Der Elfenlord von Bastian Bernig
Das Dorf der Priester

Gegen Abend verabschiedete sich Debaara und ging einen fast völlig verwachsenem Pfad entlang, während die Jugendlichen dem normalen Weg folgten.
Nach einigen Stunden kamen sie an eine Weggabelung, beide Wege führten weiter nach Süden.
"Wo geht es jetzt hin?", fragte Kora.
"Woher soll ich das wissen?", fragte Xuji zurück. Er sah sich um. Die Wege verliefen nach etwa hundert Metern an der linken und rechten Seite eines dunklen Waldes.
"Werfen wir ne´ Münze", schlug sie vor und zog eine hervor. Die Jugendliche warf sie in die Luft und fing sie geschickt wieder auf. Kurz, bevor Kora die Münze aufdecken wollte, sagte Xuji: "Hast du nicht was vergessen?"
"Oh, sagen wir Krone rechts und Turm links", meinte sie.
Als sie auf die Münze sahen, erblickten sie eine kunstvoll gearbeitete Krone. Also gingen sie den rechten Weg weiter. Die Umgebung wurde stetig düsterer und dunkler. Um dann plötzlich wieder hell zu werden, die Bäume und Pflanzen waren aber immer nach verdorrt und die Erde fast völlig erodiert. Die Flüsse und Bäche der Umgebung waren veralgt und vermittelten eine ungewöhnliche Tiefe.
"Hier sieht es irgendwie komisch aus", meinte Kora.
"Etwas stimmt hier nicht, die Energie der Natur fehlt. Als hätte sie irgendjemand gestohlen. Hier ist fast alles tot. Wenn sich das weiter ausbreiten würde, würde der ganze Planet sterben", erklärte Xuji.
Am Horizont tauchten erste Häuserränder auf. Als die beiden näher kamen, sahen sie, dass es keine einfachen Bauernhäuser waren, so wie sie erwartet hatten.
Es waren regelrechte Paläste, kunstvolle Bauten und nichts anderes. Keine Ställe, Handwerkshäuser oder Läden. In der Mitte stand ein Tempel, der in einer normalen Stadt sehr prunkvoll gewesen wäre, hier allerdings sah er ziemlich schäbig und alt aus.
"Hey, hier wird es wieder grüner", bemerkte Kora.
"Ja, aber es ist komisch. Die Natur ist halb tot und diese Gärten sind das reinste Paradies", antwortete Xuji´scor beunruhigt.

Nach einigen Minuten standen sie auf dem Dorfplatz. Doch sie waren bisher keiner Menschenseele begegnet.
"Ich spüre etwas", flüsterte er, "da ist irgendwas in diesem Tempel!"
"Dann sehen wir doch mal nach. Es ist doch nichts lebensgefährlich, oder?", fragte sie misstrauisch.
"Kann ich nicht sagen", antwortete der Jugendliche, "aber dort drin ist garantiert die Antwort auf einige unserer Fragen."
Die beiden standen einige Minuten, unschlüssig was sie tun sollten, herum. Dann traten aus den Palästen prächtig gekleidete Männer und Frauen heraus. Einer nach dem anderem. Bis etwa siebzig Personen in einer Gruppe vor ihnen stand. Ein Mann, der ihn den prachtvollsten Kleidern dastand, trat heraus und sah sie an.
"Ich bin der höchste der höchsten, hohen Hohepriester von Imbon und ich heiße euch willkommen äh, ja und wir bieten euch für die Nacht unser Gästehaus an", erklärte er.
"Wir haben doch gar kein Gästehaus", zischte eine Frau leise in das Ohr des Hohepriester.
"Dann lasst eines erschaffen", antwortete der Mann leise.
"Haben sie etwas gesagt?", fragte Xuji.
"Nein, Nein. Ähm, Tchiko, komm her. Gib unseren Besuchern eine Führung durch das Dorf", befahl er.
Ein junger Mann trat aus der Gruppe und winkte sie zu sich. Die beiden folgten ihm durch eine Seitenstraße. 
"Wie heißt euer Dorf?", fragte Kora.
"Fliq, nach Fliqes dem Gründer und erstem Priester", antwortete der Sechzehnjährige.
"Euer Dorf ist wohl sehr religiös?", meinte Xuji´scor.
"Nun ja, das Priestertum ist so eigentlich das einzige, was hier ausgeübt wird. Ich selbst bin Novizenpriester zehnten Ranges", erklärte Tchiko stolz.
"Gibt es hier auch noch etwas anderes als Paläste und Gärten?", fragte die Jugendliche.
"Den Tempel natürlich", erwiderte der junge Mann ehrfürchtig.
Plötzlich durchzog Xuji unbändiger Schmerz, er verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Boden.
"Alles in Ordnung?", fragte Kora und kniete sich neben ihn, nahm aber sofort wieder Abstand als er sich aufrichtete.
"Was ist passiert", fragte Tchiko verwirrt.
"Es kam mir so vor, als ob irgendetwas meine Energie abgezapft hätte", erklärte er keuchend.
Just in diesem Moment kam eine Frau zu ihnen und rief: "Das Gästehaus ist fertig!"

Das Haus hatte drei Räume, ein Küche/Wohn/Esszimmer, ein kleines Bad und ein Schlafzimmer. Es stand nur ein großes Zwei-Leute-Bett darin.
"Die dachten wohl du und ich sind...", meinte Xuji´scor.
"Ja, lustige Vorstellung, oder?", rief Kora.
"Ja, ha ha. Ich schlafe natürlich auf dem Boden", bot Xuji an.
"Nein, warum denn. Das Bett ist groß genug, ich auf die Seite und du auf die andere. Dann kann nichts schief gehen", widersprach die Jugendliche ihm.

Als sie aus dem Schlafzimmer kamen, war der Tisch bereits voll mit Essen, durch das Fenster sahen sie die Sonne untergehen, also setzten sie sich hin und aßen zu Abend. Xuji bemerkte, dass die andere etwas auf dem Herzen hatte.
Deswegen fragte er: "Was ist?"
"Na ja, ich wollte dich etwas fragen. Aber so was fragt man nicht", erklärte sie.
Das machte den Jugendlichen neugierig und er sagte: "Spuck schon aus!"
"Ich habe mich gefragt, was Druiden unter ihrer Roben tragen", flüsterte Kora.
Xuji´scor grinste und meinte: "Was glaubst du wohl?"
Als sie ihn unsicher ansah, zog er sich die Robe kurzerhand über den Kopf. Überrascht wollte sie die Augen schließen, tat es dann aber doch nicht. Er trug ein Leinenhemd und eine Hose aus demselben Material.
"Und du schläfst in all den Sachen?", fragte sie verwundert.
"Nur draußen, wenn es kalt ist, aber in einem warmen Bett zieh ich Robe und Hemd aus. Das mache ich heute natürlich nicht", meinte er rasch.
"Ach, lass nur. Mir macht es nichts", winkte Kora ab.
"Aus reiner beiläufiger Neugier, was trägst du eigentlich im Bett?", fragte der Druide unschuldig.
Sie lächelte nur und zog ein langes Nachthemd aus einer Falte ihrer Diebeskleidung.

Als sie wenig später umgezogen waren und im Bett lagen, meinte Kora: "Es wirklich schön wieder in einem Bett zu liegen. Der normale Erdboden ist ziemlich hart und es ist nachts auch noch ziemlich kalt!"
"Das sind eben die Nachwehen des Winters, in ein paar Wochen wird es schon wärmer sein", erklärte Xuji.
"Ja, und in knapp zwei Monaten ist schon Sommersonnenwende", bemerkte sie.
Der junge Druide dachte bei ihren Worten an den Befehl des Elfenlords, bis dahin alle Druiden zu töten. Wie viele würden gewarnt werden? Und wie viele würden überleben?

Als Xuji aufwachte, spürte er Koras Körper neben seinem. "Meine Güte, wie sind wir den in diese Position gekommen?", dachte er. Der Jugendliche lag auf dem Rücken, ihren Kopf auf der Brust und seinen Arm um die Schultern der Diebin gelegt. Vorsichtig befreite er sich von ihr und stand auf. Als Xuji die Vorhänge aufzog, schlug auch Kora langsam die Augen auf. Im Bad ließ er sich langsam in die heiße Quelle sinken. Das Wasser bließ die Erschöpfung der Wanderungen der letzten Woche völlig weg. Nach zehn Minuten stieg der Jugendliche heraus und schlang sich ein Handtuch um die Hüfte. Dann flimmerte es ihm plötzlich vor den Augen und der Schmerz des vergangenen Tages kam wieder. Doch diesmal war er stärker, es wurde Xuji schwarz vor Augen und er fiel in Ohnmacht.

Kora wachte nun auch langsam auf, sie hatte ausnahmsweise gut geschlafen.
Der Alptraum, der sie fast jede Nacht heimsuchte, war diesmal ausgeblieben. Der Traum in dem sie Nacht für Nacht das Massaker, in dem eine Räuberbande ihr Dorf ausgelöscht hatte, noch einmal erleben musste. Doch diesmal hatte sie sich irgendwie beschützt und geborgen gefühlt.
Plötzlich hörte sie einen dumpfen Aufprall, der aus dem Bad kam. Schnell lief sie dorthin und fand Xuji am Boden. Sie drehte ihn auf den Rücken und fühlte sein Herz, es schlug langsam aber gleichmäßig.
"Xuji, wach wieder auf, bitte", flüsterte sie. Langsam schlug er die Augen wieder auf und richtete sich stöhnend auf. "War es wie gestern?", fragte sie.
Nachdenkliche nickte der Jugendliche. Vorsichtig half sie ihm auf seine wackeligen Beine.
"Geht es wieder?", wollte sie wissen.
"Ja", meinte er sicherer, als er sich fühlte.
"Gut", sagte die Jugendliche und sah ihm auf die nackte Brust, "dann ziehen wir uns mal an."

Nach dem Frühstück, ging es ihm schon etwas besser. Während sie den Tisch abräumte, mischte er verschiedene seiner getrockneten Kräuter zu einem Trank.
"Macht dich das wieder fit?", fragte Kora.
"Es gibt mir einen Teil der Energie zurück, die mir abgezapft wurde. Frische Zutaten wären natürlich um einiges besser, aber hier wächst ja nichts", erklärte der Jugendliche.
Just in diesem Moment kam Tchiko herein, als er Xuji sah, fragte er: "Was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz blass!"
"Ich hatte nur kleinen Schwächeanfall, kannst du mich vielleicht zu eurem Heiler bringen?", antwortete der Jugendliche.
"Was ist ein Heiler?", fragte der Einheimische interessiert.
"Was macht ihr dann mit den Kranken?", wollte Kora wissen.
"Wir bringen sie zum Go...", begann er, brach aber plötzlich ab.
"Wohin bringt ihr sie?", fragte der Druide misstrauisch.
"Das, das kann ich euch nicht sagen", sagte Tchiko, "ich muss jetzt gehen! Die Versammlung beginnt gleich." Und schon war er weg.
Xuji grinste die Jugendliche an und meinte: "Meinst du, wir sollten dieser Versammlung nicht einen kleinen Besuch abstatten?"
"Aber bist du für so was auch schon wieder fit genug", wandte sie ein.
"Geht schon wieder, nur Magie ist für eine Weile nicht drin", erklärte er.

Als sie durch das Dorf liefen, begegneten sie keinem anderen Menschen. Durch das Haupttor im Tempel gelangten sie in eine Vorhalle. Durch die vordere Tür kam man offenbar in die Haupthalle, der Gang hinter der Linken war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Doch schon nach wenigen Metern wurde es heller, sie standen nun auf einer Loge über der Halle. Das ganze Dorf kniete dort und sah zu einem Podest, auf dem der höchste der höchsten, hohen Hohepriester stand. Aus einem Loch im Boden stieg gelber Rauch und ein gequälter Schrei drang heraus, als etwas per Seilwinde hochgezogen wurde.
 

© Bastian Bernig
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