Das dritte Schwert von Benedikt Julian Behnke
Der Herr der Winde 3 - Die Wanderung

"Senragor? Wo steckst du schon wieder?", hallte Gerwins Stimme durch die Dunkelheit des nächtlichen Waldes. Doch er bekam keine Antwort, nur das Rauschen des Birans schwebte unaufhörlich durch die Nacht.
"Junge?", versuchte es der Druide noch einmal und diesmal tauchte ein Schemen aus dem bläulich schillernden Gebüsch auf.
"Da bist du ja, ich hab dir doch gesagt, dass du nicht weglaufen sollst!"
Gerade durchquerten sie den Pass des blauen Gebirges, genannt 'Blaupass', und ständig musste der Junge Spielchen treiben und den armen, alten Zauberer ärgern.
"Es ist gefährlich! Seitdem Muragechts Schergen hier unterwegs sind, ist hier keiner mehr sicher! Alles wimmelt nur so von Orks und Dämonen. Pass auf, wo du hinläufst, bei mir bist du sicher!"
Kaum hatte er das gesagt, war der Junge schon wieder weg und Gerwin schüttelte seufzend den gesenkten Kopf und murmelte:
"Die Jugend von heute wird es nie lernen! Ich glaube, ich kann mir sogar erlauben, hier etwas Licht zu machen."
Mit einem Schnippen seines Fingers glühte der knorrige Teil seines Stabes hell auf und ein noch blaueres Licht, als es hier sowieso schon gab, breitete sich aus und erhellte sogar die letzte Ecke des Passes. Gerade als sich der Schatten eines Baumes mit großen, breiten Blättern verflüchtigte, tauchte aus diesem Senragor Allagan auf und grinste seinen Halbonkel unheimlich an. Der Junge hatte schwarzes, wirres, schulterlanges Haar, eine bleiche Haut und dunkle, aber durchdringende Augen. Er war gerade erst neun, aber trotzdem schon erstaunlich groß und weit entwickelt für sein Alter.
"Komm schon, dein Vater hat gesagt, ich soll dich zur Waldenburg bringen. Und genau das werde ich jetzt tun! Durch deine Trödelei haben wir schon fast eine Woche verbraucht, vor allem, weil wir nur Nachts reisen! Es ist einfach sicherer, denn wenn wir schlafen ist es Tag und am Tag kommen keine Dämonen...", er schluckte kurz und fügte dann etwas leiser hinzu, "...bis auf einige jedenfalls! Merk dir das!", sagte er dann wieder laut und ging mit schnellen Schritten weiter an dem Fluss entlang, der sich wie ein silberner Faden durch das ganze Land zog und niemals zu enden schien. 

Sendinior erhaschte noch einmal den Blick von dem Wachturm, dann machte er sich ebenfalls auf den Weg, um rechtzeitig Milchemia zu finden und mit ihm auch eine ganze Armee unter Kontrolle zu haben, doch zuvor wollte er den Job Gerwins übernehmen und in die Südlanden gehen und dort nach dem Halbelfen Rune Eszentir zu suchen, der sich in diesen Gefilden aufhalten sollte. Also machte er sich schnell nach dahin auf, immer den Biran flussaufwärts entlang, bis er zu einer Gabelung kam, bei welcher er dem rechten Flusslauf weiter folgte und das Land immer flacher und sandiger wurde. Rechts und links von ihm sprossen hohe Bäume empor, deren Blätter und Blüten noch in Knospen steckten und sich vor dem Licht der Himmelskörper verbargen. Die Lüfte wurden lauter und das Wasser kräuselte sich vor leichten Wellen, auf denen sich das langsam verbleichende Licht des Mondes spiegelte, wenn diese sich brachen.
"Man könnte gar nicht denken, dass das Land bald kahl und Dämonen übersäht wäre, die vielleicht bald kommen würden. Ich hoffe ich sterbe nicht, bevor ich mich gegen den dunklen Herrscher aufgelehnt habe... Und wenn doch, wird mein Sohn, Senragor, das Land mit seiner Magie schützen..."
"Altes Gebrabbel!", fiel ihm eine mürrische, junge Stimme ins Wort und Allagan sah auf.
"Was wollt ihr, Fremder?"
Der Kerl war nicht allzu groß, hatte dunkelbraunes Haar, welches ihm hinten zu drei Zöpfen zusammengebunden war. Seine Haut war braun gebrannt und von Sonne und Wind gegerbt. Seine Augen waren blau mit einem leicht grünlichen Schimmer. Die dicke Robe, die er trug, war rot und vorne mit goldenen Knöpfen bestickt. Seine Stiefel waren aus dünnem Leder und boten ihm Halt auf dem Teil des umgefallenen Baumes, dem die Wurzel am nahesten war. Jetzt stemmte er die Hände in die Hüften, lachte erst schallend, doch wurde dann ernst und sein Ton leicht reizbar.
"Was ich will? Geld, Gold, Schmuck oder nur eure Kleider, alter Man!"
"Warum? Was willst du damit anfangen?"
Sendinior stützte sich herausfordernd auf den knolligen Teil seines Stabes.
"Wir sind Fahrende, Herr! Dieses Waldstück gehört uns und ich will Zoll!"
Nach einem amüsierten Lachen des Zauberers fühlte sich der junge Mann irgendwie im Nachteil:
"Was ist daran so  witzig? Oder wollt ihr es lieber mit meinem Messer aufnehmen?"
Er zückte eine schnelle Klinge, die er dem Zauberer entgegen und unters Kinn halten wollte, doch dieser schlug mit seinem Stab gegen die Beine des Fahrenden und er rutschte auf dem glitschigen Stamm aus. Mit einem Aufschrei der Wut und Verzweiflung, warf er die Arme in die Luft und krachte dann in den nassen, grauen Sand, über welchen manchmal das Wasser schlug.
"Man sollte sich nicht darauf stellen!", sagte Sendinior und klopfte gegen die mit Wasser vollgesogene Oberfläche der umgefallenen Linde. 
"Wie ist euer Name, alter Mann?"
Der Druide machte eine kleine Verbeugung , wobei sein langes Haar ihm ins Gesicht fiel und sagte feierlich als der den großen Schlapphut lupfte:
"Sendinior Allagan, letzter der oberen Druiden und der alten Welt, stets zu diensten."
"Das bezweifle ich! Nun, ihr könnt jetzt auf jeden Fall weitergehen,", sagte er während er sich in die Höhe stemmte, seine Kleider abklopfte und den Dolch wieder in seinen breiten Ledergürtel mit der Goldverzierung schob, "es sei denn, jemand wird von dem Vorfall hier erfahren!"
"Ganz gewiss nicht!"
Dann gingen sie getrennte Wege und der ganz in Rot gekleidete Typ rief ihm noch hinterher:
"Gebt acht! Hier in den Wäldern treiben sich mehr Gestalten herum als nur Fahrende und Wanderer!" 

Die Sonne ging auf, tastete mit ihren Strahlen in der Gegend und stieg dann ganz nach oben, bis sie schließlich den höchsten Punkt erreicht hatte und wieder absank. Es wurde wieder Nacht und zu dem Zeitpunkt erreichte Sendinior Allagan 'Schattendüster', Gerwin Cyprian den See 'Ran' und Milchemia und Milliana den Eingang des 'Angorapass', dessen felsige Zacken sich bis weit in den Himmel schlugen.

"Sieh doch!", sagte Milchemia zu Milliana, deutete mit weit ausgestrecktem Finger seiner Hand in den klaren Nachthimmel und ließ sein Pferd anhalten. "Da oben, dieses Sternenbild." 
Wie durch Magie blitzten gerade die Sterne hell auf und die Magd gebot ihrem Pferd ebenfalls neben dem von Milchemia anzuhalten, dabei schnaubte dies wieder und trottete noch einige Zentimeter weiter, bis es endlich wirklich stehen blieb. Milliana stieg schwungvoll ab und ließ ihren Rucksack, den Blick nach oben zu den Sternen haltend, schwerfällig zu Boden gleiten.
"Wunderschön...", flüsterte sie und meinte dann, "wollen wir hier nicht unser Nachtlager aufschlagen?"
"Wie es beliebt.", murmelte Milchemia und war, wenn auch nur ungern, einverstanden. Eigentlich hatte er gehofft den Pass diese Nacht noch durchreiten zu können, aber wahrscheinlich hatte er einen Denkfehler, was Frauen anbelangt, begangen, als er ihr die Sterne zeigte.
Wenige Minuten später waren die Schlafsäcke ausgerollt und jeder von ihnen nahm noch ein Speckbrot zu sich und trank aus dem nahen Fluss. 
"Hier draußen in der Wildnis ist es so still!", bemerkte Milchemia, nachdem er etwas Reisig für Feuerholz zusammengetragen hatte und es vor Milliana auf den spärlich mit Gras bewachsenen Boden fallen ließ. "Auf dem Hof war eigentlich immer irgendein Laut, wie zum Beispiel der Hahn, die Kühe, oder das Wasserrad."
Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte und dabei das Feuer anzündete, gab er nachdenklich zu:
"In Zeiten des Krieges haben meine Kameraden so etwas immer für zu ruhig gehalten..." 
Die Worte schnitten der Dunkelheit wie ein geschärftes Messer ins Fleisch und sofort drangen drei dunkelhäutige Dämonen aus dem Gebüsch hinter ihnen.
"Was zum...", brachte Milchemia noch heraus, bevor ihn ein Tritt ins Gesicht traf und er benommen in das kleine Lagerfeuer kullerte, welches sofort zerstob und die Funken in seine Haut ätzten.
"Ah... Milliana, lauf...", stieß er hervor, während er verbissen versuchte mit dem Schmerz fertig zu werden und sich auf dem Boden hin und herdrehte, um die Flammen auf seiner Robe zu ersticken, denn zum Glück hatte der Lederpanzer seinen Oberkörper geschützt. Doch dieses Glück währte nicht lange, da einer der schwarzbraunen Ungeheuer Milliana einen harten Schlag ins Gesicht gab, sodass sie spuckend und bewusstlos zu Boden ging und von einem anderen Dämon auf die Schultern genommen wurde. 
"Nein!"
Der Ausruf verlieh Milchemia unmenschliche Kräfte, die ihm erlaubten, aus der Rückenlage aufzuspringen, dabei sein Schwert aus der Scheide zu reißen und dem ersten Gegner den Bauch aufschlitzte. Blut spritzte an seine Robe, doch das interessierte ihn nicht, er kämpfte sich einfach weiter zu dem nächsten Gegner durch und stieß diesem das Schwert senkrecht in die Brust, sodass dieser vor seinen Augen zusammenklappte. Der zuerst von dem ehemaligen Hauptmann verletzte, blutrünstige Dämon richtete sich wieder ächzend auf und hieb mit voller Wucht sein Zackenschwert in Milchemias Rücken, der sich aber unerwartet schnell herumdrehte und dem Feind den Kopf abtrennte, bevor dieser überhaupt noch etwas tun konnte. 
Milchemia keuchte, sein Atem ging rasselnd, seine Muskeln schmerzten, aus der tiefen Wund im Rücken klaffte Blut und Milliana war von dem letzten dunkelhäutigen Dämon entführt worden. 
"Milliana..." hauchte er noch und mit letzter Kraft schwang er sich auf den Rücken des einen Pferdes und galoppierte los, obgleich er nicht wusste wohin Milliana verschwunden war und er sich fast nicht mehr im Sattel halten konnte. Schließlich brach er zusammen, wurde bewusstlos und fiel vom Pferd in den reißenden Strom des Birans und wurde in dem tobenden und wild schäumenden Gebräu fortgespült.
Die Wellen um ihn herum schlugen hoch, erwischten ihn und jedes mal brannte ein heißer Schmerz auf seinem Körper auf. Das Wasser spritzte ihm hart ins Gesicht, zog ihn unter Wasser, wo er wie blind war und gegen Felsen prallt, deren scharfe Kanten große Wunden in sein Fleisch schnitten. Er spürte dies alles nur wie beiläufig und er war nicht mehr fähig seinen Körper gegen den Strom zu beugen und es wäre auch sinnlos gewesen, da es ihn eh wieder hinunter gezogen hätte, wo er auf den harten Boden der Klamm schürfte und plötzlich wieder nach oben gerissen wurde. Seine Sinne waren völlig vernebelt und nur seine Gedanken rasten, während sein Herz schnell schlug, aber oftmals aussetzte und es ihm Höllenqualen eintrieb es wieder zum laufen zu bekommen.
Als er den Mund öffnete, da er seine Kiefer nicht mehr kontrollieren konnte und sie deshalb heruntergesogen wurden, stieg auch noch die letzte Luft aus seinen Lugen empor und wurde an die Oberfläche getrieben. Wie in einem erschreckend entlosen Traum verlor er das Bewusstsein und die tiefe Schwärze der Leblosigkeit hüllte ihn ein, legte sich wie eine wärmende Decke um ihn... 

"Meinst du, wir müssen noch lange laufen?", fragte Senragor seinen Stiefonkel, der sich in dem Moment zu ihm herumdrehte und ihm einen prüfenden Blick zuwarf.
"Du wirst es noch aushalten müssen! Sobald wir den See umrundet haben und in den 'Angorapass' einbiegen, dauert es schon noch vier Tage."
"Vier Tage?", stieß der Junge ungläubig auf und schüttelte sich, wobei seinen fließenden, schwarzen Gewänder hin und her schlabberten.
"Ja,", bestätigte der Alte, "du weißt hoffentlich, wem du es zu verdanken hast, dass wir länger als eine Woche gebraucht hatten, um überhaupt bis zum 'Blaupass' zu gelangen! Bis zur 'Waldenburg' ist es noch ein weiter Weg und bis dahin, werde ich auf dich aufpassen. Hätten wir Pferde, dann könnten wir den Weg doppelt so schnell schaffen, doch der Sumpf vor dem 'Angorapass' würde uns trotzdem aufhalten."
Das Wasser im See schien auf der Ostseite noch recht klar, doch auf der Westseite zog sich ein Schleier aus Dreck durch die Fluten und Gerwin deutete darauf:
"Siehst du das?", fragte er laut und versuchte dabei den brausenden Wind zu übertönen, der heute über dem See wehte. "Das Wasser fließt mit kleinen Strömen durch den Sumpf und der Dreck wird dadurch mit hineingespült. Die größeren Brocken setzen sich am Boden ab, doch ein kleiner Rest des dunklen Films bleibt im Wasser vorhanden und fließt hier in den See! Der 'Angorapass' ist eigentlich nur eine Klamm, die vom tosenden Biran in das Bergmassiv geschlagen wurde. Irgendwann gab der Fels nach, bröckelte und der Stausee, welcher sich vor dem Pass jahrelang gesammelt hatte, riss weitere Brocken von Erde und Steinen in das Tal. Der Sumpf entstand durch die Verwitterung der Steine, über welchen schließlich versuchten Pflanzen zu wachsen, doch in dem Bergmassiv hatten sich Salzvorkommen befunden, die somit auch das zugeschüttete Tal unfruchtbar für die meisten Pflanzen machte. Heute wächst da nur noch Schilf und Sumpfgras. Es gibt Legenden um Wesen, die sich dort im Schlamm wälzen sollen, die einmal mit dem Stausee angespült worden waren. So abwegig wie die Legenden scheinen, sind sie gar nicht, da der Stausee ganz Düsterburg überschwemmt hatte und dies über Tausende von Jahren lang! Bestimmt hat sich da die eine oder andere neue Lebensform entwickelt, die sich nun im Sumpf verbirgt."
Wie durch einen Impuls hatte sich Senragor in diesem Moment hektisch umgesehen und versuchte etwas in der durchdringenden Dunkelheit zu erkennen. Es war schon fast Mitternacht und auch Cyprian war es unwohl, da er ja selbst gesehen hatte, dass sich etwas wie eine Schattenfront über dieses Land wälzte, doch machte ihm nicht das Monster sorgen, sondern die Diener Muragechts, die hier überall lauerten und das Land durchstreiften.
"Hör zu, Kleiner,", versuchte er es und gebot dem Jungen halt, "wenn mir in den nächsten Tagen irgendwas geschehen sollte, gehst du von dir aus weiter zur 'Waldenburg'! Du folgst dem Flusslauf..."
Der Junge unterbrach ihn:
"Was ist los, Onkel?"
"Nichts!", tat es dieser mit einer genervten Geste seiner Hand ab und fuhr fort. "Wenn ich nicht mehr da sein sollte, folgst du dem Biran flussaufwärts bis du in eine Stadt namens 'Illis' kommst. Von der aus fragst du jemanden nach 'Arabathill'. Die Stadt liegt in nördlicher Richtung, also in dem Staat 'Agonzul'. Am Ende dieses Staates, fließt der Borin, ein Fluss, der 'Abaron' und 'Agonzul' von einander trennt! Am Ende dieses Flussverlaufes liegt die 'Waldenburg'!"
"Das kann ich mir nicht merken, Onkel!"
Der Druide schien entsetzt und schnaufte vor Anstrengung, nachdem er seinen ganzen Text heruntergeleiert hatte und war jetzt ziemlich gereizt, da ihm das Kind nur mit halbem Ohr gelauscht hatte. 
"Hier, nimm einfach die Karte!", schloss er dann und reichte Senragor das Pergament.
"He, da kommt etwas geschwommen!", rief der Junge plötzlich und rannte los auf das Flussufer zu. Da trieb tatsächlich etwas im Wasser, etwas großes...
"Ein Mann!", schrie der Junge und zog seinen alten Onkel näher heran. "Sieh doch, er ist verletzt!"
"Na, da bin ich aber gespannt!", feigste der Druide und zog den treibenden Körper mit seinem Stab an Land.
"Er lebt noch!", murmelte der Zauberer, nachdem er dessen Puls gefühlt hatte. "Reibe du ihn mit dieser Salbe hier ein, während ich Lorbeerscheite zum Vertreiben den Dämonen anzünde! Lange können wir hier nicht bleiben!"
Gerwin reichte seinem Neffen einen Mörser und eine Hand voll Zutaten. Schon früh hatte der Junge gelernt damit umzugehen und seine Kunst in den fünf Jahren perfektioniert. Auch konnte er bereits schon ein paar Zauber, deren Anwendung ihm man aber strengstens verboten hatte, da sie mächtig und nur für den Notfall gedacht waren.

Als Gerwin zurückgekommen war, den Arm voller Holz, erkannte er den jungen Mann wieder, denn Senragor hatte ihm das Blut und den Dreck aus dem Gesicht gewaschen. Gerade blinzelte der Kerl leicht. Seine Glieder fühlten sich kalt und steif an. 
"Milchemia?" , fragte der Druide ungläubig und ließ das Holz mit einem leichten Krachen auf den Boden fallen, "Ist er es wirklich? Den wollte doch Sendinior in Waromir treffen, wenn ich mich richtig erinnere!"
Schon nach kurzer Zeit war das Feuer entzündet und die Kälte begann langsam aus dem Körper des Bewusstlosen zu gleiten. Der flackernde Schein des Feuers, warf lange Schatten auf das grasige Ufer.
"Weißt du, Senragor,", begann der Druide plötzlich und zündete sich eine lange Pfeife an, in welche er nun, solange sie noch warten mussten, rauchen wollte," der man hier, dieser Milchemia ist ein Kriegsheld!" Er paffte eine rauchige Wolke in die Luft und der kleine Junge spürte, dass der Zauberer ihm eine längerer Geschichte erzählen wollte, also setzte er sich im Schneidersitz vor ihm ins Gras. "Er hat Hunderte Schlachten geschlagen und ist aus ihnen immer wieder lebend zurückgekehrt. Seine Gegner waren stark und immer viele, doch er ermutigte seine Männer zu neuen Taten, zerteilte die kreischende Menge von Dämonen mit seinem Schwert, zerschlug die Horden und trieb sie weit auseinander. Alle flüchteten vor ihm, ihm, dem Metzger, wie man ihn in seiner Jungend nannte, stark und blutrünstig. Das war er noch bis vor kurzen, sonst wäre er jetzt nicht hier. Ich frage mich, warum wir ihn überhaupt hier finden, verletzt und unterkühlt und...", er stockte, "...in den Kleidern eines Bauern. Das finde ich nicht gerecht... Und dann die Narbe, hier mitten in seinem Gesicht,", er fuhr sie mit dem Zeigefinger nach, "sie zieht sich von der Stirn, über das Nasenbein bis in die linke Wange hinein. Wer hat ihn nur so verunstaltet? Hatte er sein Training versäumt, oder war er überrascht worden, auch sein Schwert fehlt ihm... Das finde ich nicht fair, er sollte etwas besseres kriegen, als den Tod in einem verkrüppelten Körper! Ich habe zu ihm aufgesehen, wie zu einem großen Bruder. Ich meine, ich war sein Fan! Unbedingt wollte ich seine treibende Stimme hören und den Klang der Kriegstrommel im Hintergrund...

Zwischen Waromir und dem Wasserschloss 1378 (Die Schlacht um die Staatsherrschaft bei Elpharag)

Bumm, Bumm, Bumm, wurden die Trommeln immer schneller, treibender, rasender und in dieser Minute stürmten etliche von Kriegern in das Tal hinein, auf die Ebene. Ganz vorne unter ihnen auf seinem prächtigen Schimmel, Milchemia.
"Metzelt sie nieder, Jungs, wir werden siegen! Lang lebe Waromir! Ha, ha!", schrie der Hauptmann, das Gesicht hassverzerrt und das Sarazenenschwert über dem Kopf gehoben. Wie eine Welle aus Lanzen, Helmen, Schwertern und Rüstungen, schwemmten die Ritterfronten gegeneinander. Der Kampf um den Staat Elpharag tobte. Mit dem Aufeinanderkrachen der Kämpfer begann das Gemetzel.
Die vorderste Reihen unter dem Kommando von Milchemia, rissen ihre Lanzen empor und schlugen die Angreifer nach hinten.
"Bogenschützen!", kreischte der Hauptmann, welcher gerade einen Feind köpfte und ein ohrenbetäubendes Surren erfüllte die Luft. Ein Hagel aus gefiederten Pfeilen prasselte auf die Ritter des Wasserschlosses nieder. Eine menge Leute starben, doch die Mehrheit brach die Pfeile einfach ab und kämpften erbost weiter. 
Milchemia zerteilte seinen Gegner mit einem bloßen Schlag, dann klirrte sein Schwert gegen ein anderes, als sich ein besonders vorlauter General in den Weg stellte.
"Was willst du schon erreichen?", lächelte Milchemia, schlug seinem Gegenüber die Waffe aus der Hand und trat zu. Sein mit Stahl beschlagener Schuh bohrte sich in den Magen des Generals und dieser brach zusammen. 
"Kavallerie!", ertönte die Stimme des Hauptmannes wieder und die Reiter stürmten das Feld. "Kreist sie ein!"
Die Kavallerie  teilte sich und umschloss den ganzen Kampfbereich, während sie die Schlinge immer enger zogen, doch dann...
Milchemia wurde von einem Schlag mit einer Keule im Genick getroffen und fiel von Pferd auf den zertrampelten, aschgrauen Boden. Der Aufprall war hart doch rollte sich der Hauptmann leicht ab. Als er sich aufrappelte und der brennende Schmerz seinen Hals durchzuckte, bekam er einen kräftigen Tritt ins Gesicht. Noch während er zurückfiel, wirbelte er sein Schwert schützend vor sich, sodass der Angriff abgeblockt wurde. Funken sprühten, als die Klingen aufeinander trafen. Milchemia hatte sich die Nase gebrochen und das Blut rann ihm über den Mund, die Wangen und das mit Bartstoppeln versehrte Kinn. Wütend schlug er seinem Gegenüber hart ins Gesicht. Dieser taumelte etwas zurück, doch kippte nicht um. Listig ergriff der Hauptmann einen Stein, welcher zwischen der Asche auf dem Boden lag und in dem Moment brach ein weitere Hagel von Pfeilen auf sie nieder. Sein Gegner bekam einen Pfeil in die Schulter und er zog schnell ein Schild vom Boden über seinen Kopf. Als der Kerl durch seine Verwundung abgelenkt war, schleuderte Milchemia den Stein, welcher mit voller Wucht am Knie des Mannes abprallte. Der Knochen war wahrscheinlich zertrümmert, ein kleiner Riss zog sich durch die Haut und der Lebenssaft trat hervor. Nun griff der Hauptmann an, holte mit seinem Sarazenenschwert quer nach hinten aus und ließ es vor sich wie einen Halbmond schnellen. Der Lederpanzer und die Brustmuskulatur des Feindes wurden zerrissen und Blut spritzte hervor, dann trat Milchemia dem Kerl mit einem kleinen Sprung vor die Brust. Dieser ächzte und keuchte, seine Hand versuchte den Blutstrom zu stoppen und langsam aber sicher verlor er an Kraft, sank auf die Knie und erwartete des Hauptmanns Gnadenstoß, um ehrenvoll zu sterben. 
Milchemia grinste, stemmte die Hände in die Hüften, drehte sich um und verließ lauthals lachend das Schlachtfeld. Der Kämpfer verendete auf dem Boden. Sein Blutverlust war einfach zu hoch gewesen. Noch einmal flackerten seine Augen mitleiderregend auf, doch dann kippte der schwerfällige Körper nach vorne über und blieb in dem schlammigen, blutdurchtränkten Dreck liegen...

...Ja, so  war das!", endete der Druide und faltete die Hände nachdenklich zusammen. "Sein Charakter hat sich seit der letzten Schlacht völlig gewandelt, aus dem Metzger wurde ein einsichtiger", er spie das Wort förmlich aus, "Bauer!"
"Ist das denn etwas schlechtes? Bauer?", fragte Senragor völlig in den Bann von Gerwins Geschichte gezogen, "Du redest immer mit größter Abscheu davon."
"Nun, ich würde sagen... Bauern stehen an vorletzter Stelle in der Gesellschaft!"
Bedächtig hob der kleine Junge den Finger und schon wieder konnte man erkennen, was Sendinior mit seiner Reife gemeint hatte:
"Aber nach seinem Brustpanzer zu urteilen, ist er ein reicher Bauer und Herr über einen Gutshof!"
Wirklich zeigten die vergoldeten Linien, welche sich über den ledernen Panzer wanden, den Senragor bei Seite gelegt hatte, damit er die Wunden des Hauptmannes versorgen konnte, eine große Anzahl von Sternen und anderen Himmelskörpern.
"Und außerdem,", führte Allagan seine Rede fort, "bekommen wir endgültig von den Bauern die Nahrung."
Der Zauberer lächelte etwas.
"Ja, schon, doch stehen die Bauern weit unter uns! Mehrer Druiden bilden nämlich einen Druidenrat und dieser steht über den Königen und Kaisern dieser Welt."
"Aber trotzdem ist unser Leben weniger Wert, als das eines Königs, da wir den Schwur geleistet, dass wir für einen einzelnen Menschen sterben würden."
"Nicht für einen einzelnen! Nur wenn es den drei Ländern nützen würde!"
Während die beiden so stritten, begann Milchemia langsam aus seiner Traumwelt herauszuschweben, vernahm Stimmen wie von fern, die immer lauter wurden und dann plötzlich ganz nahe waren. Er versuchte das Dunkel zu durchdringen, indem er endlich die Augen öffnete und aus sich auftuenden, wischenden Farben wurde langsam ein geordnetes Bild.
"Wo...", stöhnte er, Gerwin hörte auf und sein Blick war trotzig und eingeschnappt, aber herablassend dem Bauern gegenüber, doch irgendwie verzauberte ihn noch die Blutrünstigkeit des Metzgers, welcher Milchemia einmal war.
"In 'Barokin', dem Land der Gnome!", antwortet Senragor, wobei er den Kopf aufmerksam und interessiert herüberdrehte.
"Wo... genau...?", fragte der eben noch Bewusstlose und versuchte seinen Oberkörper in die Höhe zu stemmen, um die beiden seltsamen Gestalten vor ihm genauer ansehen zu können.
"Bis vor kurzem schwammst du noch im 'Ran'."
"'Ran'? Was ist das? Oder... ich will es gar nicht wissen... Sagt mir nur, wer ihr seid und ob ihr... einen Dämon auf der Flucht getroffen habt... Er sollte so etwas wie ein Bündel auf der Schulter getragen habe, ...kann aber auch wie ein Teppich ausgesehen haben, aber... es ist ein Mädchen..."
"Langsam, langsam, Soldat!", sagte Cyprian und betonte das letzte Wort ziemlich deutlich, "Ihr werdet nämlich als so einer gebraucht!", dann setzte er noch mit etwas Nachdruck hinzu, "nicht als Bauer!"
"Nein, nein... Habe keine Zeit... Muss finden... Milliana...!" 
Bei dem Versuch sich aufzurichten, brach er wieder völlig zusammen und krümmte sich schmerzverzerrt am Boden. 
"Wen müsst ihr finden?"
Gerwin Cyprian, der Druide, beugte sich weiter vor, um ihn besser verstehen zu können, seine Stimme war äußerst eindringlich.
"Milliana...", stotterte der verletzte und raufte sich entnervt und fast kraftlos die Haare, "sie muss hier sein... Der Dämon hat sie mitgenommen...!"
"Und du hast sie verfolgt?", hakte der Zauberer nach und versuchte so mehr über diese Milliana herauszufinden, damit er dem Kerl vor ihm einen Gefallen tun konnte, nämlich Milliana wiederzufinden. Auch spielte er mit dem Gedanken, sich so in dessen Gunst einschleichen zu können, dass er mehr als freiwillig dazu bereit war, das Heer gegen die Dämonen aus dem Osten anzuführen, die vom Hadesfelsen aus kamen und Stück für Stück das Land eroberten. Natürlich erst dann, wenn er Milliana wiedergefunden hatte. Sie würde ihm als Ansporn für sein Tun bereitstehen.
"Erzähl mir alles genau!", flüsterte der Magier eindringlich und rückte noch ein Stück näher zu dem Hauptmann.
"Oh, ich vergaß, mein Name ist Gerwin Cyprian, einer des Druidenrates, und das ist Senragor Allagan, der Sohn des Druiden mit Namen Sendinior Allagan!"
"Ich heiße Milchemia Telchman!", sagte der Hauptmann und streckte dem Zauberer die flache Hand zum Gruß hin, dieser drückte sie jedoch nicht und auch Senragor machte keinen Anstalten es zu tun, also nahm der Soldat sie wieder runter. 
"Telchman heißt du also, Herr Hauptmann", dachte Cyprian geheimnisvoll und hinterlistig, "oder soll ich besser sagen Bauer? Auf jeden Fall will ich sehen, wie weit ich dieses Spiel mit dir treiben kann!"
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 4. Kapitel: Gefangenschaft

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