Das Drachentor von Florian Großmann
10. Kapitel - von Pai

Ein Tag zuvor:

Linas Augen wanderten mit traurigem Blick über das Schlachtfeld, was sich ihr zu ihren Füßen darbot. Sie war mit ihrem Drachen, Semera, auf einem Felsvorsprung gelandet, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der eigentliche Kampf war schon seit Stunden vorbei, doch noch immer klang das Wehklagen der Verletzten zu ihr hinauf. Sie war zu spät gekommen.
Langsam fischte Lina eine Pergamentrolle aus ihrer großen Tasche, die sie an der Flanke ihres Drachen festgemacht hatte. Eigentlich wäre sie für den Feldherren dieses Bataillons gewesen, das nun zu ihren Füßen lag. Die Dunklen waren schneller gewesen.
Obwohl Semera heftig protestierte, es könnte ja noch sein, dass Dunkle in der Nähe waren, suchte sich Lina einen schmalen Pfad hinuntern auf die Ebene. Semera blieb auf dem Vorsprung zurück, man wollte ja nicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als unbedingt nötig.

Lina kämpfte mit der Übelkeit, als sie um die Kadaver und über die noch frisch aufgewirbelte blutige Erde lief. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Von hier unten sah es noch schlimmer aus, als auf Distanz. Wieder war Lina froh, nicht die Laufbahn einer Kriegerin, sondern der einer Botin eingeschlagen zu haben.
Immerhin, Boten waren im Krieg fast genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, denn sie transportierten Strategien, Güter, oder auch Verletzte, und konnten damit kriegsentscheidend sein. Außerdem war die Lebenserwartung deutlich höher, wenn man sich nicht zu dumm anstellte.

Etwa eine halbe Stunde später hatte Lina den Führer des Bataillons gefunden. Von ihm und seinem Drachen war nicht mehr viel übrig, und Lina musste sich abwenden, als sie sich übergab.
Nachdem ihr Magen das gesamte Essen wieder von sich gegeben hatte, fiel Linas Blick auf eine der Jackentaschen des Verstorbenen. Sie war unnatürlich ausgebeult.
Normalerweise war es nicht Linas Art, doch ihre Neugierde siegte. Was auch immer es war, sicherlich erhob keiner der Anwesenden mehr Anspruch darauf, und vielleicht konnte es etwas über den Krieg enthalten.
Mit spitzen Fingern und gegen den erneuten Brechreiz ankämpfend schlug Lina die Reste des Mantels zur Seite.
In einer Innentasche steckte ein kleines Büchlein, welches in ein wasser- und säurefestes Tuch eingeschlagen worden war. Auf dem Tuch stand nur ein Wort: 'Trickpa'.

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Kurz nach Jims Test und noch während des Kampfes:

Noch während der Kampf der Drachen in den Wolken tobte, näherte sich aus Westen ein Punkt, dessen Silhouette rasch größer wurde und sich als die Form eines Drachens entpuppte.
Jemand, der dem Test als Zeuge beiwohnte, entdeckte ihn als erstes, und seinem Ausruf folgend drehte sich eine Vielzahl von Augenpaaren in die entsprechende Richtung.
Rein schon aus Vorsicht zog Kujlo sein Schwert, während Jim immer noch dem Kampf der Drachen zusah, der ihn ganz in seinen Bann gezogen hatte.
Kajlo meinte sich zu erinnern, dass sich, von wo dieser Fremde da grade kam, in ungefähr zwei Tagesreisen eine der Kampflinien befand. Sollten die Dunklen etwa auf die Idee gekommen sein, einen Kamikaze-Angriff zu starten? Doch er verwarf den Gedanken wieder. Dunkle reisten doch nie allein, und besonders nicht so, dass sie schon meilenweit vorher sichtbar waren, und - er warf einen Blick hinüber zu den anderen Drachen, doch diese machten keinerlei Anstalten, sich in die Lüfte erheben zu wollen - würden ihre Drachen die Dunklen doch schon früher erfassen und gegen sie in den Kampf ziehen.
Noch während Kajlo diesen Gedanken hinterherhing, trat Treverios neben ihn, und legte die Hand auf den Schwertarm. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf. Offenbar war er zu dem gleichen Ergebnis gekommen.

Es dauerte noch knapp zwei Minuten ehe der Drache den Übungsplatz erreicht hatte und grade so im Tiefflug über die Köpfe der Anwesenden schon förmlich hinwegsäbelte, so dass der Eindruck entstehen konnte, man könne ihn mit der ausgestreckten Hand erreichen.
Alles andere als elegant und eine Schleifspur hinter sich herziehend landete der Drache extrem unsanft direkt hinter den Anwesend. Müde und erschöpft kauerte er sich soweit nieder, dass sein Reiter absteigen konnte, der ebenfalls einen alles andere als fitten Eindruck machte, als er von seinem Sattel hinunter zur Erde rutschte, wo die Beine fast ihren Dienst versagten, und er nur nicht fiel, weil er sich an einer der Schwingen des Drachen abstützte.
Mit einer schon fast fahrigen Bewegung wischte der Reiter seine Brille aus dem Gesich, wobei sich auch die Mütze löste und unbeachtet zu Boden fiel. Darunter kamen kurze, schwarze Haare zum Vorschein, die von einem kleinen Gummi zu einem Pferdeschwanz gehalten wurden. Der Reiter war eine Reiterin, und sie machte sich an den Packtaschen an ihrem Drachen zu schaffen.
Die Reiterin entnahm der Taschen ein kleines Etwas und kam dann mit schwankenden Schritten auf Kajlo zu, wobei Anwesende zur Seite wichen und ihr so Platz schafften. Ihr Drache folgte ihr schon mit einem sorgenvollen, aber auch müden Blick.

Kurz vor Kajlo, zumindest hoffte sie, dass sie ihn vor sich hatte, immerhin trug er das größte Schwert von allen, blieb Lina stehen und streckte ihm das Büchlein hin, das wieder im Tuch eingeschlagen war. "Ich hoffe, ich bin hier richtig", brachte sie noch hervor, bevor sie die Augen verdrehte und die Beine entgültig ihren Dienst versagten.

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Einige Hinweise von Pai (mit Florian Großmann abgesprochen):

Die Pergamentrolle existiert nicht mehr. Denn jede Sendung, die etwas mit dem Krieg zu tun hat, ist bei Unzustellbarkeit unverzüglich zu vernichten. So soll verhindert werden, dass der Feind an Informationen gelangt. Zudem sind die Botschaften in einem speziellen Code verfasst, dessen Lösung nur der Empfänger kennt. Einzig und allein der Name steht meist in Normalschrift auf der Botschaft.
Um zu verhindern, dass der Feind zuviel erfahren kann, transportiert jeder Bote nie mehr als eine Nachricht gleichzeitig.
 

10. Kapitel: © Pai
Anfangs-Story: © Florian Großmann
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Und schon geht's weiter zum 11. Kapitel...

An dieser Geschichte darf jeder, der möchte, mitschreiben!
Genauere Infos dazu stehen am Ende des neuesten Kapitels.

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