Die Geschichte des jungen Drachen Servait von Veritas
Kapitel 5: Das Lied des Windes (3)

"Wenn du einen Schatz gefunden hast gibst du ein Zeichen, ja?" lachte die Stimme.

"Hab ich nun auch noch den Verstand verloren?" fragte sich Servait.
"Keine Ahnung, wie sah er denn aus?" ... schon wieder diese Stimme.
"Bist du ein Geist?" sagte er in die Luft, den Hals gestreckt, um die Umgebung besser im Auge behalten zu können. Jetzt lachte die Stimme. "Nein, ich bin ein Drache."

"...ja, aber wo bist du?" fragte er nun beunruhigt. Obwohl er die ganze Umgebung genau absuchte konnte er den Ursprung der Stimme nicht bestimmen. War er beim Sturz auf seinem Kopf gelandet und hatte nun Ähnliche Probleme wie damals, als er nach einem Gleitversuch auf dem Bauch landete und beim essen anschließend...
"Hinter dir" sprach die Stimme, nun deutlich näher... so nahe, dass Servait vor Schreck in die Luft sprang.

Hätte er besser aufgepasst, wäre ihm klar gewesen, dass sich über ihm ein Felsvorsprung befand und so wurde ihm dieser Fehler schmerzhaft bewusst. Ein Regen aus Steinchen (wenn man knapp Menschenkopf große Felsen als Steinchen bezeichnen kann) ging auf den am Boden liegenden Drachen nieder. Nun konnte sich der andere Drache nicht mehr beherrschen. Lachend rollte er sich am Boden, was Servait erst recht wütend machte. "Über wen lachst du denn so?" fragte er und ging auf den am Boden liegenden Drachen zu... bis er auf einem der Steine ausrutschte und der Länge nach hinschlug...

"Hör auf, bitte", sagte der andere Drache, "ich krieg schon keine Luft mehr", deutlich nach Luft schnappend.

"Was lachst du so? Ich brech mir vor Schreck fast den Hals, beiß mir fast die Zunge ab und du lachst nur?" sagte er, nun eindeutig sauer.

Nun setzte sich der andere Drache aufrecht hin (damit meinen wir alle Viere auf dem Boden, Flügel angewinkelt und den Hals hufeisenmäßig nach vorn geneigt) und Servait konnte ihn sich nun genau ansehen.

Blau war er. Also zumindest hatten die Schuppen einen bläulichen Schimmer. Fast so wie meine, dachte er. Die Leichte Weißfärbung der Brust und Bauchschuppen wirkte für ihn so wie die Wolken am blauen Himmel. Fast schon elegant saß er da.
Und diese Augen... Servait hatte ja schon funkelnde Steinchen gesehen. Aber nicht einmal die Sterne am Himmel funkelten so. Gelb waren sie... und es war keine Verachtung darin zu sehen, auch keine Wut... eher... Interesse an irgendetwas. Irgendjemand hatte ihn schon mal so angeschaut... aber wer?

"Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich war nur neugierig. Du warst es, der mir geantwortet hat, oder?"

Diese Frage überraschte Servait. "Wie? Das warst du? Ich hätte nicht gedacht, dass ein anderer Drache so schön singen kann!"

Verlegen legte der andere den Kopf zur Seite "Naja, eine Freundin sagte mal, dass ich so am besten ein nettes Männchen finden würde. Denn wer sich die Mühe macht und einem Lied folgt, der kann nicht so schlecht sein..."

Und wieder war Servait verwirrt. "Warum machst du dir die Mühe einen anderen männlichen Drachen zu suchen? Willst du kämpfen oder wie?"

Nun war es der andere Drache der verwirrt dreinschaute. "Wieso anderes Männchen? Hältst du mich etwa dafür?" Scheinbar war er sauer... obwohl... er? "Du meinst, du bist ein weiblicher Drache?" fragte Servait leicht verwirrt und beschämt ob dieser Frage.

"Also das darf doch nicht wahr sein. Sag bloß, du siehst das nicht sofort?" sprach sie wütend.

"Es tut mir leid, wirklich" sagte er als er auf sie zuging "aber ich habe, naja, ich habe noch nie so jemanden wie dich gesehen... naja, abgesehen wenn ich mal in einen See blicke."

"Das ist die Höhe. Willst du dich mit mir vergleichen? Ich bin viel eleganter als du. Meine Schuppen sind viel feiner als deine und außerdem..."

"Hast du schöne Augen!" unterbrach Servait. Doch was war das? Warum sah sie ihn so komisch an? Hatte sie was ins Auge bekommen?

"Wirklich?" fragte sie "Du findest meine Augen schön?" und schloss ihre Flügel eng um die Brust. "Und was fällt dir sonst an mir auf?" fragte sie und reckte ihren Kopf dem seinen entgegen. Mit etwas Abstand stoppte sie und betrachtete ihn eingehender.

"Naja," sagte Servait schnuppernd, "du riechst komisch... aber eine bekannte Drachin riecht fast genauso."

Leicht grinsend zog sie ihren Kopf zurück und schaute ihn von der Seite an. "Also kennst du doch Drachinnen?"

"Ja, und sie bringt mir viel bei" sagte Servait leicht stolz. Mit allem hätte er gerechnet, bloß nicht, dass sie ihn so ansehen würde. "Was schaust du denn jetzt so?"

"Sie bringt dir viel bei? Was denn alles? Ist sie denn... nett zu dir?" fragte sie, nun einen leicht verwirrten Ausdruck im Gesicht. "Natürlich ist sie nett. Sie hat mir beigebracht zu fliegen; wie ich essbare Tiere am besten fange oder dass ich diese dornigen Tiere nicht essen sollte... solche Dinge eben. Und natürlich ist sie nett zu mir... als ich das letzte mal wieder versucht habe so ein Stachelding zu essen war sie die ganze Nacht da und hat mit angeglühten Steinen meinen Bauch gewärmt."

Einen Moment lang sahen sie einander an. Wieder fielen ihm ihre Augen auf. Gelblich funkelnden Juwelen gleich waren sie. Kein Vergleich zu den Augen von Fechringa. Diese hier waren... warm und gutmütig.

"Sag mal" unterbrach sie die Stille "wie heißt du eigentlich? Also ich heiße Crystal."

Crystal? Was für ein schöner Name, dachte er. 

"Ich lebe drüben am Steilen Hang, da wo morgens der Nebel so schön leuchtet."

"Und ich bin Servait. Ich lebe im Tal, nahe dem Fluss, wo der Wald anfängt. Da gibt’s eine Höhle neben dem Fluss, von wo ich gut das Tal überblicken kann, wenn ich Hunger kriege."

"Das Tal, wie? Da flieg ich nicht gern hin. Ich mag zuviel Gesellschaft nicht. Daher lebe ich hier."

"Wovon lebst du hier bitte? Ich meine, hier laufen nicht grade viele Tiere rum..." stellte Servait erstaunt fest. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Steine essbar waren.

"Es gibt mehr als du glaubst. Es gibt hier Ziegen, Vögel und andere Nagetiere. Du musst nur wissen wo du suchen musst." Sie sah ihn fragend an, so als könnte sie Gedanken lesen. "Kann es sein, dass du Hunger hast? Wenn du möchtest, kann ich dir ja mal zeigen, wie man in dieser Gegend hier was zu essen findet." Dabei drehte sie sich um und schritt davon.

"Warte, lass mich hier nicht allein!" Rief Servait panisch. Denn schon war sie dabei zu verschwinden.

"Keine Sorge" sagte sie mit einem Lachen, das ihm fast wie Spott vorkam, "du musst mir einfach nur folgen..."

Um sie nicht zu verlieren lief er schnell hinter her.

***

Auf einem kleinen grasigen Hang fanden die beiden was sie gesucht hatten. Was zum essen.

Ein paar Gebirgsziegen waren gerade dabei, das ohnehin schon dürftige Gras weiter zu reduzieren.

Mit einem Flüstern, welches dem Wind gleichkam, erklärte sie ihm die wichtigen Details.

"Also, hast du verstanden? Auf keinen Fall dürfen sie dich hören. Das gesehen werden braucht dich im Moment nicht zu stören. Denk daran, der Nebel hier ist eines Nebeldrachen bester Freund." sie klang fast schon erzieherisch.

Soweit war ihm alles klar, nur eine Sache ging ihm nicht aus dem Kopf...

"Und was sind noch mal Nebeldrachen?" ... wären sie nun nicht dabei was zu essen zu beschaffen, sie hätte sich spätestens jetzt auf ihn gestürzt, um ihn erneut zu belehren.

"Zum letzten Mal, ich bin ein Nebeldrache. Und als solche erkenne ich andere allein schon am Geruch. Auch wenn sie längere Zeit sich nicht aktiv als solche betätigt haben." Sie fragte sich, ob es überhaupt einen Sinn hatte (außer etwas in den Magen zu bekommen) ihm das Jagen im Gebirge zu erklären. Scheinbar vergaß er alles schneller als sie es ihm erklären konnte.

"Und da ich ein Nebeldrache bin kann ich zu Nebel werden?" fragte er erstaunt... und das obwohl er grade selbiges war. Ihm kam ein Gedanke, wagte es aber nicht ihn laut aus zu sprechen. Scheinbar reagierte sie gereizt wenn er solche Fragen stellte, die ihn vor Rätsel stellten (zum Beispiel warum es manchmal regnete oder wohin denn der Nebel zum Schlafen ging), für sie aber scheinbar völlig logisch waren.

Nebeldrachen können Nebel werden. An und für sich schon erstaunlich. Aber wenn dies wahr ist... können dann Moordrachen sich in Moor verwandeln oder Felsdrachen in Felsen... er würde sie bei nächster Gelegenheit danach fragen.

"Ja genau, und wie du gemerkt hast, ist es ein ganz einfacher Weg dahin. Wenn du es richtig kannst ist es wie das Schlucken vom Essen." Immerhin, so sagte sie sich, war er zumindest dazu in der Lage...
"So, zurück zum schönen Teil des Tages. Also, was habe ich gesagt wie wir zwei das am einfachsten machen?"

Servait dachte kurz nach... "Also, ich geh runter auf die Wiese so leise ich kann, dann zeige ich mich und versuche mir einen der Hornspringer zu schnappen..." Eigentlich sahen die ja ganz lecker aus wenn er darüber nachdachte...

"So weit so gut Servait. Und wenn die anderen dann wegrennen schnappe ich mir ein bis zwei, die in meine Richtung laufen." Leichter geht es eigentlich nicht. Außer die leckeren Eier, welche man einfach aus den Nestern nehmen kann, gab es nichts einfacheres, um was in den Bauch zu bekommen. Das waren ihre Gedanken, als sie ihn beim Anpirschen zusah… so weit so gut.

Er schlich so leise er konnte Richtung Wiese... Dass er leise war, lag allein schon daran, dass er im Moment keine feste Form besaß. Fast schon zu einfach. Dennoch, mehr als einmal hatte er das Gefühl, diese Tiere könnten ihn sehen. Obwohl, konnten die überhaupt denken? Wenn die wirklich denken könnten würden die sicher nicht hier oben leben...

So, es war soweit. Er war fast an der richtigen Stelle. Nun würde er zeigen können, was er drauf hat. Wenn er es schaffen würde, würde sie ihm dann noch mehr von der Gegend zeigen? Obwohl... warum dachte er jetzt an so was? Warum wühlte es ihn innerlich so auf, an sie zu denken? Vielleicht weil sie ihm so ähnlich war? Noch nie war er einem Drachen begegnet, der nicht nur (genau wie er) blau war sondern auch noch wie er sich in Luft auflösen konnte... was sie wohl von ihm hielt...

Es kam wie es kommen musste. Von einem Moment auf den anderen wurde ihm klar, wo er sich befand. Nicht mehr auf der Wiese, leider auch nicht auf den Felsen... denn da war etwas, das er noch nicht gelernt hatte. Wenn er sich nicht richtig zusammenriss, wurde er wieder zum Drachen. So auch jetzt.

Ihm blieb nicht einmal Zeit zum schreien, als er Kopf voran in die Tiefe stürzte.

Nun hielt es auch Crystal nicht mehr an ihrem Platz. So schnell ihre Flügel sie trugen flog sie hinab zu ihm.

Da lag er nun, doch er atmete noch. Tja, so einem Dickschädel macht ein kleiner Sturz nichts aus. Aus seinen Erzählungen, was er alles gelernt habe, wurde ihr klar, warum man sich um ihn kümmern musste. Sein Verstand war wohl noch nicht so weit, um alles in der Welt zu verstehen. Für ihn war es schon etwas besonderes, morgens die Sonne aufgehen zu sehen oder die Sterne am Himmel zu bewundern.

Irgendwie beneidenswert, dieses Unbeschwertsein.

Die alte Drachendame, bei der er lebte, war bewundernswert. Sie hätte nicht die Geduld, ihm alles von null auf immer neu zu erklären...

"Hey Kleiner, alles noch dran?" fragte sie vorsichtig. Er stöhnte leise vor sich hin.

"Tut mir Leid, dass ich dir das Essen verdorben habe..." wimmerte er, fast schon den Tränen nah. "Das ist jetzt schon das dritte mal, dass ich nicht aufgepasst habe..."

"Tja, dann merke es dir fürs nächste Mal: Achte darauf, wohin du dich begibst, sonst steckst du schnell in Schwierigkeiten. Das ist ein sehr guter Rat von meiner Mutter." sagte sie zu ihm. Nicht tadelnd, mehr um ihn (und sich selbst) abzulenken.

"Du hast es gut. Du kennst die Drachen, die du als Eltern bezeichnen kannst..." antwortete er ihr, fast schon wieder den Tränen nahe als er den Schatten bemerkte. "Da kommt jemand. Ich glaube du solltest besser..." wollte er noch zu ihr sagen, musste aber feststellen, dass sie bereits verschwunden war. Verschwunden insofern, dass er sie nicht mehr normal sehen konnte, jedoch
irgendwie wusste, dass sie noch immer da war...

Er erhob sich schnell, um gewappnet zu sein, falls der oder die andere auf Streit aus war. Dummerweise war dies genau das, was sein Körper in seiner Situation nicht mitmachen wollte. Wie dem auch sei, es kam ihm vor, als würde der Schatten immer weiter anwachsen und alles verdecken was er sah...

Danach wurde es noch dunkler um ihn und er bekam nichts mehr mit.

***

Der erste Gedanke: Das tat weh. Man kann es sich vorstellen als würde man aus einem tiefen Gewässer aufsteigen. Das Licht wird stärker und plötzlich kommen die Geräusche. Je weiter er aus den Tiefen seiner Bewusstlosigkeit auftauchte, desto schlimmer wurde es bis er dann die Oberfläche durchstieß und wach wurde. Das, in Verbindung mit einem schmerzenden Kopf, kommt der Hölle gleich.

Servait stöhnte auf als er wach wurde.

"Na, endlich wach?" sprach die Stimme. "Hast dir übel den Kopf gestoßen, Kleiner."

Da wurde ihm klar, wer da sprach. "Fechringa, bist du das?"

"Wer soll es sonst sein. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht." sprach sie mit beruhigender Stimme auf ihn ein. "Aber jetzt ist alles wieder gut. Schlaf noch etwas, ich bin draußen wenn du mich suchen solltest." sagte sie und begab sich nach draußen.

Eine Weile blieb er noch liegen, dann aber ging er Richtung Höhleneingang. Ein jeder Schritt war eine Qual. Sein Magen tat ihm weh, fast so als habe er schon wieder ein Stacheldings verschluckt. Irgendwie schaffte er es aber. Draußen saß Fechringa mit einem anderen Drachen zusammen. Über was sie wohl sprachen? Leise redeten sie, so leise, dass er nichts hören konnte.

Worüber reden die wohl so leise? Einen Moment sah er ihnen noch zu wie sie da saßen, dann blickte er sich um...

Seltsam, es kommt mir vor, als würde mich jemand beobachten... aber er sah nur im Osten Nebel aufsteigen, der der aufgehenden Sonne wich. Da er wusste, dass das helle Licht seinen Kopfschmerzen nicht gut tun würde, wand er sich zurück zur Höhle als er wieder die Stimme von Crystal im Wind hörte...

"Komm mich doch mal wieder besuchen. Und dann können wir ja zu Ende bringen, was wir begonnen haben. Es gibt noch viel was ich dir beibringen könnte. Ich würde mich über deinen Besuch freuen. "

Servait nickte heftig und bereute es quasi sofort als ihm übel wurde... die ganze Sache mit dem Essen würde er sich noch mal durch den Kopf gehen lassen...

***

Als sie das Ergebnis hörte schüttelte sie den Kopf. "Ich hab ihm gesagt, dass er schlafen sollte. Selbst schuld."

Es war fast Zufall gewesen, dass sie ihn gefunden hatten. Sie befanden sich schon fast auf dem Rückweg und hatten die Hoffnung schon aufgegeben als sie ihn schließlich zwischen ein paar Felsen liegend fanden. Eigentlich seltsam. In dieser Gegend waren sie nicht unterwegs gewesen... naja, wahrscheinlich ist der arme kleine herumgeirrt, hungrig und verlassen. Ja, es ist schon das Beste, dass sie auch weiterhin auf ihn aufpassen würde... irgendwann mal würde er gehen, aber so lange, das nahm sie sich vor, würde sie auf ihn aufpassen müssen...

"Es könnte schlimmer sein. Immerhin hat er nur eine leichte Kopfverletzung. Mal was anderes: Wie kommt es eigentlich, dass dein Kleiner so blaue Schuppen hat?" fragte Tengis, während er seinen Hals an ihren anlehnte.

"Tja, ich habe eben einen guten Geschmack" sagte sie leicht kichernd, während sie dem Klang des Windes lauschte... als würde jemand singen...
 

© Veritas
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Und sicher geht es hier bald weiter zum 6. Kapitel...

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