Gegen Abend verabschiedete sich Debaara und ging einen fast völlig
verwachsenem Pfad entlang, während die Jugendlichen dem normalen Weg
folgten.
Nach einigen Stunden kamen sie an eine Weggabelung, beide Wege führten
weiter nach Süden.
"Wo geht es jetzt hin?", fragte Kora.
"Woher soll ich das wissen?", fragte Xuji zurück. Er sah sich
um. Die Wege verliefen nach etwa hundert Metern an der linken und rechten
Seite eines dunklen Waldes.
"Werfen wir ne´ Münze", schlug sie vor und zog eine hervor.
Die Jugendliche warf sie in die Luft und fing sie geschickt wieder auf.
Kurz, bevor Kora die Münze aufdecken wollte, sagte Xuji: "Hast du
nicht was vergessen?"
"Oh, sagen wir Krone rechts und Turm links", meinte sie.
Als sie auf die Münze sahen, erblickten sie eine kunstvoll
gearbeitete Krone. Also gingen sie den rechten Weg weiter. Die Umgebung
wurde stetig düsterer und dunkler. Um dann plötzlich wieder hell
zu werden, die Bäume und Pflanzen waren aber immer nach verdorrt und
die Erde fast völlig erodiert. Die Flüsse und Bäche der
Umgebung waren veralgt und vermittelten eine ungewöhnliche Tiefe.
"Hier sieht es irgendwie komisch aus", meinte Kora.
"Etwas stimmt hier nicht, die Energie der Natur fehlt. Als hätte
sie irgendjemand gestohlen. Hier ist fast alles tot. Wenn sich das weiter
ausbreiten würde, würde der ganze Planet sterben", erklärte
Xuji.
Am Horizont tauchten erste Häuserränder auf. Als die beiden
näher kamen, sahen sie, dass es keine einfachen Bauernhäuser
waren, so wie sie erwartet hatten.
Es waren regelrechte Paläste, kunstvolle Bauten und nichts
anderes. Keine Ställe, Handwerkshäuser oder Läden. In der
Mitte stand ein Tempel, der in einer normalen Stadt sehr prunkvoll gewesen
wäre, hier allerdings sah er ziemlich schäbig und alt aus.
"Hey, hier wird es wieder grüner", bemerkte Kora.
"Ja, aber es ist komisch. Die Natur ist halb tot und diese Gärten
sind das reinste Paradies", antwortete Xuji´scor beunruhigt.
Nach einigen Minuten standen sie auf dem Dorfplatz. Doch sie waren
bisher keiner Menschenseele begegnet.
"Ich spüre etwas", flüsterte er, "da ist irgendwas in
diesem Tempel!"
"Dann sehen wir doch mal nach. Es ist doch nichts lebensgefährlich,
oder?", fragte sie misstrauisch.
"Kann ich nicht sagen", antwortete der Jugendliche, "aber dort drin
ist garantiert die Antwort auf einige unserer Fragen."
Die beiden standen einige Minuten, unschlüssig was sie tun
sollten, herum. Dann traten aus den Palästen prächtig gekleidete
Männer und Frauen heraus. Einer nach dem anderem. Bis etwa siebzig
Personen in einer Gruppe vor ihnen stand. Ein Mann, der ihn den prachtvollsten
Kleidern dastand, trat heraus und sah sie an.
"Ich bin der höchste der höchsten, hohen Hohepriester
von Imbon und ich heiße euch willkommen äh, ja und wir bieten
euch für die Nacht unser Gästehaus an", erklärte er.
"Wir haben doch gar kein Gästehaus", zischte eine Frau leise
in das Ohr des Hohepriester.
"Dann lasst eines erschaffen", antwortete der Mann leise.
"Haben sie etwas gesagt?", fragte Xuji.
"Nein, Nein. Ähm, Tchiko, komm her. Gib unseren Besuchern eine
Führung durch das Dorf", befahl er.
Ein junger Mann trat aus der Gruppe und winkte sie zu sich. Die
beiden folgten ihm durch eine Seitenstraße.
"Wie heißt euer Dorf?", fragte Kora.
"Fliq, nach Fliqes dem Gründer und erstem Priester", antwortete
der Sechzehnjährige.
"Euer Dorf ist wohl sehr religiös?", meinte Xuji´scor.
"Nun ja, das Priestertum ist so eigentlich das einzige, was hier
ausgeübt wird. Ich selbst bin Novizenpriester zehnten Ranges", erklärte
Tchiko stolz.
"Gibt es hier auch noch etwas anderes als Paläste und Gärten?",
fragte die Jugendliche.
"Den Tempel natürlich", erwiderte der junge Mann ehrfürchtig.
Plötzlich durchzog Xuji unbändiger Schmerz, er verlor
das Gleichgewicht und fiel auf den Boden.
"Alles in Ordnung?", fragte Kora und kniete sich neben ihn, nahm
aber sofort wieder Abstand als er sich aufrichtete.
"Was ist passiert", fragte Tchiko verwirrt.
"Es kam mir so vor, als ob irgendetwas meine Energie abgezapft hätte",
erklärte er keuchend.
Just in diesem Moment kam eine Frau zu ihnen und rief: "Das Gästehaus
ist fertig!"
Das Haus hatte drei Räume, ein Küche/Wohn/Esszimmer, ein
kleines Bad und ein Schlafzimmer. Es stand nur ein großes Zwei-Leute-Bett
darin.
"Die dachten wohl du und ich sind...", meinte Xuji´scor.
"Ja, lustige Vorstellung, oder?", rief Kora.
"Ja, ha ha. Ich schlafe natürlich auf dem Boden", bot Xuji
an.
"Nein, warum denn. Das Bett ist groß genug, ich auf die Seite
und du auf die andere. Dann kann nichts schief gehen", widersprach die
Jugendliche ihm.
Als sie aus dem Schlafzimmer kamen, war der Tisch bereits voll mit
Essen, durch das Fenster sahen sie die Sonne untergehen, also setzten sie
sich hin und aßen zu Abend. Xuji bemerkte, dass die andere etwas
auf dem Herzen hatte.
Deswegen fragte er: "Was ist?"
"Na ja, ich wollte dich etwas fragen. Aber so was fragt man nicht",
erklärte sie.
Das machte den Jugendlichen neugierig und er sagte: "Spuck schon
aus!"
"Ich habe mich gefragt, was Druiden unter ihrer Roben tragen", flüsterte
Kora.
Xuji´scor grinste und meinte: "Was glaubst du wohl?"
Als sie ihn unsicher ansah, zog er sich die Robe kurzerhand über
den Kopf. Überrascht wollte sie die Augen schließen, tat es
dann aber doch nicht. Er trug ein Leinenhemd und eine Hose aus demselben
Material.
"Und du schläfst in all den Sachen?", fragte sie verwundert.
"Nur draußen, wenn es kalt ist, aber in einem warmen Bett
zieh ich Robe und Hemd aus. Das mache ich heute natürlich nicht",
meinte er rasch.
"Ach, lass nur. Mir macht es nichts", winkte Kora ab.
"Aus reiner beiläufiger Neugier, was trägst du eigentlich
im Bett?", fragte der Druide unschuldig.
Sie lächelte nur und zog ein langes Nachthemd aus einer Falte
ihrer Diebeskleidung.
Als sie wenig später umgezogen waren und im Bett lagen, meinte
Kora: "Es wirklich schön wieder in einem Bett zu liegen. Der normale
Erdboden ist ziemlich hart und es ist nachts auch noch ziemlich kalt!"
"Das sind eben die Nachwehen des Winters, in ein paar Wochen wird
es schon wärmer sein", erklärte Xuji.
"Ja, und in knapp zwei Monaten ist schon Sommersonnenwende", bemerkte
sie.
Der junge Druide dachte bei ihren Worten an den Befehl des Elfenlords,
bis dahin alle Druiden zu töten. Wie viele würden gewarnt werden?
Und wie viele würden überleben?
Als Xuji aufwachte, spürte er Koras Körper neben seinem.
"Meine Güte, wie sind wir den in diese Position gekommen?", dachte
er. Der Jugendliche lag auf dem Rücken, ihren Kopf auf der Brust und
seinen Arm um die Schultern der Diebin gelegt. Vorsichtig befreite er sich
von ihr und stand auf. Als Xuji die Vorhänge aufzog, schlug auch Kora
langsam die Augen auf. Im Bad ließ er sich langsam in die heiße
Quelle sinken. Das Wasser bließ die Erschöpfung der Wanderungen
der letzten Woche völlig weg. Nach zehn Minuten stieg der Jugendliche
heraus und schlang sich ein Handtuch um die Hüfte. Dann flimmerte
es ihm plötzlich vor den Augen und der Schmerz des vergangenen Tages
kam wieder. Doch diesmal war er stärker, es wurde Xuji schwarz vor
Augen und er fiel in Ohnmacht.
Kora wachte nun auch langsam auf, sie hatte ausnahmsweise gut geschlafen.
Der Alptraum, der sie fast jede Nacht heimsuchte, war diesmal ausgeblieben.
Der Traum in dem sie Nacht für Nacht das Massaker, in dem eine Räuberbande
ihr Dorf ausgelöscht hatte, noch einmal erleben musste. Doch diesmal
hatte sie sich irgendwie beschützt und geborgen gefühlt.
Plötzlich hörte sie einen dumpfen Aufprall, der aus dem
Bad kam. Schnell lief sie dorthin und fand Xuji am Boden. Sie drehte ihn
auf den Rücken und fühlte sein Herz, es schlug langsam aber gleichmäßig.
"Xuji, wach wieder auf, bitte", flüsterte sie. Langsam schlug
er die Augen wieder auf und richtete sich stöhnend auf. "War es wie
gestern?", fragte sie.
Nachdenkliche nickte der Jugendliche. Vorsichtig half sie ihm auf
seine wackeligen Beine.
"Geht es wieder?", wollte sie wissen.
"Ja", meinte er sicherer, als er sich fühlte.
"Gut", sagte die Jugendliche und sah ihm auf die nackte Brust, "dann
ziehen wir uns mal an."
Nach dem Frühstück, ging es ihm schon etwas besser. Während
sie den Tisch abräumte, mischte er verschiedene seiner getrockneten
Kräuter zu einem Trank.
"Macht dich das wieder fit?", fragte Kora.
"Es gibt mir einen Teil der Energie zurück, die mir abgezapft
wurde. Frische Zutaten wären natürlich um einiges besser, aber
hier wächst ja nichts", erklärte der Jugendliche.
Just in diesem Moment kam Tchiko herein, als er Xuji sah, fragte
er: "Was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz blass!"
"Ich hatte nur kleinen Schwächeanfall, kannst du mich vielleicht
zu eurem Heiler bringen?", antwortete der Jugendliche.
"Was ist ein Heiler?", fragte der Einheimische interessiert.
"Was macht ihr dann mit den Kranken?", wollte Kora wissen.
"Wir bringen sie zum Go...", begann er, brach aber plötzlich
ab.
"Wohin bringt ihr sie?", fragte der Druide misstrauisch.
"Das, das kann ich euch nicht sagen", sagte Tchiko, "ich muss jetzt
gehen! Die Versammlung beginnt gleich." Und schon war er weg.
Xuji grinste die Jugendliche an und meinte: "Meinst du, wir sollten
dieser Versammlung nicht einen kleinen Besuch abstatten?"
"Aber bist du für so was auch schon wieder fit genug", wandte
sie ein.
"Geht schon wieder, nur Magie ist für eine Weile nicht drin",
erklärte er.
Als sie durch das Dorf liefen, begegneten sie keinem anderen Menschen.
Durch das Haupttor im Tempel gelangten sie in eine Vorhalle. Durch die
vordere Tür kam man offenbar in die Haupthalle, der Gang hinter der
Linken war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Doch schon nach wenigen Metern
wurde es heller, sie standen nun auf einer Loge über der Halle. Das
ganze Dorf kniete dort und sah zu einem Podest, auf dem der höchste
der höchsten, hohen Hohepriester stand. Aus einem Loch im Boden stieg
gelber Rauch und ein gequälter Schrei drang heraus, als etwas per
Seilwinde hochgezogen wurde.
© Bastian
Bernig
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