Ein Tag zuvor:
Linas Augen wanderten mit traurigem Blick über das Schlachtfeld,
was sich ihr zu ihren Füßen darbot. Sie war mit ihrem Drachen,
Semera, auf einem Felsvorsprung gelandet, um sich einen Überblick
zu verschaffen. Der eigentliche Kampf war schon seit Stunden vorbei, doch
noch immer klang das Wehklagen der Verletzten zu ihr hinauf. Sie war zu
spät gekommen.
Langsam fischte Lina eine Pergamentrolle aus ihrer großen
Tasche, die sie an der Flanke ihres Drachen festgemacht hatte. Eigentlich
wäre sie für den Feldherren dieses Bataillons gewesen, das nun
zu ihren Füßen lag. Die Dunklen waren schneller gewesen.
Obwohl Semera heftig protestierte, es könnte ja noch sein,
dass Dunkle in der Nähe waren, suchte sich Lina einen schmalen Pfad
hinuntern auf die Ebene. Semera blieb auf dem Vorsprung zurück, man
wollte ja nicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als unbedingt nötig.
Lina kämpfte mit der Übelkeit, als sie um die Kadaver und
über die noch frisch aufgewirbelte blutige Erde lief. Ein süßlicher
Geruch hing in der Luft. Von hier unten sah es noch schlimmer aus, als
auf Distanz. Wieder war Lina froh, nicht die Laufbahn einer Kriegerin,
sondern der einer Botin eingeschlagen zu haben.
Immerhin, Boten waren im Krieg fast genauso wichtig, wenn nicht
sogar wichtiger, denn sie transportierten Strategien, Güter, oder
auch Verletzte, und konnten damit kriegsentscheidend sein. Außerdem
war die Lebenserwartung deutlich höher, wenn man sich nicht zu dumm
anstellte.
Etwa eine halbe Stunde später hatte Lina den Führer des
Bataillons gefunden. Von ihm und seinem Drachen war nicht mehr viel übrig,
und Lina musste sich abwenden, als sie sich übergab.
Nachdem ihr Magen das gesamte Essen wieder von sich gegeben hatte,
fiel Linas Blick auf eine der Jackentaschen des Verstorbenen. Sie war unnatürlich
ausgebeult.
Normalerweise war es nicht Linas Art, doch ihre Neugierde siegte.
Was auch immer es war, sicherlich erhob keiner der Anwesenden mehr Anspruch
darauf, und vielleicht konnte es etwas über den Krieg enthalten.
Mit spitzen Fingern und gegen den erneuten Brechreiz ankämpfend
schlug Lina die Reste des Mantels zur Seite.
In einer Innentasche steckte ein kleines Büchlein, welches
in ein wasser- und säurefestes Tuch eingeschlagen worden war. Auf
dem Tuch stand nur ein Wort: 'Trickpa'.
.
Kurz nach Jims Test und noch während des Kampfes:
Noch während der Kampf der Drachen in den Wolken tobte, näherte
sich aus Westen ein Punkt, dessen Silhouette rasch größer wurde
und sich als die Form eines Drachens entpuppte.
Jemand, der dem Test als Zeuge beiwohnte, entdeckte ihn als erstes,
und seinem Ausruf folgend drehte sich eine Vielzahl von Augenpaaren in
die entsprechende Richtung.
Rein schon aus Vorsicht zog Kujlo sein Schwert, während Jim
immer noch dem Kampf der Drachen zusah, der ihn ganz in seinen Bann gezogen
hatte.
Kajlo meinte sich zu erinnern, dass sich, von wo dieser Fremde da
grade kam, in ungefähr zwei Tagesreisen eine der Kampflinien befand.
Sollten die Dunklen etwa auf die Idee gekommen sein, einen Kamikaze-Angriff
zu starten? Doch er verwarf den Gedanken wieder. Dunkle reisten doch nie
allein, und besonders nicht so, dass sie schon meilenweit vorher sichtbar
waren, und - er warf einen Blick hinüber zu den anderen Drachen, doch
diese machten keinerlei Anstalten, sich in die Lüfte erheben zu wollen
- würden ihre Drachen die Dunklen doch schon früher erfassen
und gegen sie in den Kampf ziehen.
Noch während Kajlo diesen Gedanken hinterherhing, trat Treverios
neben ihn, und legte die Hand auf den Schwertarm. Fast unmerklich schüttelte
er den Kopf. Offenbar war er zu dem gleichen Ergebnis gekommen.
Es dauerte noch knapp zwei Minuten ehe der Drache den Übungsplatz
erreicht hatte und grade so im Tiefflug über die Köpfe der Anwesenden
schon förmlich hinwegsäbelte, so dass der Eindruck entstehen
konnte, man könne ihn mit der ausgestreckten Hand erreichen.
Alles andere als elegant und eine Schleifspur hinter sich herziehend
landete der Drache extrem unsanft direkt hinter den Anwesend. Müde
und erschöpft kauerte er sich soweit nieder, dass sein Reiter absteigen
konnte, der ebenfalls einen alles andere als fitten Eindruck machte, als
er von seinem Sattel hinunter zur Erde rutschte, wo die Beine fast ihren
Dienst versagten, und er nur nicht fiel, weil er sich an einer der Schwingen
des Drachen abstützte.
Mit einer schon fast fahrigen Bewegung wischte der Reiter seine
Brille aus dem Gesich, wobei sich auch die Mütze löste und unbeachtet
zu Boden fiel. Darunter kamen kurze, schwarze Haare zum Vorschein, die
von einem kleinen Gummi zu einem Pferdeschwanz gehalten wurden. Der Reiter
war eine Reiterin, und sie machte sich an den Packtaschen an ihrem Drachen
zu schaffen.
Die Reiterin entnahm der Taschen ein kleines Etwas und kam dann
mit schwankenden Schritten auf Kajlo zu, wobei Anwesende zur Seite wichen
und ihr so Platz schafften. Ihr Drache folgte ihr schon mit einem sorgenvollen,
aber auch müden Blick.
Kurz vor Kajlo, zumindest hoffte sie, dass sie ihn vor sich hatte,
immerhin trug er das größte Schwert von allen, blieb Lina stehen
und streckte ihm das Büchlein hin, das wieder im Tuch eingeschlagen
war. "Ich hoffe, ich bin hier richtig", brachte sie noch hervor, bevor
sie die Augen verdrehte und die Beine entgültig ihren Dienst versagten.
.
Einige Hinweise von Pai (mit Florian Großmann
abgesprochen):
Die Pergamentrolle existiert nicht mehr. Denn jede
Sendung, die etwas mit dem Krieg zu tun hat, ist bei Unzustellbarkeit unverzüglich
zu vernichten. So soll verhindert werden, dass der Feind an Informationen
gelangt. Zudem sind die Botschaften in einem speziellen Code verfasst,
dessen Lösung nur der Empfänger kennt. Einzig und allein der
Name steht meist in Normalschrift auf der Botschaft.
Um zu verhindern, dass der Feind zuviel erfahren kann,
transportiert jeder Bote nie mehr als eine Nachricht gleichzeitig.
10. Kapitel: © Pai
Anfangs-Story: © Florian
Großmann
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