Die Geschichte des jungen Drachen Servait von Veritas
Kapitel 2: ...was wird

Der kleine Schmetterling ließ sich sanft von einer Brise treiben, segelte auf und ab wie ein Blatt auf den Wellen des Flusses, bevor er sich auf einer der Blüten auf der riesigen Wiese niederließ. Sanft beschien die Sonne die Blumen, welche den kleinen Bach umsäumten. Ein Reh blickte sich scheu um, sicherstellend, dass ihm keine Gefahr droht. Nachdem es sicher schien, dass niemand in der Nähe war, senkte es sein Haupt, um etwas zu trinken... All dies nahm Servait in sich auf. Wie sie es ihm gelehrt hatte, wartete er. Wartete auf den Moment, da die Wachsamkeit nachlassen würde... Da, es fing an zu trinken. Nun konnte es nicht sehen, was hinter ihm vorging. Dies war die Chance, auf die er gewartet hatte. Er sprang auf von dem Felsen, auf dem er nun schon seit einer Ewigkeit (vielleicht fünf Minuten, für ihn schon eine Ewigkeit) lauerte, und flog so schnell er konnte Richtung Essen. Das Fliegen hatte er ja zum Glück begriffen. War ja auch nicht schwer... und er Erinnerte sich...

"Los" sagte sie, "spring, das schaffst du schon!" Obwohl sie nun schon seit geraumer Zeit auf ihn einredete, weigerte sich irgendetwas in ihm, dem Wunsch (?) nachzukommen... "und wenn ich runterfalle und mir weh tu?" fragte er. "Ich meine, das ist hier schon ziemlich hoch... oder?"
Innerlich seufzte Fechrigna. Wie lange wollte der Kleine sich noch an dem Stein festklammern? Sie hatte es im Guten mit ihm versucht und ihm einen kleinen Stupser (oder was Drachen darunter verstehen) gegeben, wie man es halt so macht, um einen kleinen Drachen dazu zu bewegen, von einer Anhöhe zu springen und zu begreifen wie man fliegt... aber der gewünschte Effekt war ausgeblieben. Anstatt seine Flügel auszubreiten hatte Servait doch glatt alle viere von sich gestreckt und klammerte sich nun an einer Felskante fest...
"Du tust dir schon nicht weh. Glaub mir. Da kann nichts passieren. Solltest du es diesmal nicht schaffen, dann landest du weich. Immerhin ist da unten ja ein See..." und da begriff sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte...
"WAS? Ein See? Wasser? HILFE! Hol mich hier runter. Ich will nicht ins Wasser fallen!" Nun fing er an zu schreien als wäre er in einem Dornenbusch gelandet und könnte nicht mehr raus. Sie konnte dies gut vergleichen, weil genau DAS gestern passiert war... ob er es jemals schaffen würde...? So langsam verlies sie (zum wiederholten male mit ihm) die Geduld. Stinksauer rief sie: "Jetzt lass endlich los!"
"NEIN, ich will nicht!" jammerte er zurück. "JETZT lass endlich den Stein los und spring! Verdammt noch mal, jetzt tu endlich, was ich dir sage!" schrie sie... ihr Geduldsfaden war nun merklich am Ende.
"Nein, ich bin noch nicht soweit..." rief er zurück, seine Stimme klang dabei, als würde er gleich weinen.
Jetzt reicht´s, dachte sie. Er wird da jetzt runter kommen, dafür würde sie schon sorgen.
Mit Schwung erhob sich Fechrigna vom Boden und flog in Richtung des kleinen Quälgeistes. Etwa auf gleicher Höhe mit ihm hielt sie mit ihrem Flug inne und schwebte vor ihm.
"Danke, Fechrigna, ich wusste, dass du mir helfen würdest... hol mich hier runter" sagte Servait deutlich erleichtert. "Klar helf ich dir runter", sagte sie, "was wär ich denn für eine Lehrerin, wenn ich dich hier hilflos hängen lassen würde?"
Bevor Servait auch nur ein Wort des Dankes sagen konnte, drehte sich Fechrigna plötzlich um die eigene Achse und schlug mit ihrem langen Schwanz mit aller Kraft gegen die Felswand, worauf hin sich ein Teil löste und den Weg in die Tiefe antrat... es erübrigt sich zu sagen, dass Servait sich an eben jenem Teil festgeklammert hatte.
Er schrie noch einmal kurz auf bevor er im Wasser aufschlug. Für Fechrigna mag es keine Höhe gewesen sein, für einen Menschen/kleinen Drachen/Servait waren 10 Meter aber schon etwas Gewaltiges...
Kaum im Wasser angekommen ging das Geschrei aber auch schon weiter. "HILFE" schrie er nun "Hilfe, ich ertrinke! Du weißt doch, dass ich nicht schwimmen kann..." ...er war in Panik. Überall Wasser um ihn herum. Vor ihm, hinter ihm, unter ihm... Servait wurde fast Wahnsinnig vor Angst... und da hörte er das Gelächter...
"Nun guckt euch mal dieses Baby an" sagte jemand. "So was dummes hab ich ja noch nie gesehen" sagte ein anderer. Helft mir doch, dachte Servait, seht ihr denn nicht, dass ich ertrinke? "Hey, Flattermann, das Wasser ist so flach, dass du stehen kannst..." sagte wieder die erste Stimme "Sag bloß, das hast du nicht gemerkt?" Für einen Moment wurde Servait noch vom Entsetzen gehalten... dann aber streckte er sich vorsichtig nur um einen Moment später fest auf dem (logischerweise nassen) Boden zu stehen... war das Peinlich.
Er drehte sich um und... da standen sie. Drei... ja, was waren das eigentlich? Es waren Drachen, das konnte er sehen, aber solche wie die hatte er noch nie gesehen. Grün waren sie, fast so groß wie er... und... sie hatten keine Flügel! "Wer seid Ihr?" fragte er. "Was wollt ihr von mir?"
"Nun, ich bin Sumpfläufer. Und das", er deutete auf die beiden Drachen hinter sich, "sind Fang und Springer." Warum grinsten die drei nur so? Waren die etwa auf Ärger aus?
Servait wurde nervös bei dem Gedanken und dachte bei sich: Hey, auf Ärger hab ich keine Lust, ich verschwinde besser... und begann sich zu konzentrieren. Wenn er sich richtig konzentrierte, wenn er alles richtig machen würde, wäre er gleich schon eine Wolke, konnte einfach verschwinden, ohne dass ihn jemand oder etwas halten konnte. Wenn er nur... und da bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Er konnte nicht verschwinden. Konnte keine Wolke werden... warum bloß?
Da traf ihn die Erkentnis: Er war voll Wasser. Nass, ekelig nass. Und aus dem Grund konnte er sich nicht in Luft auflösen... er musste also kämpfen. Aber drei gegen einen? War das fair?
"He Leute, ich will keinen Streit..." weiter ließen sie ihn nicht kommen. "Aber wir. Du großer hässlicher Flattermann sitzt in unserem Wasser. Das schmeckt uns jetzt bestimmt nicht mehr. Und daher gibt’s jetzt mal was auf deine übergroßen Lauscher!" Prompt ließ der, der sich Sumpfläufer nannte, seinen Worten Taten folgen und schlug mit seiner Klaue so feste auf Servaits Nase, dass dieser erneut mit einem Teil seines Kopfes im Wasser untertauchte. Kaum war er wieder über Wasser, wurde er auch schon wieder runter gedrückt. "Na, wie gefällt dir das, du fliegendes Würmchen? Hältst dich wohl für was besseres, bloß weil du Flügel hast?"
Wie hatte er ihn genannt? Würmchen? Und nun war Servait sauer. Immerhin, ein Würmchen war er nicht, damit das mal ein für alle Mal klar ist. Wütend schob er sich (mit dem Kopf noch teils unter Wasser) vor, hob den anderen Drachen hoch und schleuderte ihn über seinen Rücken Richtung Felswand. Sumpfläufer hatte sich noch nicht ganz aufgerappelt da war Servait auch schon über ihm.
"ICH-BIN-KEIN-WÜRMCHEN! Merkt euch das, ein für alle Mal!" Wie zum unterstreichen hieb er mit seinem Kopf (er hätte auch seine Klauen nehmen können, aber so war’s deutlicher) auf den seines Kontrahenten ein. "Fang, Springer, helft mir! Der dreht hier voll durch..." rief  Sumpfläufer noch, aber da erkannte er auch schon, dass er von seinen beiden Begleitern keine Hilfe erwarten konnte... beide verharrten ganz ruhig auf der Stelle, unter dem wachsamen Blick von Fechrigna. "Wie war das?" fragte sie. "Wolltet ihr euch etwa zu dritt auf den Kleinen stürzen? Mal abgesehen davon, dass ihm so eine Lektion nicht schaden könnte, seid ihr Drei garantiert die Falschen dafür... und JETZT macht, dass ihr weg kommt!"
Als hätten Sie auf das Kommando gewartet, begannen die beiden Drachen, die eben noch ruhig und bewegungslos dagesessen hatten, zu rennen. Und das verdammt schnell. So schnell hatte Servait noch niemanden laufen sehen... Auch Sumpfläufer rappelte sich auf und lief von dannen... gerade als er fast außer Sicht war, drehte er sich noch einmal um und rief: "Beim nächsten Mal bist du fällig, Würmchen..." Kaum hatte Servait diese Worte vernommen, packte ihn erneut die Wut. Jetzt würde er es ihm zeigen, wozu er in der Lage war.
Er fing an zu rennen, schneller als er zuvor rannte... Er berührte bei der Verfolgung des Beleidigers kaum den Boden, fast als würde er fliegen. Fast? Nein, in diesem Augenblick erkannte Servait: "ICH KANN FLIEGEN" rief er laut.
Unter sich konnte er die Landschaft erkennen, wie sie in einem schnellen Muster unter ihm vorbei zog. Was fühlte er sich in diesem Augenblick erhaben und alle Panik, die er zuvor noch bei dem Gedanken, den sicheren Boden zu verlassen, noch hatte, war verflogen. Von hier oben (ok, es mögen vielleicht drei Meter Höhe gewesen sein, für ihn schon gewaltig) erschienen ihm alle Wesen noch kleiner als sie ohnehin schon waren. Was waren schon all die kleinen Hasen, Füchse und Vögel gegen ihn, Servait den fliegenden Blauen Drachen? Nichts. Er fühlte sich nun... unbesiegbar. Genau das war das Wort... UNBESIEGBAR! Und noch während er all dies bedachte, war er in auch schon über dem Laufdrachen, der ihn eben beleidigt hatte...

Achja, dachte er, das war ein Spaß. Erst das Fliegen, dann der kleine Kampf mit dem Laufdrachen, und dann der Rückflug zu Fechrigna. Diesmal war es ihm leichter gefallen abzuheben. Es war ja so einfach. Warum hatte sie ihm nicht eher gesagt, wie einfach das ist? Klar hatte sie nichts gesagt, kein Wort über seine wahrlich einzigartige Art zu fliegen, aber er war sich sicher: Sie war stolz auf ihn, denn immerhin hatte er begriffen, wie man fliegt. Es war ein herrliches Gefühl, all die Last, die das Laufen mit sich bringt, abzuwerfen und sich einfach in die Lüfte zu erheben. So über allem Schwebend, unerreichbar, unbesiegbar... da wurde ihm wieder klar, dass er doch wegen etwas anderem hier war... war da nicht... im nächsten Moment wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen, als er mit dem Kopf voraus gegen einen Baum flog. Nicht nur hatte er das Reh verfehlt, nein, er war sogar noch weiter geflogen bis zum Rand des kleinen Tals, durch den der kleine Bach seine Bahn zog...

...bei den Menschen gibt es ein Sprichwort, erinnerte sich Fechrigna: Der Klügere gibt nach... dass in diesem Fall wohl der Baum der Klügere war, überraschte sie nicht im Geringsten. Und als sie sah, wie sich der kleine Blaue Drache erst langsam aufrappelte, die Reste der Baumkrone zur Seite schlug und dann (zum wiederholten Male heute) anfing zu heulen, war sie sich in einer Sache sicher.

"Das wird noch eine lange, SEHR lange Zeit dauern, bis der Kleine erwachsen ist..."
 

© Veritas
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Und schon geht es hier weiter zum 3. Kapitel... :-)

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