Der kleine Schmetterling ließ sich sanft
von einer Brise treiben, segelte auf und ab wie ein Blatt auf den Wellen
des Flusses, bevor er sich auf einer der Blüten auf der riesigen Wiese
niederließ. Sanft beschien die Sonne die Blumen, welche den kleinen
Bach umsäumten. Ein Reh blickte sich scheu um, sicherstellend, dass
ihm keine Gefahr droht. Nachdem es sicher schien, dass niemand in der Nähe
war, senkte es sein Haupt, um etwas zu trinken... All dies nahm Servait
in sich auf. Wie sie es ihm gelehrt hatte, wartete er. Wartete auf den
Moment, da die Wachsamkeit nachlassen würde... Da, es fing an zu trinken.
Nun konnte es nicht sehen, was hinter ihm vorging. Dies war die Chance,
auf die er gewartet hatte. Er sprang auf von dem Felsen, auf dem er nun
schon seit einer Ewigkeit (vielleicht fünf Minuten, für ihn schon
eine Ewigkeit) lauerte, und flog so schnell er konnte Richtung Essen. Das
Fliegen hatte er ja zum Glück begriffen. War ja auch nicht schwer...
und er Erinnerte sich...
"Los" sagte sie, "spring, das schaffst du schon!"
Obwohl sie nun schon seit geraumer Zeit auf ihn einredete, weigerte sich
irgendetwas in ihm, dem Wunsch (?) nachzukommen... "und wenn ich runterfalle
und mir weh tu?" fragte er. "Ich meine, das ist hier schon ziemlich hoch...
oder?"
Innerlich seufzte Fechrigna. Wie lange wollte
der Kleine sich noch an dem Stein festklammern? Sie hatte es im Guten mit
ihm versucht und ihm einen kleinen Stupser (oder was Drachen darunter verstehen)
gegeben, wie man es halt so macht, um einen kleinen Drachen dazu zu bewegen,
von einer Anhöhe zu springen und zu begreifen wie man fliegt... aber
der gewünschte Effekt war ausgeblieben. Anstatt seine Flügel
auszubreiten hatte Servait doch glatt alle viere von sich gestreckt und
klammerte sich nun an einer Felskante fest...
"Du tust dir schon nicht weh. Glaub mir. Da
kann nichts passieren. Solltest du es diesmal nicht schaffen, dann landest
du weich. Immerhin ist da unten ja ein See..." und da begriff sie, dass
sie einen Fehler gemacht hatte...
"WAS? Ein See? Wasser? HILFE! Hol mich hier
runter. Ich will nicht ins Wasser fallen!" Nun fing er an zu schreien als
wäre er in einem Dornenbusch gelandet und könnte nicht mehr raus.
Sie konnte dies gut vergleichen, weil genau DAS gestern passiert war...
ob er es jemals schaffen würde...? So langsam verlies sie (zum wiederholten
male mit ihm) die Geduld. Stinksauer rief sie: "Jetzt lass endlich los!"
"NEIN, ich will nicht!" jammerte er zurück.
"JETZT lass endlich den Stein los und spring! Verdammt noch mal, jetzt
tu endlich, was ich dir sage!" schrie sie... ihr Geduldsfaden war nun merklich
am Ende.
"Nein, ich bin noch nicht soweit..." rief
er zurück, seine Stimme klang dabei, als würde er gleich weinen.
Jetzt reicht´s, dachte sie. Er wird
da jetzt runter kommen, dafür würde sie schon sorgen.
Mit Schwung erhob sich Fechrigna vom Boden
und flog in Richtung des kleinen Quälgeistes. Etwa auf gleicher Höhe
mit ihm hielt sie mit ihrem Flug inne und schwebte vor ihm.
"Danke, Fechrigna, ich wusste, dass du mir
helfen würdest... hol mich hier runter" sagte Servait deutlich erleichtert.
"Klar helf ich dir runter", sagte sie, "was wär ich denn für
eine Lehrerin, wenn ich dich hier hilflos hängen lassen würde?"
Bevor Servait auch nur ein Wort des Dankes
sagen konnte, drehte sich Fechrigna plötzlich um die eigene Achse
und schlug mit ihrem langen Schwanz mit aller Kraft gegen die Felswand,
worauf hin sich ein Teil löste und den Weg in die Tiefe antrat...
es erübrigt sich zu sagen, dass Servait sich an eben jenem Teil festgeklammert
hatte.
Er schrie noch einmal kurz auf bevor er im
Wasser aufschlug. Für Fechrigna mag es keine Höhe gewesen sein,
für einen Menschen/kleinen Drachen/Servait waren 10 Meter aber schon
etwas Gewaltiges...
Kaum im Wasser angekommen ging das Geschrei
aber auch schon weiter. "HILFE" schrie er nun "Hilfe, ich ertrinke! Du
weißt doch, dass ich nicht schwimmen kann..." ...er war in Panik.
Überall Wasser um ihn herum. Vor ihm, hinter ihm, unter ihm... Servait
wurde fast Wahnsinnig vor Angst... und da hörte er das Gelächter...
"Nun guckt euch mal dieses Baby an" sagte
jemand. "So was dummes hab ich ja noch nie gesehen" sagte ein anderer.
Helft mir doch, dachte Servait, seht ihr denn nicht, dass ich ertrinke?
"Hey, Flattermann, das Wasser ist so flach, dass du stehen kannst..." sagte
wieder die erste Stimme "Sag bloß, das hast du nicht gemerkt?" Für
einen Moment wurde Servait noch vom Entsetzen gehalten... dann aber streckte
er sich vorsichtig nur um einen Moment später fest auf dem (logischerweise
nassen) Boden zu stehen... war das Peinlich.
Er drehte sich um und... da standen sie. Drei...
ja, was waren das eigentlich? Es waren Drachen, das konnte er sehen, aber
solche wie die hatte er noch nie gesehen. Grün waren sie, fast so
groß wie er... und... sie hatten keine Flügel! "Wer seid Ihr?"
fragte er. "Was wollt ihr von mir?"
"Nun, ich bin Sumpfläufer. Und das",
er deutete auf die beiden Drachen hinter sich, "sind Fang und Springer."
Warum grinsten die drei nur so? Waren die etwa auf Ärger aus?
Servait wurde nervös bei dem Gedanken
und dachte bei sich: Hey, auf Ärger hab ich keine Lust, ich verschwinde
besser... und begann sich zu konzentrieren. Wenn er sich richtig konzentrierte,
wenn er alles richtig machen würde, wäre er gleich schon eine
Wolke, konnte einfach verschwinden, ohne dass ihn jemand oder etwas halten
konnte. Wenn er nur... und da bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Er
konnte nicht verschwinden. Konnte keine Wolke werden... warum bloß?
Da traf ihn die Erkentnis: Er war voll Wasser.
Nass, ekelig nass. Und aus dem Grund konnte er sich nicht in Luft auflösen...
er musste also kämpfen. Aber drei gegen einen? War das fair?
"He Leute, ich will keinen Streit..." weiter
ließen sie ihn nicht kommen. "Aber wir. Du großer hässlicher
Flattermann sitzt in unserem Wasser. Das schmeckt uns jetzt bestimmt nicht
mehr. Und daher gibt’s jetzt mal was auf deine übergroßen Lauscher!"
Prompt ließ der, der sich Sumpfläufer nannte, seinen Worten
Taten folgen und schlug mit seiner Klaue so feste auf Servaits Nase, dass
dieser erneut mit einem Teil seines Kopfes im Wasser untertauchte. Kaum
war er wieder über Wasser, wurde er auch schon wieder runter gedrückt.
"Na, wie gefällt dir das, du fliegendes Würmchen? Hältst
dich wohl für was besseres, bloß weil du Flügel hast?"
Wie hatte er ihn genannt? Würmchen? Und
nun war Servait sauer. Immerhin, ein Würmchen war er nicht, damit
das mal ein für alle Mal klar ist. Wütend schob er sich (mit
dem Kopf noch teils unter Wasser) vor, hob den anderen Drachen hoch und
schleuderte ihn über seinen Rücken Richtung Felswand. Sumpfläufer
hatte sich noch nicht ganz aufgerappelt da war Servait auch schon über
ihm.
"ICH-BIN-KEIN-WÜRMCHEN! Merkt euch das,
ein für alle Mal!" Wie zum unterstreichen hieb er mit seinem Kopf
(er hätte auch seine Klauen nehmen können, aber so war’s deutlicher)
auf den seines Kontrahenten ein. "Fang, Springer, helft mir! Der dreht
hier voll durch..." rief Sumpfläufer noch, aber da erkannte
er auch schon, dass er von seinen beiden Begleitern keine Hilfe erwarten
konnte... beide verharrten ganz ruhig auf der Stelle, unter dem wachsamen
Blick von Fechrigna. "Wie war das?" fragte sie. "Wolltet ihr euch etwa
zu dritt auf den Kleinen stürzen? Mal abgesehen davon, dass ihm so
eine Lektion nicht schaden könnte, seid ihr Drei garantiert die Falschen
dafür... und JETZT macht, dass ihr weg kommt!"
Als hätten Sie auf das Kommando gewartet,
begannen die beiden Drachen, die eben noch ruhig und bewegungslos dagesessen
hatten, zu rennen. Und das verdammt schnell. So schnell hatte Servait noch
niemanden laufen sehen... Auch Sumpfläufer rappelte sich auf und lief
von dannen... gerade als er fast außer Sicht war, drehte er sich
noch einmal um und rief: "Beim nächsten Mal bist du fällig, Würmchen..."
Kaum hatte Servait diese Worte vernommen, packte ihn erneut die Wut. Jetzt
würde er es ihm zeigen, wozu er in der Lage war.
Er fing an zu rennen, schneller als er zuvor
rannte... Er berührte bei der Verfolgung des Beleidigers kaum den
Boden, fast als würde er fliegen. Fast? Nein, in diesem Augenblick
erkannte Servait: "ICH KANN FLIEGEN" rief er laut.
Unter sich konnte er die Landschaft erkennen,
wie sie in einem schnellen Muster unter ihm vorbei zog. Was fühlte
er sich in diesem Augenblick erhaben und alle Panik, die er zuvor noch
bei dem Gedanken, den sicheren Boden zu verlassen, noch hatte, war verflogen.
Von hier oben (ok, es mögen vielleicht drei Meter Höhe gewesen
sein, für ihn schon gewaltig) erschienen ihm alle Wesen noch kleiner
als sie ohnehin schon waren. Was waren schon all die kleinen Hasen, Füchse
und Vögel gegen ihn, Servait den fliegenden Blauen Drachen? Nichts.
Er fühlte sich nun... unbesiegbar. Genau das war das Wort... UNBESIEGBAR!
Und noch während er all dies bedachte, war er in auch schon über
dem Laufdrachen, der ihn eben beleidigt hatte...
Achja, dachte er, das war ein Spaß. Erst
das Fliegen, dann der kleine Kampf mit dem Laufdrachen, und dann der Rückflug
zu Fechrigna. Diesmal war es ihm leichter gefallen abzuheben. Es war ja
so einfach. Warum hatte sie ihm nicht eher gesagt, wie einfach das ist?
Klar hatte sie nichts gesagt, kein Wort über seine wahrlich einzigartige
Art zu fliegen, aber er war sich sicher: Sie war stolz auf ihn, denn immerhin
hatte er begriffen, wie man fliegt. Es war ein herrliches Gefühl,
all die Last, die das Laufen mit sich bringt, abzuwerfen und sich einfach
in die Lüfte zu erheben. So über allem Schwebend, unerreichbar,
unbesiegbar... da wurde ihm wieder klar, dass er doch wegen etwas anderem
hier war... war da nicht... im nächsten Moment wurde er jäh aus
seinen Gedanken gerissen, als er mit dem Kopf voraus gegen einen Baum flog.
Nicht nur hatte er das Reh verfehlt, nein, er war sogar noch weiter geflogen
bis zum Rand des kleinen Tals, durch den der kleine Bach seine Bahn zog...
...bei den Menschen gibt es ein Sprichwort,
erinnerte sich Fechrigna: Der Klügere gibt nach... dass in diesem
Fall wohl der Baum der Klügere war, überraschte sie nicht im
Geringsten. Und als sie sah, wie sich der kleine Blaue Drache erst langsam
aufrappelte, die Reste der Baumkrone zur Seite schlug und dann (zum wiederholten
Male heute) anfing zu heulen, war sie sich in einer Sache sicher.
"Das wird noch eine lange, SEHR lange Zeit
dauern, bis der Kleine erwachsen ist..."
© Veritas
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