Zur Hölle von Arathas

Ein dumpfer Schlag wie von einem Kanonenschuß erschütterte die Welt. Die Wirklichkeit versank in einem schwarzen Strudel, drehte sich um die eigene Achse und zerbarst lautlos. Stille herrschte, bis sie von lautem Rauschen abgelöst wurde.
Das Universum kehrte zurück, doch es schien, als hätte jemand die Splitter falsch aneinander geklebt...

Elaine erwachte. Ihr Schädel brummte, als hätte sie am vorigen Abend ohne fremde Hilfe drei Fässer Rum geleert. Da sie keinerlei Erinnerung mehr besaß, was eigentlich geschehen war, konnte diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden.
Sie faßte ihren dröhnenden Schädel mit beiden Händen und wartete, bis die Welt wieder still stand. Nach einiger Zeit quoll in ihr der Gedanke, daß sie lange auf dieses Ereignis warten würde, denn sie befand sich an Bord eines Schiffes.
Genauer gesagt ihres Schiffes. Käpt'n Elaine Hartford. Bezwingerin der sieben Weltmeere. Geissel der westlichen Welt. Eine Piratin wie sie im Buche stand. Das einzige, was ihr noch weiter vorauseilte als ihr Ruf, war ihre Alkoholfahne.
Sie rappelte sich auf, riskierte einen Blick aus dem Fenster der Kapitänskajüte und ließ sich vorsichtshalber wieder zu Boden sinken. Dieser wanderte zwar immer noch von einer Seite auf die andere, ohne sich für einen bestimmten Aufenthaltsort entscheiden zu können, aber solange sie nicht aufrecht stand, hatte sie wenigstens nur mit einer Variablen zu kämpfen.
Der Abend dämmerte, und von draußen erklang weder tosendes Gejohle noch streitlustiges Geschwätz. Sie fluchte so undeutlich, daß sie selbst nicht genau verstand, was sie eigentlich gesagt hatte, und schüttelte den Kopf. Ihr Schiff, die Windsbraut, war bis zum Rand gefüllt mit widerlichem Piratenpack, das seinerseits wiederum bis zum Rand gefüllt war mit billigem Fusel.
Normalerweise trank man um diese Tageszeit um die Wette, spielte um Katzengold, das mindestens so oft den Besitzer wechselte wie eine gut gefüllte Buddel voll Rum, oder grölte ganz einfach nur ein wenig und verscheuchte etwaige Sirenen. Obwohl Elaine daran zweifelte, daß deren Gesang unheilvoller wäre als das Gekreische der Männer. Der Vorteil war, daß sich von dem Gebrüll immer wieder Fischkutter und kleinere Schiffe angezogen fühlten, andererseits sah sich das Lumpenpack, das sich Piraten schimpfte, anschließend außerstande, in betrunkenem Zustand eine Schlacht zu führen.
Zugegeben, an diese Erkenntnis war Elaine durch das mehrmalige Ausprobieren- und- Fluchen- Prinzip gelangt. Piraten, die in erster Linie darauf achten müssen, sich nicht selbst zu verletzen, stellen selbst für einen Fischkutter keine große Gefahr dar. Außer, sie versuchen, sich mit einer Kanone nicht selbst zu verletzen und schießen zufällig in die richtige Richtung.
Sie fragte sich, was in der Kombüse zubereitet wurde, denn ein leichtes Hungergefühl hatte sich in ihren Magen verirrt. Es hielt sich, angesichts der großen Mengen von beißendem Alkohol, die jedes anderen Gefühl sofort vertrieben, erstaunlich gut und machte keine Anstalten, von allein zu verschwinden.
Sie wagte einen zweiten Versuch aufzustehen, kam zumindest auf alle viere und überlegte ernsthaft, ob sie sich in diesem Zustand vor ihren Leuten zeigen sollte. Einerseits konnte man ihre Situation schnell ausnützen, andererseits... jeder, der das versuchte, würde bald dem beliebten morgendlichen Seeräuberfrühsport frönen: Kunstspringen von der Schiffsplanke, gefolgt von Wettschwimmen mit den Haien.
Ein hohles Stöhnen erklang, als Elaine die Tür öffnete. Sie verharrte einen Moment und überlegte, ob es von ihr gekommen war oder von der Tür, zuckte dann die Schultern und trat nach draußen.
Ihre gesamte Mannschaft war auf brutalste Weise abgeschlachtet worden und lag verstreut auf Deck.
Elaine blinzelte. Dann erkannte sie, daß die ganze Szene nur Einbildung gewesen sein konnte, schloß Tür sowie Augen und öffnete beides erneut.
Ihre gesamte Mannschaft war auf brutalste Weise abgeschlachtet worden und lag verstreut auf Deck.
"Scheiße." Die Piratin taumelte zur Reling. Sie ließ sich ihr Frühstück noch einmal durch den Kopf gehen, drehte sich um, betrachtete ihre ehemalige Mannschaft ein zweites Mal und beugte sich erneut über die Reling. Ihr Blick wanderte das Deck hinauf, bis sie die Leichen von zwei englischen Soldaten zwischen ihren Männern liegen sah.
Schlagartig ernüchterte sich ihr Verstand. Sie Närrin! Seit Tagen schon befanden sie sich auf königlichen Gewässern, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die verdammten Briten sich blicken ließen!
Aber warum hatte sie von dem Kampf nichts mitbekommen? Und warum ließen die Engländer das Schiff einfach so zurück? Und warum hatten sie sie nicht getötet?
Mit einer Hand nach ihrem Hinterkopf tastend drängte sich ihr eine Lösung auf, die leider so gar nicht gefallen wollte. Elaine mochte faul, brutal und die meiste Zeit über unzurechnungsfähig sein, aber sie war nicht dumm. Aus diesem Grund achtete sie peinlich genau darauf, daß keiner ihrer Männer sie in letzterer Eigenschaft übertreffen konnte. Sie wußte nicht, daß dies eine vielerorts praktizierte Art war, sich seine Mitarbeiter auszusuchen, und wenn sie es gewußt hätte, dann würden sie nun andere Sorgen plagen.
Beispielsweise war ihre Hand blutbeschmiert, als sie von ihrem Ausflug vom Kopf zurückkehrte. Ihr Vater hatte ihr einst eingebleut, daß es durchaus in Ordnung war, blutbeschmierte Hände zu haben, solange man darauf achtete, daß es nicht das eigene Blut war.
Dieses hier war noch warm und definitiv nicht von jemand anders, so sehr Elaine sich das auch wünschte.
Sie fluchte erneut, allein um des Fluchens Willen, und begann damit, nach einem Verband zu suchen. Sie zögerte, als sie ihren ersten Maat, Mikey, vor sich liegen sah. Er war tot, darüber konnte kein Zweifel bestehen. Niemand, dessen Kopf auf eine derartige Art und Weise verdreht war, weilte noch unter den Lebenden.
Trotzdem geschah etwas mit dem Leichnam: Dünne blaue Fäden züngelten daraus hervor und loderten über dem Körper. Es hatte den Anschein, als würde Mikey brennen. Es war ein blaues Feuer - von dort, wo die Flamme am heißesten war. Doch es ging keine Wärme davon aus.
Die Fäden verdichteten sich, stieben auseinander und fanden wieder zusammen, bis sie Gesicht und Leib des Verstorbenen nachahmten. Schließlich war die Gestalt komplett. Elaine schluckte. Sie stand einem Geist gegenüber. Die blaue Figur, die sich nun vollständig erhoben hatte, erweckte einen leicht ziellosen Eindruck und begann, auf dem Deck herumzuschlurfen.
Auch aus den restlichen Körpern strömten blaue Schatten und strebten danach, sich zu verdichten und zu Geistern zu werden. Elaine war der Meinung, daß dies genügend Überraschungen für einen Abend wären, doch in diesem Moment löste sich die Windsbraut auf und hinterließ lediglich eine schlechte Erinnerung, gespenstische weiße Linien, die ein Schiff nachbildeten, und eine Menge Gestank. Nun war Elaine die einzige Überlebende auf einem Geisterschiff. Die durchsichtigen Planken der Windsbraut sahen aus wie ein Knochengerippe und waren nicht wenig furchteinflößend.
Die Nacht hatte längst begonnen, doch der Mond zeigte sich nicht am Himmel. Statt dessen wehte ein unruhiger Wind und blähte Segel auf, von denen bloß noch die Umrisse vorhanden waren.
"Oh verdammt" murmelte Elaine und zwang sich, ruhig nach einer Lösung zu suchen. Es kam des öfteren vor, daß sich ein komplettes Boot in ein Geisterschiff verwandelte, allerdings nur dann, wenn die gesamte Mannschaft tot war. Hier lag eindeutig ein Fehler vor. Der Käpt'n verspürte den Drang, jemanden dafür zu bestrafen, doch sie bezweifelte, daß die umherwandernden Gespenster sich schlagen lassen würden.
Das Schiff legte sich auf die Seite und fuhr eigenständig in einen tosenden Tunnel aus schwarzen Wassermassen, die sich zu beiden Seiten auftürmten. Elaine drehte sich um und spähte zum Heck. Der Geist des Steuermanns stand am Ruder und steuerte direkt in die Fluten hinein. Die Piratin rannte zu ihm und stemmte sich gegen das Rad, bis ihre Kräfte verbraucht waren, doch sie konnte die Windsbraut nicht von ihrem Kurs abbringen.
Gebannt starrte sie nach vorn und sah zu, wie ihr Schiff, ihre tote Mannschaft und schließlich sie selbst von einem Schlund aus schwarzem Wasser verschluckt wurden.
Es wurde kalt.
Licht schimmerte von unten zu ihr herauf und erleuchtete die Umgebung in einem gespenstischem Blau.
Die Windsbraut befand sich wieder auf dem Meer... oder zumindest auf einem Meer. Elaine hatte von diesem Ort gehört. Sie trieben auf dem 'Ozean der Seelen'. Das Schiff pflügte durch einen Kanal, der sich ausschließlich aus blauen Gestalten zusammensetzte, die dazu verdammt waren, auf ewig hier zu treiben. Qualvolles Stöhnen drang an ihre Ohren, doch sie verschloß ihre Gedanken und verspürte einen Anflug von Angst.
Dies war der Weg zur Hölle. Ihr Schiff... es stach zum letzten Mal in See. Es befand sich auf seiner letzten Fahrt.
Wie es aussah, gab es keine Möglichkeit mehr, etwas daran zu ändern. 
Nach einer schier endlosen Reise durchquerten sie ein riesiges Tor, das wie ein gähnender Schlund auf alles zu warten schien, das sich ihm näherte. Elaine vermutete zu Recht, daß es das Tor zur Hölle war.
Dahinter stockte das Schiff so plötzlich, wie es sich in Bewegung gesetzt hatte. Die Piratin verlor fast ihren Halt. Als sie nach der Reling griff, konnte sie sich erstaunlicherweise an dem durchsichtigen Metall festklammern.
Zwei Gestalten tauchten wie aus dem Nichts auf und schlenderten auf sie zu. Es waren keine Geister, soviel war sicher. Aber Elaine bezweifelte, daß sie aus Fleisch und Blut bestanden.
Wenn dies ihr letztes Abenteuer war, sollte es gefälligst besser werden, beschloß die Piratin. Sie war nicht in der Stimmung, sich noch weitere Unannehmlichkeiten gefallen zu lassen. Es mußte einen Weg geben, der Hölle wieder zu entfliehen! Immerhin war sie nicht tot!
"Wen haben wir denn hier?" fragte eine der Gestalten, als sie nähergekommen waren.
"Diese Frau dürfte gar nicht hier sein!" brauste die andere auf.
"Ich bin Elaine" sagte Elaine hilfreich.
"Sie ist lebendig!"
"Das sehe ich selbst, zur Hölle." Die große gehörnte Figur, die das gesagt hatte, konnte niemand anders als der Teufel persönlich sein. Feuerrote Schuppen bedeckten seinen gesamten Körper, und seine Ziegenfüße schabten ungeduldig auf dem Deck.
"Da befinden wir uns ja sowieso", ließ die zweite Person verlauten. Elaine vermochte nicht zu sagen, wen sie darstellen sollte. Sie war schwarz und stämmig, und zwei lodernde Funken prangten dort, wo man Augen vermutet hätte.
"Was habt ihr mit mir vor? Und wer seid ihr?" fragte Elaine.
"Oh, wie unhöflich von uns. Bitte laß mich uns vorstellen. Gestatten, mein Name ist Satan, und dieser dunkel gekleidete Herr neben mir ist Hades."
Hades verneigte sich knapp.
"Wieso habt ihr mich zu euch geholt? Ich lebe doch noch!"
"Stimmt", gab Hades ihr Recht. "Das ist eine sehr verzwickte Angelegenheit."
"Nun, eines ist sicher, aus der Hölle kommt keiner mehr heraus." Satan machte eine kleine Pause und schien abzuwägen, ob er Elaine die Wahrheit verraten sollte. "Und nichts kommt herein, solange du, eine Lebende, sich hier aufhält!" Er schnippte mit den Fingern, und hinter ihm fiel ein gigantischer Riegel vors Höllentor.
"Gefangen", ließ Hades trocken verlauten.
"Ich darf nicht mehr heraus?" Die Piratin klang langsam verzweifelt. Was hatte sie denn getan, um ein solches Schicksal zu erleiden?
"Gesetz ist Gesetz, tut mir leid", enttäuschte Satan sie, doch dann erhellte sich seine Miene. "Allerdings kann man hier unten auch ganz schön viel Spaß haben!"
"Ich muß doch sehr bitten!" Hades knurrte in einem härteren Tonfall und blickte Satan zornig an, was ziemlich gut klappte mit Augen, die nur aus Feuerbällen bestanden. "Dies ist immer noch mein Reich."
"... dies ist immer noch mein Reich", äffte Satan ihn nach und streckte die Zunge heraus. "Es wird aber langsam Zeit, daß du es abtrittst, meinst du nicht auch? Die Ära, in der die Griechen dir Altäre errichteten, ist längst vorbei! Niemand glaubt mehr an dich! Das Christentum ist auf dem Vormarsch. Wenn ich hier nicht bald die Inneneinrichtung rauswerfen kann, haben wir gar keinen Platz für die vielen Seelen!"
"Ich, ähm...", meldete sich Elaine zu Wort und hoffte, damit nicht zuviel Zeit in Anspruch zu nehmen. Sie hatte einen todsicheren Plan erdacht, wie sie hier wieder herauskommen würde. Aber sie war sich sicher, daß Satan und Hades diesen Plan ebenfalls kannten und ohne Mühe durchkreuzen konnten. Für diesen Zweck hatte Elaine einen zweiten Plan entworfen.
Satan gab sich gelassen und spitzte ein Ohr, bis es blutete und die gequälte Seele schreiend davonflog. Er war sich im Klaren über Elaines Pläne, aus der Hölle zu entfliehen. Sie liefen immer auf das selbe Schema hinaus. Er hatte Erfahrung mit so etwas.
Auch Hades widmete sich wieder der Piratin. Er leitete die Hölle schon ein wenig länger und wußte, daß Elaine wußte, daß er wußte, welchen Plan sie verfolgte. Doch im Gegensatz zu Satan, der dies zwar auch wußte, wußte Hades aus Erfahrung, daß Elaine sich noch einen zweiten Plan zurecht gelegt haben würde.
Was Satan und Hades nicht wußten, war, daß Elaine wußte, was sie wußten, und sich überhaupt keine Mühe gemacht hatte, einen Plan zu entwickeln. Statt dessen griff sie mit einer blitzschnellen Bewegung nach dem Dreizack, den Satan bei sich trug, und richtete ihn auf die beiden Höllenherrscher.
"Das war so klar", murmelte Hades und unterdrückte ein Grollen. "Wenn man schon mal so einen Grünschnabel ranläßt..."
"Wen nennst du einen Grünschnabel?" schnappte Satan und ballte die Faust.
"Zurück mit euch beiden, und keine Dummheiten!" verlangte Elaine und stocherte mit dem Dreizack in die ungefähre Richtung von Hades. Sie spürte das warme Blut von ihrem Kopf herabtropfen. Ihr Schädel dröhnte schon wieder. Pochend meldete sich der Schmerz zurück, doch diesmal mit einer Wucht, die die Welt umzukippen drohte.
Alle Geräusche schienen plötzlich von überall her wiederzuhallen. Die Höhlenwände echoten ihre eigene Stimme. Hades streckte ihr die bloßen Hände entgegen.
Der Schmerz war wirklich überwältigend, doch langsam kehrten die Farben zurück. Hades besaß auf einmal ein Gesicht und blickte ihr in die Augen. Wo waren die glutroten Feuerbälle geblieben? "Bleiben Sie ruhig, Elaine!" sagte er langsam. "Lassen Sie uns reden. Legen Sie die Pistole auf den Boden..."
Elaine blickte auf den metallenen Dreizack. Er existierte nicht mehr. Eine Schußwaffe lag statt dessen kühl in ihren Händen.
Sie zwinkerte und schüttelte den Kopf. Woher kam auf einmal die Pistole?
"Wir werden versuchen, Ihr Leben zu retten! Aber bitte, legen Sie jetzt die Waffe auf den Boden und kommen Sie mit uns nach draußen", sagte Hades, der plötzlich eine Polizeiuniform trug und beschwichtigend mit den Händen wedelte. Ein zweiter, jüngerer Polizist stand neben ihm.
Elaine blickte sich um. Alles drehte sich. Mehrere Menschen lagen zusammengeduckt auf dem Boden und hatten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Sie trat einen Schritt zurück und stieß an einen Körper. Sie schielte nach unten. Es war der Leib von Mikey... ihrem Freund. Sie hustete und konzentrierte sich auf die Waffe in ihren Händen. Mikey war tot. Ein Loch klaffte in seiner Stirn, seine Augen starrten ausdruckslos zur Decke. Auch die anderen Mitglieder ihrer Piratencrew... ihrer Bande, verbesserte sie sich... alle waren tot, lagen um sie herum...
"... hören mir doch zu, nicht wahr, Elaine?"
Ein paar Meter entfernt lagen die Leichen von zwei Wachleuten, die ebenfalls im Kugelhagel gestorben waren. Elaine sah zu Hades, der gar nicht so freundlich wirkte, wie er sprach.
"Ach, vergiss es!" sagte Satan plötzlich und streckte theatralisch die Hände in die Luft. "Lassen wir sie gehen. Was bringt sie uns noch?"
Die Piratin blickte auf, gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie Hades die Augen verdrehte.
"Drehst du jetzt völlig ab? Wir können sie nicht gehen lassen, das wäre schlecht für's Geschäft! Hier ist noch nie einer lebend raus gekommen! Außerdem hat sie deinen Dreizack."
"Ach, den. Der ist eh schon alt und schartig. Kein gutes Folterinstrument. Soll sie ihn behalten."
"Du kannst ihr nicht deinen Dreizack überlassen", meldete sich Metatron, die Stimme Gottes, ohne Vorwarnung dröhnend zu Wort. Sie schien von überall gleichzeitig zu kommen. "Er ist eines deiner Markenzeichen!"
"Halt's Maul, Metatron", sagte Satan und winkte ab. "Das hier kriegen wir auch ohne deine Hilfe hin. Hades, demonstrier uns doch mal deine übernatürlichen Kräfte und nimm ihr meinen Dreizack ab, ja?"
"Einen Scheißdreck werd' ich tun!" knurrte Hades. "Hast du vergessen, was sie da im Gürtel stecken hat?"
"Ach, die paar Feuerwerkskörper. Sind doch nichts weiter als Sylvesterraketen. Was können die schon anrichten?"
Elaine wußte, daß gerade etwas wichtiges stattfand. Das Gespräch zwischen Hades und Satan machte keinen Sinn, aber es ruhte auf... einem wahren Kern...
Sie schüttelte den Kopf und biß sich auf die Zunge, bis der Schmerz explodierte. Farben tanzten in ihrem Kopf. Schwarze Schemen wurden wieder zu Formen und Gestalten.
Sie hatte die Pistole noch immer auf die beiden Polizisten gerichtet.
"Sie brauchen einen Arzt. Ohne einen Arzt werden Sie die nächsten zehn Minuten nicht mehr überleben!" versuchte es der zweite, jüngere Polizist so einfühlsam wie möglich. "Sie haben eine Kugel in den Hinterkopf gekriegt. Es ist ein Wunder, daß sie noch nicht tot sind!"
Elaine zuckte zusammen. Eine Kugel. Daher die Schmerzen. Es fügte sich alles zusammen, wie bei einem Mosaik. Mit dem feinen Unterschied, daß ein Mosaik üblicherweise ein hübsches Muster ergab... die Welt drohte erneut zu kippen...
"Ich..." stammelte sie und biß sich so fest auf die Zunge, daß sie ein Stückchen davon abtrennte. Wach bleiben. Wach bleiben!
Ihr Blick wanderte durch die Bank... Menschen drängten sich in einer Ecke zusammen. Leises Schluchzen erklang von verschiedenen zusammengekrümmten Körpern. Ein paar der Zivilisten hatte es auch erwischt, doch die meisten schienen unverletzt zu sein.
"Es ist aus", sagte der ältere leise. "Sie müssen es einsehen. Verursachen Sie nicht noch mehr Leid."
Elaine blickte zur Tür. Draußen wimmelte es jetzt von Einsatzwagen. Irgendwer sprach in ein Megafon und verlangte, daß sie mit erhobenen Händen das Gebäude verließ, da man die Bank umstellt hatte.
"Stecken Sie das Ding ein", murmelte der ältere Polizist leise in seine Jacke. "Wir haben die Lage im Griff. Sie erschrecken sie bloß, wenn Sie weiter so rumbrüllen."
Das Megafon verstummte.
"Seien Sie ein Mensch...", versuchte der Jüngere es wieder, eindringlich.
Sie schnappte nach Luft. Irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie sah an sich herab, und wieder kehrten Teile ihrer Erinnerung zurück. Sprengstoff. Um ihre Taille geschnürt, mit Trägern an ihrer Kleidung befestigt. Genügend Sprengstoff, um das ganze Gebäude in Schutt und Asche zu legen. Ihr Blick wanderte zu ihrer linken Hand, die krampfhaft einen Auslöser umklammerte.
Ihr Herz pochte so laut, daß jeder Schlag in ihrem Kopf wiederhallte. Sie wußte sehr wohl, daß es vorbei war. Sie war einer Ohnmacht näher als einem klaren Gedanken. Schwarz, alles wurde schwarz...
Hades sah sie an und schüttelte den Kopf. "Tun Sie es nicht, Elaine. Lassen Sie es sein..."
Ein Kichern entwich Elaine. Sie hatte verstanden! Sie hatte tatsächlich einen Weg gefunden, um Hades und den Satan persönlich auszutricksen! Sie würde einfach die Feuerwerkskörper zünden und mit ihnen durch die Decke davonbrausen...
"Draußen wartet ein Krankenwagen, Elaine", flüsterte Hades.
Krankenwagen? Das Wort weckte Gefühle. Gute Gefühle... trotzdem paßte es irgendwie nicht hierher. Dies hier war die Hölle. Ein Wort wie gut existierte hier nicht. Sie war gefangen und mußte alles daran setzen, Hades und Satan zu entfliehen, und sie wußte auch schon, wie sie das anzustellen hatte: Sie würde einfach die Feuerwerksraketen zünden und mit ihnen durch die Decke davonfliegen! Der Plan war perfekt! Auf wackeligen Knien atmete sie aus und wappnete sich für den Flug. Wenn sie Glück hatte, würde sie mit den Raketen hoch genug fliegen, um in den Himmel zu kommen...
"Zur Hölle mit euch...", preßte Elaine hervor, lächelte und zündete die Raketen.
 

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