Dracania von Tobias Wagner
V
Angriff der Goblins

"Du hast mal wieder in allen Linien versagt, du Nichtsnutz!" Nemesar stand im Saal seines Schlosses "Darks Klamm" und war stinksauer. "Die wichtigsten Informationen für meine Europainvasion liegen im Drachental verteilt und diese Elsyria hat den Drachenstein!"
Murluck erwiderte hastig: "Ich kann doch nichts dafür, dass der Drachen-Zauberspruch das   Flugzeug ausgerechnet über die Vulkane beförderte!"
Nemesar brüllte: "Du schnappst dir ein paar der Goblins und gehst zu dem Flugzeugwrack. Nehme sie gefangen, damit ich sie verhören kann. Wer sich wehrt wird liquidiert - alles klar? - Los jetzt!"
Murluck nickte, nahm ein paar Goblins mit und kehrte zum Flugzeugwrack zurück.
Die Goblins sahen im wahrsten Sinne des Wortes "zum kotzen" aus. Triefende Schleimgesichter, spitze Zähne wie die eines Tiefsee-Anglerfisches und schneeweiße Augen ohne Pupillen. Sie waren mit Schwertern und Armbrüsten bewaffnet.

Am Flugzeug entfernten sich Rafael und Elsyria. Sie wollten gerade einen Rundgang machen und der Spur des Drachen folgen.
"Aber lauft nicht so weit weg!" sagte Dixon. "Pflanzen und Tiere, die ihr nicht kennt, nicht anfassen!"
"Okayokay, wir sind ja keine Babys!" kicherte Rafael.

Murluck und seine Goblins waren an der Lichtung angekommen. "Da vorne ist das Flugzeugwrack. Wir umkreisen sie, dann schlagen wir zu!" sagte Murluck.
Rafael und Elsyria waren gerade an einer kleinen Felskante am Waldrand hochgeklettert, als sie seltsame Geräusche vom Landefeld hörten. Rafael holte ein Fernglas aus seinem Rucksack und blickte zum Flugzeugwrack. "Oh Mist, was geht denn da ab...!" Er gab das Fernglas Elsyria und auch sie sah es:
Eine Gruppe Goblins und dieser seltsame Typ, der mit ihnen flog, nahmen die anderen gefangen. Thomas und Dixon wehrten sich zwar, aber gegen die Übermacht waren sie machtlos. Harry killten sie eiskalt. Murluck entdeckte ein Funkeln auf dem Felsen am Waldrand, das von dem Fernglas stammte, denn es reflektierte perfekt das Sonnenlicht. Murluck gab einigen Goblins ein Zeichen und sie rannten auf Elsyria und Rafael zu.
"Oh Kacke, die haben uns entdeckt und kommen jetzt auf uns zu. Rafael, lauf!!!"
Rafael verstand sofort, schnappte seinen Rucksack und rannte mit Elsyria tief in den Wald hinein. Dicht auf den Fersen Murluck und seine Schergen. Auf einem großen Feld angekommen, stand plötzlich der Drache von eben vor ihnen.
"Na toll, er hat noch zwei weitere Drachen mitgebracht!" rief Rafael außer Atem. Dann staunten beide verblüfft.
Auf jedem der anderen Drachen saß ein Drachenreiter. Einer der Drachenreiter sagte: "Ich bin Akarian. Rake hat uns gerufen, weil ihr in höchster Gefahr schwebt. Kommt mit uns, wenn ihr überleben wollt!"
Elsyria und Rafael zögerten. "Kann uns mal einer erzählen, was zum Teufel hier los ist?"
Akarian sagte zu Elsyria: "Frag nicht so viel, steig bei Arnur auf, und du kletterst bei mir hoch!"
Arnur reichte Elsyria seine Hand und sie stieg hinter ihm auf den Drachen. "Halt dich gut fest, wir fliegen gleich!"
Murluck stürmte mit den Goblins auf die Drachen zu, blieb aber, als er sie sah, schlagartig stehen. Die Goblins rannten von hinten auf ihn drauf und sie stürzten der Länge nach auf den Haufen. Währenddessen flogen Akarian/Rafael und Arnur/Elsyria schon auf 'Draku' und 'Mondkralle'. 'Rake' verkokelte mit seinem Feuerstrahlatem noch schnell zwei Goblins, dann kam er hinterher.
Murluck brüllte, dass es durch das ganze Drachental hallte. Auch Nemesar hatte das ganze Geschehen durch den zweiten Drachenstein beobachtet. Sein zorniges Gebrüll war keinesfalls leiser...
"Dieser Nichtsnutz! Wenn er doch nur einmal etwas richtig machen kann!"
Währenddessen landeten die drei Drachen vor dem Tor von Schloss Lanciata.
"Wow! Das war riesig, wir sind geflogen, Elsyria!" Rafael war außer Atem, doch Elsyria sagte: "Für heute habe ich wirklich genug vom Fliegen! Erst der Absturz, dann wollen uns diese Monster killen – und dann fliegen wir auf Drachen! Das kann doch alles nur ein Albtraum sein!"
Elsyria beruhigte sich wieder und sah die Drachenreiter an.
"Okay, Okay, wer seit ihr? Woher kommt ihr? Wieso habt ihr uns gerettet?"
Der Drache 'Rake' sagte: "Typisch Menschen! Ihr müsst immer so viele Fragen auf einmal stellen!"
Elsyria starrte den Drachen fassungslos an und stammelte: "Du, du kannst ja sprechen! Warst du das, der mir vorhin diese merkwürdigen Gedanken in den Kopf gesetzt hast?"
Der Drache sagte: "Natürlich kann ich mit euch Menschen sprechen. Wenn ich will sogar in allen Sprachen. Ich kann sogar deine Gedanken lesen!"
"Ja, klar - natürlich, und ich bin der Bundeskanzler!" sagte Rafael sarkastisch.
Draku sah ihn an. "Du glaubst uns nicht?!" sagte er und man sah dem Drachen an, dass er jetzt nicht in Stimmung war für Witze.
"Wir sind die Drachenreiter von Dracania." sagte Akarian. "Wir sind für jeden da, der unsere Hilfe braucht. Wir haben gesehen, wie gerade eben eure Flugmaschine brennend vom Himmel gestürzt ist. Jeder Drache in Dracania weiß, dass man die Vulkanberge nicht überfliegen soll, das wäre glatter Selbstmord. Dass ihr noch am Leben seit, ist beinahe ein Wunder!"
Rafael starrte die Drachen immer noch an, wie eine Halluzination.
Elsyria sagte: "Das war einzig und alleine die Schuld von diesem Typen, der mit uns im Flugzeug war. Er hatte mit diesem komischen Kristall die Dimensionsreise und den Absturz ausgelöst. Dann ist er in einer Zauberwolke verschwunden und wenig später mit diesen 
Ork-Monstern zurückgekommen.
"Murluck!" zischte 'Mondkralle', der Silberdrache. "Er hat unseren Drachenstein gestohlen. Wenn ich den in meine Klauen kriege...!"
"Wartet mal!" Rafael holte aus seinem Rucksack den Drachenstein heraus. Elsyria und die Drachenreiter sahen ihn erstaunt an.
"Du hast ihn eingepackt?" fragte Elsyria erstaunt.
"Ja, weißt du, der Drachenstein hat mir eben gefallen und..."
Die Drachen seufzten. "Jetzt hat Nemesar nur noch einen der Steine."
"Es gibt drei Drachensteine. Zwei haben wir jetzt und Nemesar hat den letzten. Die Drachensteine bergen eine unglaubliche Kraft in sich. Mit ihnen kann man Städte ausradieren, Dimensionsreisen durchführen oder Berge versetzen, wenn es sein muss!"
Einige Wachen standen an der Burgmauer.
Arnur und Akarian riefen: "Wir sind Drachenreiter! Wir wollen zu König Sadorey!"
Das Burgtor ging knarrend auf. "Ihr müsst keine Angst haben", sagte Arnur, "Lanciata ist ein friedliches Land und König Sadorey ist gut und gerecht. Aber wundert euch nicht, wenn er euch einige Fragen stellt, denn die Trümmerteile eures Flugzeuges sind über ganz Dracania verteilt. Ein paar davon sind sogar in der Burg gelandet!"
Die Wachen führten Rafael, Elsyria, die Drachenreiter Arnur und Akarian, sowie die drei Drachen zum Schlossplatz in der Mitte der Burg.
König Sadorey kam herangelaufen in einem langen Gewand und einer mit Diamanten besetzten Krone. "Seid gegrüßt Reisende, ihr seid also die, die vom Himmel gefallen und von den Drachen gerettet worden sind?"
"Nicht alle", sagte Rafael. "Die Meisten von uns sind beim Absturz draufgegangen oder wurden von Murlucks Schergen verschleppt." Rafael senkte den Kopf.
"Aber wir haben einen weiteren Drachenstein!" sagte Mondkralle.
"Nun gut, lasst uns das weitere beim Abendmahl besprechen" sagte der König. "Die Drachen dürfen natürlich in unseren königlichen Ställen übernachten und die ehrenwerten Drachenreiter bekommen einige unserer Gemächer."
Während die anderen redeten, wühlte Elsyria in ein paar Trümmern des Flugzeuges herum, die sorgfältig gestapelt neben der Hütte des Schlossschmiedes standen. Zwischen Teilen der Motoraufhängung und Instrumenten aus dem Cockpit, stolperte sie plötzlich über eine Box mit der Aufschrift "FLIGHT RECORDER* - DO NOT OPEN !"
Sie nahm die Box und brachte sie zu den anderen. "Schaut mal, was ich hier gefunden habe, das könnte euch alle interessieren!"
Rafael staunte. "Das ist die 'Black Box', aber das können wir uns ja später noch ansehen. Sei uns nicht böse Elsyria, aber ich habe einen Kohldampf, dass ich den Putz von der Burgmauer verschlingen könnte!"
Die Sonne stand schon tief am Horizont als der König Elsyria, Rafael und die Drachenreiter in den Speisesaal führte. Die Drachenreiter begleiteten ihre Drachen noch zu den Ställen.
Akarian kraulte seinem Drachen Draku hinter den Hörnern und sagte: "Mach dir keine Sorgen, mein Freund. Zwei der Steine haben wir schon und den dritten finden wir auch noch!" Die Drachen legten sich seufzend in das Heu. "Gute Nacht Draku, gute Nacht Rake, gute Nacht Mondkralle!"
Die Drachenreiter kamen mit den anderen in den Speisesaal und dort wurde schon fleißig gefuttert. Rafael hatte - natürlich - wieder den größten Teller, die anderen Wachen und Krieger erzählten sich Witze und grölten, dass es im ganzen Schloss hallte. Die Drachenreiter, Rafael und Elsyria saßen am Tisch des Königs.
Rafael stellte seinen Rucksack, den er bei sich trug, an seinen Stuhl und schenkte sich eine lilafarbene Flüssigkeit ein. Elsyria und die Drachenreiter nahmen reichlich von den Früchten, die Elsyria noch nie in ihrem Leben gesehen hat. "Köstlich!" schmatzte Rafael.
Nach etwa einer Stunde waren alle satt und zufrieden. Rafael und Elsyria erzählten den Drachenreitern und dem König alles, was sich zugetragen hatte. Von dem Land, aus dem sie kamen, der gewonnenen Reise und dem Absturz ihres Flugzeuges.
"Das war ein Ereignis." sagte ein Krieger am Nebentisch. "Wir haben von unserem Wachturm gesehen, wie ein brennendes Etwas über den Himmel zog, sich während des Fluges zerlege und hinter den Wald knallte. Man konnte den Crash bis hierher hören."
Ein anderer Krieger sagte: "Wir gingen in Alarmbereitschaft, weil wir dachten, es wäre wieder ein Plan von Nemesar, denn man kann ja nie wissen...!"
"Wer genau ist dieser Nemesar?" fragte Rafael. Plötzlich wurde es totenstill im Saal.
Die Drachenreiter sagten: "Nemesar ist der Herrscher von Ost-Dracania. Er treibt dunkle Magie und terrorisiert die freien Dörfer. Er bereitet zur Zeit irgendetwas vor, wozu er einen der Drachensteine braucht."
Eine dunkle Vorahnung zog plötzlich durch die Köpfe von Rafael und Elsyria. "Nemesar will Europa erobern !!" sagten sie fast gleichzeitig.
"Erst schnüffelt Murluck in unserer Welt herum, sammelt Landkarten und strategische Informationen über uns, dann bucht er einen Flug, wo er den Drachenstein aktivierte und so das Dimensionstor zu Dracania öffnete. Deshalb müssen wir Nemesar den letzten Drachenstein abjucken!"
Noch bis spät in die Nacht interpretierten* und diskutierten sie, wie sie Nemesar in die Suppe spucken sollten. Dann zogen sich alle in ihre Zimmer zurück.
Elsyria hatte gerade neue Kleider angezogen, die ihr ein Diener des Königs brachte, als einer der Drachenreiter (nachdem er angeklopft hatte) ihr Zimmer betrat.
"Rafael will dir was zeigen!" sagte Arnur.
Elsyria kam in Rafaels Zimmer, als er gerade mit der Black Box hantierte.
"Ich will genau wissen, was sich heute Vormittag zugetragen hat." sagte er.
"Das Ding ist so verbeult und verkratzt, das kannst du wegwerfen!" sagte Elsyria.
"Nein nein, das ist nur die Panzer-Schutzhülle, die den Festplattenspeicher schützt." Rafael hatte den Flight Recorder zerlegt und die Elektronik freigelegt. Auch die zwei Drachenreiter waren inzwischen anwesend.
Rafael holte seinen Laptop aus dem Rucksack. "Elsyria, kannst du mir bitte das USB*-Kabel geben?"
Sie erwiderte schnippisch: "Sonst noch einen Wunsch? Vielleicht ein Stück Kuchen??" Doch sie gab es ihm. "Wie viel Krempel schleppst du denn in deinem Rucksack mit dir rum?" fragte sie und holte die Sachen heraus, die Rafael nach der Notlandung eingepackt hatte: Ein Taschenmesser, ein Kompass, Taschenlampe, Leuchtpistole, eine Solarzelle zum aufklappen, Digi-Cam*, eine Flasche Wasser und sein Handy.
"Du kriegst kein Empfang, versuch`s erst gar nicht." sagte Rafael. Inzwischen hatte er den Laptop angeklemmt und spielte den Speicher der Black Box ab. Das ganze Szenario beobachteten sie zusammen. Der Felsbrocken, der den Copiloten killte, die Daten der Instrumente, der Notruf und dann der Aufprall. Das Bild verschwand.
"So hat es sich zugetragen." sagten die Drachenreiter staunend. "Ihr könnt vergangenes wieder zeigen?"
Elsyria grinste. "Das sind eben die Vorteile der technisierten und digitalisierten Welt. Aber wenn der Akku leer ist, nützt dir der Computer nicht viel."
"Was glaubst du, wozu ich die Solarzelle noch mitschleppe?" sagte Rafael.
Dann sagte Arnur: "Wir sollten uns jetzt schlafen legen, morgen wird ein langer Tag!"
Elsyria, Rafael und die Drachenreiter legten sich schlafen. Nachts träumte Rafael von seinem ersten Drachenflug vom Tag zuvor. Elsyria dagegen hatte einen furchtbaren Albtraum. Sie sah Europa zerstört und zerbombt von Nemesars Goblinarmee. Grinsend stand er auf seinem Turm und sah sich das Spektakel an, wie seine Streitmacht die Erdenwelt zerstörte.

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Flight Recorder
= Flugschreiber
Interpretieren = Auslegung, Ausdehnung
USB = Universal serial Bus
Digi-Cam = Spitzname für Digitalkamera

© Tobias Wagner
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Und schon geht's weiter zum 6. Kapitel: Ausbildung

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