Der Elfenlord von Bastian Bernig
Der Teleportationsbaum

"Das ist der erste Priester?", fragte Xuji.
"Der Gründer Imbons", flüsterte Tchiko ehrfürchtig.
"Ich dachte, dieses Dorf heißt Fliq", meinte Kora.
"Imbon ist der Name des Vertrages zwischen den Menschen unseres Dorfes und dem Gott. Übersetzt bedeutet es ewig", erklärte der Jugendliche.
"Was ist nun? Verzeihst du ihnen, gibst du ihnen eine neue Chance? Erneuerst du den Vertrag?", fragte Fliqes.
"Ja", antwortete der Gott.
"Seid auch ihr gewillt, wieder auf dem alten Weg zu wandeln?", fragte Fliqes die Dorfbewohner.
"Ja", rief Tchiko und die anderen nickten.
"Aber wir wissen doch gar nicht, wie das normale Leben aussieht", meinte einer von ihnen ängstlich.
"Eure Ahnen werden euch sicher gern mit Rat und Tat zu Seite stehen, bis ihr wieder zurückgefunden habt", meinte der untote Priester. Er sah sich um, sein Blick verharrte auf Xuji und er sprach: "Nun, Elbe, gib dem Land hier das Leben zurück."
"Ähm, tschuldigung, ich bin kein Elbe. Ich bin ein Mensch, ein Druide", erklärte dieser.
"Oh, verzeih, nach all diesen Jahrhundert, fällt es mir offenbar schwer, zwei so ähnliche Auren, wie die eines Elben und die eines Druiden zu unterscheiden", entschuldigte sich Fliqes, "beginn nun bitte."
Der Jugendliche nickte und rammte seinen Stab tief in die Erde hinein. Er ließ seine Arme baumeln, bis er sie plötzlich in die Höhe zog, als würde er etwas hinaufheben. Der Kristall auf der Spitze seines Stabes begann hell zu leuchten. Dann begann der Boden zu erbeben. Das Licht seines Kristalls sprang in einzelnen Funken heraus, bis die gesamte Erde im und um das Dorfe herum grün erstrahlte. Nun klatsche Xuji in die Hände und Millionen von Wurzeln, von kleinen Graswurzeln bis hin zu den starken Wurzen uralter Bäume, stachen aus dem Boden hervor, begannen sobald sie vom Licht der Sonne berührt wurden Triebe auszubilden und in Sekundenschnelle zu ihrer früheren Größe zu wachsen. Doch der Druide war noch nicht fertig. Nun erschienen tausender kleiner Kugeln aus Licht, manche von ihnen wuchsen, einige schrumpften und andere blieben klein. Mit einem weiteren Klatschen des Jugendlichen zersprangen die Lichtkugeln in einem atemberaubenden Feuerwerk. Dort wo soeben noch die Kugeln gewesen waren, tollten nun Tiere der unterschiedlichsten Arten herum. Nachdem er den Zauber nun beendet hatte, sank er erschöpft zu Boden. Kora kam zu ihm und fragte: "Alles in Ordnung?"
"Er musste eine Menge Energie durch seinen Körper transferieren, um sie hierher zu bringen, so etwas geht nicht spurlos an einem vorbei", erklärte Fliqes. "Schlaf wird alles heilen. Apropos Schlaf, ich sollte meinen ewigen nun auch wieder aufnehmen."

Als Xuji erwachte, lag er im weichen Bett des Gästehaus. Irgendjemand hatte den Jugendlichen entkleidet und seine Sachen auf einen Stuhl gelegt. Der Druide versuchte sich aufzurichten, doch höllische Kopfschmerzen ließen ihn wieder zurücksinken. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit und Tchiko schob seinen Kopf herein. Als dieser bemerkte, dass Xuji wach war, kam er vollends herein und setzte sich auf den zweiten Stuhl.
"Mein Ahne sagte, du würdest, wenn du aufwachst, ziemlich scheußliche Kopfschmerzen haben", erklärte der Jugendliche, "er meinte, das sei normal. Ich kenne mich mit so was natürlich nicht aus, aber ich denke, du wirst dich mit deinen Kräutern schon wieder auf Vordermann bringen." Mit diesen Worten reichte Tchiko ihm seinen Beutel. Der Druide beeilte sich, seine Medizin zusammenzubrauen. Mit geübten Handgriffen hatte sich der Jugendliche aus seinen Vorräten und etwas heißem Wasser von Tchiko einen stärkenden Tee gemacht.
"Das hilft", antwortete er auf den fragenden Blick des anderen, "wie lange habe ich geschlafen?"
"Etwa zwei Tage", erwiderte Tchiko, "es ist komisch, mein Ahne meinte, wenn ein Druide, wie du ja einer bist, einen Elbenzauber auflöst, läge er einige Wochen flach. Er sagte auch noch etwas von wegen, wenn Druidenmagie nicht so naturverbunden wäre, hätte es dich vielleicht sogar umgebracht."
"Mein Meister meinte auch mal, man sollte bei Zaubern anderer Spezies sehr vorsichtig sein", erzählte Xuji, "ich hoffe, sowas muss ich nicht nochmal machen."
"Deiner Freundin geht es gut, sie hat sich erst ziemliche Sorgen um dich gemacht", meinte Tchiko, "dann hat sie sich beruhigt, sie murmelte irgendwas davon, du würdest es schon überstehen und hat dann angefangen, den Ahnen zu helfen, die anderen zu unterrichten. Kora ist ein echt tolles Mädchen, wenn sie nicht mit dir zusammen wäre, würde ich sie bitten hierzubleiben."
Der Druide sah ihn einige Sekunden verwirrt an, bevor er fragte: "Was meinst du damit, wir wären zusammen?"
"Warum solltet ihr sonst zusammen reisen, außerdem habt ihr ja zu zweit im Bett geschlafen, ich fand es etwas unverschämt von Andria, dass sie bei der Erschaffung des Gästehauses auf ein Doppelbett bestanden hat, aber so ist sie halt", antwortete der Andere.
"Moment mal, wir reisen zusammen als Freunde! Und das Bett haben wir nur notgedrungen geteilt", erklärte Xuji schnell, wobei er ihm die Tatsache verheimlichte, dass sie umschlungen aufgewacht waren. Aber das war ja nicht absichtlich geschehen.
"Wenn du willst, dann bitte sie eben hierzu bleiben", meinte der Jugendliche, "ich kann es mir nicht leisten, von ihr aufgehalten zu werden. Ich werde noch heute aufbrechen!"
"Du willst was?", schrie Tchiko entgeistert, "das kannst du in deinem Zustand nicht riskieren!"
"Ich muss, ich habe etwas wichtiges zu erledigen", murmelte der Druide.
"Was könnte wichtiger sein als deine Gesundheit?", wollte er wissen. Xuji durchsuchte seinen Beutel, er zog den Befehl des Elfenlords heraus, warf ihn dem Jüngeren zu und meinte: "Das Leben zehntausend Anderer!"
Als Tchiko die Order las, wurde er mit einem Schlag ganz blass. Der Jugendliche musste mehrmals schlucken, bevor er wieder Sprechen konnte: "Weiß Kora davon?"
Der Druide schüttelte den Kopf und stand auf. Während er sich anzog meinte er: "Und es wäre wahrscheinlich auch besser, wenn das so bleibt. Verstanden?"

Xuji fand Kora auf dem Dorfplatz, wo sie den Dorfbewohnern beibrachte, wie man aus Ton einfachstes Geschirr herstellte. "Nein, nein, Akya, nicht so dünn, das bricht ja fast auseinander", schimpfte die Jugendliche.
"Hallo, wie es aussieht, hast du ja einen schönen Job gefunden", rief der Druide. Als Kora das hörte, drehte sie sich zu ihm um und für einen Moment starrte sie ihn ungläubig an. Dann fing sich die Diebin aber wieder und meinte: "Du bist schon auf den Beinen? Nach dem was dieser Untote erzählt hat, dachte ich, ich würde dich erst in ein paar Wochen wieder herum laufen sehen."
"Tja, ich bin, denke ich, einfach zu stur um weiter zu schlafen", antwortete er, "wie es aussieht, leistest du hier ziemlich wichtige Arbeit."
"Ach was, diese Zombies kennen sich mit diesem Dorfleben viel besser aus, trotzdem wird es Monate brauchen, bis alles auch nur halbwegs normal ist", erzählte die Diebin, "ich kann es kaum erwarten, weiterzuziehen sobald es dir besser geht!"
Der Jugendliche spielte einen Moment mit dem Gedanken, ihr zu sagen war er vorhatte, entschied sich dann aber dagegen: "Es wird besser sein, wenn sie hier ein normales Leben führt, bestimmt wird sie mit Tchiko glücklicher sein, als wenn sie mit mir durch die Gegend reist." Mit einem traurigen Lächeln ging Xuji weiter zum Tempel. Das alte Gebäude stand nun völlig leer. Der Gott saß vor der Winde, er schien zu überlegen, wie in Zukunft damit verfahren werden sollte. Der Druide wollte dem Gott gerade seinen Entschluss, noch an diesem Tag aufzubrechen, mitteilen, als dieser rief:
"Wenn du unbedingt gehen willst, dann tu das. Ich halte dich nicht davon ab, nicht dass ich das könnte. Im Übrigen bin ich sehr dankbar, du hast die Ordnung wiederhergestellt. Jetzt habe ich wieder nur einen Priester, wie es sich gehört!"
Der Jugendliche war überrascht davon, dass der Gott seine Pläne bereits kannte und wollte diesen fragen, woher er es wusste. Doch dann fiel ihm die einzige Möglichkeit ein: "Tchiko hat es euch erzählt. Er ist der neue Priester!"
Der Gott nickte zustimmend und meine dann entschuldigend: "Ich würde dir gern Vorräte für deine weitere Reise zur Verfügung stellen, aber meine Gläubiger würden Tage brauchen, um alles zusammenzupacken. Jedoch sollte es weniger als eine Tagesreise von hier schon wieder eine normale Natur geben, wo ihr euch wieder selbst versorgen könnt."
"Dann packe ich jetzt am besten meine Sachen", murmelte Xuji und ging hinaus.

Das Packen war schnell erledigt, eine halbe Stunde später stand der Druide am Südrand des Dorfes. Tchiko und der Gott erwarteten ihn bereits, um sich von ihm zu verabschieden.
"Wo ist Kora?", fragte der Gott, der Jugendliche hatte ihm offenbar noch nichts von Xujis geänderten Plänen erzählt.
"Sie kommt nicht mit mir, sie wird hier viel glücklicher sein", erklärte er.
Der Gott bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, bevor er den Kopf schüttelte und antwortete: "Deine Entscheidung!"
Tchiko neigte leicht den Kopf zum Abschied, als oberster Priester eines kleinen Gottes stand er im Rang nur knapp unter dem eines Druiden. Zu seiner Überraschung reichte ihm der Gott die Hand, eine Geste, die man normalerweise nur unter Gleichgestellten sah.

Die Sonne hatte ihren Zenit schon überschritten als Xuji plötzlich einen Stein gegen den Hinterkopf bekam. Er betaste die schmerzende Stelle und fühlte wie Blut sein Haar verklebte.
"Du Mistkerl, was fällt dir ein, einfach abzuhauen?", schrie eine bekannte Stimme, "mich einfach in diesem Dorf voller Untoter und Volltrotteln zurückzulassen!"
Der Jugendliche drehte sich um und lief geradewegs in Koras Rechte hinein. Die Diebin setzte sogleich nach und schlug Xuji zu Boden. Sie kniete sich auf seine Brust, um ihn am Aufstehen zu hindern. Der Druide ließ Koras Ohrfeigen und Faustschläge wehrlos über sich ergehen. Als sie schließlich fertig war, begann die Jugendliche ihn wieder anzuschreien: "Warum? Warum hast du das gemacht? Ich dachte, wir wären Freunde! Freunde lassen sich nicht einfach so zurück." Er wollte zu einer Antworte ansetzen, aber Kora fing sofort wieder an: "Ich habe das ganze Dorf auf den Kopf gestellt, bis dieser kleine Priester und sein hässlicher Gott mir erzählt hatten, dass du schon weg warst. Tchiko murmelte irgendwas von bei ihm wäre es sicherer und du hättest eine wichtige Mission. Was für eine Mission bitte?" Wortlos zog er die Schriftrolle heraus, auf der der Befehl des Elfenlords stand. Ihre wütenden, zusammengekniffenen Augen wurden groß als sie ihn durchlas.
"Ich hatte recht, ich habe die ganze Zeit vermutet, dass es sowas in der Art ist, aber ein Massenmord?", flüsterte Kora und Grauen schwang in ihrer Stimme mit.
"Glaubt du jetzt, dass es bei Tchiko sicherer wäre?", versuchte Xuji sie umzustimmen.
"Wahrscheinlich, aber ich habe mich entschieden", meinte sie leise, "außerdem nach all den Dingen, die ich denen an den Kopf geworfen habe, würden sie mich höchstwahrscheinlich davonjagen, wenn ich wieder komme!"
Der Druide seufzte und rief dann: "Okay, okay. Du kannst mitkommen, aber nur unter einer Bedingung!"
"Welche?", fragte die Diebin misstrauisch.
"Geh von mir runter", antwortete der Jugendliche laut. Entschuldigend stand sie auf und half ihm wieder auf die Beine.

Als die Sonne sich zum Horizont neigte, fragte Xuji plötzlich: "Wie bist du eigentlich auf deine Vermutung gekommen?"
"Oh, da gab es mehrere Anhaltspunkte. Zuerst natürlich dieser Typ, der mich ansprach, kurz nachdem ich versucht hatte, dich zu bestehlen. Damals dachte ich zuerst, die Elfen wollten irgendwelche Totenbeschwörungen mit den toten Magiern machen, es ist ja allgemein bekannt, wie gut sie darin sind, etwas Totes wieder zum Leben zu erwecken. Wenn man das überhaupt Leben nennen kann. Dann, als du dich vor diesen Elfensklaven versteckt hast, da dachte ich, du hättest irgendein Problem mit einem Elfenfürsten und der hätte dir seine Sklaven auf den Hals gehetzt. Dann, als diese Elfen dieses Schloss angegriffen haben, aber irgendwie kommt es mir so vor, als wenn ich es damals schon sicher gewusst habe. Und es dann irgendwie wieder vergessen hatte, komisch nicht?", erzählte sie lachend. Der Jugendendliche seufzte innerlich, sie hatte nicht bemerkt, wie er ihre Erinnerung an das Gespräch mit Debaara gelöscht hatte.
Plötzlich fühlte er einen unwiderstehlichen Drang vom Weg abzugehen. Der Druide hatte über seine Beine keine Kontrolle mehr.
"Hey wohin haust du jetzt schon wieder ab?", schrie sie, offenbar war ihre Wut immer noch nicht völlig abgeklungen.
Aber Xuji konnte nichts tun, die Magie, die ihn rief, war stärker als alles, was er bisher erlebt hatte. Zumindest erkannte er sofort den Ursprung des Zaubers. Es war eine Eiche, ein heiliger Baum, wie er geistesabwesend feststellte. Er strahlte im grünen Licht der Naturmagie der Druiden. Der Jugendliche hob die Hand und legte sie an den Stamm. Als er die alte Rinde berührte, strahlte das Licht plötzlich heller und fühlte sein gesamtes Blickfeld aus.
Als Kora nach diesem Lichtblitz die Augen wieder aufschlug, war Xuji verschwunden.
 

© Bastian Bernig
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