Dudelsack und Vogelfedern von Latsi
1. Kapitel: Schafe in Schrecken

Es war ein herrlicher Frühsommertag. Die Sonne schien warm auf einen schmalen Pfad herab, der sich aus einem hellen, gerade in seinem frischesten Grün erstrahlenden Laubwald über eine blühende Wiese schlängelte. Am Wegrand graste eine Herde Schafe hinter einem Bretterzaun, die Vögel sangen und Schmetterlinge gaukelten weltvergessen von Blüte zu Blüte.
Doch da zerriss plötzlich ein schauerliches Geräusch die idyllische Ruhe. Etwas jaulte und heulte dämonisch heran, es klang, als nähere sich ein ganzes Heer von Gespenstern. Die Schafe hörten auf zu fressen, drängten sich angstvoll aneinander und blökten herzzerreißend. Die Vögel hörten auf zu singen, der Weg schlängelte sich längst nicht mehr so fröhlich, und sogar die Sonne versteckte sich hinter einer Wolke (dass das mehr einer Luftströmung als dem grässlichen Geräusch zuzuschreiben war, braucht uns hier nicht zu interessieren). Nur die Schmetterlinge gaukelten weiter, denn sie hatten nichts gehört.
Immer näher quetschte sich der Ton heran, kreischend und johlend, und jetzt - jetzt mussten seine grässlichen Urheber zu sehen sein - die Natur schien den Atem anzuhalten: ... Aus dem Wald marschierte, mit (relativ) großen Schritten, ein kleines, dickes Männchen hervor, bekleidet mit einem weiten, nicht mehr ganz weißen Hemd, einer bequemen braunen Hose und einer mit Gänseblümchen bedruckten Weste. Auf dem Kopf saß ihm ein Zylinderhut, dessen Farbe eine unmöglich zu benennende Mischung aus braun, grau und schwarz war, und auf dessen Krempe - die Schafe trauten ihren Augen nicht - ein winziges Blumentöpfchen befestigt war, aus dem einige Gänseblümchen wuchsen. Unter dem Hut blinzelten zwei Knopfaugen unternehmungslustig in die Welt, und eine Knubbelnase wagte mutig den Vorstoß ins Unbekannte. Unter dem Arm trug der Wanderer eine Art prallgefüllten Sack, von dem drei sich nach oben erweiternde Stöcke nach hinten über seine Schulter wegstanden; ein wie eine Flöte geformter Stock, dessen Löcher er mit den Fingern bedeckte, stand nach unten, und einer führte zu seinem Mund.
Nun wurde er der Schafe ansichtig, blieb stehen und hörte auf, in den Sack zu blasen. Schlagartig verstummten die schrecklichen Geräusche. Die Wolke zog vorüber, die Schmetterlinge gaukelten, die Blumen blühten - und so weiter. Die Schafe guckten noch irritierter. Der kleine Mann nahm das Mundstück heraus und den Zylinder ab, verbeugte sich vor den Schafen und sagte:
"Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren Schafe. Sie hatten soeben die Freude, den berühmten - naja, nicht so ganz berühmten - also, eigentlich überhaupt nicht berühmten Dudelsackpfeifer Konstantin zu hören. Wünsche noch eine angenehme Mittagsruhe." Damit setzte er den Zylinder wieder auf und spazierte weiter.
Aber damit waren die akustischen Aufregungen für die Schafe noch nicht vorbei, denn nun ertönte ein nur geringfügig leiseres Geräusch als das des Dudelsacks: ein kleiner, braunweißer Hund mit großen Kippohren und einem Ringelschwänzchen kam empört kläffend aus dem Wald gerannt und trippelte, beleidigt über das Nicht-auf-ihn-warten seines Herrchens, hinter demselben her. So wanderte also unser Pärchen (Konstantin und sein Hündchen) den wieder fröhlich schlängelnden Weg entlang, erleichterte Schafe und zwitschernde Vögel hinter sich lassend.
Ein kleiner Einschub sei gestattet: die Schafe, die diese grauenhafte Gruselgeschichte erlebt hatten, waren danach nie wieder wie vorher. Zylinderhüte brachten sie an den Rand einer Panik, sie rührten nie wieder ein Gänseblümchen an, und wenn sie einen Mann mit einem Beutel unter dem Arm sahen, begannen sie, sich selbst die Wolle von der Brust zu rupfen - vermutlich, um sie sich in die Ohren zu stopfen, aber das konnte der Schäfer nicht wissen, der eine Art Masochismus vermutete und einen Psychiater kommen ließ, der wiederum ebenso keine Ahnung von dem wirklichen Problem hatte und versuchte, die Tiere durch sein Flötenspiel zu beruhigen... Seitdem halten sich die Schafe für Schmetterlinge und gaukeln von Blüte zu Blüte, während der Psychiater seinen Beruf an den Nagel gehangen hat und sich von nun an als "Schmetterlingswart" betätigt. Der Schäfer dagegen schrieb ein Buch über die ganze Sache, wurde steinreich und zierte die Titelseiten sämtlicher Illustrierten des Landes. Einschub Ende.
Unsere beiden Freunde waren inzwischen auf einer Hügelkuppe angekommen, von der aus sie weit ins Land schauen konnten. Unter ihnen lag - Wald. Sehr viel Wald. Sehr dunkler Wald. Ein Ende des großen, dunklen Waldes war gar nicht abzusehen. Nur direkt am Fuße des Hügels lag eine kleine Stadt. Das Hündchen bellte kurz auf.
"Du hast vollkommen recht", bestätigte Konstantin, "Bevor wir diesen Wald durchqueren, sollten wir dort ein kleines Päuschen in einer hübschen kleinen Gastwirtschaft einlegen." Damit marschierte er auf das Städtchen zu. Das Hündchen folgte ihm.
 
© Latsi
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Und schon geht es weiter zum 2. Kapitel: Im 'Gefleckten Flusskrebs'

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