Die Armeen der Vergangenheit von Iris Wohlhaupter
2. Kapitel

Als Eva aus der Höhle kam, war die Sonne bereits aufgegangen. Erst jetzt konnte sie alles richtig überblicken. Auch die Wölfe konnte sie jetzt besser sehen. Es waren sehr viele. Einige fraßen, andere sonnten sich oder lagen nur faul herum. Eva war erstaunt, dass Elhana so ein großes Rudel hatte, da sie wusste, dass ein Wolfsrudel normalerweise aus höchstens zwölf Wölfen bestand.
"Warum hast du so ein großes Rudel? Das müssen ja mindestens zwanzig Wölfe sein." fragte Eva.
"Nun, ja. Es ist sehr groß und du hast recht, es sind zwanzig Wölfe. Alle, die du hier siehst, sind Wölfe, die wie ich ihr Rudel verloren haben oder verstoßen wurden. Sie alle wollten freiwillig mit mir gehen um sich besser verteidigen zu können, wenn sie angegriffen werden", sagte Elhanan stolz. "Eva, ich habe eine Frage an dich. Als wir uns das erste mal trafen, sagtest du, dass du in die nächste Stadt möchtest. Willst du das immer noch?"
Eva war überrascht, fing dann aber an zu lachen. "Dumme Frage. Natürlich will ich bei euch bleiben! Mich würde sowieso keiner aufnehmen."
Elhana war erleichtert und glücklich zugleich. "Tja, dann müssen wir dir einen Platz beschaffen. Bei uns gibt es gewisse Kategorien in der Arbeitsaufteilung. Einige jagen, andere bewachen das Territorium, zwei dienen als "Türsteher", ein paar bringen Wasser und wieder andere kümmern sich um verletzte oder kranke Wölfe. Um herauszufinden, wer zu was passt, machen wir sozusagen Tests. Du wirst die nächsten Tage jede Gruppe ausprobieren und dann werden wir sehen, in welcher du am besten bist. Dieser wirst du dann zugeteilt. Als erstes solltest du dich im Jagen versuchen. Ach ja, noch etwas. Willst du einen anderen Namen haben?"
Jetzt geriet Eva fast aus dem Häuschen. Sie durfte sich einen anderen Namen aussuchen! Das musste sie sich erst gründlich überlegen. Dann fiel ihr aus dem Nichts ein wunderschöner Name ein. " Ich würde gerne Dendrin heißen."
"Alles klar - Dendrin."
So gingen die zwei ein kleines Stück, bis sie vor einem schlafenden Wolf standen.
"Wach auf, Ramier!", sprach Elhana. "Ich möchte, dass du Dendrin in die Kunst des Jagens einweist."
Der Wolf namens Ramier stand auf und musterte Dendrin ganz genau. "Dich soll ich also ausbilden. Na gut, wir werden sehen... Männer!!! Wir haben einen neuen Schützling! Behandelt sie mit Respekt und seid ihr ein gutes Vorbild!" Nun sprach Ramier wieder zu Dendrin: "Na dann mal los! Ich schlage vor, du suchst dir eine Waffe." Mit diesen Worten wanderte die ganze Truppe hinter Ramier her.
Dendrin verabschiedete sich noch schnell von Elhana und rannte hinterher. Nach einiger Zeit des wanderns blieben plötzlich alle Wölfe stehen und legten sich ganz flach auf den Boden. Dendrin tat es ihnen gleich.
Der Wolf neben ihr sprach: "Wir warten jetzt bis ein Wild vorbeikommt. Ein paar von uns gehen noch ein Stück weiter vor. Ich würde langsam anfangen mir eine Waffe zu suchen."
Dendrin sah sich um, erblickte aber nichts, außer einem, so hatte es den Anschein, robusten Stock. Also nahm sie diesen und spitzte mit einem scharfen Stein ein Ende an.
Nach einiger Zeit, es kam Dendrin wie eine halbe Ewigkeit vor, fragte sie den Wolf neben ihr, wie lange es noch dauert.
Der Antwortete nur: "Fürs Jagen braucht man viel Geduld. Du wirst das schon noch lernen."
Doch Dendrin wurde es langsam zu blöd. Sie beschloss, sich nach hinten zu robben und einen anderen Weg zu gehen, um auf ihre Art und Weise zu jagen. Als sie endlich weg von der Gruppe war und sie gerade in die entgegengesetzte Richtung ging, sprang vor ihr ein Reh aus dem Gebüsch. Die zwei sahen sich einen kurzen Moment in die Augen und schon hatte Dendrin ihren Speer geworfen. Das Reh lief noch ein paar Schritte und brach dann schwer blutend zusammen. Sie hatte ihre erste Beute in nur kurzer Zeit erlegt. Sie hob den Speer auf und zerrte das Reh hinter sich her. Sie wollte so schnell wie möglich zurück zu der Gruppe, bevor man bemerkte, dass sie nicht da war. Zum Glück lagen die Wölfe immernoch auf der Lauer. Schnell legte sie sich auf den Bauch und kroch vor zu ihrem Platz, auf dem sie gelegen war. Der Wolf, der neben ihr gelegen hatte, schlief. Also robbte sie sich bis zu Ramier vor. Als er sah, dass sie ein Reh erlegt hatte, staunte er nicht schlecht.
Dendrin fragte: "Ähm, Ramier. Dürfte ich mit meiner Beute wieder zurück ins Lager?"
Ramier staunte immernoch, wie sie so schnell und ohne sein Wissen ein Reh erlegen konnte. Aber er fragte sie nicht. "Bitte was? Ach so, ja natürlich kannst du gehen. Aber sei leise!"
"Danke Ramier, das werde ich sein."
Also robbte sie, was ihr langsam zu anstrengend wurde, bis zum Ende der Gruppe und ging dann fröhlich zurück ins Lager. Bevor sie dort ankam, erlegte sie noch einen Hasen  und einen Dachs. Elhana war sehr erfreut das zu sehen und freute sich genau wie Dendrin auf das Abendessen. 
Diese Aufgabe hatte sie bravurös gemeistert.
Als es schon dunkel war, kamen Ramier und seine Gruppe zurück. Sie hatten einen Hirsch, zwei Rehe, fünf Hasen und einen Maulwurf erbeutet.
"Heute werden wohl doch mal alle satt", sagte Elhana fröhlich. "Ramier, du brauchst mir nicht mehr zu berichten, was geschah. Dendrin hat mir schon alles erzählt."
Als alle versammelt waren, fingen sie an zu essen. Und es wurden tatsächlich alle satt. Nun gingen alle, satt und zufrieden, schlafen. 
Dendrin freute sich so auf den nächsten Tag, dass es einige Zeit dauerte bis sie einschlief.

Am nächsten Morgen weckte Elhana Dendrin sehr früh. "Los, altes Mädchen. Heute musst du mal etwas früher aufstehen, denn du musst dich heute als Bewacher des Territoriums versuchen."
Dendrin, noch im Halbschlaf, ging in die Frische des Morgens hinaus. Elhana führte sie noch eine Weile, bis sie an zwei gespaltene Bäume kamen.
"Also Dendrin, das ist Charisma. Sie ist der Boss dieser Truppe. Sie wird dir zeigen, wie man am besten ein Territorium bewacht."
Charisma und ihre Truppe sahen müde und schlapp aus. Dendrin begrüßte alle und setzte sich an einen Baum.
"Ich lass dich wiedereinmal allein. Viel Spaß noch."
"Ja, Danke."
So saß Dendrin vielleicht eine halbe Stunde, als Charisma plötzlich unruhig wurde. Alle wurden unruhig. Dendrin sah sich um, entdeckte aber nichts. Doch dann spührte sie etwas. Es war ein Gefühl des Unbehagens und der Erwartung. Sie spürte eine drohende Gefahr.  Alle starrten nur auf eine Stelle vor ihnen und plötzlich sprang dort ein grosser grauer Wolf hervor. Charisma und ihre Truppe griffen sofort an. Doch sie sahen nicht, was Dendrin sah.
Ein anderer Wolf, sicher der Komplize des einen, schlich sich am Rand des Territoriums entlang und wollte, weit weg vom Gerangel, ins Territorium eindringen.
Dendrin spurtete sofort los und stellte sich dem Wolf.
Dieser, wütend, dass seine Taktik nicht funktioniert hatte, sprach, ja bellte fast: "Was!!! Ein Mensch? Na gut, du kannst es dir aussuchen. Soll ich dich gleich zerfleischen oder liefern wir uns eine Hetzjagd?!"
Dendrin, leicht ängstlich, aber doch herrausfordernd lächelnd sagte: "Weder noch. Jetzt hast du die Wahl."
Plötzlich brachte Dendrin einen brennenden Ast zum Vorschein, den sie, während sie zum Wolf gelaufen war, an ihrem Lagerfeuer entzündete, welches sie sich, mit Mühe und Not, für das Mittagessen gemacht hatte. "Entweder verbrenne ich dich gleich oder du verschwindest, nimmst deinen Freund mit und lässt dich nie wieder hier blicken..."
Das wurde dem Wolf zu viel. Aber da er eine höllische Angst vor Feuer hatte, beschloss er doch den Rückzug.
Dendrin blickte dem Wolf noch eine Weile nach, steckte den brennenden Ast in die noch feuchte Erde und rannte dann zurück zu Charisma.
Diese, leicht verwirrt, hörte wie Dendrin rief: "Sie sind weg! Ich glaube kaum, dass die zwei wiederk..."
"Was!? Das waren zwei?" fiel Charisma ihr ins Wort und sah noch verwirrter aus als zuvor.
Dendrin war bereits vor ihr zum stehen gekommen und fuhr fort: "Ja, es waren zwei, und ich glaube nicht, dass die wieder kommen." 

Langsam wurde es dunkel. Bis zum Abend fanden keine Angriffe mehr statt. Es kamen nur gelegentlich einige Wölfe vorbei, die aber nur auf dem Weg zu ihren eigenen Rudeln waren.
Auch diese Aufgabe hatte sie gut gemeistert.
Als Dendrin am nächsten Tag erwachte und aus der Höhle stieg, war es schon fast Mittag.
Elhana kam ihr entgegen gelaufen. "Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?" fragte Elhana.
"Ja, danke." murmelte Dendrin noch ein wenig schläfrig.
"Komm mit, heute darfst du dich mal als "Türsteher" beweisen."
Und schon rannte Elhana vorraus mit Dendrin im Schlepptau zur Vorratshöhle.
"Es gibt viele Höhlen oder Eingänge, die bewacht werden müssen. Du wirst heute die Vorratshöhle übernehmen. Das ist so ziehmlich das Wichtigste, was es zu bewachen gibt. Klimt hier wird dir alles weitere erklären. Viel Spaß noch."
Klimt, ein stattlicher Wolf, näherte sich Dendrin. In seinen Augen war es eine Schande, einen Menschen in ein Wolfsrudel aufzunehmen. Doch, was sollte er tun?
Also erklärte er Dendrin den Grund, warum sie heute morgen so lange schlafen durfte: "Also Dendrin, wir werden heute bis tief in die Nacht vor der Vorratshöhle Wache halten, weil ein verfeindetes Rudel ganz in der Nähe sein Lager aufgeschlagen hat." Klimt wollte gehen, doch dann hielt er inne drehte sich um und sprach: "Hast du noch Fragen?"
In der Tat, Dendrin hatte noch viele Fragen, doch sie bemerkte Klimts unfreundlichen Gesichtsausdruck. Sie konnte es sich nicht erklären, aber dieser Wolf erinnerte sie sehr an ihre ehemalige Hausherrin. Genau das gleiche ärgerliche Gesicht, das sie immer machte, wenn sie mit Dendrin nicht zufrieden war (also das Gesicht, das sie immer machte, denn sie war nie zufrieden mit ihr gewesen).
"Nein", sagte sie zu Klimt, "keine Fragen."
Er nickte kurz und verschwand in den Schatten, um sich dort wieder hinzulegen. Dendrin nahm ein bisschen weiter entfernt von Klimt Platz. Sie wollte diesem, nach ihrem Geschmack, viel zu unangenehmen Wolf nicht zu nahe kommen.
So wartete sie, manchmal stand sie auch auf, um sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Dabei ging sie manchmal an Klimt vorbei, der sie nur kurz mal ansah und dann wieder den Kopf auf seine Pfoten legte. Dendrin war diese Art von Arbeit viel zu langweilig. Sie bevorzugte ein bisschen mehr Aktion. Alles, was man hier machen konnte, war nachzudenken. Und das tat sie auch. Sie dachte über ihr früheres Leben nach, über ihre Flucht, auch mal an die Kleidung die sie im Moment trug, dann dachte sie über Elhana nach und dann an Klimt, diesen gut gebauten und bestimmt auch schnellen Wolf. Er wäre bestimmt ein guter Jäger geworden. Irgendwie tat er ihr leid. Er musste das hier, wahrscheinlich, schon ewig machen. Sie könnte nie so lange einfach nur... einfach nur warten. Dendrin musterte Klimt, genau wie er es bei ihrer Ankunft getan  hatte. Er schien alt zu sein, sein Fell hatte schon eine leicht graue Färbung. Er wurde ihr zunehmend sympatischer. Plötzlich merkte sie wie er sie anstarrte. Schnell sah sie weg und tat so, als hätte sie einen Käfer auf dem Boden gefunden. Klimt bemerkte, wie sie rot wurde. Er stand auf und ging an Dendrin vorbei um die Vorratshöhle herum. Dendrin schnaufte tief durch.  Sie streckte sich, legte sich ins weiche Gras und sah wie das Licht durch die maigrünen Blätter schien. Sie schloss die Augen und genoss die frische Luft. Hier war es einfach nur wunderbar. 
Sie musste wohl eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, war es bereits dunkel.  Sie sah sich panisch nach Klimt um. Er lag ganz entspannt ein kleines Stück von Dendrin entfernt. Der Abstand zwischen ihnen hatte sich verringert.
Sie dachte schon, dass Klimt ebenfalls schläft, doch plötzlich öffnete er ein Auge und sagte: "Gut geschlafen?"
Dendrin wusste nicht ob er es ernst meinte oder ob er sie nur verhöhnen wollte. " Wie lange habe ich geschlafen?" fragte sie vorsichtig. Klimt zuckte nur mit den Schultern. Dendrin ließ nicht locker und fragte abermals: "Wie viel Uhr ist es?"
Das hatte Klimt überrascht. Nun hatte Dendrin, ohne es zu wollen, seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Er starrte mit seinen stahlblauen Augen direkt in die ihren und fragte verwirrt: "Was ist eine Uhr?"
Jetzt wurde Dendrin noch röter als schon zuvor. Sie hatte vergessen, dass Wölfe unmöglich eine Uhr kennen konnten. Sie erwiderte: "Oh, entschuldige...  das ist nur etwas von den Menschen, du weißt ja, die Macht der Gewohnheit..."
Klimt sah sie interresiert an, doch er ließ es dabei beruhen und sagte: "Vielleicht kannst du es mir bei Gelegenheit näher erklären. Natürlich nur, wenn du willst."
Dendrin konnte es nicht fassen. Klimt war zum ersten Mal an diesem Tag ausgesprochen freundlich und entgegenkommend ihr gegenüber gewesen.
Sie lächelte und entgegnete: "Gerne." Sie beschloss, sich ein bisschen zu bewegen und ging um die Höhle herum. Dabei dachte sie an Klimt. Man konnte ihn richtig gut leiden, wenn er freundlich war. Wenn auch nur für diesen kurzen Augenblick.
Während Dendrin weg war, lächelte Klimt in sich hinein und dachte daran, dass Dendrin trotz ihrer menschlichen Erscheinung wie ein Wolf war. In Wirklichkeit konnte er sie sehr gut leiden - für einen Menschen. Natürlich war es ihm immernoch fraglich, wie man einen Menschen in ein Wolfsrudel aufnehmen konnte. 
So verstrichen die Stunden bis es Mitternacht wurde und Elhana wieder zurückkam. Dendrin verabschiedete sich widerwillig von Klimt, der nur nickte und sich vermutlich zum schlafen legte. Während Dendrin und Elhana sich entfernten, fiel Dendrin eine Frage ein, die sie schon lange stellen wollte.
"Elhana? Was machst du eigentlich so den ganzen Tag?"
Elhana drehte leicht ihren Kopf in Dendrins Richtung und antwortete: "Ich bilde Krieger aus."
Das überraschte Dendrin. Für was braucht man Krieger, wenn man so ein großes Rudel hat, fragte sie sich. Aber sie beließ es dabei, da sie merkte, dass Elhana schlechte Laune hatte. Die beiden gingen zu ihrer Höhle, krochen hinein und aßen einen Bissen, bis Elhana sagte, es sei Zeit zu schlafen. Die beiden legten sich hin und versuchten es sich auf dem Laub und der Erde so gemütlich wie möglich zu machen.
Dendrin lag bestimmt schon stundenlang wach. Sie konnte einfach nicht schlafen. Dieser Tag war so erhohlsam und so voller Schlaf gewesen, dass sie jetzt noch einfach zu munter war. Ganz im Gegensatz zu Elhana. Sie war, so kam es Dendrin vor, kaum hatte sie die Augen geschlossen, tief und fest eingeschlafen.
So beschloss Dendrin, einen kleinen Nachtspaziergang zu machen. Sie kletterte aus der Höhle in die kühle frische Luft. Es war wunderbar. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, Klimt zu besuchen, vertrieb den Gedanken aber schnell wieder, da er sie in der Dunkelheit für einen Fremden halten und sie angreifen könnte. Also beschloss sie, einfach ein bisschen im Territorium herum zu gehen. Als sie schon eine Weile unterwegs war, beschloss sie umzukehren.
Plötzlich hörte sie  ein Rascheln und leises Tappen. Sie drehte sich um und starrte genau in die wild stierenden Augen eines fremden und äußerst großen, schwarzen Wolfes. Einen Augenblick lang sah sie in diese dunklen, angsteinflößenden Augen, bevor der Wolf sie mit einem hämischen Blick zu Boden riss, sich mit seinen gewaltigen Pranken auf ihre Kehle stellte und ihr durch sein Gewicht so lange die Luft nahm, bis sie bewusstlos wurde.

Als sie wieder zu Besinnung kam, war es immernoch dunkel. In ihren Ohren klingelte es. Als es langsam nachließ hörte sie Stimmen. Sie drehte ihren Kopf ganz vorsichtig herum - denn ihr Kehlkopf schmerzte sehr - und erblickte zwei Wölfe. Der eine saß mit dem Rücken zu ihr und verdeckte des anderen Kopf. Sie erkannte beide. Der eine, der mit dem Rücken zu ihr stand, war der schwarze, der andere, sie konnte es kaum glauben, war ein Mitglied ihres eigenen Rudels. Er hieß Kim eevee. Sie kannte ihn vom Jagen.
Jetzt lauschte Dendrin mit geschossenen Augen und tat so, als sei sie immernoch ohnmächtig. Die zwei sprachen sehr leise, deshalb musste sie sehr aufpassen und verstand auch nicht jedes Wort.
"...haben nur ein kleines Problem, dieses Menschen-Mädchen... könnte gefährlich werden."
"Das bezweifle ich, wie soll ein einziges kleines Kind gefährlich sein? Du bist viel zu ängstlich Kim."
"Da währe ich mir nicht so sicher, Ray Shen, diese Göre hat einen enormen Einfluss auf Elhana und das Rudel... wir sollten sie lieber gleich aus dem Weg schaffen."
Dendrin lief ein Schauer über den Rücken, doch sie lauschte weiter, denn der Wolf namens Ray Shen hatte zu sprechen begonnen.
"...du Idiot!! Willst du vielleicht eine Panik im Rudel auslösen?! Noch dazu würde Elhana sofort mit ihren Truppen bei uns einmarschieren und einen zu frühen Krieg auslösen. Wir wollen den Krieg auslösen, nicht ihr!!! Trottel du elender."
"Verzeiht", sagte Kim eevee zitternd und trat einen Schritt zurück.
"Na schön, wir werden morgen Abend hier eintreffen und für ein bisschen Verwirrung sorgen." Ray Shen lachte leise. "Komm mit Kim, deine Belohnung wartet."
Die zwei Wölfe schritten davon. Dendrin hörte Ray Shen noch sagen: "Um diese Göre kümmern wir uns morgen."
So schritten sie in die Dunkelheit und ließen eine bibbernde und ängstliche Dendrin zurück.
Es kam ihr vor, als würden diese Worte nur ganz langsam und zäh in ihr Bewusstsein dringen. Sie, so kam es ihr vor, lag noch stundenlang in der nasskalten Wiese, bis sie sich langsam, sehr langsam aufrichtete und zurück zu Elhanas und ihrer Höhle ging. Erst, als sie vor der Höhle stand, wurde ihr bewusst, dass sie garnicht bemerkt hatte, wo sie überall entlang gegangen war. Sie war so verwirrt, dass sie erst ihre Augen eine Minute schließen musste, um wieder klar denken zu können. Sie kroch in die Höhle und legte sich in das trockene Laub. Hätte sie nicht soviel über das Geschehene nachgedacht, hätte sie vielleicht gemerkt, dass sie nicht die einzige war, die nicht geschlafen hatte.

Als Dendrin aufwachte, fühlte sie sich elend. Sie hatte schlecht geschlafen und in ihrem Kopf herrschte das reine Chaos. Und abgesehen von ihren Kopfschmerzen und ihren schmerzenden Gliedern, war sie sehr erschöpft. Sie fasste sich an die Stirn und erschrak, als sie spürte, wie heiß sie war. Ächzend richtete sie sich auf und bewegte sich Richtung Ausgang. Als sie ins Tageslicht schritt, wurde plötzlich alles still. Sie blickte auf und sah eine ganze Schar von ängstlichen Wölfen. Unter ihnen Elhana.
Elhana kam auf sie zu, und zerrte sie an ihrem Kleid weg von den umherstehenden Wölfen.
Sie sah sehr zornig und besorgt aus... und so klang sie auch: "Dendrin, was ist gestern Abend geschehen?"
Dendrin wandte sich ab und blickte zu den restlichen Wölfen. Elhana wandte sich ebenfalls zu ihnen und knurrte sie zornig an: "Verschwindet! Lasst uns allein!" Elhana begann schon fast zu bellen, so zornig war sie. Aber sie war nicht zornig auf Dendrin, sondern auf ihr restliches Rudel. Elhana suchte Dendrins Blick. Doch Dendrin mied diesen sorgfälltig. Sie musste sich setzten, weil ihre Beine plötzlich fürchterlich angefangen hatten zu zittern.
Dendrin holte tief Luft und begann stotternd zu erzählen: "Es... es war so furchtbar! Als ich gestern Abend spazieren ging, weil ich so munter war, denn ich hatte ja fast den ganzen Tag geschlafen, sprang plötzlich ein riesiger Wolf aus dem Gebüsch und streckte mich nieder. Ich muss wohl in Ohnmacht gefallen sein, denn als ich aufwachte, hörte ich Stimmen. Sie redeten..."
Dendrin fing an, etwas unverständliches zu murmeln. Elhana stupste sie mit ihrer Nase an das Kinn. "Dendrin, Dendrin. Wie sah dieser Wolf aus?!" hakte Elhana nach.
Dendrin sah auf und begann wieder zu erzählen: "Er war riesig und hatte schwarzes Fell. Es war so schwarz, nein schwärzer als die Nacht und er hatte leuchtende giftgrüne Augen." Dendrins Blick nahm eine erschreckende Form an.
"Hatte dieser Wolf eine große Narbe am Auge, sodass er es nicht mehr öffnen konnte?" wollte Elhana wissen.
Dendrin schloss die Augen und überlegte. "Ich... ich weiß nicht."
Elhana schaute betreten zu Boden, doch dann sah sie wieder auf und direkt in Dendrins Augen. Sie liess nicht locker: "Was und mit wem hat er gesprochen?"
Dendrin erschrak, sprang auf, packte Elhana und schüttelte sie. Sie vergaß sogar ihre Schmerzen: "Elhana! Elhana! Da war Kim eevee, er hat mit dem Wolf Namens Ray Shen gesprochen, er sagte, er wolle heute Abend ein bisschen für Verwirrung sorgen und er will sich auch noch um mich kümmern!"
Elhana riss sich zornig los und sprang Dendrin auf die Brust, so dass sie auf dem Rücken lag. "Dendrin, verdammt, beruhige dich! Kim eevee ist verschwunden und was Ray Shen angeht..." Sie verstummte. Dann, ganz plötzlich, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden, legte Elhana ihre Pfote auf Dendrins Stirn. Sie erschauderte, sprang von ihrer Brust und sagte: "Du hast starkes Fieber. War wohl zuviel für dich, gestern Abend. Komm mit, Tervicz wird sich um dich kümmern." Elhana wartete noch bis Dendrin sich ächzend aufrichtete und ging dann Richtung des Sees, der sich in der Nähe befand.
Tervicz stellte sich als ein schmächtiger Jungwolf von weniger als drei Jahren heraus. Er hatte leicht graues Fell. Er blickte auf als er die beiden sah und kam lächelnd auf sie zu. Elhana stopte, als er vor ihr stand und blickte ihn an. Sie lächelte nicht.
"Hallo, Tervicz. Könntest du dich um Elhana kümmern? Sie hat sehr starkes Fieber."
Tervicz blickte besorgt zu Dendrin auf, lächelte aber fast sofort wieder. "Klar, mach ich."
Elhana nickte, drehte sich um und verliessTervicz und Dendrin. Dendrin blickte in die blauen Augen Terviczs und lächelte gequält. Sie wollte die gute Laune dieses jungen Wolfes nicht zerstören.
Sie sah sich um und entdeckte eine Menge anderer Wölfe, die, so wie es aussah, ebenfalls krank oder verletzt waren. Tervicz wies sie mit einer freundlichen Geste auf einen mit Laub und trockenem Gras versehenen Platz und eilte davon. Er kam mit einer Ansammlung Beeren und Kräutern wieder.
"Iss das hier, es wird dich Stärken." Er lächelte sie wieder an und bat sie dann, sich hinzulegen, damit er ihre Stirn befühlen konnte. Dendrin gehorchte. Tervicz legte seine Pfote auf ihre Stirn und sagte: "Ach, so schlimm ist es garnicht. Weißt du, Elhana übertreibt gerne mal." Er lächelte wieder und blickte dann auf. "Ich muss gehen, die anderen brauchen ebenfalls meine Hilfe."
Dendrin nickte, setzte sich wieder auf und lächelte zum ersten mal an diesem Tage richtig.
Tervicz rannte los, um einem kleineren und jüngeren Wolf zu helfen. Dendrin beobachtete ihn noch eine Weile und begutachtete dann die Früchte und Kräuter etwas genauer.
Der Rest des Tages verging recht schnell. Tervicz hatte sich noch mit ihr unterhalten und sie aufgefordert, ein bisschen spazieren zu gehen.

Als die Sonne unterging, durfte Dendrin wieder gehen. Tervicz hatte ihr versichert, dass sie bald wieder wohl auf sein würde, sie sich aber schonen sollte. Die Sonne war bereits zur Gänze Untergegangen und es wurde stockdunkel.
Gerade, als sie gehen wollte, hörte sie wildes Gebell und Kampflaute. Erst jetzt erinnerte sich Dendrin wieder an die Worte Ray Shens. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Tervicz wies Dendrin und die anderen Wölfe an, sich so nahe wie möglich zusammen zu setzen. Die schwachen innen, die stärkeren außen.
Dendrin wollte sich gerade nach außen stellen, als sie und die anderen ein Geraschel wahrnahmen. Alle Augen waren auf den Busch direkt vor ihnen gerichtet. Wie aus dem Nichts traten drei Wölfe aus der Dunkelheit. Den mittleren Wolf erkannte Dendrin sofort. Es war Klimt. Er sah ziemlich zugerichtet aus und blutete. Die anderen zwei Wölfe sahen nicht sehr viel besser aus. Einer der beiden blickte Tervicz grimmig an und knurrte, während er auf Klimt aufpasste. Der andere kam auf Dendrin zu.
Er wendete sich seinem Kumpanen zu und fragte mit unüberhörbaren Spott: "Ist sie das?"
Der andere sah Dendrin kurz an und nickte, wendete sich aber fast gleichzeitig wieder Tervicz zu. Der Wolf vor Dendrin kam noch näher und blickte ihr direkt in die Augen.
Dendrin erkannte ihn. Sie hatte ihm damals mit einem brennenden Stock gedroht.
Anscheinend hatte er es ebenfalls nicht vergessen, denn er biß Dendrin fester als nötig in den Arm und zerrte sie mit sich. Der andere ließ von Tervicz ab und folgte seinem Freund. Tervicz wollte schon hinterher, doch er wurde von dem Wolf mit Klimt im Schlepptau ins Bein gebissen, so dass er es aufgab und ihnen nicht mehr folgte.
Dendrin wimmerte vor Schmerz, wehrte sich aber dennoch nicht. Sie kamen auf eine Lichtung, und Dendrin erblickte Elhana und noch ein paar andere Wölfe, die aber von einer Schar fremder in Schach gehalten wurden.
Einer der fremden erblickte Dendrin und Klimt und bellte den anderen zu, sie würden sich zurück ziehen, denn sie hätten ja, was sie wollten. Er ging als letzter auf Klimt und Dendrin zu, aber nich ohne Elhana noch eine bissige Bemerkung entgegen zu schleudern. Die femden Wölfe reihten sich um die beiden ein und gingen los.
Dendrin wollte sich den Weg merken, den sie gingen, aber wie es schien, gingen sie immer im ZickZack, so dass es unmöglich war, sich etwas zu merken.
Erst, als Dendrin schon die Füße schmerzten und sie ihre Hand nichtmehr spürte, hielten sie an. Alle schwiegen, bis auf den fordersten Wolf, der zu heulen begann. Seine Rufe wurden mit einem dunklerem und lauterem Ruf beantwortet. Die Gruppe ging weiter. Jetzt konnte Dendrin weitere Wölfe erkennen. Die meisten waren schwarz oder grau, aber kein einziger von ihnen war weiß.
Die Gruppe teilte sich, bis nur noch Klimt, Dendrin und die anderen zwei Wölfe übrig waren. Sie hielten vor einem riesigen Fels. Beide wurden aufgefordert sich zu setzten. Einer der zwei fremden Wölfe rannte um den Fels herum und sprang dann auf ihn. Dendrin folgte ihm mit ihrem Blick und erschrack, als sie erkannte, zu wem der Wolf gerannt war. Auf dem Fels saß Ray Shen!
Er lächelte spöttisch auf sie herab und flüsterte dem Wolf an seiner Seite etwas zu. Dieser rannte zu seinem Freund und flüsterte ihm ebenfalls etwas zu. Nun rannte er wieder rauf und setzte sich neben seinen Gebieter. Die zwei beobachteten wie der Wolf, der auf Klimt und Dendrin aufpassen sollte, weg rannte und kurze Zeit später wieder kam. Dendrin konnte nicht sehen, was er tat, da er hinter ihnen stand. Plötzlich bekam sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und taumele. Sie nahm nurnoch wahr, wie Klimt neben ihr bewustlos auf den Boden fiel, bevor es vollkommen schwarz vor ihren Augen wurde...
 

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Und schon geht's hier weiter zum 3. Kapitel...

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