Das Drachentor von Florian Großmann
2. Kapitel

Alle blickten Treverios entgegen, als dieser den großen Sitzungssaal betrat, der sich im Hauptturm des Rathauses befand.
Auf seinem Gesicht spiegelte sich blanker Zorn wider.
"Ihr habt euch also gegen meinen Rat gestellt?! Der Junge ist noch nicht soweit. Das wisst ihr alle. Und ich kann eure Entscheidung nicht gutheißen.
Außerdem..."
"Haltet ein, Treverios. Wir wissen euren Rat sehr wohl zu schätzen, aber es lässt sich nicht weiter herauszögern. Einer der Außenposten hat gestern Abend einen Drachen der Maharaner gesichtet.", sagte Unfios, der zweite Weise, ruhig.
"Unmöglich, das kann nicht sein. Das würde ja bedeuten, dass sie sich auf einen neuen Krieg vorbereiten. Aber warum?"
"Eine unserer Kampfplattformen ist in der letzten Schlacht mit den Dunklen zerstört worden und in ihre Hauptstadt gestürzt. Dort wurde viel Schaden angerichtet. Und die Maharaner haben uns daraufhin den Krieg erklärt. Wir werden den Jungen so schnell wie möglich zu Trickpa bringen. Er wird sich die nächsten Jahre um ihn kümmern. Das ist der Entschluss des ersten Rates der Stadt Hirawa.", sprach Ion, der erste Weise, entschlossen.
"Lässt es sich nicht vielleicht doch verhindern? Der Junge hat noch keine Ahnung von seinen Kräften und könnte noch ein paar Jahre normal weiterleben.", sagte Treverios und versuchte dabei ruhig zu bleiben.
"Treverios, so verstehe doch. Wir haben Krieg. Wir wissen nicht einmal, ob das hier in ein paar Tagen noch unsere Stadt ist."
Treverios ließ sich resigniert in einen der Schwebestühle fallen.
"Außerdem gibt es noch ein Problem. In ihrer grenzenlosen Wut haben diese Idioten von den Maharanern ein Bündnis mit den Dunklen geschlossen."
Aus Treverios' Gesicht wich alles Blut und sein ohnehin schon blasses Äußeres wurde kreideweiß. Er erlitt einen Schwächeanfall und wäre hart auf dem schönen Marmorboden aufgeschlagen, wenn Unfios ihn nicht aufgefangen hätte.
"Danke, Unfios. Diese Informationen dürfen nicht verheimlicht werden. Wir müssen die Bevölkerung warnen. Wo ist das Amulett des Schicksals jetzt?" fragte Treverios zu Ion gewandt. Dieser faltete die Hände wie zum Gebet und hielt sie sich ans Kinn.
"Es befindet sich zur Zeit in Dragtown und wird morgen mit dem Jungen zu Kajlo Trickpa gebracht.", antwortete Ion nach einigen Momenten.
"Also dann..."
Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch schien das Panoramafenster des Turms förmlich zu explodieren. Große Stücke der Wand fielen auf die drei Männer hinab. Eines hätte wahrscheinlich Ion zerquetscht, wenn Treverios nicht zur Stelle gewesen wäre und einen Schwebezauber auf das Mauerstück geschickt hätte, das jetzt knapp eine Handbreit über Ion zum Stehen kam.
"Raus hier!", brüllte Treverios den beiden anderen zu.
Während sie die steile Treppe des Turms mehr hinabfielen als rannten, hörten sie wieder ein ohrenbetäubendes Geräusch.
"Das war der Kampfschrei eines Schwarzdrachen. Die Dunklen sind gekommen, um sich das Amulett des Schicksals zu holen. Treverios, nimm den Fluchttunnel im Keller. Der führt direkt ins Wohnviertel. Dort schnappst du dir den Jungen und flüchtest mit ihm nach Dragtown. Kajlo Trickpa wird euch erwarten. Nun geht und vergesst nie, was für eine Bestimmung der Junge hat!", schrie Ion. Seine Worte wurden fast verschluckt vom Kampfgetöse, das inzwischen draußen ausgebrochen war. Als sie im angrenzenden Stall des Turms ankamen, sattelten Ion und Unfios ihre Pferde und Treverios rannte weiter durch den Stall zur Kellertür.
"Auf ein baldiges Wiedersehen. Unser nächstes Ziel ist die Festung der Gardiens!", hörte Treverios Ion noch brüllen.
"Auf ein baldiges Wiedersehen!", entgegnete Treverios noch, obwohl die beiden anderen schon aus dem Stall geritten waren.
Der Geheimtunnel, so stellte es sich heraus, war nichts anderes als ein Abflussrohr. Das Durchqueren wurde zu einer grausamen Qual. Durch die Rinnsteine, die mit diesem Kanal verbunden waren, floss ein nicht abbrechender Strom von Blut und die klagenden Laute der Sterbenden dröhnten ihm im Kopf.
Treverios musste sich nach einer Weile übergeben, weil er den Gestank der Schlacht, der ihm inzwischen auch in den Haaren und an der Kleidung klebte, nicht mehr ertragen konnte. Leider gab es keinen Zauber dagegen und so musste er auf seinem Weg immer wieder mit der Übelkeit kämpfen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis das Rohr nach einer scharfen Rechtskurve plötzlich aufhörte und er am Ende des Wohnviertels aus dem Rohr kletterte. Er zog seinen Mantel aus und warf ihn so weit von sich weg wie er konnte. Dann machte er sich auf den Weg zum Haus des Jungen.
Es war ein kleines, schmuddeliges Haus, neben anderen, schmuddeligen Häusern, entlang einer Straße, die aus festgetretener Erde bestand. Unglaublich wie ruhig es hier noch war. Das hieß, dass sie den internen Zauberwall noch nicht durchbrechen konnten. Gut. Er hatte lange an dem Ding gearbeitet und oft hatte es nicht geklappt. Doch dieses Mal schien es seinen Zweck zu erfüllen. Trotzdem war Eile geboten, denn sein Vertrauen in den Wall war nicht gerade überzeugend.
Er hoffte, dass der Junge die ankommenden Truppen vom Landeplatz des Drachens aus gesehen hatte und sofort zu seiner Familie gelaufen war, um sie zu warnen. Und tatsächlich sah er Jim aus einem der Häuser rausrennen, zusammen mit einem Leinenbündel in den Armen.
"Jim! Hier drüben!" schrie Treverios.
"Meine Eltern. Ich muss meine Eltern retten!"
"Dafür haben wir keine Zeit. Ich muss dich sofort hier wegbringen, bevor sie dich finden. Außerdem ist es schon zu spät, um deine Eltern zu warnen."
"Nein!! Ich glaube ihnen kein Wort", brüllte Jim, drehte auf dem Absatz um und rannte Richtung Schlacht.
Mit einem Zauber brachte Treverios Jim zu Fall, der schwer auf dem Boden aufschlug und dort liegen blieb. So schnell er konnte lief Treverios zum nächstbesten Stall, band das erste Pferde los, das er in einer Box erkannte, und brachte es zu der Stelle, an der Jim lag. Mühsam hievte er den Körper des Jungen auf das Pferd, saß selber auf und ritt im Galopp Richtung Nordtor, weg von der Schlacht.
Ein Gong ertönte, der die ganze Stadt sanft vibrieren ließ. Er hatte dieses Geräusch schon oft gehört. Zu oft. Es war das Geräusch des zerbrechenden Zauberwalls.
Bis zum Südtor waren es bestimmt noch zwei Minuten im Galopp und im Hintergrund konnte er nun deutlich hören, wie Hufgetrampel immer näher kam. Dadurch abgelenkt merkte er nicht, was vor ihm war. Der Schwarze Drache wollte sie an der Flucht hindern.
"Treverios! Pass auf!", heulte Jim, der seine Kopfschmerzen kaum noch ertragen konnte und trotzdem alles mit einer erschreckenden Klarheit mitbekam - Treverios, wie er sich verdutzt umdrehte und voller Schrecken dem Drachen entgegensah. Der Drache selber, wie er sich aufbäumte, bereit ihnen den Gnadenstoß zu versetzen.
Und dann - war der Schwarze Drache auf einmal weg.
Trotz dem rasenden Schmerz hinter seiner Stirn hob er den Kopf und fing aus Freude an zu heulen. Denn oben am Himmel sah er Shiw, der den nun leblosen Körper des Schwarzen Drachens im Maul hielt. Es musste ihm ungeheure Kraft kosten, denn das Blut des Schwarzen Drachen, mit dem Shiws Maul und Kopf inzwischen überzogen waren, war höchst ätzend und auch für ausgebildete Kampfdrachen äußerst gefährlich.
"Ich danke dir - mein Freund!", vermochte Jim noch zu schluchzen, bevor er wieder ihn Ohnmacht fiel.
Zusammen mit Treverios ritt er durch das Südtor hinaus in die Dunkelheit der Nacht.
Doch nicht allein.
 
© Florian Großmann
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Und schon geht's weiter zum 3. Kapitel...

An dieser Geschichte darf jeder, der möchte, mitschreiben!
Genauere Infos dazu stehen am Ende des neuesten Kapitels.

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