Die
Zeit der Feuerstürme
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2. Monat |
Lynn war zusehens abgemagert. Die Landschaft hatte sich verändert und der Wald war weiten, kahlen Feldern gewichen. Der Hunger drohte das ungleiche Paar in den Wahnsinn zu treiben, doch unerbittlich trieb Lynn sie voran. Sie hatte kein Ziel vor Augen, doch mit ihren Hetzern im Nacken war dies auch nicht von Nöten. Manchmal sah sie Fackeln am Horizont und Pferde wieherten laut in die Nacht hinein. Lynn verbrachte viele einsame Stunden damit, Nahrung zu suchen. Ab und zu fiel der letzte Schnee und die Nächte waren klar und kalt. Sie zog sich eine Erkältung zu, was sie nur noch mehr behinderte, doch eines späten Abends sah sie Rauchsäulen am Horizont. Hoffnung stieg in Lynn auf und ließ sie ihre Schritte beschleunigen. Cartago war schon längst nicht mehr reitbar und sie kamen nur noch langsam voran. Lynn klopfte am nächsten Morgen übermüdet und ausgehungert an eine hölzerne Tür. Den Kopf gesenkt und Cartago am Zügel stand sie und wartete. Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür und eine dickliche Frau mit langen kastanienbraunen Haaren öffnete ihr. "Was wünscht ihr, Kind?" Lynn schaute auf und schloss kurz die Augen, bevor sie anfing zu reden. "Es tut mir leid, dass ich euch gestört habe, Mylady, doch ich brauche ein Heim für die Nacht und Futter für mich und mein Pferd. Bitte schickt mich nicht fort!" Die Frau zog die Stirn in Falten und Lynn merkte wie sie sorgfältig gemustert wurde. Plötzlich drehte die Frau sich um und rief nach einem Stallburschen. Eine kurze Zeit später wurde ihr Cartago von einem Jungen abgenommen und die Frau fasste sie bei den Schultern. "Steh auf, Kind. Nenn mich bitte Gabrielle. Mylady hört sich irgendwie alt an. Und du?" Lynn stand auf und blickte sich um. "Ich bin Lynn." Gabrielle nickte und führte Lynn ins Haus.
Man bat sie, sich an einen Tisch zu setzen und dort zu warten. Kurze Zeit
später brachte die Frau Lynn Brot und eine kräftige Suppe. Es
schien ihr, als hätte sie noch nie so etwas wohlschmeckendes zu sich
genommen und aß noch drei Nachschläge. Gabrielle saß bei
ihr und schaute ihr lächelnd zu.
"Es hat wunderbar geschmeckt, Gabrielle. Doch ich habe nur ein paar Kupfermünzen und weiß nicht, womit ich sie bezahlen könnte." Gabrielle lächelte immer noch und ihr Blick lag auf Lynns Brust. Dort zeichnete sich der kleine Hügel von Lynns Matrix ab. Sie griff in ihren Ausschnitt, zog den Stein am ledernen Band heraus und befreite ihn aus seiner Umhüllung. Das blaue, pulsierende Licht spiegelte sich in Gabrielles Augen wider, die sich gierig geweitet hatten. Bei diesem Anblick schloss Lynn die Hände um den Stein und es war ihr, als ob sie den Pulsschlag des Steines in ihren Händen fühlen würde. Die Matrix war angenehm warm, doch Lynn rief sich erneut ins Gedächtnis, wozu dieser Stein doch fähig war. "Tut mir leid, Gabrielle! Dies ist ein Erbstück und ich bin nicht gewillt, ihn aus den Händen zu geben!" Gabrielle nickte und ihren Augen loderte Bosheit und Enttäuschung auf, doch Lynn wurde diesem nicht gewahr. Sie ließ den Stein zurück in seine Umhüllung gleiten, schob sich das Band über den Kopf und steckte die Matrix zurück in den Ausschnitt. "Komm mit, mein Kind! Ich werde dir dein Schlafgemach zeigen. Wegen der Bezahlung wird uns schon etwas einfallen." Gabrielle nahm Lynn an die Hand und führte
sie eine hölzerne Treppe hinauf in ein kleines Zimmer mit einem Bett.
Es war verstaubt und klapprig. Die Daunen kamen aus verschiedenen Löchern
der Matratze und überall auf der Erde lag Mäusekot und andere
Überbleibsel von sonstigem Getier.
~ Lynn träumte. Es war ihr, als schrie etwas in ihr nach Hilfe. Hilfe, die sie ihm nicht gewähren konnte, denn sie schlief. Es schrie in ihrem Kopf und ihr Trommelfell drohte zu zerreißen. Ihre Schläfen pochten und Lynn hatte das Gefühl, dass in ihrem Kopf ein Feuer ausgebrochen war. Es wütete und immer war der Hilferuf allgegenwärtig. Nein, da war noch etwas... Ein kleines, blaues Lichtlein, das am Ende der gähnenden Schwärze flackerte. Lynn versuchte es zu fassen, doch der Hilferuf wurde lauter und lauter. Sie griff weit hinaus und erreichte das Licht, das urplötzlich ihr gesamtes Blickfeld ausfüllte. Lynn schrie auf und erwachte. ~ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie
sich in dem vermoderten Raum umblickte. Jegliche Konturen waren verschwunden
und die blauen Flammen waren allgegenwärtig. Einem Reflex folgend
fasste sich Lynn an die Brust. Ihre Matrix war verschwunden und erst jetzt
vernahm sie die schmerzerfüllten Schreie Gabrielles. Sie war von den
Flammen eingeschlossen. Diese züngelten an ihr empor, verschwelten
ihr Haut und Haare. Der gesamte Raum stand in Flammen, ausgenommen das
Bett, auf dem Lynn mit schockgeweiteten Augen saß.
Lynn versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, bevor
sie sich auf Cartago schwang. Sie hatte das Haus geplündert und alles
Essbare mit sich genommen. Auch Geld war im Haus gewesen und Lynn hatte
es in einem kleinen Gefäß in eine der Satteltaschen gepackt.
© Liriel
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