
mit der Schnauze gegen das Steintor.
Knarrend schwang es auf und gab ein schwarzes
Loch frei.
"Ruft mich, wenn ihr zurück seid. Ich
fliege in die Stadt!" sagte der blaue Eisdrache.
Syn und Sukita nickten. Mit Fackeln in den
Händen traten sie ein.
Der Gang führte zuerst geradeaus, mit
leichtem Gefälle abwärts.
Spinnennetze und Wurzeln hingen zwischen dem
grauen Gemäuer.
"ACHTUNG!!" rief Sukita, aber da war es schon
zu spät. Zehn Stahllanzen schossen links und rechts aus den Wänden
und trafen sich in der Mitte des Ganges.
Syn blickte sich entsetzt um. Sie stand zwischen
zwei Lanzen mitten in einem Hohlraum.
"Das war Glück!!" sagte Sukita. Jetzt
sah Syn auch den Trittschalter am dunklen Felsboden, der bei Gewicht die
Speere auslöste.
Syn hob den Fuß und die Speere glitten
wieder zurück in die Wand.
"Du musst über den Schalter springen!"
sagte Syn.
Sukita tat dies und als sie weiterlaufen wollte,
entdeckte sie in einer dunklen Ecke ein Skelett.
Einer der Speerspitzen aus der Wand steckte
noch zwischen den Rippen. Neben dem Skelett lag ein Lederbeutel, der offenbar
mit goldenen Münzen gefüllt war.
Sukita entdeckte darin ein Buch, deren Wörter
sie nicht entziffern konnte.
"Syn, kannst du diese Schrift lesen?" Syn
nahm das Buch und las vor.
Tagebuch von Afrael Darkthorn.
Tag 1:
Seit Mittag bin ich nun schon hier unten.
Dass ich noch lebe, ist nur meiner Wachsamkeit zu verdanken. Es stimmt,
was die Legenden sagen. Allen Leuten hat man ihre Kostbarkeiten mit ins
Grab gelegt. Leider kann ich nicht so viel tragen, und muss deshalb später
wieder kommen.
Tag 2:
Heute hat mich eine riesige Giftspinne
gebissen. Ich sehe alles nur noch verschwommen und das Gold in meinem Beutel
wird immer schwerer. Ein Skelett stieg aus dem Sarg neben der großen
Statue. Ich weiß nicht, ob es eine Halluzination war, hervorgerufen
durch das seltsame Spinnengift, oder ist die Krypta doch verflucht.
Tag 3:
Meine Vorräte gehen zu Ende und ich
habe noch immer nicht den Ausgang gefunden. Stattdessen bin ich auf eine
der Trittfallen mit den Speeren getreten. Ein Speer bohrte sich in meine
rechte Seite und brach ab. Die Verletzung ist sicher tödlich und ich
weiß nicht, ob mich jemals jemand findet, deshalb eine Warnung an
alle die diese Zeilen hier irgendwann lesen:
"Haltet euch vom Gold der Toten fern, es
ist verflucht!"
"Das war der letzte Eintrag." sagte Syn nach
der Vorlesung. Ich schlage vor, wir suchen den heiligen Speer und dann
raus hier."
"Haben dir die Drachen das Lesen beigebracht?"
fragte Sukita.
Syn nickte. "Ja, Sabion war´s."
Die Gänge waren an manchen Stellen so
flach, dass Syn und Sukita krabbeln mussten, an anderer Stelle waren Decke
und Boden bis zu zehn Meter voneinander entfernt. Immer wieder gab es in
der Wand neben ihnen Hohlräume, in denen jeweils ein Skelett lag.
Meistens waren sie mit Spinnennetzen und Staub überzogen. Einige Tote
trugen ihre wertvolle Rüstung und hielten ihre Waffe in den Knochenfingern.
Neben ihnen lagen oft Schatullen voll Schmuck,
einige Geldsäckchen oder Edelsteine. Doch weder Syn noch Sukita wagten
etwas davon mitzunehmen. Sukita stattdessen interessierte sich für
die Schriftzeichen, die an Decke und Wänden eingemeißelt waren.
Einige davon stellten buchstabenähnliche Zeichen dar, andere glichen
kleinen Figuren und Gegenständen.
"Etwas davon kann ich lesen." sagte Syn und
zeigte auf den Torbogen vor ihnen.
"Es bedeutet:
Wer hier die Toten ehrt, dem wird im Leben
kein Unglück widerfahren."
"Diesen Satz hätten sich die da wohl
besser merken sollen!" Sukita zeigte auf ein viereckiges Loch vor ihnen.
Das Loch war etwa fünf Meter tief und am Boden mit Stacheln übersät.
Jede der Stacheln war ein Meter hoch und sah verdammt spitz aus.
Auf einigen Stacheln hingen Skelette. Am Boden
lagen Goldmünzen verstreut.
"Arme Schweine!" murmelte Syn.
Sie schlichen sich um das Loch herum und gingen
weiter.
Dann kam ein enger Gang, der wohl einige hundert
Meter lang und knapp zwei Meter breit und hoch war. Am Boden und an der
Decke verlief parallel eine Eisenschiene den Gang hinunter. Auch hier lagen
Skelette am Boden. Sukita wunderte sich nur, dass keines davon vollständig
war. Die Knochen lagen mehr oder weniger verstreut durcheinander.
Plötzlich fiel hinter ihnen der Rückweg
von einer Steintür zu. Stattdessen ging in einer Nische neben
ihnen eine Holztür auf. Sie war das Ende des langen, engen Ganges
auf dieser Seite.
Jetzt erkannten die beiden, warum die Skelettknochen
verstreut waren und warum diese merkwürdigen Metallschienen an Decke
und Boden waren.
Eine große, dicke Eisenstange verlief
von der oberen zur unteren Schiene. An der Eisenstange waren im Abstand
von etwa 15 Zentimetern lange, gebogene Messerklingen mit Stacheln und
Widerhaken angebracht.
Die Hexelstange begann plötzlich zu rotieren
und der Schiene zu folgen, direkt auf Sukita und Syn zu.
"RENN!!!" brüllte Syn.
Beide rannten den Gang entlang, dicht hinter
ihnen die rotierende Messerstange.
.
"So, das müsste jetzt funktionieren!"
sagte Jens.
Hinter der Schmiede auf einer großen
Wiese, hatte er das Rohgerüst seines Triebwerks stehen.
Die Apparatur glich einem langen Zylinder,
der etwa einen Meter groß war. An der Austrittsöffnung und im
Innenbereich gab es diverse Verengungen, die den Verbrennungsdruck in die
richtige Richtung lenken sollten.
Ein kleines Fläschchen Mana hing seitlich
daneben. Von ihm ging ein kleiner Schlauch hinunter ins Triebwerk.
Inzwischen war es dunkel geworden und die
Drachen sind zum Hort zurückgeflogen. Nur Ma´zachur war noch
da.
"Jens bist du fertig für heute? Lass
uns losfliegen."
"Ich will gerade noch schnell einen Testlauf
durchführen, dann mach ich auch Feierabend."
Eine Fackel steckte im Gras hinter der Austrittsöffnung
des Triebwerkes.
"Los geht’s! Ich öffne jetzt die Treibstoffzufuhr..."
Jens drehte den Quetschhahn unter dem Manafläschchen
auf und blaue Flüssigkeit tropfte in die Brennkammer.
Sofort schoss eine kleine Stichflamme in das
hintere Triebwerkende von der Fackel aus hinein. Das Rohr vibrierte.
"Scheint zu funktionieren." meinte der Drache.
"Ja, aber die Leistung muss noch etwas erhöht
werden, sonst hat das Triebwerk nicht genug Schub, um mein Flugzeug zu
schieben!" Jens drehte den Hahn weiter auf und hatte plötzlich den
Ventilgriff in der Hand.
"Oh Kacke Mann, jetzt ist der Griff abgebrochen!"
Doch bevor Jens den Schlauch von der Mana-Flasche ziehen konnte, war das
Triebwerk mit samt dem Gerüst schon unterwegs.
Das Ding sauste außer Kontrolle in zehn
Meter Höhe über die Stadt, wie eine Silvesterrakete ohne Leitstab.
Zuerst sah es aus, als ob die Apparatur ins
hintere Stadtviertel knallte. Doch dann machte das Triebwerk einen Bogen
und sauste über die Schlucht in den Wald.
Eine gewaltige Explosion folgte.
Jens, der inzwischen schon auf Ma´zachurs
Rücken saß, meinte: "Naja, vielleicht klappt´s beim nächsten
Mal."
Der Drache lachte laut.
"Ja, mach dich nur lustig!" meinte Jens, jetzt
ebenfalls lachend.
Dann flogen sie zum Drachenhort.
.
Syn und Sukita rannten den Tunnel entlang.
Etwa fünf Meter hinter ihnen hörten
sie das Geräusch von Klingen, die in der Luft rotierten.
"Der Fleischwolf hat uns gleich eingeholt,
ich kann nicht mehr!!" japste Sukita.
Beide sprangen jeweils rechts und links in
eine der Aushöhlungen in der Wand. Die Messerstange ratterte an ihnen
vorbei, den Gang weiter entlang und kam am Ende zum stehen.
Sukita lag auf einem staubigen Skelett drauf.
Eine Spinne krabbelte aus dem Totenschädel.
"Igitt, das ist ja ekelhaft!" kreischte sie
und sprang aus der Nische.
Syn lachte. Sie hatte eine leere Nische erwischt.
"Man kann anhand der Fallen und Mordraffinessen
schon erkennen, dass hier unten etwas ganz besonderes liegen muss." meinte
Sukita. "Wie lange sind wir eigentlich schon hier unten umhergewandert?"
fragte sie.
Syn zuckte mit den Schultern. "Schwer zu sagen.
Man verliert leicht das Zeitgefühl in so einem Tunnelsystem. Legen
wir uns besser mal schlafen. Heute finden wir den heiligen Speer nicht
mehr."
Sie holte zwei Decken aus ihrem Rucksack und
drückte die Fackel aus.
Dann legten sich beide in leeren Nischen in
der Wand schlafen.
.
Ma´zachur kam mit Jens auf dem Rücken
am Drachenhort an. In Pyrotakans Höhle strahlte ihnen beim Landeanflug
schon ein gemütlich warmes Licht entgegen.
Pyrotakan saß mit Sabion im Heu und
spielte ein Spiel. Es war ein Ratespiel. In der Mitte zwischen den beiden
Drachen lag eine leuchtende Kristallkugel. Im Abstand von etwa zehn Sekunden
wechselte sie die Farbe. Beide rieten, welche Farbe sie wohl als nächstes
annimmt. Wer Recht hatte, bekam einen Punkt.
Sabion führte mit 23 Punkten.
"Ah, auch schon da?" fauchelte Pyrotakan.
"Ja. Aber Syn und Sukita sind noch in der
Krypta. Ich kann keine gedankliche Verbindung zu ihnen aufnehmen, sie sind
zu tief in der Erde," sagte der Eisdrache.
"Oder schon tot."
"Pyrotakan!" fauchte Sabion, "sag so was nicht.
So leicht stirbt Syn nicht, dazu ist sie zu clever!"
"War nur´n Spaß!" entgegnete Pyrotakan.
"Kein besonders guter!" meinte Sabion.
Ma´zachur stieß Jens seine Schnauze
in den Rücken und meinte: "Los, Jens, erzähl Pyrotakan
doch mal dein Gedicht, das du mir als Mensch
vorgelesen hast."
"Du meinst "Thomas lernt fliegen", das ich
dir am Flugplatz aufsagte?"
Der blaue Eisdrache nickte. "Genau das. Pyrotakan
liebt Gedichte!"
"Ich hab aber kein Bock jetzt...!" stöhnte
Jens.
"Tu´s mir zuliebe," sagte Pyrotakan
mit überraschend sanfter Stimme, "so wie gestern, das war doch lustig!"
"Na schön, mal sehen, ob ich das noch
auswendig weiß...
Wem der Gedanke ist zu eigen,
"Es ist doch einfach in die Luft zu steigen",
der kennt noch den alten Grundsatz nicht
von Theorie und Unterricht..."
Während Jens Pyrotakan das Gedicht aufsagte,
der amüsiert zuhörte, bildete sich vor der Höhle eine kleine
grünschwarze Rauchwolke.
Darin materialisierte sich ein `Suchender`.
Dieser schlich sich an den Höhleneingang
heran. Irgend ein langes Teil hatte er unter seinem Umhang versteckt. Er
schlich sich in die Höhle herein, direkt auf Ma´zachur zu.
Dieser merkte es aber nicht, sondern hörte
Jens zu:
"...Dann lässt er Thomas wie im Traum
die Arme seitwärts breiten,
und völlig blind den Praxisraum
als Seiltänzer durchschreiten.
Der Doktor sagt: "Auf diese Tour
will ich ihnen bloß erklären,
welch jämmerlich traurige Figur
sie wohl beim Blindflug wären !!!
Manch Jüngling, der im Geiste schon
als "Vollblutflieger" sich gebärdet,
wurde durch die Musterungsinspektion
mit " T 5 - untauglich " entwertet!
Denn es gilt nicht nur, die Tauglichkeit
von heute zu ergründen,
auch Makel der Vergangenheit
sind hier herauszufinden.
Drum nehmen sie dies Formular
um darin einzutragen,
wie ihr Gesundheitszustand war
seit frühen Kindheitstagen.
Die Seelenkrämpfe aller Art
Bettnässen und Neurosen,
und was sonst noch alles aufgespart
an Schwächen und Psychosen!"
Der Doktor meint mit leichtem Groll:
"Sie müssen sich bescheiden,
jetzt Nikotin und Alkohol
und Weiblichkeit vermeiden..."
Der `Suchende` schlich sich immer näher.
Jetzt war auch zu erkennen, was er unter dem Umhang hatte. Es war ein langes,
gläsernes Rohr. Darin waren viele kleine Fläschchen, die mit
Manaflüssigkeit gefüllt waren. Am oberen Ende des Glasrohres
war eine dünne, grüne Zündschnur, die schon glimmte.
Jetzt schob der `Suchende´ das Glasrohr
direkt hinter Ma´zachur ins Heu.
"...Staurohr auf, die Haube dicht
den Fallschirm NICHT vergessen,
und außerdem versäume nicht
Benzin und Öl zu messen!
Zündung an, Benzinhahn auf
die Latte zweimal drehen,
so müsste dann der Probelauf
an sich vonstatten gehn´
Um Ruderdruck und Lastigkeit
entsprechend abzustimmen..."
empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit -"
Pyrotakan hob den Kopf und meinte plötzlich:
"Hier riecht es nach Feuer!"
"Ich rieche nichts." meinte Jens.
"Du bist auch kein Drache! Aber ich rieche
Rauch zehn Kilometer gegen den Wind, und hier raucht es irgendwo in der
Höhle. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer!"
Jens sah, wie hinter Ma´zachurs Schwanz
ein kleines Rauchwölkchen aufstieg. Er holte das versteckte Glasrohr
aus dem Heu.
"Eine Manabombe!" fauchte Pyrotakan. Jetzt
entdeckte er auch den `Suchenden`, der sich zur Höhle rausschlich.
"Verdammtes Schnüffelpack, den schnapp
ich mir!" Pyrotakan stieß einen Feuerstrahl auf den `Suchenden`,
doch kurz bevor dieser ihn erreichte, verschwand er in einer Rauchwolke.
Jens schleuderte die Mana-Bombe mit einem
kräftigen Wurf aus der Höhle hinaus in den Nachthimmel.
Die Bombe flog den Berg hinunter in den See.
Sie detonierte unter Wasser und setzte ringförmig eine Flutwelle von
etwa zwei Metern Höhe frei.
"Das war knapp! Diese verdammten Terroristen!"
fluchte Pyrotakan. "Damit hätte man den halben Berg wegsprengen können!"
Die Welle rauschte noch fünfzig Meter weit in den Wald.
"Jetzt siehst du, wie viel Kraft in diesem
blauen Stoff steckt!" sagte Pyrotakan zu Ma´zachur.
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