Das Drachentor von Florian Großmann
6. Kapitel - von Elfenfeuer

"Angst vor der Angst? Was meinst du..."
Die Worte auf Jims Zunge erstarben, als er bemerkte, wie Treverios und Kajlo Trickpa sich unsichere Blicke zuwarfen. Stand in diesen Blicken nicht Zweifel geschrieben? Glaubten der ehrwürdige Schulleiter und der Schwertmeister, dass er den großen Test nicht bestehen würde?
"Was? Der Knilch will den großen Test bestehen?"
Jims Kopf fuhr herum. Ein bärtiger Drachenreiter - sein Name war Carados und er ritt einen prächtigen Smaragddrachen - hielt seinen Bauch vor Lachen.
"Niemals!" verkündete die rothaarige Tess, die Jim einige Tricks mit dem Schwert beigebracht hatte. "Der Knabe mag ja ein klein wenig Begabung haben, aber ein paar Monate Training und eine Handvoll geglückte Zauber machen noch lange keinen Drachenreiter."
Viele der Umstehenden stimmten Tess zu.
"Mir sind seit langem keine Zauber mehr missglückt", verteidigte sich Jim.
"Oh ja", nickte Yaa und imitierte seinen Schützling: "Und ich habe mich seit langem nicht mehr an einem Messer geschnitten."
"Und ich durfte auch schon ganz alleine in den finsteren Wald", fügte eine weitere, gesichtslose Stimme aus dem Hintergrund hinzu.
"Ich... das..." Jim wurde mit einem Mal fürchterlich flau im Magen. Warum machten sie sich über ihn lustig?
Rasch kamen seine alten Zweifel wieder auf. Hatte er nicht seinerzeit in Hirawa alle Lehrmeister der Magieschule zur Verzweiflung getrieben? War er nicht bloß ein sechzehnjähriger Junge, der lediglich davon träumte Krieger zu werden. Vermutlich würde er gleich aufwachen und all das war doch nur ein Traum gewesen: Shiw, Trickpa, seine Freunde, das Training und der Junge Joran.
Doch anstatt aufzuwachen, gingen die Neckereien weiter.
"Das ist doch der Bursche, den Treverios damals halb ohnmächtig vor Angst aus Hirawa mitgebracht hat?"
"Haben unsere Leute nicht genug um die Ohren, um diesen Nichtsnutz durchzufüttern?"
"Seit zwei Jahren tobt der Krieg. Wir brauchen jeden Mann an der Front und keine Kindermädchen hier in Dragtown!"
"Und mit so einem verschwenden wir hier unsere Zeit?"
Jim war den Tränen nahe.
"Nein, nein, nein!" rief er schluchzend und hielt sich verzweifelt die Ohren zu. "Ich bin kein Versager!"
Doch seine eigenen Worte klangen wie Hohn in seinen Ohren und er wusste, dass sie alle Recht hatten. Dann bemerkte er, wie Treverios sich zu ihm vorlehnte und ihm gütig in die Augen sah.
"Jim, mein Junge, wenn du Angst hast, oder dich nicht stark genug fühlst, deine Aufgabe zu bewältigen, dann sag es uns. Wir werden dich dann nicht mehr belasten."
Treverios' Worte waren Balsam auf Jims Seele und er hörte die Schmährufe im Hintergrund schon nicht mehr.
Ja, sie hatten sich in ihm geirrt. Treverios, Trickpa, der Kaloshin und auch diese seltsame, kleine Kreatur Yaa. Wenn er, Jim, die letzte Hoffnung war, dann sollten sie sich besser jemand anderes suchen. Und er würde wieder nach hause gehen. Zu seinen Eltern, die ihn liebten und die sich sicher um ihn große Sorgen machten.
Jim hatte soviel Angst vor all den Gefahren da draußen, doch jetzt fühlte er sich unendlich erleichtert. Er hatte eine Entscheidung getroffen.
"Kann ich dann endlich... nach hause gehen", hatte Jim fragen wollen, doch nach den ersten drei Worten sah er plötzlich in ein weiteres Gesicht.
Jim erkannte den Jungen vor dem Tor wieder. Der in der ersten Vision so entsetzt gewesen war. Joran. Und Jim erkannte, dass Joran lächelte. Ihn anlächelte.
Komm. Komm zu mir. Sieh, ich habe sie alle getötet. Und nicht nur das. Ich habe auch alles in Schutt und Asche gelegt. Das war ich. Und auch ich habe schreckliche Angst bekommen. Wer würde der nächste sein? Oh, ich war zornig und wollte, dass jemand dafür bezahlt. Und deswegen habe ich weiter gemacht. Und jetzt stehst du an der gleichen Stelle wie ich. Du hast noch niemanden getötet, so wie ich. Aber jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben. Du kannst einfach zu deinen Eltern gehen. Sie warten noch immer auf dich.
"Du kennst meine Eltern?" fragte Jim verblüfft. "Wie geht es ihnen?"
Oh, es geht ihnen gut. Sie sind in Hirawa und warten schon sehnsüchtig auf ihren so groß gewordenen Sohn.
Jims Herz machte einen Freudensprung. Er hatte es gewusst. Seine Eltern lebten! Und sie warteten in Hirawa auf ihn. Er brauchte nur noch dorthin zurück. So einfach war das. Wozu Krieger werden - und womöglich von einem Drachen zum Frühstück verspeist werden -, wenn man zuhause am Kamin sitzen und Mutter beim Sticken zusehen konnte?
Jim lachte vergnügt. Sollten sie doch ohne ihn auskommen, wenn sie ihn denn bloß auslachten.
Er grinste fröhlich, wie damals, als er der Bäckerstochter einen Frosch unter ihren Rock gesetzt hatte.
Joran grinste auch.
Zugegeben, dachte Jim belustigt, das war nicht die feine Art. Aber es war lustig.
Und gemein.
So wie Jorans Grinsen. Wütend, verzweifelt, ungezügelt und boshaft.
Jim stutzte. Irgendetwas hatte er übersehen. Was war es noch einmal?
"Ehm, und wie komme ich nach Hirawa?" fiel Jim plötzlich ein.
Fürchte dich nicht. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Komm einfach mit mir. Ist es nicht ganz einfach?
Jim nickte.
Ja, es war doch so einfach. Er tat einen Schritt vor. Die Umrisse des Tores mit dem Drachenkopf, das er vor zwei Jahren schon einmal gesehen hatte, erschienen schemenhaft hinter dem Jungen Joran. Der Drachenkopf wirkte bedrohlich. Fast hatte er den Eindruck, als würden die Drachenaugen ihn anstarren und all seinen Bewegungen folgen.
Jim stockte.
Hab keine Angst.
Plötzlich loderten die Drachenaugen auf, wie ein feuriger Blitz vor blutrotem Gewitterhimmel. Jim spürte, wie eine gewaltige, unendliche Kraft seinen Körper durchfuhr. Wie damals, als er den Drachen Shiw geheilt hatte. Doch diesmal um Myriaden gewaltiger und heißer. Für einen Moment glaubte Jim zu sterben, und das Feuer der Macht rauschte wie eine riesige Lavawelle durch seinen Körper.
Doch anstatt ihn zu verglühen, trieb die Hitzewelle die Angst vor sich her. Und aus Jims Körper hinaus. Dann war der Spuk ebenso schnell vorbei, wie er gekommen war.
"Ich habe keine Angst mehr!" verkündete Jim trocken.
Das werden wir sehen. Dann, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Und der Junge Joran verblasste.
Jim blinzelte, als er sich wieder auf dem Übungsplatz befand und in die vertrauten Gesichter seiner Lehrer und Trainingsgefährten schaute.
"Jim, mit wem hast du gesprochen?" fragte Treverios besorgt. Jim hatte den Magiemeister noch nie so betroffen gesehen.
"Mit Joran."
Treverios riß seine Augen auf und hinter ihm keuchte Yaa auf.
"Du hast mit ihm gesprochen? Hier?" wollte Trickpa wissen.
"D-d-das ist unmöglich", stammelte Yaa.
Jim nickte zögernd, aber entschieden. Was war an diesem Joran so besonders? Warum fürchteten seine Lehrer ihn so offensichtlich?
"Was hat er von dir gewollt? Wir hörten wie du deine Eltern erwähntest und wie du nach dem Weg nach Hirawa fragtest."
"Joran erzählte mir davon." Jim verzog das traurig sein Gesicht. "Meine Eltern sind dort und er wollte mich zu ihnen bringen. Durch das Tor."
Treverios und der Schwermeister schauten sich vielsagend an.
"Dann verteidige dich, wenn dir dein Leben lieb ist!" rief Kajlo Trickpa und zog Stahldrache, sein berühmtes Langschwert und Wahrzeichen des Schwertmeisters.
 
6. Kapitel: © Elfenfeuer
Anfangs-Story: © Florian Großmann
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Und schon geht's weiter zum 7. Kapitel...

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