Das Geheimnis der Silberwölfe von Arathas |
Die kalte Nachmittagssonne brannte auf meinen Schädel, während ich mich durch die Schneewehen quälte. Meine Kleider waren zerrissen und fast ebenso mitgenommen wie mein Mut. Überall an meinem Körper fühlte ich die Stichwunden, die mir meine ehemaligen 'Freunde' zugefügt hatten. Ich stolperte, kippte nach vorn und rutschte ein paar eisige Hänge hinab, nur, um an ihrem Fuße zum Liegen zu kommen. Daß ich noch keine Knochenbrüche hatte, grenzte an ein Wunder. Die spitzen Steine, die hier allenthalben aus den eisigen Stellen ragten, konnten einen Mann in zwei Hälften schneiden. Ohne auf die Schmerzen zu achten, stiefelte ich weiter. Die unbarmherzige Sonne war in diesen Höhen kaum zu ertragen. Zum einen verbrannte sie meine Haut, doch andererseits brachte sie meinem Körper keine Wärme. Was für eine Verschwendung von Sonnenlicht, schoß es mir durch den Kopf. Nichtsdestotrotz, ich kämpfte mich weiter nach unten. Irgendwo dort, wohin mein Blick nicht reichen konnte, weil eine massive Wolkendecke mir die Sicht versperrte, mußte ein im Frühlingsduft erblühendes Tal liegen. Ich mußte es nur schaffen, dorthin zu kommen, ohne vorher hier oben einzuschlafen. Aber die Luft war so dünn und machte schläfrig. Es gestaltete sich schwierig, wach zu bleiben. Die Elben, dachte ich an die kleine Karawane zurück, mit der ich gereist war. Ich hatte eine lange Zeit unter ihnen zugebracht und dachte, daß sie mich, einen Menschen, langsam akzeptiert hätten. Natürlich wußte ich, daß ich Onanga, dem Anführer der Sippschaft, schon immer ein Dorn im Auge gewesen war. Aber daß sie mich auf einer unserer gemeinsamen Reisen einfach abstechen und mich auf einem verschneiten Bergpass zurücklassen - an so etwas hatte ich nicht einmal gedacht. Um so überraschter hatte mich der Schlag auf den Hinterkopf um die eigene Achse fahren lassen, als wir die Nebelbrücken passierten. Bevor ich mehrere Stiche in der Magengegend spürte, sah ich Onanga in die kalten Elbenaugen, dann rammte auch er mir sein geschnitztes Messer in den Leib. Aber sie wollten mich nicht töten. Ich hatte zu viele Schlachten mit ihnen gemeinsam geschlagen, als daß ich so blind hätte sein können, zu denken, daß sie mich töten wollten. Jedenfalls wollten sie mich nicht sofort tot sehen. Ich sollte Schmerzen erleiden und mich in meiner Qual verzehren, bevor der Tod mich holte. Doch ich würde ihnen diesen Gefallen nicht tun. Meine Hände schoben den hüfthohen Schnee beiseite, während ich die uralten Massen gefrorenen Wassers zu besiegen versuchte. Als meine Finger schon längst taub und gefühllos waren, dämmerte es mir allmählich, daß ich einen Kampf gegen das ewige Eis nicht gewinnen würde, und sollte er tausend Jahre dauern. Ich würde mich mit der Kälte anfreunden müssen, um zu überleben. Anpassung war das Zauberwort. Ich mußte einen Weg finden, meiner bedrohlichen Lage ein Schnippchen zu schlagen. An meiner Seite fühlte ich das schier tonnenschwere Gewicht meines Schwertes. Die Elben hatten sich nicht die Mühe gemacht, es mir abzunehmen, und ich selbst hatte viel zuviel Angst vor Wölfen oder sonstigen Angreifern, die hier oben ihr Unwesen treiben konnten, als daß ich bereit gewesen wäre, mich um diese Last zu erleichtern. Und wer weiß, vielleicht konnte ich mir ja jetzt meine eigene Dummheit zu Nutze machen. Mit der starren Klinge hieb ich Blöcke aus dem Eis und formte mir in mühseliger Arbeit ein kleines Iglu. Es würde mich durch die Nacht bringen, die bald hereinzubrechen gedachte. Bevor der Horizont seine rötliche Farbe verloren hatte, saß ich bereits in meinem kleinen Häuslein und kaute auf kaltem Schnee, um meinen unsäglichen Durst zu stillen. Das wenige Wasser, das ich gewann, schmeckte abgestanden und widerlich, doch es belebte meinen Geist und erfrischte meinen wunden Körper. Wie lange würde ich es wohl in dieser Eiswüste aushalten? Wie lange konnte ein Mensch, noch dazu in meinem bitteren Zustand, in dieser Einöde seinen Weg beschreiten? Mit diesen und anderen gräßlichen Gedanken wälzte ich mich durch den Schlaf, bis der nächste Morgen mich mit blendender Helligkeit weckte. Die Eisblöcke, aus denen mein kleines Heim gefertigt war, spiegelten und reflektierten die aufgehende Sonne in allen Farben des Regenbogens. Einerseits war es wunderschön, andererseits hielt es mir nur wieder schmerzlich vor Augen, daß ich in einem Gefängnis aus Kälte saß. Schon früh an diesem Morgen brachte ich die ersten Bergkuppen hinter mich, und nun wanderte ich in dunkle Wolkenbänke hinein. Die Luftfeuchtigkeit war hier viel höher als in den Gefilden, aus denen ich kam. Obwohl es kalt war, schwitzte ich in meinen Lumpen, und mein Schwert schien mit jedem Schritt an Gewicht zuzulegen. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, es zurückzulassen. Glücklicherweise setzte ich ihn nie in die Tat um - sei es aus Stolz oder einfach, weil ich ein Narr bin - , denn schon bald führte mich meine ziellose Route an eine Klamm. So tief hinab erstreckte sich die Schlucht, daß ich ihr Ende ob des Nebels nicht zu erkennen vermochte, doch von den Wänden hallte ein dumpfes, plätscherndes Geräusch herauf. Ein Fluß schlängelte sich durch diese Berge, aber da ich nicht wußte, wo mich die Elben von ihren Karren geworfen hatten, konnte ich nicht genau sagen, welcher Strom es war. Meine geographischen Kenntnisse waren gut, doch war ich kein Hellseher. Ich begann, an der Klippe der Klamm entlang zu wandern, und als ich eine Gruppe mächtiger Schierlingstannen nah an ihrem Rande vorfand, machte ich mir mein Schwert zu Nutze und fällte einen der Bäume. Es war die wohl härteste Arbeit, die ich je in meinem Leben verrichtet hatte. Das Holz des Baumes war fest und stark und voller Leben, und mit jedem Schlag meiner Waffe, die für weiß Gott andere Dinge bestimmt war als ein solches Unterfangen, verließ mich ein Teil meiner Kraft. Ich hackte bestimmt den halben Tag, denn als die riesige Tanne endlich kippte, war die Sonne längst über den Zenit gekrochen und wanderte langsam auf die Berge zu, über die ich gerade gekommen war. Ich atmete erleichtert auf, als der Baum genau so fiel, wie ich es wollte: Direkt über die Schlucht. Ich hatte mir eine Brücke geschaffen und konnte meinen Weg fortsetzen. Die kleinen Äste und Zweige mit den Händen beiseite schaffend und die größeren mit meiner Klinge zerhackend, kroch ich Stückchen für Stückchen über die Tanne. Ich wollte einen Blick nach unten riskieren, doch der wurde mir von den Nadeln versperrt. Als ich mich schon fast am Ende der Schlucht wähnte und meine erregten Füße immer unvorsichtiger wurden, geschah das Unglück. An einer Stelle hatte ich einen Ast übersehen, in dem sich mein Fuß verfing und mich längelang zu Boden schickte. Ich fiel in die raschelnden Zweige, die mich abfedernd auffingen und zur Seite schleuderten. In ohnmächtiger Verzweiflung griff ich nach den Ästchen, die sich mir entwanden und nur Harz in meinen Handflächen zurückließen. Meine Haut zerrieb sich an der Borke und meine Schuhe mußten irgendwo im Geäst hängengeblieben sein, da ich sie plötzlich nicht mehr trug. Ich rutschte immer weiter ab, und nur ein wohlwollendes Schicksal bewahrte mich vor ernsthaften Verletzungen, da ich noch immer mein Schwert in der Rechten umklammert hielt und nicht loszulassen gedachte. Letztendlich gab es keinen Baum mehr, der mich hielt, und ich stürzte wenige Meter tief auf einen verschneiten Vorsprung der Klamm ab. Etwas verwirrt betrachtete ich meine Waffe und schob sie zurück in ihre Scheide. Durch die Bewegung merkte ich, wie etwas unter mir nachgab. Die pappigen Schneemassen glitten hinweg, und ich krallte mich an nichts als Eis und gutem Glauben fest und versuchte, nicht mit ihnen in die Tiefe zu rauschen. Doch all meinen Bemühungen zum Trotz schob sich mein Körper mit den Brocken zusammen auf den Abgrund zu, bis ich mich nicht mehr halten konnte und die Schwerkraft an mir zog wie ein Angler an einer Schnur. Kühle Luft ließ meine Haare flattern und blies mir Schneestaub in die Augen. Ich rechnete jeden Moment mit einem harten Aufprall, der mir das Leben aus dem Leib stoßen würde, doch ich prallte in einen weiteren Hügel aus Eis und Matsch, der meinen Fall verlangsamte. Schneebrocken, Steine und allerlei Eisklumpen mit mir reißend schlitterte ich den Hang hinunter, bis ich über einen kleinen Vorsprung geschleudert wurde und mitten in der Luft hing. In der nächsten Sekunde schon umklammerte mich plötzlich eisiges Wasser. Ich stöhnte entsetzt auf und konnte nicht mehr atmen, so kalt war es. Die Fluten spülten mich fort, und ich tauchte unter und versuchte, meinen Schwertgurt zu lösen, doch meine steifen Finger waren nicht mehr zu gebrauchen. Dann schwappten die Wellen über meinem Kopf zusammen, und das brennende Wasser in meiner Lunge ließ mich hilflos zappeln. Das letzte, was ich sah und fühlte, bevor mich die Besinnungslosigkeit mit sich nahm, war das schwarze, wilde und ungebändigte Wüten des Flusses... Ich hatte Sand unter meinen Fingernägeln.
Das war alles, woran ich dachte, als ich aufwachte. Ich zuckte ein wenig
mit den Kuppen. Noch mehr loser Sand - oder war es nasse Erde? - grub sich
unter meine Nägel. Dann begann ich, meinen Kopf wieder zu spüren.
Besser gesagt, ich spürte ein hämmerndes Pochen an der Stelle,
an der sich mein Kopf befinden sollte. Mit unendlichem Kraftaufwand brachte
ich ein leichtes Zwinkern zustande. Verschwommene Bilder boten nicht viel
von dem Ort feil, an den es mich hier verschlagen hatte. Ich raffte mich
vom Boden auf und robbte auf den Knien nach vorn. Meine Handflächen
standen auf irgendetwas weichem, das sich bei näherer Betrachtung
als Gras herausstellte. Gras? Wie kam es, daß hier kein Schnee mehr
lag? Ich drehte mich im Kreis, und überall um mich herum sprossen
Büsche und kleine Bäume aus dem gesunden, grünen Boden.
Auch war es merklich wärmer geworden, meine nassen Kleider ließen
mich nicht einmal frieren. In der Luft zwitscherten Vögel, und an
den Sträuchern hingen wundervoll anmutende Beeren. Ich wähnte
mich schon tot oder in einem Traum, bis ich die Beeren in meinen Mund stopfte
und hastig herunterschluckte. Sie schmeckten genauso gut, wie sie aussahen,
und im Nu hatte ich den ersten Busch kahl gegessen. Ich verzichtete zuerst
sogar auf das Kauen, doch ich zwang mich dann doch dazu, die Nahrung zu
zerkleinern.
© Arathas
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