Er würgte und wäre an
seinem Erbrochenem erstickt, wenn Ghart ihn nicht aufgerichtet hätte.
"Was - doch nicht etwa das Höllenkind?"
frug Torian, der offenbar nicht wirklich wusste, was soeben geschehen war.
"Doch, mein Freund, er war es",
antwortete Gart und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Offenbar
weiß er, was wir vorhaben. Es war ein Attentat auf das Kind."
"Dann sind wir von jetzt an alle
in Gefahr, wenn sich die Nacht senkt. Außer..." Torians Rede wurde
von einem starken, anhaltenden und augenscheinlich schmerzhaften Hustenanfall
unterbrochen. Als er sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort: "Fryijo,
dich mit der Fähigkeit kann er nicht unter seine Kontrolle bringen.
Wir müssen dich schnellst möglich den Nahkampf lehren und auf
deine Qualitäten als Nachtwächter hoffen."
Nacht. Eine unter vielen, die sie
mittlerweile verbracht hatten, seit dem Aufbruch damals. Es kam Fryijo,
der mal wieder verzweifelt gegen den Schlaf ankämpfte, vor wie in
einem anderen Leben. Die zwei Tage waren eine platte Lüge gewesen
um Fryijo nicht gewaltsam am Weglaufen hindern zu müssen. Nach einer
Woche hatte er sich erinnert und war stutzig geworden. Doch letztendlich
war es egal. Er sollte helfen, eine der schlimmsten Landplagen auf Íja
Macár zu beseitigen. Eine heroische Tat, vielleicht der Auftakt
zu einer steilen Heldenkarriere. Aufregender, als das Fischerleben. Seine
Eltern hatten an langen Winterabenden immer von großen Heldentaten
der Altvorderen erzählt. Viele Namen, alle unsterblich in den Herzen
und Hirnen der Nachkommen. Vielleicht würden auch über ihn dereinst
Geschichten erzählt werden.
Seine Eltern...
Sie würden sich Sorgen machen.
Sie hatten sicher schon längst erfahren, dass er nie bei seinem Onkel
angekommen war.
Der berüchtigte Karmian hatte
sich seit seinem ersten Auftreten damals nicht mehr gezeigt. Es hätte
ihm auch recht wenig genützt, denn Ghart und Torian schliefen seit
dem aneinander gefesselt. Tagsüber trug einer der beiden ihn, damit
auch Fryijo ein wenig Schlaf finden konnte.
Trotz der langen Wanderung war
der Skelettberg am Horizont kaum näher gekommen. Gut, er erschien
jetzt etwa doppelt so groß, wie zu Beginn der Reise, aber das war
nur ein schwaches Anzeichen der Annäherung, da sie zwischendurch Wälder,
drei Städte und ein gutes Dutzend Dörfer passiert hatten. Irgendwo
hatten Ghart und Torian für Fryijo ein Schwert nebst Scheide und Gürtel
besorgt, auf welche Weise hatten sie ihm verschwiegen und eigentlich wollte
er es auch gar nicht wissen. Es war aus schwarzem Stahl gefertigt, der
kein Licht reflektierte, sogenanntem "Elbquarz". Dieses Material wurde
vor zwei-, dreitausend Jahren von den Elben erstmals entdeckt. Während
einer kurzen, aus Neugier und Forscherdrang animierten Zeit stellten diese
alles mögliche damit her, bis sie nach ein paar Jahrhunderten das
Interesse verloren. Das Geheimnis der Herstellung jedoch hatten sie für
sich behalten und irgendwann im Laufe der Zeit vermutlich selbst vergessen.
Doch auch Zwerge mussten daran mitgearbeitet haben, da die goldene Parierstange
an den Seiten außergewöhnlich breit war - und geschliffen, wie
eine Doppelaxt. Die Gravur aus Elbenschrift auf der Klinge und die Zwergenrunen
auf dem Heft waren ein weiterer Hinweis. Wahrscheinlich magische Schutzsprüche
oder Segnungen. Dies alles machte das Schwert zu einer Rarität sondergleichen.
Es wäre selbst in untauglichem Zustand ein Vermögen wert gewesen.
Doch es war voll einsatzbereit, trotz seines Alters. Eine weitere wundersame
Eigenschaft war das geringe Gewicht der Waffe. Immerhin handelte es sich
um einen Beidhänder von respektablem Ausmaß. Beinahe so lang
wie Fryijo selbst, konnte dieser es in der für ein Kurzschwert ausgelegten,
rostigen Scheide unterbringen und bei sich tragen, in welcher das Schwert
auch beschafft worden war. Ursprünglich nur zum Üben gedacht,
war es nun bereits Fryijos Ein-und-Alles-Lieblingswaffe, gleichgültig,
was er noch zu Gesicht bekommen würde. Denn auch dies war in den Zauber
dieser Waffe einbeschrieben, dass ihr Besitzer sein Herz daran hängen
sollte.
Das Kämpfen lag ihm dann auch
erstaunlicherweise ausgezeichnet. Bald war der wendige Fryijo in der Lage
gewesen, sich mit dem Koloss Ghart zu messen - und auch, ihn zu entwaffnen.
Warum auch immer, hatte Torian sich am Unterricht nur theoretisch beteiligt,
Fryijo die sicherste Haltung erklärt, erklärt, wie man den Gegner
auf Schwachpunkte untersucht und Fryijo so viel über die Bedeutung
der Kniescheibe eingetrichtert, dass dieser in seinem täglichen Schlaf
mitunter sogar davon träumte. "Denk immer daran, die Knie über
die Füße zu beugen!", war der wichtigste Satz, den Fryijo mindestens
fünfmal am Tag zu hören bekam. Und: "Du darfst deinen Körper
für das Kämpfen nicht versklaven. Sonst steht er dir feindlich
gegenüber, und das kann schlimmer sein, als der stärkste Berserker."
Jetzt schliefen die beiden friedlich
schnarchend.
"Aufwachen, du Schlafmütze",
polterte Ghart und setzte Fryijo mit einem Ruck ab. Eine Stadt; mal wieder.
Es war heller Mittag. Fryijo war benommen von Müdigkeit, nachdem er
nur vier Stunden unruhigen Schlafes genießen konnte. Gerade wollte
er Einspruch erheben, doch Torian schien das bereits zu ahnen. Noch immer
trug er (durch die vergangenen Wochen allerdings bereits fast verblichen)
die Spuren seiner Besessenheit durch Karmian. Aber er konnte schon seit
längerem wieder feste Nahrung zu sich nehmen und bei sich behalten.
Also keine schwerwiegenden Schäden, wie der Söldner versicherte.
"Komm und genieße mit uns den vorerst letzten Tag. Wir haben Glück,
dass die Sonne scheint." Das verwirrte Fryijo ein wenig. Doch als sie in
ein Gasthaus eingekehrt waren und auf dessen Dach standen, in der Ferne
der allgegenwärtige Skelettberg, jetzt schon als deutlicher Bergkegel
zu erkennen. Oberirdisch würden sie sich bald nicht mehr unbemerkt
dem Skelettberg nähern können. Sie würden in Kämpfe
verstrickt werden, die sie wertvoller Kraft berauben würden, da Karmian
viele dämonische, chrúmsische, trollische, menschliche, pròlmische
und eine Handvoll abtrünniger Assandé-Krieger in seiner Streitmacht
hatte. Insgesamt etwa fünfzigtausend Wesen (davon zehntausend von
Karmian selbst erschaffen) - oberirdisch. Unterirdisch hatte der Tyrann
allerdings nicht den geringsten Einfluss, da sein Reich (eine Hochebene)
bereits Jahrhunderte vor seinem Auftauchen von den Zwergen unterminiert
war. Gerüchten zufolge waren diese Stollen jetzt zwar verlassen, aber
durch allerlei Zauberei vor dem Eindringen von oben geschützt.
Sie würden sich also am folgenden
Tag einen Zugang zu den Stollen der Zwerge suchen, der in der Nähe
der Stadt lag, hinabsteigen in die ewige Nacht der Stollen und Tunnel und
versuchen, von Zwergen und Karmian unbemerkt, durch die Städte und
Tunnel der Zwerge bis unter den Skelettberg zu kommen. Ein Wagnis, kaum
weniger verwegen, denn das eigentliche Vorhaben, die Vernichtung des Karmian.
Die Zwerge waren dafür bekannt, nicht eben gastfreundlich zu unerbetenen
Besuchern zu sein...
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