Tim öffnete die Augen.
In seinem großen Dachgeschosszimmer
des Elternhauses war es noch stockfinster.
Der grüne Drache neben ihm, der sich
auf dem Teppichboden wie eine Katze zusammengerollt hatte, schlief tief
und fest.
Obwohl es schon fast 7 Uhr morgens war, was
Tim am Display seines DVD Players unter dem kleinen Fernseher erkannte,
war es noch stockfinster. Dies war aber zu dieser Jahreszeit nichts Außergewöhnliches.
Immerhin war heute schon Freitag, der 22. Dezember und Tims letzter Schultag
vor den Ferien. Seit einer Woche war Tim alleine zu Hause, da sein Vater
auf Geschäftsreise war und die Nachbarin solange für ihn sorgte.
Jetzt erst bemerkte er den Drachen Drakota,
der nur deshalb in Tims Zimmer Platz hatte, weil es so riesig war. Sein
Atem ging ruhig und gleichmäßig.
Schlagartig kehrten die Erinnerungen an den
gestrigen Tag zurück, der sein Leben veränderte.
Dann war es also doch kein Traum! dachte
sich Tim.
Dieser entsetzliche Schneesturm gestern, der
garantiert nicht natürlichen Ursprunges war, setzte ein, als er auf
dem Nachhauseweg vom Donnerstagstraining war.
Von einer Minute zur nächsten war er
da und plötzlich hatte er diesen Blackout. Erst als er auf dem Rücken
des Drachens durch die eiskalte Winternacht glitt, kam er wieder kurz zu
Bewusstsein.
Tim richtete sich auf und schob den rechten
Flügel des Drachen zur Seite, mit dem er ihn gestern Abend zugedeckt
hatte. Es kam ihm vor, als würde er den Drachen schon ewig kennen
- irgendetwas schien er mit ihm heute Nacht gemacht zu haben.
Etwas Magisches?
Leichter Schneefall hatte wieder eingesetzt
und das große Dachfenster über ihnen bedeckt. Tim hatte Kopfschmerzen
und Schnupfen.
Eine Erkältung kurz vor Weihnachten
- das hatte jetzt noch gefehlt! dachte er sich.
Er lächelte, denn er konnte eigentlich
ja zu Hause bleiben, wenn er krank war! Doch er wollte weder bei der Schule,
noch in der Nachbarschaft auch nur den geringsten Anlass für einen
Verdacht geben. Die einzige Chance, dass man den Drachen nicht entdeckte,
sah Tim darin, sich so normal wie möglich zu verhalten.
Fröstelnd ging er zur Terrassentür
und blickte über Hilpertsau in den Schwarzwald.
Dieser sonderbare Schneesturm, der bis spät
in die Nacht andauerte und zirka fünfzig Zentimeter Neuschnee brachte,
war jetzt vorbei. Klirrend kalt war es, was Tim am LCD-Thermometer neben
der Tür erkannte: -11 Grad!
Tim grinste, denn irgendjemand hatte schon
einen großen Schneemann draußen gebaut, direkt auf der großen
Wiese neben dem Wald.
Noch bis gestern dachte Tim, dass dies das
langweiligste Weihnachtsfest seines Lebens werden würde, da sein Vater,
der hier in Hilpertsau bei der Firma "Smurfit Kappa" arbeitete, ja bis
zum 6. Januar auf Geschäftsreise sein würde. Aber einige Dinge
im Leben ändern sich schneller, als man glaubt, denn nun hatte er
einen leibhaftigen Drachen bei sich zu Hause!
Tim legte eine Hand auf die Schuppen des Drachen.
"Drakota, wach auf!" flüsterte er dem Drachen zu.
Er öffnete ein Auge und sah ihn amüsiert
an.
Guten Morgen, Kleiner. Bist du wieder aufgetaut?
"Ja", sagte Tim, "aber mein Kopf fühlt
sich an, als wäre ein Zug drübergerollt!"
Der Drache sprach in Tims Gedanken, was ihm
noch immer völlig neu war. Obwohl Drakota Tim nie seinen Namen gesagt
hatte, wusste er ihn. Er wusste auch, dass der Drache seine Gedanken lesen
konnte, denn wie hätte er sonst wissen sollen, dass Tim hier wohnte?
Tim hatte in seinem tranceähnlichen Zustand gestern, als er halb erfroren
und kaum bei Bewusstsein auf seinem Rücken flog, das Gefühl,
als durchforstete jemand sein Gedächtnis.
Tim hatte aber gleichzeitig auch etwas erfahren.
Necramor, ein böser Schwarzmagier, war hinter Drakota her.
"Weiß Necramor, dass du dich seit gestern
hier bei mir versteckst?" fragte Tim.
Der Drache schüttelte den Kopf. Nein,
aber ich werde mich vor ihm nicht ewig verstecken können! Ich hoffe
nur, dass er uns wenigstens solange nicht findet, bis sich meine magischen
Kräfte soweit erholt haben, dass ich wieder in meine Welt zurück
kann.
"Solange du hier bleibst, bist du vorerst
in Sicherheit. Wie es der Zufall will, sind wir die nächsten zwei
Wochen ganz alleine. Heute ist der letzte Schultag, dann habe ich Weihnachtsferien
bis Januar!"
Ich hoffe, dass wir solange unentdeckt
bleiben! sagte der Drache. Kannst du heute nicht bei mir bleiben?
Tim schüttelte den Kopf. "Darüber
habe ich schon nachgedacht, aber ich war erst die letzten zwei Wochen krank.
Wenn ich heute - am letzten Tag - nicht in die Schule komme, dann gibt
das nur unnötig Zoff mit der Schulleitung und mir. Das bisschen Schnupfen
werde ich auch noch überleben."
Tim stand auf und packte seine Sachen. "Freitag
ist sowieso ein kurzer Schultag. Ich sollte mich heute ganz normal verhalten,
um
keinen Verdacht zu erregen. In ein paar Stunden bin ich ja wieder bei dir."
Soll ich dich hinfliegen? fragte Drakota.
"Bist du verrückt?! Jemand könnte
dich sehen. Der Schwarzmagier, oder die Menschen!"
Ich kann mich unsichtbar machen. Außerdem
ist es stockdunkel. Du musst mir nur den Weg weisen.
Tim zögerte. Der gestrige nächtliche
Drachenflug durch den Schneesturm war alles andere als gemütlich.
Aber anderseits lag so viel Schnee auf der Straße...
"Na schön, aber ich muss das noch meiner
Nachbarin sagen. Solange mein Vater auf Geschäftsreise ist, ist sie
für mich verantwortlich."
Im selben Moment schalteten sich über
Zeitschaltuhr die Lichterketten am Haus an. Das Geländer der Terrasse
leuchtete farbig unter der dünnen Schneedecke.
Der Drache zuckte erst kurz zusammen und ging
in Angriffsstellung, doch dann betrachtete er interessiert die Fensterbeleuchtung,
als er merkte, dass es sich nicht um feindliche Magie oder ähnliches
handelte.
Tim hoffte, dass das Telefon klingelte und
die Schule anrief. Normalerweise wäre bei solcher Witterung "Schneefrei".
"Keine Sorge! Wenn was sein sollte - ich bin
kurz gegenüber frühstücken", sagte Tim und ging aus dem
Haus über die Straße zu Herr und Frau Sellner, die ja gegenüber
wohnten.
Auf den Straßen war es stockfinster
und an vielen Häusern brannte die Weihnachtsbeleuchtung. Da Tims Vater
schon seit einer Woche auf Geschäftsreise war (zum Glück, denn
sonst könnte es im Haus einige Probleme bezüglich des Drachen
geben), kümmerten sich die Sellners um Tim.
Sie hatten ja den ganzen Tag Zeit, da sie
schon Rentner waren.
Gerade als Tim den Messingklingelknopf drücken
wollte, öffnete Frau Sellner selbst. "Ach Tim, du frühstückst
heute bei uns? Ich wollte gerade die Zeitung holen. Du bist spät dran!"
In Wirklichkeit kam Tim nur deshalb zu den
Sellners rüber, damit Frau Sellner nicht zu ihm rüber kam und
beim Frühstück Machen eventuell etwas Verdächtiges aus Tims
Dachgeschosszimmer hörte. Immerhin wohnte da jetzt ein Drache!
"So ein Blödsinn wieder!" sagte Herr Sellner
kopfschüttelnd hinter seiner Zeitung, während er seine Kaffeetasse
abstellte. "Die Bundesregierung verschleudert
Milliarden - natürlich auf pump - indem
sie wieder pünktlich zu Weihnachten ihren Bonzen die Diäten erhöht,
oder an blödsinnigen Reformen rumbastelt, die die Bürger noch
weiter finanziell verzweifeln lassen. Allein die Erhöhung der Mehrwertsteuer
im Januar ist ein Skandal! Aber die wissen ja, dass das dumme Volk brav
zahlt - es braucht ja nicht mal gefragt zu werden!!"
Er schüttelte den Kopf. "'Bürokratieabbau'
hat man uns versprochen, passiert ist aber mal wieder nichts. Wie immer
nichts gewesen... außer Spesen!"
Oh ja, das kannte Tim!
Jeden Tag regte sich Herr Sellner unnötig
über Ereignisse aus der Zeitung auf. Im Sommer, wenn die Sellners
auf der Terrasse frühstückten, motzte er so laut, dass man es
in der ganzen Nachbarschaft hörte! Selbst wenn er im Hintergarten
war, hörte Tim oft kernige Satzstücke wie beispielsweise: "Zum
Teufel mit den sozialistischen Ex-Genossen!" oder: "Haut den Bonzen
auf die Finger!"
Dann kamen meist noch ein paar andere Nachbarn
zum Gartenzaun und dann wurde stundenlang diskutiert und geschimpft.
"So was Ähnliches ist bei uns auch wieder",
warf Tim ein. "Wir müssen jetzt wieder eine neue Rechtschreibung lernen,
weil ein paar Bleistiftlutscher in der Regierung meinen, das wäre
notwendig. Was tut denn das zur Sache, wenn beispielsweise 'Flusschiffahrt'
jetzt wieder 'Flussschifffahrt' heißt?"
"Das liegt daran, dass man die vielen Beamten
und Bürokraten ja irgendwie beschäftigen muss. Sonst könnte
jemand auf die Idee kommen, dass man die meisten von ihnen ja gar nicht
mehr braucht!" sagte Herr Sellner sauer.
Frau Sellner stellte Tim eine Tasse heißer
Schokolade hin. Anscheinend mochten die Sellners den Winter nicht, denn
hier in der Wohnung hatte es fast dreißig Grad! Das Wohnzimmer war
fast so groß wie Tims DG-Zimmer. Ein großer Bullerjan- Kanonenofen
brannte in der Ecke.
Tims Vater hatte letztes Jahr einige dieser
Öfen aus Russland mitgebracht, von einer seiner zahllosen Geschäftsreisen.
Auch Tim hatte so ein Ding in seinem Zimmer, allerdings war dieser kleiner
und hatte nur 4 KW.
Die Sellners sahen mit ihren 75 Jahren noch
sehr jung aus. Frau Sellner hatte dreißig Jahre als Näherin
gearbeitet, ihr Mann arbeitete nach dem Krieg vierzig Jahre in einer Automobilfabrik.
Jetzt waren sie Rentner.
Tim ekelte sich, während er den viel
zu süßen Kakao probierte, zeigte dies aber möglichst nicht
nach außen. Schwarze Klumpen schwammen in der Tasse.
Die Frau konnte nähen, verstand aber
gar nichts von Kakaozubereitung!
Herr Sellner saß in seinem Sessel neben
dem Wohnzimmerfenster, trank wie jeden Tag Kaffe und rauchte seine Pfeife.
Meistens war er schon früh wach und las Zeitung. Genauso wie heute.
Wütend schimpfte er:
"Tim, der Volksmund sagt: "Wer lügt,
der kommt damit nicht weit" und im wirklichen Leben stimmt das auch.
Merke dir das, Junge.
Wenn ein Arbeiter beispielsweise seinen Chef
anlügt, kann er gefeuert werden.
Wenn ein Handwerker pfuscht und seinen Bauherrn
beschwindelt, muss er Schadensersatz leisten. Wenn ein Geschäftsmann
das Finanzamt bescheißt, wäre er auch sofort ein Fall für
die Justiz.
Ganz anders ist das aber hierzulande in unserer
Politik!
Durch Lügnerei, Schönreden und bunte
Wahlversprechen haben sich schon seit Jahrzehnten unsere 'Volksvertreter'
ihre Stimmen erkauft. Sie lügen und kommen absolut straflos davon!
Wer als Abgeordneter das Volk jahrelang
systematisch verarscht, muss sich hinterher
vor keinem Richter verantworten!
Im Gegenteil: er kriegt noch eine fette Rente
nachgeschoben, wenn er mit 52 den Stuhl räumt, und durch drei ersetzt
wird! Aber die Bürger lassen es ja alle mit sich machen. Wie bei einer
Ehe, gehören ja bekanntlich immer zwei dazu! Ganz anders ist es da
bei den Franzosen. Wenn es in Frankreich so eine Regierungsführung
gäbe wie bei uns, käme vom Volk nur eine Gegenantwort: 'Generalstreik!'"
"Musst du wieder so schimpfen? Und dann auch
noch vor dem Kind!" sagte Frau Sellner, während sie wieder ins Wohnzimmer
kam und Tim ein Stück Kuchen hinstellte.
Tim hatte mit seiner Vorahnung recht, als
er vorsichtig probierte:
Das Kuchenstück schmeckte wie ein Stück
Matratze!
"Die Kinder sollen nur früh genug erfahren,
wie es in unserem Land wirklich abgeht, anstatt ihnen nur Lügen und
Frasen zu erzählen, wie man es mit uns Erwachsenen macht!" erwiderte
ihr Mann und blätterte zur nächsten Seite.
"Aha!! Da haben wir´s schon wieder!
Einige Bundestagsabgeordnete bedienten sich im Sommer kostenlos an den
Tickets für die Fußball-WM?! Wo bleibt denn da die Justiz und
sperrt dieses korrupte Nehmerpack wegen unerlaubter Vorteilnahme endlich
hinter Gitter?!" Die Stimme von Herr Sellner hatte inzwischen eine überdurchschnittliche
Lautstärke angenommen.
"Das wird es nie geben", sagte Tim, während
er aufstand und sich für die Rückkehr zu seinem Drachen vorbereitete.
"Den Richter will ich mal sehen, der
seine eigenen Arbeitgeber einlochen lässt! Eher predigt der Papst
den Islam, bevor das passiert!"
Herr Sellner schüttelte den Kopf. "Tja,
so ist das. Wenn aber bei der nächsten Wahl viele Bürger lieber
rechts wählen, fragen sich plötzlich unsere Obersten wieder,
wie denn sowas nur passieren konnte!"
"Schatz! Du bist hier nicht an deinem Kegelstammtisch!"
tadelte Frau Sellner ihren Mann. "Wenn du dich jeden Tag über die
Dinge in der Zeitung aufregst, kriegst du es irgendwann auch noch mal am
Herz."
Tim sagte zu Frau Sellner, dass er jetzt zur
Schule müsse. Er konnte den Drachen in seinem Kopf spüren, der
ja mithörte.
"Soll ich dich hinfahren?" fragte sie.
"Nein, nein", entgegnete Tim knapp, "ich komm
schon mit dem Fahrrad hin!"
"Aber sei vorsichtig", mischte sich Herr Sellner
ein, "die Autofahrer rasen zurzeit wieder wie die Bekloppten!"
Auf Drakotas Rücken brauche ich mir
um die Autofahrer keine Sorgen zu machen, dachte sich Tim.
Zum Glück wusste Frau Sellner nichts
von Tims abenteuerlichen Heimweg gestern im Schneesturm.
Tim eilte aus dem Haus der Sellners wieder
rüber, wo er wohnte, und hastete hoch in sein Dachgeschosszimmer zu
Drakota.
Der Drache sah ihn fragend an.
"Wir können fliegen. Keine Sorge, die
Sellners können zwar hier mit dem Zweitschlüssel ins Haus, aber
in MEIN Zimmer hier oben kommen sie nicht rein!" sagte Tim, während
er seine Schulsachen nahm.
Dann öffnete er die Dachterrassenschiebetür,
so wie er es gestern Abend halb erfroren getan hatte. Drakota war zwar
groß, aber die Glastüren konnte man in zwei Teilen aufschieben,
sodass der Drache gerade so durchpasste. Tims Dachterrasse dagegen war
riesig. Drakota hatte hier genug Platz zum Starten und Landen.
Im Sommer stellte er oft seinen kleinen aufblasbaren
Swimmingpool auf.
Tim schloss die beiden Türhälften
wieder und stieg mit seiner Schultasche auf Drakotas Rücken.
Pass gut auf und halt dich fest!
Drakota breitete seine grünen, fledermausartigen
Flügel aus und flog los. Für einige Sekunden stand Tims Herz
still,
als unter ihm die Häuser vorbeizogen.
Keine Sorge, uns kann niemand sehen!
Der eisige Flugwind schnitt sich in Tims Körper,
während er seine Arme um Drakotas Hals schlang. Seine grünen
Schuppen waren zwar schön warm, aber der Flugwind machte die aufgenommene
Wärme gleich wieder wett.
Da Hilpertsau ein kleines Nest war, waren
sie auch schnell bei der Schule. Es war ein rechteckiger Flachbau am anderen
Ende der Kleinstadt. Tim dirigierte den Drachen auf eine Fabrikhalle, die
etwa hundert Meter neben der Schule war. Auf dem Dach lag ein halber Meter
Neuschnee.
Drakota landete und sank etwas ein.
Ich warte hier auf dich, Kleiner!
"Das geht aber schon ein paar Stunden", sagte
Tim, während er abstieg, "du kannst mir in meinen Gedanken ja folgen."
Natürlich.
"Bis nachher", sagte Tim, bevor er sich durch
den Schnee bahnte und eine eiserne Wendeltreppe hinab stieg.
Tim kannte die Fabrik, die schon seit Jahren
stillstand und langsam aber sicher verfiel. Inzwischen hatte sich der Nachthimmel
in einen metallgrauen Morgen verwandelt.
Tim wollte gerade über die Straße
in den Schulhof abbiegen, da sah er neben einer anderen Fabrik in einem
großen Hinterhof eine Holzbaracke. Tim wusste, dass dies das Jugendhaus
war und im Erdgeschoss die 'Senkogang' wohnte.
Als er vorbeiging, kamen plötzlich drei
Jugendliche auf ihn zu und versperrten ihm provokativ den Weg. Das hatte
jetzt noch gefehlt!
Tim kannte sie nur zu gut.
Der größte von ihnen war Senko.
Er trug eine dicke Bomberjacke, zerknitterte Jeanshosen und schwarze Springerstiefel.
Die anderen beiden waren Kevin und Walther,
Senkos 'rechte' und 'linke' Hand.
Sie gingen längst nicht mehr zur Schule,
hielten aber in der Stadt ständig Ausschau nach Konfliktstoff und
waren auch schon in den Kriminalakten eingetragen.
Tim ahnte, dass es jetzt Ärger geben
wird und er überlegte sich, was er tun sollte.
Wenn die Sache aus dem Ruder laufen würde,
hatte er ja noch den Drachen!
"Lass mich in Ruhe!" protestierte Tim und versuchte,
sich an ihnen vorbei zu schieben, doch Senko stieß ihn lässig
zurück. Tim wusste, dass er viel stärker war als er.
"Der Wech vor da Disco jehört uns. Wenn
de hier vorwei willst (rülps), mussde Jeld locka machn!" lallte Kevin
neben Senko, der zu dieser Zeit offensichtlich schon einige Alcopops getankt
hatte. "Ansonsten jibts´n paar auf de Fresse!"
Tim wusste, dass ihre wahre Stärke -
falls man das überhaupt so nennen kann - nur darin bestand,
Kinder und Jugendliche vor der Schule zu bedrohen und 'abzuziehen', wenn
diese alleine und schwächer waren, während sie selbst meist in
der Clique unterwegs waren.
Tim blickte die drei mit verachtendem Blick
an und sagte zu Senko: "Ach, das hier ist eure Disco? Wusste ich nicht.
Ich hab gedacht, hier wohnt unsere Bundeskanzlerin!"
Senko trat drohend vor ihn. "Hey, spar dir
deene blöden Sprüche, Kleena, sonst schmeckste gleich den Dreck
da Straße!"
"Solche Hillbillies wie du, sollten lieber
wieder in die Ex-DDR gehen. Da könnt ihr von mir aus die Leute anpöbeln!"
sagte Tim wütend und versuchte wieder an ihnen vorbeizukommen.
Senko war eine Sekunde überrascht. Was
erlaubte sich dieses Würmchen, so mit ihm zu reden?!
Er packte Tim wütend am Kragen, holte
mit der rechten Hand, die er zur Faust geballt hatte, aus und wollte gerade
zuschlagen, da spürte er plötzlich einen Polizeiknüppel,
der ihn sanft am Rücken berührte.
Wütend fuhr Senko herum, auf den nächsten
Ärger gefasst.
Herr Gerbrand, der Stadtpolizist, stand direkt
hinter ihm. Weder Senko, noch die anderen hatten ihn bemerkt. Auch nicht
den Polizeivan, der fünf Meter neben ihnen am Baum parkte.
Tim spürte im Gedanken, dass Drakota
kurz davor war, vom Dach zu stürzen, um Senko zu zerfetzen. Doch er
konnte den Drachen gerade noch rechtzeitig zurückhalten.
"Ganz ruhig Freundchen!" sagte der Polizist
zu Senko. "Lass den Jungen in Ruhe. Zu dritt gegen einen... ist das etwa
fair?"
"Der hat mick´n Ossi-Hinterwäldla
jenannt!!" fuhr Senko den Polizisten hitzig an. "Könn se sich det
vorstelln, Meesta?!"
Der Polizist steckte seinen Knüppel wieder
ein, ließ aber weiter seine Hand darauf ruhen.
"Worauf es mir - gerade jetzt zur Weihnachtszeit
- am meisten ankommt, ist Ruhe und Ordnung in meinem Revier! Und in diesem
Augenblick bist du der einzige, der die Leute stört. Also,
lass das Kind jetzt in Frieden und mach dir nachher vorne auf dem Weihnachtsmarkt
einen schönen Abend."
Walter und Kevin sahen schon den Ärger
mit der Polizei kommen und versuchten Senko zum Weitergehen zu bewegen,
doch der machte keinerlei Anstalten, sich vom Fleck zu rühren. Er
war sauer und wollte heute diese Zecke platt machen!
"Niemand hier im Schwarzwald nennt
mick´n Hinterwäldla!" rief er wütend.
"Na und? Hast du etwa Angst, du könntest
einer sein?" fragte der Polizist trocken belustigt.
Senkos Glatze wurde kochend rot vor Wut.
"Soweit ich mitgekriegt habe, hast du
ihn zuerst provoziert", fügte der Polizist hinzu, "also, ich sage
es dir jetzt zum letzten Mal! Wenn du nicht willst, dass ich dich mit meiner
Acht an der Hand aufs Revier mitnehme, so wie deinen betrunkenen Vater
Dieter letztens in Gernsbach, dann sei jetzt schön friedlich und lass
den Kleinen in Ruhe."
Jury Tschenkow, ein Arbeitskollege von Tims
Vater, kam im selben Moment vorbei. Tim kannte ihn. Er war auf dem Weg
ins Geschäft und verstand sofort, was da vor sich ging.
"Sperren sie endlich diese Kriminellen weg!"
rief er den Beamten in russischem Akzent zu, "die haben gestern wieder
bei Smurfit Kappa am Firmenzaun mit Graffiti rumgespritzt!"
"Hald die Schnauze, Kommunist!" rief Senko
zu ihm rüber. "Dich kriegn wa
ooch noch!"
"Hey!" fuhr der Polizist Senko an. "Noch eine
solche Bemerkung und ich sperr dich auf der Stelle ein! Du scheinst dich
mit jedem anzulegen, solche Sprüche dulde ich nicht in meiner Stadt!"
Ein zweiter Polizist, Herr Gerbrands Kollege,
war inzwischen auch schon dazugekommen. In der rechten Hand hatte er sein
Funkgerät, die andere ließ er auf seiner Dienstwaffe ruhen.
"Komm schon", drängte Kevin, während
er an Senkos Arm zog, "lass uns endlich gehen! Das ist doch den ganzen
Ärger nicht wert!"
"Hör lieber auf deinen Freund, Senko",
stimmte der Polizist gereizt zu, "oder willst du dich jetzt auch noch mit
mir
anlegen!?"
Senko strich sich über die Glatze und
zog mit übertriebenem Kraftaufwand seine schwarze Bomberjacke zurecht.
Er blickte Tim aus schmalen Augen an, was ein 'Ich krieg dich noch,
Zecke!' bedeuten sollte.
Dann stapfte er mit seinen beiden Trinkkumpanen
zur Disco zurück.
"Danke", sagte Tim mit erleichterter Stimme,
"aber warum haben sie diese Kerle nicht gleich eingesperrt, so wie die
sich verhalten?"
Der Polizist sagte zu Tim: "Hätte dich
Senko eben angegriffen, trüge er jetzt Handschellen. Soweit wollte
ich es aber erst gar nicht kommen lassen, denn da er eh erst in einem Jahr
18 Jahre alt wird, wäre ihm heute sowieso nicht viel passiert.
Erst vor zwei Wochen hat er vom Jugendgericht
ein paar Sozialstunden aufgebrummt gekriegt. 'Graffitischmiererei und Verstoß
gegen Paragraph 86a', oder so ähnlich hieß es. Die Sache mit
dem Kappa Firmenzaun werde ich aber auch noch überprüfen."
"Ich verstehe diese schizophrenen rechten
Kerle eh nicht," sagte Tim, "die grölen ständig ausländerfeindliche
Parolen, aber auf der anderen Seite sehen sie sich amerikanische Filme
an, gehen Döner und Pizza essen und fahren japanische Autos. Was soll
denn das?"
Der Polizist lachte. "Haha, genau das ist
das Problem! Ich bin sowieso fest davon überzeugt, dass es ihnen dabei
nicht um politische Hintergründe geht."
Frau Schönberg, die Musiklehrerin, war
auch dazugekommen und hörte zu.
"Die wollen einfach nur Krawall machen und
sind auch noch stolz darauf." sagte sie.
Herr Gerbrandt nickte und sah die Lehrerin
an. "Der Freitag heute fing sowieso schon gut an: Zuerst vier (!) Kaufhausdiebstähle
hintereinander in Karlsruhe, dann mussten wir noch einen Autofahrer anhalten,
weil er beim Abbiegen keinen Blinker setzte. Na ja, das war eigentlich
nichts besonderes, aber die Ausrede des Fahrers war erstklassig. Ich fragte
ihn, warum er nicht blinkte, da sagte er: 'Ich konnte nicht, weil ich
mit der einen Hand mein Handy am Ohr hatte und mit der anderen mich noch
schnell angeschnallt habe, als ich Sie im Rückspiegel sah...!'
Trotzdem mussten wir ihn mit einem Punkt verwarnen,
wegen dem Handy."
Tim lachte. Er kannte Herr Gerbrand ja. Er
war fast jeden Morgen vor der Schule.
"Ähm, ich muss jetzt los", sagte Tim,
als er feststellte, dass der Unterricht schon seit zehn Minuten begonnen
hatte.
Eilig hetzte er über den Schulhof, während
Frau Schönberg noch mit den Polizisten redete.
Wahrscheinlich würde Tim jetzt einen
Anpfiff vom Lehrer kriegen, weil er so spät kam, doch heute hätte
er ja wenigstens eine gute Entschuldigung!
Zu Tims Überraschung war der Klassenlehrer
noch nicht da. Auch die restliche Hälfte seiner Klasse fehlte. Die
paar Schüler, die da waren, hingen müde und unausgeschlafen in
den Bänken.
Tim ging eilig zu seinem Platz und tat so,
als wäre er schon die ganze Zeit da gewesen.
Das Klassenzimmer war nicht sehr groß,
da es die Parallelklasse war. Rechts neben der Tafel hing ein großes
Poster: 'Das Periodensystem der Elemente', daneben ein Plakat, das die
Kontinente der Erde zeigte.
"Wird ja heute ein lockerer Tag!" sagte Tim,
während er sich auf seine Schulbank neben Franco setzte, der gelangweilt
auf seiner Handytastatur rumtippte.
"Wo bleibt denn Herr Albrecht?" fragte Tim
Franco.
"Der steckt mit seiner Karre im Schnee fest
und kommt erst zur zweiten." sagte dieser, ohne vom Display seines Handys
aufzublicken.
"Oh, Kacke!" sagte Tim. " Jetzt hab ich auch
noch die Hausaufgaben vergessen!"
Nach dem außergewöhnlichen Abend
gestern hatte er daran nun wirklich nicht mehr gedacht.
"Die Hausaufgaben hab ich mir gestern aus
dem Web ausgedruckt. Mache ich ständig und spart viel Zeit. Wie war
eigentlich die Weihnachtsfeier bei Kappa vorgestern?" fragte Franco.
Tim zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung,
mein Vater war ja nicht dabei. Der hockt in Moskau bei einer Auslandssitzung
und friert sich die Eier ab. 'Das ist ein Großauftrag, ein riesiger
Fisch!' hatte er gesagt. Normalerweise wäre die Firmenweihnachtsfeier
schon am 13. gewesen, aber der Chef hat sie auf den vorgestrigen Mittwoch
verschoben. Er feiert nie am 13ten!"
"Wieso denn? Ist er abergläubisch?" fragte
Frank grinsend.
"Hab ich mich auch schon gefragt, denn die
Einweihung des neuen Betriebsgeländes, die diesen Sommer am 06.06.06
war, hat er strikt abgelehnt, dieser Knallkopf! Selbst einen Großauftrag
hat er mal sausen lassen, weil er nie am 11ten mit einem Flugzeug fliegt.
Mein Vater hat sich so auf die Weihnachtsfeier gefreut, jetzt ist er auf
der Betriebs-"
Eine Hand legte sich plötzlich auf Tims
Schulter. Er drehte sich um und Marco stand grinsend hinter ihm. Er war
ja gestern mit ihm und den anderen beim Donnerstagstraining gewesen.
"Was ist?" fragte Tim.
"Hast du gestern bei der Heimfahrt den Schneesturm
gesehen??"
Tim nickte. "Oh ja, den hab ich gesehen. Warum?"
Er befürchtete schon, dass Marco etwas
über seinen Drachen wusste.
"In Neudorf gab es einen Stromausfall. Stefan
hat die Gelegenheit genutzt und gestern mit seiner Bande einen feinen Bruch
gemacht."
"Was für Brüche? Knochenbrüche?"
"Einbrüche, du Idiot!" zischte Stefan
und blickte sich um, um sich zu vergewissern, dass gerade kein Lehrer in
der Nähe war.
"Du kennst ihn doch, den Stefan. Der hat eine
richtige Bande. Na ja, die meisten von ihnen haben noch nichts Großes
gemacht - vielleicht mal einen Zigarettenautomaten geknackt, oder einen
kleinen Warenhausdiebstahl. Aber bei Stefan ist das anders. Obwohl er erst
in der sechsten Klasse ist, hat er schon achtzehn Brüche auf dem Kerbholz!"
Es klang sehr stolz und bewundernd.
"Warum erzählst du mir das?" fragte Tim.
"Hat man die noch nicht geschnappt?"
Doch, letzte Woche waren die Bullen bei Stefan,
konnten ihm selbst aber nichts nachweisen. Einer von seiner Bande war ein
Vollidiot!"
Marco drehte einen zweiten Stuhl um und setzte
sich neben Tim und Frank.
"Der Knirps hat Stefan letztens die Ohren
vollgetextet, er wüsste einen coolen Bruch. 'Ganz ungefährlich
und mindestens dreitausend Euro wären da zu holen!' schwärmte
er.
Stefan war skeptisch, aber die anderen aus
seiner Bande wollten unbedingt mitmachen. Drei Steine sind ein Haufen Geld
in dieser Zeit.
Natürlich war das kein richtiger Bruch.
Einfach mit der Chipkarte zur Haustür vom Altenpflegeheim rein, wo
der Knirps jobbte, mit der Chipkarte die Wohnungstür aufgeschlossen
und bei seinem eigenen Opa (!) die dreitausend Euro unter der Matratze
geklaut. Das war doch überhaupt kein richtiger Bruch! Beim Verlassen
des Seniorenstiftes hatte sich der Knallkopf noch mit seiner Karte und
der Zimmernummer abgemeldet, wie er es sonst immer bei der Arbeit machte.
Als der Opa heimkam, hat er natürlich
gleich gemerkt, dass seine Knete unter der Matratze weg war und hat sofort
das gesamte Altenheim zusammengezetert.
Und für die Bullen war das dann natürlich
ein Kinderspiel rauszukriegen, wer die drei Eier geklaut hatte. Die brauchten
ja bloß im Computerdatensystem nachzuschauen, wer zuletzt in dem
Zimmer war.
Noch am selben Abend waren sie bei Stefan
und sein dummer Kumpel hat natürlich ausgepackt. Nicht nur den Diebstahl
im Altenheim, sondern auch noch die restlichen 18 Brüche. Er hat gesagt,
Stefan hätte ihn verführt, dabei war das meiste davon seine Idee!"
"Der wird später noch wie Senko!" sagte
Tim verachtend.
Frank schüttelte jetzt den Kopf. "Nee,
Senko ist ein Skinhead. Stefan macht eher einen auf Punk."
"Was passiert jetzt mit dem Knirps?" fragte
Tim.
Marco zuckte mit den Schultern. "Der wird
jetzt vom Jugendamt zu hören kriegen."
Im selben Moment kam der Schuldirektor höchstpersönlich
ins Klassenzimmer und knallte einen dicken Stapel Din A4 Blätter auf
den Pult, so dass diejenigen schlagartig aufwachten, die den Kopf auf der
Schulbank 'ausruhten'.
"Guten Morgen!" rief er übertrieben laut
ins Klassenzimmer. "Marco, setz dich auf deinen Platz und nimm den Kaugummi
raus. Nun, da euer Klassenlehrer Herr Albrecht dummerweise witterungsbedingt
verhindert ist, schreiben wir heute noch einen schönen Aufsatz, der
natürlich benotet wird."
Das löste natürlich nicht gerade
Begeisterung aus, am letzten Schultag!
"Das Thema zum Aufsatz dürft ihr frei
wählen, die Zeit läuft!" Mit diesen Worten ging der Direktor
aus der Klasse, schickte aber kurz darauf eine Vertretung herein. Wahrscheinlich
um sicherzustellen, dass nicht der ein oder andere Schüler einfach
etwas aus einem Buch abschrieb, um eine gute Note einzukassieren.
Tim überlegte eine geschlagene Viertelstunde,
über was er eigentlich schreiben sollte. Bis er auf eine Idee kam:
Drakota, kannst du mich hören?
Natürlich, Tim! kam die überraschend
schnelle Antwort des Drachen. Er hatte gerade zum ersten Mal versucht,
Drakota im Geiste zu rufen, was ihm auf Anhieb gelungen war.
Schreib doch etwas über Drachen!
Tim hatte seine Frage noch gar nicht gestellt,
aber Drakota wusste schon die Antwort, woraus Tim schloss, dass der Drache
die ganze Zeit in seinen Gedanken war und alles beobachtete, was er tat!
Das gruselte Tim ein wenig, da es so etwas wie Privatsphäre für
ihn nun nicht mehr gab.
Nein. Wenn ich einen Aufsatz über
Drachen schreibe, dann halten mich alle für verrückt!
Plötzlich fielen Tim die Hausaufgaben
wieder ein und er fing an zu schreiben:
Die Vor und Nachteile unserer Zukunftsenergien:
Das größte wirtschaftliche Problem
der Zukunft ist die Energie von morgen. Erdöl wird immer knapper und
teurer. Dabei gibt es allerhand Alternativen, wie beispielsweise die Sonne.
Milliarden Megawatt fallen täglich auf die Erde, die kaum genutzt
werden. Würde man ein fünftel der Saharawüste mit Solarzellen
bebauen, wäre der Energiebedarf der Erde (!) gedeckt.
Solarenergie ist schon jetzt ein Zukunftslieferant,
der aber wegen der teuren Anschaffungskosten noch nicht großflächig
genutzt wird. Anders ist es da bei Windenergie, der jetzt schon einen großen
Prozentsatz des Stromnetzes deckt. In der Schweiz und in anderen Alpenregionen
finden gerade bei Bauernhöfe Holz und Methankraftwerke wieder Zuwachs,
wegen der Effizienz und den geringeren Kosten gegenüber Öl. Staudammkraftwerke
bringen gleich zwei Vorteile: Energie und Wasserspeicher. Doch sie haben
ein anderes Problem- Platz! Meistens muss ein komplettes Tal unter Wasser
gesetzt werden (wie in China am Jangtsekiangfluss), um ein Stauseeprojekt
umzusetzen. Eine andere Energiequelle ist Wasserstoff. Als Treibstoff für
Autos hätte er große Vorteile: Null Prozent Schadstoffe, null
Prozent Umweltverschmutzung. Einziges Problem: Wasserstoff herzustellen
ist (noch) verdammt teuer und würde weitaus mehr kosten als Öl
oder Gas. Wieder eine andere Alternative, die von Forschern jetzt erprobt
wird, ist das Thermokraftwerk. Es funktioniert mit Luft, die in einer großen
Treibhausähnlichen Halle erwärmt wird, nach oben durch einen
Schornstein aufsteigt und dabei mehrere Propeller antreibt, die an Generatoren
hängen und Strom erzeugen.
All diese Energiequellen sind teuer, doch
früher oder später werden wir sie nutzen müssen...
Solarenergie (Photovoltaik):
+ Keine Umweltverschmutzung
+ Unbegrenzte Ressource
- Unregelmäßiger Energieertrag
(Tageszeit und Wetterabhängig)
- Sehr teure Technologie
Windenergie:
+ Keine Umweltverschmutzung
+ Unbegrenzt verfügbare Energie
- Unregelmäßiger Energieertrag
- Landschaftsbildveränderung
Atomenergie:
+ Regulierbarer Ertrag
+ Hohe Effizienz
- Anfallender radioaktiver Giftmüll
- politischer Streitpunkt
Wasserkraftwerk (Staudamm):
+ Saubere Energie
+ Trinkwasser und Energiespeicher
- Schwerer Natureingriff, Landschaftsbildveränderung
Bioenergie ('Bauernhofkraftwerk'):
+ Umweltfreundliche Energieerzeugung durch
Tiere
+ Ideal für isolierte Alpenhöfe,
da keine weite und teure Kabelverlegung
- Großflächig aber kaum nutzbar
Holzkraftwerk (Pellets etc.)
+ Ständig nachwachsender Rohstoff
+ CO2 neutral
- Teure Technologie
Wasserstoff (Hydrogen)
+ Saubere Energie
+ Überall verfügbar
- Hochexplosiv
- Herstellung noch sehr teuer
Thermokraftwerk (Luftkraftwerk)
+ 100 Prozent saubere Energie
- nur bei starker Sonnenstrahlung effektiv
- sehr hoher Platzbedarf
Neben all diesen Zukunftsenergiequellen
gibt es natürlich noch die Möglichkeit, mit Energie gewissenhaft
umzugehen. Viele Menschen tun das nicht und merken es nicht einmal. So
entstehen beispielsweise in den Haushalten unnötig 'Standby Kosten'
von mehreren Milliarden Euro. Außerdem verwenden viele noch Glühbirnen,
die im Gegensatz zu Leuchtdioden und Röhren reine Energiefresser sind.
Glühbirnen wandeln nur 4 Prozent der elektrischen Energie tatsächlich
in Licht um, die restlichen 96 gehen als Wärme ungenutzt verloren...
Tim zeichnete noch ein paar technische Skizzen,
die er noch genauer erklärte. Immer wieder sah er ungeduldig auf die
Uhr über der Tafel. Merkwürdig, dass der letzte Schultag vor
den Ferien immer so verdammt lange dauerte!
Als er nach einer weiteren endlos langen Stunde
fertig war, kam der Direktor wieder herein. Wortlos sammelte er alle Aufsätze
ein, dann ging er vor zur Tafel.
Tim verdrehte die Augen, weil er wusste, dass
jetzt wieder die 'Jahresabschlussrede' kam. Franko wusste das auch, denn
er hatte schon seine MP3 Kopfhörer auf.
"Na gut, Kinder. Das Jahr ist fast vorbei und
es ist mal wieder an der Zeit, euch einige Worte mit ins Weihnachtsfest
zu geben. Der eine von euch wird wahrscheinlich Skifahren gehen, der andere
sich am Computer austoben. Aber wie auch immer: Feiert Weihnachten
bitte so, wie man es machen sollte: ruhig und besinnlich. Genießt
die Feiertage und erschreckt an Silvester nicht die Leute, indem ihr euch
besauft, randalierend durch die Stadt zieht, oder Sachen in die Luft jagt.
Viele Feuerwerkskörper sind erst ab einem
bestimmten Alter zugelassen, bitte haltet euch auch daran! Raketen und
Mörserbatterien sind gefährlich und kein Spielzeug! Bastelt euch
keine Böller selber! Auch die bei Jugendlichen in Mode gekommene Pyromunition,
die mit der Schreckschusspistole abgefeuert wird, hat es in sich! Viele
eurer Eltern lassen euch sorglos mit dem Zeug hantieren, deshalb lege ich
es euch noch mal persönlich nahe!"
Fast schon gelangweilt hörte Tim eine
endlos lange Zeit zu, bis es endlich kurz vor zwölf war und die Schuluhr
klingelte.
Das 'Frohe Weihnachten' vom Direktor konnte
man nicht mehr hören, da alle Kinder mit fröhlichem Jubelgeschrei
aus der Klasse stürmten.
Tim packte seine Schulsachen und eilte ebenfalls
aus der Klasse.
Anders als heute Morgen, machte er einen kleinen
Umweg zu Drakota, um nicht wieder diesem bekloppten Senko in die Arme zu
laufen. Er kletterte wieder über die Wendeltreppe auf das Flachdach
der Fabrik, wo Drakota schon ungeduldig wartete.
Da bist du ja!
Tim kletterte wieder auf Drakotas Rücken.
"Nichts wie weg hier! Ein paar Bürger da unten haben mich gesehen,
wie ich aufs Dach geklettert bin!"
Gut festhalten, Kleiner!
Drakota stieß sich vom Dach ab und wirbelte
mit den Flügeln eine große Schneewolke auf.
Im selben Moment flogen sie schon und Tim
sah unter sich seine Schule immer kleiner werden. Der Weihnachtsmarkt sah
aus dieser Perspektive unfassbar schön aus - wie in einer Wintergeschichte.
Im nächsten Moment schon setzte der Drache
wieder zum Landeanflug auf Tims Terrasse an. Um ein Haar hätte er
mit seinem Schwanz den Windgenerator umgerissen, den Tim mit seinem Vater
im Sommer dieses Jahr montiert hatte. Auch die Pflanzenkübel erwiesen
sich beim Landeanflug als hinderlich, da jetzt im Winter sowieso keine
Blumen in den Kübeln wuchsen.
Im selben Moment, als Tim von Drakotas Rücken
stieg, löste der Drache den Tarnzauber und sie waren beide wieder
sichtbar.
"Solange du bei mir bist, sollte ich die Blumenkübel,
die Solarmodule und den Windgenerator vom Balkongeländer abmontieren",
stellte Tim fest, "sonst verletzt du dich noch. Aber heute nicht mehr.
Ich hab Hunger!"
Ich auch!
Als Drakota wieder in Tims Zimmer war und
Tim gleich die Terrassentüren schloss, sah er schon Frau Sellner rüberkommen.
Tim schaffte es gerade noch, ein paar Schulbücher
auf den Küchentisch zu legen und tat so, als lerne er eifrig.
Sie kam mit dem Zweitschlüssel ins Haus
und ging mit einigen Zeitschriften in der Hand in die Küche.
"Du bist heute aber früh da. Bist du
geflogen?" scherzte sie.
Wie recht sie hat, dachte sich Tim
grinsend.
"Was ich dich heute Morgen noch fragen wollte:
Ich habe bei dir im Zimmer gestern Abend komische Geräusche gehört
- als ob ein großes Tier dort oben wäre!" sagte Frau Sellner.
Tim wurde plötzlich bleich.
"Ähm, ich hab noch am PC 'Gothic II -
Die Nacht des Raben' gespielt!" entgegnete er hastig.
"Dann spiel in Zukunft leiser! Die andere
Nachbarin ist 77 Jahre! Du weißt ganz genau, dass sie jede Gelegenheit
nutzt, um dir einen reinzuwürgen! Sie kann Kinder auf den Tod nicht
ausstehen."
Tim kannte die andere Nachbarin, Frau Kotter,
nur zu gut! Sie war eine Giftschlange und erzählt im Dorf immer Sachen
herum, die zur Hälfte erfunden waren. Als beispielsweise die Postbotin
kürzlich ins Haus kam, wegen eines Einschreibebriefes, behauptete
Frau Kotter, sie hätte mit Tims Vater eine Affäre! Und als Tim
sein Fahrradlicht reparierte, erzählte sie, er habe Altöl ins
Grundwasser gekippt. Warum sie so eine Abneigung zu ihren Mitmenschen hatte,
weiß niemand. Nur dass sie jeden Sonntag heuchlerisch in der Kirche
sitzt und all ihre Erlebnisse der Gemeinde erzählte.
Tim ahnte aber an ihrem Gesundheitszustand,
dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie das Gras von unten
sieht. Er konnte sich noch ganz gut an letztes
Jahr erinnern:
Es war Silvesterabend und Tim hatte allerlei
Freunde bei sich Zuhause. Auch viele Erwachsene aus der Firma und dem Bekanntenkreis
hatte sein Vater eingeladen.
Es war eine tolle Silvesterparty - bis 19.30
Uhr.
Denn da klingelte es prompt an der Haustür
und Frau Kotter hielt wieder eine ihrer Standardbeschwerden, die in Kraftausdrücken
wie 'Kifferbande' und 'Drogenparty' endete.
Als daraufhin wenig später auch noch
Herr Gerbrand und sein Kollege mit Blaulicht und Sirene anheizten, da Frau
Kotter der Polizei etwas von 'Organisiertem Drogenverkauf' erzählte,
änderte sich vorerst der Abend. Die Polizisten ordneten nach einer
kurzen Durchsuchung an, dass bis zum Feuerwerk um 0 Uhr etwas 'ruhiger'
gefeiert werden sollte.
Frau Kotter bekam aber auch eine saftige Verwarnung
von den Polizisten. "Falsche Beschuldigungen können auch strafbar
sein, nach Paragraph soundso..." sagte Herr Gerbrands Kollege.
Doch Tim rächte sich. Um Mitternacht
warf er ihr Knaller in den Vorgarten unter ihr Schlafzimmerfenster - (extra
laute Würfelkanonenschläge!)
"Weiß Frau Kotter eigentlich, dass ich
dieses Weihnachten alleine bin?" fragte Tim.
Frau Sellner schüttelte den Kopf. "Zum
Glück nicht! Sonst würde sie bis Neujahr rund um die Uhr mit
dem Fernglas an ihrem Fenster hocken und euer Haus begaffen - mit dem Notruf-Handy
in der rechten Hand und den Herzinfarkttabletten in der anderen. Wenn deine
Mutter noch leben würde, Tim, dann hätte sie das schon längst
abgestellt!"
Frau Sellner stellte Tim nach einer Viertelstunde
ein Fischgericht auf den Tisch. Auch das noch! Tim konnte Fisch auf den
Tod nicht ausstehen und es graute ihn jedes Mal, wenn Freitag war!
"Hast du noch Hausaufgaben auf?" fragte Frau
Sellner.
"Hausaufgaben?! Jetzt sind Weihnachtsferien!"
entgegnete Tim entrüstet.
"Du hast gesagt, du fährst mit dem Fahrrad
in die Schule." wechselte sie überraschenderweise das Thema.
"Ja und?"
"Dein Fahrrad stand aber die ganze Zeit in
der Garage!"
Tim wurde heiß. Er konnte ihr ja schlecht
sagen, wie er heute Morgen wirklich zur Schule gekommen war!
"Ich bin bei jemandem mitgefahren", log er.
Jetzt wurde Frau Sellner erst recht misstrauisch.
"Du fährst einfach so bei jemandem im Auto mit?! Weißt du eigentlich
wie gefährlich das ist! Es gibt so viele Kinderschänder da draußen
-"
"Ich bin bei Francos Vater mitgefahren! Er
war heute Morgen gerade zufällig hier in der Straße und hat
mich mitgenommen."
Sie sah ihn skeptisch an, hörte aber
endlich auf zu fragen.
"Wenn du fertig bist, kannst du das Geschirr
spülen. Ich komme nachher noch mal rüber." sagte sie, während
Tim am Küchentisch saß und gelangweilt mit der Gabel ein Auge
aus seinem Karpfen herausbohrte.
"Du kannst in den Ferien ruhig ab und zu mal
in deine Schulbücher sehen. Das schadet dir gar nicht. Dein Vater
hat sogar darauf bestanden." sagte Frau Sellner.
"Mein Vater sagt viel. Der will auch unbedingt,
dass ich Abitur mache, studiere und so´n Quatsch." sagte Tim gelangweilt.
Er hasste Fleisch. Früher aß er ab und zu mal ein Würstchen,
oder Hähnchen, doch nach den jüngsten Ereignissen (BSE, Vogelgrippe,
Gammelfleisch) war ihm der Appetit auf Fleisch ganz vergangen!
Frau Sellner verlies das Haus und ging über
die Straße.
Tim sprang im selben Moment auf und ging mit
dem Fisch und vier Hähnchen, die er aus der Tiefkühltruhe im
Keller geklaut und schnell in der Mikrowelle erhitzt hatte, wieder zu seinem
Drachen hoch.
Na endlich!!! Ich verhungere!
"Bedien dich! Fisch schmeckt mir nicht." sagte
Tim, als er die Zimmertür hinter sich schloss. Noch ehe er sich versah,
hatte der Drache den Fisch verdrückt.
Tim schaltete am Schreibtisch seinen Computer
ein. "Ich freu mich schon auf die Spiele, die ich zu Weihnachten bekomme!"
sagte er. "Ich habe die Vorschau im August bei der GC in Leipzig gesehen.
Vor allem Gothic3 hat mir gefallen!"
Tim wusste, dass sein Vater die ganzen Weihnachtsgeschenke
schon gekauft und vor seiner Abreise bei den Sellners deponiert hatte,
mit der klaren Anweisung (woran sich Frau Sellner hielt) sie nicht vor
Heiligabend, 19,00 Uhr herauszurücken!
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