Liebliche Düfte hüllten sie ein,
sobald sie den Garten betreten hatte. Sie schloss die Augen und genoss
es.
"Was ist, Mylady?", ertönte eine raue
Stimme hinter ihr.
Aurora schlug ihre Augenlider langsam auf
und wandte sich zum Besitzer der Stimme um. "Nichts, Ritter. Gar nichts!"
Ihre Hand glitt über eine der Rosenstangen.
Nun im Winter waren sie gänzlich blau gefroren. Die Stängel waren
glatt. Dies war eine besondere Rose, ohne Dornen, wie man sie nur in diesem
Garten antraf. Der Garten ihrer Schwester.
"Kommt! Wir sollten weitergehen. Sie erwartet
uns sicherlich schon."
"Ja!", heimlich pflückte Aurora eine
der blauen Rosen, nahm die kalte Blume an sich und drückte sie an
ihr Herz.
Kurz hielt sie noch inne, dann folgte sie
ihrer Leibgarde, die sie in einen großen, eisblauen Palast führte.
Sie öffneten vor ihr die großen Eingangsportale, die sie in
den Thronsaal geleiteten. Dort auf einem Thron saß sie, ihre Schwester.
Die junge Frau, gerade mal Mitte zwanzig, erhob sich und lief Aurora entgegen.
Stürmisch umarmte sie ihre zehn Jahre ältere Schwester.
"Wie schön dich zu sehen!"
"Ja, die Freude ist ganz meinerseits!", erwiderte
Aurora und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. "Lass dich ansehen",
sanft drückte sie die junge Königin von sich. "Du hast dich trotz
der vielen Jahre, die wir uns nun schon nicht mehr gesehen haben, kaum
verändert. Der Krieg scheint nicht auf dich eingewirkt zu haben, Zaida,
blaue Rose."
Zaida warf ihren Wachen einen besorgten Blick
zu. Mit einem Kopfnicken deutete sie ihnen an, vor der Tür zu warten.
Nachdem die Tore hinter ihnen zugefallen waren,
wandte Zaida sich wieder an ihre Schwester. "Du sprichst vom Krieg, als
wäre er eine Kleinigkeit gewesen, als sei nichts in ihm passiert",
leichter Zorn lag in ihrer Stimme. Lange schon hatte sie Auroras Hände
von sich abgestreift und war zu einem der großen Fenster getreten.
"Wenn ich dich verärgert habe, so tut
es mir Leid! Es stimmt. Ich habe nicht viel vom Geschehen des Krieges erfahren,
nichts mitbekommen. Lediglich, dass du daran beteiligt warst und ich dich
deshalb nicht sehen durfte. Ich war erfreut darüber zu sehen, dass
du keine bleibenden Schäden davon getragen hast!"
"Keine äußeren vielleicht, Aurora!
Aber die inneren werden nie verheilen."
Aurora trat neben ihre jüngere und doch
stärkere Schwester. Sie war stärker sowohl was ihren Charakter
betraf, als auch ihre Waffenkunst. Dies war einzig und allein darauf zurückzuführen,
dass sie eine andere Erziehung genossen hatte. Schuld daran war einzig
und allein die Weissagung, die eine Zauberin bei ihrer Geburt gemacht hatte.
"Bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag wird sie um ihr Land kämpfen
und Gefahren auf sich nehmen und schließlich zur Königin der
blauen Rosen werden. Denn sie selbst ist eine solche blaue Rose."
Aurora war zehn gewesen, als sie die Frau
angehört hatte. Sie war längst verlobt gewesen, wie es sich für
eine Prinzessin ihres Reiches gehörte, und wurde in strengen Etiketten
unterrichtet. Doch nach dieser Weissagung wollte kein Prinz Zaida zur Frau
und kein Königspaar sie zur Schwiegertochter haben. Frauen, die kämpften,
das war absurd in dieser Zeit. Aurora war sich nicht sicher, ob sie oder
ihre Schwester das bessere Los gezogen hatte.
"Willst du davon erzählen?" Aurora sah
die Träne nur kurz, denn sie verblich sofort.
Zaida riss sich zusammen, blieb stark. Nun
nach dem Krieg ließ sie keine Zweifel oder Schwächen aufkommen.
Sie nickte. "Ja! Vielleicht ist es besser so!"
"Wie du weißt, begann alles mit der
Weissagung dieser Zauberin..."
* * *
"Prinze, ... Prinzessin Zaida! Ko... Kommen
sie sofort zurück!" abgehetzt raste eine der Zofen hinter der jungen
Prinzessin her.
Zaida rannte. Lachend drehte sie sich zu der
bedauernswerten Zofe um und lief prompt gegen einen großen Körper.
Sie stolperte zurück und sah verwirrt auf. Es war der Hauptmann ihres
Vaters, Sir Opgèding. Sie erkannte ihn hauptsächlich an der
goldenen Feder, die seinen Helm zierte, und an dem roten Umhang, der noch
zuzüglich seiner Uniform als Erkennungsmerkmal eines Hauptmanns diente.
Ansonsten sah er genauso aus wie jeder andere Soldat auch. Einen silbernen
Helm, braune Stiefel, schwarze Hose, silberner Wams. Ihr gefielen die silbrig
schimmernden Uniformen, die die Soldaten trugen. Ihr Traum war es, einmal
selbst eine solche zu tragen.
Die Zofe stützte ihre Arme auf ihren
Schenkeln auf, als sie das achtjährige Mädchen und den breit
lächelnden Soldaten eingeholt hatte. "Vielen Dank, Sir, ...ich, ...ich
weiß wirklich nicht, was ich mit dem kleinen Wirbelsturm anfangen
soll."
"König Jakal schickt mich! Ich soll ihnen
Prinzessin Zaida abnehmen."
Die Zofe war sichtlich erleichtert "Gut."
Opgèding nahm Zaida an der Hand. Ohne
Widerwillen folgte das Mädchen dem stattlichen Mann. Er war gerade
mal zwanzig, doch dem König treu ergeben. Schon mit zwölf war
er in der Königlichen Armee aufgenommen und dort schnell befördert
worden. Vom Soldaten zum Ehrenritter und mit achtzehn zum Hauptmann. Opgèding
brachte Zaida auf einen kleinen Übungsplatz, der an die Mauer grenzte
und von einigen Holzpfählen eingezäunt war. Dort hatte man Platz
zum Trainieren und es gab eine Scheibe für das Bogenschießen.
"Warum will mein Vater, dass du dich um mich
kümmerst?"
"Weil ihr mir vertraut, kleine Prinzessin."
"Vertraut er Tante Peggy etwa nicht?", für
sie war die alte Zofe zu einer Tante geworden. Penegried, so war ihr voller
Name, doch Zaida nannte sie liebevoll immer nur Tante Peggy.
"Doch, aber ihr sollt doch nun das Kämpfen
erlernen und unter uns", er beugte sich zum Ohr des kleinen Mädchens
hinunter, "Tante Peggy kämpft schlechter als ein Oger!"
Zaida begann zu lachen, denn sein warmer Atem
kitzelte sie. Außerdem war die Vorstellung Tante Peggy und einen
Oger zu vergleichen einfach zu komisch. Opgèding richtete sich auf
und zog zwei Holzschwerter aus seinem Gürtel.
"Hier, Mylady, für euch.", er verneigte
sich und pries ihr das Schwert an, wie als würde er vor seiner Verliebten
knien und ihr einen Strauß Blumen überreichen.
"Danke, Sir! Ich fühle mich geschmeichelt.",
den Wink verstehend nahm sie das Schwert in entsprechender Haltung am Knauf.
"Nieder mit dir, du Bösewicht!"
Zaidas Haare flogen im Wind als sie auf ihn
zu rannte. Opgèding wich den energischen Schwerthieben sorgsam aus.
"Nicht so stürmisch! Bei dem Kraftaufwand
haltet ihr nicht lange durch!"
Erst nach einer Weile nahm er das kleine Holzschwert
zur Hilfe, als ihm die Madame doch ein wenig zu stark wurde. "Benutze deinen
Kopf! Nicht deine Arme."
Er beschrieb einen Halbkreis mit seinem Schwert.
Das Holz krachte auseinander und vom Schwung mitgenommen wurde Zaida ihr
Schwert aus der Hand gerissen.
"Ich sagte dir doch schon gestern: Halte dein
Schwert so fest es geht, aber dann schwinge es, als wäre es leicht
wie eine Feder!"
"Leicht wie eine Feder...", murmelte Zaida
und packte ihr Schwert fest.
Sie führte einige gelungene Schläge
gegen ihren Gegner aus und schlug ihm dann auf die Hand. Opgèding,
der darauf nicht gefasst war, ließ sein Schwert los und schüttelte
seine von Nerven zerrüttete Hand.
"Gewonnen!"
Verwirrt sah er auf und lachte dann. "Sehr
gut!"
Ein Klatschen ertönte rechts von ihr.
Zaidas Kopf wirbelte herum und ein Lächeln flog über ihre Lippen,
als sie ihre Eltern, das Königspaar Meridiaens, neben einem der Pfähle
stehen sah. Ihre Mutter lächelte zurück und klatschte nun noch
lauter. Opgèding musterte die beiden Frauen. Zaida hatte sehr viel
von ihrer Mutter und fast gar nichts von ihrem Vater. Ihre Mutter war die
hübsche, lächelnde Hofdame, übertrieben freundlich aber
im Volk beliebt. Ihr Vater war ein stiller Kämpfer, hatte kaum Kontakt
zu seinen Männer, einzig und allein ihm, Opgèding, vertraute
er das ein oder andere an. Zaida lachte viel und gern, wie ihre Mutter,
und war genauso beliebt wie sie, was hauptsächlich von ihrer Gesprächigkeit
herrührte. Sie hatte die selben azurblauen Augen, die selben endloslangen,
schwarzen Wimpern, ihre hellbraunen Haare, die sich so geschmeidig in eine
Zopfform bringen ließ, die gleichen langen, schlanken Beine, die
gleichen geschmeidigen Gesichtszüge und doch hatte sie einen kräftigeren
Körperbau, der ihres Vaters, und auch ihre Kampfkunst erinnerte mehr
an diesen. Vom Äußeren her erkannte man die beiden Frauen sofort
als Mutter und Tochter, lediglich die Augenfalten und die Größe
unterschieden sie von einander. Opgèding sah seinen Schützling
gerne Lachen, dieses Lachen verzauberte ihn jedes Mal aufs Neue. Er verstand
die Prinzen nicht, die sie abgelehnt hatten, aber sie hatten das Mädchen
auch nicht gesehen. Zaidas Lachen verstummte, was Opgèding aus seinen
Gedanken riss. Er folgte ihrem Blick und landete somit beim Vater. Seine
Augenbrauen waren zusammengezogen und seine sowieso schon kleinen Augen
wirkten noch kleiner als sonst. Er lachte nicht und der leichte Stoppelbart
ließ ihn wild aussehen. Zaida drehte sich zu Opgèding um und
sah ihn verwirrt an. Er nahm es nur aus den Augenwinkeln wahr. Sein Blick
galt dem König, dem König der ihn beinahe wütend ansah.
Wie gern hätte Opgèding ihn nach dem Grund seines Zornes gefragt,
doch er wusste, dass sich dies nicht mal für einen Hauptmann seines
Standes geziemte. Er konnte sehen, wie Lady und Königin Caitlin mit
ihrem Ellenbogen König Jakal leicht anrempelte und ihm etwas zuflüsterte.
Obwohl der König sehr leise sprach verstand
Opgèding jedes seiner Worte genau. Es war als wären alle anderen
Geräusche verklungen. "Ich wünsche, dass sie meine Tochter im
Kampf unterrichten, Hauptmann, und keine Spielchen mit ihr spielen."
Opgèding hätte am liebsten widersprochen,
doch seine Ausbildung lehrte ihn Gehorsam. Er ließ sich nicht anmerken
was er dachte, verzog keine Miene, als er sich verbeugte. "Ja, Sir!", bei
diesen Worten sah er König Jakal fest in die Augen. Der König
wusste, dass er in Opgèding einen treuen Verbündeten hatte
und Opgèding war der einzige Grund, weshalb die übrigen Männer
zu ihm hielten. Doch das hinderte ihn nicht daran, Opgèding klare
und manchmal auch ruppige Befehle zu erteilen.
Der König nickte kurz und verschwand
mit seiner Frau Richtung Mauer, um ins Schlossinnere zurückzukehren.
"Er meint es nicht so!", murmelte Zaida strahlend.
"Vater ist einfach wütend auf mich, weil er mich irgendwann vermutlich
mit einem bürgerlichen verheiraten muss!"
Opgèding horchte auf. Sollte er vielleicht...
Doch den Gedanken schlug er sich schnell wieder aus dem Kopf. Sie war viel
zu jung für ihn, oder er war zu alt für sie.
"Los, lasst uns mit dem Bogenschießen
weiter machen!", befahl er ihr, mehr um sich selbst abzulenken.
* * *
Er berührte den Arm der jungen Frau nur
leicht. "Zieh bis zum Mundwinkel zurück. Zielen, nicht wackeln, ganz
ruhig! Werde eins mit dem Bogen ziele an dem Pfeil entlang und bedenke,
was ich dir beigebracht habe ... Lass los."
Die Frau klappte lediglich ihre drei Finger,
die die Sehne zurückhielten, nach vorne. Der Pfeil durchpflügte
die Luft und traf sein Ziel ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Getroffen
sank die Wildsau zu Boden und verblutete erbärmlich.
"Sauberer Schuss!", lobte Opgèding
die junge Frau.
Zaida lächelte ihn dankbar an. Doch ihre
Augen drückten die Traurigkeit aus, die sie seit einigen Monaten nun
schon gefangen hielt. Wieder fiel ihm auf, wie ähnlich sie doch ihrer
Mutter war, die ihre Traurigkeit auch nie zeigte.
"Was habt ihr, Zaida. In einem viertel Jahr
ist euer achtzehnter Geburtstag! Ihr solltet euch freuen!"
"Ja... vielleicht..." Sie lachte wieder und
ließ sich von dem Pferd gleiten, auf dem die beiden saßen.
"Los! Bringen wir die Wildsau nach Meridiaen! Die werden sich freuen, dann
gibt es heute Abend mal wieder ein richtiges Fest."
Opgèding nickte der jungen Frau zu.
Jetzt war sie noch schöner, wie das Mädchen, das er gekannt hatte,
schöner sogar wie ihre Mutter je gewesen war, und sie wurde jedes
Jahr schöner, so fand er es zumindest. Doch seit ihr Vater und einige
andere Soldaten in den Krieg gezogen waren, war sie still und traurig geworden,
zumal sie um das Leben ihres Vaters fürchtete. Er erinnerte sich noch
gut an das Gespräch, das sie vor einiger Zeit in ihrem Garten hatten.
Sofort fuhr er sich über seine rechte Wange.
--:;:;**;:;:--
"Ihr wolltet mich sprechen Mylady?"
Sie drehte sich zu ihm um und stand auf. Sein
Blick glitt über ihr Lächeln hinab über ihre Figur über
das Kleid, das sie trug, wenn ihr dies unangenehm war, so ließ sie
es sich nicht anmerken. Er konnte sich gar nicht genug an ihr satt sehen.
Die kunstvolle Frisur, das bläulich-silberne Kollier, das in hellen
und dunklen Blautönen erstrahlende Kleid, ihr silbernes Diadem, mit
Diamanten besetzt... So festlich bekam er sie nur selten zurück. Sie
schien in dieser Kleidung ein völlig anderer Mensch zu sein als mit
den Lederklamotten, die sie zum Kämpfen anhatte.
"Setzt euch doch bitte!", sie wies auf die
Bank, auf der sie eben noch gesessen hatte.
Opgèding ging der Bitte nach. Die Bank
stand unter einem idyllischen Baum, der seine Äste wie ein Dach über
die beiden ausbreitete. Zaida sah ihn nicht an, sondern blickte auf den
Teich, der einige Schritte unter ihnen begann. Er blickte sie von der Seite
her an. Ihre leicht gebräunte Haut, die von hellem Teint überdeckt
wurde, die rötlichen Lippen, die langen Wimpern, ihre perfekt gezupften
Augenbrauen und ihre Augen selbst. Diese Augen waren so unendlich tief,
bargen so viele Geheimnisse und doch war er erstaunt, als er aus ihnen
eine Spur Trauer entnehmen konnte.
"Was habt ihr?"
"Ich habe Angst, um meinen Vater... Warum
seid ihr nicht mit geritten?"
"Seine Anweisungen waren hier zu bleiben und
euch zu beschützen, Fräulein."
"Nenn mich Zaida! Ihr seid mit meiner Familie
nun schon lange befreundet und ich kenne dich seit ich ein Baby war."
Opgèding lächelte. "Dann duzet
mich bitte, Zaida."
Sie nickte ihm zu und blickte in den Horizont.
"Hatte ich nicht einst eine Schwester?"
Opgèding nickte, verwirrt darüber,
warum sie dies nun ansprach.
"Wo ist sie?"
"Weit, weit entfernt von hier. Sie wurde in
ein anderes Königreich verheiratet!"
Nun nickte Zaida. "Ja, das habe ich mir bereits
gedacht... Opgèding, verrätst du mir, warum ich nie verheiratet
wurde."
"Mylady, ...Zaida!", Opgèding verhaspelte
sich. Er wusste, das König Jakal seiner Tochter nie etwas über
die Weissagung erzählt hatte und er war ebenso wenig befugt dazu,
es ihr jetzt zu sagen, doch als er in ihre von Tränen erfüllten
Augen blickte, brachte er es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu
verschweigen. "Als Baby hat eine Wahrsagerin über euch geweissagt,
dass ihr die Königin der Rosen seid und vor eurem achtzehnten Lebensjahr
bereits viele Schlachten geschlagen haben werdet. Nun, ...niemand weiß,
wo sich diese Rosen befinden und kein Prinz möchte eine Frau haben,
die erstens vielleicht mit jemand anderem verheiratet ist und zweitens,
die kämpft."
"Aber dass ich kämpfe liegt doch allein
daran, dass mein Vater es wollte. Woher wollen sie zudem wissen, dass ich
vermählt bin? Also ich kenne keinen Gatten."
"Ob ihr vermählt seid oder nicht weiß
keiner. Sie befürchten es, da ihr als Königin der blauen Rosen
eigentlich mit dem König der blauen Rosen verheiratet sein müsstet.
In unseren Landen gilt man doch sonst nicht als Königin. Außerdem
war euer Vater immer strikt dagegen, dass ihr kämpftet! Eure Mutter
war es, die ihn dazu überredet hat, euch im Kampf unterrichten zu
lassen."
"Und nun ist sie tot..."
"Ihr Dahinscheiden hat jeden von uns schwer
getroffen, aber es ist ein Grund mehr für euch, tapfer zu bleiben."
"Was hat es mit diesen Rosen auf sich?"
Opgèding seufzte. Eigentlich sollte
nicht er hier stehen, sondern ihr Vater. "Nun, Zaida. Es heißt, derjenige,
der die Rosen zu kontrollieren vermag, bekommt von ihnen eine große
magische Kraft. Sie soll dafür genutzt werden, um Frieden in unser
Land zu bringen. Es herrschte jetzt schon länger kein Krieg mehr,
da die einzelnen Königreiche sich untereinander immer wieder verheiratet
haben. Doch nun ist wieder Krieg ausgebrochen. Der Bruder schert sich nicht
mehr darum dem Bruder seinen Besitz wegzunehmen. Viele von uns glauben,
einzig und allein die Rosen können Frieden bringen."
"Also ich, ..."
Opgèding nickte.
Zaida erhob sich ruckartig und er tat es ihr
gleich, allerdings langsamer. "Mylady?"
"Ich danke dir, Opgèding! Ihr habt
mir einen großen Dienst erwiesen. Geht nun! Lasst mich allein."
Sie drückte ihm einen kurzen Kuss auf
die Wange, wies ihm aber gleichzeitig streng an zu gehen. Obwohl er über
diesen Kuss verwirrt war, tat er, was sie verlangte.
--:;:;**;:;:--
Es war für ihn wie ein Traum, als er
sich an diese Begebenheit zurückerinnerte.
Es war lediglich drei Tage her, und doch ...
Zaida kam zurück, die Wildsau auf ihrem Rücken über den
Rücken einer weiteren Stute gleiten lassend.
"Was hast du jetzt eigentlich vor?", fragte
Opgèding während er Zaida beim Aufsteigen beobachtete.
"Wegen was?"
"Den Rosen."
Zaida schwieg, dann trieb sie ihre Stute an
und lenkte sie ohne ein weiteres Wort Richtung Schloss.
"Ihr habt meine Frage nicht beantwortet!"
Zaida wandte sich zu ihm um. "Nun, ich vermute,
ich werde mich auf die Suche nach diesen Rosen begeben."
"Was? Keiner weiß, wo sie sich befinden!"
"Doch. Ich habe mich in der Bibliothek erkundigt.
Es gab ein Mann, der es wusste. Die Rosen befinden sich in einem Garten,
vor einem blauen Schloss. Die Königsfamilie, die dort einst lebte,
ist vor langer Zeit gestorben. Doch es heißt, dass der Gärtner
der Familie die Jahre überdauert hat und auf seinen neuen Herrn in
einem Dorf nahe dem Leichenfluss wartet."
Opgèding ließ ein kurzes Auflachen
ertönen. "Und wie alt soll dieser Gärtner sein?"
"Über tausend, wenn man der Legende Glauben
schenkt."
"Das ist es eben. Es ist nur eine Legende!
Außerdem ist der Leichenfluss unendlich lang. Niemand weiß
woher er seinen Namen hat und niemand ist seinem Lauf je von Anfang bis
Ende gefolgt!"
"Ich muss ihm ja auch nicht von Anfang bis
Ende folgen!", protestierte Zaida. "Ich muss ihm nur solange folgen, bis
ich den Gärtner gefunden habe!"
"Das wäre genauso dumm, wie alle unbekannten
Orte des Landes abzusuchen."
"Wieso willst du nur die unbekannten absuchen?"
"Weil dieses Schloss sonst schon längst
bekannt wäre."
"Die Rosen sind magisch, vielleicht haben
sie das Schloss verschwinden lassen und nur wenn ich den Ort betrete, an
dem es früher gestanden ist, zeigen sie sich."
"Vielleicht, vielleicht, vielleicht! Das sind
alles nur Vermutungen!"
"Aber ich muss es durchführen! Mein Vater
braucht meine Hilfe. Wenn er die eure schon nicht hat."
Dies versetzte Opgèding einen Stich
ins Herz. "Ich sollte euch beschützen, nicht euren Vater...", er sagte
dies leise, sodass Zaida es nicht hören konnte. Doch er sah ihr an,
dass ihr der Ausbruch eben Leid tat. "Wann reitet ihr los?"
"Morgen Mittag!"
"Das hättet ihr mir früher sagen
sollen. Ich muss dann wohl oder übel heute Nacht noch packen. Habt
ihr dem Koch schon auf den Proviant angesprochen?"
"Ja, aber...", weiter kam sie nicht, denn
Opgèding unterbrach sie bereits wieder:
"Dann werde ich ihm wohl sagen müssen,
dass er Proviant für zwei hinrichten soll."
Zaida hielt ihre Stute Pienna an. "Ihr wollt
doch nicht etwa..."
"Euer Vater sagte mir, dass ich auf euch aufpassen
soll, das heißt: doch! Ich werde mit euch mitkommen!"
Damit ritt er weiter über die Zugbrücke
durch das Tor, an dem sie eben angekommen waren. Somit ließ er Zaida
keine Zeit um zu protestieren.
* * *
Zaida gähnte herzhaft. Sie war nicht gerade
zimperlich, aber sie ritten nun schon ganze drei Wochen und auf dem harten
Boden konnte sie kaum schlafen. Opgèding füllte gerade ihre
Trinkschläuche wieder an einer frischen Quelle auf. Vor gut zwei Wochen
hatten sie den Leichenfluss erreicht, waren an seinen Läufen weiter
geritten und hatten gut zehn Dörfer passiert. Nirgends hatte man je
von den blauen Rosen oder einem Gärtner gehört. Das Flusswasser
war nicht zum trinken geeignet und so hatten sie öfters auch nach
Quellen fragen müssen. Dies war die erste seit langen. Herzhaft hatte
sich Zaida das Wasser ins Gesicht geschmissen und gierig hatte sie aus
ihrer Handfläche getrunken.
"Wir nähern uns der Grenze!", informierte
Opgèding sie.
"Das heißt?"
"Wir müssen vorsichtiger sein! Du weißt
doch, es herrscht Krieg! Sobald wir das andere Land passiert haben, werden
wir in einer großen Gefahr sein! Vor allem ihr als Tochter der Königs."
Zaida zuckte mit den Schultern. "Es muss ja
niemand erfahren, dass ich die Tochter des Königs bin, oder?"
Opgèding sah sie zweifelnd an. "Mir
wäre es lieber, wenn wir deinen Gärtner finden bevor wir die
Grenze passieren."
Zaida nickte. "Das wäre natürlich
besser, ja!"
* * *
Sie ritten weitere sechs Tage, bevor sie ein
Dorf kurz vor der Grenze erreichten.
"Unser Brot geht zur Neige, ich werde uns
neues besorgen!", erklärte er, bevor er sich vom Rücken seines
rot-braunen Hengstes Farnir schwang. Er übergab Zaida die Zügel,
die dort auf ihn warten sollte. Zaida sah sich um. Sie waren noch ziemlich
am Dorfrand, doch sie stand bereits ziemlich in der Nähe des ersten
Hauses. Ein älterer Mann pflanzte gerade eine Blume ein. Er stöhnte,
als sie nun schon zum zweiten Mal umfiel, während er sie zuschaufeln
wollte. Zaida ließ sich auf den Boden gleiten und band ihre beiden
Pferde an einen Zaunpfahl. Neugierig betrat sie den Garten.
Der Mann musterte sie misstrauisch. "Was wollt
ihr hier, Mylady?"
"Euch helfen! Darf ich?", Zaida lächelte.
Angesichts dieses Vorschlags hellte sich auch
die griesgrämige Miene des Alten auf. "Gerne. Könntet ihr dieses
Rosenbäumchen hier vielleicht festhalten, während ich das Loch
zuschütte?"
Zaida tat wie ihr geheißen. Nach gut
fünf Minuten hatte der Mann seine Arbeit beendet. "Euch hat der Himmel
geschickt, meine Liebe. Ich weiß nicht, wie lange ich noch daran
hätte Arbeiten müssen! Wie heißt ihr eigentlich? Ich sehe
euch an, dass ihr von adligem Blut sein müsst."
"Ich, ... nun um genau zu sein bin ich das
nicht. Ich bin die Tochter der Urenkelin der Großmutter der verstorbenen
Königin! Sie hat mich bei sich aufgenommen und nun begleite ich Hauptmann
Opgèding auf Wunsch ihrer Majestät Prinzessin Zaida."
"Aha..." Der alte Mann sah aus, als hätte
er dies nicht ganz verstanden. "Und wie soll ich euch nennen, Um-zwanzig-Ecken-Verwandte
der Königin?", ein Lächeln bildete sich um seinen Mund und seine
Augen.
"Nennt mich Mitja! So nennen mich alle." Zaida
lachte, dann betrachtete sie die Rosen. Das wiederum erinnerte sie an die
blauen Rosen und den Gärtner. Geistesabwesend fragte sie: "Ihr mögt
wohl Rosen, was?"
Der Mann nickte. "Ich habe schon immer mit
Rosen gearbeitet! Früher hatte ich einen ganzen Garten bei einer Königsfamilie,
um den ich mich kümmern musste. Da waren auch hauptsächlich Rosen.
Aber...", er stockte und musterte sie auf einmal misstrauisch. "Warum wollt
ihr das überhaupt wissen?"
"Nur so...", doch dann besann sie sich eines
besseren. Irgendjemand musste sie ja schließlich fragen. "Ich und
mein Begleiter sind auf der Suche nach dem Gärtner der blauen Rosen."
"Was wollt ihr denn von dem?"
Zaida sah erstaunt auf. "Kennen sie den Gärtner
etwa?"
Der Mann musterte sie immer noch misstrauisch.
"Jein, ... also, ... Ja schon, aber ich glaube, er ist bereits vor langer
Zeit gestorben. Ich habe ihn zumindest schon lange nicht mehr gesehen!
Aber was wollt ihr eigentlich von ihm?"
Zaida hatte bereits einen Hoffnungsschimmer
gehegt, der nun zerstört worden war. Entsprechend ruppig antwortete
sie: "Das ist nur für die Ohren des Gärtners bestimmt! Es handelt
sich dabei um etwas Vertrauliches."
Der Mann schien scharf nachzudenken. "Folgt
mir bitte!", entschied er dann plötzlich.
Er brachte sie in sein Haus. Von innen wirkte
es viel imposanter wie von außen. Tausend verschiedene Rosenarten
blühten in ihm und die Wände waren verziert. Er bat Zaida sich
zu setzten und setzte Tee auf. Schließlich setzt er sich auf einen
Schemel vor ihr.
"Was wollen sie von mir?"
Er musterte sie nur. Gab keine Antwort. Zaida
war unwohl zu Mute. Was hatte er mit ihr vor? Draußen war ihr der
Mann so sympathisch vorgekommen. Jetzt schlotterten ihr die Knie vor Angst.
Opgèding hatte sie davor gewarnt, dass es in der Nähe der Grenze
gefährlich für sie sei. Vielleicht hatte der Mann sie als die
Prinzessin erkannt, die sie war. Ihr stieg eine unsägliche Hitze auf,
denn plötzlich hatte sie das Gefühl, er hätte ihre Gedanken
gelesen.
"Zaida? Zaida!", hörte sie die entsetzt
Stimme Opgèdings draußen rufen. Kurz darauf konnte sie ihn
durch eines der offenen Fenster sehen. Gleichzeitig warf sie dem Mann einen
entsetzten Blick zu. Er musste wissen, dass ihr Begleiter nach ihr rief,
aber sie hatte sich ihm als Mitja vorgestellt und von Prinzessin Zaida
als Auftraggeberin. Nun würde er wissen, wer sie wirklich war. Zaida
sprang auf und wollte nach draußen rennen. Augenblicklich schlugen
die Fenster zu und Rosen rankten sich um die Tür. Rosen mit Dornen,
durch die sie nicht hindurch kam. Entsetzt drehte sich die junge Prinzessin
zu dem alten Mann um.
"W-was haben sie jetzt vor?"
"Herauszufinden was ihr in diesem kleinen
Dorf sucht und von dem Gärtner der blauen Rosen wissen wollt, Prinzessin
Zaida! Und dann wäre es noch ganz nett, wenn ihr mir erklären
würdet, warum ihr mir nicht gleich gesagt habt, wer ihr wirklich seid!"
Zaida antwortete bissig: "Viel Respekt vor
eurer angehenden Königin scheint ihr ja nicht zu haben!"
"Ich habe nur eine Königin!", antwortete
der Mann ruhig. "Und das ist die blaue Rose."
"Und was ist, wenn ich diese blaue Rose wäre?"
Der Greis lachte auf. "Ja! Ich habe von diesem
Unsinn gehört! Eine Wahrsagerin hat bei eurer Geburt geweissagt, dass
ihr die blaue Rose wärt. Nun wenn dem so wäre, was ich bezweifle,
dann würde ich mich euch unterordnen und mich um eure Rosen kümmern,
denn ich bin der Gärtner, den ihr sucht, Prinzessin Zaida!"
Zaida erstarrte. "Was?" Ihre Augen weiteten
sich. "A-aber..."
"Die alte Legende behauptet, dass ich nun
schon über tausend sei, aber, die Legende irrt. In Wirklichkeit wurde
das Geheimnis der blauen Rose über Jahre hinweg weitergegeben. Immer
nur an einen, den Gärtner. Er sollte warten bis die blaue Rose zurückkehrte!"
Zaidas Atem ging stoßweise. "Bitte!
Bringt mich zu den blauen Rosen! Es ist dringend! Mein Vater ist im Krieg
und er wird die blaue Rose brauchen."
"Euer Vater?" Traurigkeit spiegelten sich
in den Augen des Mannes wider. "So hat es euch niemand erzählt?"
"Was? Was denn?"
"Euer Vater ist tot. Er und seine Soldaten
sind vor drei Tagen in der Schlacht gefallen!"
Zaida wurde bleich. Langsam ließ sie
sich auf ihren Stuhl zurücksinken.
"Es tut mir Leid. Ich kannte euren Vater nicht,
aber das, was auf den Tod des Königs folgen wird, ist bekannt!"
"Gegen wen hat er eigentlich gekämpft?"
Zaidas Stimme war tonlos.
"Soweit ich weiß gegen den Lord Orkentahls!"
"Und dieser ist auf den Weg in unser Schloss,
richtig?"
Der alte Mann nickte. "Er wird sich nach und
nach alle größeren Burgen unterwerfen und zu guter letzte euer
Schloss einnehmen, Prinzessin! Dann gehört das ganze Territorium eures
Vaters ihm!"
"Und er wird nicht damit aufhören! Er
wird unsere Ritter und Männer in weitere Kämpfe verwickeln, bis
er den ganzen Kontinent erobert hat!"
Der Mann nickte erneut.
Nun sank Zaidas Kopf in ihre Hände und
sie begann zu schluchzen. "B-bitte! I-ihr mü-müsst - müsst
mir e-einfa-fach hel-helfen! Nu-nur"; sie schluckte und brachte somit den
Rest in einem Satz ohne sich mit Schluchzern zu unterbrechen hervor. "Nur
die blauen Rosen können unserem Land Frieden bringen!"
Der Mann nickte wieder und schlagartig wurde
ihm bewusst, was er eben getan hatte. "Nun... man kann die blauen Rosen
aber nur finden, wenn man die blaue Rose, also die Königin
der blauen Rosen, ist!"
"Aber ich habe sie nicht gefunden! Alle meine
Hoffnungen lagen bei euch!"
"Vielleicht weil ihr nicht wisst, wo ihr suchen
sollt."
"Und wo soll ich das eurer Meinung nach?"
Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. Ihr Gesicht war rot und verheult, doch
keine Träne lief mehr über ihre Wangen.
Der Gärtner schluckte. "Nun,... in eurem
Herzen und..." Plötzlich stand er auf. "Ihr und euer Gefährte
sollt mir folgen!"
Er warf den Rosenranken einen kurzen Blick
zu und sie zogen sich zurück, gaben die Tür wieder frei. "Ich
komme gleich nach!"
Zaida nickte erstaunt. Sie rannte nach draußen.
Opgèding kam ihr entgegen, sobald er sie erblickte. Erstaunt sah
sie sein verzweifeltes Gesicht und dann schloss er plötzlich seine
Arme um sie. "Ich - ich habe mir Sorgen um euch gemacht. Wo wart ihr?",
fragte er, sie fest umarmend.
Zaida ließ es über sich ergehen.
"Ich habe den Gärtner gefunden!"
Erstaunt schob Opgèding sie von sich
weg und sah in ihr verheultes Gesicht. "Den Gärtner? Und deshalb habt
ihr geweint."
Zaida schluckte und schüttelte den Kopf.
Leise und mit einem heftigen Kloß im Hals flüsterte sie: "Papa
ist tot. Lord Orkentahls wird in ein paar Tagen Schloss Meridiaen eingenommen
haben!"
Plötzlich brach sie erneut in Tränen
aus und vergaß alles um sich herum. Sie schmiegte sich an seine Brust,
wollte von ihm getröstet werden. Er tröstete sie, auch wenn sie
spürte, dass er selbst der Verzweiflung nahe war.
"Ist das der Gärtner?", fragte er plötzlich.
Zaida schluckte ihre restlichen Tränen
hinunter und drehte sich um. Dort kam der alte Mann. Zaida nickte.
"Wie heißt er." Zaida hörte erstaunt
das Misstrauen in seiner Stimme.
"Ich ... ich weiß nicht."
Der Gärtner gesellte sich neben sie,
er hatte einen Rucksack auf seinem Rücken.
"Wie nennt ihr euch?" Opgèdings Stimme
klang hart und ließ genau durchscheinen was er dachte.
"Lieber Hauptmann, in diesem Dorf nennt man
mich Olaf, doch eigentlich bin ich nur der Gärtner!"
"Olaf! Ich werde mir den Namen merken. Wo
befinden sich die blauen Rosen?"
"Ich werde sie dort hinführen, wenn sie
mir vertrauen."
"Du kannst ihm vertrauen, Opgèding!",
murmelte Zaida.
"Warum?"
"Weil ... er unsere einzige Chance ist!",
erwiderte sie.
"Stimmt mich nicht sehr zuversichtlich."
Olaf verdrehte die Augen. "Was ist? Kommt
ihr nun?"
Opgèding nickte scharf. Doch Zaida
schluckte schnell.
"Opgèding, ich glaube, es ist besser,
wenn ihr zurück nach Meridiaen reist!"
Bleich drehte sich der Hauptmann zu seiner
jungen Königin um. "Aber wieso das denn? Ich..."
Zaida unterbrach ihn schnell. "Irgendjemand
muss den Soldaten und Hauptmännern bescheid geben, dass Lord Orkentahls
auf dem Weg dorthin ist."
"Das kann einer der Männer aus diesem
Dorf machen."
"Ich vertraue ihnen nicht. Mir ist es lieber,
wenn ihr dort hin reitet. Bitte, Opgèding. Ich befehle euch das
nicht als Königin, ich bitte euch, als Freundin!"
Opgèding schluckte. "Ich werde tun,
was ihr von mir verlangt, Mylady. Aber mir behagt die Vorstellung nicht,
euch in den Händen dieses Gärtners zurückzulassen."
"Wenn er uns nicht helfen kann, dann sind
wir verloren, so oder so!"
Opgèding nickte. Dann küsste er
sie auf die Stirn. "Passt auf euch auf und kehrt bitte so schnell wie möglich
nach Meridiaen zurück!"
* * *
Olaf führte sie zu Fuß, während
Zaida hinter ihm her ritt. Sie vermisste Opgèding, aber sie wusste,
dass dies das einzig Richtige war. Die einzige Möglichkeit, ihr Land
zu retten!
Olaf führte sie drei Tage lang, fast
direkt an die Grenze in einen Wald. Schließlich stoppte er auf einer
Lichtung. Zaidas Gefühl sagte ihr, dass sie ihm vertrauen konnte,
dennoch fürchtete sie sich, fürchtete sich vor dem was geschehen
war und was geschehen konnte.
"Und jetzt?" Ein Zittern schwankte in ihrer
Stimme mit.
"Jetzt musst du es in deinem Herzen finden."
Und wie sollte das funktionieren? Zaida hatte
keine Ahnung. Sie seufzte und schloss ihre Augen. Langsam aber sicher spürte
sie Wärme in ihr aufsteigen. Keine aus Scham, nein! Wohltuende Wärme,
die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie hörte Olaf erstaunt
Luft ausstoßen und öffnete ihre Augen. Ihr Mund klappte auf.
Das durfte doch nicht wahr sein. Dort, wo vorhin noch Wald gewesen war,
stand nun ein schönes, großes Schloss und um sie herum war ein
Garten, voller blauen Rosen...
Zaida zuckte zusammen. Kaum war die Kraft
der Rosen in sie übergegangen konnte sie es spüren, die Veränderung,
das Treiben in ihrem Land. Ihr wurde schwindelig, abwechselnd heiß
und kalt. Tausende von Bildern zischten in ihrem Innern umher.
"Konzentriere dich auf das, was du sehen willst!",
riet Olaf, der genau zu wissen schien, was in ihr vorging.
Zaida nickte. Sie schloss die Augen und konzentrierte
sich auf Opgèding, auf Schloss Meridiaen. Sie sah das Schloss, voller
böswilliger Soldaten angefühlt. Lord Orkentahls hatte es eingenommen.
Sie war zu spät... Dann glitt das Bild hinüber zu Opgèding.
Er hatte diese drei Tage gebraucht um überhaupt zum Schloss zu kommen.
Ein Schrei entfuhr Zaidas Lippen. Weinend krümmte sie sich auf dem
Boden.
"Was habt ihr gesehen?" Olaf wirkte entsetzt.
"Mylady! Meine Königin!"
Zaida zitterte. Tränen rannen in Sturzbächen
über ihr Gesicht. "Lord Orkentahls hat Meridiaen eingenommen!"
Olaf wurde bleich. "Aber... Es ist noch nicht
zu spät! Sie können es zurück erobern!"
"Und mit welcher Armee?", erwiderte Zaida
kalt. "Meine Männer sind alle tot! Alle!"
"Auch ... ihr Hauptmann?"
Zaida nickte. Sie hatte es gesehen. Hatte
den Pfeil gesehen, der sich in seine Brust gebohrt hatte, hatte sein schmerzverzerrtes
Gesicht gesehen. Sie machte sich Vorwürfe. Warum hatte sie ihm befohlen
zu gehen, warum hatte sie ihm eigentlich nie gesagt, was sie für ihn
empfand. Ihr Herz zog sich zusammen.
"Ihr dürft nicht aufgeben!", befahl Olaf.
"Ihr müsst stark bleiben!"
Stark? Zaida fühlte sich nicht
stark. Dennoch breitete sich ein anderes Gefühl in ihr aus, ein Gefühl
des Hasses und der Rache. Sie wollte Rache. Wütend erhob sie sich.
"Passt auf den Garten auf!" Zaida sprach ruppig,
hart. Sie ging hinüber zu Pienna und schwang sich auf.
"Lauf, so schnell wie du nur kannst."
Sie stieß Pienna die Fersen hart in
den Bauch, sodass diese sich vor Schmerz aufbäumte und in einen schnellen
Galopp übersprang.
* * *
Sie ritt über die großen Ebenen,
den Fluss entlang nach Meridiaen. Tag, Nacht, das alles machte keinen Unterschied
mehr. Pienna brach beinahe unter ihr zusammen. Doch Zaida zwang sie unbarmherzig
noch schneller zu laufen. Sie war blind, blind vor Rache, Schmerz und Liebe.
Sie brauchte lediglich drei Tage, um Meridiaen zu erreichen. Sie hatte
den doppelten Weg in der gleichen Zeit zurückgelegt, wie Lord Opgèding.
Lord Orkentahls schien sie bereits zu erwarten.
Sie kam an der heruntergelassenen Zugbrücke an. Zögernd verlangsamte
Zaida den Gang Piennas. Im Schritt betrat sie den Schlosshof, vollkommen
ruhig. Niemand war zu sehen. Oder doch. Zaida zog ihr Schwert aus der Scheide.
"Zeig dich! Elender Schweinehund."
"Beleidige nicht unseren Herrn!", kam es zurück.
Von wo konnte Zaida nicht erkennen, doch sie
wusste, dass Lord Orkentahls einen Zauber über seine Soldaten gehängt
hatte. Mit einem Augenzwinkern ihrerseits war der Zauber verschwunden.
Nun sah sie all die Soldaten, die überall um sie herum standen, ihre
Waffen hoch erhoben. Zaida ließ nur ein kurzes Lachen ertönen
und schnipste mit dem Finger. Die Waffen der Soldaten erhoben sich von
selbst und töteten ihre Träger. Ächzend sank jeder einzelne
der Soldaten in die Knie. Zaida war umgeben von Leichen doch das störte
sie nicht mehr. Sie ließ sich von ihrem Pferd gleiten und durch die
Leichen hindurch und betrat das Schlossinnere. Ihre Schritte hallten einsam
und allein in der riesigen Halle wider. Sie achtete nicht darauf, ging
ohne sich umzusehen auf den Thronsaal zu. Mit einem Fußtritt ließ
sie die Tür aufgehen. Die Hauptmänner waren darauf vorbereitet.
Mit gezückten Schwertern rannten sie auf das junge Mädchen zu.
"Halt!", ertönte plötzlich eine
Stimme. Wütend steckten die Soldaten ihre Schwerter in die Scheiden
zurück.
Ein dünner Mann erhob sich, vielleicht
Mitte vierzig, vielleicht jünger. Er war einer der Menschen, denen
man das Alter nicht ansah.
"Gehe ich richtig in der Annahme, dass ihr
Lord Orkentahls seid?"
Der Lord nickte. "Ja, das bin ich!"
"Dann befehle ich euch, verschwindet aus meinem
Land oder ihr werdet die Macht der blauen Rose zu spüren bekommen."
Der Lord erhob sich lachend. "Mylady, ihr
seid eine ausgezeichnete Kämpferin und mit eurer Gabe seid ihr noch
dazu im Stande eine Armee von tausenden zu töten! Aber deshalb werde
ich mir noch lange keine Befehle von euch erteilen lassen. Dazu seid ihr
zu jung, ihr seid ja noch nicht einmal volljährig."
"Doch! Seit gestern!", erwiderte sie wütend.
"Und es ärgert mich, dass ich euretwegen mit niemandem als mit meinem
Pferd meinen achtzehnten Geburtstag verbringen konnte!"
"So, dann seit ihr nun also volljährig?"
"Und bereit, Meridiaen und seine Ländereien
zu befehligen!"
Lord Orkentahls lachte wieder, obwohl Zaida
Angst in seinen Augen lesen konnte. "Nun, dann lasst uns das wie Männer
... ich meine", er hüstelte unter einem leichten Kicheranfall und
seine Männer begannen ebenfalls lauthals zu lachen. "Ruhig!", befahl
er ihnen augenblicklich zornig. "Ich meinte natürlich...", wandte
er sich somit wieder an Zaida, "...wie Erwachsene austragen! Bringt mir
mein Schwert!"
Zaida zog ihr eigenes. Einen Zweikampf
wollte er also? Nun, das konnte er haben!
Nun standen sie sich gegenüber. Der Mörder
ihres Vaters und Erzfeind ihres Königreiches. Sie ging sofort in den
Angriff über. Mühelos parierte er jeden ihrer stürmischen
und unüberlegten Angriffe. Zwar zwängte sie ihn somit in die
Defensive, wurde aber immer müder. Plötzlich fiel ihr ein, was
Opgèding einst zu ihr gesagt hatte:
"Nicht so stürmisch! Bei dem Kraftaufwand
haltet ihr nicht lange durch!"
Sie wurde ruhiger, ihre Angriffe geschmeidiger.
Das Schwert war für sie wie eine Verlängerung ihres Armes und
dann hatte sie ihn, schlug ihm einfach die Hand ab. Erstaunt sah er sie
an. Er hatte zwar noch seine rechte Hand, doch sie stellte sich auf das
Schwert, welches Blutbeschmiert war und hinderte ihn somit daran, es wieder
aufzunehmen. Stattdessen hielt sie ihm ihre Klinge an die Kehle.
"Wenn du zustößt... Dann töten
sie ihn!", schrie er plötzlich. Zaida drehte sich um und wurde bleich.
Einige Männer hielten Opgèding fest, ein Schwert an seine Brust
geheftet und lachten sie aus. Im ersten Moment schlug ihr Herz vor Freude,
doch im gleichen Moment wurde sie sich der Lage bewusst, in der er sich
befand. Sie würde ihn riskieren müssen, aber das konnte sie doch
nicht!
"Tötet ihn!", schrie Lord Orkentahls
in dem Moment.
Zaida schrie auf, als einer der Männer
sein Schwert in das Herz ihres Freundes stieß. Tränen rannen
ihr in Sturzbächen übers Gesicht.
Lord Orkentahls ließ sich ein neues
Schwert geben und schlug das ihre beiseite. Machtlos und ohnmächtig
vor Schmerz und Trauer sank sie auf die Knie, ließ das Schwert neben
sich nutzlos baumeln und ihren Kopf auf ihre Brust gleiten. Lord Orkentahls
holte Schwung, bereit ihr den Kopf abzuschlagen, doch als er mit seiner
Scheide den Hals berührte, zersplitterte das Schwert. Zaida, plötzlich
von erneuter Rache überwogen, sprang auf, wirbelte herum und schlug
ihr Schwert in Lord Orkentahls’ Magen. Er erstarrte, spuckte Blut auf die
Klinge und sank in sich zusammen. Immer noch weinend zog Zaida das Schwert
wieder heraus. Seine Soldaten flohen von Angst gepackt. Zaida ging hinüber
zu Opgèding. Sie weinte lange um ihn. Nun hatte sie gar niemanden
mehr, dem sie hätte vertrauen können, außer vielleicht...
* * *
"Nach Hauptmann Opgèdings Tod bin ich
hierher zurückgekehrt und habe alle formellen Angelegenheiten abgeklärt,
damit ich zur Königin wurde. Ich hatte dich schon fast vergessen,
muss ich ehrlich zugeben. Doch dann kam dein Brief... Ich habe mich sehr
gefreut und dich wie du weißt sofort zu mir eingeladen." Zaida lächelte
zaghaft.
Auch Aurora lächelte und sah in das Gesicht
Zaidas. Es erinnerte sie sehr an ihre Mutter, auch wenn sie wusste, dass
sie selbst ihrer Mutter kein bisschen ähnlich sah.
"Du mochtest ihn, nicht wahr? Schwesterherz?"
"Wen?", erwiderte Zaida tonlos.
"Opgèding."
Zaida schwieg zuerst. Doch dann, langsam,
als wäre sie sich selbst noch nicht ganz darüber im Klaren, antwortete
sie: "Ja, ich mochte ihn sehr... Aber das ändert nichts an seinem
Tod."
Sie drehte sich nun gänzlich zu ihrer
Schwester um, sodass sich die beiden gegenüber standen.
"Ich ... habe die Erlebnisse vorher niemandem
erzählt ... das ist meine Lebensgeschichte..."
"Eine traurige Lebensgeschichte!", murmelte
Aurora.
Plötzlich lachte Zaida auf. "Es wird
besser werden! Ich bin jetzt vierundzwanzig und Königin! Ich habe
noch einiges vor mir! Los komm! Du hast mir sicherlich auch einiges zu
erzählen! Wir werden uns zum Essen begeben!"
"Ja!", erwiderte Aurora und lächelte
ebenfalls.
Zaida war wirklich genau wie ihre Mutter.
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