Die Stunde der Meisteringenieure von Imladros
1. Kapitel: Der Hilferuf

Vier Tage waren vergangen, seit Migdo seine Schicht angetreten hatte. Die Kessel pfiffen munter vor sich hin, die Schutzkristalle leuchteten hell und erfüllten den von scharfen Felskanten umrandeten Abhang mit einem warmen, violetten Licht.
Migdo war indes von keinerlei Wärme erfüllt. Obwohl in einen dicken Mantel aus Büffelfell und mehrere Decken gehüllt, schlotterte er am ganzen Körper. Und noch viel mehr als sein von der arktischen Kälte geschundener Leib litt sein Ego unter dem Strafdienst im Herzen des Schneesturms.
Nach seinem vorletzten Streit mit Kulmar Hornhammer hatte er sich vorgenommen, in Zukunft sein Temperament zu zügeln und einfach zu tun, was man ihm befahl. Aber sein rotbärtiger Vorgesetzter war einfach zu dumm und machte zu dämliche Fehler, um sie zu ignorieren. Hätte Migdo nicht eingegriffen, wären ein halbes Dutzend Dampfkessel explodiert und eine ganze Heizhalle in Flammen aufgegangen. Zugegeben, er hatte ihn recht grob beiseite gestoßen und ihn einen unfähigen Idioten genannt, während er die Kessel neu justierte. Noch bevor er damit ganz fertig gewesen war, hatte Kulmar ihn zum Wachdienst auf dem Abhang verdonnert und ihm einen halben Wochenlohn gestrichen. Da der Leiter des Heizwerkes ein Vetter ersten Grades des ehrenwerten Mudokin Hornhammer war, war jeder Versuch des Protestes gegen seine Entscheidungen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Migdo war nichts anderes übrig geblieben, als sich zu fügen.
Und da saß er nun, inmitten eines Schneegestöbers unter dem tobenden Himmel des Weltenwutgebirges, angelehnt an die rostige Wand eines antiken magischen Abwehrturms. Seine Zehen waren halb erfroren, sein schöner schwarzer Bart steif und brüchig.
Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Einstiegsluke zu seiner Rechten. Warme Luft trat aus und bildete kleine Wölkchen, die sich in Sekundenschnelle wieder auflösten. Dann erschien ein zerfurchtes Gesicht, eingerahmt von dünnen weißen Strähnen, in der Öffnung und grinste ihn breit an.
"Du lebst ja immer noch!" meinte der greise Zwerg.
Migdo antwortete mit nichts weiter als einem wütenden Brummeln.
Der alte Zurgin Muspelmeister kletterte ins Freie und schloss die schwere Luke hinter sich, um sich dann neben ihm in den Schnee zu setzen. "So... nun, da du dich so gründlich abgekühlt hast, können wir vielleicht endlich miteinander reden", knurrte er und zog eine Flasche Brandwein aus seinem Mantel. "Und das hier wird uns dabei helfen, uns aufzuwärmen, bis deine Ablösung eintrifft."
Diesmal musste der jüngere Zwerg grinsen. "Wem gehört die Buddel?"
"Ach... das Warenlager der ehrenwerten Hornhammers platzt aus allen Nähten. Ab und zu muss mal jemand nach dem Rechten sehen und die alten Sachen aussortieren..."
Sie lachten beide. Zurgin zog den Korken aus der Flasche, spritzte einen kräftigen Schluck in den eiskalten Nordwind und reichte sie seinem jüngeren Kameraden. Migdo nahm einen kräftigen Zug. Es war ein guter Jahrgang, wahrscheinlich aus den Hügeltiefen des südlichen Königreichs. Er drückte dem Älteren das Gefäß in die Hand und erhob sich langsam, wobei er das Gefühl hatte, sein ganzer Körper würde jeden Augenblick in sich zusammenfallen.
"Mussten schon viele diesen Strafdienst schieben, seit du hier bist?" fragte er.
Der alte Zwerg wackelte nachdenklich mit seinem großen Kopf und gab zurück: "Bis jetzt haben es noch nicht viele geschafft, Kulmar derart zu reizen. Aber es stimmt, eine ganze Menge Leute aus dem Heizwerk haben hier draußen die eine oder andere Nacht verbracht."
"Du auch?"
Zurgin schnaubte verächtlich. "Nicht einmal die Titanen hätten mich dazu zwingen können!"

-

Eine halbe Stunde später schlurften die beiden Zwerge müde durch die erste Heizhalle. Der gewaltige Saal, vor mehr als dreihundert Jahren in das kalte Felsgestein des Berges Weltenwut gehauen, war erfüllt vom emsigen Treiben zahlloser Heizer und der schwelenden Hitze der riesigen Kesselöfen. Sie lieferten nicht nur die Wärme, die das Arbeiten in den von Natur aus eiskalten Stollen der Erzmine erst möglich machte, sondern trieben mit ihrer Dampfkraft auch die unzähligen großen und kleinen Maschinen an, mit denen die Zwerge ihr wertvolles Metall abbauten und veredelten.
Sie kamen an einem schwarzen Hochofen vorbei, an dem mehrere Vulgoblins arbeiteten. Ihre zierlichen, aschgrauen Körper widerstanden der kaum zu ertragenden Hitze des Ofens ohne Schwierigkeiten, was auch der einzige Grund war, warum die sonst extrem misstrauischen Zwerge ihre Anwesenheit duldeten.
Einer von ihnen wandte sich zu Zurgin und Migdo um und starrte sie aus seinen kleinen, schwarzen Kulleraugen an.
"Schau einer an", krähte er. "Sie haben das Großmaul wieder rein gelassen!"
Bevor Zurgin reagieren konnte, hatte Migdo seinen breiten Kampfhammer aus dem Gürtel gezogen und hieb damit nach dem Goblin. Dieser wich entsetzt zurück, landete auf seinem Hosenboden und krabbelte wild kreischend unter ein verkohltes Stahlgitter. "Er greift mich aaan! Er greift mich aaaaaan!!!"
Inzwischen hatte der alte Zwerg es geschafft, den Jüngeren an der Schulter zu packen und ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm zu legen. "Beruhige dich, Migdo Bärenklinge", raunte er. "Oder willst du gleich wieder zum Abwehrturm raus?"
Migdo schluckte. In seinem Inneren brodelte es wie in einem Vulkan, er konnte sich kaum zurückhalten. Seit jeher hatte er große Schwierigkeiten, Spott und Häme wegzustecken, besonders von stinkenden Goblin-Maden...
Nach einigen weiteren Sekunden der Anspannung ließ er den Hammer sinken und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf den noch immer unter dem Gitter kauernden Goblin. "Ich kriege dich, Xergi. Irgendwann kriege ich dich..."
"Bah!" war alles, was die grauhäutige Kreatur darauf verlauten ließ.
Zurgin packte seinen jungen Schützling und zog ihn mit sich, bevor der Streit von vorn begann. Sie setzten ihren Weg durch die zweite und dritte Heizhalle fort und machten erst Halt, als sie die Lastenaufzüge der Inneren Mine erreichten. Hier wurden breite Holzplatten und -käfige von einem komplexen Gewirr aus Seilen, Flaschenzügen und Scharnieren auf und ab bewegt. Grabungstrupps kamen aus den Stollen hinaus oder fuhren hinein, Sprengstofffässer und Werkzeugkisten wurden hinab gelassen und mit einigen gut bewachten Aufzügen wurde das wertvolle Roh-Erz hinaufgeschafft und zu den Gießereinen im Westflügel des Tunnelsystems abtransportiert. Hier waren die einzigen anderen Fremden tätig, die in der Mine geduldet wurden. Es handelte sich um Dunkelzwerge.
Sie waren etwas größer als durchschnittliche Zwerge und ihre ungepflegten Bärte bedeckten den größten Teil ihrer kräftigen, mit dunkelbrauner, lederartiger Haut überzogenen Körper. Ihre Augen waren in den Äonen, die sie ausschließlich unter der Erde verbracht hatten, groß und glasig geworden, um das wenige Licht der dunkelsten Höhlen einfangen zu können. Obwohl ihr Name dies vermuten ließ, verweigerten sich die meisten Zwerge der Vorstellung, dass die Dunkelzwerge mit ihnen verwandt waren. Es war einzig der enormen Körperkraft und ihrer einschüchternden Wirkung zu verdanken, dass die Minenleitung immer wieder einige von ihnen als Wächter für die Erzförderwege einstellte.
Sie passierten die Dunkelzwerge in einigem Abstand und fuhren mit einem alten, quietschenden Aufzug hinab zu den Schlafkammern. Dort trennten sie sich. Zurgin hatte als zweitältester Arbeiter der Mine ein eigenes Zimmer, während Migdo ein Lager in einer der großen Kammern hatte. Dort warf er sich hin, durch den Alkohol mit einem Gefühl der Zufriedenheit erfüllt, für das es keinen wirklichen Grund gab.

-

Am nächsten Tag machte er sich wieder an die Arbeit, und wie immer taten die anderen Heizer an den Hochöfen, als wäre nichts geschehen. Einzig der goldgelockte Jurbi Eisenbrecher wagte einige abfällige Blicke in Migdos Richtung, die dieser nur mit einem wütenden Schnauben beantwortete.
Ansonsten war alles wie immer: Holz und Kohle wurden aus den Lagern der Mine angeliefert und in den Öfen verteilt, Mechaniker machten sich an den Heizkesseln und Rohrsystemen zu schaffen. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Luft. Hin und wieder pfiff irgendwo eine Schraube oder ein Bolzen durch die Luft und eine heiße Dampfwolke erfüllte den Raum, gefolgt von zwei Minuten wilden Geschnatters und Geschimpfes, bis jemand das Leck versiegelt hatte. Alle dreißig Minuten kam einer der Überwacher vorbei und kontrollierte die Temperatur der Öfen und den Dampfdruck der Kessel. Der hier erzeugte Dampf wurde hinab in die tiefsten Bereiche der Mine gepumpt, um dort die großen Bohrwalzen anzutreiben, mit deren Hilfe neue Stollen gegraben wurden.
"Ihr Idioten! Ihr Würmer! Seid ihr denn zu allem zu blöde?" kreischte Korbi Murkelmark, der Chefüberwacher der zweiten Heizhalle. Er machte sich seit fünf Minuten an den magischen Messgeräten zu schaffen und schimpfte immerzu über die zwei Grad Abweichung auf der saphirfarbenen Temperaturanzeige. "...ist denn das zu viel verlangt? Ihr wisst genau, wie wichtig es ist, dass die Kessel nicht zu heiß werden! Wollt ihr uns alle umbringen? Wollt ihr das? Ich habe euch schon mindestens tausendmal gesagt..."
Die Tirade setzte sich noch einige Minuten fort, aber wie immer verloren die Heizer das Interesse und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Als Migdo gerade auf das Gerüst klettern wollte, von dem aus man die Ventile des Hauptkessels kontrollierte, tauchte eine kleine Gruppe vor ihm im Dunst auf, die einige Aufmerksamkeit erregte: Der Erste Überwacher Bolgo Bürtelschnitter, gefolgt von zwei Dunkelzwergen mit scharfkantigen Eisenkeulen, neben ihm zwei weitere Zwerge und ein hoch gewachsener, dunkelhaariger Mensch, der Kleidung nach alles hohe Würdenträger. Den größeren der beiden Zwerge erkannte Migdo nach wenigen Sekunden als Mudokin Hornhammer, den obersten Schatzmeister der Mine.
Der siebte im Bunde war Zurgin.
Im Gegensatz zu seiner normalen Arbeitskleidung trug der greise Zwerg eine dunkelbraune Robe mit Kapuze, die am Saum und an den Ärmel mit schimmernden Mustern aus Goldfäden verziert war. Um seinen Hals lag eine dicke, goldene Kette mit einem schweren Amulett. Es hatte die Form eines Hammers, und in der Mitte war eine kunstvoll aus winzigen Saphiren geformte Zange zu erkennen. Es war das Amulett der Meisteringenieure.
Migdo starrte den alten Mann ungläubig an, ebenso wie die anderen Heizer und selbst Korbi Murkelmark. Es war offensichtlich, dass niemand gewusst hatte, dass Zurgin ein Meisteringenieur war.
Der alte Bolgo Bürtelschnitter trat vor und fragte: "Wer von euch ist Migdo?"
Einen Moment lang herrschte Stille, dann trat Migdo vor und meldete sich mit Handzeichen.
"Gut", meinte der Erste Überwacher. "Du begleitest uns. Alle anderen - zurück an die Arbeit!"
Sie machten kehrt und gingen durch die zweite Halle zu einem der bewachten Geheimgänge, die in die Höhlen der Minenleitung führten. Keiner in der Gruppe sprach ein Wort, und Migdos fragende Blicke in Zurgins Richtung blieben unerwidert.
Der Gang war mit magischen Leuchtsteinen ausgestattet, die Luft war ungewöhnlich warm. Als sie nach einigen Kreuzungen und Zwischentüren sein Ende erreichten, stellte Migdo überrascht fest, dass er direkt zum edel eingerichteten Büro des Ersten Überwachers führte. Die beiden Dunkelzwerge blieben im Gang zurück, während die anderen eintraten. Bolgo ließ sich auch sogleich in seinen schweren, gepolsterten Lehnsessel fallen, bevor er seinen Begleitern die umgebenden Stühle und Bänke anbot. "Setzt euch, meine Herren. Wir haben viel zu besprechen. Zurgin, sei so nett und komm hier zu mir."
Als alle saßen, ergriff Bolgo erneut das Wort.
"Also, zuerst einmal eine kurze Vorstellung." Er deutete auf den Menschen. "Dies ist Malcolm Kelmatson, Abgesandter der Zitadelle von Hamarsburg. Er ist hier, um unsere Hilfe bei einem speziellen Problem zu erbitten."
Alle nickten. Der Mensch erhob sich und trat in die Mitte der Runde. "Ich danke euch für den warmen Empfang, Meister Bürtelschnitter. Unser Problem ist in der Tat sehr speziell, doch duldet seine Wichtigkeit keine Verzögerung: Vor acht Tagen ist einer der vier großen Schutzkristalle unserer Zitadelle zerbrochen."
Die Zwerge atmeten erschrocken ein. Die aus der Zeit der Titanen stammenden Schutzkristalle und die komplexen Maschinen, die sie mit Energie versorgten, waren entscheidend für die Verteidigung der östlichen Reiche. Fielen sie, stand den Dunkelelben nichts mehr im Weg.
"Wie ist es passiert", fragte Mudokin Hornhammer. "Hat jemand ihn absichtlich zerstört?"
"Wir sind uns nicht sicher", gab Kelmatson zurück. "Unsere Techniker haben festgestellt, dass die Maschine, die den Kristall ausrichtet, außer Funktion ist. Alles andere funktioniert perfekt, aber der Kristall selbst ist in tausend Stücke zerborsten."
"Also ist es wahrscheinlich ein technisches Problem", warf Bolgo Bürtelschnitter ein. "Es könnte auch bei den übrigen Kristallen auftreten, so dass die Zitadelle schon bald schutzlos gegen die Schrecken hinter den schwarzen Gipfeln wäre. Und deshalb hat der Kommandant der Zitadelle einen Meisteringenieur angefordert, der sich die Systeme ansehen soll."
Die Augen der Anwesenden richteten sich auf Zurgin, der aufrecht in seinem Stuhl saß und in seiner ganzen Haltung und Mimik so gar nicht mehr wie der alte Techniker aussah, den Migdo in den letzten Jahren kennen gelernt hatte.
"Meister Zurgin hat sich bereit erklärt, diese Reise anzutreten", erklärte Bolgo weiter. "Er hat bereits Erfahrung mit der magischen Technologie der Titanen und überwacht bei uns seit Jahrzehnten die Schutzkristalle."
Malcolm Kelmatson deutete eine Verbeugung in Zurgins Richtung an und sagte: "Ich danke euch für euren Entschluss, Meister Zurgin. Bei aller nötigen Höflichkeit möchte ich euch bitten, sobald wie möglich mit mir aufzubrechen. Ihr wisst selbst, was auf dem Spiel steht."
Der greise Meisteringenieur nickte und erhob sich. "Also gut!" rief er. "Sparen wir uns alles weitere Geplapper! Mein Gehilfe und ich brauchen vier Stunden, um alle notwendigen Schriftstücke und Apparate einzupacken. Danach sind wir zum Aufbruch bereit."
Migdo schluckte schwer und sah den alten Mann an. Deshalb war er also zu diesem Treffen geholt worden.

-

"Wie konntest du das über meinen Kopf hinweg entscheiden?" fragte er Zurgin, als sie drei Stunden später im Labor der Magie-Techniker saßen und höchst seltsam anmutende Gerätschaften in kleine, gepolsterte Holzkisten verpackten. Zurgin faltete gerade einen Stapel Aufzeichnungen und schob sie in eine lederne Mappe, die mit einem großen Vorhängeschloss versehen war.
"Was hättest du schon für eine Wahl gehabt? Nur dass du’s weißt, Kulmar Hornhammer wollte dich schon nach eurem vorletzten Streit rausschmeißen, aber ich habe das verhindert."
"Mit der Autorität, die du immer vor mir verborgen hast, und auch vor allen anderen in der Mine", schnappte Migdo. "Wie lange spielst du hier schon den alten Hilfstechniker?"
Der Alte sah ihn durchdringend an. "Was hätte ich denn tun sollen? Was hättest du getan, wenn ich bei unserer ersten Begegnung das Amulett der Meisteringenieure getragen hätte? Du hättest dich vor mir in den Staub geworfen und mir die Füße geküsst, so wie diese Speichellecker in der Minenleitung. Es ist der Fluch dieses Schmuckstücks, dass niemand den Mann aus Fleisch und Blut in dir sieht, wenn du es trägst. Alle sehen dich als etwas Übernatürliches, das man anbeten, aber auch fürchten muss."
Der jüngere Zwerg zog erstaunt eine Braue hoch. Er wusste, dass Zurgins Worte der Wahrheit entsprachen, er selbst hätte niemals den Versuch unternommen, sich mit dem Alten anzufreunden, wenn er von seinem wahren Titel gewusst hätte...
"Genug davon!" fuhr Zurgin dazwischen. "Wir haben eine lange Reise und viel Arbeit vor uns. Und vom Erfolg unseres Unternehmens hängt mehr ab, als du dir vorstellen kannst."
"Ich kann mir sehr wohl vorstellen, was geschehen wird, wenn die Schutzlinie fällt", meinte Migdo.
"Nein", gab der Alte zurück. "Nein, das kannst du nicht. Du hast keine Vorstellung, was hinter den schwarzen Gipfeln wirklich lauert. Du hast die Geschichten gehört, die alle kennen, aber du weißt nicht, warum dieses Gebirge wirklich den Namen 'Weltenwut' trägt." Er schien in sich zusammen zu sacken, die Kraft und Eleganz, die er ausgestrahlt hatte, seit er die Robe und das Amulett trug, verschwanden wieder. "Da draußen ist etwas Böses", sagte er leise und kraftlos. "Es wartet auf seine Gelegenheit, und sie ist näher als je zuvor. Wenn wir scheitern, wird eine Dunkelheit über die Reiche des Ostens kommen, wie es sie seit den Tagen der Titanen nicht mehr gegeben hat. Und zu meinem Bedauern ist die Wahrscheinlichkeit unseres Erfolges nicht besonders hoch..."
Er erhob sich und klemmte sich die Mappe unter den Arm.
"Nimm du die Kisten", meinte er und ging. Migdo sah ihn einen Moment lang still an, dann folgte er ihm.
Sie erreichten die große Eingangshalle der Mine, als die Außentore bereits halb geöffnet waren. Ein eisiger Wind pfiff von draußen herein und fuhr allen bis ins Mark, obwohl sie dicke Mäntel und Überwürfe trugen. Malcolm Kelmatson trug eine Robe aus Bullenleder und einen schweren Fellumhang, sein Kopf war in eine kunstvoll gewickelte Stoffmaske gehüllt. Er begrüßte die beiden Zwerge und stellte ihnen seine Begleiter vor. Es waren zwei sehr kräftig gebaute Menschen, von denen sich einer bei näherer Betrachtung als eine Frau erwies. Sie hießen Roban und Kijena.
"Also gut", meinte Malcolm dann. "Machen wir uns auf den Weg. Wir drei konnten sehr schnell hierher reiten, aber die Rückreise nach Hamarsburg wird wesentlich länger dauern. Das viele Gepäck wird die Tiere belasten, außerdem hat sich das Wetter weiter verschlechtert."
"Ein gutes Omen, was?" meinte Zurgin trocken.
Gemeinsam luden sie das übrige Material des alten Meisteringenieurs und Migdos Schlafsack auf eines der pelzigen Hochlandkamele, mit denen die Menschen angereist waren. Nachdem sie dann von Bolgo Bürtelschnitter selbst verabschiedet worden waren, nahmen sie in den gepolsterten Sätteln Platz und ritten in die eisige Kälte des Gebirges hinaus.
Nach einer Weile blickte Migdo zurück und war erstaunt, wie schnell die rotglühende Aura der Erzmine in der arktischen Schneewand verschwunden war. Obwohl er seine Arbeit hier nie besonders geschätzt hatte, spürte er doch merkliches Unbehagen bei dem Gedanken, die Mine für eine lange Zeit nicht mehr wiederzusehen.
 

© Imladros
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
Und schon geht es weiter zum 2. Kapitel: Die Reise

.
www.drachental.de