Nach der verheerenden Niederlage der Wasserriesen
rannte die Armee der Feinde in genauso wütenden wie sinnlosen Versuchen
gegen den Stamm von Wolkenstadt an. Aber keiner der Angreifer besaß
die gewaltigen Kräfte der Riesen, so dass sie keinen Schaden anrichten
konnten, sondern nur einen riesigen Blutzoll für ihre blinde Wut zu
zahlen hatten. Die Verteidiger bombardierten sie mit allem, dessen sie
habhaft werden konnten, und schon bald türmten sich die Körper
der Toten am Fuße des Stammes zu einem riesigen Haufen. Der Rest
der Armee zog sich widerwillig aus der Reichweite der Verteidiger zurück
und tat das einzig Richtige: Sie zogen in die Richtung ab, aus der sie
gekommen waren.
In Wolkenstadt herrschte Feiertagsstimmung.
Saromir hatte den magischen Schutzwall wieder in sich zusammen fallen lassen,
was für alle Einwohner der Stadt das Zeichen war, dass keine Gefahr
mehr für sie bestand. Nun rannten sie alle auf die Strassen und Plätze,
schwenkten Fahnen oder tanzten einfach vor Freude darüber, dass die
tödliche Gefahr, die sie alle bedroht hatte, abgewendet worden war.
Jahn hatte keine ruhige Minute mehr. Jeder
wollte ihm auf die Schulter klopfen, die Hand schütteln oder ihn wenigstens
freundschaftlich in die Arme schließen, so dass er sich schon bald
fühlte, als wäre er zwischen zwei Mühlsteine geraten. So
nett all diese Gesten gemeint waren, sie waren für Jahn gefährlicher
als alle Wasserriesen zusammen genommen, und hätte ihn Soltan nicht
energisch am Arm gepackt und in sein Schloss manövriert, hätten
ihn die Freudenkundgebungen der Wolkenstädter noch ernsthaften Schaden
zugefügt.
Kaum hatten sich die Pforten von Soltans Residenz
hinter ihnen geschlossen, ließ sich Jahn an der nächstbesten
Wand auf den Boden hinunter rutschen. So viel war in den letzten Stunden
auf ihn eingestürzt, dass sein Körper nun mit Nachdruck sein
Recht verlangte und zumindest seine Beine den Dienst quittierten.
Jahn war in der Vergangenheit nie sehr sportlich
gewesen. Schon der Weg zur Schule stellte für ihn eine Herausforderung
dar, so dass er immer froh gewesen war, wenn sein Vater ihn mit dem Auto
gefahren hatte. Wie oft er von seinen Klassenkameraden gehänselt worden
war, wenn er bei einem Dauerlauf keuchend und krebsrot im Gesicht an der
Seite gesessen hatte, konnte er schon gar nicht mehr zählen. Kein
Wunder, dass er jetzt erst mal eine kleine Pause einlegen musste. Dabei
war es weniger die körperliche Anstrengung, die nun ihren Tribut forderte,
sondern eher die ungeheure Anspannung, die jetzt wie eine Zentnerlast von
ihm abfiel. Bis jetzt hatte er nur gehandelt und dabei keine Zeit gefunden,
wirklich über seinen Triumph nach zu denken, aber jetzt...
Soltan wartete geduldig, bis sich Jahn wenigstens
einigermaßen erholt hatte, dann sagte er:
"Eigentlich wollte ich mit dir über Drachen
reden, aber ich glaube, es ist besser wenn ich dich erst mal auf dein Zimmer
bringe, damit du dich ausruhen kannst."
Jahn war noch so erledigt, dass er den Worten
des Magisters kaum folgen konnte. Trotzdem nickte er und erhob sich mühsam,
um Soltan zu folgen. Das nächste, woran er sich deutlich erinnern
konnte, war, dass er in ein Bett gelegt und eine Türe vorsichtig geschlossen
wurde. Jahn fand nicht einmal mehr Zeit, sich seiner verstaubten Kleidung
zu entledigen, bevor er in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Er erwachte am nächsten Morgen mit schmerzendem
Genick und einem tauben Gefühl im rechten Arm, auf dem er anscheinend
die ganze Nacht gelegen hatte. Mühsam rappelte er sich auf und versuchte,
sich den schmerzenden Nacken und den Arm gleichzeitig zu massieren. Langsam
schlurfte er zum Fenster und warf einen verschlafenen Blick hinaus.
Mit einem Schlag war er hellwach, und sogar
die Schmerzen waren für den Moment vergessen, als sein Verstand, der
sich anscheinend noch mitten in der Tiefschlafphase befunden hatte, mit
folgendem Bild konfrontiert wurde:
Das Fenster gewährte einen Ausblick auf
den riesigen Innenhof der Burg. Jahn schätzte, dass er sich mindestens
im fünften Stockwerk befinden musste. Und inmitten des Platzes saß...
Hormar, in ein ernstes Gespräch mit Soltan vertieft. Das Bild erschien
Jahn so unwirklich, dass er sich verwundert die Augen rieb. Aber auch danach
hockte der Drache da und plauderte mit einem Menschen, den er wenige Stunden
zuvor am liebsten in Stücke gerissen hätte.
Jahn traute seinen Augen nicht. Alle seine
Erfahrungen, die er bisher in seinem Leben gemacht hatte, sprachen gegen
eine solch plötzliche Versöhnung. Aus Feinden wurden nicht einfach
Freunde, das hatte man ja am Beispiel der Amerikaner und Russen gesehen,
die sich ein ganzes Zeitalter lang bedroht hatten. Und nur deshalb nicht
übereinander hergefallen waren, weil jeder wusste, dass keiner der
beiden diesen Krieg überlebt hätte. Das Bild im Hof erinnerte
ihn an eine Katze, die vor dem Mauseloch saß, jederzeit bereit, zuzuschlagen,
sobald auch nur ein Härchen des Opfers zum Vorschein kommen sollte.
Und kaum dass die Maus eine Pfote herausstreckte, griff die Katze zu und...
drückte sie an ihr Herz? Nein. Jahn wusste nicht, wie dieses Treffen
zustande gekommen war, aber eines stand für ihn hundertprozentig fest:
Einer der beiden - oder alle beide - hatten irgendwelche düsteren
Hintergedanken. So schön der Gedanke an neue Freundschaft und Versöhnung
auch war, Jahn konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.
So schnell er konnte, rannte er zur Tür
und stürmte auf den Gang hinaus. Beinahe wäre sein Weg schon
hier beendet gewesen, denn der Gang war nur drei Schritte breit und er
musste sich mit beiden Händen an der gegenüberliegenden Wand
abstützen, um nicht mit dem Kopf dagegen zu knallen, so viel Schwung
hatte er mitgebracht. Willkürlich rannte er nach rechts weiter, in
der Hoffnung, dort die Treppe zu finden, über die er gestern Abend
nach oben geführt worden war. Dieses Vorhaben erwies sich als nicht
so einfach, wie Jahn gehofft hatte, und mehrmals musste er umdrehen, da
sich ihm eine versperrte Tür in den Weg stellte. So kostete es ihn
gut zehn Minuten, bevor er keuchend und schwitzend den Innenhof betrat.
Hormar wandte ihm den Rücken zu und verdeckte Soltan, der vor ihm
stand. So blieb Jahn die Peinlichkeit erspart, in seinem jetzigen Zustand
gesehen zu werden.
Nach einer Minute hatte er sich so weit erholt,
dass er es wagte, auf die beiden Sprechenden zuzugehen. Seine Schritte
hallten auf dem Steinboden, so dass sich Hormar umdrehte, noch bevor Jahn
die halbe Strecke zurückgelegt hatte. Ein sehr nachdenklicher Ausdruck
lag auf dem Gesicht des Drachen, der jedoch verschwand, als er Jahn erkannte.
"Ah, die Toten stehen wieder auf", begrüßte
er Jahn. "Guten Morgen, Kleiner. Ich dachte schon, du willst bis in alle
Ewigkeit weiterschlafen."
"Was tust du hier?" fragte Jahn. Er war viel
zu aufgeregt und, wie er sich widerwillig eingestehen musste, auch zu neugierig,
um sich auf small talk einzulassen. Einen kleinen Moment lang wurde Hormars
Blick stechend, doch dann entspannte er sich wieder.
"Ich führe hier ein äußerst
wichtiges Gespräch, Junge, bei dem ich eigentlich nicht gestört
werden wollte. Aber da du nun schon einmal da bist, kannst du gleich zuhören.
Es betrifft dich nämlich genauso wie mich, vielleicht auf jeden Fall."
In der Zwischenzeit war Jahn um den Drachen
herum gelaufen, so dass er auch von Soltan gesehen wurde.
"Ich grüße dich, Drachenreiter.
Darf ich dich einladen, hier bei uns Platz zu nehmen?"
Jahn schwante schon wieder fürchterliches.
Eigentlich hatte er sich auf einige Tage der Ruhe gefreut, sich vielleicht
etwas die Stadt ansehen, am See zu sitzen und sonst einfach nur nichts
zu tun. Aber das Gesicht des Magisters ließ ihn schon ahnen, dass
daraus nichts werden würde. Und auch Hormar warf ihm immer wieder
bezeichnende Blicke zu, sobald der Drach meinte, Jahn würde es nicht
sehen. So würde ein Vater seinen Sohn anschauen, wenn er ihm etwas
äußerst unangenehmes sagen musste. Er hatte also doch recht
gehabt. Die beiden hatten Hintergedanken, nur dass sie sich allem
Anschein nach nicht gegeneinander, sondern eher gegen ihn richteten...
Hormar war sein Freund, dessen war sich Jahn
ganz sicher. Aber er hatte einige Angewohnheiten, die ihn immer wieder
störten: Zum Beispiel schlitterte Jahn, seit er den Drachen kannte,
von einem Abenteuer ins andere. Dabei wollte er im Grunde nur eins: So
schnell wie möglich wieder nach Hause zu seinen Eltern und seiner
Schwester. Er wollte kein Held sein, und schon gar keiner wider Willen.
Und doch hatte er das sichere Gefühl, dass ihm wieder ein Abenteuer
bevor stand, und das schon sehr bald.
"...du ihm überhaupt zu?" fragte Hormar
mit einem Unterton in der Stimme, der deutlich machte, dass er diese Frage
nicht zum ersten mal stellte. Jahn schaute sich verwirrt um und versuchte,
wieder von den düsteren Gedanken in die Realität zurück
zu finden.
"Entschuldigt bitte. Was habt ihr gerade gesagt?"
Jahn schaute verlegen von Hormar zu Soltan und wieder zurück.
"Ich sagte, dass ich Hormar die Geschichte
vom Beginn der Drachenkriege erzählt habe. So wie es wirklich war,
nicht das, was die Leute gerne glauben - oder die Drachen."
"Dann war es also nicht so, dass die Drachen
die Menschen grundlos überfallen haben?" fragte Jahn.
"Nein, nicht wirklich. Aber es ist genauso
falsch zu behaupten, dass die Menschen den Krieg ohne Grund begonnen hätten,
wie es die Drachen behaupten." Diese Worte des Magisters wurden von einem
scharfen Blick in Hormars Richtung begleitet. Anscheinend waren sich die
beiden doch noch nicht ganz grün.
"Wie dem auch sei, ich werde dir in kurzen
Worten erzählen, was damals wirklich geschah. Es war am Ende einer
glücklichen Zeit, während der unsere beiden Völker harmonisch
nebeneinander und miteinander gelebt hatten. Unsere Kinder haben mit den
Drachenjungen gespielt und nicht wenige Drachen hatten ihre Nester bei
uns in der Stadt. Sie beschützten uns vor den Gefahren, denen wir
sonst ausgeliefert gewesen wären, als uns noch kein magischer Schutzschirm
zur Verfügung stand und wir versorgten sie mit Nahrung. Du hast bestimmt
schon gemerkt, dass Drachen sehr genügsam sind, nicht wahr? Ein paar
Kühe hier und da, und schon waren sie für lange Zeit zufrieden.
Glaube bloß den Gerüchten nicht, dass Drachen sich nur von Jungfrauen
ernähren und auf Schätzen schlafen, das ist alles bloß
Unsinn, erfunden von Leuten, die... aber ich schweife ab.
Eines Tages brachten die Drachen einen Fremden
hier herauf, mehr tot als lebendig. Wir pflegten ihn gesund und ließen
ihn bei uns wohnen. Er erwies sich als wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft,
denn er verstand viel vom Pflegen der Kranken. Auf die Frage, wo er das
gelernt hatte, sagte er stets, er sei ein Priester der Ersten Stunde. In
Wirklichkeit, so haben wir später erfahren, hat er seine Heilkünste
in einem Söldnerheer erworben.
Was weißt du über das Goldene Ei
Des Ersten Drachen?"
Jahn war so perplex angesichts dieses abrupten
Themenwechsels, dass er einige Sekunden brauchte, um seine Gedanken zu
sortieren.
"Äh, eigentlich gar nichts. Sollte ich?"
antwortete er.
Soltan warf Hormar einen ungläubigen
Blick zu, der sagte ’jetzt ist er schon so lange hier und du hast ihm nichts
erzählt’ und den Hormar mit einem gelangweilten Schulterzucken beantwortete.
"Also gut, dann werde ich es dir in aller
Kürze erklären. Drachen waren die ersten Geschöpfe, die
sich in grauer Vorzeit auf diesem Planeten niedergelassen haben. Woher
sie kamen wissen heute nicht einmal mehr die Ältesten von ihnen. Aber
was von Generation zu Generation überliefert wurde ist das Wissen
um das Goldene Ei.
Diese Welt war nicht immer so, wie sie heute
ist, Drachenreiter. Früher, als es noch keine Drachen gab, war sie
eine leere, öde Wüste. Keine Pflanze konnte in der sengenden
Sonne überleben und kein Lebewesen hier sein Dasein fristen. Aber
die Drachen brachten ein goldenes Ei mit sich. Ein Artefakt von derartig
großer Magie, dass es enorm gefährlich war, es auch nur anzusehen.
Dieses Ei steckte voll von Lebenskraft. Und diese Kraft konnte es an die
Umgebung abgeben. So entstand zuerst eine kleine Oase rund um das Ei, die
sich aber immer weiter ausbreitete und schließlich war Aretin ein
blühender Garten. Und jetzt rate einmal, wo der Standort dieses Eis
war, Drachenreiter:"
Jahn überlegte kurz.
"Doch nicht etwa hier? In Wolkenstadt, oder?"
"Genau richtig, junger Freund. Unsere Vorfahren
waren die Beschützer des Goldenen Eis Des Ersten Drachen. Es stand
über Jahrmillionen hinweg auf einem Felssockel im See. Bis zu jener
Zeit, als der Fremde hier auftauchte."
"Ich glaube, jetzt verstehe ich den Zusammenhang."
warf Jahn ein, stolz darauf, die Verbindung zwischen den Geschichten selber
gefunden zu haben. "Der Fremde hat das Ei gestohlen. Und damit den Krieg
ausgelöst, oder nicht?"
"Nicht ganz", antwortete Soltan. "Eines Nachts
wurden unsere Vorfahren von einem lauten Krachen und Platschen geweckt.
Die Erde bebte und zitterte, als wollte das ganze Plateau zusammenbrechen.
Erschrocken liefen sie hinaus und mussten feststellen, dass der Felssockel
im See verschwunden war. Und am Ufer des Sees standen der Fremde und ein
junger Drache, die sich heftigst stritten. Um es kurz zu machen" - hier
atmete Jahn erleichtert auf - "die beiden beschuldigten sich gegenseitig,
das Ei gestohlen zu haben. Du kannst dir nicht vorstellen, was für
eine Schande der Verlust des Eis für uns bedeutete. Natürlich
wurde das gesamte Plateau sofort abgesucht und buchstäblich jeder
Stein herumgedreht, aber es blieb verschwunden. Nun schoben sich Menschen
und Drachen gegenseitig die Schuld für dieses schreckliche Ereignis
zu. Die Situation eskalierte immer mehr und daraus entstand der Krieg,
der bis heute andauerte."
Nachdenklich schaute Jahn in die Richtung,
in der der See liegen musste.
"Habt ihr auch dort im Wasser gesucht?" Soltan
wirkte einen Moment lang ärgerlich und Jahn musste sich eingestehen,
dass diese Frage zumindest unnötig gewesen war, vorsichtig gesagt.
"Natürlich. Wir haben jeden Fisch getötet
und aufgeschlitzt, der groß genug war, das Ei zu verschlucken. Wir
haben jeden Meter des Grundes abgegrast, aber nichts gefunden. Das Ei ist
verschwunden, wahrscheinlich für alle Zeiten."
Soltan schien bei diesen Worten in sich zusammen
zu fallen. Aus dem starken Herrscher über eine ganze Stadt war durch
einige Worte und Erinnerungen ein gebrochener Mann geworden, der sich am
liebsten vor Scham in ein Mauseloch verkrochen hätte. Dabei konnte
er nun wirklich nichts dafür, dass irgendwelche seiner Vorfahren einen,
wenn auch zugegebenermaßen schlimmen Fehler gemacht hatten. In einem
versteckten Winkel von Jahns Gedächtnis regte sich der Ausdruck 'Sippenhaft',
nur dass in diesem Fall nicht nur die Familie, sondern alle folgenden Generationen
für etwas büßen mussten, was Irgendjemand, der wahrscheinlich
schon längst tot und wieder zu Staub zerfallen war, verbrochen hatte.
Und dabei wusste niemand genau, wer dieses Verbrechen begangen hatte. Jahn
empfand tiefes Mitleid mit diesem Mann, der sein Leben lang mit einem Makel
leben musste, ohne Aussicht darauf, ihn jemals wieder los zu werden. Und
den er von Generation zu Generation weitergeben würde. Unwillkürlich
fragte sich Jahn, ob Soltan wohl Kinder hatte.
Jahn wandte sich flüsternd an Hormar,
hauptsächlich, um sich von Soltan abwenden zu können.
"Was wird geschehen, wenn das Ei nicht wieder
gefunden wird?"
"Schau dich um", antwortete der Drache. "Die
Steppe hat wieder Einzug gehalten rund um die Wolkenstadt. Es hat lange
gedauert, bis sich die Natur geschlagen geben musste, aber nun ist es soweit.
So wie zuvor das Leben von hier ausgegangen ist, so wird sich nun der Tod
ausbreiten - immer vorausgesetzt, es stimmt, was Soltan uns erzählt
hat."
"Denkst du, er belügt uns? Warum sollte
er das tun?" fragte Jahn erstaunt.
"Wer weiß, was für Hintergedanken
die Menschen haben. Aber das nur nebenbei. Wichtiger ist, dass du noch
nicht nach dem Namen des jungen Drachen gefragt hast, der dabei war, als
das Ei verschwand." Hormar sah Jahn bei diesen Worten auffordernd an. Anscheinend
erwartete er, dass der Junge selbst auf die Antwort kam. Nun kannte Jahn
außer Hormar nur einen Drachen mit Namen. Nämlich...
"Xarkur! Du willst damit sagen, dass er..."
Jahn konnte nicht weitersprechen, als er sich die Folgen dieser Entdeckung
vorstellte. Xarkur nicht nur mit dem Schlüssel der Weltenwanderer,
sondern auch noch mit einem Artefakt, das über Leben und Tod entscheiden
konnte, das war unvorstellbar.
"Genau der" antwortete Hormar und nickte mit
dem Kopf.
"Was für eine Ironie des Schicksals",
sagte Jahn. "Gestern hättet ihr euch noch am liebsten die Köpfe
eingeschlagen und heute müsst ihr euch verbünden, um gegen einen
gemeinsamen Feind zu kämpfen. Manchmal hat das Schicksal einen eigenartigen
Sinn für Humor, nicht wahr?"
"Humor?!" Hormar spuckte das Wort regelrecht
aus. "Wenn das der Humor des Schicksals ist, möchte ich seinen Hass
nicht kennen lernen. Aber du hast recht. Du weißt es, ich weiß
es, und auch Demian wird es noch herausfinden, auch wenn er sich jetzt
noch dagegen wehrt. Wir haben jetzt ein gemeinsames Ziel, wenn auch aus
verschiedenen Gründen, und das heißt: Xarkur!"
Die große Ratsversammlung begann genau
eine Woche nachdem die Schlacht um die Stadt geschlagen worden war. Saromir
selbst hatte Jahn die Einladung dazu auf einem grünlichen Blatt Papier
überreicht.
"Du weißt, wie wichtig dieses Treffen
sein wird, Drachenreiter. Alle Würdenträger Wolkenstadts werden
da sein, um darüber zu entscheiden, wie wir gegen Xarkur vorgehen
werden. Deine Erfahrungen werden von größter Wichtigkeit sein."
Jahn fühlte sich nicht ganz wohl bei
dem Gedanken, schon wieder eine entscheidende Rolle bei einer derartig
weitreichenden Entscheidung zu spielen. Schließlich ging es um nicht
weniger als das Leben und Sterben von Tausenden von Menschen - und anderen
Lebewesen - fügte er in Gedanken hinzu. Natürlich hatte er früher
davon geträumt, ein großer Held zu sein und wilde Abenteuer
zu erleben, aber das hätten eigentlich Träume bleiben sollen,
wie bei jedem anderen kleinen Jungen auch. Hier, in der Wirklichkeit, war
alles so schrecklich kompliziert. Jede Entscheidung konnte Menschen das
Leben kosten. Alles, was er tat - oder auch nicht tat - konnte sowohl Gutes
wie auch Böses nach sich ziehen. Wie sollte er die richtige Entscheidung
treffen?
Trotzdem fand er sich pünktlich in Saromirs
Schloss ein, in dessen großem Saal die Beratung stattfinde sollte.
© Wilddrache
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