Metamorphose (...und
immer wieder geht die Sonne auf) |
Der ekelerregende Gestank von Urin und verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase und er war der Ohnmacht nahe. Es war sein eigens Fleisch, das er riechen musste, und der Schmerz trieb ihn beinahe in den Wahnsinn, als sich das weißglühende Ende der Eisenstange immer wieder in seine Brust brannte. Er konnte ihre Sprache nicht verstehen, doch ihr rohes Gelächter bedurfte keinerlei Worte, ihre Handlungen waren von abgrundtiefem Hass getrieben. Er wusste nicht mehr, wie lange er schon in ihrer Gewalt war, seit Tagen schon folterten, demütigten und missbrauchten sie ihn aufs Brutalste. Er wusste nicht, dass ein paar hundert Kilometer entfernt ebenfalls zwei Soldaten entführt worden waren und aus diesem Grund nun ein blutiger Krieg die Welt in den Abgrund zu stürzen drohte. Er wusste jedoch, dass sein mit ihm zusammen verschleppter Kamerad aus dem gleichen Bataillon bereits tot war. Er hatte mitansehen müssen, wie sie ihn vor laufenden Kameras enthauptet hatten. Er wusste, dass diese Bilder nun im Internet und im Fernsehen kursierten und ihm war bewusst, dass auch er verloren war. Nur, wo war der Sinn darin? Er war in dieses Land gekommen, um Freiheit und Demokratie zu sichern, die Sicherheit der ersten freien Wahlen zu gewährleisten. Er war damals nicht dabei gewesen bei der großen Militäroffensive gegen diesen Staat, er hatte nichts zu tun mit irgendwelchen durchgedrehten Mareens, die ein Massaker an unschuldigen Zivilisten anrichteten und er hatte in seiner Heimat wiederholt gegen das unmenschliche Lager von Guantánamo demonstriert. Er war hier, weil er an Ideale glaubte, an Frieden und Freiheit,
an Menschenrechte.
Sein Leben lief vor seinem geistigen Auge ab wie ein Film - Erinnerungen,
Bilder...
Drachen waren seine große Leidenschaft gewesen. Alles, was er an Büchern und Aufsätzen, an Filmen und Figuren hatte auftreiben können, hatte er gesammelt und sorgfältig in einem eigenen Zimmer aufbewahrt. Was würde nun aus all den Sachen, wenn er nicht mehr war? Und Gott? Wo war er jetzt? Er hatte aus Überzeugung ein religiöses
Leben geführt, dennoch war er nie so fanatisch, als dass er nicht
auch andere Religionen neben dem Christentum akzeptiert hätte. Allah,
Gott - wo lag da schon der Unterschied?
Der Schmerz wurde übermächtig und er begann, sich in sein
Innerstes zurückzuziehen. Das war etwas, das er vor einigen Jahren
in Oklahoma von einem befreundeten Inder gelernt hatte. Bald hörte
er das Lachen und die schrecklichen Stimmen nicht mehr, er nahm den Gestank
nicht mehr wahr und der Schmerz wurde etwas Dumpfes, Vages.
Schreie drangen an seine Ohren, doch es waren nicht mehr seine eigenen.
Er roch den Gestank verbrannten Fleisches, doch war es nicht sein eigenes
Fleisch, das er roch.
Er blickte nicht mehr zurück auf das Verderben unter sich. Er
stieß seinen prächtigen Körper mit kraftvollen Flügelschlägen
dem hellen Licht entgegen. Seine Schuppen schimmerten wie Golddukaten in
den Strahlen der aufgehenden Sommersonne.
© Peter
Lässig
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen! |