Der Name des Mannes war Gerwin Cyprian. Von Beruf war er ein Druide,
eine Lebensform, in diesem Falle ein Mensch, welche ihr ganzes Leben der
Sicherheit des Volkes widmet und die Neuheiten in ein Buch schreibt. Er
würde nicht sofort zum Elfenrat gehen, nein, er wollte zuerst nach
Towrin, um dort einen Freund der Familie abzuholen, einen Halbelfen namens
Run Hartlef, der ihm als Bund zwischen den Elfen und Menschen dienen sollte.
Run war nämlich der einzige Halbelf aus den drei Kontinenten, obgleich
er dies nicht einmal wusste. Er würde es erst erfahren, wenn Gerwin
ihn besuchen käme. Cyprian zwang sich zu einem Lächeln, schüttelte
dann jedoch den Kopf, weil Hartlef ja gar nicht mitmachen würde, er
würde es nicht glauben und dann...
Er mochte es sich erst gar nicht ausmalen und musste somit vertrauen,
dass seine Überredungskünste etwas helfen könnten.
Der Wachturm von Pakin war nicht mehr fern. Schon war er zu der
grauen Kreuzung gekommen, deren linker Weg auf einen Vorsprung mit einem
großen Turm aus schwarzem Stein führte, es war der Wachturm.
Weit ragte er aus dicken Schneebergen empor und seine Spitze verlor sich
im dichten Schneetreiben. Während Gerwin so starrte, dachte er über
den Herrn der Winde nach, über Muragecht.
Schon in kürzester Zeit, hatte Cyprian den großen, dunklen
Turm mit dem graublauen, eisig zerfetzten Banner erreicht und blickte an
dem riesenhaften Gebilde empor, das sich erst weit oben zwischen den Wolken
verlor. Gerwin schlug mit dem dicken Wurzelende seines Stockes gegen die
mit kleinen Eiskristallen verhangene Tür. Der dunkle Stein, aus welchem
der Turm erbaut war, war hart wie Granit, schien er bei der kleinsten Bewegung
nachzugeben, was natürlich täuschte, da er immer leicht im brausenden
Wind wackelte.
Mit einem zögernden zedern und quietschen, schob sich die Tür
aus Eichenholz nach innen auf und ein heißer Wind schoss ihm entgegen.
Im Turm war es dunkel, bis auf eine Anzahl von kleinen, blauen Fackeln,
welche die Schatten in die häufigen Ecken und Winkel verbannten und
das Licht schummrig machten. Eine steinerne Wendeltreppe führte um
eine brüchige, verstaubte Steinsäule herum und wurde dann von
der Dunkelheit weiter oben verschluckt. Der Druide folgte dieser Treppe
bis weit nach oben, immer dem brausenden Sturm da draußen lauschend
und das dringende Bedürfnis seekrank bei diesem Gewackel zu werden
unterdrückend.
Am Ende der Stufen stand er abermals vor einer verwitterten Tür,
die viel zu klein für den Zauberer schien. Dennoch aber begann sie
leicht zu wachsen, als der Zauberer sich hinunterbeugte und sogleich konnte
er wieder aufrecht gehen.
In dem Raum befand sich eine alte Gestalt mit zerzaustem Bart, welche
in einem schwarzen Mantel gehüllt gekrümmt auf einem Schaukelstuhl
saß und leicht damit wippte. In einem Bett an der Wand, neben einem
Regal mit alten Büchern, lag ein schlafendes Kind mit dunklen, fast
schwarzen, ebenfalls zerzausten Haaren und einem bleichen Gesicht. Der
Alte schaute auf und sah direkt in Cyprian’ s Gesicht.
"Der alte heckt wieder etwas aus, stimmt’s? Muragecht ist berühmt
für sein plötzliches Auftreten!", sagte der Alte und zitterte
leicht dabei, während ihm seine langen Haare ins Gesicht fielen und
er sie beiseite schieben musste.
"Sendinior, hör auf zu meckern! Wir wissen beide, dass das
Kind hier unsere letzte Hoffnung auf Frieden ist!"
"Genau, darum wollte ich dich bitten, ihn zu meinem Freund und Lehrer...
Ich hab den Namen vergessen! Mist! Auf jeden Fall bringst du ihn zur Waldenburg,
dort wird er von diesem... dort wird er eben unterrichtet werden! Ich werde
alt und muss mich selber für den Kampf rüsten! Das gesamte Schattenreich
kommt zusammen um die Erde zu erobern!"
"Was wir brauchen, ist eine Armee, die..."
"Darum kümmere ich mich!", fiel im Sendinior Allagan ins Wort.
"Sorge du lieber dafür, dass mein letzter Nachkomme und somit der
letzte Druide, wenn wir tot sind, die meiste Zeit in Frieden leben kann!"
"Da ist was im Busch! Wir müssen sofort handeln! Ich hörte,
dass es im Nordwesten einen erfahrenen Hauptmann und Kämpfer geben
soll, der die Menge und seine Soldaten so gut unter Kontrolle hat wie sein
Schwert!"
"Und wie gut ist er mit dem Schwert?", fragte der Druide leicht
belustigt und lächelte überschwinglich. Gerwins Gesicht blieb
hart. In Zeiten des Krieges, oder Aufruhr, hatte er immer sehr spontan
und hart gehandelt.
"Er hat über hundert Schlachten geschlagen und ist aus jeder
beinahe unverletzt wiedergekehrt!"
"Und das gibt uns das Recht, ihn zu engagieren? Wie heißt
eigentlich dein Wunderkind?"
"Milchemia!"
Bei den Worten, donnerte es draußen, da ein Blitz eingeschlagen
war und Felsen gelöst hatte, die nun rumpelnd und polternd ins Tal
rollten. Das Kind wachte auf, schüttelte den Kopf und öffnete
die dunklen, aber dennoch durchdringenden Augen.
.
Der Bote kam schnaufend und mit hochrotem Kopf in das kleine Zelt
am Ostufer des großen Flusses, der sich wie ein silberner Faden durch
die drei Länder wand. Der Mann fuhr sich durch die schweißnassen
Haare, auf seiner Uniform war Blut und feuchter Dreck. In der Hand hielt
er einen fast stumpfen Säbel mit vielen Kerben Schnitten, auch war
er am unteren Ende leicht verrostet und am oberen blutbesudelt.
"Sir,", schnaufte er und klemmte sich den ledernen Helm unter dem
Arm, "die erste Linie unserer Truppen wurde zerschlagen und keiner traut
sich mehr vor! Die Dämonen dringen immer weiter an den Rand unseres
Lagers. Sir, wir brauchen Nachschub! Ziemlich in der Mitte des Schlachtgetümmels
herrscht höchste Panik, nicht, dass sie wegen dem Krieg angst hätten..."
Milchemia unterbrach ihn mit einer Geste und lächelte leicht
gequält:
"Junge, komm auf den Punkt!"
"Ja, Sir. Also das Gerücht von einem starken, dunklen Wesen
geht durch die Mengen..."
Wieder wurde er von dem Hauptmann unterbrochen:
"Alle Dämonen sind dunkel!"
"Natürlich, Sir. Doch dieses Wesen ist größer und
grausamer als die anderen. Es wird gemunkelt, dass es einer der drei Reiter
ist, welche seit neustem zur Zeit wieder durch die Länder streifen!"
Milchemia zog die eine Braue hoch, starrte den Boten entgeistert
an und gebot ihm dann, sich zu setzten.
"Dies heißt aber nicht, dass es auch stärker ist, oder?"
Der Bote kam ins stottern und sagte dann mit zitternder Stimme:
"Oh, doch! Viel stärker sogar! Es zerschlägt drei unserer
Leute mit einem Angriff!"
"Das kann ich auch! Ich schaffe sogar fünf. Setz dich doch
endlich und nimm dir eine Decke von dem Stapel da drüben, bevor du
dich noch erkältest! Es herrscht eine eisige Kälte da draußen!"
"Aber es ist viel schneller, als ihr, Sir!"
Noch immer saß er nicht, anscheinend wollte er eine besondere
bitte vorbringen. Milchemia roch den Braten und rückte gerade so mit
der alles entscheidenden Frage heraus:
"Warum bist du hier? Wohl nicht um einfach so mit mir zu plaudern,
oder?"
"Ich", begann der andere, "wollte euch eigentlich fragen, ob sie
die Soldaten anfeuern würden?"
"Was verstehst du unter 'anfeuern'?", hakte der Hauptmann nach und
führte den Becher mit Wein zum Mund, welcher direkt neben einer großen
Karte auf dem kleinen Tischchen in der Mitte des Zeltes lag.
"Na rausgehen und mitkämpfen!"
Milchemia erschrak für einen Augenblick, doch dann packte ihn
innerer Frieden und er versuchte über seine letzte Kampfeinlage nachzudenken.
Er hatte im Heer des Herzogs von Waromir gekämpft und hatte verloren,
wie jedes mal. Bloß, dass die Feinde eben auch, sofern sie nicht
geflüchtet waren, bis auf den Letzten gestorben waren. Genauso war
es auch bei den drei großen Schlachten davor, immer hatten sich die
Heere der Dämonen und die Heere der Menschen gegeneinander aufgelehnt
und am Schluss war keiner Sieger. Es war so, als hätten die mächtigen
Herren vorher abgemacht, wann sie sich begegnen sollten. Dieses Jahr fand
der Kampf in einem der zahlreichen, unbedeutenden Ebenen statt und würde
vielleicht mit etwas Glück anders ausgehen. Vor drei Jahren hatte
man ihn vom Kampfplatz in ein Kommandozelt geschoben und ihm gesagt, er
solle von hier Schlachtpläne schmieden und brauche sich nicht mehr
für seine Leute aufopfern. Aber er hatte das Gefühl, deshalb
abgeschoben worden zu sein, weil er einfach zu positiv auf die Soldaten
wirkte, ein geschickter Spruch von ihm genügte, um die ganzen Männer
in Freude zu versetzen.
"Okay, warte einen Augenblick. Ich werde mir nur noch schnell meine
Rüstung anlegen, dann geht es schnell ins Gefecht!"
Freudestrahlend und nicht mehr ganz so rot verließ der Bote
das Zelt, schritt über eine knatschige, ausgetretene Bodenfläche,
besah sich die verkrüppelten Bäume, welche leicht vom wabernden
Nebel umhüllt wurden und folgte schließlich dem tosenden Geräusch
von schwer kämpfenden Kriegern. Auf einmal galt sein Blick einem Mann
von etwa neunzig Jahren, der trotz seines Alters in einem dunklen Umhang
durch den Nebel in dem kleinen mit Pfützen gespickten Hain herumhastete.
Er wurde stutzig und trat ebenfalls unter die lichten, grauen Bäume
und überspähte eine öde Sumpflandschaft, die von Brennnesseln
und umgestürzten, verrotteten Stämmen übersäht war.
Dort kletterte der alte Mann, ein längliches Bündel auf dem Rücken,
über ein paar aufgehäufte, trockene Äste und verschwand
dann ganz im Nebel. Der Bote zückte seinen Dolch, den er die
ganze Zeit in seinem Gürtel getragen hatte, und sprang ihm möglichst
lautlos hinterher. Die Nässe des sumpfigen Bodens wurde von seinen
Stiefeln nicht mehr weiter abgehalten und es fühlte sich an, als würde
er seine Zehen in Eis baden. Der Kerl ist entweder ein Spion oder einfach
nur verrückt, dachte er, seinen Blick immer durch den Nebel gleiten
lassend. Auf jeden Fall stört er mit seiner Rumhüpferei! Am besten
überfalle ich ihn und klaue sein Bündel.
Milchemia hatte gerade seinen Umhang und die silberne Rüstung
angelegt, da schallten von draußen Schreie, die näher aus der
Umgebung kamen, als sie sollten, denn der Krieg fand etliche Meilen weiter
statt. Er hetzte hinaus, warf seinen Blick erst nach rechts zu den anderen
Zelten, die in ihrem dunklen Grün in der düsteren Umgebung prangten,
dann nach links zu dem sumpfigen Hain, dessen Gestrüpp so hoch wie
ein Mann war. Schon erkannte er, wie sich vier Soldaten in voller Montur
auf dem Weg zu den Brennnesseln machten, aus dem wahrscheinlich die Schreie
gekommen waren, hoch, grausam und schrill. Drei der Männer verschwanden
in dem kleinen Wäldchen, der andere schwenkte eine Fackel und untersuchte
die Gegend.
"Was ist los?", fragte der Hauptmann mit strengem Blick, während
er auf den alleinstehenden zu marschierte. Die Wache hob die Flache Hand
zur Schläfe, salutierte und antwortete dann ordnungsgemäß:
"Wir hörten Schreie, Herr!"
"Die hörte ich auch! Was ist hier vorgefallen?"
Seine Stimme war zielsicher, streng und schnitt wie gesplittertes
Holz in das Fleisch der Wache. Während der noch nach einer Antwort
suchte, kam einer der drei, welche in den Hain geklettert waren, zwischen
den Sträuchern hervor, erblickte den Hauptmann, vergaß aber
das salutieren und nickte ihm daher nur zu.
"Sie sollten sich das mal ansehen!", flüsterte er fast und
verschwand wieder, diesmal gefolgt von Milchemia und dem Typen mit der
Fackel.
"So haben wir sie gefunden!", berichtete er, als sie alle auf einer
kleinen Lichtung standen, auf jener offensichtlich ein Kampf stattgefunden
hatte.
"Der Bote...", entfuhr es Milchemia, als er den einen der beiden
grausam zerfetzten Leichnahmen der auf der Erde liegenden identifizierte,
"...und noch ein andere. Kennt ihn jemand?"
Er liess seinen eisigen Blick forschend durch die Runde schweifen,
musterte die fremden Gesichter, die wie gebannt auf die Leichen starrten.
Keiner antwortete, nur ein Mann schien unruhig in eine Richtung zu schauen.
"Was ist...", wollte der Hauptmann fragen, während er seinen
Augen folgte und einen schwarzen Schatten inmitten einer weiteren Lichtung
aus verrotteten Stämmen, Baumstümpfen und Schlingpflanzen ausmachte.
"Hey!", brach es laut aus ihm heraus. Der Schatten war über
einen Baumstumpf gebeugt, aus welchem ein dünnes, hell leuchtendes
Etwas ragte, das man aus dieser Entfernung kaum hätte erkennen können.
Das Wesen aus Schatten schrie kreischend auf, warf mit Klauen gespickte
Hände in die Luft und verschwand mit wehendem, schwarzem Mantel im
Nebel. |
.
Milchemia erwachte aus seinem Traum, wunderte sich über seine
Realheit, doch zugleich wusste er, dass es etwas mit dem seltsamen Schwert
zu tun haben musste. Komisch, dass er diesen Vorfall vergessen hatte. Sein
Bett war warm und weich und er wollte nicht die Augen öffnen, um zu
sehen wo er war, statt dessen drehte er sich auf die andere Seite und versuchte
weiterzuschlafen, denn er wusste jetzt, dass der Traum noch nicht zu ende
war und dass er vielleicht die ganze Zeit schon geträumt hatte, aber
trotzdem wollte er wissen, wie der Traum weiter ging und dabei vergaß
er den Vorfall mit den schwarzen Gestalten im Schloss völlig und lebte
nur im hier und jetzt...
Leider verriet ihm die restliche Träumerei nichts weiteres über
diesen Tag, an welchem sein Leben ein entscheidende Wendung genommen hatte
und so schickte er sich endlich an aufzustehen und erst einmal etwas zu
frühstücken.
Als er sich gerade mit einer schwungvollen Bewegung aus dem Bett
beförderte, bemerkte er, was mit ihm los war. Der silberne Brustpanzer
und seine sonstige Kampfmontur waren allesamt verschwunden, weg von seinem
Körper, nicht anwesend oder allgegenwärtig. Er setzte sich wieder,
um seine Gedanken zu ordnen, versuchte platz in seinem Gehirn zu schaffen
und wollte die aus seinem Gedächtnis gelöschten Minuten wieder
rufen, doch es gelang ihm, bis auf ein paar kleine Anhaltspunkte, nicht.
Die Anhaltspunkte stellten sich aus diesen Szenen, die noch in seinem Geist
verankert waren, zusammen und er kam nach reiflichen Überlegungen
dazu, dass er von einer höheren Macht entführt worden war. Er
sah sich stockend um und behielt sein Auge auf jeden Gegenstand, welchen
er nicht in und auswendig kannte. Eine kleine Holzschatulle auf seinem
Nachttisch erregte besonders seine müden, noch klebrigen Augen und
er beschloss es noch in den nächsten Minuten zu untersuchen.
Die Schachtel war schon etwas Besonderes, fein gearbeitet und an
den Seiten und am Deckel erkannte man prächtige, sehr genaue Schnitzereien,
die wahrscheinlich vor einigen hundert Jahren angefertigt worden waren.
Das Holz war dunkel und hatte einen warmen Glanz, welcher Milchemia wahrscheinlich
an etwas erinnern sollte, doch dieser verwarf diese Idee sogleich und machte
sich mit voller Aufmerksamkeit daran, das Kästchen zu öffnen.
Es könnte ein Schmuckkästchen sein, oder so etwas ähnliches,
doch hatten solche normalerweise ein Schloss, oder eine Stelle, an welcher
man sie öffnen konnte, diese Schatulle jedoch hatte gar nichts und
war somit sofort für den jetzt ehemaligen Führer einer ganzen
Armee wertlos. In seinem Leben als Soldat hatte er viel Geld eingenommen
und musste nur wenig bezahlen, da der König die Armee finanzierte.
Es war aber auch kein ungefährliches Leben gewesen, denn ständige
Kämpfe an der Front hatten ihn in Atem gehalten, jetzt jedoch fühlte
er sich spürbar ruhiger und wohler. Bis jetzt hatte er vermutet, dass
es eines dieser gemütlichen Bauernhäuser war, in welchen er oft
mit seinen Kameraden bei längeren Wanderungen übernachtet hatte,
aber die Einrichtung hier schien ihm persönlicher. Noch einmal versuchte
er sein Glück an der winzigen Kiste und diesmal entdeckte er etwas,
was er vorher nicht gesehen hatte, einen Einschnitt an der unteren Seite,
einen Riss, der sich über den Boden endlang zog, immer dünner
und feiner wurde und später an einem kleinen, kreisrunden Loch endete,
das nur zweimal so groß war, wie der Kopf einer Stecknadel. Ein erwartungsvolles
Grinsen huschte über das Gesicht des Hauptmanns und er stellte die
Schachtel widerwillig auf das Tischchen zurück, damit er sich erst
einmal anziehen und das Haus weiter erkunden konnte.
Im Schrank lagen die Kleider eines Bauern, gemacht aus dem Stoff
von Säcken, grau und schlicht. Dabei ein Gürtel, welcher nur
aus einem einfachen Strick bestand, den er nur ein paar mal um seinen Bauch
binden konnte und Stiefel aus weichem Tierfell, die mit einem einfachen
Lederriemen zusammengebunden waren. Draußen wurde die Sonne von einer
grauen Wolke verdunkelt und das Licht im Zimmer erlosch für eine kurze
Zeit, doch dann wurde es wieder heller, zwar nicht so hell wie vorher,
doch schon so hell, dass man keine Kerzen oder Öllampen anzünden
musste.
Er ging aus dem Zimmer und trat auf einen kleinen Flur mit antiken
Möbeln. Die Treppe runter und dann war da in einem weiteren Flur ein
hoher Kleiderständer mit einer Jacke aus Leder, die Schulterpolster
aus grauweißgeflecktem Tierfell hatten. Wahrscheinlich war es das
Fell eines Wolfshundes. Er nahm sie an sich, denn es war kalt im Haus,
da der Ofen nicht angezündet war.
"Zuerst einmal werde ich mich um etwas Wärme kümmern!",
sagte er und rieb sich die Hände, doch bevor er sich zu dem großen,
steinernen Kamin begab, warf er einen schnellen Blick durch eine offene
Tür, die sich soeben bewegt und energisch geknarrt hatte. Schatten
flatterten in dem Raum und etwas Unheimliches lief Milchemia den Rücken
herunter. Die Tür knarrte wieder und diesmal stand er genau davor
und noch bevor die Tür ganz aufgeschwungen war, ergriff der Hauptmann
den eisernen, sich frostig anfühlenden Knauf und das Quietschen verstarb
tonlos.
Die Schatten flatterten plötzlich wieder wild auf und ein eiskalter
Lufthauch schlug ihm ins Gesicht und durchfuhr die dünne Robe, ließ
seine Haut fast erfrieren. Mit einem Stoß trat er die Tür auf,
sodass sie gegen eine Kommode knallte und es einen Schlag tat.
Milchemia starrte fassungslos auf das offene Fenster, dessen Vorhänge
tanzende Schatten an die Wand schlugen und spürte wieder den Wind,
welcher von außen kam. Nachdem er einmal tief Luft geholt hatte,
um abzuschalten, schloss er das Fenster mit einem kräftigen Ruck und
zog die Vorhänge zu. Dabei machte sich das Gefühl von Hunger
in ihm breit und sein Magen begann wie auf Kommando zu knurren. Nun stand
er vor einem nicht allzu großen Problem, sollte er erst das Feuer
anzünden oder erst in der Speisekammer, vorausgesetzt er würde
diese finden, nach etwas Essbarem suchen. Er entschloss sich dafür,
die Speisekammer zu suchen, dann das Feuer anzuzünden und erst danach
den Schinken zu holen. In der Zeit, in welcher das Feuer brauchte um aufzulodern,
konnte er in die Kammer steigen, das Fleisch und den Leib Brot holen und
es dann über dem Feuer zu rösten. Vielleicht würde er auch
etwas Gemüse finden, doch war er sich nicht sicher, ob schon alles
in dieser Jahreszeit verdorben wäre oder überhaupt noch existierte.
Bei seiner Suche durch das Haus war ihm außer der Speisekammer,
die sich im Keller befand, auch noch einen dunkler Gang hinter einem Verschlag
aus morschen Brettern aufgefallen, der anscheinend als Verlies benutzt
wurde. Ein großes, pechschwarzes Gitter aus dicken, prächtig
verzierten Gitterstäben trennte eine Hälfte des großen
Raumes ab, in welcher es so dunkel war, dass Milchemia auch nach mehreren
Minuten keine Umrisse erkennen konnte. Der Eingang in den Keller war direkt
neben dem Kamin gewesen, eine kleine, aber dennoch breite Tür mit
Eisenverschlägen, die sich nur sehr schwer öffnen ließ,
da sie über den Boden schleifte. In der Kammer duftete es herrlich
nach geräucherten Schinken, Würsten, einem Regal mit Brot und
sogar eines mit Käse. Das alles hatte seine Erwartungen bei weitem
übertroffen und zeigten ihm jetzt, dass der Bauer wohl an Kleidung,
nicht aber an Schönheit und Prächtigkeit seines Hauses und besonders
nicht an gutem Essen und seiner Küche gespart hatte, die sich bei
genauerem Betrachen ebenfalls weiter in den hinteren Teil des, wie er jetzt
herausgefunden hatte, großen Herrenhauses hineinzog. Wie er meinte,
gehörte das Anwesen wahrscheinlich zu einem großen Gutshof und
er hätte selbst nach einem ganzen Tag wahrscheinlich noch nicht einmal
jeden Winkel ausgekundschaftet. Was aber später noch ungemein wichtig
war, war die Erkundung der Umgebung und der Landschaft, da er ja immer
noch nicht wusste, wo er sich befand.
Der lodernde, wärmende Feuerschein des Kamins erhellte noch
ein paar Meter des Kellers und auch noch etwas das Verließ, ließ
den abgetrennten Teil aber völlig im Dunkeln. In den Keller hinein
hatte eine Treppe mit schiefen Stufen geführt, von welcher man nach
links, in den Vorratsraum, und nach rechts, in das Verließ, blicken
konnte.
Gerade als der ehemalige Hauptmann, der immer noch nicht wusste,
wie und warum er hier war, den Kellerraum mit einem dicken Schinken unter
dem einen und einem Leib Brot unter dem anderen Arm über die Treppe
wieder verlassen wollte, vernahm er das leise Stöhnen und Nuscheln
eines Menschen, der höchstwahrscheinlich schon seit Tagen hier unten
saß und mit keinem geredet hatte. Konnten diese leisen Fetzen von
Stimmen etwa aus dem Gefängnis stammen? War der Kerker wirklich nicht
leer? Er hielt Inne und lauschte.
"Hilfe...", drang die Stimme wieder aus der unheimlichen Atmosphäre
des dunklen Raumes und diesmal war Milchemia sicher, dass er etwas gehört
hatte. Wie selbstverständlich ging er weiter, platzierte den Schinken
und das Brot auf dem Tisch im Wohnzimmer und verzog sich dann wider mit
einem brennenden Holzscheit als Fackel nach unten.
"Hallo?", rief er fragend in das Dunkel und schwenkte mit der Fackel,
sodass glimmende Glutteilchen auf den Boden rieselten und sofort wieder
erloschen.
"Wer da...?", meldete sich die unbekannte, zitternde Stimme wieder
und der Hauptmann streckte die Hand mit der Fackel durch das Gitter um
das Innere zu beleuchten. Ein alter Mann, abgemagert, mit langem Bart und
langen Haaren, dreckigen und zerschlissenen Kleidern lag da auf dem Rücken,
halb gegen die Mauer gelehnt und blickte ihn aus schwachen Augen an, schien
durch ihn hindurch zu sehen, doch schloss sie wieder und drehte den Kopf
so weit, bis eine etwa zehn Zentimeter große Narbe zum Vorschein
kam, aus welcher noch etwas Blut rieselte.
"Sind sie weg...? Die schwarzen Männer?", krächzte er
und verlor für einen Moment das Bewusstsein, doch dann sah er Milchemia
wieder mit diesem durchdringenden Blick an: "Wer bist du?"
Seine Stimme klang fast höllisch und böse, als wäre
er wie in Trance versetzt oder liege im Koma und irre Bilder würde
ihn im Kopf herumspuken. Er schüttelte wild den zerzausten Schädel
und grinste verwirrt wie ein besoffener:
"Die Männer, sie haben mich hier eingesperrt und gesagt, ich
solle den, der kommen wird, nicht stören. Ich soll dir nur sagen,
dass du sie in Ruhe lassen... in Frieden lassen sollst... Du bist zu willensstark
für sie und sie geben dir dies, damit du sie nicht mehr belästigst.
Das... Schwert haben sie mitgenommen..."
Der Schluck auf des fremden Mannes war nun nicht mehr zu überhören.
"Ich heiße Milchemia.", sagte Milchemia wahrheitsgemäß,
doch der alte brabbelte einfach unaufhörlich weiter:
"Zum Glück konnte ich mir noch eine paar Flaschen von dem Wein
hier herschmuggeln... Er ist gut..."
Als er jetzt noch eine halbgelehrte, große Flasche Rotwein
in die Höhe hielt und sie bis auf den letzten Schluck austrank, war
für den Hauptmann unverkennbar, dass der ehemalige Hausbesitzer völlig
betrunken war. Milchemia beschloss fürs erste einmal, den Vorschlag
der dunklen Männer anzunehmen und hier in Frieden für ein paar
Tage zu wohnen, dann in einer Woche nach Valance zu reisen, um dort seine
Cousine Jefframia zu besuchen.
Er mochte es, wenn kein Krieg herrschte und er würde sich auch
nicht mehr einmischen und das Schwert hatte ihn im Grunde auch nicht so
interessiert. Jetzt konnte er seinen Traum vom gemütlichen Bauerndasein
leben, ihn verwirklichen und ab und zu nach Valance gehen und seine Verwandten
besuchen. Vorläufig würde er den Bauern in seinem Gefängnis
lassen und ihm nur ab und zu wie einem Hund ein Stück Brot zuwerfen,
denn er verhasste alles was mit Sucht zu tun hatte und somit auch Säufer.
Fortjagen würde der Knacker sich sicherlich nicht lassen, alles war
es das beste was er machen konnte. Vielleicht würde er ihm sogar eines
Tages nützlich sein, doch es zu diesem Zustand kommen zu lassen, wollte
der Hauptmann nicht.
Schon am nächsten Tag brach er auf, um sich seinen neuen Besitz
im Licht der Sonne anzublicken. Der Geruch des Ackers zog ihn hinaus und
so stellte er fest, dass er nicht nur Felder besaß, sondern auch
Tiere wie Kühe, Schweine und Hühner. In kleineren Hütten
auf dem Hof schliefen Diener und Mägde, die ihn sofort und ohne Schwierigkeiten
als neuen Herrn betrachteten und für ihn arbeiteten. Auch fand er
heraus, dass der Gutshof in Illis stand, einem großen Landstreifen,
welcher etwa vier Tagesmärsche von Waromir entfernt war. Endlich konnte
er ausspannen und in Ruhe leben, bis der Tag kam, an welchem er zu seiner
Cousine aufbrechen wollte...
"Milliana, du wirst mich bis nach Valance begleiten!", sagte er mit
fester Stimme, als er gerade sein Pferd sattelte, das mitten auf seinem
Hof stand, dort schon gelangweilt mit den Hufen im Boden scharrte und ab
und zu schnaubte. Milchemia hatte die kleine Magd ins Herz geschlossen
und hatte sogar schon gedacht, einmal mit ihr Auszureiten, doch nie wurde
etwas daraus, doch heute hatte er die Gelegenheit dazu. Auch Milliana sah
ihren Herrn in einem anderen Licht als früher, er war ihr sympathischer
und zugewandter. Man konnte also zugeben, dass sie sich mochten und man
konnte fast an unbewusste Liebe zwischen den Beiden denken.
"Natürlich.", antwortete sie mit ihrer lieblichen, weichen
Stimme, "Ich werde nur noch schnell den Rucksack packen. Für eine
solche Reise braucht man viele Sachen, schließlich ist ein Siebentageritt
kein Katzensprung!"
Sie lächelte, während sie den Hofknicks tat, dann verschwand
sie in eine der ihr zugedachten Hütten. Ihr langes Haar war rostrot
und sie trug es zu einem langen Zopf geflochten, der mit allerlei goldenen
Kettchen durchlaufen war und dies ließ es noch mehr glänzen.
Ihr Gesicht war weich und leicht von der Sonne gebräunt. Inzwischen
hatte Milchemia auch ordentliche Kleider gekauft, den vorherigen Besitzer
als Diener engagiert und ihr ein meergrünes, seidenes Kleid mit Goldrand
geschenkt. Ihre strahlend blauen Augen passten hervorragend dazu und der
Gutsherr hatte sich auch auf ihren Wunsch hin die Haare kurz geschnitten,
ab und zu auf dem Feld mit angepackt und so war auch sein Körper muskulöser
und brauner geworden. Heute trug er einen ledernen Panzer, unter welchem
er eine blaue Robe anhatte. Irgendwo zwischen in seinem Zimmer hatte er
sein altes Sarazenenschwert aufgetrieben und trug es nun stolz am Gürtel.
Es war eine Auszeichnung von seinem König gewesen, als er seine zehnte
Schlacht überlebt hatte, aber nicht als Flüchtender, sondern
als einzigen Überlebenden auf der gegnerischen und eigenen Seite.
Schon kam Milliana wieder aus dem Häuschen gerannt, den weißen
Mantel fest um die Schultern gewickelt und einem hinreißenden Lächeln
auf den Lippen. Der Rucksack hing eigentlich nur als kleiner Beutel an
einer Schnur um ihren Körper. Ein anderer Diener führte ein zweites,
helleres Pferd heran, welches schon voll mit Schlafsäcken und anderen
Sachen bepackt war. Eher formal als wirklich half er ihr hinauf, Milchemia
verabschiedete sich mit einem kurzen Winken, wobei er dem noch sehr jungen
Diener zurief:
"Gib Acht auf die Schweine, Sam, und spiele nicht schon wieder Pirat!"
Sam nickte fröhlich, denn er hatte seinem Herrn oft von seinen
Träumen erzählt, die er manchmal hatte, wenn er mit dem selbstgebastelten
Floß auf dem Biran herumfuhr.
© Benedikt
Julian Behnke
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