Der Elfenlord von Bastian Bernig
Die Druidenversammlung

Als Xuji erwachte, lag er neben einem anderen Baum, auch die Umgebung hatte sich völlig verändert. Ein Mann streckte ihm die Hand hin und half ihm wieder auf. Als der Jugendliche die Hand ergriff, spürte er sofort die druidischen Kräfte, die den Körper des Mannes durchströmten.
"Wo und vor allem wie bin ich hierher gekommen? Und wer zum Teufel sind Sie", fragte Xuji verwirrt.
"Du befindest dich am Steinkreis der hiesigen Ar Sena, einem der Tochterbäume der Mana Riu, wie du sicher weißt. Eine heilige Eiche hat dich durch eine Verbindung mit der Ar Sena, die durch meine Einberufung der Versammlung aktiviert wurde, hierher gebracht. Und ich schließlich bin Shao Dan, ein Druide wie du", beantwortete er die Fragen des Jugendlichen schnell, "ich würde vorschlagen, du wartest dort drüben, bis alle hier sind und wir beginnen können."
"Welche Versammlung? Auf wen soll ich warten?", wollte er wissen, als er sich umsah, irgendetwas in seinem Gedächtnis sagte, dass er hier schon einmal gewesen war. Der Mann seufzte und meinte: "Die Druidenversammlung, und wir warten auf alle anderen Druiden des Alten Reiches. Das ist wohl dein erstes Mal, oder?"
"Ja, jetzt erinnere ich mich daran. Aber die Versammlung wäre doch erst an der Sonnenwende in anderthalb Monaten", widersprach Xuji, nun war es ihm wieder eingefallen, wo er sich befand, der Steinkreis der Ar Sena, das Heiligtum der Druiden, wo sich die Druiden zu ihren Versammlungen und Festen trafen. Und dort wo die Druidenweihe stattfand, in dem die Schüler in den Rang eines vollwertigen Druiden aufstiegen.
"Aber es ist möglich, sofern ein wichtiger Grund vorhanden ist, eine außerplanmäßige Versammlung einzuberufen, wie du eigentlich wissen solltest", erklärte der Mann, der offenbar von Xujis Jugend überrascht war, nun etwas nachsichtig. Der Jugendliche überlegte und nickte dann langsam, bevor er sich zu den Monolithen des innersten Kreises begab, um sich dort anzulehnen und zu warten.
Es dauerte nicht lange und die Ar Sena war von Druiden umringt. Der Sonnuntergang verursachte ein Zwielicht im Steinkreis, so dass Xuji sich nicht sicher ein konnte, wie viele es insgesamt waren. Doch als der Mond aufging und die Sterne den Himmel erhellten, begann der ganze Ort in einer mystischen Aura zu glänzen. Inzwischen waren Hunderte Druiden eingetroffen, der innerste Steinkreis um die Ar Sena herum quoll fast von ihnen über. Einer von ihnen trat vor und schrie: "Shao Dan, weshalb hast du uns herbeordert? Was soll diese Versammlung? Welches Hirngespinst wollt Ihr uns jetzt schon wieder auftischen?"
Nach seinem Tonfall und Gesichtsausdruck zu schließen, mochte er Shao Dan nicht.
Doch dieser ließ sich nichts anmerken und sprach mit ruhiger Stimme: "Eine wichtige Angelegenheit, Ellus, die nicht nur uns Druiden betrifft, sondern unser gesamtes Lan..." "Kommt zur Sache", rief jemand dazwischen.
Erst jetzt fiel Xuji auf, dass sich die Druiden langsam in zwei Lager spalteten, die einen sammelten sich um Shao Dan, während die anderen den umringten, der von Shao Ellus genannt worden war. Aus seinen Reihen war auch der Zwischenruf gekommen.
"Der Lord der Elfen plant eine Invasion und um diese vorzubereiten, will er jeden, der etwas Magie zu tun hat, töten lassen", platzte Shao heraus. Mit einem Schlag war es totenstill im Steinkreis, bis plötzlich Gelächter erklang.
"Das ist kein Witz, Ellus", rief einer von Shaos Gefolgsleuten.
"Ach, nein? Habt ihr denn Beweise für eure harten Anschuldigungen?", fragte dieser fordernd und Shao wendete seinen Blick ab, "nein? Das dachte ich mir!"
"Dann ist diese Versammlung unsinnig", meinte ein Druide und schickte sich an, nach Hause zu gehen.
"Ich habe einen Beweis", rief Xuji bevor er sich dessen bewusst war. Nun drehten sich alle zu ihm und durchbohrten ihn mit ihren Blicken. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte sich der Jugendliche kleiner zu sein. Er ragte deutlich sichtbar aus der Menge heraus und war mindestens einen halben Kopf größer als jeder der Druiden. Auch seine Jugend hob ihn deutlich ab, keiner der anderen schien unter vierzig zu sein und der Großteil war weit über sechzig. Ellus musterte Xuji eindringlich und meinte schließlich: "Ich kenne dich nicht und ich glaube auch sonst kennt dich hier niemand. Wer bist du und für wen spionierst du?"
"Ich spioniere für niemanden, ich bin Xuji´scor, ein Druide wie ihr", erwiderte er hitzig.
"Dann beweise es uns", forderte Ellus.
Der Jugendliche ließ diese Anschuldigung nicht auf sich sitzen und lief zur Ar Sena. Er pflückte ein Blatt von ihr und aß es. Die Druiden warteten kurz, doch als er eine halbe Minute nachdem er es hinuntergeschluckt hatte, noch immer lebend vor ihnen stand, war der Beweis erbracht. Nur Druiden konnten Teile einer Ar Sena essen, ohne daran zu sterben, denn das Leben in ihnen war zu hochkonzentriert als dass es andere Menschen vertragen konnten.
"Du besitzt das Talent eines Druiden", gab Ellus widerwillig nach, "aber das beweist noch lange nicht, dass du ein aufgenommenes Mitglied unserer Gemeinschaft bist. Denn sonst wäre uns dein Name nicht völlig unbekannt, Xuji´scor!"
"Das ist er auch nicht", widersprach Shao Dan, "ich kenne ihn." Der Jugendliche sah ihn verwirrt an, er hatte den Druiden vor seinem Eintreffen zur Versammlung noch nie gesehen, geschweige denn kennengelernt.
"Es ist schon mindestens zwölf oder dreizehn Jahre her, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe, sonst hätte ich dich früher erkannt, Xuji", meinte er lächelnd, "du hast das gleiche nachtschwarze Haar wie deine Mutter."
"Meine Mutter?", fragte der Jugendlich leise.
"Ja, ich war ein guter Freund von ihr, von Allya´scor", erklärte Shao, "und ihr anderen solltet sie auch kennen!" Ungläubiges Gemurmel füllte die Stille:
"Allya´scors Sohn? Kann das sein? Hatte sie überhaupt Kinder? Sie war doch gar nicht verheiratet, oder?"
"Ruhe!", schrie Ellus und unterbrach die Vermutungen, "du bist Allya´scors Sohn? Bist du auch bereit, das zu schwören?"
Xuji legte eine Hand an die Ar Sena und rief: "Ich schwöre im Namen der Mana Riu, dem Erstbaum und all ihrer Tochterbäume, den Ar Senas, dass ich Xuji´scor, Sohn von Allya´scor und ein geweihter Druide bin." Ein blendendes Licht legte sich um den Baum und den Jugendlichen, als es verschwand standen beide immer noch an ihrem Platz.
"Gut, da deine Identität nun bestätigt ist, gib uns deinen Beweis für Shao Dans Hirngespinste", verlangte Ellus ungehalten.
Schnell holte der Jugendliche die Order des Elfenlords, die er dessen Soldaten abgenommen hatte, heraus und gab sie dem Druiden. Dessen Kopf färbte sich rot als er den Befehl durchlas. Wortlos gab er ihn weiter, diejenigen, die den Text durchlasen, reagierten entweder mit grimmiger Bestätigung ihrer Vermutung oder überraschten Flüchen.
"Ich denke, es ist in unser aller Sinne, dass die Elfen aufgehalten werden müssen", rief Shao Dan und da nun inzwischen der Befehl von jedem Druiden gesehen worden war, gab es keinen Widerspruch.
"Wir müssen alle warnen, die der Elfenlord vernichten will", verlangte Ellus, "und die Bürgermeister der großen Städte von der Gefahr der Invasion überzeugen!" Von den anderen Druiden kamen laute Zustimmungen und Bejahung.
"Das war es doch, was du wolltest, oder? Jetzt sind die Druiden gewarnt", dachte Xuji sich, "warum fühle ich mich dann wie ausgesaugt und liegengelassen?"
Die Vertreter der einzelnen Regionen hatten sich von ihm und den anderen Druiden abgesetzt, um über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. "Weil du auch nicht mehr gebraucht wirst", beantwortete er seine Frage selbst.
"Wie meinen?", fragte ein älterer Druide neben ihm.
"Nichts, ich habe nur mit mir selbst geredet", erklärte Xuji leise.
"Ja, `Sgarek hat das auch immer gemacht, diese Angewohnheit hat er wohl jedem seiner Schüler aufgedrängt, ha ha ha", lachte der Alte, "das wirst du nicht mehr los, selbst ich mache es noch manchmal und ich bin schon lange nicht mehr sein Schüler, ha ha ha!"
Der Jugendliche hatte gewusst, dass ´Sgarek alt gewesen war, aber wenn dieser Mann einst sein Schüler gewesen war, dann hatte er sein Alter gehörig unterschätzt.
In der Zwischenzeit hatten sich die führenden Druiden wieder zerstreut und unter die anderen gemischt, um ihre Entscheidung weiterzugeben. Aber keiner von ihnen kam zu Xuji und als Ellus das Ende der Versammlung ausrief, fühlte er sich übergangen und verraten. Die restlichen Druiden gingen auf die Ar Sena zu, Lichter blitzten auf und sie waren verschwunden.
"Keine Sorge, der Zauber, der dich zurückbringen wird, hält noch die ganze Nacht", erklärte Shao Dan, als er auf den Jugendlichen zukam, "wir haben also viel Zeit, um uns zu unterhalten."
"Über was wollen Sie sich mit mir unterhalten?", fragte er misstrauisch.
"Nun, zuerst einmal über die Entscheidung, die die Versammlung getroffen hat", antwortete der 40-jährige, "dann würde ich gern einmal wieder über Allya reden, und schlussendlich natürlich auch ein bisschen über dich!" Xuji überlegte einen Moment, dann stimmte er zu.
"Gut, gut. Aber könntest du mir einen Gefallen tun? Könnten wir uns bitte hinsetzen, ich bekomme langsam eine Nackenstarre wenn ich weiter zu dir hinaufsehe", bat der Druide und setzte sich bereits hin. Bereitwillig setzte er sich hin, er kniff die Augen zusammen als Shao zu lachen begann.
"Entschuldige bitte, aber das hat eine gewisse Komik. Du musst wissen, deine Mutter war etwas kleiner als ich, eine Handbreit, nicht mehr, aber ich habe sie ständig deswegen aufgezogen. Nun egal, kommen wir zurück zur Versammlung!
Ohne deinen Beweis hätte ich ziemlich alt ausgesehen, besonders Ellus und die anderen aus dem Süden hätte ich nicht überzeugen können, aber sie haben zur Zeit ihre ganz eigenen Probleme...", erklärte der alte Mann, wobei er den letzten Teil fast in sich hinein murmelte.
"Was für Probleme?", fragte Xuji neugierig.
"Im Süden hat sich die Einstellung der Menschen zur Magie... nun gelinde gesagt, sie hat sich etwas verändert", antwortete er leise. Auf den fragenden Blick des Jugendlichen machte Shao Dan weiter: "Sie misstrauen ihr und allen ihren Anwender. Je weiter man nach Süden kommt, desto schlimmer wird es, ganz im Süden soll es sogar schon zu Übergriffen gekommen sein. Aber darüber wollen wir jetzt nicht weiter reden, wir kurbeln den Widerstand gegen die Elfen an und warnen alle, die gewarnt werden müssen. Das ist so ziemlich das, was bei unserer Diskussion herausgekommen ist. Wenn du nicht irgendwelche Fragen dazu hast, würde ich lieber über angenehmere Themen reden."
"Seit wann sind Tote angenehme Themen?", fragte der Jugendliche und schloss die Augen.
"Auch wenn sie tot ist, erinnere ich mich immer wieder gerne an Allya. Sie war eine einzigartige Frau, ein messerscharfer Verstand und ein feuriges Temperament, dazu war sie noch eine echte Schönheit. Während unserer Schülerzeit war mindestens die Hälfte aller Männer ständig hinter ihr her, selbst ich habe versucht einige Male mit ihr zu flirten, aber sie gab mir deutlich zu verstehen, dass ich für sie nur ein guter Freund war, wenn ich mich recht erinnere tat sie das, indem sie mich bewusstlos schlug. Nun, nach unserer Weihe verstand ich das besser, ich war als Abschreckung gedacht, damit sie endlich ihre Ruhe hatte und es hat einwandfrei funktioniert. Oh, entschuldige, es ist sicher nicht sehr angenehm für dich, während ich über die Jugendsünden deiner Mutter plappere, aber ich konnte seit Jahren nicht mehr über sie sprechen", erklärte Shao lächelnd.
"Schon in Ordnung, reden Sie ruhig weiter", antwortete Xuji leise, "ich habe sie ja sowieso kaum gekannt, als sie starb, war ich kaum vier Jahre alt."
"Dann erzähle ich noch ein bisschen! Sie war eine ziemlich gute Druidin, von allen geachtet, und ehrgeizig war sie, ja ja. Sie wollte unbedingt eine Druidenmeisterin werden, war ihr größtes Ziel. Aber dann hat es sie auf einmal, völlig unerwartet, erwischt. Das hätte wirklich keiner erwartet, sie am allerwenigstens. Aber...", erzählte der Druide bis er plötzlich mitten im Satz verstummte.
"Was? Was hat sie erwischt? Was ist passiert?", wollte der Jugendliche wissen.
"Ja, ich denke, es wäre besser, wenn du es weißt. Es war vor etwa siebzehn Jahren, am Frühlingsanfang, als sie sich aus heiterem Himmel verliebte. Niemandem hat sie je ein Wort erzählt, aber wir waren ja nicht blind. Natürlich wollten wir herausfinden, wer es war, aber wir sind nie mehr als ein paar hundert Meter an die beiden herangekommen. An Beltane schließlich war sie fast zwei Tage unauffindbar. Soweit ich das feststellen konnte, hat ihre Liebschaft nur noch ein paar weitere Monate gedauert. Und im Herbst, tja, da wurdest du dann geboren", erzählte Shao.
Xuji konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte, erschreckt stellte er fest, dass er bis zu diesem Moment den Atem angehalten hatte, rasselnd stieß er die Luft wieder hinaus. Der alte Mann achtete nicht darauf, sondern redete einfach weiter: "Allya brach ihre Ziele ab, um sich um dich zu kümmern. Sie hoffte, dass du ihren Traum verwirklichen würdest, deshalb gab sich dich bereits so früh in `Sgareks Obhut. Er war der Lehrer unseres Lehrers gewesen, und war von diesem immer in höchsten Tönen gelobt worden, ich denke, deshalb wählte sie ihn, auch wenn er damals schon als etwas verschroben galt... Jedenfalls mir und den wenigen anderen, die von dir wussten, befahl sie, dich in Ruhe zu lassen, bald darauf starb sie dann."
"Und Sie haben keine Ahnung, wer ...?", begann der Jugendliche, doch seine Stimme brach einfach ab.
"Das war ihr Tabuthema, sie war die einzige, die wusste, wer dein Vater ist, und wer sie darauf ansprach, mit dem redete sie einfach ein paar Tage lang nicht mehr. Es tut mir leid, es muss hart sein, so ganz ohne Familie", meinte Shao mit echtem Mitleid.
"Ha, nun, daran bin ich gewöhnt", antwortete Xuji mit einem freudlosen Lächeln, "ich hatte gehofft, Sie wüssten etwas darüber, da das nicht der Fall ist..." Der Jugendliche stand auf und ging zur Ar Sena. Der Druide war ihm gefolgt und rief: "Solltest du irgendetwas brauchen, dann benachrichtige mich!" Er nickte und legte die Hand auf die Rinde. Mit einem Lichtblitz verschwand Xuji aus dem Steinkreis.
 
© Bastian Bernig
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Und hier geht's zum 9. Kapitel: "Die Seherin"

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