Am darauf folgenden Morgen war Atlanta schon vor Sonnenaufgang wach.
Sie weckte Hermes voller Erwartung, dass er ihr endlich sagte, was
ihr Vater mit der "Prophezeiung" gemeint hatte.
Nach einem kurzen Frühstück rückte Hermes dann doch
mit der ganzen Wahrheit heraus.
Er sagte: "Hör jetzt gut zu, Atlanta. Was ich dir nun sage
ist sehr wichtig für deine Reise durch diese Welt, du darfst meine
Worte nie vergessen. Das wäre das Schlimmste, was dir passieren könnte..."
"Was würde denn so schlimmes passieren, wenn ich diese Worte
vergesse?" fragte Atlanta, denn sie wollte alles wissen was sie tun muss,
um ihre Eltern zu befreien.
"Habe Geduld! Also, in den Alten Schriften ist die Rede von einem
jungen Menschen, der von einem Menschen und einem Gott abstammt. Dieser
Mensch bist eindeutig du, denn die Schrift sagt weiter aus, dass dieser
Mensch in einem Dorf aufwächst und besser mit dem Schwert umgehen
kann als jeder andere Kriegsherr in dieser Welt." Atlanta saß auf
dem Stuhl als wäre alles, was Hermes ihr erzählt, nur eine kleine
Geschichte, die er sich in der Zeit, in der er geschlafen hat, ausgedacht
hatte.
"Dieser Mensch also passt genau auf dich, denn niemand geht so geschickt
mit dem Schwert um wie du und das ist nicht übertrieben. Die Alte
Schrift sagt auch aus, dass du einen göttlichen Freund mit auf diese
Reise nimmst und noch ungefähr fünf andere menschliche
Freunde gewinnst. Diese fünf Freunde werden dich ebenfalls auf dieser
beschwerlichen Reise begleiten und noch mehr arme Seelen unterstützen
dich, die deine Hilfe benötigen. Deine Aufgabe besteht darin, die
Söhne des Bösen zu besiegen oder als Freund zu gewinnen. Wenn
du die Söhne des Hades als Freund gewinnst, werden sie dir im letzten
entscheidenden Kampf gegen Hades treu zur Seite stehen."
Als Hermes fertig mit erzählen war, konnte Atlanta nicht
begreifen, warum gerade sie diese kompliziert klingende Aufgabe lösen
musste. Doch aus ihrem Munde kam eine völlig andere Frage: "Warum
darf ich nur fünf verschiedene Freunde mit auf diese Reise nehmen?
Ist es denn nicht besser, mehrere zu gewinnen?"
Hermes hatte sich schon gedacht, dass Atlanta so etwas fragen würde,
antwortete ihr trotzdem: "Du sollst auf dieser Reise nicht auffallen,
sondern dich als normale Wanderin auf der Durchreise ausgeben. Also wähle
die fünf Leute mit Bedacht und List aus, um klar im Vorteil zu sein."
Atlanta gab sich damit zufrieden, denn sie verstand nun besser,
was es mit den fünf anderen Leuten auf sich hatte.
"Wann wollen wir aufbrechen?", fragte Atlanta. Sie war voller Zuversicht,
dass sie diese Aufgabe sehr schnell lösen wird.
"Am besten sofort. Packe nur das Notwendigste ein, das wären
dann Nahrungsmittel, dein Schwert, mehrere Wasserflaschen und einen Bogen,
um zu jagen. Die Sachen, die dann noch anfallen, werden wir in den Städten
kaufen, die auf unserem Weg liegen."
Nach zwei arbeitsreichen Stunden kam Atlanta mit zwei vollen Reisebeuteln
wieder zu Hermes. Die eine Tasche warf sie Hermes zu, die er mit Leichtigkeit
fing.
Ihr Schwert hatte Atlanta auf den Rücken gebunden, weil es
sie sonst beim Laufen behindert hätte.
Den Bogen hat sie an ihrer Tasche befestigt, damit sie ihn schnell
bei der Hand hat.
"Wir werden erst einmal in den Norden gehen müssen. Dort lebt
der jüngste Sohn des Hades. Er wird zwar kein leichter Gegner sein,
aber immer noch schwächer als die andern drei. Außerdem musst
du noch sehr viel lernen."
Sie gingen ganze drei Tage ohne Rast und sie sprachen nicht viel
miteinander. Die einzigen Worte, die gefallen waren: "Wann sind wir endlich
da?" und "ich habe Hunger."
Diese Worte stammten alle aus dem Mund von Atlanta und immer sagte
Hermes darauf: "Habe doch etwas Geduld. Diese Aufgabe fordert etwas mehr
Verantwortung von dir und deine Geduld lässt zu wünschen übrig."
Sie erreichten die Stadt Drachental ohne Verletzungen oder andere
Probleme.
Atlanta konnte nicht glauben, dass diese Stadt wirklich so groß
ist, dass ungefähr 8000 Einwohner hinein passen, denn die Stadt wirkt
sehr klein.
Am Stadttor wurden sie von einem Wachposten des Königs aufgehalten.
Er war schon etwas älter, aber er war immer noch so fit, um ganz alleine
vor den Toren Wache zu schieben oder der König traute dem alten Mann
einfach zu viel zu.
"Was wollt ihr hier und warum wollt ihr in die Stadt?" fragte der
Mann, als sie näher kamen.
"Wir sind zwei Wanderer auf der Durchreise und wollen in der Stadt
unsere Vorräte ein wenig auffrischen", sagte Hermes, der das Wort
ergriffen hatte, ehe Atlanta etwas Falsches sagen konnte.
Der alte Mann nickte zustimmend und ließ sie passieren.
Atlanta hatte sich das etwas schwieriger vorgestellt in die Stadt
zu kommen, aber so wie der Mann aussah, kommen ihm wohl jeden Tag Leute
entgegen, die auf der Durchreise waren und in der Stadt ihre Vorräte
aufstocken.
Aber als sie in der Stadt waren, dachte sie keine einzige Sekunde
mehr an den alten Mann vor dem Stadttor. Sie konzentrierte sich nur noch
auf die Stadt Drachental. In der Mitte ragte das große Schloss
heraus, das "Drachenfestung" genannt wird, weil das Schloss noch nie von
einem Feind besetzt worden war.
Atlanta hatte schon viele Geschichten über den König des
Schlosses gehört. Eine davon ist, dass er gegen einen sehr mächtigen
Drachen kämpfen musste. Der Drache hat diesen Kampf verloren, jedoch
der König trug eine Narbe davon, die ihn immer an diesen einen verhängnisvollen
Tag erinnern sollte.
Sie gingen die Straße entlang, die sie in die Mitte zum Marktplatz
führte, dort ging Atlanta als erstes zum Stadtschmied.
"Kannst du uns zwei Schwerter an einem Tag schmieden?" fragte Atlanta,
die noch ein Schwert für sich und eins für Hermes anfertigen
lassen wollte.
Der Schmied hörte auf, das heiße Metall mit seinem Hammer
zu bearbeiten und sah Atlanta prüfend an.
"Was will ein Mädchen mit einem Schwert aus meiner hochwertigen
Schmiede?"
Die Stimme des alten Mannes vor dem Stadttor war nichts im Vergleich
zum Schmied, dessen Stimme ein gewisses Kratzen in seinem Hals zu verursachen
schien.
Atlanta versuchte ruhig zu bleiben, was ihr sehr schwer fiel, denn
der alte Mann hat einen Unterton in seiner Stimme als wäre sie ein
Stück Dreck.
"Hör zu, wir brauchen die Schwerter, um uns in der Wildnis
zu verteidigen", sagte Atlanta, die es satt hatte sich mit dem Schmied
noch weiter herum zu streiten.
"Soweit konnte ich auch schon denken, aber was will ein Mädchen
damit?"
Nun war es mit der Freundlichkeit von Atlanta geschehen. Sie konnte
sich nicht mehr beherrschen und wollte den Schmied schon in seine Schranken
weisen, aber Hermes hielt sie davon ab.
"Was willst du denn noch? Glaubst du etwa, dass das Mädchen
nicht die Wahrheit sagt?" fragte Hermes den ungläubigen Schmied, der
nur mit dem Kopf schüttelte.
"Willst du es mir nicht glauben, dann werde ich dir zeigen was ich
kann. Sollte ich gewinnen, dann bekommen wir die Schwerter ohne etwas dafür
zu bezahlen. Willigst du ein oder nicht?"
Mit diesen Worten gab Atlanta dem Schmied die Hand. Er willigte
ein und sagte: "Gerne, aber nicht ich, sondern mein Sohn Bennet wird gegen
dich kämpfen und zwar da drüben auf dem Marktplatz." Er zeigte
auf einen Ring, der abgesperrt war. "Ich glaube, er ist schon im Ring."
Atlanta ging mit zielstrebigen Schritten auf den Ring zu. Sie legte
ihre Sachen vor der Absperrung ab und sprang in den Ring. Die ganze Menschenmenge,
die um den Ring herum stand, drehte sich zu Atlanta herum und begutachtete
sie.
"Wer von euch Leuten ist Bennet?" fragte Atlanta die Menschen, die
ihr als Antwort nur Stille gaben. Bis eine Männerstimme diese Stille
wie mit einem scharfen Messer durchschnitt: "Ich bin Bennet, der beste
Kämpfer vom Drachental, und was willst du von mir, Mädchen?"
Atlanta sah Bennet an und musste fasst anfangen zu lachen, doch
ihre Höflichkeit ließ es nicht zu. Das Lachen verschwand wieder
aus ihrem Gedächtnis und sie sagte: "Ach ja? Das wollen wir doch erst
einmal sehen, wie gut du wirklich bist oder ob du nur große Reden
schwingst."
"Gut, aber erst einmal: Wie ist dein Name?"
"Namen sind unwichtig, in einer Welt voll davon. Aber vielleicht
sage ich ihn dir, wenn du am Boden liegst und ich gewonnen habe."
Ein kleines Lächeln huschte über Bennets Lippen als er
sagte: "Du wirst als Erste am Boden liegen, dafür sorge ich schon.
Da du eindeutig im Nachteil bist, darfst du die Waffe wählen, mit
der wir kämpfen."
Atlanta zog ihr goldenes Schwert aus der Scheide. Ein Staunen ging
durch die Masse als das Schwert im Sonnenlicht glänzte.
"Ich weiß zwar nicht welchem Herren du dieses Schwert abgenommen
hast, aber du hast die falsche Waffe gewählt."
Bennet zog ebenfalls das Schwert und ging direkt auf Atlanta zu,
um sie am linken Arm zu verletzen, aber sie konnte ausweichen und parierte
den Schlag. Der Aufprall der Klingen war in der ganzen Stadt zu hören
und zog noch mehr Menschen an, die das Spektakel nicht verpassen wollten.
Sogar die Wachen des Königs vernachlässigten ihre Aufgaben, um
diesen Kampf mitzuerleben.
Die beiden kämpften bis in den späten Nachmittag hinein.
Niemand schenkte dem anderen etwas.
Am Ende war es Bennet, der als erster vor Erschöpfung zusammensackte.
Atlanta erging es nicht anders. Erst nach fünf langen Minuten konnte
sie sich nur mit Mühe wieder aufrichten.
Atlanta ging mit schwankenden Schritten zu Bennet und gab ihm die
Hand, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Er nahm das Angebot mit Dank
entgegen und sagte: "Du bist die beste Schwertkämpferin, die ich je
gesehen habe. Nun sage mir wie dein Name lautet, um dich nicht zu vergessen."
"Mein Name ist Atlanta und ich bin auf jeden Fall die einzige Schwertkämpferin,
die du je gesehen hast."
"Ja, das stimmt, was willst du eigentlich hier in dieser großen
Stadt?"
"Mein Begleiter und ich sind auf einer sehr beschwerlichen Reise,
die sich bestimmt noch sehr lange hinziehen wird. Wir könnten also
jede helfende Hand gebrauchen. Willst du mit uns auf diese Reise kommen?
Ich würde mich freuen, einen so starken Kämpfer wie dich an meiner
Seite zu wissen."
"Ja, ich gehe sehr gerne mit dir mit. Hier hält mich sowieso
nichts mehr." Bennet konnte wieder alleine stehen und lief direkt auf Hermes
zu, der nicht sehr begeistert aussah.
"Hermes, Bennet will uns begleiten und mit uns kämpfen."
"Schön und was wollen wir nun tun?" wollte Hermes wissen, doch
Atlanta konnte nicht mehr warten. Sie wollte schnell zum Schmied gehen,
um sich ihre zwei Schwerter abzuholen. Doch bis zur Schmiede kam sie erst
gar nicht, denn einer der Wachen des Königs packte sie an der Schulter
und sagte: "Der König wird dich bestimmt kennen lernen wollen."
Atlanta wusste nicht, warum sie unbedingt zum König gehen sollte
und nahm in Gedanken Kontakt zu Hermes auf. Was soll ausgerechnet ich
beim König? Aber Hermes waren die Lippen wie versiegelt, nur ein
kurzes Nicken machte Atlanta klar, dass sie mit den Wachen mitgehen sollte.
"Gut, ich gehe mit. Aber nur unter einer Bedingung."
"Was ist deine Bedingung, Atlanta?" wollte der Ritter wissen.
"Ich möchte, dass die zwei Personen hier neben mir mitgehen
dürfen. Ohne diese beiden gehe ich sonst nirgendwo mehr hin."
Der Mann in der Rüstung nickte: "In Ordnung, und nun, bitte,
kommt mit mir mit."
Atlanta und ihre beiden Freunde gingen mit, obwohl Bennet gar kein
gutes Gefühl bei dieser Sache hatte.
Als sie im Thronsaal ankamen mussten sie einige Minuten warten, bis
der König kam, doch als er dann vor ihnen stand, verbeugten sie sich
vor Ehrfurcht.
"Bitte, bitte erhebt euch, meine Freunde!"
Ohne ein Widerwort erhoben sich die drei Freunde und sahen in das
Gesicht von König Friedrich Vollbart III. Endlich wusste
Atlanta, was es mit dem zweiten Namen des Königs, auf sich hatte,
denn er trug einen Bart und nicht ohne Stolz. Sie inspizierte den König
noch mehr und endete bei der Narbe. Von dieser Narbe sie die Geschichte
mit dem Drachen gehört hatte. Es war kein Gerücht, wie sie dachte,
sondern die eiserne Wahrheit. Die Narbe verlief von der linken Augenbraue
bis zur rechten Wange, doch das komische an dieser Narbe war, dass sie
den König nicht entstellte sondern ihn noch mächtiger und mutiger
aussehen ließ als er es zugeben würde.
"Mir ist zu Ohren gekommen, dass du, Mädchen, den besten Schwertkämpfer
meiner Stadt besiegt hast."
Seine Stimme ließ Atlanta beben und sie konnte nur sagen:
"Ja, das habe ich und mein Name ist Atlanta. Aber nur, weil ich gegen Bennet
gewonnen habe, habt ihr mich hierher geschickt oder hat es noch einen anderen
Grund?"
Atlanta konnte ihre Nervosität gegenüber dem König
nicht verbergen, aber er ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
"Ja, Atlanta. Der Grund, dass ich dich holen ließ, ist, dass
du den Drachen Flammenzunge zur Strecke bringen sollst. Denn Flammenzunge
zerstört die Felder und die Häuser der Bauern. Er ist eine große
Gefahr für uns alle!"
Atlanta konnte spüren, dass von diesem Drachen wirklich eine
große Gefahr ausging, das sagte ihr schon alleine der Gesichtsausdruck
des Königs.
"Ich werde diesen Drachen mit meinen zwei Gefährten aufsuchen
und ihn zur Strecke bringen, aber eine Frage bleibt immer noch offen."
"Frage nur, ich erkläre dir alles, was du über den Drachen
wissen musst."
"Warum geht ihr nicht selber gegen den Drachen vor?"
"Das würde ich ja gerne, Atlanta, aber ich bin auch nicht mehr
der Jüngste und ich habe schon sehr viele Männer an diesen Drachen
verloren. Noch mehr kann ich nicht entbehren."
Atlanta wusste genau wie der König sich fühlen musste
und das mit dem "nicht mehr der Jüngste" kaufte Atlanta ihm sofort
ab, denn in seinem Bart und Haupthaar sah man schon die einzelnen grauen
Haare herauswachsen.
"Aber könnten wir erst morgen früh zu diesem Flammenzunge
gehen? Wir sind drei Tage ohne Rast bis hierhin gelaufen und könnten
ein wenig Ruhe gebrauchen, aber nur, wenn es euch nicht stört?"
Diese Frage kam von Hermes, dem man die Müdigkeit ansah. Auch
ein Gott muss sich einmal ausruhen, dachte Atlanta im stillen bei sich.
"Natürlich. Ihr könnt bei mir im Schloß schlafen
und euch etwas zu essen machen lassen. Ihr seit hier immer willkommen.
Herbert wird euch die Zimmer zeigen."
Der König zeigte auf einen groß gewachsenen Mann, der
gleich neben dem Thron des Königs stand, er verbeugte sich und gab
ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollten.
Sie verbeugten sich noch vor dem König und gingen Herbert hinterher.
Er zeigte ihnen die Zimmer. Bennet musste ein Zimmer alleine nehmen, aber
das machte ihm nichts aus.
Atlanta und Hermes erzählten noch lange miteinander. Bis der
erste von ihnen den Kampf gegen den Schlaf verlor.
© Feuerdrachin
Bella
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