Hauptmann Aiden und seine Soldaten ritten durch die immer zugefrorenen
Wege der Eisspitzte. König Falak, Herrscher der Menschenvölker
Nairîs, hatte Aiden dazu beauftragt, die beiden Frauen, die aus der
Stadt Glynis entflohen waren, eine Kriegerin und eine Mörderin, zu
verfolgen und sie ihm zu bringen. Wieso, hatte man ihm nicht gesagt. Es
war im Grunde auch nicht wichtig. Er selber hatte das große
Verlangen, dem geheimnisvollen Drachenmädchen zu folgen. Das schwarze
Haar, die bernsteinfarbenen Augen, die sinnlichen Lippen...
Plötzlich hörte er ein lautes Brüllen und drei blaue
Schatten, die auf ihn und seine Soldaten losstürmten.
In langsamem Tempo ritten die drei durch die kalte Eiswüste.
Einer hintereinander, Amber mit Daray voraus, Holly mit Lukela und Esmeralda
auf ihrem Wallach Siran.
Der Wind wehte stark und dichter Schnee fiel vom Himmelszelt. Esmeralda,
die Priesterin, starrte emotionslos in die kalte Welt, die sie durquerte.
Holly war damit beschäftigt, aus den Schuppen des Eisdrachen, den
sie zuvor erlegt hatten, Pfeilspitzen zu schnitzen. Und Amber war mit den
Gedanken bei dem kleinen Dorf, in dem sie Esmeralda gefunden hatten. Immer
und immer wieder schoß ihr Sheenas Gesicht in den Sinn. Es war so
zufrieden und ausgeruht gewesen. ...Höre... Sie schreckte auf. Daray
war stehen geblieben. Amber blickte sich zu allen Seiten um, doch konnte
durch den Schnee nicht die Ursache für sein Verhalten finden. Der
Hengst wieherte schrill. Der Schnee lichtete sich und sie erkannte zehn
schneeweiße Pferde. Auf den ersten Blick waren es ganz gewöhnliche
Tiere, doch bei näherem Hinsehen erkannte man an jedem ein Paar Flügel.
Seidige weiße Mähne, wie aus Eis geschnitz, fiel in langen Strähnen
ihren Edlen Hals herab. Die wunderschönen Schwingen waren an ihren
Unterleib gedrückt und aus ihre Nüstern zitterten sanft. Der
Pegasus, der vor Amber stand, schnupperte an ihrer Hand und dann sprach
er ohne die Lippen zu bewegen: "Wir haben euch schon erwartet. Fürchtet
euch nicht. Folgt uns nun. Unser Herr erwartet euch."
Da setzte sich Daray in Bewegung. Sich auf ihr treues Reittier verlassend
liess Amber ihm freien Lauf. Holly trieb Lukela hinter her, und Esmeralda
wollte sowieso nicht alleine in einer kalten Wüste umherirren. Nach
einer Weile verloren die Gefährten im frostigen Gelände die Orientirung
und folgten wie blind den Vierhufern. Nach einer Weile kamen sie zu einem
Torbogen aus Eis. Er stand einfach nur da, nichts war dahinter zu sehen
als weitere Eisdünen. Die Pegasi hielten an und der Anführer
nickte Amber zu. Mit einem fragenden Blick trabte sie durch das eisige
Gebilde. Als Daray den ersten Huf hinter den Torbogen aufgesetzt hatte,
stand sie vor einem runden Gebäude, angefertigt aus Eis. Holly und
Esmeralda waren nirgends zu entdecken. Doch wenig später standen sie
auch vor dem seltsamen Gebäude. Die gewölbte Kuppel wurde von
sechs Säulen getragen, der Boden glänzte wie Glas. Um die Säulen
schlängelten sich Eisröschen und auf der Spitze der Kuppel leuchtete
ein riesiger Diamant. Von der Schönheit des Ortes überwältigt
bemerkten sie erst nicht das anmutige Tier, das in der Mitte des Gebäudes
stand. Der Pegasus, weißer als die Sterne am Nachthimmel, mit den
Schwingen eines Adlers und den Augen eines silberschimmernden Flusses,
strahlte soviel Schönheit doch auch Traurigkeit aus, dass ihre Herzen
schwer wurden. "Seid gegrüßt, Kriegerinnen! Ich bin Siobhan,
Herrscher der Pegasi des N´Akal. Bitte, kommt zu mir und setzt euch."
sagte Siobhan. Als sie
das Gebäude betraten war es, als ob sie in eine Dimension betreten
hätten. Es war warm und ein seltsamer Rosenduft füllte den Raum.
Sie setzten sich auf die Kissen, die sorgfälltig auf den Boden
gelegt worden waren. Siobhan nickte: "Lange Jahre habe ich auf euch warten
müssen, um euch diese Nachricht zu überbringen. Hundert Winter
sind nun schon vergangen, seit ich den Auftrag bekommen habe, euch sicher
durch mein Reich zu führen, denn im N’Akal lebt nicht nur mein Volk.
Andere, schreckenseregende Geschöpfe wandern durch die dunklen, vergessenen
Gegenden der Eiswüste. Meine Aufgabe ist es, euch bis nach Irdingen
zu geleiten, denn dort endet mein Reich." "Waru...?" wollte Esmeralda fragen,
aber der Herrscher der Pegasi unterbrach sie: "Dies weiß ich nicht
zu beantworten... Böses breitet sich in dieser Welt aus... Dunkel
und geräuschlos... Doch esset nun und ruhet euch aus. Morgen sehen
wir weiter." und Siobhan lösste sich in Luft auf. Kaum war er verschwunden,
standen Teller mit Köstlichkeiten wie zarten Früchten, Fleisch,
Brot, Gemüse und kühles Wasser vor ihnen. Das war das beste Mahl,
das sie seit langer Zeit hatten.
Am nächsten Morgen erwachten sie auf Haufen von Kissen und Decken.
Holly gähnte laut. "Habt ihr gut geschlafen, meine Gäste?" Siobhan
erschien. "Ja, vielen Dank für eure Gastfreundschaft." antwortete
Amber und nahm ihre Waffen zu sich. Der Pegasus schien erfreut zu sein
doch sagte nichts. "Ihr müsst euch jetzt auf den Weg machen, jemand
anderes wartet auf euch. Doch bevor ihr euch auf den Weg macht, habe ich
etwas für euch. Kräuterfrau... eine Flasche Eisröschen-Öl.
Mit dem Öl kannst du Wunden verheilen. Gehe in Frieden... Herrin
der Pfeile, dir gebe ich die Federn des Greifen, Symbol der Freiheit und
Zeichen der Macht der Greifenvögel... Gehe in Frieden....
Und du... Drachenkriegerin... die wichtigste von allen, dir gebe
ich die Drachenklinge, erschaffen in der Zeit der Leonkriege für die
Gemahlin Leanders, Leandra, der Löwin. Doch bedenke, nicht jeder Drache
ist von Natur aus böse gesinnt. Gehe in Frieden. Lebt wohl." Dann
standen sie wieder in der eisigen Wüste und spürten den kalten
Schnee, der ihnen ins Gesicht peitschte.
Sie waren vor den Mauern der Stadt Irdingen. Die Pferde gut ernährt
und gekräftigt standen neben ihnen. Sie wollten gerade aufsitzen,
als ein junger Man taumelnd und blutend vor ihnen auftauchte.
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