Dudelsack und Vogelfedern von Latsi
3. Kapitel: Hundedamen, Gummitiere und ein komischer Vogel

"Verrückte Ideen haben die hier..." Konstantin stand kopfschüttelnd auf dem kleinen Marktplatz und betrachtete den verwitterten Brunnen in der Mitte desselben. Das Wasser sprudelte dort nämlich aus dem Maul und dem - nun, der Rückseite einer Kuh, plätscherte an jeder Seite über den Rücken eines kleinen, trotzdem fröhlich winkenden Männchens und landete dann im großen Becken - zumindest zum Teil, denn durch die vielen tausend Münzen und den anderen Müll verdrängt, der im Laufe der Zeit darin gelandet war, quoll das Wasser an einigen besonders beschädigten Stellen über den Rand und versickerte im Pflaster.
Gerade wollte sich der Dudelsackspieler umdrehen und den Platz wieder verlassen, da begann das Hündchen wie wild zu bellen, und er erhaschte gerade noch aus dem Augenwinkel einen kleinen braunweißen Blitz, der in einem der meist blau oder grün angestrichenen Häuser verschwand, die den Platz ringförmig umschlossen. Konstantin stürzte hinterher, rannte durch die offenstehende Tür in einen dunklen Flur und - prallte gegen eine Wand. Benommen rieb er sich die Stirn. Der Flur war ein schmaler Gang, der direkt gegenüber der Tür nach links abknickte - fensterlos und pechschwarz. "Ja, haben die denn hier alle ihre Gänseblümchen verloren?" konnte er sich nicht enthalten zu flüstern, dann begann er sich vorsichtig den Gang entlang zu tasten. Nach einigen unsicheren Schritten konnte er vor sich einen Schimmer sehen. Gleichzeitig schallten ihm Stimmen entgegen: "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich das tue! Ich bin doch nicht lebensmüde! Wenn es dir so wichtig - Meine Güte, schmeiß doch endlich den blöden Hund hinaus!"
Damit konnte wohl nur Konstantins Hündchen gemeint sein. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Eine Kerze stand auf einem Tisch und erhellte den Raum nur wenig. Dahinter stand eine Kommode an der Wand, auf der ein Bündel weißer Wolle lag. Viel mehr Einrichtungsgegenstände konnte Konstantin nicht erkennen, aber neben dem Tisch standen sich zwei Männer gegenüber: ein schlaksiger Kerl mit schwarzem Vollbart, der eine ausgesprochen finstere Miene zur Schau stellte, stand im vollen Licht der Kerze, während man von dem anderen nur einen wuscheligen Lockenkopf ausmachen konnte. Jetzt antwortete dieser dem Schwarzbärtigen - dessen Einwurf in Bezug auf das Hündchen ignorierend -: "Natürlich ist es mir wichtig! Und du weißt ganz genau, dass es für einen allein viel zu gefährlich ist. - Verstehst du denn nicht, dass das eine Mission ist? Es ist sozusagen meine Bestimmung, die..."
In diesem Moment entdeckte Konstantin seinen Hund, der unter dem Tisch saß und zur Kommode hinaufjaulte (das Wollknäuel war nämlich kein Wollknäuel, sondern eine seidenhaarige Schoßhundedame, die sich natürlich überhaupt nicht für den hergelaufenen Kerl interessierte, der sie da so offensichtlich anschmachtete). Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, stürmte er ins Zimmer, krabbelte unter den Tisch, schnappte sich das widerstrebende Hündchen und tauchte wieder darunter hervor. Erst als er wieder stand und die beiden fassungslosen Gesichter vor ihm sah, wurde er sich der Peinlichkeit des Augenblickes bewusst.
"Guten Tag. Äh, ich wollte nur meinen Hund holen", stammelte er, "Verzeihung. Übrigens", er erinnerte sich nun wieder an die Höflichkeit, die in einer solchen Situation wohl erst recht angebracht war, und zog mit der linken Hand (die rechte hatte vollauf damit zu tun, den strampelnden Hund festzuhalten) den Zylinder, "Mein Name ist Konstantin. Wandernder Dudelsackpfeifer. Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen." Damit drehte er sich auf dem Absatz um und beeilte sich, das Haus zu verlassen.

Draußen behielt er das Hündchen auf dem Arm und wanderte, leise mit ihm schimpfend, über den Marktplatz. "Unmöglich", brummelte er, "ein Benehmen", und "verflixtes Köterchen, du" - währenddessen kraulte er ihm allerdings hingebungsvoll die Kippohren, so dass die Standpauke völlig ihre Wirkung verfehlte. Als er schließlich seine Umgebung wieder bewusst wahrnahm, stellte er fest, dass das Schaufenster, vor dem er inzwischen angekommen war, mit Unmengen von Karten und Atlanten vollgestopft war, zwischen die sich nur vereinzelt Dinge wie ein Koffer, einige Spazierstöcke und ein Stapel leicht angegammelter Butterbrote mischten. Und über dem Schaukasten stand in großen Lettern "REISEBÜRO ELMAR". Aha, dachte Konstantin, der mit den Karten. Klar. Er festigte seinen Griff um den Bauch des Hundes, dann betrat er den Laden.
"Einen ganz außerordentlich wunderschönen guten Tag wünsche ich! Womit kann ich Euch denn behilflich sein?" Konstantin strengte die Augen an, konnte aber zunächst nur einen dünnen Schatten erkennen. Das Reisebüro war, wenn das überhaupt möglich ist, noch dunkler als der "Gefleckte Flusskrebs".
"Äh, tja - man hat mir gesagt, dass ich mich zu Euch begeben sollte, bevor ich weiterreise. Ich bin nämlich ein wandernder Musikant, müsst Ihr wissen."
Mit schnellen Schritten kam Elmar, denn um ihn handelte es sich natürlich bei dem dünnen Mann, nach vorn, und jetzt konnte Konstantin einen ausgiebigen Blick auf den langschößigen Frack, den schwarzen Schnurrbart und die ungeheure giftgrüne Fliege werfen, die der Reisebürobesitzer trug.
"Nun, nun", sagte er und rieb sich die Hände, "Sehr klug von Euch, viel zu reisen. Das bildet. Und überhaupt."
Konstantins Blicke hatten sich inzwischen von dem überdimensionalen Halsschmuck losgerissen und waren an den skurril geformten Geweihen, ausgestopften Eulen und Bildern von Werwölfen und anderem unheimlichem Getier hängengeblieben, die bedrohlich von den Wänden starrten. Seltsam, dachte Konstantin. Selbst wenn die den Wald direkt vor der Tür hatten - das hier ging auch nicht mehr als Werbung für Abenteuerurlaub durch. Normalerweise sollte man doch in einem Reisebüro lauter Bilder von Palmen und Sonne und badenden Schönheiten erwarten. Und Gummitiere! Oder nein, die gab's ja im Märchen nicht.
Elmar zupfte an seiner Fliege. "Wie ich sehe, beeindruckt Euch meine Raumausstattung auch. Ja, daran seht ihr, wie sehr sich ein Urlaub lohnt, um sich von all diesen Grässlichkeiten erholen zu können. Ich für meinen Teil rate Euch zu einem Urlaub am Meer - da gibt es Palmen, Sonne, Gummitiere (Was ist das eigentlich?) und natürlich", er flüsterte es ihm in Zimmerlautstärke unter vorgehaltener Hand zu, "badende Schönheiten!"
Konstantin räusperte sich. "Tja... aber eigentlich wollte ich ja auf die andere Seite des Dunkelwaldes!"
Stille machte sich breit.
"Äh", machte Elmar schließlich. Dann unterbrach er sein ungläubiges Starren, unter dem sich Konstantin gerade begann etwas ungemütlich zu fühlen, rückte abermals seine Fliege gerade und wurde wieder ganz Geschäftsmann. "Nun gut - ähm, entschuldigt, aber: ist das eine neue Art Abenteuerurlaub? Dann muss ich mein Büro etwas umdekorieren. Ihr versteht - hier am A...bsoluten Ende der Welt gehen doch manche Trends an uns vorbei..."
"Naja", erwiderte Konstantin, "Eigentlich bin ich einfach nur ein wandernder Dudelsackpfeifer, der eben wandern muss."
"Gutgut", sagte Elmar, dann begann er, in einem der Kartenstapel im Schaufenster herumzuwühlen, worauf das Chaos dort noch größer wurde, zerrte schließlich eine Karte heraus und überreichte sie seinem Kunden. "Der gesamte Dunkelwald. Nur ein Silbertaler. Absolutes Sonderangebot."
Konstantin kramte nach einer Münze und legte sie in die ausgestreckte Hand.
Gerade wollte er die Karte aufklappen, da öffnete sich die Tür, und ein weiterer Kunde betrat das Reisebüro. Konstantin sah auf. Der Eintretende trug dunkelgelbe Strumpfhosen. Die Dinger waren schon lange nicht mehr modern, schon gar nicht in Verbindung mit dem, was der Mann am Oberkörper trug: nämlich eine Weste, die vollständig aus grünen und braunen Vogelfedern zu bestehen schien. Braune Wuschellocken, schon lange nicht mehr gekämmt, und zwei graublaue Augen vervollständigten das Bild. Nachdenklich kratzte sich Konstantin im Nacken. Komischer Vogel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber irgendwie kam er ihm bekannt vor...
In diesem Augenblick entdeckte der andere ihn - und prustete sofort los. Da fiel unserem Musikus ein, woher er den Mann kannte, und er wurde rot. Es war der Lockenkopf aus dem Haus, in das das Hündchen gerannt war!
"Entschuldigt", japste dieser jetzt, "aber Euer Auftritt vorhin war einfach zu komisch!"
"Hmpf", machte Konstantin, aber jetzt mischte sich Elmar wieder ein: "Kann ich Euch behilflich sein, Ferdinand?"
"Ja - nun... Habt Ihr eine Karte des Dunkelwaldes?"
Elmar schüttelte nur noch resigniert den Kopf. "Nein, die habe ich gerade dem Herrn da verkauft." Dabei wedelte er müde mit einer Hand in Konstantins Richtung.
"Wie?" rief der Lockenkopf erstaunt aus, "Ich bin also nicht der einzige Verrückte, der durch den Dunkelwald will?"
Elmar schlug sich theatralisch mit dem Handrücken gegen die Stirn und seufzte. "Nun, dann wandert zu zweit ins Verder... Moment! Da ich Euch beiden nun den unschätzbaren Dienst erwiesen habe, Euch einen Reisegefährten zu verschärfen, darf ich um eine bescheidene Vermittlungsgebühr bitten!" Ganz Geschäftsmann, war er mit einer raschen Bewegung vor den Ausgang getreten und streckte nun wiederum die Hand aus. Seufzend zahlten die beiden ihm jeder einen weiteren Silbertaler und traten ins Freie, während Elmar händereibend im hinteren Teil des Geschäftes verschwand.
 

© Latsi
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Und schon geht es weiter zum 4. Kapitel: Unter den Hügeln

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