Feldzug ins Unbekannte von Wolfgang König

Er stand nun da, mitten im Lagerraum. Am Boden nur die leeren Kisten und Stoffrollen, in denen die Rationen liegen sollten: "Könnt ihr mir das erklären?" Der kleine vollbärtige Mann hinter ihm schwitzte, trotz der kühlen Frühlingsluft, und rieb sich nervös die Hände: "Sir, ich... ich gehe davon aus, ...dass die Vorräte entwendet wurden." Er drehte sich zu dem kleinen Mann um: "Wozu brauche ich wohl Wachen? Wisst ihr auch dafür einen Grund?", er schaute den kleinen Mann zornig an. "Herr General, vielleicht... vielleicht waren es... Ratten..." Er trat einen Schritt auf den kleinen Mann zu und tippte mit seiner linken Hand auf seine Schwertscheide: "Ratten, sagt ihr also..." Stille trat ein. Der General hörte schon, wie der Mann am ganzen Leib zitterte. Es klopfte am Türrahmen des Raumes: "Herr General?" Er schaute auf. Der Dienstbote salutierte: "Eure Eminenz, der König erwartet euch in den königlichen Gemächern!" Mit geräuschvollem Schritt ging der General, den zitternden Mann musternd, zur Tür hinaus.

Er trat von einer goldenen Pforte in die nächste, während die Wachen an diesen immer salutierten. Dann trat der General durch die letzte, größte Pforte und stand in dem gigantischen Thronsaal des Königs. Einige Meter vor ihm stand, auf einem Podest, der goldene Thron, mit Krone und Reichsapfel auf ihm posiert. Der General schaute zur Seite: An einem Schreibtisch saß der König, sein Blick schien der Verzweiflung nahe: "General Rayton, es gibt leider nur schlechte Neuigkeiten." Der General schritt mit fragendem Gesicht auf den König zu. Dieser erhob sich: "Ihr wisst wohl bescheid, dass ein Ungeheuer, ich wage mich schon gar nicht mehr, seit Monaten von Westen her unsere Ländereien angreift. Ich schickte zwar vor drei Monaten General Joesy mit einer kleinen Truppe nach Westen, doch Joesys wohlerzogenes Pferd kam heute Morgen allein und verletzt hier an. Ich befürchte das Schlimmste. Da ich allerdings nicht zusehen kann, wie die Ländereien zerstört werden, möchte ich euch beauftragen." General Rayton schaute auf den Boden: "Wie viel Mann hatte Joesy?" "Er nahm einhundert Söldner." "Zweihundert werden sicherlich auch nicht reichen, ich brauche für einen Erfolg mindestens Fünfhundert!" Der König atmete schwer aus: "Nehmt dreihundert von euren Lanzknechten, ich schicke euch fünfzig Musketenschützen, einhundert Reiter und noch fünfzehn Geschütze. - Ich habe übrigens auch von eurer Mittelknappheit gehört, ich lasse zusätzlich noch ausreichend Nahrung und Gold bringen. Damit solltet ihr dann die Armee zwei Wochen trainieren und schließlich den Feldzug antreten." Rayton säuberte seinen Dreispitz mit seiner Hand: "Wie lange soll der Feldzug gehen?" "Das ist ungewiss... Das war’s, ihr könnt wegtreten." Rayton setzte seinen Hut auf und tat, wie ihm befohlen.

Nun stand er auf dem Kasernenhof, die trainierten Soldaten stramm vor ihm. Zur linken Seite des Trupps standen die Kataphrakte, mit ihren Pferden am Zügel. Auf der rechten Seite des Trupps war die Artillerie positioniert. Mit den Händen am Rücken marschierte er langsam, jeden musternd, durch die Armee. In den Augen der Berufssoldaten, Söldner oder Wehrpflichtigen war meistens Angst zu sehen. Nur bei wenigen, sehr jungen Ausnahmen sah er Entschlossenheit. Schweigend marschierte Rayton nun von den engen Reihen der Soldaten zu den Geschützen, hinter denen die Mannschaft stand. Prüfend tastete er jede Kanone ein letztes Mal ab und fand nichts zu Bemängeln. Schließlich ging er, immer noch schweigend, zu den Vorratskisten, die für Proben offen auf dem Hinterplatz standen. Auch hier wurde nicht gepfuscht. Er drehte sich zu seiner Armee um: "Wegtreten!" Die Soldaten lösten sich aus ihrer starren Position und gingen auseinander.  Morgen würden sie ausrücken.

Da er nun Feierabend hatte, schlenderte er in seiner Zivilkleidung durch die vollen Gassen der Hauptstadt. Doch es brannte ihm im Kopf; was würde sie erwarten und wie lange würde der Feldzug andauern? Rayton kam pünktlich zu Sonnenuntergang an einem hohen, schmalen Fachwerkhaus nahe dem Stadtzentrum an. Müde von der Anstrengung trat er ein.

Ein großes Wohnzimmer war beschmückt mit Wandteppichen, Gemälden und Vorhängen. Kerzenleuchter erhellten den Raum und seine Frau kniete vor einer Nische, in der ein Kreuz aufgestellt war. Bei seinem Eintreten erhob sie sich aus ihrem Gebet: "Guten Abend. Ich schickte die Kinder schlafen. Brot steht bereits auf dem Tisch." Mit offenen Armen schritt Rayton auf seine Frau zu und umarmte sie herzlich: "Du weißt, morgen gehe ich, vielleicht das letzte mal. Es ist mir ziemlich unheimlich dort hin zu marschieren, wo die Karten nur weiß sind. Doch es ist mein Beruf..." Seine Frau ging einen Schritt zurück und seufzte. Dann verschwand sie in der Küche.

Von den vielen Unsicherheiten und Fragen geplagt, schlief Rayton diese Nacht sehr wenig. Die meiste Zeit der Nacht las er Bücher von Sagen der Drachenbezwinger, und Sagen, in denen Drachen ganze Armeen auslöschten. Als er nach seinem letzten kurzen Schlaf aufwachte, läuteten bereits die Kirchenglocken. Raytons Frau stand bereits in der Küche, das hörte er genau. Es kam ihm nun fast wie eine Demütigung vor, einen Feldzug in den Tod zu unternehmen. Doch den Gedanke des Scheiterns verwarf er schnell wieder und nahm seine morgendliche Rasur vor.

Nur eine Stunde später stand er auf dem Marktplatz, direkt vor der gigantischen Kathedrale. Seine Soldaten und Packesel standen in strengen Formationen hinter ihm. Von überall her jubelten ihnen dann noch Leute zu. Einige warfen sogar Rosen nach ihnen, als Anerkennung. Die Familien der Soldaten umarmten diese noch, worauf sich Rayton entschloss, die Abreise um eine Stunde zu verzögern. Die Leute waren gemischter Gefühle, manche trauerten um die Abreise, manche jubelten ihr zu. Rayton umarmte, vielleicht das letzte mal, seine Frau. Auch seine Kinder vergaß er nicht. Plötzlich lichtete sich an einer Stelle die Menschenmasse und die königliche Leibgarde rückte vor. Auf einem großen Schimmel ritt dann der König in seinem grauen, langen Mantel mit dem königlichen Wappen, ein Reichsadler auf vier gekreuzten Schwertern an einem goldenen Lorbeerkranz, auf Rayton zu und hielt vor ihm: "Herr General, ich kann momentan nicht viel mehr tun, als ihnen viel Glück zu wünschen, und hiermit tue ich dies. Als Zeichen meiner Anerkennung  werden sie bei ihrer Heimkehr jedoch zu meinem obersten Militärberater befördert und erhalten ein großes Stück Land nahe der Stadt. Viel Glück, General!" Der König salutierte und ritt dorthin zurück, woher er auch gekommen war.

Rayton konnte es nicht weiter herauszögern und gab den Befehl zum Abzug. In einem lauten, rhythmischen, metallischen Schlagen marschierte die Armee unter einem Regen aus Blütenblättern und der johlenden Menge der Menschen mit Rayton und seinem Pferd an der Spitze aus der Stadt heraus. Sogar auf den weiten Feldern, die sich nun vor ihnen erstreckten, winkten ihnen vereinzelt Bauern zu.

Die milde Frühlingsluft, die gerade Straße und die weiten, endlosen Weizenfelder erstreckten sich vor ihnen. Vage waren am Horizont Dörfer oder kleine Wäldchen erkennbar. Rayton fühlte sich auf eine unangenehme Weise von seinen Soldaten beobachtet, und schaute immer wieder irritiert zu seinen Männern. Doch diese vermieden jeglichen Blickkontakt. Doch Rayton hörte zwischen dem metallischen Scheppern der vielen Rüstungen wenige Wortfetzen heraus, die ihn nicht wirklich beeindruckten. So ging es den gesamten Tag weiter, dass Rayton die Sonne in Zeitraffer hinüber ziehen sah.

Direkt vor der Armee lag ein kleines Dorf, in dessen Zentrum ein großer Kontrast zu der edlen Kirche bestand. Er zuckte leicht zusammen, als in eiligen Schritten ein einfacher Bauer mit einer Mistgabel auf ihn zu hielt: "Seid ihr von der königlichen Armee, diesen Dreckskerlen?" Rayton gab mit einer Handbewegung nach hinten das Haltekommando: "Was ist euer Begehr?" Der Bauer spuckte auf den Boden: "Schickt der König wieder Soldaten, die uns ausrauben, und plündern? Ach was, die Antwort liegt mir auf der Zunge. Wir lassen uns nicht ewig unterdrücken!" Rayton legte mit seinem Pferd langsam den Rückwärtsgang ein: "Wie soll ich das verstehen?" Der Bauer drehte sich zum Dorfeingang um: "Plünderer!!!" Von allen Häusern wurden die Türen aufgestoßen und weitere bewaffnete Bauern stürmten in wildem Kampfesgeschrei auf die Soldaten zu.

Rayton wollte keine offene Schlacht, vor allem nicht mit Bauern, doch vermeiden lie0 es sich nicht mehr: "Kavallerie, Angriff! Infanterie, Position verteidigen!" Mit diesem Kommando verschanzte er sich hinter den Soldaten, während seine Reiter wie wild auf den Mob zu stürmten. Rayton wurde bewusst, was es für eine Tat war, ein ganzes Dorf hinwegzuschlachten, ohne Angriff jedoch wäre seine Armee das Opfer. Er schaute nur als General dem blutigen Massaker zu, nicht aber als Mensch. Auch die noch sehr jungen Soldaten wurden unfreiwillig Zeuge, wie die einfachen Bauern mit ihren Mistgabeln von den scharfen Lanzen der Reiter aufgespießt, von den Pferden niedergetrampelt, oder von den messerscharfen Säbeln enthauptet wurden. Bei den Frauen und Kindern wurden keine Ausnahmen gemacht. Der mutige Kampfesruf der Leute wurde zu einem jämmerlichen Todesschrei. Die Mistgabeln fielen zu Boden und die Bauern wurden von den feindlichen Waffen umgerissen. Nur wenige Bauern konnten sich wirklich behaupten und rammten Pferd oder Reiter ihre Mistgabel in den Leib. Der Reiter stürzte von seinem Pferd, und sein Ross sank auf die Knie und rollte sich stöhnend auf den Rücken ab. Unvermeidlich war auch, die Häuser niederzubrennen, um einem Hinterhalt zu entgehen. Dieser stürzte sich schließlich brennend und schreiend aus den Fenstern und Türen, wenn sie nicht unter Schutt und Asche begraben wurden.

Dann war es endlich vorbei. In Raytons Kopf war jedoch immer noch das Echo der Bauern zu hören. Erwartungsvoll und mit unterdrücktem Entsetzten oder Mitleid starrten ihn seine Männer an. Den Blick stets von den Leichen abgewendet ritt er wieder an die Spitze der Armee, über den unnatürlich roten Boden. Die letzten Stunden des Marsches wurden von einer grauenvollen Trauer beherrscht. Die Soldaten wagten sich nicht einmal mehr, ihre Rüstung so souverän scheppern zu lassen, und waren ihrer Tatsache sehr beschämt. Schließlich wurden aus den weiten Weizenfeldern weite Weideflächen, auf denen Rayton, schon fast mitten in der Nacht, das Lager aufschlagen ließ. Sein persönlicher Adjutant baute das Kommandozelt von Rayton in der Mitte des riesigen Lagers auf.

Während er sich ausgiebig mit der Karte des Feldzuges in seinem Zelt beschäftigte, redeten und tranken die Soldaten an verschiedenen Lagerfeuern miteinander. Einige Zeit später lugte Rayton noch einmal aus seinem Zelt hervor, und bemerkte, dass nur noch vereinzelt Soldaten an den Lagerfeuern saßen. Schließlich legte er sich zu Bett und schlief wenig später ein.

Der Morgen kam für ihn mit einer lauten Stimme: "Herr General, es handelt sich um einen Notfall. Herr General?" Er stand hastig auf und machte sich fertig: "Was ist passiert?" Der Soldat stand immer noch vor dem verschlossenen Zelteingang: "Herr General, einige Soldaten wurden unweit vom Lager tot aufgefunden." Erschrocken verließ Rayton sein Zelt und stand nur wenige Zentimeter vor dem Soldaten: "Was ist die Todesursache? Und von welchem Trupp stammen sie?" "Es sind alle, wie ich, Musketenschützen. Sie weisen schwere Kratzspuren an Bauch oder Rücken auf." Rayton atmete beschwert ein: "Um Himmels willen..." Er schaute dem Soldat tief in die Augen: "Führt mich hin." Der Soldat salutierte und setzte sich in Bewegung.

Vorbildlicher Weise hatte der Soldat Wachen aufstellen lassen, die schaulustige Kameraden vermeiden sollten. Kurz vor einer Leiche blieb der Soldat mit leicht üblem Blick stehen: "Hier, Sir." Rayton schaute sich den Toten genau an; der Soldat hatte den Ausdruck des Entsetzens im Gesicht. Das bedeutet, er hat seinen Tod schon einige Sekunden zuvor gesehen, hatte aber zu wenig Zeit, oder war zu geschockt, um auch nur einen Laut von sich zu geben: "Träge sind die Viecher sicherlich nicht." Mit dem Fuß drehte Rayton vorsichtig die Leiche um. Beinahe wäre er bei diesem Anblick ohnmächtig geworden. Die stabile Eisenrüstung war wie Pergament zerrissen, und unter den Eisenfetzen konnte man bereits die einzelnen Organe unter geronnenem Blut erkennen. Alles in allem sah es so aus, als ob die Wunde, oder besser das Loch, mit einem Hieb entstanden wäre: "Das war spitzer als jede Lanze, im Nahkampf hätten wir keine Chance... Wie sehen die anderen Leichen aus, und wo sind die überhaupt?" "Herr General, die anderen Leichen sehen fast haargenau so aus, die restlichen vier Opfer sind an verschiedenen Rändern des Lagers." "Können wir von einem oder mehreren ausgehen?" "Wahrscheinlich nur einer." "Schnell und leise, sehr geschickt noch obendrein..." Rayton nahm die Hände in den Rücken: "Beerdigt die Soldaten angemessen, dann lasst das Lager abbauen. Übrigens, eure gute Arbeit belohne ich mit einer Beförderung. Sie sind nun mein oberster Dienstbote und erster Offizier der Armee." Der jetzige Offizier starrte den General nur ungläubig an, schaute ihm noch lange hinterher.

Rayton ging sehr nachdenklich und erschreckt wieder in sein Zelt zurück und rief den persönlichen Kartographen zu sich: "Wie genau sind ihre Karten?" Der große schmächtige Mann schaute an die Decke: "Ich muss die Karten während des Feldzuges anfertigen, also etwa auf eine Meile genau." Der General zog eine Augenbraue hoch: "Nun gut. Ich möchte dass sie außerdem die Tage des Passierens und eventuell auch Ereignisse als Bemerkung neben dran schreiben, vielleicht können wir dann irgendetwas aus irgendetwas schließen..." Der schmächtige Kartograph versuchte zu verstehen: "Ähm, ja Sir." Er salutierte und verschwand aus dem Zelt. Rayton setzte sich auf sein Feldbett. Urplötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als eine Seite des Zeltes plötzlich in sich zusammenbrach. Die Holzpfeiler kippten mit einem dumpfen Schlag auf den Boden, und der Stoff legte sich über das Mobiliar. Erbost arbeitete sich Rayton zum Zeltausgang vor: "Wer oder was war das, zum Teufel?!" Viele Soldaten hatten ihre Arbeit unterbrochen und starrten nun den vor Wut kochenden General an. Kleinlaut meldete sich ein Soldat: "Ich, Sir." Schnaubend drehte sich der General um: "Erklärt!" Der Soldat zog den Kopf ein: "Ich bin euer Adjutant, ich dachte, ich sollte das Zelt abbauen..." Rayton zog nun beide Augenbrauen hoch: "Ich erlasse euch die Strafe, aber schaut das nächste mal gefälligst erst in das Zelt, bevor ihr irgendetwas macht, und zerstört es beim Abbauen nicht. Ihr dürft nun fortfahren." Etwas ruhiger drehte er sich wieder um, und marschierte Ablenkung suchend zu den improvisierten Pferdeställen aus Kisten, die kniehoch Boxen bildeten.

Er wand sich seinem makellosen Schimmel zu, welcher gerade Gras über die Kisten hinweg fraß. Behutsam streichelte er dem weißen Pferd über den Hals, und dies war für Rayton wohl eine Art der Meditation, denn er vergas alles andere in diesem Moment. Kauend hob das große Pferd wohlwollend den Kopf und musterte seinen Besitzer, als ob Rayton etwas zu fressen in den Taschen hätte. Er lächelte und klopfte seinem Pferd, welches er auf den Namen "Visier" getauft hatte, auf den Hals. Visier war wirklich ein prächtiges Pferd. Die meisten bezeichneten ihn als ein "dominant weißes Pferd", worauf Rayton auch wirklich Stolz war. Es flößte dem Feind immer Angst ein, wenn er mit gezogenem Schwert, an der Spitze der Armee, mit einem blendend weißen Pferd auf ihn zuhielt.

Rayton drehte sich dem Lager wieder zu. Die meisten Zelte waren nun abgebaut, und die anderen Pferde wurden bereits gesattelt. Rayton war zwar General, doch da er niemanden außer sich an seinen geliebten Visier dran ließ, sattelte und rüstete er sein Pferd lieber selbst. Die Pferderüstung blitzte in einem frisch polierten Silber auf, und der Sattel und die Trense waren in einem pechschwarzen Leder mit goldenen  Riemen. Als er schließlich, selbst mit einer glänzend silbernen Rüstung, auf sein Pferd stieg, hätte man meinen können, dies wäre das Idealbild eines Märchenritters. Bewusst ritt er durch das bereits abgebaute Lager mitten in die Sonne, sodass jeder im Umkreis von der Rüstung geblendet wurde. Er liebte es zu sehen, wie die Soldaten, ihre Augen schützend zu ihm hochsahen und ihn um seine Pracht und um sein Pferd beneideten. Er zog nun seine Beckenhaube auf den Kopf. Nun glänzten  auch noch die vergoldeten Federn auf dem Helm auf, die auf den Rang eines Generals wiesen. Mit einer groben Armbewegung nach vorn befahl er den Soldaten zum Auszug.

Wieder an der Spitze seiner Armee ritt er die lange Straße entlang und hielt nach irgendetwas Ausschau. Die wenigen Bauern, die ihnen auf Kutschen entgegen kamen, dachten wahrscheinlich wieder an einen Krieg gegen das benachbarte Königreich, welches immer noch brüskiert vom letzten war. Etwa gegen Mittag wurde aus den weiten Wiesen und Weiden Wald. Der Wald wurde sehr schnell relativ dicht, und auch die Straße ging in Schlamm und Unterholz über. Schon sehr bald gab es vom hinteren Teil der Armee ein lautes "Stopp!!!" Böses ahnend hielt Rayton die Armee an und stieg von seinem Pferd. Er watete mit seiner blitzenden Rüstung durch den dunklen Schlamm nach hinten, wobei sein Pferd ihm nur nachschaute, aber brav stehen blieb. Nun war er hinten angekommen: "Probleme mit den Kanonen?" Ein Kanonier trat vor: "Wir können hier nicht weiter, die Kanonen sinken im Schlamm einfach ein." Rayton ging zu einem der Geschütze und begutachtete die Räder: "Wie schwer sind die?" Der Kanonier trat an seine Seite: "Das Gerüst etwa 200 Pfund, der Lauf noch einmal 350 bis 400." Rayton musterte die Kanone ganz genau: "Baut sie auseinander und packt die Kanonen in Einzelteilen auf freie Packesel. Außerdem brauche ich jemanden als Artillerieadmiral, und das seid ihr jetzt." Mit diesen Worten watete er wieder zu seinem Pferd. Der Kanonier legte nur den Kopf schief: "Sir?!" Rayton ignorierte ihn und stieg wieder auf sein Pferd, wobei der Schlick von seinen Füßen umher flog. Der Feldzug wurde fortgesetzt.

Die hohen Fichtenbäume ließen nur wenig Sonne durch, und sahen alle gleich aus, wodurch man ein leichtes Gefühl der Verirrtheit bekam. Doch Rayton war sich seiner sehr sicher als er nun ununterbrochen auf seinen Kompass schaute, und nur ab und zu auf den "Weg" blickte. Sie mussten einfach nur laufend nach Westen marschieren. Nach einiger Zeit konnte er sogar die Zügel seines Pferdes loslassen, da Visier langsam begriff, dass sie nur auf eine Richtung zuhielten.  Auch von der Artillerie gab es keine Beschwerden mehr, schien also alles nach Plan zu laufen. Das einzige, was ein wenig die Gleichheit des Waldes unterbrach, waren vereinzelt Vögel oder Rehe, die den Weg der Armee kreuzten.

Rayton wunderte sich, wie schnell doch der Abend kam und suchte eine kleine Lichtung für das Lager aus. Seine erste Handlung, als er von seinem schmutzigen Schimmel stieg, war, dass er Visier mit einer Ladung Wasser vom nahe gelegenen Bach säuberte. Der Blick seines Pferdes schien ihm irgendwie dankbar, und er strich ihm über den langen Pferdekopf. Schließlich wandte er sich dem Lager zu und stand wenig später vor seinem Zelt, jedenfalls vor dessen Einzelteilen, und seinem Adjutanten, der mit dem Aufbau nicht sehr weit vorankam: "Ihr scheint mir irgendwie zu allem unfähig", schüttelte Rayton den Kopf: "Die vier Holzlatten müssen senkrecht in den Boden gestemmt werden, die anderen vier werden waagerecht darüber festgebunden und dann kommt nur noch der Zeltstoff darüber und wird mit Heringen befestigt. Ist das denn so schwer?" Der Adjutant schaute ihn mit großen Augen und zusammengepressten Lippen an. Dann nickte er beschämt. Rayton verdrehte die Augen und wies ihn weg. Nach einer guten halben Stunde hatte er es dann selbst zusammengebaut und eingerichtet. Er befreite sich aus seiner Rüstung und legte seine weite Garderobe an, die ihn wieder frei atmen ließ. Rayton betrachtete die Karte, die frisch von dem Kartograph erweitert wurde. Ihr Ziel war ein Gebirge, welches, groben Schätzungen zufolge, etwa zwei Wochenmärsche von der Hauptstadt entfernt lag. Als Rayton schließlich anfing, mit seinen Gedanken abzuschweifen, legte er sich in sein außergewöhnlich weiches Feldbett. Auch um dieses Bett beneideten ihn alle Soldaten.

Auch die nächsten Tage verliefen genauso, wie der vorherige Tag; sie marschierten durch einen immer gleich aussehenden Wald und schlugen auf der besten Lichtung ein Lager auf. Doch an einem scheinbar ganz normalen Morgen wurde Rayton wieder von seinem ersten Offizier geweckt: "Herr General, es brennt!" In seinem Schlafanzug, nur mit einem Mantel übergezogen, stürmte er aus seinem Zelt: "Feuer? Wo?!" Er blickte in die entsetzte Miene, die in eine andere Richtung wies. Als Rayton sich umdrehte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen; Das Lager war zwar noch unbeschädigt, doch unweit vom Lager stiegen aus dem Wald hohe schwarze Rauchwolken in den ruhigen blauen Himmel: "Verflucht, der Wind treibt das Feuer in unsere Richtung! Wie ist der Brand entstanden?" "Wir gehen von dem Drachen aus." "Wieso greifen die unser Lager nicht offen an...? Holt schnell Wasser aus Pfützen, oder sonst wo her. Löscht den Brand irgendwie! Los!" Der Offizier setzte sich in Bewegung. Rayton fielen die Soldaten auf, die nur gafften, aber nichts taten: "Löscht das Feuer, schnell!" brüllte er durch das gesamte Lager. Aus den nahe gelegenen Bäumen kamen nun auch schon Rauchschwaden, die immer dichter über den Köpfen der Soldaten hinweg zogen. Die ersten Soldaten rannten schon mit Wassereimern an Rayton vorbei, als plötzlich ein Bäum anfing zu ächzen und nun lichterloh brannte. Es war der Baum, der am nächsten vom Lager stand.

Er bekam kaum noch Luft, und hatte nur noch Rauch in der Nase, denn nun zog der Rauch bis auf den Boden hinunter. Raytons Augen brannten und tränten, und er konnte kaum noch fünf Meter weit sehen. Außerdem war der Rauch sehr heiß und schien nun leicht dunkelrot zu werden, was das nahende Feuer ankündigte. Er versuchte sich nun zur umkämpften Feuerfront vorzurobben, wo das Wasser aus den unzähligen Eimern einfach verdampfte. An Rayton kam nun ein schwer keuchender Soldat vorbei, der direkt neben ihm einfach mit der Hand am Hals zerrend auf den Boden fiel. Rayton drohte nun langsam das gleiche Schicksal: "Brecht das Lager schnell ab, wir müssen uns zurückziehen!" brüllte er mit seiner letzten Kraft in den dichten Rauch hinein. Am Boden kriechend bewegte er sich nun zwischen den noch stehenden Zelten hindurch und schien nun die Orientierung zu verlieren.

Seine Augen tränten und seine Lungen schienen mit heißer Asche gefüllt zu sein. Er drehte sich um; hinter ihm war der Rauch feuerrot, und dieses Rot kam gefährlich schnell näher. Er stieß nun immer wieder auf zusammengesunkene, keuchende Soldaten. Das ganze Szenario war ein einziges Desaster. Hinter sich hörte er plötzlich einen umstürzenden Baum und viele schreiende Soldaten, nur sehen tat er nur noch die Füße der Soldaten, die vor ihm vom Feuer weg krochen. Rayton verspürte nun ein Gefühl von Schwäche, wie als hätte er zu lange die Luft angehalten. Er kniff die Augen zusammen, da sie nun brannten, wie die Hölle hinter ihm. Sein Atem war nun mehr ein röcheln, welches er nicht lange durchhielt. Mit einem kläglichen Husten verlor er das Bewusstsein.

Nein, Rayton war glücklicherweise nicht tot, dann er lag in seinem leicht angegrautem Zelt, und sein erster Offizier saß neben seinem Bett auf dem Stuhl: "Herr General, geht es euch gut?" Mit einem viel sagenden Blick beantwortete Rayton die Frage: "Wie ist euer Name, Offizier?" "Mein Name ist Drawyk." Rayton hustete: "Wo ist mein Pferd?" Drawyk warf einen Blick auf seine Brandwunde an seiner Hand: "Die Pferde haben wir alle in Sicherheit gebracht. Nur anderweitig sind die Verluste größer..." "Wie hoch?" "Sechs Kanonen sind verbrand, außerdem ist die Hälfte der Ration vernichtet, und etwa fünfzig Männer fanden den Tod. Es sterben ja bekanntlich mehr Menschen durch Rauch, als durch irgendein noch so schweren Brand." Rayton starrte Drawyk an. Er erinnerte sich genau an seinen Befehl; Löscht den Brand!  Hätte er von Anfang an den Rückzug befohlen, wäre wahrscheinlich niemand ums Leben gekommen: "Wo sind wir, und was habt ihr mit den Toten gemacht. Was ist überhaupt mit dem Brand?" Drawyk stand auf: "Wir mussten fliehen, daher mussten wir die Toten zurücklassen. Wir sind jetzt etwa fünfundzwanzig Kilometer westlich vom Brand. Außerdem ziehen Regenwolken auf." Drawyk verließ das Zelt.

Obwohl er fast der Rauchvergiftung zum Opfer gefallen wäre, stand er auf und musste einfach einen Blick auf den Zustand seiner Armee werfen. Die meisten Zelte des Lagers hatten Brandlöcher und waren angeschwärzt. Er ging zu seinem Pferd. Visier schaute ihn müde an, schien aber bester Gesundheit zu sein. Voller Dankbarkeit vom Überleben seines Pferdes kraulte er ihn hinter den Ohren. Rayton hätte es sich nie verzeihen können, wenn Visier etwas zustoßen würde. Er war lediglich etwas grau durch den ganzen Ruß, doch nach einer Dusche mit kaltem Bachwasser bekam er schnell wieder das wunderschöne Weiß zu sehen.

Beruhigt suchte Rayton Drawyk auf, der gerade die Verletzten beaufsichtigte: "Ich muss sagen, ihr macht eure Arbeit richtig gut, Offizier. Hätten sie etwas dagegen, wenn wir uns bei einem Weinbrand ein wenig austauschen?" Drawyk zog die Augenbrauen hoch, runzelte die Stirn und nickte nach ein paar Sekunden bescheiden: "Ich wusste überhaupt nicht, dass wir Weinbrand mitführen..." Rayton lächelte und führte seinen Offizier zu seinem Kommandozelt: "Seht ihr die Kiste in der Ecke, die ist gefüllt mit fünfundsechzig Flaschen á zwei Seidel." Drawyk betrachtete die Kiste näher und nahm dann prüfend eine Flasche heraus und las die Aufschrift: "Das ist Importware, die sind doch alle ein Vermögen wert!" "Tja, dann schmeckt er doch gleich viel besser, nicht wahr?" Rayton nahm sich ebenfalls eine Flasche aus der Kiste und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Dann öffnete er langsam die Flasche und hob die kleine Flasche an: "Trinken wir auf das Gelingen des Feldzuges!" Rayton wartete bis Drawyk schweren Herzens mit dem Gewissen an das Geld die Flasche öffnete und auch seine Flasche hob: "Auf gutes Gelingen..." Beide setzten ihre Lippen an die Flasche, und testeten den Geschmack.

Rayton war zwar sehr wohlhabend, aber so etwas Gutes bekam er nicht sehr häufig und nahm es als eine große Gaumenfreude: "Wisst ihr, ich habe da noch einen Admiral für Artillerie, und den guten Stallburschen, der jetzt Feldmarschall ist. Vielleicht wollen die beiden mit meinem trotteligen Adjutanten herkommen und eine ordentliche Runde Doppelkopf spielen..." Drawyk dachte wieder an das verschossene Geld, aber man lebt ja bekanntlich nur einmal!

Nur wenig später war die Sonne untergegangen und einige Soldaten lauschten unauffällig beim Kommandozelt, da im Inneren viel gelacht und gesungen wurde, und immer wieder das zerdonnern von kleinen Flaschen zu hören war. Immer wieder. Dann wurde es allmählich ruhiger im Kommandozelt, bis drei Offiziere aus dem Zelt lachend hervor stolperten. Einer von ihnen fiel sogar über ein Zelt, riss es ein und blieb schnarchend liegen. Die anderen zwei lachten sich nur noch halb tot und verschwanden in ihren eigenen Zelten.

Mal wieder ein herrlicher Morgen, dachte sich der gut erholte Rayton und stand auf. Sofort schoss das Blut in seinen Kopf und zerrte an jedem Zentimeter, dass er sich leise stöhnend an den Kopf fasste. Auf dem Boden lagen überall kleine Glassplitter und Spielkarten. Eine andere Absonderlichkeit war sein Adjutant, der halb auf dem Tisch und halb auf dem Boden seelenruhig schlief. Bevor er allerdings irgendetwas machte, schaute er verdächtig aus dem Zelt. In der nächsten Zeltreihe war ein Zelt umgefallen und Drawyk lag auf diesem. Auch er schlief, wobei die Soldaten im Umkreis immer wieder neugierig guckten.

Rayton wandte sich wieder dem Inneren seines Zeltes zu und trat gleich in eine spitze Glasscherbe. Nach einem leisen "Au, verdammt!" stellte er sich vor seinen Adjutanten: "Hallo, noch am leben?" Der Adjutant drehte sich auf dem Tisch um, wobei er über die Kante auf den Boden fiel. Verwirrt schaute dieser sich um und sprang plötzlich salutierend auf: "Ihr habt nach mir verlangt?" "Ihr dürft gehen, aber schnell!" Sein Adjutant fasste sich kurz an den Kopf und suchte schnell das Weite.

Und wieder ritt er an der Spitze der Armee in seiner blitzenden Rüstung durch den tiefen und ewigen Wald. Vielleicht waren sie die ersten Menschen, die diesen schlammigen Boden betraten. Doch auf einen Schlag glänzte seine Rüstung nicht mehr. Rayton schaute gen Himmel. Eine majestätische Wolkenfront schob sich vor die Sonne. Es war ihm eigentlich gar nicht aufgefallen, dass es schon später Nachmittag war. Nun war ein Grollen zu hören. Rayton hatte Hunger. Aber nicht auf die Kistenration, die nach Holz schmeckte. Diesmal musste es ein saftiger Braten sein. Fast wie gerufen kamen sie kurze Zeit später an einem kleinen ruhigen Bach an, und schlugen dort das Lager auf.

Rayton war nach einer spärlichen Dusche im Bach wieder auf sein Pferd gestiegen und wies Drawyk auf sein Pferd: "Ich hoffe ihr seid ein guter Jäger, Offizier?" Er verstand und lächelte: "Was darf’s denn sein? Eine schöne Haxe, oder doch lieber Hasenbraten?" "Ich glaube, hier dürfte es nicht auffallen, wenn plötzlich ein Reh fehlt..." Rayton nahm seine lange Jagdmuskete und ritt los. Nach einiger Zeit reiten ergriff Drawyk auf seinem fuchsbraunem Pferd das Wort: "Glaubt ihr, dass euer Pferd im Wald nicht ein wenig auffällig ist?" "Seid doch ruhig! Dieses Reh dort vorn hat uns noch nicht gesehen, das sollten wir ausnutzen... Los!!!" Eher sanft gab Rayton seinem Pferd den Galoppbefehl, worauf es wild drauf los rannte, direkt auf das sichtlich geschockte, verwirrte Reh zu. Noch bevor dieses sich auch nur bewegen konnte, gellte ein lauter Knall durch den Wald, gefolgt von einem dumpfen Schlag auf den Waldboden. Drawyk stand derweilen noch an dem Ort, wo auch Rayton vor einer Minute noch stand, und schaute nachdenklich das reglose Reh an.

Nun kam Drawyks Einsatz. Nach und nach rieb er das filettierte Reh mit Waldkräutern und mitgeführtem Salz ein. Schließlich steckte er es in einem Fünfundvierzig-Gradwinkel an den Rand des Lagerfeuers, in dieses gerichtet. Rayton roch den Braten schon von weit her, und dieser lockte ihn schließlich verwundert aus seinem Zelt: "Ihr steckt voller Überraschungen, das muss ich euch lassen..." Plötzlich fiel der erste Regentropfen auf Rayton hinab. Nicht sonderlich beeindruckt ignorierte er auch die nächsten, die in schneller Reihenfolge im Umkreis niederfielen. Erst als der erste Donnergroll über den Abendhimmel zog schaute er doch auf: "Wie lange braucht der Braten?" "Ihr habt die Wahl; blutig und trocken, oder durch und nass." Nachdem die beiden, und wohl die anderen Soldaten im Lager auch, nicht auf die Vorboten achteten, brach nun auf einen Schlag das Unwetter über sie hinein. Noch bevor Drawyk sich seufzend in die Haare fuhr, wurde das Fleisch entwürzt und das Feuer erlosch zischend. Die Hände über den Kopf haltend stürmten Drawyk und Rayton in das Kommandozelt. Ein letztes Mal lugte Rayton aus dem Zelt hervor: "Ach du meine Güte, in dieser Gegend schlägt das Wetter aber ganz schön schnell um." "Ums Essen ist’s auch geschehen." Ein weiterer Donner dröhnte laut über dem Himmel. Zwischen dem Trommeln des Regenschauers konnte man noch Wortfetzen der überraschten Soldaten hören, die geradewegs in ihre Zelte flohen. Rayton setzte sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl: "Wie glaubt ihr eigentlich, was uns auf diesem Feldzug noch erwarten wird?" Drawyk schaute wieder auf den Zelteingang: "Zuerst einmal sehr viel Wasser." Auch Rayton drehte sich zum Zelteingang um, und blickte direkt in eine Wasserpfütze, die sich immer weiter ins Zelt ausdehnte. Und zwar in einem rasanten Tempo. Völlig bestürzt schaute er wieder aus dem Zelt heraus. Der Bach drohte nun, nein er trat bereits über die Ufer. Immer mehr Soldaten wagten einen Blick aus ihren Zelten hervor und betrachteten verdutzt das viele Wasser, welches sich seinen Weg durch das Lager bahnte.

"Verdammt! Drawyk, lasst sofort das Lager abbrechen. Wir müssen dringend auf eine Anhöhe!" Hektisch salutierte Drawyk und stürmte aus dem Zelt. Rayton sicherte erst einmal alle Karten und die teuren Importwarenkisten vor dem alles aufweichendem Wasser. Während Drawyk draußen durch das Feldlager mit gellenden Befehlen um sich warf, stieg das Wasser unerwartet schnell bis zum Knie. Der sandige Boden, auf dem das Lager errichtet worden war, verwandelte sich in packenden Schlamm. Raytons Adjutant kam durch den Zelteingang: "Sir, soll ich das Zelt abbrechen?" "Ja, aber schnell!" Mit einer der Kisten und den vielen Karten unterm Arm watete er auf den Platz raus, wobei der Schlamm seine Füße nicht loslassen zu schien. Das Zeltlager war sehr ungünstig in einer Bachsenke aufgebaut, die zu allem Überfluss noch eine gewisse Neigung aufwies. Das Wasser entwickelte eine gewisse Strömung, und das erste Zelt wurde von den Wassermassen gepackt.

Nur der Schlamm verhalf Rayton einen sicheren Halt am Boden. Ein weiterer Blitz zuckte am Himmel, gefolgt von einem schaurigen Donnern. Mit vollen Armen und völlig entnervt kam er bei Visier an, der das Wasser als Tränke benutze. In völliger Verzweiflung stieg er auf sein Pferd und band Kiste zur Rechten und Karten in einem Mantel eingehüllt zur Linken des Pferdes. Zuerst ging Rayton von einem weiteren Donnern aus, doch es klang auf eine gewisse Weise anders. Manche Soldaten waren noch nicht fertig mit dem Abbau ihrer Zelte und blickten in einem grauenvollen Entsetzen gen Himmel. Das gigantische Ungetüm nutzte die günstige Wetterlage aus und stürzte sich mit von sich gestreckten Klauen auf die unbewaffneten Soldaten. Als sich das Tier auf die Soldaten stürzte spritzte das Wasser hoch, vermischt mit Zeltfetzen. Das Kreischen der Soldaten wurde durch ein im Unwetter noch laut hörbares Beißen beendet. Rayton, nicht in seiner schützenden Rüstung gekleidet, nahm einen Anbindpfosten aus der Erde und richtete ihn mit ausgestrecktem Arm auf die monströse Gestalt, die sich schon ihre nächsten Opfer suchte: "Tötet, was eure Kameraden getötet hat!" Mit diesem Kampfesschrei hielt er, verlangsamt durch das Wasser, auf das Ungeheuer zu. Einige Soldaten im Umkreis holten ihre Waffen hervor und stimmten auf den Kampfesschrei ein.

Doch kurz bevor Rayton zugestoßen hätte, erhob sich die Bestie wieder in den Himmel und verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Rayton schaute auf das blutrote Wasser direkt vor ihm; ein halbes Dutzend halb zerfleischter Soldaten schwammen leblos vor sich hin. Auf einmal stieg ein moralischer Schub, gemischt mit blankem Hass in Rayton hoch, und er warf den Holzpfosten mit Schwung ins Wasser, wobei er gleichzeitig eine zornige Miene in den stürmischen Himmel warf.

Das halbe Zeltlager war vom Wasser aufgeweicht, ein Großteil der Nahrung verdorben. Das Wasser war abgeflossen, und der Himmel hatte sich gelichtet. Der Lagerplatz war schon zusammengepackt, doch zu ehren der sechs getöteten Soldaten hielt Rayton eine Beerdigungsmesse am "Tatort". Er hoffte, mit seiner Rede seinen Soldaten und sich selbst wieder psychisch aufzubauen, damit sie den Feldzug auch fortführten. Rayton will außerdem das Wort "Revolte" kurz nach dem Angriff aus dem Mund eines unbekannten Soldaten gehört haben, was ihn in einen paranoiden Zustand versetzte, da er hinter jeder Ecke seinen Mörder sah, der nur auf die Gelegenheit wartete, ihm seinen Dolch in die Brust zu rammen. Doch wenig später schien das nur Einbildung gewesen zu sein, da der Tagesmarsch ganz friedlich verlief.

Auch der darauf folgende Tag schien wieder ganz normal zu werden. Ganz entspannt und leicht verträumt ritt er an der Armeespitze auf Visier durch den Wald. Doch etwa gegen Nachmittag blieb ihm das Herz stehen. Abrupt hielt sein leicht verschrecktes Pferd an, und einige Meter vor ihnen lag tatsächlich eine Leiche in Uniform und Offiziersrüstung. Alle Viere von sich gestreckt und mit einem Säbel in der Hand, als hätte er kurz vor seinem Tode noch einmal zustoßen wollen. Als wäre das nicht schon Unglück genug, lagen bis zum bewaldeten Horizont vor ihnen weitere Leichen auf dem Boden. Der gesamte Wald war voll von Soldaten, die wohl in einem grausamen Kampf gestorben waren. Etwa in der Mitte des Schlachtfeldes war eine schief in den Boden gerammte Fahne, mit dem dazugehörigen Fahnenträger, der sich noch im Tode verzweifelt an die Fahnenstange krallte. Jetzt herrschte unter den Soldaten der Armee stille. Der Söldner in der ersten Reihe kniete sich auf den Boden und fing an leise zu beten. Rayton betrachtete weiter die Fahne. Halb zerfetzt wehte dort die Flagge seines Königreiches. Er schaute in jedes Gesicht der toten Soldaten, dann dachte er über seinen Feldzug nach. Ihm selbst war erst jetzt aufgefallen, dass er vor Schock aufgehört hatte zu atmen, kippte still von seinem Pferd und blieb reglos liegen.

Schon das zweite mal, dass er von seinem Offizier gerettet werden musste, dachte sich Rayton, als er in seinem Zelt liegend Drawyk ins Gesicht starrte: "Wir werden hier noch alle zu Grunde gehen, Drawyk..." "Dann sollten wir in Ehre sterben. Wir haben übrigens dem toten Kommandanten, es war wohl General Joesy..., sein Kriegstagebuch abgenommen." Drawyk hielt Rayton ein blutbeflecktes Buch unter die Nase. Schon wieder wäre er fast in Ohnmacht gefallen: "Himmel Herrgott, das könnt ihr doch nicht tun! Weg damit!" "Es stehen dort sehr wichtige Informationen drin. Ich lege es euch auf euren Schreibtisch." Er stand von seinem Stuhl neben dem Bett auf, legte das Buch auf den Tisch und verschwand aus dem Zelt.

Mit weichen Knien stand Rayton schließlich auf und ging langsam aus seinem Zelt. Als er mit den Händen im Rücken durch die Zeltreihen marschierte, schaute er in ängstliche und nicht selten auch in vorwurfsvolle Gesichter. Wie gewöhnlich endete sein kleiner Rundgang bei seinem Pferd. Visier war so etwas wie sein persönlicher Psychologe. Mit den schrecklichsten Szenarien im Kopf putzte er sein Pferd für den nächsten Tag. Gegen Abenddämmerung hörte er schließlich auf, sein Pferd zu pflegen und marschierte wieder seinem Zelt entgegen.

Total erschöpft und mit seinen Nerven fast schon am Ende legte er schließlich seine Uniform ab. Danach öffnete er eine noch versiegelte Kiste und nahm dort eine große Flasche mit Weinbrand heraus - Das war im Prinzip seine einzige Möglichkeit, auf dem Feldzug keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Nach dem ersten Schluck fiel ihm wieder das Buch ins Auge. Er schaute es eine ganze Weile an, während sich in seinem Inneren Auge Joesys letztes Massaker abspielte. Schließlich gewann seine Neugier. Er stellte die Flasche weg und legte sich mit seiner Abendlektüre ins Bett. Vorsichtig schlug er die erste Seite auf:

"Feldzug ins Unbekannte, von General Ferdinand Joesy

Zusammenfassung wichtiger Ereignisse:

Tag 1
Nach dem Auszug aus der Hauptstadt lief eigentlich alles nach Plan, doch über Nacht hatte irgendjemand wohl die Nahrungsmittel gestohlen...

Tag 2
Ich möchte mich sehr kurz fassen: Aufgrund des Nahrungsmangels haben wir kurzerhand ein Dorf geplündert, natürlich nur im Dienste des Königs. Weiteres Geschah nicht.

Tag 7
Wir sind nun mitten im Wald. Dramatischer Weise wurden vor wenigen Minuten mehrere Attentate auf meine Soldaten ausgeführt.

Tag 9
Die Ereignisse diesen Tages waren besonders grausam. Ein Feuer brach unweit unseres Lagers aus, mit etwas Geschick gelang es uns jedoch dieses zu löschen. Viele erlitten allerdings eine Rauchvergiftung und erlagen an dieser.

Tag 10
Nach dem Feuer ging die Attentatreihe weiter. Ich ließ Wachen einfach aufstellen, die auch nur wenig später Drachen erspähten. Der König sprach zwar von nur einem, doch wir wurden von mindestens drei angegriffen. Mit hohen Verlusten gelang es uns schließlich, die Gefahr abzuwehren.

Tag 16
Lange geschah überhaupt nichts, was mir persönlich eher wie die Ruhe vor dem Sturm vorkommt. Die Wachen jedoch wollen beunruhigendes ..."

Rayton warf das Buch neben sich auf den Boden. Wenn das mit den drei Drachen stimmen sollte, dann hätten sie nur eine lächerliche Chance. Zudem schienen die Viecher genauso vorzugehen, wie bei seinem toten Freund. Sollte das mit dem Schicksal genauso laufen? Mit leicht verzogener Miene schloss er seine Augen und schlief ein.

Scheinbar nur einen kurzen Augenblick später wurde er mit Drawyks Brüllen geweckt: "Sir, wir werden angegriffen!" Träge und mit tauben Gliedmaßen sprang Rayton auf, zog sich hektisch seine Uniform mit Rüstung an und stürmte nach draußen. Er wollte seinen Augen nicht trauen; das Lager stand in Flammen, schreiende, verwundete Soldaten rannten umher und von allen Seiten her vernichteten diese riesigen beflügelten Monster alles in ihrer Reichweite. Das ganze Lager schien in Todesschreien und Stichflammen unterzugehen. Er rannte kurz zurück in sein Zelt und holte sein Schwert heraus. Mit hoch erhobener Klinge stürmte er auf das nächste Ungeheuer zu, um es souverän zu erstechen. Doch nur auf halben Weg über die Toten zwischen den Panischen hindurch wurde er von einer messerscharfen Klaue auf die Seite gerissen.

Verwundert über den sich verzögernden Schmerz, blickte er auf seine freiliegenden Innereien, die zu seinem Erbleichen Blut hervor quollen. Schließlich erhob er seinen Blick und sah in im Feuer schwarz glänzende Augen, die hoch über ihm standen. Zum finalen Todesstoß öffnete das dazugehörige Tier sein Maul. Sofort schien alles um Rayton und er selbst in Brand zu stehen, doch vor seinem Tode setzte er sich verschwitzt in seinem Bett auf.

In geschocktem Zustand und mit weichen Knien stand Rayton auf. Dieser kurze Traum hatte die ganze Nacht in Anspruch genommen, einige Soldaten waren in dieser Morgendämmerung auch schon auf. Etwas zittrig erledigte er seine Rasur, und schnitt sich dabei fast eine Wunde in die Backe. Mit peinlich genauer Sorgfalt richtete er sich in seiner Rüstung an, wie als wäre dies sein letzter Tag auf Erden.

Jeden Soldaten auf seinem Weg musternd marschierte er zu seinem Pferd, welches ihn scheinbar schon erwartete. Behutsam sattelte er Visier, stieg schließlich auf. Fast einen Herzinfarkt erleidend bemerkte er Drawyk, der auf seinem fuchsbraunem Pferd plötzlich neben ihm auftauchte: "General Rayton, wir werden wohl noch ein paar Minuten brauchen." "Ja, das ist mir schon klar. Mich beunruhigt nur die Gemeinsamkeiten des Schicksals von Joesys Soldaten und unseren." Drawyk fiel in ein unangenehmes Schweigen.

Schneller als erwartet hatten die Soldaten nun das Lager abgebrochen und hatten sich in Reih und Glied aufgestellt. Mit einer kurzen Handbewegung gab Rayton schließlich das Kommando zum marschieren. Schon nach kurzer Zeit fiel auf, dass der Wald sich nun veränderte; das dichte Unterholz wurde zu einer flachen, leicht begrasten, hügeligen Ebene, die mit sehr hohen Fichtenbäumen durchzogen war. Durch die hohen Baumkronen schien nun ab und zu auch die heiße Sonne hindurch. Bald herrschte eine richtig sommerliche Temperatur und Rayton befreite sich von seinem engen Metallhelm.

Als er auf einer kleinen Lichtung, die sie durchquerten, gen Himmel schaute, betrachtete er mit erstaunen Berggipfel, die vom Horizont her die Bäume leicht überragten. Mit Freuden erlebte Rayton am Abend, dass der Wald sich nun lichtete. Mit angezogenem Schritt marschierte die erleichterte Armee auf den Waldrand zu.

Doch als sie am Waldrand angekommen waren, schienen alle einfach überwältigt. Eine weite Wiese zog sich in ein flaches Tal, in dessen Zentrum ein reißender Fluss war. Hinter dem Fluss stieg das Tal wieder an, soweit, dass sich das Gras in Felsen verlor, und die steilen Berghänge in einem weißen Gipfel endeten. Der Fluss war nicht einmal sonderlich weit von ihnen entfernt, vielleicht einen Kilometer. Rayton fuchtelte erschöpft mit seiner Hand herum, und die Soldaten legten ihre Rüstung und ihr Gepäck ab.

Einige legten sich auf das Gras, andere rannten wild johlend zum Fluss hinunter. Rayton stieg von seinem Pferd und ließ Visier das saftige Gras kosten. Ebenso taten es die anderen Reiter. Nun kam auch Drawyk aus dem Waldrand heraus, direkt zu Rayton: "Ich bin ein Narr, dass ich gezweifelt habe. So etwas habe ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Das ist einfach ein fantastischer Ausblick." "Mich überwältigt viel mehr, dass wir die ersten Menschen sind, die das hier überhaupt zu Gesicht bekommen. Außerdem ist es weniger überwältigend schön, dass wir über diese Berge müssen. Schließlich sollen wir Drachen erlegen. Und nach dem ganzen müssen wir auch wieder zurück. Zuerst allerdings, sollten wir erst einmal überlegen, wie wir über den Fluss kommen!" Drawyk zog die Augenbrauen hoch und setzte sich aufs Gras, immer die hohen Berge im Blick.

Die Sonne war gerade hinter den letzten Bergen verschwunden, als Rayton eine geniale Idee einfiel: "Drawyk, gebt den Befehl zum Holzschlagen weiter. Wir bauen noch heute Abend eine Brücke." Drawyk stand ungläubig auf: "Was? Soll das ein Witz sein?" "Macht bessere Vorschläge..." "Zu Befehl!" Er salutierte und trat weg. Noch am selben Abend stand dann eine improvisierte Brücke aus über den Fluss gespannte Baumstämmen. Zur Sicherheit ließ Rayton die Brücke schließlich von seiner eigenen Armee testen und schlug das Lager auf der anderen Flussseite auf. In der Nacht will Rayton sogar das Brüllen der Tiere gehört haben, ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und schlief ruhig ein.

Ausnahmsweise war es mal die warme Sonne, die ihn weckte. Wie immer herausgeputzt betrat er das Lager. Zu seiner Linken sah er den endlosen Wald, über den die Sonne aufstieg. Zu seiner Rechten lag das hohe, kalte Gebirge, welches sie erklimmen mussten. Zum tausendsten Mal wurde das Lager abgebrochen und die Armee setzte sich in Bewegung, Richtung Berg.

Schon sehr bald verschwand der letzte Grashalm und wich kargem Fels. Auch die Temperatur ließ stark nach, wodurch die Männer bald ihren Atem sehen konnten. Immer höher stiegen sie auf,  immer enger wurde der natürliche Pfad, der schnell zu einem sehr schmalen Pass wurde. Der Wind wurde stärker, die Sonne wich einer Wolkendecke, in die die Armee hinein marschierte. Rayton konnte kaum fünf Meter weit sehen, er zitterte vor Kälte, und die Erinnerung an ein warmes Heim schien allmählich zu verblassen. Er schaute auf den Fels zurück und bemerkte kleine Eisklumpen, die mit jedem Meter größer wurden und sich zu einer einheitlichen Schneedecke verbanden. Schnee kam nun mit dem Wind, dies setzte der Armee stark bei. Ermüdet stellte Rayton fest, dass sich auf seiner Rüstung eine dünne Eisschicht bildete, deren furchtbare Kälte durch die Rüstung an seinem Körper entlang kroch.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Nacht einbrach, die noch viel mehr Kälte mit sich brachte. An einem zugefrorenen Bergsee hielt er und stieg von seinem durchgefrorenem Pferd: "Halt! Hier rasten wir!" Die Formationen lösten sich und Raytons Adjutant trottete halb erfroren mit dem Kommandozelt auf dem Rücken zu ihm: "Sir General, es gibt ein Problem; wir können die Zelte auf dem harten Untergrund nicht befestigen." Auch Drawyk gesellte sich hinzu: "Rayton, wir haben kein Feuerholz für Lagerfeuer, die Männer haben die Kanonen genommen!" Rayton schaute zur Seite. Unweit von ihnen hat sich eine kleine Gruppe von frierenden Soldaten um ein zerhacktes Kanonengerüst gesetzt und zündeten es an: "Unsere Männer müssen also im Freien schlafen und unsere Kanonen sind vernichtet, richtig?" Der Adjutant und Drawyk nickten. Rayton setzte sich auf einen kleinen Felsen, mit den Händen durch die Haare fahrend: "Ohne Zelte werden sie erfrieren, und ohne Kanonen können wir die Drachen nicht bezwingen. Jagen können wir ebenfalls nicht. Drawyk, wie lange reicht die Verpflegung noch?" "Durch die Wasserflut wurden viele Kisten unbrauchbar. Ich schätze etwa nur noch drei Tage." "Gottes Gnade... Das ist das Ende, ...es kommt nie wie gedacht...Der Tod kommt schleichend. Wir können dem Tod nicht entkommen, er hat uns fest gepackt, wie eine Katze die Maus, die nur auf eine falsche Reaktion wartet, um zubeißen zu können..." Drawyk trat einen Schritt zurück: "Sir, was sollen wir tun?" "Wir warten, bis die Katze die Geduld verliert... Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Schau dich um! Es gibt keine Hoffnung mehr..." Drawyk setzte Rayton eine Hand auf die Schulter: "Wenn dies der Tod ist, dann sollten wir ihm mit Kampfesgebrüll in Ehre entgegen rennen." Rayton atmete tief durch: "Wenn wir dafür noch die Kraft auffinden..."

Eiskalt wurde die Nacht. Mit jeder Sekunde schien die Temperatur zu fallen und Raytons Körper auszukühlen. Verzweifelt zitternd zog er sich den Zeltstoff, der nun als Decke diente, über den Kopf. Er schien nicht den Stoff an seiner Haut zu wärmen, sondern der Stoff schien seine Haut zu kühlen. Raytons Füße wurden langsam Taub. In seinen  Händen spürte er einen Schmerz, der sich wie Nagelstiche anfühlte. Diese Nagelstiche arbeiteten sich langsam zu seinem Arm hoch, bis sie schließlich die Brust erreichten. Durch jeden Atemzug schien er Eis einzuatmen und seine Lungen zu frieren. Das Blut fing langsam an, in seinen Adern zu gefrieren. Rayton spürte die gefrorenen Blutklumpen, die sich langsam in seinem Körper verteilten. Wie sie langsam auch das Herz abkühlten. Sein Speichel fror ihm noch im Mund zusammen, so schien es. Sein Haar gefror zu Eis, und selbst der Stoff schien zu gefrieren. Den Tode schon vor Augen schloss er die Augen.

Als er sie wieder öffnete, glaubte er im Himmel zu sein. Doch die Ernüchterung, oder vielleicht war es doch ein Freudengefühl, in dieser Hölle auf Erden noch zu weilen ließen ihn mit letzter Kraft auferstehen. Der erste war er nicht, jedoch lagen noch viele in ihre Zelte gehüllt, ohne jegliche Bewegung des Brustkorbes. Ihre selbst schon fast toten Kameraden legten sie in eine Reihe hin, so dass man die Masse der Verstorbenen erkannte. Drawyk schritt nun deutlich geknickt auf Rayton zu: "Rayton, dein Adjutant ist tot. Mit ihm ruhen noch weitere zweiunddreißig tapfere Männer, die ihr Leben für die Hoffnung des Feldzuges ließen." Rayton sah gespannt und doch angsterfüllt in die Richtung seines Pferdes. Zu seiner Erleichterung stand Visier da, ihn anstarrend, und doch sehr geschwächt. Doch sein Pferd lebte: "Drawyk, gib den Befehl zum weiteren Marsch." Dieser salutierte und trat weg. Langsam schritt Rayton auf sein immer noch so stolzes Pferd zu. Jeder Schritt näher zu ihm war ein Schritt näher an die vergebene Hoffnung. Als er über den noch erstaunlich warmen Hals des Pferdes fuhr, brachte er sogar noch ein Lächeln der Hoffnung hervor.

Nachdem er seine Rüstung und die des Pferdes von Eis und Schnee befreite, machte er sich fertig, für seinen vielleicht letzten Feldzug. Rayton brauchte mit seiner gegebenen Hoffnung nur seine Soldaten von seinem Pferd her anzuschauen, und auch in ihnen stieg neue Hoffnung auf. So marschierten sie weiter. Der Nebel löste sich sogar, und die Armee blickte auf die weiten und majestätischen Gipfel des monströsen Gebirges, welches aus der Urgewalt der Erde erschaffen wurde. Als Rayton weiter blickte, sah er zu den Füßen der Berge hinab. Ein riesiges, vom Menschen unberührtes Tal erstreckte sich mit weiten Wäldern, Seen und Flüssen durch das Gebirge: "Meine Herren, wir haben Geschichte geschrieben. Dort unten liegt unser Ziel. Wir sind weiter vorgedrungen, als irgendein anderer Mensch jemals vor uns! Wir sind um die halbe Erde marschiert, und werden jetzt nicht umkehren! Meine Herren, ...wir werden diesen Feldzug erfolgreich zu ende bringen! Vorwärts!" Mit einem ergebenen Gebrüll stimmten die Soldaten ihm zu, marschierten voller Kampfeslust hinter ihm her.

Schon bald waren sie wieder unter der vereinzelten Wolkendecke. Schon bald wurde es wieder wärmer. Eine Wärme, die Rayton erstmals zu schätzen wusste. Auch das Gras kehrte zurück. Von den Reihen der Soldaten war dann ein jubelndes: "Ein Hoch auf den General!" zu hören. Mit einem dankbaren Handschwenk schaute er auf sein Heer, was für eine kurze Zeit alles Leiden verdrängte. Auch er vergas es für kurze Zeit.

Doch durch das laute Jubeln der Männer hörte Rayton einige Laute raus, die ihn in Schrecken versetzten. Auch seine Männer verstummten nach und nach, als sie diese Geräusche hinwiesen. Ein schreckliches Donnern, begleitet mit Schwingen, die im Wind pfiffen, es war nicht nur ein Donnern... es war ein Donnern von einem ganzen Dutzend. Rayton starrte den Wolken und den Berggipfeln entgegen. Plötzlich wurde das Donnern klarer, als ein ganzes Dutzend dieser riesigen, beflügelten, schwarzen Schatten hinter einem hohen Gipfel hervor kamen, die gerade noch jubelnden Männer im Visier der messerscharfen Krallen und Klauen. Rayton zog sein Schwert und richtete es auf diese Kreaturen, die rasch näher kamen: "Formiert euch!", brüllte er in einem lauten Ton und ritt ins Zentrum der Truppen, die ihre Lanzen, Schwerter und Musketen auf die Monster richteten: "Die Reiter hinter mich! Die Musketenschützen separat! Drawyk, du hast das Kommando über die Schützen!" Der Mut verließ einige, als das Donnern immer grausamer und lauter wurde, als die schwarzen Gestalten immer größer heranwuchsen, Zähne fletschend, Klauen bereitmachend. Durch die dicht gedrängten Reihen konnte jedoch niemand fliehen, was jeden auf seinen Platz verwies. Raytons Pferd Visier schrak bei dem grauenvollen Anblick der teuflischen Bestien zurück und wieherte verzweifelt. Plötzlich griff die erste Bestie an, indem sie mit gespreizten Krallen ein großes Loch in die Formation riss. Einigen Lanzenknechten gelang es jedoch, das Tier zu verletzen, so dass es sich vorerst zurückzog.

Drawyk hob seinen Arm an: "Schützen, Feuer!" Mit lautem Knallen wurden die Soldaten in Rauch gehüllt, und zwei weitere der schwarzen Ungeheuer fielen laut brüllend die letzten Klippen hinunter. Ein weiteres der Untiere setzte zum Angriff an, und riss ein weiteres Loch in die enge Formation. Rayton sah genau, wie die Soldaten unter dem plötzlichen Schmerz der scharfen Krallen zu Boden stürzten. Nach diesem Angriff löste sich die Formation und jeder Soldat kämpfte für sich gegen den schwarzen Tod, der immer wieder dem Leben einiger Soldaten ein grauenvolles Ende setzte. Erneut schrie Drawyk einen Befehl, und lautes Knallen und weiterer Rauch hüllte das Schlachtfeld ein. Plötzlich landete eines der monströsen Bestien mit den scharfen Krallen die schreienden Soldaten unter sich zerquetschend auf dem Boden. Überall hörte man nun die letzten und kläglichen Todesschreie der Männer. Einige der Kämpfer setzten ihre blutigen Lanzen erneut an und rannten brüllend auf das Monster zu. Dieses öffnete sein fürchterliches Maul und spie ein heißes Licht hervor, welches die zusammenfallenden Soldaten bei lebendigem Leibe verbrannte. Überlebende krochen in Flammen stehend aus dem Inferno heraus und beteten zu Gott für einen schmerzlosen und schnellen Tod. Als Rayton der Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase stieg, hob er sein Schwert und richtete es direkt auf das schwarze Ungeheuer: "Männer, wir marschieren mit Kampfesgebrüll in den Tod, schickt den Teufel dahin zurück, wo er hergekommen ist! In Gottes Namen, Angriff!" Mit dem Schlachtruf gab Rayton Visier die Sporen, der auf das Monster zu rannte. Hinter Rayton folgten seine Reiter, die ihm nachtaten. Noch bevor er jedoch zu seinem tödlichen Streich hätte ausholen können, schwang das Monster seine vernichtenden Klauen, und rammte damit Rayton samt seinem Pferd zur Seite. Visier wieherte verzweifelt auf, als er die tiefe Wunde zugefügt bekam, und begrub Rayton unter sich, als es zu Boden stürzte.

Hilflos sah er zu, wie seine Reiter dem Tod entgegenbrüllten, wie einer nach dem anderen von seinem Pferd gestoßen wurde, wie die königliche Fahne in den Feuern der Hölle niederfiel. Eine weitere Salve der Schützen riss ein weiteres der Monster zu Boden, der Angriff eines Artgenossen brachte aber auch die Schützen zu fall. Die verbliebenen, fast hilflosen Männer sanken mit erhobenen Armen auf die Knie, doch Gnade wurde ihnen nur mit dem Tode gewährt. Auch Drawyk entkam den Klauen nicht, und sank mit seinen Händen am blutigen Knie schreiend zusammen. Nun schien die Welt ihre Farbe zu verlieren, und versank schließlich im unendlichen Schwarz.

Als er wieder erwachte, immer noch am Leben, lag er am Rande des Schlachtfeldes auf einem kleinen Moosfleck. Über ihm stand Drawyk, mit einem Verband am Knie und zwei improvisierten Lanzen-Krücken: "Rayton, ...die Armee ist restlos gefallen. Nur fünf weitere Männer entkamen dem Tod." Rayton versuchte sich aufzurichten, als sein gesamter Körper vom Bauch abwärts zu schmerzen begann. Unter Schmerzen legte er sich wieder. "Rayton, du hast sicherlich mehrere Knochenbrüche, dafür muss man kein Arzt sein, um das zu sehen." Rayton schaute über das Schlachtfeld, wo die toten Soldaten in ihrem letzten verlorenen Kampf ums Überleben in einer grässlichen Verrenkung regungslos da lagen. Die Fahne des Königreiches lag leicht nach oben geneigt und verbrannt auf der Leiche des Fahnenträgers. Rayton schaute Drawyk an: "Wo ist Visier, wo ist mein Pferd...?" Drawyk konnte ihm nicht in die Augen schauen: "Er erlitt einen tödlichen Hieb... Visier ist tot..." Stille. Rayton dachte noch an den letzten Moment seines Pferdes; das Letzte, was sein Pferd sah, war dieses grauenvolle Ungeheuer. Er schloss die Augen und atmete tief durch: "Ungeschehen kann ich es nicht mehr machen, aber Rache kann ich nehmen! Rache für die vielen Soldaten, die Familie hatten, Rache für mein Pferd, Rache für das Leiden, ...Rache für ihre Existenz!" "Zuerst solltest du allerdings wieder zu Kräften kommen." "Verbrenn die Toten und meißle ihre Namen in den Bergfels. Ehrt sie mit einem ewigen Denkmal. Mögen sie in Frieden ruhen. Für mein Pferd werde ich selbst ein Denkmal setzen. Ich möchte es selbst verbrennen. Seht es als meinen letzten Tribut an..." "Jawohl, Sir!"

Ebenfalls mit einer Art Krücken und Verband schaffte es Rayton schließlich aufzustehen. Verbittert zündete er schließlich den Scheiterhaufen seines Pferdes an. Noch viel verbitterter meißelte er schließlich "In Gedenken an Visier, dem Pferd des Generals" in einen Felsen. Zum Schluss legte er seinen Helm auf den Fels. Mit leiser Stimme wandte er sich an Drawyk: "Ich hätte nie gedacht, dass sich mein Tod so schmerzvoll hinzieht." Drawyk schwieg nur. Die anderen fünf Überlebenden knieten nieder und beteten.

Einige Wochen des Weiterziehens mit den körperlichen, aber auch mit den seelischen Wunden vergingen, bis zumindest die Körperlichen verheilten. Etwas ermuntert warf Rayton sofort seine improvisierten Krücken weg und riss sich den Verband ab: "Jetzt ist die Zeit der Rache gekommen, Drawyk! Jetzt werden wir jeden einzelnen Soldaten rächen! Vorwärts, marschieren wir!" "Meinetwegen!"  So wurde der Feldzug fortgesetzt. Sie marschierten durch Wälder und über Wiesen, doch sie trafen auf kein Lebewesen. Nicht einmal Ameisen ließen sich blicken. Die Landschaft war wie ausgestorben. Nach tagelangem Marsch wurde plötzlich das Rauschen eines Flusses hörbar. Seit Tagen kein einziges, unwichtiges Wort gewechselt folgten sie diesem Geräusch und standen kurz darauf vor den steilen Hängen der weiten Wiese, die direkt in das laute Tosen der Wassermassen führte. Rayton dachte kurz nach. Wenn sie auf der offenen Wiese laufen, würden sie dem Feind schon früh genug begegnen. Außerdem fließt jeder Fluss ins Meer, und vom Meer kommt man irgendwie immer zum Menschen. Obwohl er die Idee mit dem Meer gleich wieder verwarf marschierte er voran, immer am Fluss entlang.

Nach weiteren leblosen Tagen begann Rayton das Gefühl zu bekommen, dass die Berge, die dieses Tal umgaben, langsam näher kamen, sich auf ihn zu bewegten. Dieser Gedanke schien ihm selbst auch wirr, doch er hatte diesen Gedanken fest gepackt. Die Ufer des Flusses schienen sich zu erweitern. Die Wassermassen stiegen an. Selbst die Sonne kam auf ihn zu. Hinzu kam das Gefühl, als würde die Welt einstürzen. Das Himmelszelt drohte aufzubrechen und wie spitze Scherben die Erde zu verwüsten. Die Temperatur stieg sehr stark an, wollte die Welt verbrennen. Dann schwächte sie wieder ab, er erfror fast. Ein Erdbeben schien nun den Boden unter ihm heimzusuchen. Drawyk klopfte ihm von hinten auf die Schulter: "Rayton, ist dir nicht gut?" Verwirrt riss er sich von der bedrohlichen Hand seines Offiziers los. Drawyks andere Hand griff doch nur an sein Messer um es ihm in den Magen zu stechen. Doch dies war weniger wichtig. Der Boden unter Raytons Füßen vibrierte, wackelte und schüttelte ihn durch. Torkelnd hielt er sich gerade so auf den Beinen. Die Luft zum Atmen blieb aus. Eine bestialische Hitze der Hölle breitete sich aus, doch gleichzeitig schien sein Körper vor Kälte zu erstarren. Rayton sah noch Drawyk auf ihn zu laufen, doch seine Füße trugen sein Gewicht nicht mehr. Außer Atem kippte er auf die Knie, der Schweiß lief ihm über sein ganzes Gesicht. Hilfesuchend streckte er seinen Arm zu Drawyk aus, doch sein Oberkörper wurde taub und fiel ins Gras.

Sein erster Gedanke, als er wieder zu sich kam, war: Das wievielte Mal wurde ich nun von Drawyk gerettet? Rayton lag geschwächt im Gras: "Was war das?" Drawyk kniete sich neben ihn: "Das war ein Sonnenstich der besonderen Art! Wir sollten in Zukunft im Schatten des Waldes laufen." "Wie finden wir dann die schwarzen Bestien?" "Das bleibt eine andere Frage..." Murrend gab Rayton schließlich klein bei.

Die Tage des Marsches im Wald verstrichen wie in Zeitlupe, nichts Besonderes geschah. Selbst der Wind blieb nun aus und verbreitete die Hitze im Tal. Nach einem weiteren Tag fernab der Zivilisation trafen sie auf etwas gänzlich Unerwartetes. Vor ihnen erstreckte sich ein großes schwarzes Ungeheuer. Es lag in seiner glänzenden Schuppenpracht und mit einer tiefen Kratzwunde tot am Boden. Als erster traute sich Rayton näher an das Tier dieser mysteriösen und geheimnisvollen Spezies heran: "Drawyk, hast du zufällig eine Feder, Tinte und Pergament dabei?" "Ja, aber nur das Zeug für die Karten." "Gut, gebt es mir mit einer flachen Unterlage." Drawyk schien nicht wirklich zu wissen, was Rayton vorhatte, doch er gehorchte.

Mit den Sachen in der Hand umkreiste er mehrmals das Geschöpf, welches natürlicherweise wie jedes anderes Lebewesen auf Erden von Gott geschaffen wurde. Ein Wesen, welches sich von jeder anderen Lebensform deutlich unterschied. Ein Tier, welches eigentlich gar nicht existieren dürfte. Vorsichtig legte Rayton seine Hand auf die bereits ausgekühlten Schuppen. Er strich mit dem Zeigefinger mehrmals über sie. Die Schuppen waren glatt wie Seide, doch hart wie ein dickes Buch. Behutsam zupfte Rayton eine Schuppe heraus. Diese war nicht sonderlich schwer. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, versuchte er die Schuppe zu knicken. Als er dies tat, kam ein sprödes Geräusch aus dieser, und sie brach entzwei. Nun widmete sich Rayton dem Kopf zu, der größer war als jeder von diesen Tieren, die in fernen Ländern mit Rüssel und großen Ohren beschrieben wurden. Mit Ehrfurcht blickte er dem Leichnam tief in die Augen, und glaubte ein letztes Funkeln zu entdecken. Mit einer Art Phobie öffnete er das große Maul des Raubtiers. Drei Zahnreihen säumten diese und eine große, nicht gespaltene Zunge. So spitz sahen die Zähne dann auch wieder nicht aus, musste er auch zugeben. Zu Raytons Leidwesen kam allerdings ein grauenvoller Verwesungsgeruch aus dem Maul, welcher ihn mit einem Würgereflex zurückweichen ließ. Nach einer kleinen Erholungspause von dem Geruch und fragenden Blicken von Rayton und den fünf Soldaten widmete er seine Aufmerksamkeit den alles vernichtenden Krallen. Diese schienen aus demselben knochenähnlichen Material zu sein wie die Schuppen. Abgestumpft und eingerissen von blutigen Kämpfen waren sie. Einiges geronnenes Blut, welches Rayton leicht von Menschenblut unterscheiden konnte, klebte an ihnen. Das Tier muss zu Lebzeiten wohl wie seine Artgenossen sehr gefährlich gewesen sein, obwohl es hier so friedlich in der Landschaft ruht. Als letztes ging Rayton zu den gigantischen Flügeln, gegen die der Flügel eines Albatrosses aus dem hohen Norden wie ein Witz aussah. Mit seiner Handspanne vermaß er den Flügel. Rayton kam zu dem Ergebnis von etwa achtundvierzig Handspannen, was etwa dreißig Fuß entspricht. Mit diesem überwältigenden Ergebnis war dieses Geschöpf bei weitem des größte Lebewesen in der Luft, und spielt am Boden sehr weit oben mit, wenn man Flügel und Schwanz nicht mitzählt.

Nun setzte sich Rayton auf einen kleinen Findling, der in der Nähe stand, und begann eine genaue Zeichnung von dem Geschöpf anzufertigen, welches er eigentlich bezwingen wollte. Als Betrachter konnte man wahrhaftig sagen, dass erst einige Jahrhunderte später von der Person, die auch die Evolutionstheorie aufstellte, derartige Zeichnungen angefertigt wurden. Bis dahin war der Jagdtrieb des Menschen allerdings bei vielen Tierarten zu weit gegangen, damit stand dieses Geschöpf vor Rayton längst nicht alleine(...)

Einige Stunden saß Rayton an seiner Zeichnung, die wie ein Ebenbild der Realität aussah. Drawyk, der das Ganze genau mitverfolgte, erhob nun das Wort: "Rayton, warum machst du das?" Rayton stand auf: "Weißt du, die Natur kommt uns wie eine Selbstverständlichkeit vor. Doch wenn auch nur eine Kleinigkeit fehlt, stürzt das die Natur ins Chaos, und der Mensch beklagt sich darüber, was er selbst auslöste. Schließlich sagt er dann: Wie konnten wir das ahnen?! Niemand hat uns gewarnt!" Drawyk hob nur die Augenbrauen an: "Soll das heißen, ...wir kehren um?" "Ja, ich glaube, diese Wesen folgen nur ihrem Jagdinstinkt, dafür sollte man sie nicht gleich ausrotten. Wir drehen jetzt und gehen nach Osten!" Drawyk grinste hämisch: "Ich glaube, wenn wir weiter nach Westen laufen, kommen wir früher nachhause." Rayton war nur verwundert: "Du gehörst also zu denen, die von einer Kugel reden, stimmt’s?" Drawyks Grinsen wurde zu einem leisen Grummeln.

Den ganzen Weg zurück passierte ebenfalls nichts, außer, dass gelegentlich die Blätter von den Bäumen fielen. Nach und nach wurde die Luft auch wieder kühler. Der Wald ließ nun immer mehr Sonnenstrahlen, die eher ein kaltes Gefühl brachten, hindurch. Sie marschierten immer weiter den breiten Talpfad zwischen den Bergen entlang, bis dieser enger wurde, und schließlich selbst in einem Berg endete. Auf Raytons Befehl jedoch umgingen sie weitläufig das alte Schlachtfeld. Für kurze Zeit hatte er wieder das Verlangen, die ganzen Bestien hinzurichten, wie sie es mit seinen Soldaten, ...und seinem Pferd taten. Nur die Sehnsucht auf ein warmes Heim und nach seiner Familie war noch größer und verdrängte die Wut.

Höher und höher stiegen sie die Berge hinauf, bis das schon verdorbene Gras in Fels mündete, der dann wiederum von Schnee bedeckt wurde. Jetzt kam Rayton der Schnee viel höher und die Temperaturen viel niedriger vor. Auch die Sicht war wesentlich schlechter, was allerdings nur am Wetter lag. Mit einem Spurttempo überquerten sie die Berge, mit dem Verlust von drei der Soldaten. In der Nacht kam zu Rayton auch das Gefühl vom letzten Überqueren der Berge zurück. Das Gefühl des baldigen Todes.

Nur noch hoffnungsloser kam den Verbliebenen die Situation vor, als sie vom letzten Gipfel auf den ewigen Wald blickten. Die Sicht war sehr klar, doch auch der Wald war kahl und von einer Schneeschicht bedeckt. Mit der letzten Hoffnung am Boden zerstört kamen sie auch durchgefroren unten am großen, reißenden Fluss an. Die oberste Schicht des Flusses war zugefroren, doch durch das Eis, was sicherlich zum Überqueren gut geeignet war, sah man noch das untere Wasser, was weiterhin reißend weiter floss. Wagemutig holte Rayton bereits zum ersten Schritt aus, als er von hinten gepackt wurde: "Bist du verrückt?! Das ist Selbstmord, wenn das Eis nachgibt!" Drawyk schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. "Nenne mir nur eine Alternative..." Drawyk überlegte kurz, dann schwieg er mit gesenktem Blick.

Erneut holte er zu seinem vielleicht letzten Schritt aus. Mit Schwung stemmte er prüfend sein Fuß darauf. Ein leises Knirschen, doch kein Riss und das Eis hielt. Ebenso testend stemmte er sein anderes Bein auf das Eis. Ein weiteres Knirschen, doch das Eis hielt weiter stand. Er würdigte Drawyk nur einen kurzen, triumphierenden Blick, dann tat er den nächsten Schritt. Bei dem darauffolgenden Schritt knirschte das Eis sehr viel lauter. Nun wagten sich auch die anderen aufs Eis. Als Rayton auf der Mitte des Flusses war, gab es ein leises Krachen, und der erste Riss zog sich durch das Eis. Sehr langsam und vorsichtig ging er einen weiteren Schritt. Das Krachen wurde lauter und ein zweiter Riss entstand. Mit jeder Sekunde, die er jedoch auf dem Fleck verweilte, vergrößerte sich der Riss zu einer kleinen Spalte, nicht breiter als ein Daumen. Drawyk war direkt hinter ihm und er vergrößerte die Risse nur noch. Nun hörte das Krachen und Knirschen gar nicht mehr auf. Vorsichtig ging Rayton nun zwei Schritte nach vorn und war dem anderen Ufer sehr nahe. Der letzte Schritt und er stand wieder auf vertrauenswürdigem Boden. Ungeschickterweise trat Drawyk jedoch in die kleine Spalte, die sich mit einem lauten Knall öffnete und seinen Fuß ins kalte Wasser riss. Noch bevor irgendjemand auch nur Achtung schreien konnte brach auch Drawyks anderer Fuß ein. Das Loch brach mit einem lauten Getose auf, und auch die zwei anderen Soldaten konnten ihrem Schicksal nicht entrinnen. Brüllend verschwanden alle drei in den eisigen und reißenden Gewässern des Flusses.

Eine ganze Weile stand Rayton einfach nur da, geschockt von dem passierten. Vergebens hoffte er, dass Drawyk noch einmal von irgendwo her auftauchen würde. Nachdem er allerdings wieder einen klaren Kopf bekommen hatte, gab er es auf und kniete sich zum Gebet nieder. Ewig verweilen konnte er aber nicht, deshalb trat er seinen Feldzug nach hause an. Immer wieder schwirrten ihm seine Erinnerungen im Kopf umher. Tiefer und tiefer, nur mit seinem Kompass, seiner zerkratzten und zerdellten Rüstung und seiner Zeichnung marschierte er weiter. Nach wenigen Tagen jedoch trieb ihn sein Hunger zu Verzweiflung. Bei allem was er sah, fragte er sich: Könnte man das nicht essen? Versuchen wollte er es aber nicht. Sein Magen fing sehr bald an heftig zu drücken, wodurch er sich gekrümmt fortbewegte. Aus seiner Verzweiflung, und seiner Hoffnung zur Ankunft lief er Tag und Nacht durch. Der Müdigkeit konnte er nur schwer widerstehen, die Kälte begann seinen Körper zu zerfressen und sein Hunger zerrüttete ihn. Auch Wasser hatte er nicht. Als er vom Hunger zu Boden gestreckt wurde, kam ihm seine letzte Idee. Hastig nahm er Schneeklumpen für Schneeklumpen und verschlang ihn als Nahrungsmittelersatz. Sein Hunger wurde davon jedoch nicht im Geringsten gestillt, doch sein Magen fror praktisch ein. Den brennenden Schmerz in seinem Fuß gab er schließlich auch nach, und riss sich seinen Stiefel vom Leib. Sein Blick fiel auf eingefrorenes Gewebe, was langsam abfaulte. Die Erfrierung kroch langsam sein Bein hoch, vor Schmerzen krümmte sich sein ganzer Leib. Nur mit den Händen und die Füße hinter sich her schleifend robbte er sich voran, jede Fußlänge brachte ihn seine Heimat näher. Doch unter der Kälte des Schnees froren auch seine Hände ein. Rayton wälzte sich um Gnade bettelnd hin und her. Es dauerte nicht sehr lange, bis seine Kraft endgültig versiegte. Aufgebend röchelte er die kalte Luft ein, die sich an seinen Lungen festsetzte. Da lag er nun, hilflos der Naturgewalt ausgesetzt.

Seine Erinnerung schien ihn jedoch einen letzten Lebenshauch zu geben. Wie seine Kinder ihn nach Feierabend ihn den Arm nahmen. Seine liebenswerte Frau, die ihn wohlwollend küsste. Langsam fror auch sein Blut in den Adern ein. Nun kamen weitere Erinnerungen hoch; sein Pferd mit dem einzigartigen weißen Fell und seinem stolzen Blick, mit dem er Rayton immer anschaute. Nach und nach fror sein Körper nun ein. Die Erinnerungen verblassten langsam. Das fröhlich Trinkspiel, das sie noch unternahmen... Die Kälte arbeitete sich nun zum Herzen hervor, legte dessen gleichmäßigen Rhythmus still.
 

© Wolfgang König
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
www.drachental.de