Das dritte Schwert von Benedikt Julian Behnke
Die Sechs 2 - Der Bruder

"Ja, was ist mit dir?" hakte Savamir, auch einer von Warior’s Brüdern, forschend und doch zugleich belustigt nach.
"Ist es vielleicht wegen Warior?" schaltete sich Kalikor fragend und auch brennend interessiert ein. "Als er noch nicht hier aufgekreuzt war, warst du viel ruhiger!"
"Es ist nicht wegen ihm, sondern wegen dem da..." schlotterte Badenius mit einem Ausdruck im Gesicht, der den anderen Angst machte, winkelte den Arm sachte an und streckte den Zeigefinger langsam in die Richtung, in welcher es völlig dunkel war. Gerade wollte sich Warior umdrehen, da hielt ihn sein Bruder zurück:
"Bist du verrückt? Nicht umdrehen!" Nach einem kurzen Verschnaufen fragte Warior eher verstohlen als tuschelnd und mit ruhiger Stimme: "Was siehst du, Badenius?" Dieser antwortete nicht sofort sondern zog die Verbündeten noch näher in einen kleinen Kreis über dem Tisch zusammen.
"Da drüben sitzt ein Mann im Schatten!" flüsterte er als wäre es das fürchterlichste der Welt, doch im gewissen Sinne hatte er recht, denn außer ihnen, der Familie des Wirtes und dem Mann war keine andere Seele in der Stube. Plötzlich wurde Warior auf ein kleines schepperndes Geräusch in der Küche aufmerksam, erkannte aber sofort, dass der hirnlose Wirt wiedereinmal Mist gebaut hatte, und lauschte wieder Badenius.
"Und? Was ist daran so besonders?" fragte der Blonde leise und zuckte leicht die Achseln, auf welchen die Schulterpolster wippten.
"Er hat so eine besondere Haut..." Er stockte und das Stottern war nun nicht mehr zu überhören. "...wie verbrannt... und in seinen Augen leuchtet das Feuer der Erde..." Mit Feuer der Erde musste Lava gemeint sein, das war Warior klar, doch was hatte das mit einem Menschen zu tun, oder war das kein Mensch? Fragend sahen sich alle an und rückten sich wieder in ihre erste, gelangweilte Position, um den Schein der Ahnungslosigkeit zu wahren. Jeder von ihnen wusste, was es jetzt hieß, sofort fingerte Gisildur ein Stückchen Pergament, ein Gläschen Tinte und eine Schreibfeder aus seinem Rucksack hervor und der mit dem zweiten Schwert nahm ihn in die krampfhaft zitternde Hand. Nach ein paar Minuten hatte er einige, fast unleserliche Worte darauf gekritzelt und reichte die Geräte zu dem, welchem sie gehörten. Sofort warf Warior einen verstohlenen und zugleich heimlichen Blick auf den Zettel, obwohl er wusste, dass dies kein Verbrechen war, und vergaß gleich alles, denn dieser Schreiber musste wahrscheinlich so unter Druck stehen, dass die Buchstaben ein völlig anderes Wort ergaben, doch Gisildur sah man an, dass er es trotzdem lesen konnte. Kurz verbesserte er die kritzeligen Worte zu einer leserlichen Schrift, reichte den Zettel in die Runde und so wusste jeder, worauf zu achten war und was sie zu befürchten hatten. Das unheimliche Wesen in der Ecke war wohl ein Wesen aus der Hölle und gerade griff es mit schwarzen, spinnendürren Fingern nach einer Feldflasche, biss mit ausgebleichten, etwas fauligen Zähnen auf die Öffnung und trank gierig ein paar Schlücke daraus. Ein leises, unverständliches Nuscheln begleitete sein anschließendes Rülpsen und seine Gestalt war von einem schwarzen Fetzen umrahmt, der offensichtlich als Umhang oder Kopfbedeckung diente und sein Gesicht bis auf eines der zwei rotglühenden Augenfunken verdeckte, den Zweiten konnte man nur erahnen und einige der Gefährten schluckten bedenklich. Bald würde Isribus hier eintreffen und ihre Runde wäre aufgeflogen, denn es würde doch auffallen, wenn sechs Leute an einem Tisch kommen und da irgendwelche Schlachtpläne ausplauderten, also musste der Treffpunkt geändert werden. Der mutige Gisildur schielte mit den Augen zu einem tief in die Wand eingelassenen Spiegel, dessen Holzverkleidung geleimt war, die zwei vom Orden des Drachen nickten, verabschiedeten sich und verließen eiligen Schrittes den kleinen, aber doch weitläufigen Raum. Gerade wollte das Schattenwesen aufspringen, es hatte sich schon auf seine zwei verkohlt scheinende Arme gestützt, als es sich eines besseren besann und sich wieder auf die im Schatten versteckte Bank fallen ließ. Da, wo es saß, war es ziemlich dunkel, ein schwefeliger Geruch schwebte zu ihnen hinüber, es war geheimnisvoll und weit entfernt von den anderen Menschen, so dass keiner richtig mitkriegen würde, was mit ihm war, doch Badenius hatte das Glück mit Adleraugen gesegnet worden zu sein und hatte gleich ohne mit der Wimper zu zucken alles aufliegen lassen. Bevor Gisildur richtig mit seinem Vorhaben loslegte, Warior sah die ganze Zeit nur erstaunt zu, winkte er den dürren, ausgemergelten Wirt zu sich. Dieser beugte sich mit einem Tablett, unter dem ein Tuch lag, auf den Arm zu ihm runter und der Krieger flüsterte ihm beschwörend und mit einer kurzen, fragenden Anspielung ins Ohr:
"Wer ist das da?" Der Gastgeber des Hauses reagierte ganz anders als Warior es sich vorgestellt hatte und antwortete nur kühl und fast leichenblass:
"Das ist der Tod, er ist hier, um mich zu holen! Also lasst ihn in ruhe, ich will keine Aufregung in meinem kleinen Lokal!" Gleich nach dieser Auskunft verschwand er wieder in der Küche. Gisildur legte die Stirn in Falten:
"Ich glaube, der hat meine Frage nicht verstanden!" Er musste doch genau wissen, dass seine Frau und seine Kinder allein wären, wenn er sterben würde, doch im Moment beschäftigte ihn ein kleineres Problem und er begann, mit der Hand an der Schläfe, gelangweilt nachzudenken. Etwas später meinte er schließlich zu Warior und Savamir gewandt: 
"Haltet euch bereit! Die Flucht ist noch nicht zu ende!" Er legte einen Flüsterton ein. "Draußen warten die Beiden anderen auf Isribus! Sie geben uns in ein paar Minuten ein unauffälliges Zeichen! Siehst du?" fragte er wieder mit seinen Augen bei Warior. "Der Spiegel da oben ist eigentlich ein Fenster. Nur von der Küche kann man herein sehen! In diesem Moment observiert uns der Wirt! Badenius wird ihn effektiv und schnell ausschalten und seinen Platz einnehmen. Wir dürfen keine zusätzliche Aufmerksamkeit auf uns lenken und wir werden auch jetzt wieder getrennt flüchten, wie zuerst vom Schloss!" 
"Du meinst, das da ist ein Späher?" fragte Warior interessiert und beugte sich näher an ihn heran, doch zur gleichen Zeit wusste er, dass es nicht die richtige Zeit war, um mit seinem Wissen anzugeben.
"Genau!" stimmte ihm dieser zu und nickte, als hätte er die Anspielung Warior’s nicht richtig verstanden. "Also los, Savamir, du zuerst!" Nachdem einige Zeit verstrichen, ein paar Bierchen mehr getrunken waren, sie versuchten keine deutliche Angst dem Feind gegenüber zu zeigen, der aufgetischte Braten verspeist war und sie noch weitere vielsagende Blicke getauscht hatten, stand die genannte Person plötzlich auf und strebte auf die Tür zu. Nun da die Mehrzahl der seltsamen Buben nach draußen verschwunden waren, machte sich das seltsame Wesen aufrecht und leichtfüßig ebenfalls nach draußen auf und würdigte die anderen, still schweigenden Ritter keines Blickes.
"Verdammt!" pfiff Gisildur verärgert durch die Zähne und versuchte möglichst ruhig zu bleiben, um am Schluss nicht doch noch Aufmerksamkeit zu erregen, "der Kerl hat Wind gekriegt und wartet nun im Wald auf uns. Hoffentlich haben sich die anderen gut versteckt!" Warior hatte nichts gesagt, denn große Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, seine Unterlippe zitterte leicht kindlich und hätte er gesprochen, hätte man seinen ängstlichen Ton sicher herausgehört. Fast stark zitternd stand er nun auf und schob knarrend den einfach geschnitzten, hölzernen Stuhl beiseite.
"Was hast du vor?" flüsterte der ältere entsetzt und schien ebenfalls reichlich verunsichert. Warior gab keine Antwort, verließ das Gebäude durch die hintere Küche, Gisildur war unfähig seinem jüngeren Bruder etwas zuzurufen und blieb stocksteif stehen, denn er hatte sich bei Warior’s Verlassen aufgerichtet, um zu protestieren. Doch nach einigem Überlegen nahm er wieder Platz und fühlte sich plötzlich mehr allein als er jemals war. Der Wirt lag gekrümmt in einer Ecke des Raumes, seine Schürze war blutbefleckt und seine dürren Beine seltsam verdreht. Die anderen waren also schon hier, dachte er wenigstens etwas beruhigt und er fühlte förmlich, dass sein Körper viel zu angespannt war, um richtig zu reagieren. Sein Haar war völlig von Schweiß verklebt und lag dicht an, Warior’s Atem ging stoßweise und voller Befürchtungen wendete er den Blick von der erschreckenden Leiche ab. Er legte seine Hand an die nur angelehnte Tür und vernahm ein leises, aber eindringliches Quietschen, innerlich explodierte seine Angst und er schloss tief atmend die bleichen Augen. Für den Moment der Finsternis sammelte er Kraft um die Hintertür zu öffnen ohne gleich wieder ein lautes Geräusch zu hören. Ihm wurde plötzlich gewahr, dass er gerade etwas im Sand hatte scharren hören und vorsichtig öffnete er die Lider für einen Blick durch die Ritze der Tür. Was er sah, waren nur leicht vom Wind gerührte, vom nächtlichen Tau feuchte Blätter und Farne und wieder begann sein armes Herz hektischer zu schlagen. Alles um ihn herum wurde still, nur der Herzmuskel pumpte was er hergeben konnte und das Klopfen in seinem inneren wurde immer lauter, so dass er sich nicht mehr auf das äußerliche konzentrieren konnte. Wie in einem blinden Trauma drückte er die Tür mit der Schulter auf und stolperte, fiel sogar fast, ins kühle Gras der Böschung. Es war viel kälter als drinnen, von überall her lauerten gefährliche Schatten und sein Herz setzte für die Dauer von einer ihm endlos lang erscheinenden Minute aus. Als er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte ließ er einfach los, entspannte willenlos seine Muskeln und sackte ohne auch nur ein überflüssiges oder gar lautes Geräusch zu machen ins Gras. Ein Nebel der Bewusstlosigkeit breitete sich in ihm aus und legte seine Gedanken lahm, das Fenster zur Außenwelt wurde ohne Nachdruck geschlossen.

Wie lange lag er wohl schon hier im nassen Gras? Er wusste es nicht mehr, blieb einige Sekunden liegen, bis die Erkenntnis ihm wie ein Pfeil durch den Kopf schnellte, er war hinter der Küche des Bauern zusammengesackt und hatte keine Ahnung, was dann weiter geschehen war. Was hatte Gisildur vorhin gesagt? In den Wald immer in Richtung Osten, das wusste er noch, richtete sich ganz vorsichtig und noch etwas schwankend auf und ein leichtes Frösteln schüttelte ihn bis auf die Knochen durch. Während er versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen, erblickte er eine schemenhafte Bewegung im wackelnden Gebüsch vor ihm. Gerade hatte er zwar wo anders hingesehen, doch aus dem Augenwinkel erschien ihm die Bewegung langsam und weit ausgreifend. Da! Gerade dachte er, er hätte ein rotes Glühen zwischen den Ästen einer Eiche gesehen und schaltete schlagartig. Zuerst taumelte er nur los, dann aber schüttelte er den Kopf und grub mit jedem Schritt die Zehen haltend in den Boden, um nicht wieder umzukippen. Ein verschwommenes Knurren kam aus den Büschen hinter ihm und diesmal war er von reiner Panik getrieben. Blind stürmte er auf die Stämme zu, setzte über einen Baumstumpf hinüber und kroch hastig unter einem halbverrotteten, querliegenden Stamm hindurch, dessen abgebrochene Äste wie Rippenknochen von ihm wegragten. Äste klatschten ihm wie Peitschenhiebe ins Gesicht und kleinere Pflanzen rannte er einfach ohne auch nur richtig auf sie zu achten um. Hastig atmete er und sprang über einen kleinen Graben, immer in dem Glauben, der Feind säße ihm keuchend und schnaufend im Nacken. Scharfe Dornen rissen an seiner Kleidung und schließlich stolperte er über eine große Wurzel und drehte seinen Körper so, dass er hinter einem Busch zu Boden glitt. Den Moment nutzte er, um frei zu atmen, neue Kräfte für den weiteren Sprint zu sammeln und nach seinem Verfolger Ausschau zu halten. Bei einem kurzen Blick nach oben erkannte er den kreisrunden Mond, welcher sich, bei genauerem Betrachten, immer ein Stückchen weiter bewegte. Erst jetzt begannen seine Wunden weh zu tun und er bemerkte eine brennende Schürfwunde am Knie, welche ihm vorher nicht einmal etwas gestört hatte. Es muss wohl der Adrenalinstoß gewesen sein, dachte Warior, stöhnte leise und sog die kühle Nachtluft scharf durch die Zähne ein. Vorsichtig stützte er sich an dem Baum als er aufstand und biss hart die Zähne aufeinander, denn die Wunde tat wirklich verdammt weh. Die ersten paar Schritte, welche er zu machen versuchte, gingen daneben, denn die Verletzung zog sich jedes mal stark zusammen und begann zu bluten, wenn er das Knie anzog. Würde er so auch noch für seine Brüder von nutzen sein? Bei dem Gedanken dachte er an seine zaubernde Waffe, bekam Angst, dass sie verschwunden war und mit einer sicheren Geste stellte er fest, dass sie noch da war wo es hingehörte. Er stützte sich auf einen knorrigen Ast und begann gebückt einen kleinen Pfad aufwärts zu humpeln.

Muragecht’s Armeen kämpften erbittert mit dem Feind aus dem Westen. 

- Schwerter krachten aufeinander, Hörner ertönten und Hagel von Pfeilen surrten auf beide Parteien, wurden getroffen und starben entweder an der Verletzung oder brachen sie ab und kämpften, zwar mit Schmerzen, aber dennoch genau so stark, weiter.  -
Unbedingt mussten sie die gegnerischen Mauern stürmen und endlich würden sie die entgültige Schlacht des heutigen Abends gewinnen. 
- Gefechtstürme mit Rammen und Leitern wurden eingesetzt, um die Burg zu stürmen, doch das Tor war zu hart, um einfach so von den Feinden aufgesprengt zu werden, also kämpften sie einfach weiter. Die Leute an den Zinnen spannten die Bögen und schossen Pfeile auf den Gegner oder ließen einfach heißes Pech auf sie herab regnen.  -
Die Menschen zählten auf ihre Abgesandten und deren extra für diesen Schachzug angefertigten magischen Schwerter. 
- Weinend knieten die Frauen vor den Altären und beteten für die sechs Prinzen und ihre eigenen Männer. Kinder rannten verzweifelt umher und versuchten die Brände innerhalb der Stadtmauern zu löschen. Doch als plötzlich brennende Pfeile über die Zinnen geschossen wurden, zogen sich die Kleinen zurück, um nicht selber zu verbrennen und nur wenn der Beschuss geendet hatte konnten sie heraus eilen und wenigstens wieder etwas mit ihrer Aufgabe fortfahren.  -
Wenn sie es nicht schaffen würden, Muragecht die heilige Klinge zu entreißen, ihn zu bezwingen und Frieden in das ganze Land zu bringen, wäre alles endgültig verloren. 
- Selbstmörder stürzten sich von Angst fast zerdrückt mitten in das größte Getümmel und wurden sogleich von den Monstern mit ihren Speeren, Lanzen, Schwertern oder Piken aufgespießt. Das Gemetzel dauerte an und immer wieder schaukelten sich die Armeen gegenseitig hoch.  -
Der Kampf tobte in der Wüste vor dem Hadesfelsen, wo sich der finstere Lord mit dem einen Schwert zur Zeit aufhalten und von da seine Untertanen aus dem Schattenreich befehligen und steuern sollte. 
- Von einem versteckten Plateau zwischen den Felsen hockte er und genoss mit dem Schwert in der Hand die tobenden Kampfszenen. Die Sonne war schon unter gegangen und die Hälfte der Krieger lag schon tot am Boden, doch wenn ihre Leichen nicht verbrannt oder zerstückelt werden würden, würden sie wieder auferstehen und sich von neuem ins Getümmel stürzen.  -
Dunkler Rauch stieg von den Ruinen der Hadesfelsenburg auf, denn Muragecht zog einen finsteren Ring aus Rauch und Schatten um seine neue Festung. 
- Mit geschlossenen Augen zeigte er Gesten, welche dem rußigen Dampf seine Richtung befehligte. Hinter ihm standen seine zwei Gehilfen, Sowem Dun und Arborak Dun. Einst waren sie große Könige, doch heute waren sie Dämonen.  -
Dieser Felsen war einst ein brodelnder Vulkan gewesen, doch jetzt schürften nur noch die Schattenwesen und die anderen finsteren Gestalten nach dem harten Gestein, aus welchem sie ihre Pfeilspitzen und Schwerter anfertigten. 

Gleich nachdem Warior in den Wäldern verschwunden war, stolperte Isribus den kleinen Pfad zur Hütte hinunter. Auch er war verschwitz, sein Haar zerzaust und seine Kleider mit dem Blut der Feinde beschmiert. Wahrscheinlich hatte er ebenfalls mit Wesen der Finsternis zu tun gehabt und der mit dem zweiten Schwert war doch weniger lange bewusstlos gewesen, als er gedacht hatte. Das leise Summen, welches die über den See schwirrenden Insekten verursachten, machte Isribus aufmerksam, denn irgendetwas stimmte nicht. Immer noch brannte Licht in dem hölzernen, mit Lehm gefestigten Gebäude vor ihm und er sah sich kurz und inbrünstig um. Die umliegenden Hütten standen leer und der Wind rüttelte sachte an den Zweigen, dass die Schatten, welche diese warfen, da der Mond sie leicht anstrahlte, wie die übelsten Kreaturen schienen. Weiter vorne, hinter den Hütten raschelte es im Gebüsch, sonst hörte und sah er nichts unauffälliges, außer, dass ab und zu ein Schatten, welcher einer Eule glich, über den Bäumen schwebte. Rechts von ihm ging es erst einen steilen Hang hinauf und dann flach in einen dichten Laubwald, durch welchen gedämpftes Sonnenlicht fiel und hinter dem wiederum ein kleiner Berg auftauchte. Doch sah man an der steilen Kante herunter und durch den Waldstreifen entdeckte man Felder, Äcker und Wiesen. Kaum hatte er sich einen Blick auf die Schönheit der Natur gegönnt, kam leichter Nebel zwischen den Eichen und Buchen auf und wurde nun statt dem Boden vom Mond angestrahlt. Ein Gespenstischer Schauer streifte Isribus’ Körper und unweigerlich zuckte er zusammen, denn es hatte den Anschein, als wäre mit dem Nebel noch ein weiteres Wesen aufgetaucht und hätte sich als zwei rot glühende Linsen materialisiert. Links von ihm ging es einen erdigen Hang zu einer sandigen Gegend mit nur dürren Sträuchern hinauf und durch eine Baumlücke erkannte er große, kegelförmige, spitz zulaufende Felsen. Isribus war der einzige der drei Brüder vom Orden der weißen Drachen, der einen starken Bartwuchs hatte und hatte wie alle seine drei Brüder eher helles als dunkles Haar. Er hatte eine auffällig geschwungene Nase und trug einen grauen Lederpanzer mit rotem Samt, darunter ein Kettenhemd und goldene Verzierungen an den Handschuhen. In seinem Gürtel steckte ein Morgenstern, eine gestachelte Eisenkugel an einer Kette, welche mit einem Holzstück als Griff verbunden war. Um die Schultern hatte er sich einen blauen Samtmantel gehängt, welcher mit Perlmutt bestickt war und wie der Nachthimmel mit Tausenden von Sternen aussah. Endlich trat er vor Anstrengung fast zitternd in die hell erleuchtete Gaststube ein und sein erster Blick galt Gisildur, welcher mit dem gezückten Schwert halb geduckt hinter der Theke stand und sich ängstlich immer wieder nach allen Seiten umsah.
"Wie kommst du hier rein? Ist er weg?" schnaufte er und Isribus spürte seine Anspannung.
"Wer?" versuchte es der Neuankömmling und beschwichtigte ihn mit einer kurzen Geste. "Da draußen war niemand!" Langsam spürte er, worauf Gisildur hinaus wollte und ein leichter, ihm aber unerklärlicher Schauer lief ihm über den Rücken.
"Muss doch!" fauchte ihn der Andere an und trat unruhig von einem Bein auf das andere. "Ich halte das hier nicht mehr länger durch... wenn der Feind uns entdeckt sind wir geliefert!" Seine Stimme wurde heller: "Wie kommt das Blut an deine Klamotten?" Erklärend wollte Isribus etwas näher kommen, doch Gisildur fuhr ihn herrisch an:
"Komm nicht näher!" Mit einer schnellen Bewegung hielt er dem vom Orden des stählernen seine Waffe an die Brust.
"Hey, sachte!" versuchte es dieser noch einmal und hob abwehrend die Hände. "Wir werden da jetzt zusammen raus gehen! Klar?" Nach einem kurzen Zögern nickte Gisildur und das Heben und Senken des Kopfes von Isribus stimmte mit ein. Gisildur trug ein schlichtes, schwarzes Leinenhemd mit großem Ausschnitt, einen ledernen mit Eisen bespickten Gürtel und Handschuhe aus dem selben Material. Außer dem normalen Schwert mit dem dunklen Griff und der seltsamen Gravur in seiner Hand, trug er einen Bogen auf dem Rücken und sah sonst etwa genau so aus wie sein jüngerer Bruder Warior. Seine grauen Augen senkten sich herab, blickten unsicher und nach einem kurzen Moment bewegten sie sich dazu, das Haus durch den Hintereingang zu verlassen. Wieder erblickten sie den toten Wirt, lauschten vorsichtigen Schritten im Gras außerhalb des Gebäudes, Isribus legte den Finger an die Lippen und zischte leise dem verstörten Freund zu. Dieser drückte sein Schwert an die einfache Tür aus Holz und versuchte sie mit einem kleinen schubsen zu öffnen. Das Holz knarrte, die Tür schwang sonst aber leise auf, kalter Wind blies ihnen entgegen und Isribus bekam durst. Kurzerhand griff er sich einen Bierkrug von einem der Regale, es war der Krug des Wirtes, und trank gierig daraus. Nachdem er ungefähr die Hälfte geschluckt hatte, stellte er ihn wieder ab, wischte sich den Mund ab und schob den Anderen an, er möge sich beeilen. Draußen sahen sie sich nach denen um, denen die Schritte gehört hatten und stießen hinter der Hausecke auf Savamir, Kalikor und Badenius. Der zuletzt genannte war wie immer ständig auf der Lauer und ängstlich, denn nur die drei, welche dem Schwarzen begegnet waren, hatten sich langsam aber sicher zu Nervenbündeln entwickelt und die anderen konnten nicht verstehen warum. 
"Wo ist Warior?" sprudelte Gisildur sogleich mit seiner Frage heraus. "Ist er nicht bei euch?" Erschrocken sahen sie sich an.
"Nein ist er nicht, wir dachten er wäre noch bei euch!" verteidigte sich Savamir. 
"Das ist noch ein halber Junge", brachte der hervor, dessen Bruder verschwunden war, "mit so was wird er noch nicht so leicht fertig! Mit gewöhnlichen Gnomen schon, aber nicht mit Schattenwesen!"
"Vielleicht ist er schon im Wald..." schlug Badenius beinahe fragend vor. Hinter ihnen im Gebüsch rührte sich was.
"So wird es sein!" machte Gisildur sich wieder Mut. "Ich habe ihm gesagt, dass wir erst mal nur nach Osten müssen und dann weiter sehen!" Alle stimmten ein und er schlug Savamir freundschaftlich auf die Schulter:
"Komm!"
Dann gingen sie schnell in den nebligen Wald und direkt zwischen den Eichen durch. Seltsame Geräusche aus dem Wald drangen an ihr Ohr und ihr Schritt beschleunigte sich etwas. Der Pfad war breit, doch trotzdem schien es ihnen als würde der Nebel sie erdrücken und hielten sich enger beieinander. An den Ansätzen der umliegenden Büsche wuchsen Kräuter und klammes Gras, die Bäume waren feucht vom ewig wallenden Nebel und ein fauliger Geruch lag in der Luft, doch kam er nicht von einem Toten, sondern von einem Sumpf, welcher hier ganz in der Nähe liegen musste. Plötzlich knackte etwas zwischen den Blättern und alle richteten ihren wie zu Eis erstarrten Blick auf das Gestrüpp, doch es tat ihnen nicht den Gefallen, ein weiteres Mal zu knacken, statt dessen begannen die Bäume leicht und vorsichtig zu rauschen, als ob Wasserlinien durch die Luft fegten. Da bewegte sich etwas im Schatten und Gisildur legte die eine Hand an sein Schwert.
"Wer ist da!" rief er mit fester Stimme in das Dunkel und versuchte dabei, seine Angst zu unterdrücken.
"Kommt mir nicht näher!" flüsterte eine Aufgeregte Stimme zwischen den Büschen zu ihnen und der Ritter schwenkte seine soeben entzündete, hell lodernde Fackel in die Richtung, aus welcher die Stimme zu ihnen gedrungen war. Der rötliche Schein strahlte ein blasses, Schweiß überströmtes Gesicht an, der Leib dessen Träger war zerfetzt und er blutete an mehreren Stellen.
"Warior!" entfuhr es Savamir und er schluckte. "Wie siehst du denn aus?" Das eine Knie war Aufgeschlagen und unter der zerrissenen Hose erkannte man eine klaffende Wunde.
"Komm mit!" sagte Gisildur und legte den Arm stützend um Warior. "Die Sonne geht bald auf und so lange sind wir vor Feinden sicher. Sie kommen niemals am Tag zum Vorschein, nur in der Nacht!" Dann liefen sie wieder in Richtung Hütte, während der Morgen bereits graute und die von Wolkenfetzen vernebelte Sonne stand gerade über den Hängen und ließ ihre Strahlen durch die verschleierte Schicht aus Dunst gleiten...
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 8. Kapitel (3. Kapitel des 2. Buches): Der Pirat

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