Das dritte Schwert von Benedikt Julian Behnke
Die Sechs 3 - Der Pirat

Warior war leicht zu finden gewesen, denn er hatte sich nicht unweit von ihrem Kampfschauplatz entfernt gehabt und sich dort versteckt. 
- Er duckte sich noch tiefer hinter dem kleinen Hain und presste die Hände auf den Mund, um nicht lauter zu atmen. Die Wunde schmerzte fürchterlich und wollte nicht damit aufhören. Bei jedem Schritt brannte und stach sie, bis Warior schließlich aufgab und sich ins Moos fallen ließ, um dort auf den Morgen zu warten, doch nur kurze Zeit später tauchten seine Freunde auf, keuchend und von Hecken zerzaust standen sie mit blutbefleckten Klamotten vor ihnen.  -
Schweigend gingen sie dann, nachdem Warior einen Heiltrank getrunken hatte und der Morgen bereits graute, zu den nicht ganz so weit entfernten Hütten, um da den weiteren Tag zu verbringen. 
- Da die Schattenwesen nur in der Nacht angriffen, konnten die Gefährten am Tag sicher sein, beim Schlafen nicht überrascht zu werden und waren darum guter Dinge. Als Warior den roten Heiltrank zu sich nahm, erschauderte er, denn das Gesöff schmeckte widerlich und als er die Anderen darauf ansprach, stimmten die ihm gutgläubig zu. Langsam ging die Sonne im Osten auf, erhellte den finsteren Wald, indem sie ihre Strahlen durch Astlöcher und die Blätter fallen ließ, und erwärmte den taufrischen Boden. Alle waren sie verschwitzt und durchnässt, doch der rote Feuerball am Himmel hatte ihre Kleider schnell getrocknet und nachdem sie ein Bad im See genommen hatten, ging es ihnen gleich viel besser.  -
Den restlichen Tag verbrachten sie im Wirtshaus und irgendwann am Nachmittag wachte Savamir auf und schlug die wärmende Decke zurück.

Savamir gähnte ausgiebig, reckte und streckte sich, schlug die dicke Decke beiseite und richtete sich vorsichtig aus dem Bett auf. Auf dem kleinen Nachttisch neben ihm standen ein Tablett mit Gebäck und Milch und seine Kleider waren über einen dunkel lackierten Stuhl gehängt. Die Fensterläden waren weit aufgerissen, der kalte Wind bauschte die Vorhänge, der Krieger begann leicht zu frösteln und zog daher in aller Eile seinen frisch gewaschenen Waffenrock aus Wildleder an. Neben ihm, am anderen Ende des Raumes, stand ebenfalls ein ziemlich durchwühltes Bett, was darauf hindeuten musste, dass bis vor kurzem jemand darin geschlafen hatte. Savamir schüttelte seine Arme und Beine und merkte, dass er einen leichten Muskelkater in den Gelenken hatte, obwohl er solche Aktionen beinahe jeden Tag durchstand. Während er noch überlegte, tauchte er ein Stück Keks vom Tablett in die Milch und begann dann langsam darauf rum zu kauen. Was hatte die Bäuerin eigentlich zu dem Tod ihres Mannes gesagt? Er hatte es vergessen, jedenfalls wusste er, dass sie nicht in Tränen oder Wutanfällen ausgebrochen war, was ja schon ein mal ein gutes Zeichen war, denn sei konnten eine verzweifelte Frau im Moment wirklich nicht gebrauchen. Schnell verspeiste er einen weiteren Keks und trank die Milch leer, wahrscheinlich warteten die anderen schon unten auf ihn. Sofort legte er seine weiteren Sachen an, schloss das Fenster und machte die Betten, dann öffnete er die Zimmertür. Er trat in einen langen Gang, welcher vermutlich im zweiten Stock war, da vor ihm eine hölzerne Treppe in die Tiefe ragte. Schnellen Schrittes ging er sie mit schweren Stiefeln herunter und das eine oder andere Knarren war dabei zu vernehmen. Mit der Hand strich er dabei über das Geländer und merkte, dass kein Staub wie gestern mehr darauf war, sondern eher eine wachsige Schicht, als würde es frisch abgewaschen sein. Unten trat er aus einer Seitentür in einen weiteren Gang, in welchem auch die Küchentür eingelassen war. Stimmengewirr drang an sein Ohr und er ging in Richtung Theke, welche ebenfalls am Ende des Ganges aufgerichtet worden war, um die Gäste nah der Küche bedienen zu können. Als er an derselben vorbei kam, erfasste er durch das Schlüsselloch reges Treiben von Kindern und einer breiten Frau in ihr. Alles war blank geputzt und beschäftigt rannten die Söhne mit Kochmützen herum. Über einem roten Seidenhemd trug die alte Dame eine weiße Kittelschürze und befehligte die Truppe. Da wurde die Tür aufgerissen und ein viel beschäftigt erscheinender Junge mit einem Tablett auf dem Arm trat heraus.
"Was geht hier vor?" brachte Savamir gerade noch so heraus, bevor der junge Mann ihn umgerannt hätte.
"Weißt du das noch nicht? Unser Herr Vater ist tot und die Herrin macht jetzt seinen Job. Die Belagerung der Burg geht erst heute Nacht weiter, die Schattenwesen haben sich vorerst auf einem Hügel unweit des Schlosses zurück gezogen und warten dort auf den Abend. In der Zeit kommen die Leute zu uns, um Vorräte zu kaufen und hier ein Mittagessen einzunehmen..." Aus dem nachsichtigen, ungläubigen Ton wurde nun ein jähzorniger Blick. "Der Alte hat den Laden hier in einen Schrotthaufen verwandelt, doch seit Mama hier putzt und kocht kommen wieder mehr Menschen her! Sie hatte ihn noch nie gemocht und hätte ihn auch nicht geheiratet, wenn ihre Eltern das nicht unbedingt gewollt hätten!" Kaum war er fertig mit seiner Geschichte, ließ er Savamir einfach stehen und verließ den Korridor in Richtung Schenke. Savamir folgte ihm und begann, als er neben ihm lief und seinen Rhythmus gefunden hatte, wieder das Reden:
"Habt ihr eine Karte... von diesem Land hier?" Als er keine Antwort vernahm versuchte er es weiter: "Ich meine... wir haben nur eine vom Schloss und die Gegend einen Kilometer darum, das heißt, sie geht nur noch gerade so bis zu eurer Hütte!"
"Das ist nicht mein Problem!" stritt der Andre ab und verweigerte seine weitere Hilfe, doch plötzlich blieb er stehen und seine Stimme klang rauer und wie geflüstert, als er ihm direkt in die Augen sah. "Es ist mir zwar nicht erlaubt darüber zu sprechen, aber Großmutter lebt unweit von hier in einem Sumpf im Süden! Sie muss noch Kartenmaterial haben... aber sagt bitte nichts Mutter", stammelte er plötzlich und sah sich entsetzt um, "sie hört es nicht so gerne, wenn man darüber spricht!" Endlich verließ er den Gang und stellte das Tablett auf die Theke. Wirklich, der ganze Saal war überfüllt von plaudernden Besuchern. Irgendwo dazwischen mussten auch seine Freunde sein. Zielstrebig ging er genau zwischen das Getümmel, teilte die Menge, indem er sie einfach beiseite drückte, und verlor schließlich ganz den Orientierungssinn. Er seufzte und steuerte dann einfach auf einen runden Tisch in der Nähe zu, an welchem ungefähr zehn Personen saßen. Es war kein Platz mehr frei, doch für einen Moment lauschte er den aufgeregten Stimmen der Besucher:
"Also ich hab gestern die ganze Zeit vor Angst gezittert!" erläuterte einer der Gäste und ein Anderer stimmte mit einem höhnischen Lachen ein:
"Angst? Wer hat denn da schon Angst?" Wieder wurde gelacht und die Person, die gerade schon gelogen hatte, prahlte munter weiter: "Ich hab schon mal was richtig schreckliches erlebt, als ich achtzehn war!" Der Mann war etwas ergraut, hatte eine große Nase und einen dichten, hellbraunen Vollbart um sein doppeltes Kinn. Seine Haare trug er lang und seine Augen schützten eine Brille. Gekleidet war er mit einem roten Rock und trug dunkle Lederstiefel. Am Gürtel hatte er einen verzierten Säbel und auf seinem Kopf trug er einen dreieckigen Hut mit buschiger Feder. Jetzt gab er seine Geschichte weiter zum Besten:
"Da war ich mal mit meinem Schiff mitten aufm Meer und hab einen Kutter überfallen! Hah!" Er lachte. "Jedenfalls steh ich da so am Ruder und ruf:  'Klar zum Entern!' und da schießt der Frachter plötzlich mit Kanonen!" Jetzt war Savamir sicher, dass dieser Kerl ein gestandener Pirat war und seine Kleidung erschien jetzt nicht mehr ganz so lustig. "Eine schwirrt grad neben mir vorbei und zerfetzt den Hauptmast!" Dabei gestikulierte er mit der linken Hand, welche wahrscheinlich die Kanonenkugel symbolisieren sollte. "Das Holz zerbarst und die ganzen Splitter sausen durch die Luft", er pfiff durch die Zähne, "und dabei hab ich mir die Verletzung hier zugezogen!" Nun fegte er mit dem Arm seinen Mantel beiseite und ein Stummel ragte da hervor, wo eigentlich sein Arm hätte sein sollen.
"Na, da guckt ihr was?" feikste er dann als die anderen erschrocken aufsahen und erschüttert das Gesicht verzogen. Da wo der Stummel des Arms endete, war der Ärmel mit einer Klammer zusammengehalten und der fremde Pirat grinste breit und ließ den Beweis seiner Tapferkeit wieder unter dem Samtmantel verschwinden.
"Nicht umsonst heiß ich doch Kapitän Kampfsporn!" Nach einem kurzen Blick in die Runde murmelte er entsetzt:
"Oh, schon so spät? Ich muss jetzt auch los, ne! Bis bald!" Er winkte ihnen zu und hinterließ einen bleibenden Endruck. Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens, folgte Savamir Kampfsporn instinktiv. Er verließ die Stube, also tat der Kämpfer das gleiche. Draußen lief der Pirat zu einem Karren in der Nähe, welcher mit Stroh und Kohl beladen war, und lehnte sich gegen die Deichsel. Dann seufzte er tief und vielsagend und sah in den endlos blauen Himmel hinein. Die Sonnenuhr an der Hauswand des Bauern zeigte ihm, dass es bereits vier Uhr abends war und sie sich unverzüglich in der nächsten dreiviertel Stunde auf den weiteren Weg machen mussten. Auf einmal hatte Savamir eine Idee, wie er schnell zu dem besagten Sumpf kommen könnte und genau so flott auch wieder zurück, also fragte er den Piraten, welcher sich gerade auf den Kutschbock setzen wollte. Vor dem Wagen war ein Schimmel mit blonder Mähne festgebunden, welcher das Ganze ziehen sollte.
"Können sie mich mitnehmen?" fragte der Ritter höflich und stellte sich dann vor, "Savamir Gondolin!"
"Savamir!" erklang eine Stimme hinter ihm und Warior rannte den kleinen, begrasten Hang zum See hinunter. "Was ist los?" 
"Mein Bruder, Warior Gondolin!" stellte er ihn sogleich vor und meinte dann zu diesem gewand: "Ich habe von einem der Söhne hier gehört, dass eine alte Frau im Süden weitere Teile der Karte hat! Das würde unsere Reise erleichtern!"
"Und jetzt wollt ihr fragen, ob ich euch da hin bringen kann?" Die beiden nickten eifrig, der Pirat klopfte auf das Stroh auf dem Wagen. "Setzt euch drauf! Ich bring euch so schnell wie möglich hin! Auch übrigens, Sam Halkman mein Name!" Gerade wollte Savamir auf den Karren klettern, da stockte er:
"Ich dachte, sie heißen Kapitän Kampfsporn?" Das Holz am Wagen fühlte sich warm und staubig an. Der Geruch von frisch geschlagenem Heu lag in der Luft und die Sonne schien warm, doch trotzdem verharrte Sam ein paar Minuten, bis er fast weinerlich dreinschaute und dann mit einer kläglichen Stimme murmelte:
"Ich... bin nicht wirklich ein Pirat... oder Kapitän... das war ich nie gewesen..."
"Aber sie haben doch...", unterbrach ihn der Krieger, "....die Verletzung!" Kampfsporn zuckte die Achseln.
"Ein Reitunfall!" Er schwieg wieder und setzte dann hinzu: "Ich wollte für mein Laben gern Pirat sein, doch im Hafen wollte mich keiner aufnehmen, also..." er begann ohne lautes Schluchzen zu weinen, "....also erfinde ich meine eigenen Geschichten!" Er beugte sich nach vorne und die Tränen fielen in das saftige, dunkelgrüne Gras.
"Was ist denn mit dem los?" fragte Savamir erstaunt und zugleich verwirrt, doch in Wirklichkeit hatte er den Sinn der Erzählung verstanden.
"Wo kommst du überhaupt her und wo sind die anderen?" Der Karren setzte sich langsam und ratternd in Bewegung.
"Wir haben oben nach den Armeen gesehen! Sie haben sich wirklich auf einem sandigen Hügel zurückgezogen, fast mitten in der Wüste, da regt sich nichts, nur kleine Türme aus schwarzen Wurzeln sind zu sehen! Wahrscheinlich ihre Unterkünfte!" erwiderte Warior. "Die Brüder vom Orden des weißen Drachen sind noch oben und Gisildur schläft noch!"
"Wo soll’s noch mal hingehen?" erklang die Stimme des improvisierten Kutschers.
"Nach Süden, zum Sumpf!" rief Savamir ihm zu und dann begann er Warior von seinen Erfahrungen zu berichten. Der Weg führte einen breiten, rauen Pfad mit vielen orange bis gelben Sandsteinen an einer Klippe, welche in die gleiche Farbe getaucht war, hinauf. Nur spärlich war der Weg mit Farnen und trockenen Büschen besäht und die Brüder waren erstaunt, warum es bergauf ging, obwohl die Sümpfe zweifellos im Tal lagen, also fragte Savamir einfach mal:
"Warum geht’s hier bergauf? Die Sümpfe liegen doch unten!" Von hier oben konnte man zwischen den Wäldern freie Plätze mit grauem Boden und dazwischen aufragenden, kegelförmigen Felsen erkennen, welche dort in großer Anzahl standen. Es waren die Sümpfe und ein leichter Nebelschleier hing über ihnen und wurde von den Felsspitzen sanft zerteilt. Hier oben wehten warme Winde, Sam ließ das treue Pferd schneller traben und antwortete mit einem belehrenden Unterton in der Stimme:
"Weil es nur diesen einen Weg gibt! Man kann mit einem Karren nicht durch den Wald!" Jetzt verstanden die anderen und nickten staunend, denn sie richteten ihren Blick gerade auf die fruchtbare Landschaft unter ihnen. Der Weg war uneben mit Kies gepflastert und über ihnen hörten sie das energische Kreischen von kreisenden Geiern. 
"Woher kommst du eigentlich?" fragte Savamir, der Wind wehte durch sein Haar und er musste die Augen zukneifen, um nicht von den Strahlen der Sonne geblendet zu werden, denn um diese Uhrzeit war der Feuerball heißer als am Morgen. Fast war er schon hinter einem der aufragenden kontrastiert, doch immer noch erhellte sein Feuer den unter dem Berg liegenden Wald.
"Ich komme aus der Bauernburg im Osten!" Auch er bekam Schwierigkeiten mit der Sonne und schloss die Augen für einen entscheidenden Moment der Stille. "Soweit ich weiß, ist sie der sicherste Platz hier in der Umgebung!" Er rümpfte die Nase und hob das behaarte Kinn. "Sie steht auf einem Berg, klein, abgelegen und sicher! Aber im Moment werden auch wir belagert! Die Armeen haben den ganzen Fuß des Berges eingenommen und es wird nicht mehr lange dauern, dann... Also wenn ich euch abgesetzt habe, muss ich gleich weiter und die Nahrungsmittel abliefern."
"Dann hast du ja nicht mehr viel Zeit!" bemerkte Warior und der Kapitän drehte sich zu ihm um, musterte ihn und lachte dann:
"Der alte Kampfsporn hat schon schlimmeres erlebt und wird das wohl oder übel auch noch schaffen!" Er spielte seine Rolle als einsamer Pirat perfekt. Um seinen Vorsatz zu bekräftigen, klemmte er die Zügel unter den Armstumpf und zog mit der anderen Hand seinen Säbel. Wie von der Biene gestochen fuchtelte er mit diesem herum und jauchzte vor Glück, während die beiden Brüder laut lachten. Plötzlich wackelte der Wagen sehr stark, da sie über einen großen Stein gefahren waren, Savamir verlor das Gleichgewicht und aus dem Lachen wurde ein verzweifelter Aufschrei. Er kippte über den Rand des Wagens, rollte ein paar Zentimeter über den Boden und fiel schließlich mit einem Entsetzensschrei Warior’s über die Klippe.
"Verdammt!" rief Sam aufbrausend und zog an den ledernen Zügel, bis das Tier sich aufbäumte, wieherte und schließlich wieder stand. Warior sprang noch während der Wagen in der Fahrt war aus diesem und sah in die Tiefe. Die Wand fiel steil, fast senkrecht, nach unten ab und Savamir hatte sich noch schnell an einen aus einem Schlitz im Felsen heraus ragenden Ast klammern können, doch dieser schien sein Gewicht nicht mehr lange halten zu können und knarrte vor Empörtheit.
"Bist du verrückt, Junge!" schollt Halkman, verließ den Wagen, kam ebenso schnell wie Warior zur Unfallsstelle gelangt war an. Mit dem Säbel deutete er auf ihn und schimpfte:
"Mach das nie wieder!"
"Denken sie, ich hänge hier zum Spaß rum?" verteidigte sich der Unglücksrabe mit scharfer Zunge und versuchte mit den Füßen Halt zu finden, doch er rutschte immer wieder ab und Steine polterten gebröckelt in die Tiefe.
"Da!" sagte der Alte und warf Warior ein Seil zu, welches er unter dem Heu hervor gekramt hatte. "Wir haben wenig Zeit, also mach schnell!" 
"Okay!" murmelte der Kämpfer, nickte, zog sich den Gurt, an welchem sein magisches Schwert befestigt war, über den Kopf und legte die Waffe neben sich auf den Boden, während er eine Schlinge mit dem Seil knüpfte.
"Oh, was haben wir denn da?" gluckste der Pirat und ließ seine Augen über das verzierte Schwert schweifen. "Mama Mia!" japste er dann und bückte sich, um die Waffe aufzuheben. Seine Augen funkelten in einem diebischen Licht und als Warior seine Blicke bemerkte, legte er die Waffe ein Stückchen weiter weg, wobei er den Alten mit bösen Augen löcherte, dann warf er Savamir das Seil zu und knotete das andere Ende am Wagen fest. Der Kapitän verzog das Gesicht zu einem beleidigten Ausdruck.
"Du magst wohl keine Fremden, wie?" rätselte er und Falten über seinen Brauen verliefen fast senkrecht zu seiner Nase, dann griff er wieder mit der einen Hand an den Säbel und redete verärgert weiter: "Hältst dich für den besten, wie?" Sam zitterte vor Wut am ganzen Körper. "Willst mich auch ausrauben, hä? Ja, ja, das willst du, da bin ich mir sicher!" Und damit führte er das lange, in der Sonne glänzende Messer dicht an Warior’s Wange und begann an dessen dunklen Haaren herumzuschneiden. Die erste Strähne fiel ab und landete auf dem Boden. Bisher war Warior ruhig geblieben, doch dieser selbsternannte Pirat trieb ihn zum Wahnsinn, also sprang er kurzerhand auf, formte die Hände zu einem Trichter und rief Savamir zu: 
"Warte, versuch schon mal alleine weiter zu kommen, wenn du willst!" Wie Magie hatte das Schwert Halkman angezogen und nun versuchte dieser es um jeden Preis zu bekommen und am besten ginge dies, wenn er es mit einem rechtlichen Vorsatz tat, nämlich dass die Beiden ihn überfallen hätten, doch Warior durchschaute seinen Plan, zog in einer schnellen Bewegung das Schwert aus der Scheide, vollführte einen senkrechten Kreis, sodass ein Stück von Sam’s Bart abgeschnitten wurde und dieser sofort einen Schritt zurück wich.
"Fast hättest du mich getötet! Das ist versuchter Mord, dafür wirst ins Gefängnis kommen!" Wieder schlug der Kämpfer schnell, diesmal aber horizontal zu. Der Gürtel des Piraten-Kapitäns wurde durchtrennt und seine Hose rutschte bis zu den Stiefeln. 
"Verzeiht mir, Herr, wenn ich euch belästigt habe..." schlotterte er plötzlich ängstlich und zog peinlich berührt die Hose hoch, nur, damit sie sofort wieder rutschte und Warior lachte.
"Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen, alter Mann, ihr müsst uns nur zum Moor fahren!" kicherte der und schob die Klinge wieder zurück in die Schwertscheide, dann half er Savamir hoch und sie fuhren als wäre nichts gewesen weiter. Sam war jetzt merklich stiller und murmelte nur ab und zu ein 'aha!' oder 'hm!', wenn die beiden über bekannte Sachen redeten. Er fühlte sich eingeengt und, trotz des Trubels hinten auf seinem Wagen, verlassen und ausgenutzt. Am liebsten wäre er gleich gestorben, doch wenn er das tun würde, würden ihn die beiden Brüder sicher töten.... Er überlegte, um nachzuprüfen, ob sein Gedanke korrekt war, doch er kam so oder so zu dem gleichen Ergebnis, dass er nämlich nicht mehr wusste, was er soeben gedacht hatte. Nun ging der Weg etwas bergab und kurvte leicht nach rechts zu den Wäldern hinunter. Nun war es fast dunkel und bald würden die Schattenwesen aus ihren Verstecken wieder völlig gesund und munter hervortreten. Das Problem war, wenn ein Kämpfer für das Gute starb, stünde er als Schattenwesen wieder auf und würde gegen die eigenen Leute kämpfen. Aber wenn ein Schattenwesen starb... nein, das konnte es gar nicht, es konnte nur zerstört werden. Also wenn ein Schattenwesen zerstört worden war, würde es in der nächsten Nacht wieder zu neuem Leben erwachen. Solange Muragecht das Schwert besaß, konnten die Bösen nur zurück gedrängt, nicht aber vernichtet werden. Weit in der Ferne zwischen den Wolken erkannten sie schließlich die Bauernburg auf dem Berg. Die Sonne strahlte die prächtigen Türme, Dächer und Giebel golden an und erhellte die Berge auf ihrer westlichen Seite. Fast schon war der rotglühende Feuerball untergegangen und tauchte die bewaldete Umgebung nun in rotes, gleißendes Licht, welches von den glatten Felsen oder den Seen widergespiegelt wurden. 
Kaum eine Stunde bevor die Sonne tatsächlich untergegangen wäre, erreichten sie den Rand des Sumpfes und Sam machte sich auf und davon, noch rechtzeitig auf der Bauernburg zu sein.
Ein modriger Geruch schlug ihnen in die Nase und giftige Nebel erhoben sich von dem dreckigen Tümpelwasser des Sumpfes. Der Wind säuselte leicht in ihre Ohren und ihre Bewegungen schienen träger zu werden, doch mutig setzten sie einen Fuß vor den anderen und hinterließen jedes mal einen tiefen Abdruck im Schlamm. Gerippe von Ochsen oder anderen Tieren lagen mit Algen behangen in den tiefsten Stellen des Sumpfes und mitten zwischen den Knochen ragten spitze, zahnartige Felsen empor, und um einen dieser Felsen waren Fackeln in den schwarzen Schlamm gesteckt. Hier regnete es leicht und die nieselnden Regentropfen durchnässten ihre Mäntel, welche sie sich zum Schutze übergestreift hatten. Die Kapuzen hatten sie Tief in die Stirn gezogen und sie versuchten mit den Füßen tastend die besten Stellen im Sumpf zu finden, doch jetzt schon steckten sie fast bis zu den Knien im Matsch. Immer wenn ein Regentropfen auf dem Wasser landete, tat es ein platschendes Geräusch und viele kleinere Tropfen explodierten aus dem einen. Bald wurde der Regen stärker und auch der wild nach allen Seiten tosende Wind nahm zu. Die Schatten wurden länger, doch war es in dem Sumpf so dunkel, dass man diese nur schemenhaft auf dem schwarzen Boden erkennen konnte. Nach geraumer Zeit erreichten sie einen mit Fackeln gespickten Weg, welcher sich in vielen kurzen und Drehungen zu einem besonders großen, kegelförmigen Felsen schlängelte. In den Weg hatte man Bambusröhren gelegt, um sicher über den Sumpf gehen zu können, doch der grüne Stamm war rutschig und fast wären sie hingefallen. Plötzlich tauchte aus dem Nebel vor ihnen eine kleine, direkt an den Fels gebaute Hütte auf. Auf ihrem Dach lagen feuchte Algen und nasser Schlamm und die Glut der Fackeln beleuchtete nur wenig von den Schatten in der Ecke. 
"Das soll das Haus sein? Hier lebt doch eher eine Hexe!" versuchte Warior seinem Bruder klar zu machen, doch der wusste schon mehr und meinte über das Tosen des Sturmes hinweg:
"Du bist näher dran als du glaubst, Brüderchen!" Er sagte das in einem leicht abfallenden Ton und man hätte es als Provokation aufnehmen können, doch der Schwertträger verstand Savamir nicht so richtig und versuchte nachzuhaken:
"Was?" Doch dann begriff er: "Was...", echote er und zog die eine Braue hoch. "Du willst doch nicht etwa sagen, dass da drin eine..." Er wagte es nicht zu sagen.
"...Hexe ist?" vervollständigte Savamir den Satz seines Bruders und lächelte. "Es gibt so viel schreckliches in der Welt und du zitterst vor einer Hexe!"
"Aber was ist, wenn sie böse ist?" warf dieser ein und hob die Arme um seinem Bruder visionsartig die Gefahr zu zeigen.
"Das sind sie meistens!" Während Savamir weiter über die Holzplanken auf die Hütte zustieg, blieb Warior stehen und deutete mit dem Finger auf den vermeintlichen Krieger. Er holte tief Luft und wedelte weiter anklagend mit dem Finger.
"Ich werde jetzt zu den Andern gehen und... und..." ihm fiel nichts weiteres ein, er winkte ab und verschwand schließlich wieder in Richtung Waldrand. Ein Lächeln huschte über Savamir’s Gesicht und er verzog die Augen, strich sich durch das dunkelblonde Haar und tat dann die letzten paar Schritte zu der Hütte. Genau in dem Moment als er anklopfte zuckte ein gleißender Blitz über den Himmel und es wurde schlagartig dunkel, dann donnerte es polternd und krachend. Mit einem quietschen wurde die kleine Tür aufgezogen und eine alte, weißgraue Dame mit Haaren wie Silber stand vor ihm und musterte ihn eindringen.
"Du musst Savamir Gondolin sein!" flüsterte sie mit einer krächzenden Stimme. Am Körper trug sie fließende Tierfelle und auf dem Kopf einen wurzelartigen Hut. In ihrer knochigen, mit spitzen Fingernägeln gespickten Hand hielt sie einen knorrigen, alten Stab und sie hatte tiefe Falten in ihrem heimtückischen Gesicht. Fast Furchen, konnte man dazu sagen und ihre Füße steckten in ledernen Pantoffeln. 
"Komm doch rein!" hauchte sie dann. "Du musst nass sein und frieren!" Immer noch schweigend trat Savamir dann ein und obwohl er nicht wusste ,was er zu sagen hatte, versuchte er mit ihr ein angeregtes, aber dennoch langatmiges Gespräch zu führen.

Als die Türme aus schwarzen Wurzeln, welche lila schimmerten, aufbrachen, entstiegen ihnen Gilde des Todes, Diener der Unterwelt und Lakaien des Muragecht. 

- Als die drei Gefährten erkannten, dass die Sonne hinter dem Berg verschwunden war, zersprangen die Kokons der Schattenwesen und sie wurden mit viel Gekreische und Gebrüll verfolgt. Ein schwarzer Pfeil durchbohrte Isribus Schulter und dieser fiel, sich noch im Flug krümmend, in den sogleich aufspritzenden Sand und hielt krampfhaft seine Wunde, aus welcher Blut hervor trat. Die anderen rannten weiter und versuchten noch zu entkommen, doch aus den Flüchtenden trat Badenius plötzlich hervor und stellte sich mit gezücktem Schwert den geifernden Monstern entgegen.  -
Gisildur wachte auf und ging nach einem ausgiebigen Frühstück/Abendessen in den Hof hinaus, um kurz auszutreten, denn ihr Abreisetermin war für den Einbruch der Dunkelheit geplant und sichtlich war es jetzt so weit. 
- Zum Zeitvertreib schlenderte Gisildur die kleine Böschung zur Wüste hinauf und pfiff dabei ein frohes Liedchen. Der schon dunkler werdende Himmel war von Wolkenfetzen verhangen und der Mond schien sachte hindurch. Weiter vorne im Sand beobachtete er ein reges Treiben und als er genauen hinsah, erkannte er seine Freunde auf der Flucht vor den Schattenwesen, die zu Tausenden herumwuselten.  -
Sam erreichte gerade so die Bauernburg, bevor das Gewimmel von Monstern in der Umgebung losbrach.

Badenius zertrennte mit einem gekonnten Schlag den ersten seiner Gegner. Das schwarze Blut spritze ihm ins Gesicht, doch das ließ ihn völlig kalt. Langsam begann Isribus sich wieder zu bewegen und versuchte sich erneut aufzurichten, doch der Pfeil steckte so tief drin, dass die Spitze bei jeder seiner Bewegungen auf eine sehr empfindliche Sehne stieß. Ein Gefühl der Wut umkrampfte ihn nun und er ließ die Luft durch die Zähne in den aufwirbelnden Staub gleiten, dann zog er mit einem schnellen Ruck den Pfeil heraus und stöhnte auf. In dem Moment war ein schwarzes, verbeultes Wesen vor ihm aufgetaucht und geiferte ihn mit seinen großen, scharfen, geschwungenen Zähnen an. Wütend ließ er den Schmerz aus seinem Körper heraus und stieß das schwarze Holz mit der geschliffenen, eisernen Spitze voran mitten in das verunstaltete Gesicht des Schattenwesens. Es kreischte auf, doch holte schon zu einem Schlag mit seinen sichelartigen Klauen aus, aber bevor es Savamir erreichte, schlug Badenius mit einer kreisenden Bewegung um sich und trennte dem Bösen das Haupt von den Schultern, dann schulterte er den fast gefallenen und flüchtete vor seinen aufbrausenden Feinden in die Richtung, in welche seine Freunde verschwunden waren.
 

© Benedikt Julian Behnke
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
Und schon geht's weiter zum 9. Kapitel (4. Kapitel des 2. Buches): Der seltsame Kerl

.
www.drachental.de