Ist es nötig wegen Liebe zu sterben, selbst wenn es dem Geliebten
nichts nützt und dieser auch seine Liebe nicht erwidert? Kann es sein,
dass Menschen Dinge tun, deren Bedeutung sie nicht kennen? Und muss das
Gute immer gut und die Wahrheit wahr sein? Ein Schwert zu führen,
gegen den Feind zu kämpfen, ist edel, doch was ist, wenn man dadurch
selbst zum Feind wird?
Vielleicht ist dies aber alles nur ein Spiel; ein Spiel, das vom
Wind bewegt wird...
"Gerade stehen!", brüllte Hauptmann Milchemia, aus seinem Mund
entfloh eine Wolke seines gefrorenen Atems. Sein Gewand war prächtig
und bestand aus einem Brustharnisch mit länglichen, queren Schuppen,
die über seinem Bauch gespannt waren. Er war schlank, groß,
hatte dunkle, lange Haare und seine Züge waren scharf geschnitten,
gezeichnet von viel Leid und Weisheit. Über den Schultern trug er
einen Fetzen Wolfspelz, der schließlich zu einem samtenen, grauen
Mantel überging und an der Hüfte hing festgezurrt ein mächtiges
Sichelschwert, dessen Klinge im Mondlicht hell aufblitzte. Er stand direkt
vor seinen Schlachtreihen, die ebenfalls schwer gepanzert waren und noch
ängstlich dem Kampf in nicht allzu ferner Zukunft nachsahen.
"Noch heute Nacht wird jeder seinen Mann stehen können! Wenn
der Feind da ist, dürft ihr nicht ängstlich zittern, sondern
müsst das Schwert schwingen und den Feind zurücktreiben, bis
denen das Blut in den Adern gefriert!"
Es war die Zeit zwischen Frühling und Winter, die Milchemia
mochte, überall lagen schon schmelzende Haufen Schnee herum, vorsichtig
zeigten die Bäume dunkle Knospen und die kahlen Stämme saugen
mit ihren Wurzeln das Schmelzwasser in sich. Die Hänge erhoben sich
rings um sie, denn sie standen mitten auf einer Ebene, ziemlich nördlich
und nahe am Meer. Kalte Winde zogen heraus und von den Hügeln stürmten
bereits die ersten Kampfgruppen der Dämonenwesen, schlossen sich zu
Truppen zusammen und kreischten ihren Zorn hinaus. Ein Krieg, wie er sinnloser
nicht sein konnte; das Heer des Königreiches Waromir hatte in den
letzten Jahren beachtlich zugenommen und protzte nun stolz vor den gelegentlichen
Feinden aus dem Osten. Es war ein Spiel, welches sich die Herrscher vor
langer Zeit ausgedacht hatten, sie spielten mit den Leben der Krieger,
schickten immer wieder neue in die Schlacht, doch heute, das fühlte
Milchemia, würde sich der Kampf entscheiden. "Lanzen vorneweg!", schrie
er, zog an den Zügeln seines Hengstes, wendete ihn und flüchtete
sich auf eine Anhöhe, von der er das Treiben gut überblicken
konnte. Sein Pferd schnaubte und wand sich in der Kälte, stampfte
mit den Hufen auf und sprengte dann in einem donnernden Galopp auf die
Plattform. So verschaffte er sich einen Überblick über die Truppen,
erspähte weitere seiner Leute im Westen und ließ sein Tier sich
aufbäumen, stieß dabei einen Schlachtruf aus. Feierlich gellte
er mit erhobenem, aus dem Gürtel gerissenem Schwert: "Jungs, ich will
keinen Kampf sehen, keine Schlacht oder gar Gemenge. Jungs, ich will den
Krieg sehen!"
Sofort johlte die Menge auf und stimmten ihm mit ihren Schlachtrufen
zu.
"Jetzt!", stieß der Hauptmann dann hervor, als die erste Reihe
von Schattenwesen der Verteidigungslinie entgegentrabten. Die Speere, Piken
und Lanzen wurden nach oben gerissen und viele Köpfe oder ähnliche
Gebilde, welche die Feinde auf den Schultern trugen, sofern sie welche
hatten, wurden aufgespießt. Der Himmel war dunkel verhangen und die
Wolke schoben sich eng aneinander über das Sternenfirmament der Nacht.
Das Aufeinanderprallen und Krachen von Schwertern riss ihn aus seiner
Trance und sein Schimmel sprang die leichte Böschung hinab. Das Land
war kahl und hügelig, nur der Kampfschauplatz war eine Ausgetretene
Ebene. Das erste Schattenwesen, das nach ihm griff, bekam die gebogene
Klinge seines Schwertes zu spüren und verzog sich winselnd. Sein Gesicht
war wutverzerrt, schweißüberzogen und mit Blutflecken versehrt,
als er sich weiter durch die Mengen kämpfte, ein Gewimmel aus Feinden
und wild hackender Ritter. Viele würden in dieser Schlacht ihr Leben
lassen, doch war es notwendig, glaubte Milchemia.
Plötzlich wurden heftige Entsetzensschreie aus der Mitte der
Menge laut, erhoben sich zu einem Geheul und verstummten schließlich
ganz.
"Was zum...", begann der Hauptmann, doch da wurde er vom Pferd gestoßen,
ohne auch nur etwas von der gewaltigen Kreatur mitzubekommen, die sich
wahrscheinlich in der Mitte der Ebene aufhielt. Freunde wie Feinde überrannten
ihn, traten oder bissen ihn, bis er aus vielen Wunden blutete, doch auf
einmal dachte er daran, das Blatt selbstständig zu wenden, alleine
versuchen, seine Armeen gewinnen zu lassen... warum fiel ihm das gerade
jetzt ein? Hatte er etwa nie versucht zu gewinnen? Er überlegte, doch
seine schlauen Gedanken schienen sich wieder von ihm zu lösen, seinen
Geist zu verlassen.
Was hatte er eben noch gedacht? Es war ein Wissen unvorstellbarer
Größe, Mächtigkeit und Inspiration, dass es ihm kalt den
Rücken herunter gelaufen war, als es sich wieder verflüchtigt
hatte. Die Zeit schien still zu stehen als er sich kraftvoll erhob. Seine
Wunden waren geheilt, Ruhe wurde von den umliegenden Wesen ausgestrahlt,
nur sein Herzschlag und sein rasselnder Atem war laut zu vernehmen, sonst
war da Unbehagen und Gefühle, die er nicht kannte. Er fühlte
sich verlassen, verschmäht von der Liebe seiner Frau... Er hatte keine
Frau... Es war seltsam von Sachen zu denken, die er nicht hatte und in
einer Art Traumwelt herumzulaufen, einer kalten Traumwelt. Eine Welt, die
nur dem Tod gefiel, eisig und furchtbar grausam, sah er doch nun in die
hasserfüllten Gesichter der kämpfenden, schwertschwingenden Leute,
wie sei rau und ohne Gefühl auf ihre Gegner einschlugen. War es das,
was er aus seinen Leuten herausholen wollte? Die Lust am Kampf? Er versuchte
wenigstens den Kopf zu schütteln, doch es gelang ihm nicht, da er
wusste, dass es so war wie es war. Er hatte ihnen Wut injiziert, Bosheit
und eisernen Willen gegeben, doch war ihm nicht klar gewesen, wie stark
er Einfluss auf die Krieger seines Königs hatte. Der Kampf ging weiter,
erbarmungslos eben und er verließ das Schlachtfeld ohne es zu bemerken.
Durch diese Kurze Gedankenzeile, die er durch die Luft aufgeschnappt hatte,
war ihm das eigentliche Spiel der großen Herren bekannt geworden.
Nie mehr wollte er ab jetzt einen Menschen töten oder verletzen, denn
für seinen Geist stand jetzt zu viel auf dem Spiel.
Sein Weg führte ihn nach Süden, immer den eisigen, schneebedeckten,
ausgetretenen Pfad entlang, den er noch nie gegangen zu sein schien, doch
etwas in ihm befahl ihm genau dies zu tun. Während er lief und nicht
wusste wohin, öffnete er seine Gedanken, warum dies alles plötzlich
gekommen war und warum seine Wunden geheilt worden waren. Was war vorhin
in der Schlacht passiert? Man hatte ihn vom Pferd gestoßen und dann...
Ab da spielten seine Gedanken verrückt, doch etwas war anders, das
Selbstbewusstsein, welches er in diesem Moment erlangt hatte, war nicht
vorhanden. Da plötzlich kam es wie aus dem nichts, als er versehendlich
an seinem ledernen Gürtel herumspielte. Ein Lachen durchfuhr sein
Gesicht hart wie ein Stich und löste sich so schnell wie es gekommen
war wieder in seinen Gedanken auf.
"Hart wie ein Felsen, leicht wie Luft, schnell wie der Wind...",
säuselten und zischten ihm die Worte durchs Ohr, als seine Gedanken
sich geöffnet hatten und mit einem mal wusste er über die Herkunft
dieser Gabe. Seine Hand hatte sich fest um den Langen Griff seines Schwertes
gekrampft und hielt es fest, die Oberfläche glänzte wie festes
Eis. Er war sicher, vor dem Kampf sein Sichelschwert angelegt zu haben,
doch diese Waffe war es bestimmt nicht gewesen, schnurgerade erreichte
es eine Länge von etwa eineinhalb Metern, hatte einen mit schwarzem
Leder eingebundenen Griff, und eine glatte, scharfe, unbeschädigte
Klinge. Als er die Schneide weiter betrachtete, vernahm er wieder den Klang
der soeben gehörten, seltsamen Worte und verstand sich jetzt darauf,
sie zu deuten, doch er vermochte es nicht auszudrücken was sie bedeuteten
und wie viel Macht sie enthielten, denn er war schier von ihr geblendet.
Er durfte seine Männer nicht allein auf dem Schlachtfeld sterben
lassen! Nun war ihm die Macht und der Mut gegeben, das Schicksal zu umgehen
und ihnen nur einmal den Sieg zu bringen. Würden die Könige,
seine Herrscher, damit einverstanden sein? Wohl eher nicht, aber konnte
er seine Feinde mit dem seltsamen Schwert bearbeiten, oder würde es
bei einem Aufprall mit einer anderen Waffe zerspringen?
Fest schloss er die Faust um eines der Messer, die er immer bei
sich trug, wog es in der rauen Hand, stellte seine Leichtigkeit fest und
rannte dann wieder auf die Hügel los.
Von oben bot sich ihm ein Anblick der Zerstörung, Tausende
seiner Soldaten lagen oder knieten am eiskalten, schlammigen Boden, blutüberströmt
und vor Schmerzen stöhnend. Eine Wut ergriff ihn und er stolperte
zu einem der Halbtoten hin, umfasste dessen Hand, drückte sie und
wartete auf Antwort. Der Gefallene hob den ängstlichen Blick zu ihm,
stotterte leicht als Blut aus seinem Mund floss und winselte dann wie ein
geschundener Hund:
"Hauptmann... der Feind... diesmal war er... war er... zu stark...
haben ihn nicht besiegen können... Ein paar Männer haben sich
ans Wasser und an den Strand geflüchtet... sie kämpfen immer
noch..."
Milchemia ließ ihn sinken, blickte in die Luft, durchsuchte
den Wind, ob dieser ihm nicht eine Nachricht überbringen würde.
Warum er das tat, wusste er selbst nicht genau, doch er tat es ohne zu
zögern. Als er die Augen zusammenkniff, wehte eine scharfe, eisige
Briese ihm ins Gesicht und sein Ausdruck war bedrückend. Zwischen
den überall aufgestellten Fackeln lagen die Leichen von dunkelhäutigen,
dreckverschmierten Schattenwesen; manche unter ihnen schienen Orks zu gleichen,
doch der Großteil war eher eine Mischung, luchsäugige, dunkle
Menschen mit langen, scharfen Raubtierzähnen und verfilzten schwarzen
Haaren, die im Großteil hinten zu einem Zopf zusammengebunden waren.
Ihre Nasen waren platt, ihren Körper schützte ein Lederner Panzer
und meist hielten sie geschwärzte Klingen mit mehreren Sägezähnen
an den Schneiden. So sahen die Wesen, gegen die er zu kämpfen pflegte,
immer aus, doch jetzt fragte er sich, warum gerade er so oft heil aus der
Schlacht heimgekehrt war. Lag es vielleicht an einer Bestimmung?
Seine Hand wanderte derzeit unwissend auf den Knauf des Schwertes zu und
die Wahrheit durchstieß ihn wie einen Pfeil:
"Sie wollten mich gar nicht töten! Welcher Bastart hat mir
das Schwert zugesteckt?"
Was wollte man damit bezwecken, einem Kämpfer ein Schwert zu
verleihen, welches eine unglaubliche Kraft besaß, oder war es einfach
nur Ironie der Geschichte, dass gerade er es jetzt in der Hand hielt? Für
ihn gab es keinen Zweifel, dass er sein Problem dem Stoß der Elfen,
einem hohen Rat, vortragen musste, um Gewissheit über dieses Waffe
zu erlangen.
Da fielen ihm seine Leute ein, er musste wieder zurück zu ihnen,
zum Strand und ihnen beistehen, doch zuvor wollte er sich eine Gestalt
mitten in einem Kreis aus vielen Leichen genauer ansehen. Er hob die Beine
weit an, um über die vielen Körper hinwegsteigen zu können,
und kam dem seltsamen Wesen immer näher. Es war groß und über
es war ein großer, schwarzer zerschlissener Fetzen geworfen, der
einem verrotteten Umhang glich. Noch fühlte er wärme in dem Wesen,
der Körper hob und senkte sich leicht, doch genaueres konnte er nicht
erkennen, bis auf viele Pfeile und Spieße, die in seinem Leib steckten.
"Was..."
Er begann zu zittern, leichte Schüttelfroste überkamen
ihn und er zuckte unwillkürlich als eines der spinnendürren,
mit Klauen gespickten, dunklen Arme sich bewegten. Es war anders als die
Dämonen und Orks, kräftiger nicht gerade, doch ging eine ungeahnte
Bosheit von dem Wesen aus, sie griff nach dem Hauptmann und zerrte an seinem
Herzen, doch er schluckte dies nur hinunter und tat einen Schritt weiter
nach vorne. Schatten hatten sich um die Fläche gelegt und nur der
tanzende Scheine einer lodernden Fackel ließen manchmal Einblicke
auf die tiefen, obsidianschwarzen Augen des Wesens zu, welche groß
und verrückt waren. Die Pfote oder Kralle bewegte sich nun wischend
und scharrend über dem Boden, versuchte wahrscheinlich mit letzter
Kraft Halt zu finden und endlich fand sie ihn. Wie Sicheln schlugen sich
die geschärften Spitzen in den Boden, stießen die schwer mit
fauligem Atem atmende Kreatur nach oben. Als sie sich völlig vor Milchemia
aufbäumte, rann diesem vom Wind gefrorener Schweiß von der Stirn
und versickerte in seinem Mantel. Ängstlich trat er einen zögernden
Schritt nach hinten, während die Kreatur ihre Arme unter dem Manteltuch
ausbreitete und dieses wie eine schwarze Wand aufstellte. Ein riesig langer
Schatten fiel auf den Boden und dürre Klauenfüße begannen
ihren Weg zu beginnen. Immer wenn es atmete, stieß es leichte Windstöße
aus, die sich wie ein Gefängnis aus Eis um den Hauptmann legten, ihm
geboten, still zu stehen, doch wieder tasteten seine Finger nach einer
Waffe und fanden aber nur das Schwert in seinem Gürtel. Mist, dachte
er Flüche durch die Zähne ausstoßend, den Dolch hatte ich
bei dem Soldaten liegen lassen! Nun blieb ihm keine andere Wahl als das
Schwert selbst zu ziehen, also riss er es mit ganzer Kraft aus seinem ledernen
Gürtel und er war überrascht, dass es so leicht vonstatten ging,
als sei das Schwert aus Glas. Tatsächlich bekam die Klinge jetzt einen
durchsichtigen, fast unsichtbaren Glanz und er fühlte, wie es ihm
im Inneren warm wurde und seine Kraft erneut wuchs.
"Woher hast du das Schwert!", zischte die Kreatur und zwei Punkte
in ihrem erahnbaren Gesicht glommen rötlich auf, dann ging es schneller
voran, setzte eine Klaue nach der anderen auf den Boden, stolperte über
Leichen, während der Hauptmann das gleiche tat, zurückstolpern
und mit dem Schwert drohen und er fühlte, dass das glimmen in den
Augen der Kreatur jedes Mal stärker wurde, wenn er mit der Spitze
des Schwertes an sie heran kam.
Keine zwei Sekunden später lag er in voller Länge auf
dem Rücken, denn er hatte nicht darauf geachtet, wo er hinging, und
so hatte sich sein Stiefel in einem am Boden liegenden Sägezahn eines
Dämonenschwertes verhangen. Das dunkle Wesen stürzte sich von
oben auf ihn, die Augen wild glühend und alle Klauen nach ihm ausgestreckt,
dann hielt es plötzliche inne und Milchemia fühlte, dass etwas
in dem Körper des Wesens zuckte, pulsierte und dann erstarb. Das Keuchen
dessen Atems fiel aus... Das Schwert hatte sich wie von unsichtbarer Hand
in den Rumpf des Dunklen gebohrt und steckte nun tief in seiner Brust.
Erleichtert atmete der Hauptmann tief durch, wälzte den schwarzen,
fiebrigen Leib von sich und betrachtete das Schwert in seiner Hand. Die
Klinge war in der Mitte gebrochen. Er hatte Recht gehabt mit seiner Vermutung,
dass es nicht so viel aushalten würde wie die normale Verteidigungswaffe
eines Kriegers. Doch wenn dieses Schwert so wichtig war, warum war es dann
nicht fest geschmiedet worden, sondern aus einem leicht zerbrechlichen
Material? Für was konnte man ein so gut wie kaputtes Schwert gebrauchen?
Er fühlte, etwas schreckliches getan zu haben, indem er die Schneide
zerbrach und sah betrübt und schuldbewusst zu dem dunkeln Mantelfetzen
auf dem Boden nieder.
Er erschrak, als sich nur noch der dunkle von Blut getränkte,
zerlöcherte Umhang zeigte, säuberlich zusammengefaltet mit den
Splittern des Schwertes darauf.
"Komisch!", murmelte Milchemia, zuckte die Achseln und hob das Bündel
auf, "vielleicht ist es mir einmal nützlich."
Er schob es hinter den Brustpanzer seiner Rüstung und vermutete,
dass seine restlichen Leute am Strand nun ebenfalls erschlagen worden waren.
Er seufzte verdrießlich, warf seinen grauen, durchnässten Mantel
auf den Boden, da er ihm zu schwer geworden war, und schritt auf eines
der verlassenen Pferde zu, welche in den verschiedensten Farbtönen
(braun, schwarz, weiß oder gescheckt!) zu sehen waren.
Dann schwang er sich in den Sattel, während es leicht zu nieseln
begann, das Blut fortgespült wurde und in kleinen Rinnsälen dem
Meer entgegenlief. Später, nachdem er mit der Zunge geschnalzt hatte,
begann sich das Tier, es war ein rotbraunes mit blonder Mähne und
hatte ebenfalls kleine Kratzwunden vom Kampf davongetragen, trabend in
Bewegung zu setzen, den Weg zu der Burg seines Königs entlang. Zwar
hatte er es noch nicht geschafft, sich dem Schicksal entgegen zu stellen,
doch er spürte mit den Fingern beim Brustpanzer, unter welchem er
die Splitter trug, dass sich ihm bald eine neue Gelegenheit bieten würde.
Warum hatte es dieser Kerl auf das Schwert abgesehen und woher hatte
er es gekannt, überlegte Milchemia plötzlich und kratzte sich
am Kinn, er konnte doch gar nicht wissen, dass es anders war als alle anderen...
irgendwie erschien ihm das jetzt nicht mehr glaubwürdig und er lehnte
sich leicht im Sattel zurück, während der Hengst weiter stapfte.
Wieso heilte es mich? So einen Dämon hatte ich noch nie gesehen und
warum ging das Schwert so schnell kaputt? Hat es jetzt überhaupt noch
seine Heilkraft? Er brach in Zweifel aus fühlte sich unwohl so alleine
hier über das Land zu traben, ohne zu wissen was er als nächstes
tun würde. Er wollte zwar zu dem Rat, doch konnte diese Reise viele
Tage und Nächte in Anspruch nehmen und die Zeit konnte er nicht entbehren,
da er nächste Woche erneut eine Schlacht für den König schlagen
sollte, und während er so sann und ritt, graute bereits der Morgen.
Der Weg zu dem Schloss führte ihn an einer öden mit schmelzendem
Schnee bedecken Landschaft und an verkrüppelten, knorrigen Bäumen
vorbei, die nur vereinzelt in der Gegend herumstanden, kahl, tot und im
Schnee erfroren. Der eisige Wind pfiff und ließ seine Haare bauschen,
als ihm die Kälte direkt durch die Rüstung und auf die Haut fraß.
Das Pferd stieß wütende Schnaufer aus und setzte seine Hufen
nur langsam und behäbig vorwärts, da es selbst schon ziemlich
schwach schien und das Eis ihm zu schaffen zu machen schien. Die Erde war
gefroren und der Sonnenaufgang ging leicht hinter den Wolken vonstatten,
schon erhellte sich die Gegend in einem hellen Blau, das von dem Grauweiß
der Wolken überdeckt wurde. Der Nieselregen setzte aus, doch trotzdem
blieb die Einsamkeit und die Gewissheit, dass das Schloss noch einige Meilen
weiter westlich lag, schon konnte er die hellen Türme bei den grasigen
Ebenen sehen. Hier im Land der Schatten war das Gestrüpp und das Gras
verdorrt, doch in den Auenländern des Westens und den Wäldern
des Südens, war es grün und hell.
Am Mittag war er der Burg schon ziemlich nahe gekommen und die Landschaft
hatte sich merklich verändert, statt dem matschigen, graubraunen Boden
der Ebene, öffnete ihm sich nun eine Landschaft aus grünen Halmen
und Büschen, die dicht beieinander und mit tauendem Schnee bedeckt
waren. Auch der Weg hatte sich verändert, war dunkler geworden und
bot bessere Nährstoffe für Pflanzen, verlor sich jedoch bald
zwischen den saftigen Weiden und vor ihm eröffnete sich die Stadtmauern
von Waromir, an deren Türmen Banner und Fahnen mit dem rotgoldenen
Zeichen des Königs wehten. Er ließ sein Tier anhalten und genoss
für einen Augenblick die unsagbare Schönheit, ohne auch nur einen
weiteren Gedanken an das Schwert zu denken, doch als er die Augen schloss,
durchfuhr es ihn wie einen Stich in die Brust. Das Schwert hatte ihn gewarnt,
er sollte nicht die Augen unachtsam schließen, sondern auf seine
Umgebung achten...
"Irgend etwas ist da faul...", flüsterte er nachdenklich, stieg
ab, nahm das Pferd am Halfter und führte es in ein Gebüsch. Sicherer
wäre es, wenn niemand von seiner Ankunft wusste, denn so konnte er
herausfinden, was der König von diesem Spiel wusste, das er ihm spielen
half, wenn er in die Schlacht zog.
Bestimmt hat der König eine geheime Verbindung mit dem dunklen
Lord, vermutete er durch die Knospen und Blätter der Hecke spähend.
Er wartete auf ein Zeichen, das die Burgherren verraten konnte, doch außer
das herumlaufen von Posten auf den Zinnen, entdeckte er nichts auffälliges.
Mutig schlich er sich weiter heran, immer im Schatten eines kleinen Wäldchens
südliche des Haupttores. Ein schlechtes Gefühl plagte ihn, als
er die ledernen Blätter vor seinem Gesicht vorbeischob und weiter
über das Laub strich, ohne auch nur ein allzu lautes Geräusch
zu machen, das die Wachen bemerkt hätten. Die Stämme der Bäume
waren nass und die Rinde färbte an seinen Händen ab, als er sich
an ihnen entlang schob und weiter in das Dickicht lugte, als erwartete
er eine Falle. Weiter vorne hockte auf einem dunklen Dornenstrauch ein
kleiner Vogel, der aufmerksam den Kopf immer hin und her wendete. Milchemia
blieb stehen, denn er wusste, dass wenn er weiter auf ihn zu liefe, das
Tier fliehen würde und somit die Aufmerksamkeit der Männer auf
das Gebüsch zöge. Die Augen des Sperlings waren dunkel und blickten
ihn direkt an, als sich der Hauptmann jedoch seiner misslichen Lage bewusst
wurde, ließ er die geduckte Haltung sein und richtete sich auf. Der
Vogel würde so oder so wegfliegen, egal ob er sich bewegte oder nicht.
Schlacksig ließ er die Arme baumeln und stöhnte, der Sperling
verschwand hüpfend im Geäst, ohne gleich auf und davon zu flattern.
Milchemia konnte nicht einmal sicher sein, ob der König wirklich etwas
mit dem Feind zu tun hatte oder nicht, also könnte er auch gleich
auf normalem Wege ins Schloss gelangen. Genervt trat er den direkten Rückweg
zu seinem Ross an und führte es dann durch das mächtige, steinerne
Tor. Der sonst so gesellige Marktplatz war jedoch leer und nur ein paar
Hühner, Ziegen und abgemagerte Hunde streunten gedankenverloren herum,
ohne überhaupt ein gewisses Ziel zu besitzen. Treppen führten
zu der Mauer hinauf und links war ein breiter Durchgang in der Wand, den
er sofort nahm ohne überhaupt nach seinen Kollegen in der Gaststube
zu suchen, da seine Freunde und untertänigen Ritter sowieso in dem
Kampf umgekommen waren. Erbärmlich, dachte er, wie soll ich jemals
noch eine Schlacht gewinnen? Er band den Hengst an einen extra für
Pferde angebrachten Pflog und machte sich zu dem eigentlichen Schloss auf,
das sich in der Stadtmitte verbarg.
"Guten Morgen, Hauptmann!", grüßte ihn ein vorbeischlendernder
Soldat höflich und er nickte diesem Müde zu.
"Wie ist die Schlacht verlaufen?", fragte ihn ein anderer und blieb
interessiert stehen. "Ich habe gehört ihr wurdet geschlagen und keiner
lebt mehr!"
"Da müsst ihr euch verhört haben!", spotte Milchemia gereizt
und bissig. "Nicht alle wurden niedergemetzelt, ich lebe noch! So gesehen
haben wir gewonnen, da sonst kein einziges Lebewesen übrig geblieben
ist!"
Beleidigt zuckte der Kerl die Achseln und verschwand hinter einer
der vielen Karren mit Heu und Stroh.
Wenig später stand der Hauptmann im Thronsaal des Königs,
wo eine runde Tafel aufgebaut worden war, an welcher viele Leute in prächtigen
Gewändern Platz genommen hatten. Auch Milchemia nahm zwischen zwei
älteren Herrn Platz und rückte sich den Stuhl zurecht. Die Versammlung
war auf Grund der Nachwirkungen des Krieges einberufen worden und die verschiedenen
Berater sollten jetzt über den weiteren Verlauf der nächsten
Tage sprechen, dazu gehörte auch der Schlachtplan, der für den
Kampf am kommenden Freitag angesetzt worden war.
Der König erhob sich aus seinem goldenen Sessel am Kopfende
des Tisches, gebot den Diskutierenden Ruhe mit einem Zeichen seiner linken
Hand und begann die heutigen zu besprechenden Fakten aufzuzählen:
"Als erstes sprechen wir über die Vorräte, danach kommen
dann die Wünsche des Volkes, die Anzahl unserer Männer, die Verhandlungen
mit den anderen Königreichen, unser Kassenstand und natürlich
der neue Schlachtplan unter der Leitung von Milchemia!"
Der König war ein alter, verwitterter Mann mit vielen Falten
und einem stechendweißen Gamsbart, der Spitz vom Kinn wegstand. Seine
Augen waren unsicher und schienen erst neu in dieses Amt eingeführt
zu werden, obwohl er diese Tätigkeit seit Jahren ausführte. Die
Krone auf seinem Haupt war eher schlicht gehalten und über seinen
Schultern hing ein dicker, pelziger, blauer Königsmantel mit silbernen
Stickereinen. Kaum hatte er zuende gesprochen begann einer der jüngeren
näselnd zu sprechen, wobei er immer schniefte und meinte:
Eine Kälte heute!
"Es ist unverantwortlich, dass diese Rattenplage weiter nur unsere
Vorratskammern befällt, alle Fressutensilien sind schon angeknabbert
und dieser Winter hat die ganze Ernte ruiniert! Die Bauern werden wahrscheinlich
nicht ernten können, da die Saat erfroren ist! Wir brauchen unbedingt
Getreide aus den Südlichen Königreichen und da kommt auch schon
mein Kollege hier ins Spiel!"
"Ja!", bestätigte dieser nickend und mit einem besorgten, mitfühlenden
Blick. "Wir brauchen neue Verbindungen, denn durch irgend einen dummen
Zufall verschwinden Goldstücke aus den Schatzkammern der umliegenden
Königreiche! Sie verdächtigen uns!"
Dem Hauptmann fiel es nun schwer zu glauben, dass der König
etwas mit der Sache zu tun gehabt hatte, da er senil und leicht verrückt
schien.
"Das sind bestimmt nur die Dämonen!", versicherte einer der
Berater und ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen.
"Aber auch aus unseren Schatzkammern wird gestohlen, wir besitzen
nur noch 70% von den Einnahmen der letzten Jahre!", rief der Finanzberater
und winkte mit einem Pergament, auf welchem er eine Statistik der Ausgaben
und Einnahmen angefertigt hatte. Sicht fehlten da Münzen in der Gesamtrechnung.
Da stach es Milchemia wieder in der Brust und er spürte, dass
er das Wort an seinen König wenden sollte:
"Ich...", er war aufgestanden und die Streitenden sahen nun erstaunt
zu ihm auf, nur der König schien selbstsicher und verzog keine Miene,
was dem Hauptmann komisch vorkam.
"Ich habe etwas entdeckt... etwas, das vielleicht von unschätzbarem
Wert für unser Volk ist!"
Nun blickte auch der König erstaunt zu ihm auf:
"Sprich, mein Junge, was hast du uns zu berichten?"
Milchemia schluckte kräftig, da er nicht mit dieser Frage gerechnet
hatte. Steckte der König vielleicht doch nicht mit dem Feind unter
einer Decke? Plötzlich wollte er gar nicht mehr über das Schwert
sprechen, verunsichert durch diese Handlung. Er öffnete den Mund,
wollte etwas sagen, doch behielt es schließlich für sich:
"Entschuldigung, ich... ich habe heute wenig geschlafen."
Mit dieser Ausrede verließ er den Saal, knallte die Tür
hinter sich zu und torkelte wie ein betrunkener den schmalen Gang entlang.
Sein Kopf brummte und er war unfähig über weitere Sachen als
über dieses Schwert zu denken, doch er war so müde, dass er nach
einigen Metern ohnmächtig wurde. Seine Rüstung schepperte laut,
als sie auf dem Boden aufkam. Er war gestürzt und das klirrende Geräusch
ließ ihn wieder sanft aufhorchen. Die Farben des Teppichs, auf den
er gefallen war, verschwammen vor seinen Augen und ihm war übel. Warum
konnte diese Waffe Wunden heilen, doch vermochte nicht das Fieber zu lindern?
Er brauchte Ruhe, Schlaf und Frieden. Langsam fielen ihm die Lider zu,
sanken leicht herab und dann tat sich vor ihm eine endlose Schwärze
auf.
Langsam begriff er, dass er sich nicht so liegen lassen konnte und
versuchte sich zu bewegen, die verklebten Augen zu öffnen und seinen
Durst zu löschen, doch er vermochte nicht die Lider zu heben, wollte
wieder in der dunklen Ungewissheit versinken... Nein, er raffte sich auf,
stützte sich an die Wand und krallte seine Füße in den
haltbietenden Teppich. Zwar vermochte er nichts zu sehen, doch konnte er
instinktiv spüren, wo sich seine Kammer befand. Er war noch zwei Türen
entfernt und wollte nicht, dass man ihn hier finden würde, hilflos
wie ein kleines Kind. Immer noch etwas benebelt schleppte er sich vorwärts,
ständig den einen Satz im Ohr:
"Hart wie ein Felsen, leicht wie die Luft, schnell wie der Wind..."
Nun wusste er, dass er so niemals sein konnte, nie würde er
standhaft und kräftig wie ein Fels sein. Immer hatte er einen verletzlichen
Punkt, der sich ausbreitete und immer großflächiger wurde.
"Wind regt sich und ist wild, wenn du ihn nicht bändigen kannst..."
Ein neuer Satz, der ihm plötzlich wie vom Wind zugetragen wurde.
Tatsächlich wurde es in dem ganzen Gang kalt und ein leises Pfeifen
drang an seine Ohren. Plötzlich verloren seine Sinne die Betäubtheit
und waren offen für jede Regung. Irgendetwas schleifte sich über
den Teppichboden und das Geräusch rasselnden Atems erfüllte den
engen Gang. Vorsichtig versuchte er eines seiner Augen zu öffnen,
um etwas erkennen zu können, doch seine Lider waren wie verklebt und
nur einen kleiner Spalt konnte er schmerzhaft öffnen. Er erblickte
einen schwarzen Schemen auf sich zuhumpeln, groß und gebückt.
Der Schatten kam näher, schien gewaltiger und zu werden und zu wachsen.
Dann durchdrang ein bedrohliches, eiskaltes Zischen die bedrückende
Stille...
Hinter dem Gebirge im Osten Borkin’s, dem Land, in welchem die Gnome
herrschten, ging gerade die Sonne auf, breitete ihre goldgleißenden
Strahlen über den Wäldern und Feldern aus, pulsierte einige Zeit,
dann verdunkelt sie ein düsterer Wolkenschleier, der wie aus dem Nichts
zu kommen schien.
Ein alter Mann sah diesem Schauspiel unsicher zu. Seine Züge
waren starr vor Angst und von Wind und Wetter gegerbt. Die Falten in seiner
Haut waren tiefe Einfurchungen, verwittert und ausgemergelt, wissend, belehrend
und doch lernfähig. Seine Lippen bewegten sich stumm, tonlos, als
würde er die Worte eines anderen nachsprechen. Blaue Augen stierten
aus dem Schatten seiner hellen Kapuze hervor, hatten den wallenden Nebel
fest anvisiert und waren gutmütig, doch strahlten sie Angst aus, große
Angst und Bestimmtheit. Er hatte lange, zerzauste weiße Haare und
einen dichten Bart, der sich im Wind leicht kräuselte. Seine Haut
war gebräunt, doch schien es in diesem Moment, als hätte er nie
zuvor die Sonne gesehen.
"Ein weiteres Mal wird das Weltenende kommen, die Zeit verschlingen
und seine vier dunkeln Reiter auf die Welt losschicken, doch zuvor wird
es noch die Sonne hinter einem Teppich aus Düsternis und Nacht verschwinden
lassen, alles Licht auslöschen!"
Seine Stimme war nur ein Flüstern im Vergleich zu dem Tosen
des fernen Sturms.
Plötzlich wendete er sich ab, seine blaue Robe flatterte im
Wind.
"Ich werde gehen und mit dem Rat der Elfen sprechen!"
Leicht setzte er einen Fuß vor den anderen, nahm dabei seinen
knorrigen Stock zur Hilfe und verließ das Gebirge durch die Pfade
südlich seines Standortes.
© Benedikt
Julian Behnke
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